Schon 1991 und gelegentlich auch später konnte man angesichts von Problemen mit den Folgen der Wiedervereinigung hören, es wäre besser gewesen, das Gesamtdeutsche Institut nicht so schnell aufzulösen, sondern den in ihm versammelten Sachverstand weiter zu nutzen, um das Zusammenwachsen der beiden so lange von einander getrennt gewesenen Teile Deutschlands zu erleichtern. Daß in keiner anderen Behörde der Bundesrepublik Deutschland so viel Wissen über die DDR konzentriert war wie im Gesamtdeutschen Institut, ist ebenso richtig wie selbstverständlich. Fast alle Mitarbeiter, vom Sachbearbeiter bis zum Präsidenten, hatten sich ihr ganzes berufliches Leben lang mit den Verhältnissen in der SBZ / DDR und den Problemen und Folgen der deutschlandpolitischen Entwicklung nach dem Kriege beschäftigt. Dieses Potential ungenutzt zu lassen, wäre in der Tat ein schwerer Fehler gewesen. Dennoch war ich als langjähriger Präsident des Gesamtdeutschen Instituts damals wie heute der Auffassung, daß es falsch gewesen wäre, nach der Wiedervereinigung künstlich nach weiteren Aufgaben zu suchen. Ich befürchtete, meine Behörde hätte dann, ohne die Dinge mangels Kompetenzen konkret beeinflussen zu können, nur als Sündenbock für alle Fehler gedient, die im Einigungsprozeß mehr oder weniger unvermeidlich waren.
An Fehlern hat es in der Tat nicht gefehlt. Viele waren auch auf mangelnden Sachverstand bei den handelnden Politikern und Beamten zurückzuführen, die meistens sogar glaubten, fachliche Beratung nicht nötig zu haben oder bestimmte Lösungen aus rein politischen Gründen, ohne Rücksicht auf die Folgen, favorisieren zu müssen. Im übrigen sind die gravierendsten Fehlentscheidungen bereits 1990 erfolgt, zu einer Zeit, als das Gesamtdeutsche Institut noch intakt, aber im Wiedervereinigungsprozeß mit seinem Sachverstand kaum gefragt war. Daran ändert auch nichts, daß viele Mitarbeiter nach der Auflösung des Gesamtdeutschen Instituts in ihren neuen Behörden auf der Basis ihrer Kenntnisse und Erfahrungen durchaus sachgerecht wirken konnten.
Wenn auch das Gesamtdeutsche Institut als Bundesbehörde nur 22 Jahre existierte, kann es doch nützlich sein, seine Arbeit vor dem Hintergrund der damaligen Deutschlandpolitik und der Veränderungen des Zeitgeistes zu bewerten.
Politisch und organisatorisch ist die Behörde, die im Sommer 1969 ihre Arbeit aufnahm, ein Kind der Großen Koalition der 1960er Jahre. Politisch zuständig war der damalige Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, der SPD-Politiker Herbert Wehner. Die organisatorischen Vorbereitungen traten im Laufe des Jahres 1968 in ihre konkrete Phase. Die neue Bundesbehörde mußte nicht aus dem Boden gestampft werden. Es gab zahlreiche, privatrechtlich organisierte Vorgängereinrichtungen, die – aus Bundesmitteln finanziert – nunmehr unter dem Dach einer sogenannten Oberen Bundesbehörde („oberste“ Bundesbehörden sind die Ministerien) zusammengefaßt werden sollten.
