Netzfundstücke (44) – Jünger, Innere Emigration, Donovan

Noch einen Monat, am 29. März, und Ernst Jünger wäre 125 Jahre alt geworden.

Anläß­lich die­ses Ehren­ta­ges ver­an­stal­tet die Zeit­schrift Sezes­si­on in Koope­ra­ti­on mit der Jun­gen Alter­na­ti­ve Bran­den­burg einen fei­er­li­chen Ver­an­stal­tungs­abend im Land­kreis Tel­tow-Flä­ming süd­lich von Ber­lin. Dort wer­den Sezession‑Chef­re­dak­teur Götz Kubit­schek, der Lei­ter des Insti­tuts für Staats­po­li­tik Dr. Erik Leh­nert und der Lan­des- und Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der AfD-Bran­den­burg Andre­as Kal­bitz sprechen. 

Mel­den Sie sich per Mail an [email protected] zur Ver­an­stal­tung an. Uns steht nur eine begrenz­te Zahl von Teil­neh­mer­plät­zen zur Ver­fü­gung. Am Ein­laß wer­den wir um eine Spen­de bit­ten, und es wird ein gelun­ge­ner Abend werden.


Einen fun­dier­ten Ein­blick in Jün­gers Leben und Werk bekommt man indes in Hel­muth Kie­sels Jün­ger-Bio­gra­phie. Der mitt­ler­wei­le eme­ri­tier­te Pro­fes­sor für Neue­re Deut­sche Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg und aus­ge­wie­se­ne Jün­ger-Ken­ner Kie­sel kon­zen­triert sich dabei vor allem auf die Lite­ra­tur Jün­gers und räumt ihrer Expli­ka­ti­on reich­lich Platz ein. Das läßt sei­nen Blick auf Jün­gers Schaf­fen posi­tiv aus den ande­ren Ela­bo­ra­ten zum Leben der Jahr­hun­dert­ge­stalt her­aus­ste­chen. Kie­sels Bio­gra­phie kön­nen Sie hier bei Antai­os, dem größ­ten kon­ser­va­ti­ven Ver­sand­buch­han­del bestellen.

Auch beweg­te Bil­der zu Jün­ger sind im Netz zu fin­den. Hier sei der 1985 erschie­ne­ne NDR-Doku­men­tar­film »Neun­zig Ver­weht – der Schrift­stel­ler Ernst Jün­ger« hin­ter­legt, des­sen größ­ter Ver­dienst dar­in besteht, Jün­ger selbst aus­gie­big zu Wort kom­men zu lassen:

Wer direkt in den jün­ger­schen Kos­mos vor­drin­gen möch­te, dem sei­en drei Wer­ke emp­foh­len: In Stahl­ge­wit­tern, Der Arbei­ter und Auf den Mar­mor­klip­pen.

In Stahl­ge­wit­tern, weil es sei­nen Wesens­zug als anar­chi­schen Hero­en mit »kal­ter« Hal­tung in einer Blut­müh­le der Mas­sen bild­ge­wal­tig vor den Augen des Lesers aus­brei­tet. Was Jün­ger in den Schüt­zen­grä­ben des 1. Welt­kriegs auf­saugt, ist für sein dar­auf­fol­gen­des Schaf­fen von exzep­tio­nel­ler Wichtigkeit.

Der Arbei­ter, weil er Jün­gers theo­rie­las­tigs­tes Werk und den Zenit sei­ner natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Zeit dar­stellt. Der Arbei­ter bedeu­te­te den Schritt in die maxi­ma­le Distanz zum mensch­li­chen Gesche­hen – die tota­le Mobil­ma­chung durch die Technik.

Auf den Mar­mor­klip­pen, weil das Buch als der wirk­mäch­tigs­te Roman in der Gat­tung »Inne­re Emi­gra­ti­on« gel­ten kann und den Wan­del vom revo­lu­tio­nä­ren Antrei­ber wäh­rend der Wei­ma­rer Repu­blik zum kri­ti­schen Beob­ach­ter auf »ver­lo­re­nem Pos­ten« im Drit­ten Reich lite­ra­risch einmeißelt.

In Stahl­ge­wit­tern mit einem Nach­wort von Hel­muth Kie­sel erhal­ten Sie hier, den Arbei­ter hier und Auf den Mar­mor­klip­pen hier.


Ist das Phä­no­men einer inne­ren Emi­gra­ti­on von Autoren auch noch heu­te zu beobachten?

Die­se Fra­ge stell­te Sezes­si­on-Chef­re­dak­teur Götz Kubit­schek bei der 20. Win­ter­aka­de­mie des Insti­tuts für Staats­po­li­tik (hier der aus­führ­li­che Aka­de­mie­be­richt) und such­te sie in sei­nem Vor­trag »Inne­re Emi­gra­ti­on heu­te« zu beantworten.

Eine aufs Wesent­li­che kon­zen­trier­te Ver­si­on der Rede liest Kubit­schek nun bei sei­ner jetzt schon sehr belieb­ten neu­en Vor­le­se­rei­he auf dem kanal schnell­ro­da vor lau­fen­der Kame­ra vor:

Das Vor­ge­le­se­ne liegt zudem in der aktu­el­len Sezes­si­on 94 The­ma »Lek­tü­ren« unter dem Titel »Zwi­schen den Zei­len« als Text vor. Grei­fen Sie zu! Die stark nach­ge­frag­te Aus­ga­be ist bei­na­he schon ver­grif­fen (hier bestellen).


»Ich bin ein Mann, und das ist gut, denn ich lie­be mich selbst und mein Leben und mein Schick­sal, und ich will um mei­ner selbst wil­len mehr von dem wer­den, was ich bin.«

Nach Der Weg der Män­ner und Nur Bar­ba­ren kön­nen sich ver­tei­di­gen ist nun Jack Dono­vans drit­ter Teil sei­ner Män­ner-Tri­lo­gie Ein gan­ze­rer Mann im Ver­lag Antai­os erschie­nen. Dono­van stemmt sich auch wei­ter­hin gegen jede Ver­weich­li­chung des Man­nes und arbei­tet an sei­ner For­mung zur »gan­ze­ren Bestie«.

Der letz­te Teil des mas­ku­li­nen Tri­os vom US-Autoren ist gänz­lich vom Geist Fried­rich Nietz­sches durch­drun­gen. In etli­chen Pas­sa­gen schim­mern Gedan­ken des deut­schen Aus­nah­me­phi­lo­so­phen durch. Den Weg der Män­ner hier, Nur Bar­ba­ren kön­nen sich ver­tei­di­gen hier und Ein gan­ze­rer Mann hier.

Indes hat­te Dono­van bei der »The 21 Con­ven­ti­on«, einer Män­ner­kon­fe­renz, die Gele­gen­heit, sei­ne in Ein gan­ze­rer Mann ver­tre­te­nen The­sen vor Publi­kum dar­zu­le­gen. Den Vor­trag kön­nen Sie sich hier anschauen:

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Kommentare (50)

Dieter Rose

29. Februar 2020 15:06

Was aus diesem Land geworden ist,
zeigt dieses Plakat überdeutlich:
"(Veranstaltungs)ort auf Anfrage"

Kriemhild

29. Februar 2020 15:31

Ist "Der Arbeiter" wirklich der Höhepunkt von Jüngers nationalrevolutionärer Phase? Ist der Arbeiter nicht ein neuer, planetarischer Typus Mensch, der, mit der Maschine verschmolzen, alle überkommenen Bindungen, einschließlich der Bindung an die Nation, abgestreift hat?

Kriemhild

29. Februar 2020 15:36

Übrigens: Warum ist Frau Merkel noch nicht vor die Kameras getreten, um den Migranten an der türkisch-griechischen Grenze freies Geleit nach Deutschland zuzusagen?

Maiordomus

29. Februar 2020 16:01

Zu denken gibt, dass der Ort der Veranstaltung "nur auf Anfrage" zu eruieren ist, was nicht ausschliesst, dass der "Feind" denselben wohl doch noch in Erfahrung bringt. Die drei Referenten erscheinen mir als kundige und belesene Repräsentanten ihrer Generation und zumal ihrer geistespolitischen Richtung.

Die Bedingungen der Veranstaltung erinnern an das von Kubitschek aufgegriffene "Stichwort" der "Inneren Emigration". Ernst Jünger hat sich nie mit diesem Attribut geziert. Es handelt sich, wie ich schon vor der Geburt der drei Referenten erkannt zu haben glaubte, um einen Weisswasch-Begriff der Nachkriegsgermanistik. Der Zweck war die mögliche Klassierung von nicht aus dem 3. Reich emigrierten Autoren als anständig, das heisst kompatibel zu Kanon und Schullektüre. Wiewohl da und dort, zum Beispiel im nachmaligen Heidegger-Gymnasium Messkirch, in der Nachkriegszeit noch hundertprozentige einstige "Soldatinnen des Wortes" wie Josefa Berens-Totenohl bis etwa 1968 als eher kuriose Schullektüre übriggeblieben waren. Eine begabte Autorin wie Agnes Miegel wurde zu geradezu festlichen Lesungen eingeladen. In der neuesten Nummer von "Sezession im Netz" kommt sie mit einem Gedicht zu Ehren. Dafür müsste sich auch ein bildungsbürgerlicher Deutschlehrer von heute nicht entschuldigen (falls es im Stand der Aktiven diese Sorte überhaupt noch gibt).

Der Begriff der "Inneren Emigration" passt besser für die Vortragenden von heute als zu Ernst Jünger. Man denke an den vor braunem Dreck nur so strotzenden Wikipedia-Artikel über mindestens einen der drei Jünger-Referenten. Im Vergleich zum Umgang von Wikipedia mit heutigen nichtnazisitischen Rechten und Konservativen wurde ein Werner Bergengruen, für mehrere Schülergenerationen ein Klassiker der "Inneren Emigration", im Völkischen Beobachter nachweisbar anständiger behandelt: im Zweifelsfall eher eingemeindet als kritisiert, im Gegensatz zwar zu dem 1938 im VB ziemlich brutal verrissenen Reinhold Schneider. Letzterer wurde in jenem Jahr wieder praktizierender Katholik, was, aufgrund des Konkordates von 1933, für einen Schriftsteller mit Titeln wie "Das Vaterunser" (nebst gefährlicheren Motiven wie der "Rassentragödie der Indios"; Jochen Klepper über RS) dem Autor einen gewissen Schutz ermöglichte. Es gab Titel "Mit kirchlicher Druckerlaubnis".

Demgegenüber hat sich Ernst Jünger auf seinen Ruf als Verfasser der "Stahlgewitter" verlassen können. Er hat sich selber nie zur "Inneren Emigration" gezählt. Eher schon passt zu ihm das Bekenntnis: "Der Anarch führt seinen eigenen Krieg, selbst wenn er in Reih' und Glied marschiert." Mit der Zeit konnte der von der Partei fallen gelassene Jünger-Weggefährte Carl Schmitt sich eher im inneren Exil fühlen, irgendwie zwischen Stühlen und Bänken. Wobei ihm nun mal der Satz von 1934, "Der Führer schützt das Recht", auf sozusagen ewige Zeiten anhaftete, da halfen und helfen keine Differenzierungen. Jünger hielt dagegen die nötige Distanz, so wie er später auch nie ein verlangtes Bekenntnis, zumal kein Schuldbekenntnis, abgegeben hat. Dabei durfte sein 50. Geburtstag gegen Kriegsende 1945 auf Weisung von JG nicht mehr in den Feuilletons und im Rundfunk begangen werden; wohl wegen dessen zu grosser Nähe zu Repräsentanten des 20. Juli. Für diese Aktion liessen sich jedoch weder der "Anarch" Jünger noch der christliche Pazifist Reinhold Schneider gewinnen, aus sehr verschiedenen Motiven.

Meine eigene Jünger-Lektüre begann mit dem mir zu dessen 70. Geburtstag (1965) geschenkten Tagebuch-Werk "Strahlungen", das mir als Gymnasiast einen starken Eindruck machte. Von wegen der bis heute exaktesten und intensivsten Beschreibung einer Hinrichtung in der Geschichte der deutschen Literatur, für mich damals ein nicht gelinder Schrecken. "Lady Chatterley's Lover" oder gar das damalige Skandalbuch "Die Clique" von Mary McCarty kamen mir dagegen viel stärker "jugendgeeignet" vor. Ich erhielt das Buch deswegen geschenkt, weil der Besitzer fand, so ein Text habe in einer gutbürgerlichen Hausbibliothek nichts verloren. Zwei Jahre zuvor war ich auf ähnliche Weise erstmals zur Lektüre von Nietzsches "Zarathustra" gelangt: "Zuletzt war der arme Teufel geschlechtskrank", endete die Warnpredigt eines Volksmissionars von der Kanzel einer katholischen Kirche.

Die oben in den Vordergrund gerückten Werke sind zwar von enormer literarhistorischer Bedeutung, aber meines Erachtens doch nicht die Meisterwerke des Jahrhundertschriftstellers, wie ihn Erwin Jaeckle 1985 in seinem Buch "Ernst Jünger - Tagebuch des Jahrhunderts" zu würdigen wusste, etwas später, eher weniger überzeugend, NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer in einem dicken Buch, das der Polemiker Niklaus Meienberg 1990 im "Spiegel" ziemlich unsanft verrissen hat: mit Reduktion auf den Antifaschismus. So einfach haben es sich Jahre zuvor ein Heinrich Böll und ein Helmut Heissenbüttel mit der Kritik an Jünger nicht gemacht. Als eigentlicher Fan entpuppte sich noch Alfred Andersch. Im Bodenseeraum trat Jünger wiederholt, auf Einladung von Dino Larese, an den Literaturtagen in Amriswil auf, sozusagen als Stargast. Und entgegen dem oft giftigen Ton des Feuilletons wurde er in der oberschwäbischen Lokalpresse stets mit dem Attribut "weltberühmt" vorgestellt. Als bedeutendsten Geheimtipp für Jünger-Kenner empfehle ich überdies den Wallfahrtsort Bussen, wo man sich nach wie vor des spät zum Katholizismus sozusagen ins "geistliche Exil" gegangenen Autors erinnert.

