Thesenpapier zur Bildung

Notizbuchabschrift: Worauf kommt es in der Bildung an?

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.


Hauptproblem:

Die Ret­tung der Schu­le ist über eine evo­lu­tio­när, also nur wie­der refor­me­risch umge­bau­te Bil­dungs­po­li­tik nicht mehr denk­bar, weil ihre Struk­tur und ihre Grund­ver­ein­ba­run­gen mitt­ler­wei­le völ­lig in Fra­ge ste­hen. Dra­ma­ti­scher­wei­se ver­sprä­chen nur sehr prin­zi­pi­el­le und qua­si­re­vo­lu­tio­nä­re Ver­än­de­run­gen eine Besserung.

Ob das inner­halb des mys­ti­fi­zier­ten Föde­ra­lis­mus mög­lich ist, bleibt zu bezwei­feln. Rege­lun­gen der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz ori­en­tier­ten sich bis­lang aus ver­meint­li­chen Gerech­tig­keits­grün­den jeden­falls am Stan­dard der bil­dungs­schwächs­ten Bundesländer.

Um über­haupt wirk­sam Päd­ago­gik, Erzie­hungs­wis­sen­schaft oder Bil­dungs­for­schung zu betrei­ben, bedarf es einer klä­ren­den phi­lo­so­phi­schen, vor­zugs­wei­se anthro­po­lo­gi­schen Dis­kus­si­on, aus der her­aus poli­ti­sche Zie­le for­mu­liert wür­den. Es muß klar sein, was man für den Men­schen will und über­haupt wel­chen Men­schen man will.

Eine Päd­ago­gik ohne Men­schen­bild erscheint sinn­los; stets ist sie bestimmt von anthro­po­lo­gi­schen Posi­tio­nie­run­gen und daher immens poli­tisch. Wird dies demo­kra­tisch dis­ku­tiert und nicht dezi­sio­nis­tisch gesetzt, sind nur Eini­gun­gen denk­bar, die Mit­tel­maß oder gar Mini­ma­lis­mus recht­fer­ti­gen. Selbst­ver­ständ­lich gibt es eine lin­ke und eine rech­te Päd­ago­gik und dazwi­schen aller­lei unkla­re Vor­stel­lun­gen; alle jedoch fol­gen poli­ti­schen Zie­len, also Zwe­cken, die anthro­po­lo­gisch abge­lei­tet werden.

Schu­le soll­te kei­ne unge­deck­ten Schecks mehr aus­stel­len, indem sie ver­spricht, was sie der­zeit weder unter­richt­lich noch erzie­he­risch hal­ten kann; sie soll­te sich mit dem beschei­den, was ihre Pflicht ist, näm­lich Her­an­wach­sen­de in schwie­ri­ger Zeit und mit Blick auf eine tur­bu­len­te Zukunft wis­sens- und pra­xis­ori­en­tiert aus­zu­bil­den und so zu erzie­hen, daß die jun­gen Men­schen lebens­taug­lich wer­den und Stand­fes­tig­keit ent­wi­ckeln. Bei­des ist gera­de sel­ten – umfas­sen­des Wis­sen und inne­re Fes­tig­keit. Es wird in der Dra­ma­tik künf­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zun­gen sehr nötig sein!

Weni­ger Pro­pa­gan­da, mehr sach­li­che Red­lich­keit. Dazu gehört, poli­ti­sche und schein­mo­ra­li­sche Pro­gram­me und Kam­pa­gnen – Erzie­hung zur ver­phrast ver­stan­de­nen Demo­kra­tie, Tole­ranz, Welt­of­fen­heit usw. usf. – aus der Schu­le weit­ge­hend her­aus­zu­hal­ten. Die Schu­le kann nicht die sozi­al­päd­ago­gi­sche Anstalt der Gesell­schaft sein, soll­te weder poli­ti­schen Uto­pien fol­gen noch trös­ten noch gar unter ihrem Dach sozia­le Miß­stän­de hei­len wol­len; sie soll­te kein Para­dies­gärt­lein erträum­ter Gerech­tig­keit und tota­li­tä­rer Teil­ha­be von allen und jedem insze­nie­ren, son­dern müß­te statt­des­sen ihr Ziel allein auf Bil­dung und Erzie­hung in der Fort­füh­rung bewähr­ter euro­päi­scher und natio­na­ler Tra­di­tio­nen erken­nen. Ver­schüt­tet wur­den die­se – wie­der­um aus poli­ti­schen Grün­den – erst inner­halb der letz­ten Jahr­zehn­te; sie kön­nen frei­ge­legt, neu rezi­piert und auf moder­ne Wei­se akti­viert werden.

Ein Ansatz:

Inhalt vor Metho­de. Wesent­lich ist die Siche­rung grund­le­gen­den Wis­sens und das Qua­li­fi­zie­ren für Posi­tio­nie­run­gen, Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen, mit­hin das Was, dem das Wie zu fol­gen hat, was bedeu­tet: Not­wen­dig­keit gründ­li­cher und fach­lich fun­dier­ter Aus­bil­dung, auf­ein­an­der auf­bau­end, sys­te­ma­tisch, vor- und rück­be­zo­gen, nach­voll­zieh­bar, sicher ein­ge­übt, anwen­dungs­be­reit, also viel­fach pro­biert und wie­der­holt, anschluß­fä­hig und erwei­ter­bar, gestützt auf adres­sa­ten­be­zo­ge­ne Lehr­wer­ke, für die die Bil­dungs­ge­schich­te durch­aus beein­dru­cken­de Bei­spie­le bereithielte.

Bei­spiel­haft nur eine Bezugs­ebe­ne: Lese­bü­cher, frü­her der Ein­gang in lite­ra­ri­sche Kennt­nis­se und Befä­hi­gun­gen, hal­ten deut­sche Lehr­buch­ver­la­ge über­haupt nicht mehr bereit, in der fata­len didak­tisch-metho­di­schen Fehl­wahr­neh­mung, lite­ra­ri­sche Stof­fe könn­ten „exem­pla­risch“ oder gar „inte­gral“ irgend­wie mit­be­han­delt wer­den. Nein, es bräuch­te wei­ter­hin im Fach­be­reich Deutsch je einen ele­men­tar­sprach­li­chen („Mut­ter­spra­che“ im Sin­ne des Beherr­schens von Ortho­gra­phie und Gram­ma­tik), sti­lis­ti­schen („Aus­drucks­un­ter­richt“) und lite­ra­ri­schen Zweig („Lesen/Literatur/Literaturgeschichte“), die über die gesam­te Schul­zeit hin­weg im Wochen­stun­den­plan par­al­lel lau­fen müß­ten und selbst­ver­ständ­lich jeweils auf­ein­an­der bezo­gen, ja idea­ler­wei­se inhalt­lich mit­ein­an­der abge­stimmt wer­den könnten.

Der DDR-Deutsch­un­ter­richt hat­te das – bei aller ideo­lo­gi­schen Über­frach­tung – genau so ver­sucht, min­des­tens mit dem Erfolg einer von den Absol­ven­ten der zehn­klas­si­gen „poly­tech­ni­schen“ Ober­schu­le sehr gut beherrsch­ten Ele­men­tar- und Schrift­spra­che sowie einer weit­ge­hen­den Lite­r­a­ri­sie­rung der Gesellschaft.

Die Struk­tur:

Kate­go­ri­sie­rung und Selek­ti­on der Schü­ler und Aus­zu­bil­den­den nach Leis­tungs­ver­mö­gen, Befä­hi­gung, Moti­va­ti­on und Hal­tung, und zwar bereits nach der vier­ten Klas­sen­stu­fe. Eine Vari­an­te: Ein­füh­rung bzw. völ­li­ge Reor­ga­ni­sa­ti­on eines drei­glied­ri­gen Schul­sys­tems, des­sen unter­schied­li­che Bil­dungs­gän­ge aber in sich soli­de ver­fah­ren. Rein arbeitsbegrifflich:

Die Haupt­schu­le berei­tet auf Beru­fe – Nicht „Jobs“! – in Hand­werk und Indus­trie vor, was u. a. eine anwen­dungs­be­rei­te Aus­bil­dung in Mathe­ma­tik, Geo­me­trie, Natur­wis­sen­schaf­ten ein­schließt. Sie darf kei­ne Res­te­schu­le sein!

