Gleichzeitig nehmen wir den immer noch anhaltenden Sturz der FPÖ aus einer solchen Koalition wahr, und über beides müssen wir nachdenken. Zuvor aber eine Anekdote:
2014, auf meinem ersten Besuch einer Akademie des Institutes für Staatspolitik, geriet ich mit Karlheinz Weißmann ins Gespräch, der damals zum letzten Mal zugegen war. Er erzählte mir folgende Geschichte:
Eines Tages flatterte ein Brief auf seinen Schreibtisch. Der Brief enthielt eine Einladung in irgendein Provinzkaff, irgendwo in Norditalien. Anlaß war die Einweihung einer Irminsul, die dort nach den Angaben aus einem Buch Weißmanns errichtet worden war. Was war geschehen? Die dortige Abteilung der Lega Nord bestand aus einem Haufen Alain de Benoist-Aficionados. Diese lustige Truppe hatte nun im örtlichen Koalitionspoker das Kulturressort gewonnen. Und eine Irminsul gebaut.
Abgesehen von dem eher ungewöhnlichen Kunstprojekt (das mir jedenfalls sympathischer ist, als das Denkmal für den unbekannten afrikanischen Drogendealer, welches die Piratenpartei in Friedrichshain-Kreuzberg errichten wollte) ist diese Geschichte jedoch völlig normal. Die Grenzen zwischen den „Rechtspopulisten“ auf der einen und dem „Establishment“ auf der anderen Seite verläuft aller von beiden Seiten betriebenen Rhetorik zum Trotz nicht entlang klar gezogener Schützengräben, zwischen denen nichts stattfände als der Abtausch der Geschosse.
Diese Fehlwahrnehmung ist in Deutschland weit verbreitet, wofür es mehrere Gründe gibt. Zuerst sind Politiker im Durchschnitt noch der rechteste Teil des Mainstreams. Doch die veröffentlichte Meinung stammt in erster Linie von den deutlich weiter links stehenden Journalisten. Permanent schlechte Presse über eine rechte Partei bedeutet daher noch nicht, das auch die Politiker diese Partei für den Leibhaftigen halten, schon gar nicht die Politiker konservativer Parteien.
Zum andern – und das ist ganz normal – schauen die Leute zuerst auf Deutschland, dann noch auf die wichtigeren Nachbarländer, vor allem Frankreich und Britannien und übersehen die kleineren europäischen Länder.
Nur sind sowohl Deutschland, als auch Frankreich und Britannien schlechte Beispiele für die vielfältigen Beziehungen zwischen Rechtsparteien und dem Rest des Parteiensystem. In Deutschland gab es bis 2013 gar keine ernstzunehmende Rechtspartei, und auch die AfD sitzt erst seit Herbst 2017 im Bundestag. Daß diese Partei von den anderen geschnitten wird, ist überhaupt nicht verwunderlich.
Es gibt eine Untersuchung des Parteienforschers Joost van Spanje, in der er versucht auszurechnen, welche Faktoren in welchem Ausmaß zur Isolierung einer Rechtspartei durch den Rest des Parteiensystems beitragen. Die parlamentarische Stärke der Partei ist einer der wichtigsten. Alle anderen Faktoren auf ihrem Mittelwert gehalten, beträgt laut van Spanje die Wahrscheinlichkeit einer einwanderungsfeindlichen Partei, isoliert zu werden, 87%, wenn sie nicht im Parlament vertreten ist. Bei 18,57% der Sitze (dem Höchstwert in van Spanjes Datensatz aus dem Jahr 2004) beträgt die errechnete Wahrscheinlichkeit gerade noch 43%.
Auch wenn man diese Art von Zahlenspiel nicht auf die letzte Nachkommastelle hin ernst nehmen sollte, der Trend ist klar erkennbar: Daß Rechtsparteien in Deutschland bis heute immer isoliert wurden, war angesichts ihrer bisherigen Bedeutungslosigkeit nur erwartbar und braucht nicht mit dem deutschen Untertanengeist, Hitler oder sonst einem Schreckgespenst erklärt zu werden.
In Britannien und Frankreich steht es um die parlamentarische Vertretung rechtsoppositioneller Parteien noch deutlich schlechter, als in Deutschland. Das liegt am Mehrheitswahlrecht. In vielen unserer kleinen Nachbarstaaten sieht es da wesentlich interessanter aus.
