Vor drei Jahren, in der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 2017, verstarb der Publizist Hans-Dietrich Sander im Alter von 88 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in Fürstenwalde an der Spree, wo er in den letzten Jahren seines Lebens ein verwildertes Grundstück in einem Neubaugebiet wieder urbar machte. »Radikal und weltoffen«, so charakterisierte sich Sander einmal selbst. Insbesondere mit der Radikalität hatte er sich gut getroffen: Sander war grundsätzlich, stur konsequent und ging mit seinem Denken an die Wurzel.
Günter Maschke beschrieb ihn 2017 wie folgt: »Sander war der ewige Hitlerjunge. Er konnte ein furchtbarer Moralisierer sein: am liebsten hätte er uns zu jahrzehntelangem Knäckebrotessen verdonnert.« Es verwundert daher nicht, daß Armin Mohler ihn einst als „unbequemsten Vertreter der Neuen Rechten“ bezeichnete.
Die Auflösung aller Dinge – Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne, das durchaus als sein Hauptwerk gelten kann, steht exemplarisch für den radikalen Wesenszug Sanders: Wer außer dem gebürtigen Mecklenburger hätte die »deutsch-jüdische Frage« nach 1945 »unter dem Gesichtspunkt der politischen Eschatologie« noch einmal mit einer derartigen Kompromißlosigkeit stellen können?
Sanders radikale Verve kam ferner in seinem Streben nach einer »Reichsrenaissance« zum Ausdruck: Die von ihm ab 1990 herausgegebenen Staatsbriefe benannten sich nicht von ungefähr nach den Erlassen, Sendschreiben und Berichten des Stauferkaisers Friedrich II. und verfolgten die Absicht, die nationale Aufbruchsstimmung der deutschen Wende in eine erneute Reichsgründung zu kanalisieren. Dieses Hoffen auf eine Wiederaufblühen deutscher Größe wurde jedoch bitter enttäuscht.
Sander folgerte in seiner unbeirrbaren Haltung daraus, daß die von den Alliierten lizenzierte Wiedervereinigung von vornherein nur »die Endlösung der deutschen Frage« bezweckt habe. Ganz in konservativ-revolutionärer Manier sah er nur in einem »schnellen Ende« des bestehenden Deutschlands und der »restlosen Implosion des status quo« die Voraussetzung für die Genese einer neuen Reichsherrlichkeit.
Wer dem wirkmächtigen Autor nachspüren möchte, der sollte am besten mit den zahlreichen Nachrufen anläßlich seines Todes beginnen. Ob hier in der österreichischen Zeitschrift Neue Ordnung – für die Sander bis zum Ende seines Lebens regelmäßig schrieb –, hier Johannes Poensgen in der Blauen Narzisse oder hier ein aktueller Nachruf von Daniell Pföhringer in der Compact, die Würdigungen halten alle die wesentlichen Literaturverweise für eine ausgiebige Sander-Lektüre bereit.
Außerdem faßt Martin Lichtmesz Beitrag aus dem Staatspolitischen Handbuch, Band 3: Vordenker (hier erhältlich) die wesentlichen Wegmarken Sanders Leben und Wirken zusammen. Indessen gibt der Arnshaugk Verlag aus Neustadt an der Orla Sanders Schriften als komprimierte Werksausgabe heraus, die sowohl seine Aufsätze als auch seine Bücher einschließt.
Bisher sind Der ghibellinische Kuß (hier verfügbar), Das verborgene Volk (hier verfügbar), Politik und Polis (hier verfügbar) und Das tragische Interludium (hier verfügbar) erschienen. Bleibt mit einem Zitat des SPD-Politikers Peter Glotz aus seinem Buch Die deutsche Rechte bezüglich Hans-Dietrich Sanders zu enden, das die nie zum Tragen gekommene Wirkmacht, des »nationalen Dissidenten« aus einer erschrockenen Gegnerperspektive unterstreicht:
Man könnte über diesen ›nationalen Dissidenten‹ achselzuckend hinweggehen, wenn nicht ein bestimmter Ton aufmerksam machen würde – ein Ton, der junge Deutsche in der Geschichte immer wieder beeindruckt hat. Konsequent, hochmütig und rücksichtslos (…) Was verhütet werden muß, ist, daß diese stilisierte Einsamkeit, diese ›Kleistsche Radikalität‹ wieder Anhänger findet. Schon ein paar Tausend wären zu viel für die zivile, parlamentarische Bundesrepublik.
Ausgehend von Sander, der mit Marx seine politische Karriere begann, sei auf das Vortragsvideo »Linke Lektüren – eine Anleitung« der letzten Winterakademie von Benedikt Kaiser hingewiesen:
Kaisers »neurechter« Streifzug durch linke Literatur verfolgte das Primärziel »Lernen«: Linke Lektüre, so der Chemnitzer Politikwissenschaftler, dient nicht der theoretischen Selbstunterhaltung, sondern langfristig dazu, Realitäten zu verändern, die aber erst substantiell verstanden und durchblickt werden müssen.