Die Real­schu­le ori­en­tiert stär­ker auf „Rea­li­en“ und zudem auf qua­li­fi­zier­te Sprach­lich­keit, um auf Berufs­bil­der in der Ver­wal­tung, in Ban­ken und Ver­si­che­run­gen, aber eben­so im mitt­le­ren Manage­ment von Unter­neh­men vor­zu­be­rei­ten, wäh­rend die Gym­na­si­en, so man die­se nicht mehr ableit­ba­re Bezeich­nung der ver­lo­re­nen huma­nis­ti­schen Bil­dung bei­be­hal­ten möch­te, dem Erwerb einer ech­ten und qua­li­fi­zier­ten Hoch­schul­rei­fe vor­be­hal­ten blie­ben und wie­der mit einem anspruchs­vol­len Abitur abschlie­ßen, das gleich­zei­tig als ech­te Rei­fe­prü­fung für jugend­li­che Per­sön­lich­kei­ten gel­ten kann.

Wer über das Abitur ver­fügt, soll­te ein jun­ger Erwach­se­ner mit Urteils­ver­mö­gen sein, der sich selbst lei­ten und daher künf­tig auch ande­re füh­ren kann. – Gesamt­schu­len erschei­nen denk­bar, wenn sie in sich zu dif­fe­ren­zie­ren ver­mö­gen oder wenn sie ggf. die Mög­lich­keit bie­ten, spä­ter zu selek­tie­ren, indem sie etwa eine gym­na­sia­le Ober­stu­fe anbieten.

Die allein poli­ti­schen Wunsch­vor­stel­lun­gen fol­gen­de Inklu­si­ons­kam­pa­gne ist geschei­tert. Abge­se­hen davon, daß ins­be­son­de­re lern­be­hin­der­ten und stark ver­hal­tens­ge­stör­ten Kin­dern in son­der­päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen wirk­sa­mer als in Regel­schu­len gehol­fen wer­den könn­te, so wie das über Jahr­zehn­te sehr erfolg­reich geschah, führ­te die admi­nis­tra­tiv durch­ge­setz­te Aus­rich­tung auf Mit­be­schu­lung aller Kin­der mit „Han­di­caps“ zu einer all­ge­mei­nen Redu­zie­rung der Anfor­de­run­gen und Erwar­tun­gen im Sin­ne eines Abgleichs nach unten und damit zur Ver­nach­läs­si­gung der Leis­tungs­star­ken und Talentierten.

Wäh­rend das Sys­tem für die Schwä­che­ren und Schwächs­ten unter enor­mem Kräf­te- und Res­sour­cen­ver­schleiß alles leis­ten möch­te, leis­tet es für die Begab­ten nahe­zu nichts und meint so eine Gleich­be­hand­lung zu rea­li­sie­ren, die unrea­lis­tisch ist und letzt­lich zu Las­ten sowohl der Limi­tier­ten als auch der Talen­tier­ten ging. Statt Inklu­si­on braucht es eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung, die ver­schie­de­nen Anfor­de­rungs­ni­veaus gerecht wird. Bin­nen­dif­fe­ren­ziert zu beschu­len ist so illu­sio­när wie inklu­siv zu unterrichten.

Anzu­ra­ten: Ein­füh­rung von Kopf­no­ten, um Gewin­ne an oder Defi­zi­te in der per­sön­li­chen Hal­tung klar abzubilden.

Leh­rer­zen­trier­ter Unter­richt als favo­ri­sier­te Form, min­des­tens bis zur Absi­che­rung einer den­ke­ri­schen und Befä­hi­gungs­ba­sis, Revi­die­ren der der­zeit so infla­tio­niert wie ergeb­nis­arm prak­ti­zier­ten „frei­er Unter­richts­for­men“, die nicht funk­tio­nie­ren kön­nen, wenn vor­her kei­ne kogni­ti­ven und sprach­li­chen Grund­la­gen und kaum anwen­dungs­be­rei­tes Wis­sen gesi­chert sind, weg von lee­ren „Kom­pe­ten­zen“ und unsin­ni­gen Metho­den blo­ßen Machens; kein wir­res Durch­ein­an­der von ver­meint­lich „reform­päd­ago­gi­schen“ oder „inno­va­ti­ven“ Anlei­hen, son­dern deren Gebrauch im Sin­ne eines jeweils kohä­ren­ten Kon­zepts, das Metho­den als schlüs­sig und ergeb­nis­dien­lich erken­nen läßt.

Nur im Bei­spiel: Die Wal­dorf­schu­le, was immer man von ihr ggf. anthro­po­so­phie­kri­tisch hal­ten mag, ist Gestalt gewor­de­ne Metho­de, grün­dend auf einem Jahr­hun­dert inne­rer Erfah­rung, wei­ter­ge­führt von eige­nen Insti­tu­ten. Die­se Schu­le ist aus ihrer Kon­zep­ti­on her­aus gewach­sen und um ihre ideel­le Inspi­ra­ti­on her­um auf­ge­baut, also orga­nisch in sich schlüs­sig; sie macht nicht irgend­was, sie gestal­tet aus ihrer Idee her­aus, und es gestal­ten den Unter­richt idea­ler­wei­se Idea­lis­ten. Man kann sich ihre „Reform­päd­ago­gik“ nicht teil­wei­se aus­lei­hen und dann auf Effek­te hof­fen. Glei­ches trifft auf Jena­plan- bzw. Werkstattschul‑, Montesso­ri­päd­ago­gik u. a. zu.

Wei­ter zum Unter­richt: Vom Anschau­li­chen zum Abs­trak­ten, vom Ein­zel­nen zum All­ge­mei­nen, vom Ein­fa­chen zum Kom­ple­xen, vom Spiel zur Arbeit, vom Bild zum Begriff, vom Simp­len zum Anspruchs­vol­len, dabei aber getra­gen von der mys­ti­schen Ein­sicht, daß im ver­meint­li­chen Ein­fa­chen und Pri­mi­ti­ven das Gro­ße und Gan­ze bereits ent­hal­ten ist.

Vor­zug von hohen und star­ken Ein­hei­ten Deutsch, Mathe­ma­tik, Natur­wis­sen­schaf­ten, gründ­li­ches Erler­nen der Mut­ter­spra­che über inten­si­ves lei­ses und lau­tes Lesen sowie das Schrei­ben von Hand, wobei mit­tels Fibel alle Buch­sta­ben in der ers­ten Klas­se bereits ken­nen­ge­lernt wer­den soll­ten, eben­so wie alle Grund­re­chen­ar­ten. Bewer­tun­gen von Anfang an zur Ent­wick­lung des Wil­lens zur Leis­tung und zur Sti­mu­lie­rung gesun­den Ehrgeizes.

Com­pu­ter­ge­stütz­te und digi­tal basier­te Sys­te­me soll­ten als Werk­zeu­ge, nicht als Feti­sche gel­ten, was bedeu­tet: Ken­nen­ler­nen der Pro­gram­me und „Tools“ in genau­er Aus­rich­tung auf den jeweils pra­xis­ori­en­tier­ten Gebrauch. Für die Ober­stu­fe: Aus­bil­dung nicht nur zur Hand­ha­bung einer Inter­net­re­cher­che, son­dern zur Kri­tik ihrer Ergeb­nis­se in Ein­ord­nung der Informationsquelle.

Kano­ni­sie­rung: Siche­rung der Kennt­nis nicht unbe­dingt zahl­rei­cher, aber beson­ders grund­le­gen­der oder signi­fi­kan­ter Wer­ke von Lite­ra­tur, Kunst und Musik, Ver­gleich ver­schie­de­ner Kul­tur­krei­se und Reli­gio­nen, Iden­ti­fi­zie­rung mit der eige­nen abend­län­di­schen Iden­ti­tät in ihren Grund­la­gen, Mythen, Leis­tun­gen und Tra­gö­di­en, Ent­wick­lung einer Per­spek­ti­ve für das Eige­ne im kri­tisch-tole­ran­ten Abgleich mit dem ande­ren, Favo­ri­sie­rung von Ver­schie­den­heit statt Ent­wick­lung einer ver­meint­lich „welt­bür­ger­li­chen“ Uni­for­mi­tät, Stolz und Ach­tung gegen­über der Leis­tung frü­he­rer Generationen.