Aus der Sicht Wehners hatte das verschiedene Vorteile. Vorgängereinrichtungen wie der Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen (UFJ) in Berlin oder der Verein zur Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands mit seinen Unterorganisationen, darunter das Büro Bonner Berichte, mußte zwar der Bund finanzieren, sie konnten aber trotz dieser finanziellen Abhängigkeit im Tagesgeschäft nur schwer politisch angeleitet werden. Dem politischen Vorteil, daß das Ministerium sich nicht mit jedem Detail der Arbeit seiner Vorfeldorganisationen in der Öffentlichkeit, etwa im Bereich der Propaganda, identifizieren lassen mußte, stand der Nachteil gegenüber, die Personalentscheidungen dort nur mühsam steuern und Einzelweisungen unter Umständen überhaupt nicht durchsetzen zu können. Es war eine taktische Frage, worauf man mehr Wert legte: Auf die Möglichkeit, sich jederzeit von Maßnahmen oder Aktionen der Vorfeldorganisationen distanzieren zu können, wenn dort etwas schief lief, oder die Gewähr zu haben, daß der politische Wille des Ministeriums stets schnell und eins zu eins in Taten umgesetzt wird. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen überwog bis zur Errichtung der Mauer 1961 das erstere Interesse. Danach wurde es aus Sicht des Ministeriums zweckmäßiger, den unmittelbaren Zugriff zu haben. Diese Überlegung hatte schon Wehners Vorgänger im Amt, der FDP-Vorsitzende Erich Mende, angestellt. Aber erst Wehner war machtbewußt genug, die entscheidenden organisatorischen Weichenstellungen vorzunehmen und damit nicht zuletzt auch das bis dahin bestehende Übergewicht konservativer beziehungsweise der CDU / CSU nahestehender Personen zugunsten einer Personalpolitik zu mildern, die mehr die Interessen der SPD berücksichtigte.
Sicherlich lag die neue organisatorische Struktur auch im Interesse vieler Mitarbeiter bisheriger Zuwendungsempfänger, die jetzt in der neuen Bundesanstalt aufgingen. Wer vom Gesamtdeutschen Institut übernommen wurde, genoß eine größere soziale Sicherheit. Oft verdiente man auch im Geltungsbereich des Bundesangestelltentarifs mehr oder hatte bessere Beförderungschancen.
Unter der Großen Koalition war klar, daß die den Bundeskanzler stellende Union im Bereich der nachgeordneten Behörde des, wie man damals noch kurz sagte, „gesamtdeutschen“ Ministeriums Herbert Wehners das Feld nicht kampflos räumen würde. So wurden alle Führungspositionen im Gesamtdeutschen Institut, Präsident, Vizepräsident und Abteilungsleiter, sowie fast alle Positionen im Bereich der Referatsleiter sorgfältig auf Angehörige von CDU, die auch den ersten Präsidenten Ludwig Rehlinger stellte, und SPD, die den Vizepräsidenten nominierte, verteilt. Dabei blieb es bis Ende 1971.
Rehlinger, ein in der Deutschlandpolitik erfahrener Beamter und Vertrauter des Politikers Rainer Barzel, dem er bereits 1963 – als dieser Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen war – gedient hatte, stand gegen die Neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, die nach der Bundestagswahl 1969 eingeleitet wurde. Ende 1971, als sich die Möglichkeit abzeichnete, daß die CDU / CSU durch Übertritte von Abgeordneten der FDP und SPD doch noch zu einer Mehrheit im Bundestag kommen könnte, wollte er dem Fraktionsvorsitzenden der CDU / CSU Barzel helfen, Bundeskanzler zu werden. Er ließ sich als Präsident des Gesamtdeutschen Instituts beurlauben und trat in die Dienste der Unionsfraktion. Die Union hoffte, einen der ihren wieder als Präsidenten etablieren zu können.
Dazu war aber die SPD, die nunmehr mit Egon Franke den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen stellte, nicht mehr bereit. Am liebsten hätte sie selbst den Präsidenten gestellt, was aber der ursprünglichen Verabredung mit der CDU widersprochen hätte. In diesem Dilemma ergab sich für die nunmehrige Regierungspartei FDP die Chance, eigene Ansprüche anzumelden, was Bundesminister Hans-Dietrich Genscher auch tat. Er favorisierte zunächst Wolfgang Schollwer. Als dieser sich an dem Verwaltungsposten desinteressiert zeigte, benannte Genscher mich. Ein Vorstellungsgespräch bei Bundesminister Franke überzeugte diesen, daß es sich bei mir um einen offensiven Vertreter der neuen Ostpolitik handelte. So wurde ich im März 1972 vom Bundesministerium des Innern, wo ich als Regierungsdirektor tätig war, zum Gesamtdeutschen Institut mit dem Ziele der Versetzung abgeordnet und mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Präsidenten betraut. Einer sofortigen Versetzung und Beförderung zum Präsidenten stand die Tatsache entgegen, daß die Stelle des Präsidenten noch von Rehlinger besetzt war. Für ihn mußte erst eine Leerstelle im Haushalt des Gesamtdeutschen Instituts geschaffen werden, was angesichts des für 1972 noch fehlenden Haushaltsgesetzes nicht sofort möglich war. Erst nachdem Barzels Versuch eines konstruktiven Mißtrauensvotums gescheitert war und die vorgezogenen Bundestagswahlen wieder eine eindeutige Mehrheit für die sozialliberale Koalition gebracht hatten, konnte ich zum Jahresende 1972 auch offiziell das Amt einnehmen.
Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen war im Herbst 1969 bei der Bildung der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition in Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen umbenannt worden. Dieser Namenswechsel sollte der Führung der DDR, mit der man bisher keinerlei offizielle Beziehungen unterhielt, signalisieren, daß eine Änderung der Deutschlandpolitik beabsichtigt sei. Dummerweise kam diese Botschaft aber bei der SED-Führung nicht so an wie beabsichtigt. Sie wollte zwar unbedingt von der Bundesrepublik „anerkannt“ werden und war daher an offiziellen Beziehungen interessiert. Diese Beziehungen sollten aber völkerrechtlicher Art sein und nicht mehr als bloß „innerdeutsche“ der Vorbereitung der Wiedervereinigung dienen. Insofern hatte die SED, ob aus eigenem Antrieb oder auf Wunsch der Sowjetunion sei dahingestellt, jetzt, fast zehn Jahre nach der Errichtung der Mauer, einen grundsätzlichen Wandel gegenüber ihrer Deutschlandpolitik der fünfziger Jahre vorgenommen. Anfangs wollte man noch die Wiedervereinigung, natürlich unter kommunistischen Vorzeichen. Jetzt wollte man vom Westen vor allem bei den Bemühungen um Konsolidierung der DDR ungestört bleiben – besser noch: materiell unterstützt werden.
Folgerichtig ging es bei den Verhandlungen der Bundesregierung mit der Regierung der DDR vor allem um die „nationale Frage“. Aus verfassungsrechtlichen Gründen und mit Rücksicht auf viele Wähler konnten und wollten damals alle größeren westdeutschen Parteien auf die Option Wiedervereinigung nicht verzichten. Als der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1971 die Meinungsverschiedenheiten in der „nationalen Frage“ ausdrücklich ausklammerte, ging es nur noch um die Organisation der vom Westen als „innerdeutsch“ betrachteten Beziehungen. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen wurde von der DDR-Führung als Ansprechpartner rundweg abgelehnt. Für die westdeutsche Ständige Vertretung in Ost- Berlin bestand man auf dem DDR-Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten als Ansprechpartner. Folgerichtig hätte man es auch gern gesehen, wenn die eigene Ständige Vertretung in Bonn mit dem dortigen Auswärtigen Amt hätte verhandeln dürfen. Da das allerdings der Bundesregierung zu weit ging, einigte man sich auf eine organisatorische Unterstellung der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin unter das Bundeskanzleramt in Bonn, das in Zukunft auch als Ansprechpartner für die Ständige Vertretung der DDR fungierte.
Nachdem man sich im politischen Bonn die Zuständigkeiten von eigenen Behörden quasi von der DDR hatte vorschreiben lassen, spielte das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in dem Teil der Deutschlandpolitik, für den sein Name stand, nur noch eine Rolle am Rande. Es entsandte zwar Vertreter in alle Delegationen und Kommissionen, die mit der DDR verhandelten, wurde aber von der DDR bis 1989, wo immer möglich, ignoriert. Das galt erst recht für seine nachgeordnete Behörde, das Gesamtdeutsche Institut, das bei gelegentlich unvermeidlichen Begegnungen von offiziellen DDR-Vertretern nur als „das Institut mit dem unaussprechlichen Namen“ apostrophiert wurde. Unter diesen Umständen wäre es 1972 eigentlich konsequent gewesen, wenn man in Bonn das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen abgeschafft und das Gesamtdeutsche Institut dem Bundeskanzleramt oder dem Bundesministerium des Innern unterstellt hätte.