Für die wirklich Überragende Bedeutung des Literaten und Stilisten Ernst Jünger sind, über die hier bereits mehrfach als höchst lesbar gerühmte Meistererzählung "Die Eberjagd" hinaus, wohl die beiden Fassungen von "Das abenteuerliche Herz" wegweisend, man denke an die unvergleichliche phänomenologische Studie "Das Entsetzen" oder "Das Rotkehlchen", im Zusammenhang mit dem Begriff "Lebensblindheit" einer der wohl stärksten Texte der Welt zum Verhältnis des Lebens zum Tode. Und natürlich, wie es auch einem Rolf Hochhuth auffallen sollte, "Autor und Autorschaft" sowie ganz generell die Tagebuchwerke einschliesslich sämtlicher Bände von "70 verweht". Ausserdem bleibt Jünger natürlich sowohl zum Thema "Käfer" in seinem Buch "Subtile Jagden" und zu "Drogen und Rausch" als Autor weltweit absolute Spitze. Hingegen scheint es ihm nicht gelungen zu sein, mit "Eine gefährliche Begegnung" für die Gattung des philosophischen Kriminalromans einerseits an Edgar Allan Poe anzuschliessen noch einem jüngeren erfolgreichen Zeitgenossen wie Friedrich Dürrenmatt wirklich Paroli zu bieten. Eine bedeutende Stärke des Klassikers aus Wilflingen scheint mir der sogenannte "stereoskopische Blick" zu sein, ein literarisches Verfahren, welches die Referenten gewiss noch näher erläutern werden. Jünger war zumal noch ein Meister in der Beherrschung der phänomenologischen Methode, mit einer Beschreibungsfähigkeit in Richtung "Typus, Name, Gestalt", in den besten Beispielen in der Nachfolge Goethes, wiewohl stets noch mit der für Jünger typischen "Kühle" ausgestattet, mit welcher er selbst dem Tod ins Auge zu blicken vermochte.

Die politischen Schriften von Ernst Jünger sind selbstverständlich sehr bedeutende Zeitdokumente, konnten aber, trotz regelmässig realistischer Erkenntnisse, als Beiträge zur Geschichte der politischen Vernunft nie wirklich wegweisend werden. Es bleibt noch zu bedenken, dass die Klassifizierung "rechts" schlecht zu Jünger passt. Weder gehört er zur Hegelschen Rechten noch setzt er die reaktionäre Linie der de Maistres noch die konservative der Burkes oder Baader noch die liberale Tocquevilles irgendwie fort. Wiewohl gerade der "Arbeiter" über enormen analytischen Wert verfügt. Selber sehe ich in Jünger eher einen Geodäten der politischen Landschaft als dass ich ihn zum politischen Wegweiser erheben wollte. Dies schliesst eine hochrespektable Altersweisheit nicht aus. Beim Anblick der Fotos mit Mitterand, Kohl und Jünger, gibt es für mich keinen Zweifel, welcher von den dreien gewiss kein Langweiler wäre und von wem wohl noch eine Ausstrahlung vermutlich über Generationen ausgehen wird.

RMH

29. Februar 2020 17:16

Bei Ernst Jünger sollte man immer auch etwas aus der Zeit nach 45 gelesen haben (die drei zum Einstieg genannten Werke sind aber allesamt aus der Zeit vor 45). Die Nachkriegswerke sind für die heutige Zeit eigentlich fast wichtiger, als bspw. "In Stahlgewittern" zu kennen.

Der Waldgang, Der gordische Knoten, An der Zeitmauer, Annäherungen, wären hier zu nennen - derjenige, der sich intensiver mit E. Jünger beschäftigen will, kommt um die Tagebücher nicht herum.

M.D. hat ja schon einen umfangreichen Beitrag dazu geschrieben, zu dem ich anmerken möchte, dass gerade der Ausreißer im Werk E. Jüngers, "Eine gefährliche Begegnung", für mich ein sehr starkes Buch war, da man damit einfach nicht rechnet, wenn man sich mit E. Jünger beschäftigt. Er hat damit im hohen Alter es noch einmal gezeigt, was er alles als Schriftsteller drauf hat. Zum Lesen war meiner Meinung nach auch "Afrikanische Spiele" sehr gut (das ist wiederum eine Erzählung aus der Zeit vor 45), da hier E. Jünger ebenfalls sein literarisches Talent voll entfaltet. Evtl. ist afrikanische Spiele überhaupt ein sehr guter erster Einstieg bzw. erster Zugang zu Ernst Jünger, insbesondere für die, die keine Kriegstagebücher lesen möchten.

Niekisch

29. Februar 2020 18:52

"In Stahlgewittern, weil es seinen Wesenszug als anarchischen Heroen mit »kalter« Haltung in einer Blutmühle der Massen bildgewaltig vor den Augen des Lesers ausbreitet. Was Jünger in den Schützengräben des 1. Weltkriegs aufsaugt, ist für sein darauffolgendes Schaffen von exzeptioneller Wichtigkeit".

Kalte, sezierend-beobachtende, unbeteiligt begleitende Haltung eines "Anarchen" finde ich in den "Stahlgewittern" nicht, eher das Gegenteil, so daß ich einen Widerspruch im damaligen und im späteren Verhalten Jüngers, wie es sich in der berühmten Szene auf dem Hoteldach findet, konstatieren möchte. Als Jünger einen Kameraden beim Jagen eines Engländers mit Handgranaten und dann mangels Stielhandgranate mit Erdbrocken beobachtet, hält er sich "vor Lachen die Seiten" (S.250)und nennt Sturmangriffe unter entsetzlichen Opfern "Abenteuer" (S. 250). "Davor lag mein Engländer, ein blutjunges Kerlchen, den mein Schuß quer durch den Schädel getroffen hatte. Ein merkwürdiges Gefühl(!) einem Menschen ins Auge zu sehen, den man selbst getötet hat" (S. 258). "Der Kämpfer, dem während des Anlaufs ein blutiger Schleier vor den Augen wallte, will nicht gefangennehmen; er will töten. Er hat jedes Ziel ( und auch seine soldatische Pflicht, niekisch) aus den Augen verloren und steht im Banne gewaltiger Urtriebe. Erst wenn Blut geflossen ist, weichen die Nebel aus seinem Hirn; er sieht sich um, wie aus schwerem Traum erwachend. erst dann ist er wieder bewußter Soldat und zur Lösung einer neuen taktischen Aufgabe bereit" (S. 256)

Ernst Jünger hatte sich nicht nur beim Erfüllen seiner soldatischen Pflicht nicht im Griff, sondern tötete oder ließ töten, obwohl er das in der gegebenen Lage nicht durfte. "...packte ich ihn an der Gurgel und schleuderte ihn gegen eine Sandsackpackung, vor der er zusammenbrach. Hinter mir tauchte der weißhaarige Kopf eines Majors auf, der mir zuschrie: "Schlag den Hund tot!" Ich überließ diese Arbeit den Folgenden" (wäre also dazu bereit gewesen, niekisch) (S. 251,252) "Ich riß einem Unteroffizier...aus dem unbezähmbaren Bedürfnis zu schießen, das Gewehr aus der Hand. Mein erstes Opfer war ein Engländer, den ich auf hundertfünfzig Meter zwischen zwei Deutschen herausschoß" (S. 252) Pardon wurde nicht gegeben...Eine Ordonnanz von Gipkens streckte mit seiner zweiunddreißigschüssigen Repetierpistole wohl ein Dutzend von ihnen auf den Sand. Ich wohnte diesem Gemetzel, das sich hart am Rande unseres kleinen Erdloches abspielte, mit erstarrter Aufmerksamkeit, wie aus der Loge eines Theaters ( wie im WK II vom Dach des Majestic, niekisch) bei" (S.256) "Rechts von uns sprangen einige khakifarbene Gestalten aus einem Grabenstück, hinter denen wir stehend (also von hinten, niekisch) freihändig herknallten. Die meisten wurden niedergestreckt" (S. 257)

Es findet sich in den Stahlgewittern eine Stelle, wo Jünger schildert, wie er an einem schwerverletzten Kameraden vorbeihastet, ohne sich um ihn zu kümmern.

Mögen ihn alle verherrlichen, ich nicht.

Laurenz

29. Februar 2020 21:00

@Niekisch .... die unterschiedlichen Ebenen der Bewertung von Gewalt sind nicht kompatibel und sollten getrennt belassen werden.

Im Krieg ist Massenmord legalisiert.

Die Kommunisten entzogen sich der Ahndung ihrer Gräueltaten durch Austritt aus völkerrechtlichen Abkommen und eigene gegenseitige Eliminierung.

Die Briten schafften es im 7jährigen Krieg durch ein einziges Todesurteil gegen Admiral John Byng nach der verlorenen Schlacht von Minorca (1756) das Verhalten des Royal-Navy-Offiziers-Korps bis 1941/42 nachhaltig zu manipulieren. Seitdem mußte der Gegner vernichtet werden, ob militärisch in der Schlacht oder ganze Nationen durch nachhaltige Blockade der See-Versorgung.

Das unvergleichliche Ausmaß dieser radikalen Gewaltausübung stieg den Historikern nie ins kollektive Bewußtsein. Meist wird diese Gewaltausübung von letzteren politisch bewundert und als extrem intelligent (smart) angesehen.
Daran können Sie erkennen, wie besonders "gute" PR-Talente, zB Walter Lippmann, selbst in den Hirnen von Intellektuellen tiefe Spuren hinterlassen, was wieder einmal die eklatante Begrenztheit des menschlichen Verstandes ausdrückt.
Vor allem Menschen, die einem instinktiven Bauchgefühl folgen können, sind dagegen am besten gewappnet.

Das, was Sie von Ernst Jünger zitiert haben, ist weder Unmenschlichkeit noch Menschlichkeit, es ist die notwendige Tradition des Drills im militärischen Jetzt des Augenblicks.

Um Verletzte kümmern sich nur! Sanis, soweit vorhanden. Das befohlene Feuer einer Breitseite oder einer Artillerie-Stellung muß! unbedingt fortgesetzt werden, koste es, was es wolle. Verletzte werden nur zur Seite geräumt. Können gefahrlos Gefangene gemacht werden oder nicht? Wenn dies nicht gewährleistet ist, erschießen auch Nato-Truppen, außer deutsche, zB in Afghanistan jeden Gegner.

Was Ernst Jünger von den meisten Soldaten und Normal-Bürgern unterschied, ist nicht sein Werk direkt, sondern die Fähigkeit, einem Inferno zu entkommen, und dieses dann doch relativ ehrlich in Worte zu fassen. Wenn dies nichts besonderes wäre, dann wäre Ernst Jünger nicht Ernst Jünger. Von daher ist Ihre Haltung, Niekisch, zwar nachvollziehbar, aber nicht konkludent, weil nicht überlebensfähig.

RMH

29. Februar 2020 21:26

"Mögen ihn alle verherrlichen, ich nicht."

@niekisch,
Ihre kritische Haltung sei Ihnen unbenommen, aber ich sehe keine Verherrlichung, sondern eher Respekt und das Wissen darüber, dass uns E. Jünger mit seinem Werk eine äußerst ertragreiche Mine hinterlassen hat, in der man auch im 21. Jhdt. regelmäßig mit Erkenntnisgewinn schürfen kann. Vermutlich ist Jünger einer der wenigen Schriftsteller, der zwar sicher und wohl unbestreitbar auch gewisse Eitelkeiten des Schriftstellerruhms genossen hat, aber vermutlich nicht mit dem Zweck geschrieben hat, dass er verherrlicht wird oder damit großen Ruhm einfährt.

Gerade weil Jünger den WK I auch unpathetisch und dreckig, egoistisch und (aus heutiger Sicht) verbrecherisch schildert und auch, dass es Momente gibt, in der Krieg "Spaß" machen kann und sich da nicht groß herausnimmt, leistet er deutlich mehr (ja im Grunde Überragendes) als andere Autoren, die ja angeblich immer bis zum Schluss "anständig" gewesen sein wollen und selbstredend stets und immer ihre Werke nur als "Anti-Kriegs-Romane" verstanden haben wollten.

"In Stahlgewittern" ist dennoch eine künstlerisch bearbeitete Fassung von Tagebüchern, die erst vor ein paar Jahren herausgegeben wurden, und in denen sich doch manches etwas anders liest, als bei den verschiedenen Ausgaben von "Stahlgewittern". Dies sollte man immer beachten, wenn man über "In Stahlgewittern" urteilt. Die gesamten WK I Erzählungen werden ohnehin erst so richtig verständlich, wenn man das gerne übersehene Essay "Der Kampf als inneres Erlebnis" ergänzend liest. Dieses Essay gehört unbedingt dazu.

Für mich persönlich wird Jünger aber - das habe ich in meinem ersten Beitrag schon geschrieben - ohnehin erst so richtig interessant mit seinem Werken, die nicht den WK I zum zentralen Inhalt haben, M.D. gibt in seinem Beitrag einen ersten Überblick.

Schade, wenn Jünger auch heute noch von einigen auf seine Werke zum WK I reduziert wird.

Hier noch ein schöner Beitrag von Erik Lehnert aus dem SiN Archiv:

https://sezession.de/36586/15-todestag-ernst-junger

Maiordomus

29. Februar 2020 23:14

"Mögen ihn alle verherrlichen, ich nicht."

@Niekisch. Wie Sie oben gesehen haben, stelle ich die Aufzeichnungen "In Stahlgewittern" den "stereoskopischen" Beobachtungen des Autors nicht gleich. Die Einschätzung der Kriegstagebücher stellt eine historisch ganz andere Textsorte dar, nicht mal zu vergleichen mit Jüngers Zeugennotiz bei der Hinrichtung eines deutschen Deserteurs in Paris, bei der es dem Beobachter als mitspielender Zuschauer buchstäblich übel wurde. Trotzdem hat Jünger, sozusagen aus vielleicht moralfreier, aber anthropologisch bedingter Neugier, sich überwunden, hingesehen und alles aufgezeichnet, vgl. das 2. Pariser Tagebuch.