„Poly­tech­ni­sche Aus­bil­dung“: Wer­ken, Hand­werk, Ent­wick­lung von Anschau­lich­keit, Fer­tig­kei­ten eben gera­de der Hand, ver­bun­den mit dem Auge und dem Den­ken, dem Aus­pro­bie­ren, dem Kor­ri­gie­ren, dem Gestal­ten, dem Erleb­nis von hand­werk­li­cher und maschi­nel­ler Fer­ti­gung, der Mög­lich­keit von Erleb­nis und Bewäh­rung mit dem Hand­werks­zeug, der Maschi­ne oder dem Fahr­zeug, Über­tra­gung des in der ele­men­ta­ren Bil­dung (Mathe­ma­tik, Natur­wis­sen­schaf­ten, Deutsch) Erlern­ten auf die Arbeit im Sin­ne der schöp­fe­ri­schen Her­stel­lung eines selbst ver­ant­wor­te­ten Pro­dukts, Aus­bil­dung eines Arbeits­ethos, Absol­vie­ren rele­van­ter Prak­ti­ka, die Chan­cen und Gren­zen des eige­nen Kön­nens ken­nen­ler­nen und erwei­tern las­sen, Erle­ben, daß Übung tat­säch­lich den Meis­ter macht, Ein­sicht dar­in, daß Lehr­jah­re kei­ne Her­ren­jah­re sind und daß sich nur der etwas leis­ten soll­te, der selbst etwas zu leis­ten ver­steht. Deut­schen Sprich­wort: Meis­ter ist, der was ersann. Gesel­le ist, wer was kann. Lehr­ling ist jedermann.

Poli­tik und Welt-Anschau­ung: Ent­wick­lung von Urteils­kraft, Über­win­dung blo­ßen Mei­nens zuguns­ten von siche­rem Wis­sen kraft Erkennt­nis­ge­winn und genau­er Ori­en­tie­rung inner­halb der viel­fäl­ti­gen Medi­en auf der Grund­la­ge auf­merk­sa­men Lesens und bedacht­sa­men Spre­chens bzw. Schrei­bens, Befä­hi­gung zur Kri­tik von Mei­nun­gen, Tex­ten, Auf­fas­sun­gen, Posi­tio­nen, Reli­gio­nen und Ideo­lo­gien, stets aus mög­lichst tie­fer Kennt­nis her­aus, ohne die nun mal kei­ne Argu­men­ta­ti­on, Erör­te­rung oder gar zug­kräf­ti­ge Kri­tik mög­lich bzw. gar erlaubt ist, Geschichts­un­ter­richt als umfas­sen­des Pro­gramm der Beschäf­ti­gung mit ver­schie­de­nen jeweils zeit­ge­mä­ßen bzw. die Zei­ten über­dau­ern­den Ent­wür­fen, umfas­sen­des Pen­sum an Geschich­te als dem Fun­dus an mensch­li­chen Ideen, Ent­wür­fen, Wün­schen, Hoff­nun­gen, Tra­gö­di­en schlecht­hin – in der Gesamt­heit von Gesellschafts‑, Alltags‑, Politik‑, Geis­tes- und Kunst­ge­schich­te. Geschich­te zu ken­nen ermög­licht es, sich ver­glei­chen zu kön­nen und am gro­ßen Bei­spiel zu ler­nen und zu wachsen.

Aus­bil­dung von Hal­tun­gen durch den Erzie­hungs­pro­zeß: Ent­wick­lung von Wach­heit, Auf­ge­schlos­sen­heit, Zuge­wandt­heit, Sen­sua­li­tät und Sen­si­bi­li­tät, Wiß­be­gier, Neu­gier­de, Aus­dau­er. Kon­zen­tra­ti­ons­ver­mö­gen, Stetigkeit.

Ken­nen­ler­nen und Erpro­ben der eige­nen Talen­te, Kon­fron­ta­ti­on mit den eige­nen Gren­zen, Erfah­run­gen sam­meln für das, was im Leben die eige­ne Sache sein mag

Ruhi­ge Fokus­sie­rung auf die Auf­ga­be bzw. die Per­son, Empa­thie als Grund­be­fä­hi­gung, das Füh­len, Den­ken und Han­deln eines ande­ren Men­schen nach­zu­voll­zie­hen oder kri­tisch zu reflek­tie­ren, Erler­nen inne­ren Ver­tie­fung – in die Anschau­ung, in die Gedan­ken, in das Spiel, in das Erken­nen, idea­ler­wei­se in die Arbeit.

Ent­wick­lung von Respekt gegen­über Arbeit, Alter, Lebens­leis­tung, Ver­bind­lich­keit, Ehr­lich­keit, Befä­hi­gung zur Selbst­kri­tik, Herzensbildung.

Frei­heit als Befä­hi­gung zum Nein, zum Trotz­dem, not­falls zum Als-ob, Frei­heit auch als Distan­zie­rung, Abstän­dig­keit, Küh­le, Cou­ra­ge und Mut zur Abgrenzung.

Erle­ben, daß Hal­tung nahe­zu alles zu kom­pen­sie­ren ver­mag, gera­de Nie­der­la­gen, Rück­schlä­ge und sogar das Scheitern.

Tugen­den:

Beschei­den­heit und Demut, Maß­hal­ten, Ent­wick­lung stil­ler inne­rer Grö­ße, Wis­sen um die unaus­bleib­li­che eige­ne Schuld, Wer­te­emp­fin­den gegen­über Res­sour­cen und Din­gen, Auf­merk­sam­keit, Anstren­gungs­be­reit­schaft, Selbst­über­win­dung, Mit­ge­fühl – auch mit dem Mit­ge­schöpf und der Natur, Hilfs­be­reit­schaft, Wider­stand gegen­über Bos­heit, Miß­gunst, Häme, Neid, Tole­ranz im Sin­ne des Ver­ständ­nis­ses dafür, daß jeder sei­ne Art ent­wi­ckeln muß, mit sei­nem Selbst und dem Leben zurechtzukommen.

Ein­sicht dar­in, daß die Men­schen ihrem Wesen, ihrem Cha­rak­ter, ihre Befä­hi­gun­gen und Wil­len nach ver­schie­den sind und sich einen jeweils eige­nen Platz erar­bei­ten. – Wer­de, der du bist.

Befä­hi­gun­gen:

Gelas­sen­heit, Skep­sis gegen­über Wahr­neh­mun­gen, Urteils­ver­mö­gen, das auch im Ver­mö­gen besteht, eige­ne Urtei­le zu revidieren

Basis:

Aus­dau­er und Kraft, ruhi­ger Lebens­ernst, Abhär­tung, Beweg­lich­keit, Durch­hal­te­ver­mö­gen, Wider­stands­kraft (Resi­li­enz), gleich­falls aber Kennt­nis der eige­nen Gren­zen und der legi­ti­men Selbst­be­dürf­nis­se, dazu erfor­dert: Sport, der erleb­bar macht, wie man an sei­ne Gren­zen geht und die­se über­win­det. Wehr­fä­hig­keit? Vor­mi­li­tä­ri­sche und mili­tä­ri­sche Aus­bil­dung sind inten­si­ve Schu­lun­gen des eige­nen Selbst, weil das Mili­tä­ri­sche mit dem Kampf und dem Tod, dem Bestehen (oder Ver­sa­gen) im Risi­ko und in qua­si radi­ka­ler Kon­tin­genz, dem Opfer, dem Sieg oder der Nie­der­la­gen, also durch­weg mit Extre­men kon­fron­tiert und zudem befä­hi­gen wird zu Kame­rad­schaft und Unei­gen­nüt­zig­keit, zu Unter­ord­nung unter ein Ziel oder den Befehl einer­seits, ande­rer­seits zur Ent­schlos­sen­heit, zur Füh­rung und zur Über­nah­me von Ver­ant­wor­tung. Im Kampf, auch im nur geüb­ten, lernt man sich und den ande­ren kennen.