Es ist kein Zufall, daß der gebräuchlichste Ausdruck für die Isolierung einer Partei, Cordon Sanitaire, aus Belgien stammt. Belgien ist sicherlich der radikalste Fall, in dem eine an den Urnen erfolgreiche Partei, der Vlaams Belang (bis 2004 Vlaams Blok), über Jahrzehnte hinweg konsequent bis hinunter auf die lokale Ebene von allen Machtoptionen ferngehalten wird. Nur, Belgien hat ein Nationalitätenproblem, und Vlaams Belang ist eine Separatistenpartei.
In Dänemark hingegen ist die Zusammenarbeit der dortigen Konservativen Volkspartei und selbst der liberalkonservativen Venstre mit der Dänischen Volkspartei (Dansk Folkeparti, DF) eine fest eingespielte politische Konstellation, die das Land die letzten zwei Jahrzehnte lang geprägt hat. Das Arrangement sieht dabei folgendermaßen aus: Venstre und die Konservative Volkspartei bilden eine Minderheitenregierung, die dann im Parlament von der DF unterstützt wird.
Trotz des für den deutschen Leser nach Staatskrise riechenden Wortes „Minderheitenregierung“ ist das eine solide Konstellation. Minderheitenregierungen sind in Dänemark, wie auch in Schweden und Norwegen, sowieso der Normalfall. Die Parteiensysteme sind stärker zersplittert, als es in Deutschland bis vor der jüngsten Bundestagswahl normal war. Regierungen brauchen keine Mehrheit, um im Amt zu bleiben: Es genügt, wenn keine absolute Mehrheit gegen sie stimmt (negativer Parlamentarismus).
Im Lauf der Zeit haben sich vielfältige Formen der Zusammenarbeit zwischen Regierungs- und Nichtregierungsparteien entwickelt und institutionalisiert. Von 2001 bis 2011 und von 2015 bis 2019 war die DF auf diese Weise in die Regierungspolitik eingebunden. Gerade in der Einwanderungspolitik konnte sie dabei einiges herausschlagen. Dänemarks vergleichsweise standhafte Postion 2015 in der Asylkrise wäre anders nicht vorstellbar gewesen.
Dänemark ist auch ein Paradebeispiel für die Bedeutung der Parteienkonstellation und der Logik des Parteiensystems gerade in Fragen, die von Mainstreamparteien als zweitrangig angesehen werden, wie das lange Zeit mit der Einwanderungspolitik der Fall war. Bevor die Dänische Volkspartei an Bedeutung gewann, in den 80ern und 90ern, waren die größeren Parteien zur Regierungsbildung meist auf die kleinere Radikal Venstre angewiesen. Radikal Venstre heißt wörtlich übersetzt radikale Linke. Der Name hat historische Gründe und ist weitestgehend irreführend. Es handelt sich um eine linksliberale Partei. In der Einwanderungspolitik trifft er jedoch zu.
Deshalb paßten die Mitte-Rechts-Parteien ihre Position in diesem Politikfeld der RV an, um koalitionsfähig zu bleiben. Oft konnte die RV Einwanderungserleichterungen als Preis, etwa für die Zustimmung zu einem Haushalt, durchsetzen. Seit es die Dänische Volkspartei gibt, hat sich diese ganze Logik auf den Kopf gestellt. Der rechte Teil des Parteienspektrums orientiert sich jetzt an ihr und nicht mehr an den Linksliberalen.
Daß darüber auch metapolitische Erfolge möglich sind, zeigt, daß die seit dem 27. Juni 2019 amtierende sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen es im Wahlkampf für notwendig hielt, einwanderungskritische Töne anzustimmen. Sie fing sich damit scharfe Kritik gerade der deutschen Genossen ein. Da sich ihre rein sozialdemokratische Regierung seit der Wahl auf die Duldung durch weiter links anzusiedelnde Parteien stützt, ist es mit der Umsetzung dieses sozialdemokratischen Rechtspopulismus freilich nicht weit her.
Es gab Versuche das dänische Modell zu exportieren. Von 2010 bis 2012 unterstützte Geert Wilders Partei für die Freiheit (Partiij voor de Vrijheid, PVV) nach dem selben Muster eine niederländische Regierung. Bei den Verhandlungen beschäftigte die PVV einen DF-Mann als Berater. Die Koalition zerbrach dann allerdings im Streit über Budgetkürzungen. Für die PVV begann damit der Weg in die Isolation. Zumindest in der Öffentlichkeit sah Wilders das als nicht weiter dramatisch an. Wenn die PVV nur stark genug wäre, dann würden die anderen schon kommen.