Da es dazu aber aus innenpolitischen Rücksichten nicht kam, spielte die verbleibende Kompetenz zur Fachaufsicht über die nachgeordnete Behörde im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen eine besonders große Rolle. Zum Teil wurden auch nichtministerielle Aufgaben, etwa im Bereich der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit, im Ministerium erledigt, was zu Inkonsequenzen und Reibungsverlusten führte. Vor allem aber gab es im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen mehr Referate, die Fachaufsicht über das Gesamtdeutsche Institut ausübten, als dieses selbst Referate hatte. Spötter meinten damals, Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen bedeute eigentlich „Bundesministerium zur Beobachtung des Gesamtdeutschen Instituts“. Organisatorisch war das natürlich alles Unfug. In der Praxis wirkte es sich aber nicht so verheerend aus, wie es klingt, weil sich einmal mehr eine Weisheit aus der Bundeswehr bewahrheitete, wonach eine doppelte Unterstellung oft besser ist als eine einfache Unabhängigkeit. Im Klartext: Gab es unterschiedliche oder gar widersprüchliche Signale aus dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, konnten wir im Gesamtdeutschen Institut uns aussuchen, welchen wir folgten. So konnte ich vor allem in der politischen Bildung an den Grundsätzen festhalten, die ich für besonders wichtig erachtete, etwa am Wiedervereinigungsanspruch und an der Notwendigkeit einer operativen Wiedervereinigungspolitik, alles Grundsätze, die in der zweiten Hälfte der siebziger und in den achtziger Jahren immer weniger selbstverständlich wurden.
Als ich meinen Dienst im Gesamtdeutschen Institut antrat, war meine deutschlandpolitische Welt allerdings noch weitgehend in Ordnung. In der Zeit der Großen Koalition hatte ich als Assistent der FDP-Bundestagsfraktion an dem Entwurf eines Generalvertrags zwischen Bundesrepublik und DDR mitgearbeitet, der zwei Jahre später als Vorentwurf für den Grundlagenvertrag diente. Die Grundidee der Neuen Ostpolitik leuchtete mir ein: Man mußte mit jedem reden, der die Verhältnisse im geteilten Deutschland im Guten wie im Bösen beeinflussen konnte. Bis dies zur Lösung der deutschen Frage – worunter ich mir nur die Wiedervereinigung vorstellen konnte – führte, mußte man alles tun, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen in Ost und West zu stärken und auf diese Weise die Einheit der Nation zu wahren. Den Optimismus, daß Deutschland „unteilbar“ sei, wie es auf Plakaten hieß, teilte ich nicht, aber ich wollte jedenfalls ein weiteres Auseinanderleben der Deutschen verhindern. Deshalb mußten möglichst viele Begegnungen über die Zonengrenze hinweg ermöglicht werden. Auch ich selbst fuhr so oft es ging in die DDR. Jede Reise eines Westdeutschen in die DDR betrachtete ich sozusagen als winzig kleinen Schritt auf dem mühsamen Weg zur Wiedervereinigung. Die größeren Schritte mußten natürlich, so erwartete ich, im Rahmen einer operativen Wiedervereinigungspolitik vor allem gegenüber der Sowjetunion vorbereitet werden. Hier war ich auch im Bereich der Sicherheitspolitik zu Zugeständnissen bereit. Wenn ich bei Vorträgen, in Seminaren und Publikationen diese Überlegungen vortrug, fürchtete ich vor allem den Einwand, ich sei ja wohl ein Neutralist. Mit diesem Totschlagargument konnte man schon seit Adenauer jeden, dem die offizielle Deutschlandpolitik der bloßen Rechtsbewahrung nicht genügte, politisch erledigen.