Bei dem, @Niekisch, was Sie ohnehin bloss andeuten, kommt teilweise die Innenperspektive des Landsknechts zur Darstellung, wie dieselbe in den seltensten Fällen je so beschrieben wurde, im Ersten Weltkrieg auf exemplarische Weise noch einmal stattfand. Ein Quellendokument der besonderen Art. Selber habe ich bei einem Besuch bei Jünger den Helm eines britischen Leutnants gesehen, der, wenn ich mich richtig erinnere, im Rahmen einer Kriegshandlung zugleich Opfer des Krieges und Jüngers Opfer wurde. Es wäre aber gast genau so wahrscheinlich gewesen, dass Jüngers Helm bei einer anderen Variante der Handlung dann eben im Wohnzimmer seines Gegners hätte als Trophäe enden können: dann, in der Tat, gäbe es im Hinblick auf den 125. Geburtstag des Soldaten und Autors nichts zu gedenken. Dafür hätte dann der Gegner zu Hause in England im Angesicht von Jüngers Helm Tee trinken und Porc Pie essen können, erst noch mit gutem Gefühl für sein Land, für das, wie noch Margaret Thatcher gegenüber Helmut Kohl unverfroren betonte, selbstverständlich weder der Kaiser noch Hitler, sondern Deutschland der Kriegsfeind gewesen ist.

Jünger hätte seine eigene tödliche Niederlage, wenn ich ihn richtig verstanden habe, nicht mal bedauert, sondern es als mögliches und im Prinzip zu akzeptierendes Resultat einer Kriegshandlung hingenommen. Jüngers gesamtes Werk wurde eine Auseinandersetzung mit dem auf diese Weise nahe gesehenen Tod, einschliesslich der damit verbundenen "Lebensblindheit" des Rotschwänzchens, was - abgesehen von einer Bemerkung weiter unten- hier nicht weiter zu deuten ist: das müssten Sie selber lesen. Das Werk "In Stahlgewittern" gehört in diesem Sinn zu den Protokollen einer nächstwahrscheinlichen Todeserfahrung bei der über Jahrtausende praktizierten Existenzform Krieg; bei dieser Erfahrung Jüngers gibt es, nicht mit Schizophrenie zu verwechseln, ein doppeltes "Ich": Eines, das diese Erfahrung macht, wie tausende und Millionen diese Erfahrung gemacht haben, und ein zweites "Ich", welches das erste "Ich" beobachtet und, falls es zum stets ungewissen Überleben kommt, alles im Rahmen eines Erkenntnisprozesses "jenseits von Gut und Böse" (Nietzsche) notiert ; im Rahmen dieser Erfahrung kommt es nun mal entweder beim Betroffenen oder bei einem aussenstehenden Beobachter wie Sie, @Niekischzu, moralische Urteile zu fällen, wiewohl gemäss Goethe gelten würde: "Der Handelnde hat kein Gewissen; allein der Betrachtende hat Gewissen." Je extremer die Situation beim Handeln, umso offensichtlicher gilt dies. Bei Ernst Jünger handelt es sich, allerdings ganz anders als bei einem Kriminellen, um eine "extreme Existenz"; insofern nicht kriminell, als das Töten des Feindes beim Führen des Krieges im Sinn von Clausewitz nie das eigentliche Ziel ist, im Prinzip fast immer eine Art Kollateralschaden, in der Regel zumal beim älteren konventionellen Bodenkrieg auf gegenseitiges Risiko ausgerichtet.

Wobei aber bei Jünger, mit gewissen Einschränkungen, beim Betrachtenden das Gewissen hintangesetzt wird zugunsten einer mehr phänomenologischen Beobachtung und Beschreibung nach Edmund Husserl; gemäss diese Methode sollen bei der Beischreibung subjektive Wertungen so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Man könnte Jüngers "Kriegsführung" teilweise mit der eines professionellen Kriegsreporters vergleichen, zumindest gibt es da Überschneidungen. Natürlich werden da diverse Problematiken ausgeblendet, nicht zuletzt die moralischen, siehe die Versuchungen des perfekt sein wollenden Kriegsreporters. Dass William Wyler in Frankreich (2. Weltkrieg) sogar mit deutschen Kriegsgefangenen und Amerikanern gewisse Dokumentarfilmszenen sogar wiederholen liess, hätte sich der Leutnant Jünger im 1. Weltkrieg freilich kaum vorstellen können. Aber natürlich strebte er eine möglichst perfekte Darstellung an, was bei ihm jedoch so wenig wie bei Remarque mit Selbstheroisierung zu verwechseln war.

Es gibt in der Tat nichts zu verherrlichen

Sie haben völlig recht, und am meisten würde Ihnen Ernst Jünger recht geben: zu verherrlichen gibt es diesbezüglich nichts, gar nichts. Hätte indes Jünger bei seinen Aktivitäten im 1. Weltkrieg (die übrigens gar nichts mit einem Amoklauf zu tun hatten und bei ihm noch Respekt vor dem Feind und dessen ebenbürtigem Lebensrecht beinhalten; im Rahmen des Wesens des Krieges nach Heraklit und Clausewitz); hätte also Jünger wie Millionen andere ähnliche Kämpfer seinen Kampf verloren, dann hätte halt ein anderer diese vielgelesenen lehrreichen Aufzeichnungen machen müssen; ich fürchte aber, es hätte unter Millionen nur ganz wenige gegeben, die dazu psychisch, moralisch, militärwissenschaftlich- methodisch sowie schriftstellerisch in der Lage gewesen wären. Insofern bleibt der Kriegsautor Jünger ein Spezialfall in der Literaturgeschichte, wobei Hemingway noch Vergleichbares wohl angestrebt hat. Jüngers Gegner im "Kampf als inneres Erlebnis" (Buchtitel), das erlaube ich mir hier zu sagen, hatten aber in der Regel -um ein peinliches tabuisiertes Beispiel zu bemühen - immer noch mehr Chancen und Möglichkeiten zur Gegenwehr als jeder in einer Klinik abzutreibende Embryo, der juristisch keine Person ist, aber biologisch und ontologisch natürlich ein Mensch, eine menschliche Substanz, im Vollsinn dieses Begriffs. Insgesamt sind einigermassen vernünftige Kriegshandlungen wohl bei weitem weniger konsequent auf die Tötung eines Menschen ausgerichtet als etwa gynäkologische Handlungen zur Beseitigung eines unerwünschten Menschen, dem man noch nie in die Augen gesehen hat. Der Feind im Krieg ist oft nicht mal im gleichen Masse unerwünscht. Können die Kriegsziele ohne seine Tötung erreicht werden, umso besser. Eher ist es im Kriege vorgekommen, dass man mit dem Feinde sogar Weihnachten feiern wollte und konnte, als dass dies in einer Vielzahl der Fälle von Abtreibung etwa das dem Opfer gegenüber gefühlte Bedürfnis des handelnden Arztes oder der "Engelmacherin" gewesen wäre. Indes wollte ich hier nicht das eine gegen das andere ausspielen.

Unbestritten bleibt, dass zumal nach den Erfahrungen der Weltkriege und noch anderer, auch späterer und früherer Kriege, die Überwindung des Krieges ein vorrangiges sittliches und politisches Anliegen sein und bleiben müsste. Erst recht will der normale, wenig pervertierte Mensch der heutigen Zivilisation nicht wie die Landsknechte des Mittelalters in der Schlacht den Gegner wenn möglich nicht noch von "Hand" erschlagen oder niedermetzeln, wozu psychisch wohl nur noch die wenigsten in der Lage wären. Ernst Jünger hat aber für den 1. Weltkrieg als ehemaliger Fremdenlegionär ziemlich bewusst noch eine Form des Krieges a) zur Zwecke der Erfahrungserkenntnis erleben wollen b) diese Erfahrung als Schriftsteller für alle Zeiten als ein Spätling dieses Typus Krieger noch festhalten wollen, im Wissen, dass bei der neueren technischen Entwicklung diese Art jahrtausendelanger Krieg keine Zukunft mehr hat, aber doch einen Teil der seit einer Million Jahre entwickelten menschlichen Seinsverfassung enthält c) Zu seinen Erkenntnissen gehörte ferner, ich zitiere ihn nur sinngemäss: "Zur Zeit des (1.) Weltkrieges glaubten wir noch, dass der Mensch stärker sei als das Material; unterdessen wissen wir, dass wir uns getäuscht haben."

Es sind dies Gedanken, die man sinngemäss auch bei Günther Anders findet: der Mensch kann sich nicht oder kaum vorstellen, was das, was er herstellt, zu Folgen führt, die er weder bewältigen noch verantworten kann. Der späte Ernst Jünger ist durchaus nicht weit entfernt zumal von Erkenntnissen auch von Elias Canetti aus dessen Standardbuch "Masse und Macht", was der letztere in einem persönlichen Austausch bestätigte.

Sie, Niekisch, sollten sehen, dass, gemäss der Analyse eines der besten Literaturhistoriker des 20. Jahrhunderts (nenne seinen Namen nicht, da mir nahe stehend) die Darstellung des Krieges bei Erich Maria Remarque und bei Jüngers "Stahlgewittern" sehr viel mehr gemeinsam haben als die meist politisch parteiische Sicht der Anhänger des einen oder des anderen zugeben würde. Und alles, was Sie gegen Jünger ins Feld führen, erfahren Sie bei ihm selber, weil er im Gegensatz zu anderen wohl zumindest dann und wann und auch dank seines einstigen Immoralismus sein eigenes Handeln offenbar nicht beschönigend dargestellt hat. Entschuldigen Sie einen weiteren Vergleich: Ein verstorbener Bekannter schilderte in einem Eheroman in absoluter Ehrlichkeit, in welcher Situation des Ehestreites er seine Frau, die mit ihm in einer Einzimmerwohnung lebte, geschlagen habe. Wegen dieser Ehrlichkeit wurde ihm von einer feministischen Jurypräsidentin eine Qualitätsprämie verweigert. Eine weniger verlogene Darstellung hätte entsprechend weniger Probleme gehabt.

Ich schliesse slebst bei Ihnen, lieber @Niekisch, trotz Ihrer eindrucksvollen Schilderungen betr. Ihren Vater, eher aus, dass Sie garantieren können, wie S i e sich in extremen Situationen als Kämpfer im 1. Weltkrieg verhalten hätten. Natürlich gilt heute der Deserteur eher als Held; das war nun aber ein paar tausend Jahre lang bei der Existenzform Krieg noch weder Regel noch Gewohnheit. Heute kennen die meisten bei uns den Krieg fast nur aus Filmen, bei denen die meisten kitschig oder parteiisch oder gar beides sind, verlogen schon fast auf alle Fälle. Stanley Kubrick gehörte noch zu den wenigen Meistern (Paths of glory; Full metal jacket), welche den Krieg schon fast moralfrei darzustellen versuchten, eher wie er ist als wie man ihn gern hätte, wiewohl der Meister sogar zur Satire neigt, ein im Einzelfall sinnvolles Abkürzungsverfahren beim Erstellen einer Aussage; wobei Jünger ebenfalls den Sinn für das Groteske bekundete. Sehr genau beschreibt er, wie seine ersten Erfahrungen mit Toten im 1. Weltkrieg dahin gingen, diese Toten nur wie Puppen betrachten zu wollen; nicht einfach aus Herzenskälte, sondern zum Selbstschutz, zum Überleben. Vgl. die schon genannte Beschreibung des Rotkehlchens in "Das abenteuerliche Herz": sobald die Vogelmutter im Nest ein Totes erblickt, wird dasselbe jenseits jeglichen Betrauerns zum Objekt reduziert, sofort mit dem Schnabel aus dem Nest bugsiert. Es geht nämlich um den Vorrang des Überlebens, in Sachen Empathie eine Art Blindheit, die Jünger "Lebensblindheit" nennt. Er beschreibt dies, weil er sich selber und den Menschen kennengelernt hat, nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Fremdenlegion und des 1. und 2. Weltkrieges. Es besteht keine Veranlassung, bei letzten Dilemmata des Überlebens den Unterschied zwischen Mensch und Tier moralisch überhöhen zu wollen.

@Niekisch. Ich anerkenne jedoch sehr, dass Sie eine falsche und zumindest missverständliche Jünger-Verehrung bis Jünger-Verherrlichung zurückweisen. Der Bademeisterei danke ich, dass Ihre Kritik selbstverständlich hier vorgetragen werden durfte; was ich Ihnen indes antworte, ist sehr vorläufig und sollte vor allem nicht mit Beschönigung oder Verharmlosung gleichgesetzt werden. Die mir bekannten modernen Autoren, die in ihrem Werk von herkömmlichen anthropologischen verlogenen Verharmlosungen einen eindrücklichen Abstand gewonnen haben, heissen Franz Kafka, Ernst Jünger, Elias Canetti und Friedrich Dürrenmatt; im Bereich Film Stanley Kubrick und Akira Kurosawa, das ist nun mal nicht der Standard der Lebenslügen Hollywoods.

Auf gar keinen Fall sollten wir mit einem Autor wie Ernst Jünger quasi missionieren. Wem seine Menschendarstellungen nicht gefallen, einschliesslich der Schilderung seiner beiden "Ich", siehe oben, kann sich auf Beschreibungen von Vögeln, Käfern, Eidechsen usw. konzentrieren und allenfalls, sollte er selber schreiben wollen, auf die Poetik von "Autor und Autorschaft". Falls man sich in 500 Jahren noch für die Anthropologie des Krieges interessiert, wird man sich wohl für Heraklit, Machiavelli, Clausewitz und Ernst Jünger stärker interessieren als für Theorien oder Geschichten vom sog. Gerechten Krieg von Thomas von Aquin bis zu Alt Aussenminister Josef Fischer. Gerne hoffe ich, @Niekisch, Ihnen nicht zu nahe getreten zu sein. Ernst Jünger konnte ich mit diesen wenigen Hinweisen unmöglich gerecht werden. Fairerweise sollten Sie die Stellen, bei denen es Ihnen unheimlich zu Mute wird, mit dem Rest der Gesamtausgabe sowie dem Gesamtcorpus der späten Tagebücher "Siebzig verweht" abgleichen.