Bedin­gun­gen von Bil­dung über­haupt: Zeit und Muße, Geduld, Lang­fris­tig­keit und Nach­hal­tig­keit, Besin­nung, Abwechs­lung von inten­si­ver Anspan­nung mit befrei­en­der Ent­span­nung. Auf­ga­be des Prin­zips der Ganz­tags­schu­le, um zu einer kind­ge­rech­ten Rhyth­mi­sie­rung des jun­gen Lebens zurück­zu­fin­den, den Leh­rern wie­der Zeit für ver­ant­wor­tungs­vol­le Unter­richts­vor­be­rei­tun­gen und eben­so für ihren see­li­schen Aus­gleich zu ermög­li­chen, zumal die enor­men Kran­ken­stän­de zum nicht gerin­gen Teil in Streß- und Über­las­tungs­syn­dro­men begrün­det sind.

Pro­blem der Lehrerbildung:

Nament­lich die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Leh­rer­aus­bil­dung der letz­ten Jahr­zehn­te litt an ähn­li­chen kul­tu­rel­len Bestand­ver­lus­ten wie jene der Schü­ler, was etwa zur Fol­ge hat­te, daß nicht weni­ge künf­ti­ge Leh­rern durch­aus Schwie­rig­kei­ten im ver­ste­hen­den, also bspw. sinn­ent­neh­men­den Lesen oder im feh­ler­frei­en und sti­lis­tisch ange­mes­sen Schrei­ben haben.

Eben­so fehlt es an All­ge­mein­bil­dung, der Kennt­nis über­grei­fen­der Zusam­men­hän­ge und über­haupt Bele­sen­heit. Abschlüs­se – auch von Leh­rern – sind über Jahr­zehn­te ent­wer­tet wor­den und sagen kaum etwas über deren fach­li­che Befä­hi­gung aus. – Das ist nicht die Schuld der Absol­ven­ten und Refe­ren­da­re selbst, gin­gen sie doch durch eine Schu­le, die für der­zeit zwan­zig Pro­zent funk­tio­na­le Analpha­be­ten unter allen Neun­kläß­lern ver­ant­wort­lich ist.

Wer es aus einem sol­chen Sekun­dar­schul­mi­lieu aufs Gym­na­si­um schafft, liegt zwar über dem Schnitt, aber es fehlt selbst ihm an Grund­la­gen. Inso­fern sich auf dem Gym­na­si­um über fünf­zig Pro­zent der Schü­ler wie­der­fin­den, stellt es eher eine Gesamt­schu­le als eine leis­tungs­ori­en­tier­te Ober­schu­le dar. Ja, das Gym­na­si­um streßt, wie es heißt; aber es streßt, weil es zu sehr quan­ti­fi­ziert und weni­ger qua­li­fi­ziert. Über­for­dert sind jene, die zu kei­nem ande­ren Kapi­tel deut­scher Bil­dungs­ge­schich­te sehr gute Abitu­ri­en­ten gewe­sen wären. Sie gehör­ten an eine Schul­art mitt­le­ren oder unte­ren Anfor­de­rungs­ni­veaus. Lei­der ent­schlie­ßen sich eher schwä­che­re Abitu­ri­en­ten dazu, Leh­rer wer­den zu wollen.

Ist der­zeit guter Unter­richt möglich?

Nur durch Leh­rer, die aus eige­nem Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl arbei­ten, was ein­schließt, daß sie dann eher trotz als durch das Sys­tem Gutes bewir­ken wer­den. Ihrer Ver­ant­wor­tung obliegt, sich der Talen­te und der still Suchen­den anzu­neh­men, die­se behut­sam anzu­re­gen und zu ermu­ti­gen, ihnen Fens­ter zu öff­nen und Rich­tun­gen zu wei­sen und sie neben dem Unter­richt zu ver­sor­gen, ihnen gewis­ser­ma­ßen tie­fe­re Bli­cke zu ermög­li­chen oder ein­fach die pas­sen­de Lek­tü­re mit­zu­brin­gen, an der sie Gedan­ken, Geschmack und Urteils­ver­mö­gen aus­bil­den können.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (20)

micfra

31. Januar 2020 11:12

Sie sollten dazu, eventuell mit Frau Sommerfeld, das mal in Buchform fassen. Ich bin jedenfalls beeindruckt von dieser Zusammenschau! Danke.

AfDHSKind

31. Januar 2020 11:32

Einige Ergänzungen, zunächst zum Sportunterricht. Der aktuelle Sportunterricht ist als Trainingsprogramm schlichtweg grauenhaft. Das liegt daran, dass man sich jahrzehntelang darauf verlassen konnte, dass eine Grundlagenfitness vorhanden ist. Sie wurde im Sportverein oder im freien Spiel auf der Wiese ausgebildet.

Das änderte sich mit dem Auftreten einer gelben Elektromaus in den 90ern. Seitdem sind immer mehr Konsolen und Bespaßungsmöglichkeiten aufgekommen, welche die Jugend an ihr Bett oder das Sofa fesseln. Sie sind kaum noch an der frischen Luft anzutreffen. Den endgültigen Todesstoß versetzte dann das Smartphone, das den Hybrid zwischen Gebrauchsgegenstand und Spielekonsole bildet, wobei ersteres die Rechtfertigung dafür liefert, es ständig bei sich zu tragen.

Techniken für Sportarten vorzustellen, reicht nicht mehr, um Verbesserungen hervorzurufen, daher auch der aktuelle Umfang des Unterrichts nicht. Fehlen die Verbesserungen, damit auch die Erfolgserlebnisse, erhält man Erwachsene, die zeitlebens Sport für Mord halten und stärkt den Mythos, Sportlichkeit sei angeboren. Man sollte möglichst jeden Tag mit den Schülern Sport treiben, Ausdauer, Zirkeltraining, damit erst die Grundlagen neu geschaffen werden. In einer von fünf Trainingseinheiten kann man immer noch Fußball spielen.

Zum Kanon: Ja, gerne! Und bitte nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ. Die Grundlagen müssen festgelegt sein, sodass überall ein Basiswissen vorhanden ist. Das kann dadurch ergänzt werden, dass man eine Liste vorlegt, aus der jeder Schüler nach Neigung weitere Werke auswählen kann. Wir haben schließlich auch unsere Neigungen...überproportional oft scheint das hier die Antike zu sein (-was ich gut verstehen kann-).
50 Werke sollte ein Abiturient schon in petto haben. Auf 8 Jahre der weiterführende Schule aufgeteilt, sind das 6,25 Bücher im Jahr. Also alle 2 Monate ein Buch! Das ist definitiv zumutbar.

Wir haben langsam einen Überfluss von Zettelakademikern. Sie haben ein Zertifikat, das ihnen bescheinigt, dass sie Akademiker seien, aber sie sind es nicht. Sie haben keine Allgemeinbildung, verschmähen Bücher und meiden Kultur. Diese Zustände müssen konsequent beendet werden. Es entwertet nicht nur die Abschlüsse, sondern die Universität und das Streben nach Wissen generell.

Daher plädiere ich zusätzlich für ein verpflichtendes Latinum für alle Abiturienten. Idealerweise lebt das Graecum dann auch wieder auf.
Einerseits gibt es kein weiteres Fach, was zugleich Allgemeinbildung, Sprachkompetenz und logisches Denken schult, andererseits haben Altsprachen die angenehme Eigenschaft, das falsche Klientel von vornherein abzuschrecken.