„Ich kann die PVV zur größten Partei der Niederlande machen. Die Stärke der Partei liegt auch in ihrer Größe und wenn man groß wird, dann kommt vieles ins Rutschen. Und die PVV wird nicht nur eine Regierung unterstützen, sie wird regieren […] . Vertrauen Sie mir, diesen Parteien geht es allen um Macht. Die würden ihre Stiefmutter verkaufen um ins Amt zu kommen. (Geert Wilders: Nu.nl 09. 03. 2014)”
Vor der Wahl im März 2017 schlossen alle größeren Parteien eine Zusammenarbeit mit der PVV aus. An dieser Zusage hielten sie auch dann fest, als nach der Wahl am 14. März 2017 die Regierungbildung ganze sieben Monate dauerte. Es ist jedoch zweifelhaft, ob das an besonderer Prinzipienfestigkeit lag.
Die PVV konnte zwar ein gutes Ergebnis von 13,1% einfahren, doch ist sie nicht stark genug, die gemäß Koalitionsarithmetik notwendige Mindestzahl der benötigten Parteien von vier auf drei zu drücken. Eine Regierungsbildung war also mit der PVV mindestens so schwierig, wie ohne. Am Ende holte Ministerpräsident Mark Rutte, statt der Einwanderungkritiker um Wilders, lieber die ChristenUnie, eine kleine christlich-fundamentalistische Partei ins Boot, die gerade einmal 3,4% der Stimmen erhalten hatte.
Lassen wir den ehemaligen Sowjetblock und Griechenland einmal beiseite, dann gibt es noch vier weitere europäische Länder, in denen rechtspopulistische Parteien an der Regierung beteiligt sind oder waren: Die Schweiz, Norwegen, Finnland und Österreich und Italien.
Die Schweiz fällt hier etwas aus dem Rahmen, weil die dortige Regierungsbildung gemäß „Zauberformel“ dazu führt, daß die vier stärksten Parteien praktisch automatisch an der Regierung beteiligt sind. Die Schweizerische Volkspartei wird als Partei davon nicht ausgegrenzt, es kommt gelegentlich jedoch vor, daß einzelne Personen als Minister abgelehnt werden.
In Finnland kündigte Juni 2017 der Premierminister Juha Sipilä die seit 2015 bestehende Koalition mit den Wahren Finnen (Perussuomalaiset, PS, inzwischen wird der Parteiname meist mit „Basisfinnen“ ins Deutsche übersetzt) auf, nachdem diese den bekannten Islamkritiker Jussi Halla-aho zum neuen Vorsitzenden gewählt hatte. Parteigründer Timo Soini verließ daraufhin mit allen Ministern und zwanzig der achtunddreißig Abgeordneten die Partei und gründete die Abspaltung „Blaue Zukunft“, die die Koalition fortführt.
Seit der Parlamentswahl vom 14. April 2019 teilt diese „Blaue Zukunft“, trotz Parlamentssitzen und Regierungsbeteiligung die ihre Mandatare von den Basisfinnen mitgenommen hatten, das Schicksal von Bernd Luckes oder Frauke Petrys kläglichem Rest.
In Norwegen hingegen ist die Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet, FrP) seit 2013 als Juniorpartner der konservativen Høyre an der Regierung beteiligt, auch dies eine Minderheitenregierung. Hier sind, in Umkehrung der dänischen Verhältnisse, allerdings die Liberalen und Christdemokraten auf die Unterstützerränge verwiesen. Die direkte Regierungsbeteiligung erwies sich für die FrP allerdings als gefährlich. Die Umfragewerte brachen nach Beginn der Regierungsbeteiligung zeitweilig um ein Drittel ein, auch wenn sich dies in der Wahl am 10. und 11. September 2017 schließlich nur in einem Rückgang von 1,1 Prozentpunkten ausdrückte.
Welche Katastrophe eine Regierungsbeteiligung für einen schlecht vorbereiteten Außenseiter sein kann, das mußte die Freiheitliche Partei Österreichs erfahren. Bis 1999 von der ÖVP selbst um den Preis der ewigen Juniorpartnerschaft unter den Sozialdemokraten boykottiert, öffnete ihr der nach der Kanzlerschaft gierende ÖVP-Bundesparteiobmann Wolfgang Schüssel die Tore – und spielte den Partner völlig an die Wand.
Durch die Regierungsbeteiligung um die Protestwähler gebracht (die die FPÖ damals selbst auf ein Drittel ihrer Wählerschaft einschätzte), ohne ausreichend qualifiziertes Personal zur Besetzung der Ministerien und mit einem querschießenden Jörg Haider, brachen Umfragewerte und Wahlergebnisse auf Länderebene sturzartig ein.