Maxx

29. Februar 2020 23:21

@Niekisch:
Zitat: "Davor lag mein Engländer, ein blutjunges Kerlchen, den mein Schuß quer durch den Schädel getroffen hatte. Ein merkwürdiges Gefühl(!) einem Menschen ins Auge zu sehen, den man selbst getötet hat" (S. 258). "

Aus welchem Jahr stammt denn Ihre Ausgabe? Jünger hat ja nachträglich noch viel an Ausgaben verändert u. bearbeitet, ja? In meiner Ausgabe (2015) liest sich diese Stelle so, klingt nachdenklicher, trauriger:

"Davor lag mein Engländer, ein blutjunges Kerlchen, dem mein Geschoß quer durch den Schädel gefahren war. Er lag da mit entspanntem Gesicht. Ich zwang mich, ihn zu betrachten, ihm ins Auge zu sehen. Nun hieß es nicht mehr: "Du oder ich."
Oft habe ich später an ihn zurückgedacht und mit den Jahren häufiger. Der Staat kann uns nicht von der Trauer befreien, wir müssen sie austragen. Sie reicht tief in unsere Träume hinab."

Scheint mir, eine gänzlich andere Note zu sein, die anklingt. Empfand ihn nicht als kriegsverherrlichend, nur als kühl, irgendwie befremdlich. Habe aber außer den Stahlgewittern nichts anderes von Jünger gelesen. Und auch in den Stahlgewittern ist er mir im Grunde fremd geblieben; ich kann all das Pathos nicht nachempfinden, ...

Maiordomus

29. Februar 2020 23:25

PS.@RMH. Mein Beitrag erfolgte ohne Einblick in den Ihrigen, in manchem eine Kurzfassung des meinigen. Es ist aber von hoher Bedeutung gerade für diese Seite und in Vorbereitung auf die angekündigte Jünger-Veranstaltung (die ich nicht besuchen kann), dass wir die Sicht des geschätzten "Niekisch" keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. Es handelt sich nicht um einen herkömmlichen Einwand aus dem Lager der "Gutmenschen", welche besonders bei Kriegserinnerungen Spezialisten sind für den blinden Fleck bei Ihnen selber. Niekisch scheint durch Kriegserfahrungen seines Vaters auf beeindruckende und wirklich glaubwürdige Art geprägt zu sein. Er scheint mir wohl das Gegenteil eines "Produktes" blosser "Umerziehung" zu sein; sein Verhältnis zum Krieg ist nachgewiesenermassen nicht romanhafter Natur. Gespannt wäre ich darauf gewesen, was der historsche Niekisch zu dieser Thema zu sagen gehabt hätte. Nicht ausgeschlossen ist, dass derselbe durch Ernst Jünger in seiner Sicht der Dinge als Repräsentant der Konservativen Revolution mitgeprägt wurde.

Franz Bettinger

1. März 2020 02:56

@Niekisch: Nehme an, Sie waren nie an der Front. Gemeint ist: irgendeine Front, irgendeine Grenzsituation. Ansonsten wüssten Sie, dass E. Jünger den Nagel auf den Kopf trifft. Das kann nur wissen, wer selbst in ähnlichen Lagen war. Die anderen müssen raten. Wie in Extremsituationen (im Krieg, Berg, Wildwasser) sich einer verhält, lässt sich nicht vorher am Lagerfeuer feststellen. Die besten Kajakfahrer sehen oft sehr bedürftig, ja lächerlich aus, wenn sie neben dem gekenterten Boot ein Stück harten Wildwassers „mit Augen groß wie Spiegeleier" hinunter "schwimmen" statt paddeln (müssen). Einige bleiben auch in solchen Notlagen cool. Es sind nicht immer die besten Paddler oder Stories-Erzähler. Außerdem haben Sie Jüngers Sentenzen aus dem Zusammenhang gerissen, wo man sie missverstehen kann. Zeigen Sie mir einen Helden, den Otto Normalo versteht. Warum hat Achill den getöteten Hector vor den Augen seines Vaters Priamos acht mal um Troja geschleift? Aus Zorn. Finden Sie weitere Beispiele, es gibt viele!

Franz Bettinger

1. März 2020 06:01

@Niekisch: Es handelt sich bei all dem, wie Jünger ehrlich und richtig beschreibt, um ein Abenteuer. Das ist etwas Lebensgefährliches, dessen Ausgang völlig offen ist. Götz Kubitschek hat etwas ähnlich Grenzwertiges in den Bergen Rumäniens (?) erlebt. Wahrscheinlich war seine Lage, von der er im „Schmalen Grad“ berichtet, noch ernster als meine 1994 auf dem Peloponnes. - Nur als Beispiel (aus GRECO 1. Band, Nachtmarsch, S.32):

Martin und ich hatten, wahrscheinlich als erste in einem Schlauchkanadier, die 13 Kilometer lange monolithische Gasse des Erymanthos bezwungen. Einiges war schief gelaufen, aber wir waren durch, und jetzt wollten wir bis zur Olympia-Brücke weiter paddeln, noch einmal zehn Kilometer. Ein weiterer Fehler an diesem Tag. ... Denn wir kenterten unter einem quer liegenden Baum und retteten das Boot und uns nur knapp. Die Dämmerung war längst da, es war fast Nacht, wir hatten genug. Wir beschlossen, das Boot liegen zu lassen und auszuwandern.

Querfeldein, durch Dornbüsche, über Hecken, immer nach Westen und dankbar für die Sterne und ein bisschen Mond. Etliche Kilometer später erreichten wir: Asphalt! Eine brandneue, von der EU gebaute Straße, von denen es nun viele in Griechenland gab. - Wir folgten dem schwarzen Teerband nach Süden durch die warme Nacht. Unsere Stimmung hatte sich beträchtlich gebessert. Wir redeten und schwärmten - von Frauen, Flüssen und Fiaskos - und fanden das Leben toll, als das Heulen begann.

Zuerst war es nur einer. Wir konnten ihn nicht ausmachen. Dann kamen immer mehr. Die Schäferhunde umzingelten uns, knurrten, bellten und rückten uns auf die Pelle. Martin und ich konnten fast nichts sehen, wir standen Rücken an Rücken, jeder ein ausgestrecktes Paddel in der Hand bereit zum Zuschlagen. War gut gewesen, die Dinger nicht am Boot zu lassen. Siebter Sinn! Wir wussten nicht, wie viele Hunde im Spiel waren. - Der finale Angriff blieb aus, aber wir waren festgenagelt. - Als unsere Wut endlich unsere Angst überstieg, begannen wir die Paddel zu schwingen, nicht mehr mit dem Ziel zu drohen, sondern zu treffen, zu verletzen, zu verstümmeln, zu töten. Gleichzeitig schrien wir die Hundebande an. Das machte Eindruck. Die Hunde merkten, dass sich die Lage für sie verändert hatte. Sie wichen ein paar Meter zurück, bellten und heulten aber immer noch. Wir rannten los und schwangen dabei weiter unsere Paddel gegen die Meute und heulten mit ihnen. Wir rannten etwa einen Kilometer, bis wir uns sicherer fühlten. Glücklich und trunken vor Adrenalin verlangsamten wir das Tempo, joggten aber locker weiter, um uns abzuregen und unseren Furor loszuwerden. Gegen Mitternacht erreichten wir Vassilaki.

Maiordomus

1. März 2020 08:55

@Jünger exakt. Der für Ernst Jünger wesentliche Text zu seinem Verständnis des Todes aus "Das abenteuerliche Herz", als "Lebensblindheit" einflussreich für die nachträgliche Selbstanalyse des überlebenden Kämpfers im 1. Weltkrieg, lautet nicht "Das Rotkehlchen", vielmehr "Das Rotschwänzchen". Ein etwas unheimlicher kleiner Vogel, jeweils der am frühesten singende gegen Ende der Nacht, kommt gemäss meiner Erinnerung nebst allerlei Schlangen auch in Jüngers esoterischer Bodensee- Forstmeister-Studie "Auf den Marmorklippen" mal vor. Dass in jener Studie von 1939 gefangene Internierte von Schergen "gehäutet" werden, ist im Zusammenhang mit den umstrittenen Lampenschirmen aus Menschenhaut teilweise in die Schulbuchvermittlung betr. Nazi-KZ eingegangen, wiewohl dieses Motiv bei Jünger auf seine Weise "surrealistisch" inszeniert war, im Sinne seiner poetologisch bedeutendsten und heute noch lehrreichen These für das publizistische Lehrbuch: "Zensur verfeinert den Stil." Der Satz wird für den Rest der Literaturgeschichte, so weit eine solche der Menschheit noch bevorsteht, wohl kaum in Vergessenheit geraten, und wenn doch, dann zum Schaden der Literatur.

PS. Die Rotschwänzchen, ein Zugvogel, pflegen zu der derzeit herrschenden Jahreszeit zurückzukehren. Ursprünglich ein Felsenvogel, in den Alpen auf hohen Lagen anzutreffen, sind sie ein mehr auf Insektenfutter spezialisierte Gefährten des Haussperlings geworden. Das Unheimliche des Frühmorgengesangs liegt in der Mischung zwischen einem subtil-leisen Krächzen mit darauf folgenden perlenden Pfeiflauten. Sehr charakteristisch ausserdem das Schwanzwippen. Im Vergleich zum Rotschwänzchen pflegt das Rotkehlchen, ein sogenannter Strichvogel, wintersüber im Lande zu bleiben.

PS 2: Das Motiv des "Häutens" gehört einerseits zur Gespenstersage, betr. die Gespensterpuppe, in der Schweiz "Sennentuntschi" genannt, aber für Ernst Jünger bedeutsam wohl in Jean Pauls früher Satire mit dem sinngemässen Titel "Über die Wiederverwendung der menschlichen Haut", z.B. als Kampfanzug, in der Tat eine Anti-Kriegssatire aus den späten 1780er-Jahren, wie das Jean-Paulsche Frühwerk überhaupt einer der bedeutendsten Geheimtipps der deutschen Literatur.

RMH

1. März 2020 11:12

Zur Verdeutlichung meiner These, dass E. Jünger uns eine Mine hinterlassen hat, aus der wir auch heute noch gewinnbringend schürfen können, nur einmal ein kleines Textbeispiel aus einem der veröffentlichten und bereits in den Beiträgen erwähnten Tagebücher (Strahlungen - u.a. aus der Zeit der Besetzung von Paris im WK II):

„Als ich zwischen Pont Neuf und Pont des Arts den Ausweg suchte, war mir zugleich ganz deutlich, dass das Labyrinthische der Lage nur in uns selber liegt. Daher ist Gewaltanwendung schädlich, sie würde Wände, Kammern unserer selbst zerbrechen – das ist der Weg zur Freiheit nicht. Die Stunden regulieren sich aus dem Inneren der Uhr. Wenn wir am Zeiger rücken, verändern wir die Ziffern, doch nicht den Schicksalsgang. Wohin wir auch desertieren, wir führen die angeborene Montur mit uns; und auch im Selbstmord entrinnen wir uns nicht. Wir müssen steigen, auch durch Leiden; dann wird die Welt faßbarer.“

(E. Jünger, erstes Pariser Tagebuch, Vincennes, 29. April 1941)

Alleine über das Bild mit den Zeigern der Uhr könnte man abendfüllend in Bezug auf die heutige Lage diskutieren.

Die Nachkriegsdemokraten verzeihen E. Jünger nicht, dass er sich nicht aktiv am 20. Juli beteiligt hat (eines von vielen möglichen Motiven dafür ergibt sich aus der oben zitierten Stelle - und diese Gedanken wurden bereits 1941 festgehalten! Als viele noch Siegestrunken waren, dachte Jünger schon weiter) und die Nachkriegsrechten und Nazis verzeihen E. Jünger nicht, dass er sich nicht wirklich vor den NS-Karren hat spannen lassen und danach nie versuchte, die Verbrechen des NS irgendwie zu relativieren, dass er bspw. nie die Verbrechen an den Juden auch nur ansatzweise in Frage gestellt hat. Damit war er für diese Kreise ein degoutanter Intellektueller, der nicht auf Seiten des Volkes steht.

Dies könnte auch einer - von tausenden - Gründen sein, warum sich eine ernsthaft neue Rechte mit E. Jünger beschäftigen mag. Aber Achtung, der Mann und sein Werk lässt sich vor keinen Karren spannen.

Phil

1. März 2020 11:24

Es ist immer wieder faszinierend, Jünger in Videos zu sehen und zu hören. Wäre ich ihm im Leben begegnet, wäre ich womöglich in eine peinliche Verklemmtheit verfallen, wie sie sonst höchstens an einem schlechten Tag gegenüber einer besonders schönen Frau auftreten kann.

Neben Goethe ist Ernst Jünger der einzige Autor, der bei mir buchstäblich in den Regalmeter-Bereich geht. Ich habe zugegebenermaßen eine große Platten-, aber keine große Büchersammlung.

Ich stieß auf ihn durch eine Dokumentation auf Vox über Krieg, in der er als Experte auftrat.
Beeindruckt von diesem alten Mann, der "anders" war, besorgte ich mir eine "Auswahl aus dem Werk" in fünf Bänden und, durch Glück günstig bekommen, "Siebzig verweht".

"In Stahlgewittern" habe ich verschlungen. Im Antaios-Prospekt steht, man solle dieses Buch einem jungen Mann zum Abitur schenken. Das ist wahr. Ein gutes Alter für eine erste Stahlgewitter-Lektüre. Sie kann inspirierend wirken. Wenn aber selbst hier bei SiN teilweise die Nase über diesen zeitlosen Klassiker gerümpft wird, dann kann solch ein Geschenk bei einem zeitgeistigen jungen Mann erst recht zum Blindgänger werden – muss aber nicht.

Den Teilnehmern der Geburtstagsfeier wünsche ich jetzt schon viel Spaß, und sauft nicht zu viel...