Entscheidende Hilfe kam in dieser Situation vom Bundesverfassungsgericht, das im Urteil zum Grundlagenvertrag 1973 den wohldurchdachten Leitsatz 4 veröffentlichte, den ich bei allen öffentlichen Äußerungen immer wie einen Schutzschild vor mich hielt: „Aus dem Wiedervereinigungsgebot folgt: Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Ziels hinzuwirken – das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten und nach Außen beharrlich zu vertreten – und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.“
Es dauerte einige Jahre, bis ich erkannte, daß meine Freude über diesen Spruch des höchsten deutschen Gerichts von großen Teilen der politischen Klasse der Bundesrepublik nicht geteilt wurde – bis hinein in das Bundeskanzleramt und das mir vorgesetzte Ministerium. Der Leitsatz 4 wurde weder von der Regierung Schmidt noch von der Regierung Kohl als verbindliche Handlungsanweisung betrachtet oder gar befolgt. Politisches Ziel war stattdessen zum einen „Entspannung“ (nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Selbstzweck) und ansonsten „Milderung der Teilungsfolgen“. Im übrigen ertönte in den achtziger Jahren überall in Bonn der Ruf „Wir wollen doch die DDR nicht destabilisieren“, was auch erhebliche finanzielle Maßnahmen zur Stabilisierung der maroden DDR ermöglichte. Das erschien im Interesse des Weltfriedens notwendig. Der Status quo war akzeptabel, nur weil er Realität war.
Unter diesen Umständen politische Bildung im Sinne des Verfassungsauftrags zu betreiben und in der analytischen Arbeit jeder Tendenz zu widerstehen, die Verhältnisse in der DDR schöner darzustellen, als sie waren, war nicht einfach. Ich glaube mit Überzeugung sagen zu dürfen, daß sich die freien und hauptamtlichen Mitarbeiter des Gesamtdeutschen Instituts dennoch immer an diesem Auftrag orientiert haben. Sie haben einem feindlichen Zeitgeist nach Kräften Widerstand geleistet. In den Augen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR machte dies das Gesamtdeutsche Institut zu einer gefürchteten Feindorganisation. Die Namen der „Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen“ füllen ein dickes Buch von Jens Hacker. Die Namen derjenigen, die in dieser Zeit die Wiedervereinigung als politisches Ziel nicht aus den Augen verloren und die Verhältnisse in der DDR so darstellten, wie jeder, der wollte, sie sehen konnte, benötigen deutlich weniger Platz. Dafür ist dieses Buch aber auch noch nicht geschrieben.
Bis heute ist mir nicht klar, wie es in relativ kurzer Zeit zu dieser einschneidenden Veränderung des Zeitgeistes kommen konnte. Waren die 1968er daran schuld? Waren die Deutschen vor allem im Westen nach der kräftezehrenden Aufbauleistung der Nachkriegszeit so ermattet, daß sie politisch endlich nur noch Ruhe wollten? Dekadenz? Spätfolge der reeducation nach dem Krieg? Vielleicht von allem etwas. Rückschauend fällt auf, daß sich diese Ermattung in der Verfolgung nationaler Interessen nicht nur an der bis 1989 fehlenden Wiedervereinigungspolitik erkennen läßt (die Vereinigung wurde schließlich von den Deutschen in der DDR erzwungen und nicht von den Westdeutschen planmäßig herbeigeführt). Das frühzeitige Sich-Abfinden mit der demographischen Katastrophe, sprich: Kinderlosigkeit einschließlich Hunderttausender Abtreibungen, mit den multikulturellen Experimenten durch forcierte Einwanderung, mit dem Aufgehen des deutschen Staates in einem europäischen Bundesstaat, mit der seit Jahrzehnten maßlosen Schuldenpolitik und so weiter deuten in die gleiche Richtung. Bundeskanzler Helmut Kohl hat die von ihm 1983 angekündigte „geistig-moralische Wende“ in allen Punkten genausowenig verfolgt wie die Wiedervereinigung, als deren „Vater“ er sich heute feiern läßt. Aber das Volk hat diese Wende auch bis 1998 von ihm nicht eingefordert.
So gibt die Betrachtung des Schicksals einer verhältnismäßig kleinen Behörde, die ihre Existenz der Großen Koalition vor fast 40 Jahren verdankte und vor 15 Jahren aufgelöst wurde, weil sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, heute, wo wir wieder am Beginn einer wenigstens zahlenmäßig großen Koalition stehen, Anlaß zu immer noch aktuellen Überlegungen.