Vera

31. Januar 2020 12:32

Hier sind viele gute Gedanken zusammengetragen, vor allem die Schwerpunkte auf Charakterbildung, sportlicher Erziehung und die Erwähnung der alternativen Schulformen, besonders der Waldorfpädagogik, die sich ja selbst als eine „Erziehung zur Freiheit“ versteht. Diese Erziehung zur Freiheit darf nicht vernachlässigt werden, denn die Institution Schule birgt immer die Gefahr, die künftigen Generationen einem bestehenden Gesellschaftssystem anpassen und dafür zurechtbiegen zu wollen. Dabei sollte doch eigentlich im Vordergrund stehen, daß der einzelne Mensch bestmöglich seine Anlagen entfalten und sie zum Wohle der Gemeinschaft einbringen kann. Die Frage stellt sich, inwiefern eine „Institution Schule“ überhaupt dazu in der Lage ist oder war. Wer zu einem Schulsystem wie vor 100 oder 150 Jahren zurückkehren möchte, sollte sich Hesses „Unterm Rad“ zu Gemüte führen. Wurden nicht Generationen von Schülern lateinpaukend ihrer Jugend beraubt? Und wer von uns hat nach 13 langen Jahren nicht das Gefühl gehabt, in all der Zeit doch so einiges an „echtem Leben“, in einem kahlen Schulraum sitzend, verpaßt zu haben? War das Abitur nicht wie eine unglaubliche Befreiung von einem ungeheuren Druck, der zentnerschwer auf uns lastete? Gäbe es nicht auch andere, individuelle Wege, zu der Bildung zu gelangen, die uns zu vollständigen Menschen macht? Ich würde mir vielmehr ein Bildungssystem wünschen, das mehr Raum zur Gestaltung zuläßt. Ich möchte meine Kinder keiner Institution überlassen, die sie zu perfekten kleinen Staatsbürgern, welchen Staates auch immer, formt und zurechtstutzt. Die DDR-Erziehung ist dabei bestes Negativbeispiel. Mag sie auch Leistung hervorgebracht haben, so doch auf Kosten der inneren Werte. Und der Freiheit!
Und was die Lehrerbildung anbetrifft: das Problem ist nicht die Ausbildung der Lehrer. Sondern wer sich dafür entscheidet, Lehrer zu sein. Ich halte das Lehrersein für eine Befähigung, die man hat oder eben nicht hat. Und es gehört ein besonderer, gefestigter Charakter und eine große Liebe zu dieser Berufung, zu den jungen Menschen dazu. Dies kann man nicht erlernen.

TheBlackCat

31. Januar 2020 15:48

Dazu passt auch die neuerliche Meldung, dass Alice Weidel gemeinsam mit Martin Hess für den Landesvorsitz der AfD Baden-Württemberg kandidieren möchte:
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.afd-landesvorsitz-in-baden-wuerttemberg-martin-hess-und-alice-weidel-wollen-gemeinsam-kandidieren.6515b09a-f377-4ac8-95e4-8d568a52a011.html

Martin Hess wird in der Presse mit folgenden Worten zitiert: „Wir wollen den Landesverband, der aufgrund der aktuellen Personalquerelen an der Spitze heillos zerstritten ist, befrieden und einen“

Das ist natürlich absoluter Blödsinn.
Alice Weidel hat sich zwar in letzter Zeit gegenüber dem Flügel versöhnlich gezeigt. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Weidel den Kurs Jörg Meuthens mitträgt. Und dieser Kurs heißt: Regierungsbildung mit der CDU um jeden Preis Und dafür soll sich AfD rhetorisch an Mainstream anpassen und auf Straßenprotest und sonstige auffälligen Aktivitäten, die die CDU abschrecken könnten, verzichten. Oder wie Frau Weidel vor wenigen Wochen erklärte:

„Die AfD will als freiheitliche Kraft in den Parlamenten wirken und mit guter Arbeit die Bürger von ihrem Weg überzeugen. Mit markigen Sprüchen und martialischem Auftreten vor Sendeanstalten aufzutreten, halte ich für eine politische Sackgasse.“

(Quelle: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2020/anti-swr-demo-afd-lokalpolitiker-sorgt-fuer-unmut-in-partei/)
Man kann Weidels und Meuthens Kurs auch als vorsätzliche Schwächung der AfD betrachten, die betrieben wird in der Hoffnung, eine sedierte und für die Meinungshoheit des Establishments weit weniger gefährliche AfD wäre für die CDU als Koalitionspartner erträglicher.

Letztendlich geht es also darum, die AfD-Baden-Württemberg mit dem Kurs des – nachwievor von dem „gemäßigten“, Altpartei-nahen Flügels dominierten – Bundesvorstandes gleichzuschalten, einen Kurs, der mit dem „Flügel“-Kurs einer sozial-patriotischen Bewegungspartei nicht vereinbar ist.

Lumi

31. Januar 2020 19:45

Kleinstadt in Niedersachsen, 1988/89, 11. Klasse. Leicht erstaunte, aber doch neutrale Feststellung des Lehrers im Fach Gemeinschaftskunde: "Sie sind der erste Jahrgang hier, für den es nicht nur zwei deutsche Staaten, sondern auch zwei deutsche Nationen gibt."

Das hat mir insofern zu denken gegeben und sich mir daher eingeprägt, als ich damals den Unterschied zwischen Staat und Nation nicht kannte. Und ich war sicher nicht der einzige.

In Schuljahr 1989/90 stand dann Marxismus-Leninismus auf dem Lehrplan. Kein Witz. Lehrbuch "Von Marx zur Sowjetideologie" von Iring Fetscher.

Ansonsten: Sehr schöner Entwurf einer sinnvollen Schule. Auch gute Anmerkungen von AfDHSKind zu Sport und Latein.

In Deutsch mehr Grundlagen, Grammatik, Wortwahl. Weniger Sturm und Drang. Mehr Kleist, weniger Goethe. Zauberlehrling muß aber bleiben. Bildungslücken einfach mit Wilhelm Busch schließen. Nicht jeder kann sich für die Dramen vergangener Jahrhunderte erwärmen. Ich konnte es auch nicht.

Lumi

31. Januar 2020 19:56

Digitalkram: Smartphon und Tablet sind fast reine Konsumgeräte. Daher schtonk. Der PC hat dagegen seine Berechtigung - um Zehnfingersystem und Programmieren zu lernen.

Schreibschrift: In der DDR soll eine halbwegs vernünftige Kursivschrift gelehrt worden sein. Die in der BRD war Murks und wurde seit meiner Schulzeit noch weiter heruntergemurkst.

Isarpreiss

31. Januar 2020 20:00

Dreigliedriges Schulsystem schön und gut, aber um zu verhindern, dass die Hauptschule dabei Resteschule ist, müsste ein viel größerer Anteil eines Jahrgangs auf diese Schule gehen, und nur ein kleiner, vielleicht 10 Prozent, auf das Gymnasium - wie wollen Sie das konkret erreichen?

Die Eltern der Grundschüler tun alles dafür, um ihre Kinder nicht auf die Hauptschule schicken zu müssen. Die Gründe dafür sind vielfältig und auch regional sicher unterschiedlich: sozialer Druck, ehrliche Fürsorge (das Kind soll später mal nicht körperlich arbeiten müssen), hoher Ausländeranteil auf der Hauptschule, eigener Bildungsweg (man will das eigene Kind mindestens in der Schulform sehen, in der man selber war, eher darüber, auf keinen Fall darunter).

Außerdem gilt natürlich auch im Bildungssystem, dass man nicht einfach Bestehendes und über lange Zeit Gewachsenes einreißen sollte, um ein ganzes System am Reißbrett neu zu entwerfen. Das System, wie es ist, ist selbstverständlich wieder verbesserbar - schon eine gesellschaftliche Wende zu einer Wertschätzung des Leistungsgedankens und zur Sinnhaftigkeit eines Bildungskanons würde sich auf die Schulen (und die Universitäten) niederschlagen, und entsprechende Veränderungen etwa in den Unterrichtsmethoden automatisch nach sich ziehen.

Aber im deprimierendsten Punkt haben Sie natürlich Recht: Der typische Lehrer heute liest selber kaum, schaut stattdessen Trash-TV, kleidet sich schlampig und kann keine Rechtschreibung.

Laurenz

31. Januar 2020 23:07

So ehrenwert die Analyse auch sein mag. Das reine Wissen geht nicht verloren, auch wenn noch Mio. von Büchern in den Uni-Bibliotheken noch auf ihren Scan warten. Ich erachte, gegen die Sicht Herrn Bosselmanns, eine oder 2 schlecht erzogene und oberflächlich gebildete Generationen nicht als Katastrophe. Wir können sozialistisch geprägte Jugendliche nicht überzeugen, wie an Frau Merkel bewiesen ist. Geprägter Wahn bleibt ein Leben lang erhalten. Nur das Leben kann erziehen. Die jungen Anywheres müssen selbst spüren, wie es ist, zukünftig für vietnamesische Vorgesetzte arbeiten zu müssen und daß sie es sind, welche die Weltoffenheit bezahlen müssen. Das ist besser als jedes Argument und überzeugender als jeder Artikel.