Niekisch

1. März 2020 12:07

@ Laurenz 29.2. 21:00: Massenmord ist entgegen Ihrer Ansicht im Krieg eben nicht legalisiert. Zu Ernst Jüngers Dienstzeit im I. WK galten die Haager Landkriegsordnung, die Militärstrafgerichtsordnung mit Verweis auf das Militärstrafgesetzbuch sowie das bürgerliche Strafgesetzbuch mit höchster Strafandrohung Todesstrafe, so daß unterlassene Hilfeleistung bis zum Mord strafrechtlich sanktioniert waren, wobei die Kriegssituation bei den Schuldgründen und der Schwere der Schuld berücksichtigt werden konnten und mussten.

Deshalb geht es doch um Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, nicht wie Sie meinen, um notwendige Tradition des Drills im militärischen Jetzt des Augenblicks. Der Unterschied fand in den militärischen Gesetzen, aber auch in kampfbegleitenden Ritualen wie Dienstansprachen, Feldgottesdiensten, kameradschaftlicher Übung seinen Ausdruck.

Um Verletzte kümmern sich entgegen Ihrer Ansicht nicht nur Sanis. Das weiß ich von meinem Großvater, der u.a. vor Fort Vaux als Sanitäter 30 Minuten unter seiner Zeltplane verwundet im Trommelfeuer lag, bis ihn Infanteristen aus dem mit Leichenwasser gefüllten Granatrichter bargen.

Ihre artilleristischen Aussagen halten selbst den Aussagen Ernst Jüngers nicht stand. Er berichtet in den "Stahlgewittern", dass beim Sturm auf eine gegnerische Stellung eigene Artillerie zwar immer wieder in die eigenen Stellungen feuerte, bis sie durch Intervention zum Vorverlagern gebracht wurde. In der Artillerie gab es keine sture Durchführung eines einmal gegebenen Befehls ohne Korrekturmöglichkeit.

Es gibt unzählige Zeugnisse dafür, dass Verwundete selbst aus dem Vorfeld der Stellungen nach Stoßtruppunternehmen durch Kameraden unter Lebensgefahr zurückgeschleppt wurden.

Sie versteigen sich sogar zu der Behauptung sei dem Inferno nur entkommen eben weil er Jünger war. Das habe sich, so nenne ich es mal, vom normalen "Schützen Arsch" unterschieden. Wieso eigentlich? Wurde Jünger nicht mehrfach schwer verwundet wie viele andere auch? Nennen Sie es meinetwegen Schicksal, ich sehe keinen Unterschied zum undekorierten Maschinengewehrschützen am berüchtigten Laffaux-Eck, der stundenlang seinen Bereich mit Dutzenden Gurten Munition ohne Unterstützung durch andere bestrich und dennoch den gesamten Krieg überlebte.

Relativ ehrlich? Ja, relativ ehrlich, denn es gibt von Jüngers eigener Hand textliche Abwandlungen, wobei ich die 24. Auflage -206.-220. Tausend, von 1942 zitiert habe. Bei Schriftstellern, die ihre Texte nachträglich variieren, dürfte Vorsicht immer angebracht sein.

Was, verehrter Laurenz, ist eine nicht überlebensfähige Haltung?

Zu den übrigen Kommentaren komme ich nach und nach.

Phil

1. März 2020 12:11

Ich habe übrigens das verlinkte Video "Siebzig verweht", sowie anschließend "Martin Wuttke inszeniert..." und "Ich widerspreche mir nicht..." angeschaut und bereue es nicht.
In beiden Dokumentationen scheint immer wieder Jüngers Humor durch. Laut auflachen musste ich bei der Aussage, ein Kopfschuss sei immer noch besser als ein Genickschuss. Das ist nihilistischer Witz ganz nach meinem Geschmack :)

zeitschnur

1. März 2020 12:38

@ Maxx

"Und auch in den Stahlgewittern ist er mir im Grunde fremd geblieben; ich kann all das Pathos nicht nachempfinden."
______________________
Ich kann all das Pathos ebenfalls nicht nachvollziehen, aber vielleicht lösten die traumatischen Handlungszwänge, die bereits der 1. WK auf junge und darum zutiefst unreife Männer ausgeübt haben, die tatsächliche Vernichtung jeder vernünftigen Männlichkeit aus, die durch das Nachlegen dieses Seelenbrandes im 2. WK dann auch offenbar für immer gelungen ist. Wir schwanken zwischen total verweichlichter, absolut irrationaler Weibischkeit und einem rohen, ebenso absolut irrationalen und herrschsüchtigen Maskulinismus hin und her. Dazwischen gibt es offenbar nichts mehr, was "Mann" noch erkennen könnte, in dieser Zone der Rationalität und emotionalen Reife. Diese Zone ist total zerschossen worden.
Auf mich wirkten die "Stahlgewitter" wie ein Delirium, wie ein Drogenrausch. So etwas kann niemand im Ernst schreiben, der nicht unter völlig wahnsinnige Verhältnisse gesetzt wurde, die einem natürlichen Lebensvollzug und Reifeprozess absolut - wirklich absolut - entgegenstehen und ihn vielleicht für immer unterbrechen und verunmöglichen. Natürlich kann man mitfühlend sagen: Der arme junge Mann, musste so seine Erlebnisse verarbeiten, den Wahnsinn des Krieges etc. Ja, der Wahnsinn solcher Kriege, die spätestens 20 Jahre später seither tatsächlich von den Idioten aus dem Volk, die dafür den Kopf hinhalten müssen, nur noch unter Drogen überhaupt durchgehalten werden können, deren Regisseure dagegen von einer unglaublichen, entmenschten Verkommenheit sein müssen, die durch nichts zu rechtfertigen oder zu beschönigen ist.
Das Problem liegt hier mE an einer ganz anderen Stelle: Natürlich haben auch andere deutsche Autoren über ihre Kriegserfahrungen im 1. WK geschrieben, aber niemand hat es derart artifiziell und in einer derart fantasyhaft erstarrten Art getan wie Jünger. Man weiß nicht, wie man diese Beschreibungen nennen soll - surreal, realistisch, überspannt, kalt, pathetisch, nein, alles passt nicht, es ist irgendwie entmenscht, das Weiterlebenmüssen kann nur durch Selbstaufgabe vollzogen werden oder den Überstieg in eine zombiehafte Künstlichkeit, und dass Jünger das selbst immer noch irgendwie spürte - davor sprechen die verschiedenen, nachretouchierten Fassungen der "Stahlgewitter". Jünger wirkt auf mich als ein inneres Dokument des vollkommenen geistigen Zusammenbruchs des Abendlandes. Beim "Waldgang", der Passagen enthält, die ich als solche nachvollziehen konnte, blieb doch insgesamt der Eindruck, dass die Zone des Vagen und Rauschhaften nicht verlassen werden konnte. Was nun genau die Botschaft sein soll, bleibt einem geblendeten, ebenso resignierten wie aufgeputschten Leser überlassen, der alles hinein- und hinauslesen kann, was ihm vor allem selber wichtig wäre, endlich für sich selbst klar zu bekommen in einer Zeit, in der Unklarheit und Verwirrung das Bildungsprogramm für alle, für den "Arbeiter" geworden ist, der Wurm und Titan, Massenmensch und Überindividuum, der Gipfel des persönlich Gleichgültigen und durch das bloße inhaltsleere "Gestaltsein" ein inszeniertes Katapultieren des bereits erloschenen Ich in die Transzendenz ist, derer es sich zuvor aufgrund einer Denkreduktion als Selbst wieder versichern will.
Dass daneben die aufgespießten Insekten wie spacige und apokalyptische Rüstungen und Tarnanzügen, wie Zinnsoldaten oder Spielmaterial einer postmodernen Pathologie wirken, die Assoziation zu Hightechwaffen und ScienceFictiongeschichten vom Einfall Außerirdischer in die bürgerliche Gesellschaft sich schnell einstellt, übt einerseits einen total überspannten und dann auch wieder langweiligen Reiz aus. Von der anderen Seite her hat Friedrich Weinreb als Zeitgenosse in einer bestürzenden Klarsicht die Hinneigung zur Allegorie der Insekten samt ihrer Staaten als Unmenschlichkeit und Entmenschung beschrieben.
Der Mangel an persönlich-religösen und ebenso gewissenhaft-ethischen Bezügen (wenn sie auftreten, dann artifiziell, in manierierte postplatonische Dialoge gebettet, die letztendlich haltlose Zelebrationen eines Sujets sind, das nicht mehr in der Tiefe verstanden wird) in diesen Büchern weist sie mE als eine Irreführung suchender Männlichkeit aus. Sie sind sozusagen das Gegenstück zu einem völlig pervertierten Feminismus, wie wir ihn derzeit mit allen Konsequenzen erdulden müssen.
Der Roman" "Heliopolis" ist dagegen eine trotz goldener Masken und ewig strahlender Sonne gespenstische Utopie oder Dystopie - wie immer - in der Weltregierung, Entmenschung, Wahnsinn und totale Verwirrung über Oben und Unten sich überlagern und auf das Fazit hintrudeln, das wir auch sonst aus dem Dunstkreis gewisser Denker der damaligen Zeit kennen: eine elitäre, de-individualisierte Herrschaft als schale Zukunftsaussicht im rosenfingrigen Licht zelebrierter Poesie. Es wird erzählt unter ewig leuchtendem Taggestirn, das eben doch kein leben schaffen oder erhalten, sondern nur beleuchten kann, auch dann, wenn es tot ist, eine Art Filmproduktion in Romanform, und ein weiteres Fazit lautet:
"(Pater Foelix) war der Leichteste, der Freieste von allen; auch hatte er sich dem Dasein zugewandt, das immer möglich blieb, er wusste viel (…). Es war ein Zeichen seiner Stärke, daß er auch auf den Glauben nicht einwirkte. Er liebte alle Menschen und suchte sie zu bekräftigen in ihrem Sein. (...) 'Ihr geht in Reiche, in denen nicht nur der Unterschied der Nationen sich auflöst, sondern in welchen auch das Gemeinte gleich einem Bogen die Trennung der Meinung überbrückt.'"

Maiordomus

1. März 2020 12:40

Es geht bei dieser Jünger-Debatte nicht darum, dass sich allenfalls Jünger-Fans "auf den Schwanz getreten" fühlen könnten, wie vielleicht die einhellige Reaktion gegen @Niekisch vermuten lassen könnte. Es geht wohl die anthropologische Wahrhaftigkeit, um die Anerkennung einer dunklen und irrationalen Seite der menschlichen Existenz. Dies entspricht wohl tatsächlich eher einem "rechten", potenziell kulturpessimistischen Weltbild als einem linken Traum vom guten Menschen, den bei Rückblick auf die Gesamtausgabe der Werk und Briefe selbst ein Rousseau so nie geträumt hat. Die Meinung, die Welt und der Mensch wären gut, gäbe es nicht einige hartnäckig unaufgeklärte, meist Rechte, ergänzt noch durch Fanatiker und Sektierer, ist die Basis einer Zivilreligion, zu der auch die herrschende Meinung über die sog. sexuelle Vielfalt zählt, als deren bedeutendster Apostel und zu seiner Zeit absolut bester Kenner natürlich der Marquis de Sade gehörte. Er war auch der bis heute konsequenteste Verfechter der permissiven Gesellschaft, was um 1968 bis zu Cohn-Bendit eine Zeitlang sogar bei Linken anerkannt war, wiewohl natürlich schon Pasolini die Problematik weit realistischer durchschaut hat.

Mit Rückblick auf Jünger und seine Anthropologie, auch mit Rückblick auf das, was er unter Mut verstanden hat - im Alter nicht ganz dasselbe als in der Jugend - sollten wir tiefer über den Menschen nachdenken. Wenn etwa Martin Sellner einen Timm Kellner wegen seines Justizerfolges gegen Chebli als Helden ansieht, den "höchstpersönlich* zu treffen für ihn wichtiger zu sein scheint als bei der FPÖ endlich ernst genommen zu werden, so glaube ich nicht, dass der junge, mittlere oder ähnliche Jünger auf diese Art Heldentum Wert gelegt hätte; allerdings hat er sich auch nie um Parteipolitik bemüht. Im besetzten Paris hingegen um das Gespräch mit den besten Künstlern und Intellektuellen, die dort noch ausgeharrt hatten. Auch das war, auf andere Art zwar als an der Front im 1. Weltkrieg, auf exemplarische Art mutig. Kellner mag ich seinen Freispruch gönnen. Für einen wirklichen Wandel der politischen und geistigen Verhältnisse repräsentiert er jedoch eine eher hintere Priorität. Seine Überzeugungsarbeit bleibt auf "Gleichgesinnte" beschränkt; suche ich alternative Informationen, schalte ich nicht seinen YouTube-Kanal ein.

Phil

1. März 2020 12:46

Habe nun alle Kommentare gelesen, Maiordomus' "Romane" durchaus interessant.

"Die Eberjagd" war mir neu, muss ich lesen.

Niekisch

1. März 2020 13:05

@ RMH 29.2. 21:26: Bedenken Sie bitte, verehrter RMH, dass sich mein Kommentar v. 29.2. 18:52 ganz konkret nur auf das Zitat aus Jonas Schicks Text bezieht und insofern nur auf die "Stahlgewitter". Hielte ich das Leben und Werk Ernst Jüngers für unbedeutend oder uninteressant, dann hätte ich nicht auch die "Marmorklippen" und "Strahlungen" sowie die "Titanen" irgendwo unter meinen Bücherhaufen, wobei die letzteren deutlich aufzeigen, dass Jünger nicht nur seine Texte variiert hat, sondern zum Lebensende genau wie z.B. mein Vater als alter Soldat ebenfalls schließlich "Paneuropäer" mit Tendenz zum Weltstaat geworden ist, zumindest mit solchen Gedanken gespielt hat. Ruhmsucht unterstelle ich Ernst Jünger schon gar nicht.

Wo ich keinen Spaß verstehe, das ist ein Umschlagen von Spaß in Mordlust und das Begleiten von Mordlust durch Spaßestänze. Im Gegensatz zu Jünger haben mein Großvater und seine Kameraden ihre wenigen spaßigen Momente in der Hölle am Douamont seine Kameraden ihre wenigen spaßigen Momente beim Rattenschießen, Schreiben der Feldpostbriefe oder im Bordell gefunden, nicht beim Töten des Feindes.