Die Partei zerstritt sich und Wolfgang Schüssel nutzte die Gelegenheit um die Koalition aufzukündigen und Neuwahlen anzusetzen. Ein Erdrutschsieg für die ÖVP, während die FPÖ von 26,9% auf 10,0% abstürzte. Die Koalition wurde fortgeführt, zu den Bedingungen Schüssels. Die einige Jahre darauf folgende Parteispaltung hätte das Ende der FPÖ sein können. Die erneute Regierungsbeteiligung an der Seite der ÖVP stand immer noch unter dem Schatten dieses Desasters.
Wenn irgendeine ernsthafte Lehre aus allem seit der Veröffentlichung des Ibiza Videos Geschehenem gezogen werden soll, dann ist zuallererst die Frage zu beantworten: Hat sich hier die Geschichte tiefenstrukturell wiederholt? Die Umstände, unter denen diesmal die Koalition gekündigt wurde, sind freilich zunächst andere. Aber kommt es auf diese Umstände an? Sind es nicht vielmehr strukturelle Probleme, vor allem die mangelnde Verankerung der FPÖ in der hohen Beamtenschaft, die ihren Grund darin hat, daß die Partei seit Jahrzehnten von dem schwarz-roten Proporzsystem ausgeschlossen ist und der daraus folgende Mangel an qualifiziertem Regierungspersonal, die solche Umstände immer wieder schaffen werden? Das ist eine offene Frage.
Welche großen Linien, lassen sich nun aus diesem Wirrwarr der Einzelfälle ziehen? Es lohnt ein Blick in die internationale, englischsprachige Extremismusforschung. Die dortigen Köpfe sind vielfach weit seriöser als das, was in Deutschland an Experten im Fernsehen herumgereicht wird. In Anlehnung an den Niederländer Cas Mudde ist man dort längst dazu übergegangen, den Rechtspopulismus nicht mehr als „normale Pathologie“ zu sehen, also als psychologisch gestörtes Verhalten, welches in gewissem (normalerweise geringem) Ausmaß eben vorkomme.
Stattdessen beginnt man ihn als „pathologische Normalität“ zu betrachten, als Überdehnung normaler, in der Bevölkerung vorkommender Ansichten und Tendenzen.
„Das Paradigma der normalen Pathologie hat tiefgreifende Folgen für die Erforschung des populistischen Rechtsradikalismus. In seiner extremsten Form untersuchen Wissenschaftler das Phänomen in Abgrenzung zur demokratischen Politik des Mainstreams, d.h. außerhalb der gängigen Begriffe und Theorien. Gemäß diesem Ansatz ist der populistische Rechtsradikalismus eine Pathologie und kann nur außerhalb der Normalität erklärt werden. Meist ist dies eine ebenso politische wie methodologische Entscheidung: Diese Forscher behaupten, die gängigen Begriffe und Theorien zu verwenden bedeute den populistischen Rechtsradikalismus zu legitimieren. […] Doch widerspricht der ideologische Kern des populistischen Rechtsradikalismus – definiert als die Verbindung aus Nativismus, Autoritarismus und Populismus – wirklich den Grundwerten westlicher Gesellschaften? Und werden die Werte des radikalen Rechtspopulismus in Europa nur von einer kleinen Minderheit geteilt? (Cas Mudde: The populist radical right, A pathological normalcy, in: West European Politics, Bd. 33, H. 6, 2010)“
Man hat sich von der psychoanalytischen Pseudowissenschaft eines Wilhelm Reich oder Theodor W. Adornos verabschiedet. Das bedeutet auch das Ende einer Konzentration auf die entweder psychopathologisch und/oder modernisierungstheoretisch gedeutete „Nachfrageseite“ rechter Politik. Stattdessen beginnt man sich mit dem „Angebot“, den politischen Parteien und Bewegungen selbst auseinanderzusetzen.
Der Rechtspopulist steigt damit, auch im Bild der für ihn zuständigen Experten des akademischen Diskursbetriebes, vom krankhaft verstockten Globalisierungsverlierer zum aktiven Politikteilnehmer auf, der eine bestimmte Vorstellung von Demokratie vertritt, nicht auf die Unterstützung von Ewiggestrigen, Versagern und Geistesgestörten angewiesen ist und sein Schicksal zumindest teilweise selbst in der Hand hat.
Damit verschwimmt aber für die Forschung die Trennlinie zwischen Establishment und Rechtspopulismus. Eine jüngst von Pontus Odmalm und Eve Hepburn herausgegebene Sammelstudie stellt überrascht fest, in welchem Ausmaß sich Mainstreamparteien, zumindest in ihrer Wahlprogrammatik, den Rechtspopulisten anpassen und zwar gerade in der moralisch hochaufgeladenen Einwanderungspolitik.