Gracchus

1. Februar 2020 00:48

Frage mich, was für eine Rolle es spielt, dass es sich um eine Notizbuchabschrift handelt. Soll das Unfertige, Essayistische betont werden? Dann frage ich mich, an wen diese Notizen adressiert sind? Bzw. ob sie nicht besser an Bildungspolitiker adressiert wären, von denen aber wohl die wenigsten SiN lesen. Es liest sich - das ist keine Kritik - wie aus fernen Zeiten, wo zwar das Wünschen schon nicht mehr geholfen hat, aber man noch an so etwas wie soziale Selbstverständigungskurse geglaubt hat, an so etwas wie eine steuerungsfähige soziale Mitte. Und es liest sich - sage ich anerkennend - wie von einem Pädagogen mit Passion geschrieben. Und wieder wird das Steckenpferd "Anthropologie" geritten : Seit dem ich zufällig auf amazon entdeckt habe, dass Herr Bosselmann - wie ich - Cormac McCarthy gut findet, frage ich mich, ob sein pessimistisches Menschenbild nicht aus eben jener Lektüre rührt.

@Vera: Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Auch ich musste an Hesses "Unterm Rad" denken, und ebenso verfluche ich, zu viel Zeit in kahlen Schulräumen verbracht zu haben, während sich das Leben woanders abspielte. Es gibt ein schönes Interview mit Sloterdijk, wo er sinngemäß sagt, wer die Schulzeit überstanden hat, braucht erst einmal zehn Jahre um sich davon zu erholen.

Wenn ich mir was Wünschen dürfte, wäre es daher einen "schulischen Minimalismus" in einer Gesellschaft, in der einfach auch Lebenserfahrung zählt und Schule nicht so wichtig genommen wird. Neben Konkurrenzdenken würde ich auch Kooperation einüben. Noten gehören für mich daher abgeschafft. Selektieren würde ich nicht bzw. die Grundschule sehr lange ausdehnen, damit jeder mit unterschiedlichen sozialen Schichten Kontakt behält. Daneben kann man individuell fördern. Dafür bliebe Zeit, weil der Grundunterricht zeitlich minimal ausfiele. Natürlich sollten Grundfertigkeiten eingeübt werden, aber das "Wie" geht vor dem "Was": Inhalt also vor allem, wie man lernt, konzentriert zu arbeiten und sich Stoff anzueignen. (Ich sehe keinen Sinn darin sich Massen von Stoff anzueignen, die man dann schnell wieder vergisst.)

Sport/Bewegung würde ich ausdehnen auf täglich mindestens 1 Einheit. Teils orientiert an asiatischen Praktiken wie Qi Gong oder der guten, alten Leichtathletik, aber auch Sachen, wo man sich austoben kann bzw. nach seiner Facon.

Und nachmittags: frei!

Andrenio

1. Februar 2020 06:53

Die Realität unseres Bildungswesens soll als bekannt vorausgesetzt werden. Den Wunschkatalog hat Bosselmann aufgestellt.
Nun geht es um die Verwirklichung.
Für eine Privatschule ohne staatliche Unterstützung für 100 Schüler mit Finanzierung der Immobilie und ein bescheidenes Auskommen der Lehrer/Betreuer, Schnäppchen beim Kauf der Immobilie vorausgesetzt, würde ca. 10 Millionen Anfangskapital voraussetzen. Das Schulgeld läge dann bei € 1.500 im Monat.

1. Keine Bank finanziert sowas,
2. Kein Multimillionär stiftet sowas.
3. Welche Durchschnittsfamilie kann sich das leisten?

Folgende Konstellation läge in Reichweite:

1. Auswahl Bundesland mit höchstem Leistungsniveau (Sachsen).
2. Erwerb Immobilie und Ausbau für Internatsunterbringung in Schulnähe.
3. Nachschulische Komplettbetreuung mit Lehrern, die zusammen leben mit den Schülern, vor allem auch am Wochenende.

Damit wird zwar ein Negativum eingekauft, nämlich das der staatlichen Indoktrination während der Regelbeschulung, aber man spart die Kosten für Lehrerbesoldung und Schulbetrieb.

Hierfür bräuchte es eine Anfangsfinanzierung von 1 Million für 20 Schüler in der ersten Phase. Die monatlichen Kosten lägen unter € 1.000 und für Schüler aus bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen könnte man sicher Stipendiengeber finden, wenn die Leistung stimmt.

Das wäre alles zu stemmen. Wo sind aber die berufenen Pädagogen à la Bosselmann?

Utz

1. Februar 2020 10:35

>>Dreigliedriges Schulsystem schön und gut, aber um zu verhindern, dass die Hauptschule dabei Resteschule ist, müsste ein viel größerer Anteil eines Jahrgangs auf diese Schule gehen, und nur ein kleiner, vielleicht 10 Prozent, auf das Gymnasium - wie wollen Sie das konkret erreichen?

Die Eltern der Grundschüler tun alles dafür, um ihre Kinder nicht auf die Hauptschule schicken zu müssen. <<

Das sehe ich auch so, das ist der Knackpunkt. Man kann den Eltern zwar erklären, daß ein Akademiker, z.B. ein Historiker, der dann als Taxifahrer sein Geld verdient, auch nicht besser dran ist, als ein Handwerker in einer gefragten Branche, aber Eltern, die sich in der 4. Klasse für eine Schulart entscheiden, erwarten ja nicht, daß ihr Sprößling zu denen gehört, die keinen Erfolg haben.

Ihr Ansatz Herr Bosselmann, den Kindern praktische Arbeit erfahrbar werden zu lassen, ist zwar besser als das was bisher stattfindet, aber ich befürchte das wird nicht reichen. In unserer Gesellschaft ist der erfolgreiche Fliesenlegen leider immer noch weniger angesehen als der erfolglose Haltungsjournalist, der sich mit Gelegenheitsjobs mühsam über Wasser hält. Bevor man Ihre Reformen angehen könnte, müßte man meines Erachtens sehr viel Energie und Geld investieren, um am Image einzelner Berufe, bzw. Lebensgestaltungsmöglichkeiten etwas zu ändern.

Maiordomus

1. Februar 2020 11:27

@ Lumi Es müssen in der Tat nicht bloss Dramen vergangener Jahrhunderte sein. Wer bestreitet schon, dass Gerhart Hauptmann und Bertolt Brecht nicht auch langweilige Stücke geschrieben hätten, letzterer sogar mit einer Theorie zur Entschuldigung dafür? Wer aber nicht in Jahrtausenden denken kann, ist objektiv nicht gebildet, selbst wenn er es vielleicht zum amerikanischen Präsidenten oder zum Führer des deutschen Volkes bringen mag. In dem Punkt kann man muslimischen Gelehrten ebenso gut recht geben wie den wohl durchschnittlich klügeren Chinesen. Homer, heute von Kurt Steinmann meisterhaft in heutiges Deutsch gebracht, ohne das Original zu veräppeln, tut es auch, nicht zu vergessen Euripides. Oder die Orestie von Aischylos, unlängst mal in Darmstadt inszeniert. Wer es nicht glaubt, soll mal bei Sigmund Freud "rückfragen". Wer mit Shakespeare nichts anfangen kann, gehört als absolut dumm nicht an eine höhere Schule. Haben Sie schon mal eine gute Inszenierung, zur Not sogar eine mittelmässige, von Molière gesehen? Natürlich ist das schon nicht Dschungelcamp. Zu denken geben mir sodann diejenigen, die nicht mal den 1. und 2. Hauptsatz der Thermodynamik verstehen, dafür "gegen den Klimawandel" demonstrieren. Da gäbe es, weil die Voraussetzungen höherer Bildung nicht erfüllend, noch Sparpotential.