Darf ich einen ein kleines Büchlein empfehlen, das realistischer, weil wirklichkeitsgetreuer und literarisch wohl ebenso wertvoll ist wie Jüngers Literatur? Dann lesen Sie bitte von Alexander Moritz Frey: Die Pflasterkästen - Ein Feldsanitätsroman -Gustav Kiepenheuer Bücherei Nr. 52, 1984, 254 Seiten, Preis wenige Euro. Das ist ein Text, der mühelos nahezu alle Mosaiksteine des damaligen Grauens, aber auch der Tapferkeit der Beteiligten aller Seiten zusammenfügt.

Ich gestehe ein, den "Kampf als inneres Erlebnis" noch nicht gelesen zu haben. Das hole ich nach. Aber auch so kann ich das angesichts ständiger Todesgefahr bei Stoßtruppen bestehende Abwechseln zwischen zwanghaftem Ruhe- und Spaßfindenwollenund einem gewissen Blutrausch aufgrund Adrenalinausschüttung bei absoluter Rücksichtslosigkeit nachvollziehen. Ernst Jünger aber war ein gebildeter Mann aus Bildungsbürgertum und immerhin zunächst schon Leutnant, also Vorbild für die Mannschaften. Von einem solchen Mann kann eine nicht ganz niedrig anzusiedelnde "Manneszucht", wie man früher sagte, auch in den extremen Situationen verlangt werden. Sonst hatte er die Stellung verfehlt und ist falscher Berufung gefolgt.

Phil

1. März 2020 16:34

Hm, Niekisch, kennen Sie die Stelle, wo Jüngers Blutrausch gestoppt wird durch einen Engländer, der ihm Photos seiner Familie zeigt, woraufhin Jünger ihn entkommen lässt?

Dass ein junger(!) Krieger im Sturmangriff und Getose der Schlacht in einen Blutrausch verfällt, finde ich nicht verwerflich, ja sogar normal.
Auch für einen gebildeten Leutnant.
Eine Grenze würde überschritten werden bei Angriffen auf Zivilisten.

Man kann Politiker kritisieren, die Kriege anzetteln, ebenso eine Presse, die Kriegspropaganda betreibt. Aber ich finde es nicht fair, einen jungen Krieger Ernst Jünger zu verurteilen, der tatsächlich Vorbild war, und der eben nicht vergaß, dass der Gegner auch ein Mensch war; der um das Wohlergehen seiner Gefangenen besorgt war, der gefallene Gegner begrub usw. Wenn das mal, auch und gerade heute, so selbstverständlich wäre...

Ja, ich fand es auch "schlimm", dass Jünger bereit war, einen Wehrlosen (ich glaube, der oben genannte Engländer hatte Probleme mit seiner Waffe oder etwas ähnliches, und musste sich ergeben) zu erschießen, aber wer sind wir, zu urteilen über jemanden, der in eine Wahnsinnssschlacht geworfen wird, in der es vielleicht – zumal im Sturm – gar keine Option ist, Gefangene zu machen?

RMH

1. März 2020 16:56

Kurze Rückfrage an alle, die im Zusammenhang mit Ernst Jüngers "Stahlgewittern" ständig die Worte "Pathos" oder "pathetisch" verwenden: War ich im falschen Deutschunterricht?

Hier einmal zwei Beispiele für pathetische Berichte aus dem WKI, von mir auf die schnelle der Einfachheit halber aus Wikiblödia kopiert:

"Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangengenommen und sechs Maschinengewehre erbeutet.“ (Kommuniqué der OHL, 11. November 1914)

sowie:

"Der Tag von Langemarck wird in alle Zeiten ein Ehrentag der deutschen Jugend bleiben. […] Wohl fielen an ihm ganze Garben von der Blüte unserer Jugend […]; aber den Schmerz um die tapferen Toten überstrahlt doch der Stolz darauf, wie sie zu kämpfen und zu sterben verstanden.“
– Deutsche Tageszeitung, 11. November 1915.

Das ist pathetisch.

Ernst Jüngers in Stahlgewittern zeichnet sich gerade dadurch aus, auf irgendwelche Ergriffenheits- und einseitige Patriotismusformeln weitestgehend zu verzichten. Es wird nicht umsonst literaturgeschichtlich gerne auch in die Linie der neuen Sachlichkeit eingeordnet. Jüngers Absicht war es gerade, unpathetisch und realistisch zu schreiben. Ja diese Art der z.T. emotionslosen, mithin unpathetischen Schilderung, trug ihm den Vorwurf ein, er würde Krieg "ästhetisieren" (was auch immer damit gemeint sein soll - es trifft nicht). Den Schreibstil mag man dann eher teilweise als artifiziell betrachten (aber wie hätte er es auch groß anders beschreiben sollen?), aber pauschal immer etwas von "pathetisch" bei einem der unpathetischsten Schriftsteller Deutschlands überhaupt zu schreiben, befremdet mich dann doch sehr (wie immer, keine Regel ohne Ausnahmen: In manchem Vorworten zu einzelnen Ausgaben. Da findet sich meiner Meinung nach schon Pathos - das macht aber nicht den Haupttext und Wesenskern des Buches aus, insbesondere Vorworte werden gerne auch aus Verleger- Sprich: Vertriebsinteressen heraus geschrieben. Remarque jedenfalls äußerte sich positiv über "In Stahlgewittern" und das mag als Referenz für die Güte des Werkes genügen).

Und wer wirklich einmal ad Fontes gehen will, der greife zu den original Tagebüchern, die von Helmuth Kiesel unter dem Titel "Kriegstagebuch 1914-1918" herausgegeben wurden (klarer Lesetipp für alle, die sich mit den Thema WK I beschäftigen).

Da findet sich kein Blutrausch sondern auch - wie im Roman selber - viel festgehaltene Langeweile. Jünger selber sagte einmal, nirgends in seinem Leben habe er so viel gelesen, wie im ersten Weltkrieg. Diese Teile darf man gerade nicht weglassen.

@niekisch,
evtl. ist es eine Ironie des Schicksaals, dass ausgerechnet E. Jünger vom einem einfachen Gefreiten 1918 unter Aufopferung dessen eigenen Lebens gerettet wurde. Er würdigte seinen Retter, Ludwig Hengstmann, der bei der Rettung von E. Jünger erschossen wurde, entsprechend im Buch und E. Jünger stand sehr lange mit dessen Bruder in Kontakt (dessen Sohn wiederum wirkte nach meiner Kenntnis lange Jahre als Arzt in Westdeutschland). Ein Bild von Ludwig Hengstmann, welches E. Jünger aufbewahrt hat, ist heute noch in Wilflingen zu sehen.

Maiordomus

1. März 2020 17:17

@Jünger in Paris. Es dürfte klar sein, dass seine Kontakte in Uniform mit den besten Künstlern und Intellektuellen natürlich von seiten der Besatzer erwünscht waren und er sich in dieser Hinsicht keinem unproportionalen Risiko aussetzte; nur ist ebenfalls klar, dass Jünger als uniformierter Gesprächspartner mit irgendeinem Idioten von IM bei der Stasi in keiner Weise je zu vergleichen war. Im Prinzip führte Jünger genau die Gespräche, die er als freier Mann mit diesen Leuten auch geführt hätte, nicht um sie auszuhorchen, sondern um mit ihnen gerade unter diesen Bedingungen den Ernstfall des Gesprächs zu führen. Wobei bei Jünger "Widerstand" nicht der Ernstfall gewesen sein konnte, schon weil für ihn ein ganz anderer Krieg stattfand als derjenige, über den herkömmliche Reporter berichteten und der jetzt auch in den Geschichtsbüchern "steht"; eher ging es um das, was auch nach dem Ende des Krieges die grosse Perspektive sein könnte, sozusagen das "Planetarische". Und dass Jünger je ernsthaft an den "Endsieg" geglaubt hätte, schliesse ich eher aus. Hingegen war es seine ernst zu nehmende Auffassung, dass das Schlimmste am 1. Weltkrieg war, "dass wir ihn verloren haben", so wie auch Solschenizyn im 1. Weltkrieg das Schicksal Russlands gesehen hat. Das sind nun mal ganz andere Horizonte als was Sie im Fernsehen über diese Kriege vorgequatscht bekommen.

Zu Paris 1941 usf. und seine Gespräche mit Intellektuellen und Künstlern. Wenn ich Jünger in diesem Zusammenhang Mut attestiere, dann nur so weit, als er mutmasslich in praktisch allen Kontakten die er führte, "Jünger selber" geblieben sein dürfte. Dies schliesst gerade bei ihm einen Rest von Undurchschaubarkeit nicht aus.

Meine oft schnell geschriebenen Debattenbeiträge enthalten oft Verschreiber wie den Befund, dass sowohl bei Berichten über Ehe/Sexualverhalten wie auch bei solchen über den Krieg gilt: "Eine weniger verlogene Darstellung hätte entsprechend m e h r Probleme gebracht." NIcht wie ich rein versehentlich schrieb, weniger Probleme. So wie Jünger über den Krieg schrieb, schrieb Rousseau fast 200 Jahre vorher über seine Praxis der Onanie; die Autoren hätten weniger Ärger gehabt, wenn sie sich nicht derart preisgegeben hätten. Aber so geht es einem halt, wenn man weltliterarisches Neuland erschliesst.

Von grosser Bedeutung bleibt, @Niekisch, dass Autoren auch Haltungen und Verhaltensweisen, mit denen sie sich später kompromittieren würden, nicht einfach verleugnen. Bei aller Einmaligkeit der Persönlichkeit Jünger war er nun mal für den Typus, den er damals verkörperte, einschliesslich der "Gestalt", nun mal repräsentativ, was er auf seine Weise im Text und sogar auch den weiteren Überarbeitungen zu stilisieren versuchte, wobei es ihm aber eher um ästhetische als um historische Wahrheit ging; als Historiker weiss ich gut genug, dass man Berichte wie diejenigen Jüngers nur in Begleitung mit anderen Quellen überhaupt punkto Quellenrang einschötzen kann; ich bin übrigens für Ihre weiteren Lesetipps sehr dankbar, so wie ich seinerzeit als Lehrer die Stahlgewitter natürlich nur parallel mit "Im Westen nichts Neues" von Remarque lesen liess, ohnehin nur bei "freiwilligen" Lesern, die z.B. an Abitur die beiden Büchern zu vergleichen hatten, und zwar textlich, nicht via Besserwissen nach Kriterien politischer Korrektheit. Die beiden Bücher zusammen ergaben, ergänzt durch eine Exkursion auf den Hartmannsweilerkopf, die Basis für ein einigermassen reifes Urteil.

Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen @Niekisch, die schriftstellerische Intention Jüngers betreffend die "Stahlgewitter", die Weiterentwicklung inbegriffen, wirklich klar geworden ist. Das ist auch eine äusserst schwierig interpretatorische Aufgabe, schon weil man annimmt, dass Bearbeitungen von Erinnerungswerken grundsätzlich darauf ausgehen, den Verfasser auf Dauer vor der Nachwelt besser dastehen zu lassen und ihn insbesondere etwa moralisch möglichst gut dastehen zu lassen. Ob dies Jüngers Absicht bei den Bearbeitungen gewesen ist, scheint mir zweifelhaft. Es ist aber auch klar, dass von herkömmlicher Protokollgeschichte (so weit es das gibt) bei ihm nicht gesprochen werden kann. Nicht einmal beim Protokoll seiner Protokolle, in "Strahlungen", 2. Pariser Tagebuch, der Hinrichtung des deutschen Fahnenflüchtigen, dessen sanftes junges Gesicht dem Beobachter nicht entgangen ist und für dessen Handeln und Schicksal weniger Politik als eine Liebesgeschichte eine Rolle spielt; eine Frau, die vermutlich nach der "heroischen Befreiung" geschoren wurde, was zwar im Augenblick von Jüngers Niederschrift nicht auch noch als Zukunftsperspektive mit hinein gebracht werden konnte. Ich bin mir also leider nicht sicher, ob Sie Jünger wirklich realistischer sehen als Ihre Kritiker hier. Hingegen würde ich nicht ungern Ihre Buchtipps betr. den 1. Weltkrieg lesen. Ich glaube Ihnen, dass andere "vernünftiger" geschrieben haben als Jünger und dass schon Ihr Vater und natürlich auch Sie selber sich mit diesen Berichterstattern besser identifizieren können. Nur schliesse ich leider aus, dass einer der von Ihnen Genannten mit seinen seriösen Texten für die Geistesgeschichte des 1. Weltkrieges in Deutschland eine ähnliche Bedeutung erlangen kann wie die Werke von Jünger und Remarque; wobei Jünger nachweisbar weniger "Tendenz" hat als der genannte im Tessin verstorbene Kramer. Jünger schrieb nun mal keine Antikriegsromane, so wie er im Gegensatz zu Oswalt Kolle nun mal auch keine Gebrauchstexte zu Sexualaufklärung oder ähnliche Sachbücher verfasste. Nicht mal, wenn es um Käfer ging! Ich hoffe, @Niekisch, Sie verstehen mich, so wie ich Sie nicht nur zu verstehen glaube, sondern wirklich achte.

Fritz

1. März 2020 18:08

Kleine Ergänzung: Zwei besonders gelungene literarische Verarbeitungen des I. Weltkrieges sind (aus meiner Sicht):

"Schipper an der Front" von Martin Beradt.
https://www.amazon.de/Schipper-Front-Martin-Beradt/dp/3921523753

https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Beradt

Beradt erzählt von seinen Erfahrungen als Schanzsoldat. Er war einer von denen, die die Schützengräben aushoben. Eine ganz andere Perspektive, ohne große Schlachten.

Und 2.: "Good Bye to all that" von Robert Graves

https://en.wikipedia.org/wiki/Good-Bye_to_All_That
https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Graves

Graves war englischer Soldat aus einer deutschstämmigen Familie und erzählt die Kriegserfahrung aus englischer Sicht, im nüchternen spöttischen Stil der Angelsachsen, ein ziemlicher Kontrast zu Jünger.

Er berichtet z.B., dass die meisten englischen Soldaten lieber zusammen mit den Deutschen gegen die Franzosen gekämpft hätten.