Durch die Erfahrung der letzten drei Jahrzehnte stellt man auch zunehmend die Isolationsstrategie selbst in Frage. William M. Downs, ein Mann dem niemand die geringsten Sympathien für Rechte gleichwelcher Couleur unterstellen wird, plädiert offen dafür, rechtspopulistische Parteien eher noch an der Regierung zu beteiligen, als sie von ihr auszuschließen.
Die Rechnung: Der Cordon Sanitaire erlaube es rechtspopulistischen Parteien, folgenlos in radikaler Rhetorik zu schwelgen und sich als Märtyrer darzustellen. Werden sie jedoch – in Maßen – an der Regierungsverantwortung beteiligt, dann würden sie verantwortlich. Sie müssten im Rahmen gegebener Institutionen handeln. Personelle Schwächen und Unfähigkeiten träten klar hervor. Die Partei müsste sich mäßigen und dem Mainstream anpassen. Mit etwas Glück komme es zu Kämpfen zwischen Idealisten und Pragmatikern in der Partei. Für Downs bedeutet die Regierungsbeteiligung, den Rechtspopulisten „genug Seil zu geben, daß sie sich daran aufhängen können.“ Leider könnte er damit nur zu recht behalten.
„Wohlgeordnete politische Institutionen können Amtsinhaber öffentlicher Verantwortlichkeit und intensiver Kontrolle unterziehen, dabei entblößen sie diejenigen, deren Fähigkeiten in der Opposition sich nicht in kompetente Regierungspolitik verwandeln. Besser, als das Vorhandensein des Extremismus zu verleugnen ist, die Regeln der gesetz- und verfassungsmäßigen Ordnung zu verwenden, um Extremisten zu zähmen, das scheint in vielen der hier untersuchten Länder die besseren Ergebnisse erzielt zu haben. (William M. Downs: Political Extremism in Democracies, Combating Intolerance, 2012)“
Rechtspopulistische Parteien sind nicht die parlamentarische Stoßtruppe des „Ganz Anderen“ der demokratischen Gesellschaft, sondern sie vertreten Positionen, die aus dieser Gesellschaft selbst kommen. Dies sieht inzwischen auch die Extremismusforschung ein.
Doch was folgt aus dieser Tatsache für die Rechtspopulisten selbst? Ob in der Regierung oder in der Opposition, ihre Einflußmöglichkeiten auf das politische Establishment sind zahlreich. Sie sind längst nicht mehr zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, sondern bilden – in vielen Ländern seit Jahrzehnten – einen normalen Bestandteil des Parteiensystems.
Die Erfahrung zeigt, daß die größte Gefahr für sie nicht in der Isolation und der aktiven Bekämpfung durch den Mainstream liegt. Viel gefährlicher ist es für eine neue rechtspopulistische Partei, zu schnell zu viel Verantwortung zu übernehmen, für die sie personell noch nicht bereit ist, oder daß sie sich auf Partnerschaften einläßt, in denen sie gezwungen wird Entscheidungen mitzuverantworten, die nicht zu verantworten sind.
Europaweit betrachtet übersteigt der Erfolg rechtspopulistischer Parteien an der Urne längst den, der den grünen Bewegungen eine Generation zuvor beschieden war. Mit ihrer Kernforderung, der Abwendung des großen Austausches und dem Erhalt der europäischen Nationalstaaten als Heimatländer ihrer Völker, sind sie bisher aber in der Praxis nicht durchgedrungen. Selbst ihre größten diesbezüglichen Erfolge, wie jene der Dänischen Volkspartei, sind eher verzögernder Natur.
In der Überlebensfrage der Migrationspolitik besteht nun einmal das Problem, daß es zwar (zunehmend auch für Mainstreamparteien) billig ist, Forderungen zu stellen. Doch die Umsetzung wäre mit politisch nur schwer tragbaren Härten verbunden.
Das ist gemeint, wenn Rechtspopulisten als Scharlatane bezeichnet werden, die ihre Wähler über die Irreversibilität des multikulturellen Experimentes belügen. Jede durchgeführte Abschiebung geht mit moralischen Kosten einher und sorgt für schlechte Presse, während für die Schäden der Masseneinwanderung niemand geradestehen muß. Sie passieren einfach und wer wollte schon „alle Migranten“ dafür verantwortlich machen?
Rechtspopulistische Parteien werden uns nicht abhanden kommen. Jetzt müssen wir dafür sorgen, daß am Ende mehr dasteht als eine Irminsul.
Franz Bettinger
"Es gibt Länder wie Polen und Dänemark, in denen es nur Rechte Parteien gibt, inklusive der Sozis. Normale Länder eben!" Ich glaub, es war M. Klonovsky, der das gesagt hat.