Monika

1. Februar 2020 11:42

Nachdem der Bademeister im Beitrag „Wie wollen wir pflegen“ etwas vorschnell Schluss gemacht hat, hat mir @ Maiordomus‘ Wunsch nach einem „qualifizierten Beitrag von Frauen“ keine Ruhe gelassen.
Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Beitrag, der durchaus mit Bildung zu tun hat.
Ich „engagiere“ mich seit über 20 Jahren in der katholischen Frauenarbeit unserer Gemeinde ( eher gutbürgerliches Wohnviertel). Ich konnte entsprechend Feldstudien betreiben, wie es in unserem Viertel zu Ende geht. Am Anfang waren es so ca. 35 ältere Frauen ( zumeist sog. besser situierte Hausfrauen, belesen und mit Abonnement fürs Theater) . Übrig geblieben sind noch 4 Frauen, die jetzt alle über 90 Jahre alt sind. Die Männer dieser Frauen sind jetzt auch schon mindestens 10 Jahre tot. Fast alle Frauen dieser Generation ( ab Jg. 30) haben sich bis zum Schluss um ihre Männer gekümmert und sie zu Hause gepflegt.
Die verwitweten Frauen selbst wollen bis zum Schluss selbstbestimmt zu Hause wohnen bleiben und kriegen das in der Regel auch gut organisiert. Wenn das Alter dann beschwerlich wird, meist sind es die letzten 2 Jahre, wird das organisiert mit polnischen Pflegekräften, Sozialdienst etc. Am Schluss will man etwa noch in das bestimmte , katholische Heim, das einen guten Ruf hat.
Fazit: In dieser Generation geht es, wenn man nicht arm , kinderlos oder ungebildet ist, doch noch recht gut zu Ende. Auch sind die Frauen recht gut vernetzt und waren lange unternehmungslustig. Mir wurde in der langen Zeit nur ein Fall bekannt, wo ein altes, krankes, kinderloses Paar in die Schweiz fuhr, um „sich umbringen zu lassen“, wie es die Damen des Frauenkreises entrüstet erzählt haben.
Während wir früher mit den Frauen Bildungsveranstaltungen gemacht haben ( Literatur, Musik), kommen die letzten Frauen noch zum Gebet und anschließendem Kaffee zusammen. Da wird auch noch viel gelacht und geweint. Nur zweimal im Jahr kommt noch der Pfarrer. Es kommt zu einem guten Ende.
Wie es mit der nächsten ( meiner) Generation zu Ende geht, darüber kann und muss man nachdenken.
Den in diesem Forum überrepräsentierten Männern kann ich nur empfehlen: Seid nach der Pensionierung oder Verrentung nett zu euren Frauen, sucht euch ein Steckenpferd, geht mit eurer Frau zum Sport, trefft euch mit alten Freunden, besucht die Kinder und Enkel, bleibt aktiv, solange es geht.
Und - verliert nicht den Humor !

zeitschnur

1. Februar 2020 17:57

Das wäre das Programm für das "Danach", wenn diese schlimme Ära ihr Ende erreicht hat.
Damit man, sobald das unselige Spinnennetz verbildender Schulpolitik endgültig gerissen sein wird, sofort weitermachen kann mit nun ordentlichen und fundierten Schulen. Die Orientierung an erfolgreichen Privatschulen ist dabei nicht die schlechteste Idee.
Der Begriff "Selektion" gefällt mir allerdings nicht, auch wenn ich verstanden habe, dass Sie ihn nicht so seelenlos meinen, wie er klingt.
Die Übergänge würde ich doch fließen lassen zwischen Schultypen, die sich an Begabungstypen orientieren.
Zugleich müsste man dieses verdammte monopolkapitalistische Wirtschaftssystem abschaffen, für immer zur Hölle schicken, damit sich das Wirtschaftsleben endlich erholen kann. Was spricht gegen eine freie Welt vieler kleiner Betriebe, die nicht vom Staat und Innungen schikaniert werden dürfen, für die dann auch wieder Kontinuität und handwerkliche Kunst notwendig wären. Solange nur auf Verschleiß und Umsatz und Papierzeugnisse gesetzt wird, wie derzeit noch, geht automatisch auch die Bildung flöten.

Ja, vielleicht wäre es gar nicht schlecht, jetzt schon Programme zu durchdenken, für einen Wiederaufbau nach diesem geistigen Krieg, mit dem wir inzwischen seit Jahrzehnten überzogen werden.

Nemesis

1. Februar 2020 20:19

„Die Schule kann nicht die sozialpädagogische Anstalt der Gesellschaft sein,...“

Fakt ist aber: sie ist es.
Es ist zwar legitim zu definieren, was sein oder nicht sein sollte.
Umso härter dann aber der Aufschlag in der Realität.

„Statt Inklusion braucht es eine Ausdifferenzierung, die verschiedenen Anforderungsniveaus gerecht wird.“

Eine kategorische Ablehnung, die ich kategorisch ablehne.
Inklusion an sich ist für mich nicht das Problem ist. Der Grad ist es.
Eine vollständige Abspaltung von z.B. behinderten Kindern, hat eine Sichtweise zur Voraussetzung, daß diese nicht nur Nichts zum Lernerfolg der Nichtbehinderten beitragen könnten, sondern diesen geradezu verhindere.
Falsch.
Was aber auch klar ist:
1. Das kann nicht alleine den Lehrern aufgebürdet werden.
2. Es macht nur dann Sinn, wenn es auch Zeiten gibt, in denen wiederum eine Trennung stattfindet.
Nicht Entweder-Oder. Sowohl als Auch.

Weitere Attribute:

1. Ausbildung einer Fehlerkultur.
Wir haben so gut wie keine oder – bestenfalls - eine pervers schlechte Fehlerkultur. Das liegt u.a. am Benotungssystem. Fehler werden als das gelernt, was unter allen Umständen zu vermeiden ist, denn – logischerweise – sind sie mit schlechten Noten korreliert.
Im Ergebnis führt das zu folgendem Verhalten:
a. Lieber auf der sicheren Seite bleiben: Es wird nichts Neues ausprobiert.
b. Fehler nicht zugeben können, weil mit Bestrafung verbunden.

2. Schule: Benotung für korrekte Antworten auf Fragen, die man nie gestellt hat.
Einfach mal umdrehen. Fragestellungen gehen der Beantwortung voraus. Entscheidende Erkenntnisse wurden durch entscheidende Fragestellungen initiiert. Unser gesamtes Bildungssystem ist fast ausschließlich auf Antworten fokussiert.
Das Ergebnis ist dann halt das, was wir haben.

3. Improvisationsfähigkeit.

Grundsätzlich:
Wenn in einer Gesellschaft nur noch derjenige im Vorteil ist, der den Anderen abzockt oder über den Tisch zieht, Wetten platziert und gewinnt, es schafft einen Ball in einen Korb oder ein Tor
zu bringen, vor einem Mikrofon oder einer Kamera herumhampeln kann, oder - an die Konservativen gerichtet - möglichst gute Noten zu bekommen, braucht man sich auch nicht wundern, wenn bestimmte Eigenschaften in der Schule nichts mehr bedeuten.
Das Eine koppelt eben auf das Andere zurück.

Was ist denn genau Wissen und Erkenntnis?
Was bedeudet es für den Einzelnen?
Welche Wege gibt es, auf denen der Einzelne zu diesem kommen kann?

Ist es Zufall, daß bei Ihnen – neben sehr vielen - durchaus guten Attributen - Begriffe wie Faszination, Begeisterung, Freude, Spaß, Abenteuer nicht vorkommen?

Ein einfacher oder erweiterter Rollback solls richten?
I doubt.

Maiordomus

2. Februar 2020 05:32

@Monika. Beiträge wie der Ihrige oben scheinen mir, über das elementar Bedenkliche hinaus, auf eine ganz andere Art als hier herkömmlich noch von politischer und meinetwegen "metapolitischer" Bedeutung zu sein. Weil hier von Bildung die Rede ist, hätten Sie im Zusammenhang mit der Bewältigung des Alters vielleicht Philemon und Baucis noch einbringen können: eine Ehe-Geschichte, die ich mit 16 Jahren im Lateinunterricht des humanistischen Gymnasiums bei der Übersetzung von Ovids "Metamorphosen" kennenlernen durfte. Solche tiefsinnigen und doch schlicht allgemeinverständlichen mythologischen Erzählungen könnten aber auch für einen Kreis älterer Leute, wie Sie diesen beschreiben, ebenso substanziell werden wie ein Bibeltext, der einige vielleicht noch allzu sehr an vielfach misslungenen einstigen Religionsunterricht erinnert. Wobei die Bibel, siehe die noch beachtlichen "Psalmen" des von mir oben als Dramatiker relativierten Bertolt Brecht (in Wirklichkeit ein genialer Lyriker sowie Hebel-geprägter Erzähler mit noch ein paar gelungenen dramatischen Stücken), natürlich für Europäer (meinetwegen Europäerinnen), die diesen Namen verdienen, elementares Bildungsgut wäre und auch bleibt. Alles andere wäre, wie ich zwar ziemlich arrogant als Sechzehnjähriger etwas bildungsstolz in einem Schüleraufsatz schrieb, "Rückfall in vorzeitlichen Kannibalismus". Von Brecht gibt es aber immerhin noch eine bemerkenswerte Antwort auf die Frage, welches für ihn das wichtigste Buch sei: "Sie werden lachen: die Bibel." (Zit. aus: Arnold Stadler: Tohuwabohu, Heiliges und Profanes nach dem 11. September 2001 und darüber hinaus, S. 29.)