Sehr lesenswert.

Franz Bettinger

1. März 2020 18:46

@Zeitschnur und @Niekisch: Jüngers nachträgliche Retouchen (autokorrigiert: Retuschen) verfälschen das Beschriebene nicht; sie sind Verbesserungen, gelungene Vertiefungen des Geschehens und Empfindens. In den Retuschen wird nichts beschönigt, nichts ausgelassen oder „zum Besseren“ hin korrigiert. (Bin allerdings kein Jünger-Experte; man mag mich da korrigieren.)

Maiordomus

1. März 2020 20:20

Cycindela juengeri juengerorum
(Ernst Jünger und die Käfer sowie ein Gedicht des 20-Jährigen von der Front (Douchy) an seine Mutter)

@Zeitschnur. Gehe ich recht, dass Sie die weitere Rezeption von Jüngers Käferbuch, etwa vor kurzem durch Bernhard Kegels faszinierende Studie "Käfer" mit der "Geschichte des ungeheuren Formenreichtums der Käfer und ihrer biologischen wie symbolischen Kraft" (2019) etwas weniger verfolgt haben? Und sich auch über Jüngers Käfersammlung bisher noch kein ausreichend begründetes Urteil gebildet haben - auch als Basis eines sachgerechten Urteils für Jüngers diesbezügliche Publikationen? Ich fürchte, die von Ihnen genannten Projektionen sind bei Ihnen wohl nun mal Reduktionen. Auszugehen wäre gemäss Jünger von "Typus, Name, Gestalt", und was der Autor da richtig gemacht hat und was allenfalls falsch. Dazu gibt es auch unter Fachleuten Meinungsverschiedenheiten. Aber in Sachen der von Ihnen unterstellten anthropomorphen und anderen Übertragungen scheint mir der Unterschied bei den Darstellungen von Tieren sagen wir mal bei Ernst Jünger im Vergleich zu Walt Disney, selbst noch zu den Fabeln von Äsop, gigantisch. Sie machen sich die Kritik, auch ohne Disney und Co. zu nennen, wohl etwas einfach. Jünger befasste sich über 70 Jahre lang durchschnittlich 20 Minuten pro Tag mit Käfern. Er hätte Ihnen auf Ihre Bemerkungen, die er längst vor Ihnen dann und wann vielleicht bis zum Überdruss zu hören bekam, geduldig geantwortet und Sie spüren lassen, dass es bei seiner Beschäftigung mit diesen Tieren noch 96% andere Gesichtspunkte gibt. Selber bedaure ich, dass eine mir bekannte weltweit führende Spitzenwissenschaftlerin, Entomologin und Agrarspezialistin, mit Ernst Jünger zur Thematik der Schädlingsbekämpfung leider nicht mehr ins Gespräch kommen konnte. Das wäre jenseits von Polemik lehrreich und spannend geworden und mutmasslich eine echt ergebnisoffene Diskussion auf Niveau Weltspitze auf Gegenseitigkeit. Für ökologische und planetarische Gesichtspunkte dieses entomologischen Mikrokosmos mit 25 000 Sammelstücken vermute ich bei Ihnen als virtuelle Gesprächspartnerin von weiland Jünger ähnliche Probleme wie möglicherweise bei Bundestagsabgeordneten der Grünen, die auf diesem Gebiet gemäss demoskopischen Erhebungen zwar als kompetent gelten. Das wiederum ergäbe aber, wie zu befürchten steht, statt eines platonischen Diskurses leider eher Stoff für eine wissenschaftlich-politische Satire. Nämlich: Lieber in grüner Unschuld keinen Käfer wirklich kennen als deren 25 000 mit dafür falscher Gesinnung! Wo kämen wir da hin?

@Niekisch. Ehrlich gesagt habe ich in den letzten 15 Jahren keinen Gesamtvergleich der zum Teil neu zum Vorschein gekommenen Versionen der "Stahlgewitter" gemacht. Es ist gut möglich, dass sich mein Urteil darüber noch verändert. Es bleibt aber dabei, dass die Jünger belastenden Sachverhalte nicht forensischer, sondern literarischer Natur sind. Zu dieser Ausgangslage gibt es ein deutsches Gerichtsurteil über eine von der Witwe nicht akzeptierte Beschreibung der Leiche Friedrich Dürrenmatts durch den Autor und für seine präzisen Beobachtungen und Recherchen bekannten Journalisten Hugo Loetscher. Dessen Aufzeichnungen wurden gerichtlich als "Literatur" klassiert und insofern weder verifiziert noch falsifiziert. Aussage gegen Aussage blieb also bestehen. Bei Dürrenmatt wiederum gibt es einen Kriminalroman, bei welchem in einer Gaststätte ein Literaturkritiker (vgl. noch den späteren Roman v. Martin Walser: Tod eines Kritikers) vor aller Augen erschossen wird und der Täter dann am Ende doch nicht der Täter gewesen sein soll. Das ist nun mal das Problem bei literarischen Texten. Bei "In Stahlgewittern" und "Im Westen nichts Neues", von der Textsorte her als literarische Erzeugnisse zwar verschieden, handelt es sich in beiden Fällen um "Literatur". Ein endgültiges historisches Urteil ist damit nicht zu verwechseln. Es muss vorbehalten bleiben. Insofern kann ich Ihnen auf dieser Ebene nicht endgültig widersprechen. Diesen Abend nehme ich mir aber noch Ernst Jüngers "Kriegstagebuch 1914 - 1918" vor, welches ich seit bald 10 Jahren nicht mehr in der Hand gehabt habe. Auf Anhieb ist mir freilich gleich ein Gedicht aufgefallen, "Meiner Mutter zugeeignet" von "Ernst Jünger Leutnant 2/73", der Verfasser war damals 20 Jahre alt, würde heute wohl sogar ohne Migrantenbonus mehr oder weniger als Jugendlicher gelten. Das war damals natürlich nicht der Fall:

1. Mein Tagebuch. Was auf die weissen Seiten
Mit krauser Schrift ich kritzeln werde
Noch ruht's im dunklen Schoss der Zeiten
Ein kleines Schicksal auf der grossen Erde.

2. Noch tobt der Kampf. Nur Todesnot und Grauen,
Stahlhärte gegen blutge Schmerzen
Wirst du in diesen Blättern schauen,
Und stille Hoffnung wunder Menschenherzen.

3. Doch still davon. Ich kann es wohl ertragen,
Mich reizt die wilde Schönheit der Gefahr.
Hier wirst Du lesen, wie ich mich geschlagen,
Und wenn ich fiel, dass es in Ehren war.

Douchy, den 26.1.16
Jünger

(PS: Jünger verwendete für weiss, gross, Schoss und dass natürlich Doppel-s, was in meinem Apparat für diesen Blog hier derzeit nicht vorhanden ist.)

zeitschnur

1. März 2020 21:34

@ Maiordomus

Da geht wohl ein Gaul mit Ihnen durch in Ihrer wortreichen, mit Unterstellungen gespickten und herablassenden, aber nichtsdestoweniger im Sinne einer sachlichen Entgegnung leider ganz inhaltsleeren Entgegnung an mich. Ihre ständigen Verweise auf lebende und tote, Ihnen natürlich meist persönlich bekannte Autoritäten, die mir ganz sicher das Maul gestopft hätten, wobei auch hier wieder nichts Sachhaltiges kommt, versetzen mich in die Spannung nun endlich etwas Handfestes zu hören, es kommt aber leider nichts. Ihre Fantasien über Grüne und das, was ich gefühlt - in Ihrem Gefühlshaushalt wohlgemerkt - in deren Sinne meinen könnte: also pardon, verehrter Hausmeier, das ist wirklich unter der Gürtellinie. Ich bitte um Mäßigung und einer Wiederauffindung der ad rem-Ebene. Ich akzeptiere, dass ich Sie provoziert habe mit meiner Aussage, das ist keine Frage, aber bitte bitte entgegnen Sie mir fair und nicht so "angeberisch". Im übrigen ist es legitim, dass man als Leser auch ohne nun die gesammelte Sekundärliteratur zu Jüngers Käfersammlungen rezipiert zu haben, ganz bestimmte Assoziationen hat bei dieser Lektüre. Ich sprach ja auch nur von Assoziationen.

Laurenz

1. März 2020 21:35

@Niekisch ..... Sie erlauben, wenn ich Ihnen widerspreche. Die meisten sinnlosen Verluste im I. Weltkrieg entstanden durch Überforderung der Generalsstäbe an der Westfront, und das auch nur dann, wenn man den Krieg nicht auf der politischen Ebene in Frage stellt. Dort stellte sich ebenso auf Seite der Mittelmächte das Versagen ein, durch eine Abkehr von Bismarcks Überlegungen und dem Beharren der Habsburger auf dem Berliner Abkommen. Es starben in Deutschland mindestens eine halbe Mio. Zivilisten, wenn nicht mehr, am britischen Holodomor der Blockade. Macht es für die Toten einen Unterschied, ob sie verhungerten oder im Schützengraben zu Tode vegetierten? Wo bleibt da Ihre Ritterlichkeit? Im II. Weltkrieg starben die meisten Menschen an unserer Ostfront, Deutsche wie Rotarmisten, eine Tragödie kolossalen Ausmaßes, bis heute ganz ohne literarische Meisterwerke. Dort galten weder Landkriegs-Abkommen noch Genfer Konventionen, weil Lenin schon nach der Machtergreifung der Bolschewisten überall austrat.
Mein Großvater (*1908), mütterlicherseits, war Sanitäter hinter der Ostfront bis 1942, Partisanen-Jagd. Die Geburt Seines 5. Kindes, einer meiner Onkel, rettete nach meines Großvaters Aussage Sein Leben und Er durfte nachhause, dann Polizei- und Sanitätsdienst in Würzburg. Das war gewiß kein Krieg nach irgendeinem Abkommen, auch wenn mein Großvater verletzte Partisanen versorgte. Das "Pardon" aus den napoleonischen Kriegen ist doch nur eine Ritter-Erzählung der Neuzeit und wenn, für Offiziere geltend. Ohne eine einzige Schlacht zu führen, verlor Bonaparte 1812 während des Rußland-Feldzugs locker die Hälfte der Grande Armée (insgesamt gut 600.000 Mann mehrerer Nationen) an Krankheiten, Hitze und schlechter Versorgung, da Bonapartes übliche Versorgung aus dem Land nicht funktionierte und die französischen Offiziere wenig Erfahrung mit Logistik hatten.

Man muß auch nicht die Kanu-Abenteuer @Franz Bettingers erlebt haben. Ich, als rechter Hedonist, wurde in 2010 sterbenskrank, seltene Lungenentzündung kombiniert mit einer Rippenfell-Entzündung. Nach 3 Metern gehen, fiel ich um, konnte nicht mehr liegen, nur noch schlecht sitzen. Der Chef der Internen in Bad Homburg konnte mir nicht mehr helfen, schickte mit zu einem Lungenfacharzt-Kollegen nach Hofheim, der mich kurz vor knapp von der Schippe holte. Seitdem ist jedes erlebte Jahr ein geschenktes, unerwartet, und Sie, Niekisch, müssen meine Kommentare auf SiN ertragen. Ist das nicht kleines Schicksal, selbst wenn auch hier "Regeln" gelten?

links ist wo der daumen rechts ist

2. März 2020 00:47

„Unlesbarkeit dieser Welt. Alles doppelt.“

Ich hoffe sehr, daß dieser Kommentarstrang noch ein paar Tage geöffnet bleibt; die Jünger-Debatte ist denn doch zu wichtig – und einiges will nachgelesen werden.

Deshalb fürs erste ein paar verstreute Hinweise.

Als einen möglichen Einstieg in das Werk Jüngers halte ich Karl Heinz Bohrers Klassiker „Die Ästhetik des Schreckens“ immer noch für wesentlich (wenn es auch fast ausschließlich um die beiden Fassungen von „Das Abenteuerliche Herz“ geht, aber mich zumindest hat er so gewonnen), daneben die großartige Einleitung von Stephan Schlak im Katalog zur Jünger-Ausstellung in Marbach 2010/11 (hier finden sich auch Interviews mit Bohrer und Lethen); von Letzterem empfehle ich auch alle (verstreut erschienenen) Arbeiten zu Jünger, insbesondere die mit Hinweisen auf Jüngers Essay „Über den Schmerz“.

Damit zusammenhängend lese ich Jünger nicht isoliert, sondern immer im Geviert-Zusammenhang mit Schmitt, Heidegger und Benn (die sog. „Bad Boys des Konservativismus“), wobei ja Schmitt bekanntlich mit seinen erfolgreicheren Kollegen im „Glossarium“ hart ins Gericht ging.
Denn was man als dem von Jünger im „Abenteuerlichen Herz“ skizzierten „stereoskopischen Blick“ allein ihm zuschreibt, gilt auch für die anderen drei (bei Heidegger, gebe ich zu, ist der Nachweis etwas mühsam). Wobei ich eher von einem Stil der Verdopplung reden würde.
Für Benn verweise ich einmal mehr auf die einschlägige Arbeit von Lethen, für Schmitt auf dessen schmales Büchlein „Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel“, für Heidegger auf die Fragestellungen in einem der besten Einführungen in sein Werk, James Demskes „Sein, Mensch und Tod. Das Todesproblem bei Martin Heidegger“ - und für Jünger neben dem o.a. stellvertretend ein – lebensgeschichtlich-retrospektives - Zitat:

„Die Zahl Zwei hat in meinem Leben eine besondere Rolle gespielt. Ich habe zwei Weltkriege erlebt, zweimal den Halleyschen Kometen gesehen. Ich habe zwei Söhne überlebt. Mein geistiger Zwillingsbruder war Friedrich Georg. Vor allem zwei Ehen – ich wurde mit Gretha in der Leipziger Thomaskirche, mit Liselotte im oberschwäbischen Heiligkreuztal getraut. Nun hat sich für mich der Zyklus von fünfzig Jahren wiederholt.“ (Aus einer Festrede zu seinem 100. Geburtstag.)