Die linken Analysen und Denker, die bei diesem Unterfangen hilfreich sind, werden bei seinem Vortrag kursorisch aufgegriffen.
Um weiter in Sanders Kosmos zu verweilen und den Lektüreaufruf der jüngsten Akademie hochzuhalten, lohnt ein Blick auf die »Reichsidee« und die dahinterliegenden Konzepte. Speziell bei der Gruppe der »Jungkonservativen« innerhalb der »Konservativen Revolution« (KR) erfuhr sich dieser traditionalistische Staatsansatz reger Beliebtheit. Die Reichsdiskussion war zum Ende der Weimarer Republik derart euphorisch und virulent geführt worden, daß die NSDAP bzw. Hitler dazu gezwungen waren, ihr totalitäres System – zumindest dem Namen nach – in die deutsche Reichstradition zu stellen.
Als eines der wesentlichen Werke in diesem Kontext ist Arthur Moeller van den Brucks Das dritte Reich (als Faksimile hier erhältlich) zu nennen, was in seiner entworfenen Programmatik und revolutionären Stoßrichtung als eine für die KR exemplarische Schrift gelten kann. Sebastian Maaß kenntnisreiche ideengeschichtliche Studie im leider verschiedenen Regin-Verlag Kämpfer um ein drittes Reich. Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis (hier erhältlich) empfiehlt sich durchaus als Vorlektüre, insofern als sie einen Überblick über die Weltanschauung des konservativen Kulturkritikers sowie sein Wirken und das der von ihm beeinflußten Denker in seinem Umfeld gibt.
Ferner ist auf Wilhelm Stapels Der christliche Staatsmann: Eine Theologie des Nationalismus (hier erhältlich) hinzuweisen, in dem er schon im Vorwort die Unentrinnbarkeit der Deutschen vor der Reichsidee herausstrich:
(…) das Reich ist kein subjektiver Wunschtraum, keine Flucht in die Illusion, sondern eine uralte politische Realität metaphysischer Art, der wir untreu geworden sind. Wer solche Dinge nicht zu schauen vermag, der sei nicht vorlaut. Wenn Israel von Jahwe abfiel, strafte Gott Israel. Wenn wir vom Reich abfallen, straft uns Gott, wie die deutsche Geschichte zeigt. Das ist das deutsche Testament.
Weiterhin beschäftigte sich der DNVP-Politiker Georg Quabbe mit Reichsutopien: Seine Schrift Das letzte Reich. Wandel und Wesen der Utopie erschien in der Reihe »Berliner Schriften zur Ideologienkunde« des Instituts für Staatspolitik als Nachdruck (hier erhältlich). Der zum Abschluß empfohlene Autor ist Ernst H. Kantorowicz, der dem George-Kreis entstammt, und dessen Kaiser Friedrich der Zweite (hier erhältlich) Hans-Dietrich Sanders Faszination gegenüber dem Stauferkaiser maßgeblich beeinflußte.
Wer verstehen möchte, warum der Regent mit dem Namenszusatz »Stupor Mundi« (Staunen der Welt) für Sander »den deutschen Reichsgedanken, die ghibellinische Idee, in maximaler Reinheit« verkörperte, der muß Kantorowicz lesen.
Maiordomus
"Tretet weg vom Herde", kann man hier wohl nur mit George raunen. Arthur Moeller van den Bruck ist mir aus der Sicht der Forschungen über Paracelsus und Meister Eckhart schon vor Jahrzehnten aufgefallen mit seinem Buch "Verschwärmte Deutsche", Minden 1906, 1934 neu aufgelegt im Band "Das Ewige Reich - Die Deutschen", 2. Band, Breslau 1934: zu diesen "verschwärmten" Deutschen wurden Meister Eckhart, Paracelsus, Boehme und Novalis in Anspruch genommen. Die Forschungsqualität dieser Ausführungen ist nicht ernst zu nehmen, ganz im Gegensatz zu den fast gleichzeitigen und noch etwas späteren Arbeiten von Will Erich Peuckert, der über die Paracelsus-Forschung hinaus noch mit bedeutsamen Studien über Kopernikus, Kepler, Sebastian Franck, die schlesischen Überlieferungen und die Volkskunde des Proletariats hervorgetreten ist. Moeller van den Bruck steht auch als Vorläufer der dilettantischen und rein ideologisch orientierten Meister-Eckhart-Rezeption von Alfred Rosenberg sozusagen auf dem Abfall-Berg der deutschen sog. Konservativen Revolution. Ich glaube mich aufgrund jahrzehntelanger Beschäftigung mit obigen Themen zu diesem nun mal leider nicht gerade schmeichelhaften Urteil berechtigt.