Monika

2. Februar 2020 10:09

@ Maiordomus
Ja, wie wir das Alter bewältigen, das hängt ganz entscheidend auch von unserer Bildung und Erziehung ab.
Hier habe ich sehr viel von den zunächst älteren und jetzt alten Frauen unserer Gemeinde gelernt. Vielleicht hätte ich das aufschreiben sollen und Bilder von den wirklich beeindruckenden Frauen ( darunter Frauen aus Ost- und Westpreußen) machen sollen. Zu spät.
Themen über die zwei Jahrzehnte ( monatlich) waren etwa:
Maria und Martha in der Interpretation Meister Eckharts ( Schlussfrage an die Frauen: Wer fühlt sich eher als Martha, wer als Maria), Die sieben Todsünden, Gedichtlesungen, etwa Herman Hesses Stufen, von Hesse selbst gelesen ( vom Band), Diavorträge über Kirchenbauten, Reinhold Schneiders VATERUNSER, Gertrud von le Fort „Hymnen an die Kirche“, im Mai wurden Mailieder gesungen, am Klavier begleitet von einer alten Latein- und Griechischlehrerin. Deren letzter „Auftritt“ war heikel, da sie demenzbedingt auch mal ein Weihnachtslied im Mai spielte. Auch Herbstgedichte wurden rezitiert und die alten Damen kannten viele Gedichte. Aber auch Themen wie der Unterschied zwischen Christentum und Islam standen auf dem Program. Unmöglich, die Themen alle aufzuzählen. Aus erwachsenenpädagogischer Sicht waren die Verantstaltungen „teilnehmerorientiert“ und das war in diesem Falle reine Freude.
Das ist nun alles zu Ende gegangen und man erzählt nun vom baldigen Tod, von zunehmender Einsamkeit und wer nun wieder gestorben ist. So einige Beerdigunge habe ich miterlebt.
Traurig finde ich, dass es diese Gemeinsamkeit wirklich weiser Frauen nun nicht mehr gibt.
Die Frauen meiner Generation treffen sich jedenfalls nicht mehr regelmäßig und gemeinsam zu Bildungsthemen.

Nemesis

2. Februar 2020 11:49

@Gracchus
"Und nachmittags: frei!"

Sollte ich jemals in die Politik gehen und Chef werden,
ernenne ich Sie zum Bildungsminister - und zwar für alle Bundesländer gleichzeitig!

(Bevor Sie jetzt aber übereilt kündigen:
Die Wahrscheinlichkeit, daß das passiert, geht asymptotisch gegen Null. (Weil ich nämlich nicht in die Politik gehe...))

:))

zeitschnur

2. Februar 2020 12:18

Also, Ihr gepflegter bildungsbürgerlicher Diskurs in Ehren, @ Maiordomus und @ Monika, aber hat man sich nicht in älteren Zeiten zu Recht über diese sterile "Was ich schwarz auf weiß besitz, kann ich getrost nach Hause tragen"- "Bildung" geärgert, die dann zum gemeinschaftlichen rezitierten des Gelernten und "Gesammelten" führt, aber niemals zu einem echten Verstehen, Erkennen und Weiterschreiten? Solche Szenerien oberschichtlicher Dianachmittage, Literaturzirkel und sonstiger Kränzchen inklusive brav und technisch einigermaßen sauber gespielter Streichquartette ohne Feuer und Leidenschaft, habe auch ich jahrelang beruflich veranstaltet.
Es ist symptomatisch, dass @ Monika schreibt, im Gegensatz zu diesen fidelen Senioren-Alumni-Stündchen denke man jetzt eher an den bevorstehenden Tod, als sei das eine Verschlechterung.
Ich hatte unter meinen zu betreuenden Leuten einen Witwer, seines Zeichens evangelischer Pfarrer und Romanschriftsteller, der bis zuletzt an seiner Schreibmaschine saß, d.h. fast bis zuletzt, sich dann viel ans Fenster setzte und erklärte: "Das Wirkliche kommt erst."
Irgendwann lag er viel und verließ das Zimmer kaum mehr. Und einsam war er auch, aber er wollte das auch, ja: er brauchte es. Warum?
"Das Wirkliche kommt erst."
Darauf bereitete er sich vor, und das wollten fidele BildungsbürgerInnen in vorgerücktem Alter natürlich nicht mehr so gerne hören. Warum, um alles in der Welt, hat der Alte nun kein Interesse mehr an Goethe, Beethovensonaten und Diavorträgen und schreibt nichts mehr?
"Das Wirkliche kommt erst."

Was ist also unser Leben?
Die pharisäische Kombination von Bildung und Frömmigkeitritual im Äußerlichen, oder ein innerer Weg, der bei der armen Witwe in den Evangelienerzählungen offenbar mehr gelungen ist, als bei unserem belesenen Gelehrten, der gut sichtbar auch ein gepflegtes Opfer in den Opferstock drapieren kann, das doch seelenlos ist und bleibt, geschweige denn Geist hätte?
Ob der alte Simeon wohl gebildet war? Worauf hatte er gehofft? Darauf, dass er im Alter von seinen Lektüren zehren könnte? O nein! Er hoffte darauf, dass er den Christus sehen würde. Und die alte Prophetin Hanna? War die gebildet? Nota bene: im damaligen judentum durften Frauen keine Bildung erlangen, v.a. keine Torahbildung. Worauf hat sie eigentlich gehofft, und was hat sie weissagen können? Jüdische Dichtung und Musik, Philo, oder gar Ovidmetamorphosen und platonische Dialoge?
O nein - sie hoffte auf dasselbe wie Simeon und konnte wie er in Frieden sterben.

Was ist also unser Leben?
Das Herumsummen im Fliegenglas unserer "Bildung", von der niemand am Ende etwas abbeißen kann, bzgl auch derer das letzte Hemd keine Taschen hat, weil sie äußerlich und veräußert ist wie das Sammeln von materiellen Gütern? Warum wissen unsere Goetheleser das nicht (er wusste es auch!)?

Oder ist unser Leben eine Vorbereitung auf das Wirkliche, das erst noch kommt?

Monika

2. Februar 2020 21:22

Liebe Zeitschnur
Was Sie etwas despektierlich einen bildungsbürgerlichen Diskurs oder Kränzchen nennen, war neudeutsch formuliert die „Bespassung“ älterer katholischer Damen mit Bildungshintergrund zwecks Gemeinschaftserlebnis und lecker Kaffee und Kuchen im Anschluss. Genannt Gesprächskreis.
Eben gerade kein Frontalunterricht mit bildungsbürgerlichen Inhalten.
Fidel waren die Damen und das Wirkliche war bereits schon da. Sauber gespielt waren die vorgetragenen Musikstücke auch nicht. Das gab das alte Klavier nicht her.
Warum die Damen am Schluss kein Interesse mehr an den Vorträgen hatten ? Ganz einfach. Die Hälfte schlief altersbedingt einfach nach gewisser Zeit ein und man musste sie da „abholen, wo sie standen“. Oder fast lagen.
Da wurde nicht mit dem Rohrstock auf den Tisch geklopft und gebrüllt: „Aufwachen“.
Auch denken die Verbliebenen Frauen nicht an das Wirkliche, was noch kommt. Sondern sie hoffen, dass sie schnell und ohne Schmerzen sterben können. Wer will das nicht, möglichst lebenssatt ?
Spekulationen über das Danach ? War nie ein großes Thema. Die eine Dame hofft, ihren geliebten Mann wieder zu sehen, eine andere ( die einzig Geschiedene) will das gerade nicht.
Das Leben ist eben keine Vorbereitung, sondern in jeder Minute wirklich!

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