Inhaltlich gäbe es noch viel zu sagen, ich belasse es für heute bei diesen Andeutungen; das ungedankte Kommentariat mit uns Holzklasse-Passagieren soll ja nicht zur Lebensaufgabe verkommen.

@ Maiordomus
Die untergründigen Verbindungen zu Canettis Animismus in „Masse und Macht“ einerseits wie auch die im „Abenteuerlichen Herz“ beschriebenen unheimlichen Großstadterfahrungen zu Werken wie Doderers „Dämonen“ oder sogar Kracauers Berlin-Aufsätzen („Die Unterführung“) andererseits müßte man bei Gelegenheit genauer durchleuchten.

@ zeitschnur
Wie meistens haben Sie mit Ihren pointiert verfassten Vereinseitigungen irgendwie nicht ganz unrecht; die Frage ist nur, ob die Betreffenden wirklich so einseitig geschrieben haben (s.o.).

@ Niekisch
Dank für Ihre Entgegenhaltung und den Hinweis auf Alexander Moritz Frey.
In einer früheren Debatte habe ich Hermann Löns‘ Kriegstagebücher beigesteuert (und ausgiebig daraus zitiert).

@ Bettinger
Mit Verlaub, nicht jede Grenzerfahrung hat mit der Todesangst im Krieg zu tun.
Und zum Thema der Überarbeitungen zitiere ich aus Sieferles Jünger-Kapitel in seinem Buch über die KR:

„Da Jüngers Werke in zahlreichen Fassungen vorliegen, die von Auflage zu Auflage verändert wurden, wird hier durchweg nach der jeweiligen 1. Auflage zitiert. Jüngers Werkausgaben sind für historische Zwecke unbrauchbar!“

Maiordomus

2. März 2020 07:01

@Zeitschnur. Noch zu Jünger als Käferkenner. Die nach Jünger benannte Unterart Cicindela (nicht Cycindela) juengeri juengerorum - es sind noch weitere Käfer-Species nach ihm benannt - wird systematisch zu den Sandlaufkäfern eingeteilt, welche keineswegs nur in exotischen Ländern vorkommen. Für Jüngers frühe Ansätze der diesbezüglichen Beschäftigung als "Dilettierender" im Sinn von Goethe war u.a. das Standardwerk von Reitter "Die Käfer des deutschen Reiches" (Stuttgart 1908), in welchem die Untergattung Cicindela schon ziemlich ausführlich behandelt ist. Der Begriff des "Dilettierens", als der Beschäftigung mit einem Gegenstand aus Liebe zu demselben, ist unter einem gewissen Gesichtspunkt auch Ausgangspunkt von Goethes Naturwissenschaften. Er hat nachweisbar einen anderen, immerhin als phänomenologisch zu bezeichnenden erkenntnistheoretischen Ansatz als etwa Isaac Newton in Sachen Farbenlehre. Wie weit Jüngers Käferkunde eher Goetheschen als scientistisch-naturwissenschaftlichen Ansätzen entspricht, kann hier nicht weiter erörtert werden. Sicher ist, dass Reitters Käferkunde des deutschen Reiches noch der traditionellen Linnéschen systematischen Biologie entspricht. Ob Jünger dieses wichtige und beliebte Buch schon als Dreizehnjähriger kennengelernt hat, ist mir nicht bekannt. In diesem Alter schaffte ich mir Peterson, "Die Vögel Europas" an, eine anregende Basis für lebenslange Freude an der Natur und ihren vielfältigen Erscheinungen, wie Goethe sagen würde. In der Geschichte des naturwissenschaftlichen "Dilettantismus" nimmt der Autor Jünger eine absolute, wohl mit keinem anderen Autor vergleichbare Sonderstellung ein. Friedrich Hebbel äusserte sich indes ziemlich höhnisch und natürlich in diesem Sinn auch literarisch inkompetent über Käfer, mit deren Beschreibung Stifter den Leser langweile. Wer hier allerdings als Kritiker an seine geistigen Grenzen gekommen ist, scheint mir offensichtlich. Es ist wohl immer wieder beschämend, sich gegenüber einem grossen Geist einzugestehen, dass man selber möglicherweise ein Zwerg sein könnte, im herkömmlichen volkstümlichen Gebrauch dieses Wortes aus der Elementargeistermythe.

t.gygax

2. März 2020 10:18

Kleine Anmerkung zu Weltkrieg I Literatur; als Anregung zum Lesen Werner Beumelburg, "Die Gruppe Bosemüller". Ist allerdings nur noch antiquarisch zu haben. Sowohl Literatur (aber viel härter und geerdeter als bei Jünger) als auch schlichter Zeitzeugenbericht (viel ehrlicher als das auf Sensation und Sentimentalität getrimmte Werk von Remarque, der übrigens später nur noch wirklich triviales Zeug schrieb und viel Geld damit verdiente, entsprechend standesgemäß im Tessin lebte.)

RMH

2. März 2020 10:53

„Da Jüngers Werke in zahlreichen Fassungen vorliegen, die von Auflage zu Auflage verändert wurden, wird hier durchweg nach der jeweiligen 1. Auflage zitiert. Jüngers Werkausgaben sind für historische Zwecke unbrauchbar!“

@links ist wo der daumen rechts ist,

da möchte ich doch dem Herrn Sieferle leicht widersprechen (auch wenn er im Grunde durchaus recht hat, mit dieser stringenten Herangehensweise), denn man verpasst damit einiges, insbesondere das, was außerhalb des Klett-Cottaschen Werkausgabe noch zusätzlich posthum erschienen ist. An die oben bereits erwähnten "Kriegstagebücher 1914-1918" (mittlerweile meiner Meinung nach fast wertvoller, als das daraus gewonnene "In Stahlgewittern") sowie an die Ausgabe "politische Publizistik 1919-1933" sei hier besonders erinnert . Aktuell erschien "Gespräche im Weltstaat", in dem Interviews und Dialoge gesammelt wurden. Und was hätten die E. Jünger Anhänger denn weniger zu diskutieren, wenn es nicht gleich 2 Fassungen des "abenteuerlichen Herzens" gäbe?

Zudem: Der gewisse Fankult um E. Jünger hat die Erstausgaben schon immer in preislich exorbitante Höhen getrieben (das wurde in der Nachkriegszeit durch entsprechende Vorzugs-Ausgaben marketingtechnisch auch bewusst ausgenutzt). So viel "retuschiert" und herumgedoktert wurde in der Masse der Werke meiner Meinung nach nun auch wieder nicht.

Von daher, Hauptsache lesen, als Nicht-Literaturwissenschaftler wird man meiner Meinung nach um nichts ernsthaft betrogen mit einer späteren Auflage.

Und es ist doch schön, wenn der gute Ernst Jünger auch heute noch zu unterschiedlichen Meinungen führt - wie hier im Debattenstrang zu sehen ist.

Hier noch einmal etwas aus dem SiN Archiv von einem der Referenten der anstehenden Veranstaltung:

https://sezession.de/2240/ueber-juenger-zur-philosophie

Niekisch

2. März 2020 11:12

"Nehme an, Sie waren nie an der Front. Gemeint ist: irgendeine Front, irgendeine Grenzsituation".

@ Franz Bettinger .3. 2:56 +6:01+18:46: Es interessiert mich, woraus Sie das schließen. Darf ich es erfahren?
Ich komme Ihnen ein wenig entgegen: Aufgrund eines Sturzes beim 100m - Zieleinlauf des Sportabi wurde ich ein paar Tage später auf Krücken zur Musterung humpelnd sofort der Ersatzreserve II zugewiesen. Ich hätte den Wehrdienst an der Waffe aber ohnehin verweigert, weil damals noch deutsche Soldaten zu Unrecht von den Alliierten eingekerkert waren. Dafür habe ich ab September 1965 an anderen Fronten gestanden: an der berüchtigten Cantate-Saal-Schlacht in Frankfurt teilgenommen, war einer Schießerei betrunkener US-Soldaten am Studienort Gießen in einem Hinterhof ohne Fluchtweg ausgesetzt, geriet in Schwabach bei einer rechten Großveranstaltung in einen Hagel von Pflastersteinen durch die Antifa, mußte trotzdem hindurch und wurde verletzt. 1970 bei der Demo der Aktion Widerstand in Bonn am "Pützchens- Markt holte ich eine alte Frau, die durch Polizeireiter in eine Stacheldrahtabsperrung gedrängt worden war, unter Schlägen mit Polizeiknüppeln heraus und wurde auch dabei verletzt, kurz darauf beim Durchbrechen einer Polizeikette in den Unterleib getreten und anschließend in der Fußgängerzone mit Kameraden herausgerissenen Betonplatten beworfen. Keinerlei Vergleich mit Ernst Jüngers Schicksal, aber lehrreich und die eigene Meinung für später festigend.

Inwiefern habe ich Szenen aus dem Zusammenhang gerissen? Nachweis erbeten.

Einen Helden, den Otto Normalo versteht, müssen wir uns nicht gegenseitig aufzeigen. Die meisten Helden waren die Normalos, deren Schicksal fast niemand je erzählt hat. Sie taten im Stillen ihre Pflicht.

"Es handelt sich bei all dem, wie Jünger ehrlich und richtig beschreibt, um ein Abenteuer. Das ist etwas Lebensgefährliches, dessen Ausgang völlig offen ist" Das sehe ich anders: wir sind hier nicht bei Karl May. Die Schlächterei in den Gräben des I.WK mit der ersten Maschinenpistole, dem "Grabenkratzer" (!) ist nicht mit bungee-jumping oder Wildwasserfahrten vergleichbar. Damit will ich Ihre gefährlichen Abenteuer nicht abwerten oder gegen eigene aufrechnen. Jeder hat im Laufe des Lebens Erlebnisse am Rande.

Was Jünger jeweils wann und wo textlich verändert hat (und damit dem Zeitgeist/der Verkäuflichkeit wegen?) angepasst hat, mögen unsere Experten hier belegen. Ich meine nach wie vor sagen zu müssen, dass der erste, unverfälschte Eindruck in Schriftform wiedergegeben wohl am authentischsten ist.

Noch ein Hesse

2. März 2020 11:19

Auch noch zum Thema WK1-Literatur: A. Zweigs "Erziehung vor Verdun" - oder hat das hier sowieso jeder gelesen? Ich bin erst vor einigen Monaten darüber gestolpert (als Empfehlung hier im Forum ...) und habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie dieses Werk 43 Jahre lang an mir vorbeigehen konnte. -
Ansonsten: So sehr ich Jünger verehre (und so wenig "Mordlust" ich in den "Stahlgewittern" und Tagebüchern finde) - was halten meine Mitforisten eigentlich von Jack Donovan? Ich finde ihn sehr, sehr interessant und bin Jonas Schick sehr dankbar für diese Entdeckung.

Niekisch

2. März 2020 12:05

@ RMH 1.3. 11:12: Hinsichtlich der Stelle aus dem Tagebuch, die Sie zitieren, wäre interessant zu erfahren, in welchem größeren Zusammenhang sie steht. Diskutabel jedenfalls sind seine Thesen: Liegt das Labyrinthische neben ggflls gespaltener innerer Anlage nicht auch in den Zick-Zack-Gräben der uns umgebenden Außenwelt? Wieso müssen wir (mit Nietzsche?) steigen? Was ist im menschlichen Leben überhaupt ein Steigen? Kann einer steigen, indem überhaupt keine Leiter angelegt ist? Wie korrespondiert das Ganze mit der Problematik der Willensfreiheit nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis?

Zum 20. Juli möchte ich als advocatus diaboli fragen, welche Verbindungen Ernst Jünger im Schlangennest Paris zu den Landes- und Hochverrätern um Speidel wirklich hatte. Bricht der lupenhaft beobachtende Anarch nicht vielleicht seinen Eid, wenn er die jungen Panzersoldaten im Bereitstellungsraum Paris einerseits in die Hölle der Invasionsfront rollen läßt, während in ihrem Rücken Komplotte geschmiedet werden, die angesichts der alliierten Festlegung auf unconditional surrender wohl keine Aussicht auf Erfolg hatten?

Ernst Jünger hat sich nicht vor den NS-Karren spannen lassen? Immerhin hatte er den Eid auf den Führer geschworen, trug bis zum Schluss die Uniform mit dem Hoheitszeichen, kassierte den nicht geringen Sold, nahm die Vergnügungen der Etappe mit. Demgegenüber lag mein Vater in dieser Zeit unter amerikanischem Feuer am Flugplatz Le Bourges beim Paris und hatte seinem Chef vor versammelter Mannschaft ausrief: "Ihr habt jetzt keine eigene Meinung mehr, es geht um alles!," worauf mein Vater vor allen erwiderte: "Ich habe mich freiwillig gemeldet, aber nicht, um meine Meinung aufzugeben". Es passierte ihm rein gar nichts, der Kampf ging weiter.

"Verbrechen an den Juden auch nicht ansatzweise in Frage gestellt".. abgesehen davon, dass das strafbewehrt ist, dürfte es nicht viele Rechte geben, die das den Juden geschehene Unrecht vollständig in Abrede stellen. Nur wenige sind sog. Revisionisten. Wir sollten da die "alte Rechte" nicht zu sehr in Misskredit bringen. Ich persönlich beschäftige mich gerade mit den Schicksalen von Luise Löwenfels und ihrer Mitschwester Edith Stein. Nach meinen Forschungsergebnissen ist ein anderer Tod als durch die große Typhusepidemie 1942 höchst zweifelhaft, aber nie werde ich es behaupten, ich wundere mich nur, und das ist nicht strafbar. Auch Ernst jünger hätte sich zumindest wundern können und dürfen.

Hinsichtlich des Begriffs "Pathos" stimme ich zu und bezüglich der Rettung Jüngers durch einen geringer oder gar nicht dekorierten und rangmäßig niedriger klassifizierten Kameraden fühle ich mich in meiner Ansicht bestätigt, dass gerade im deutschen Heer des I.WK überragende Organisation, Einsatzbereitschaft, stille und duldende Tapferkeit gepaart mit altgermanischem, noch durchschimmerndem Furor, aber auch selbstlose Hilfsbereitschaft stets bis zum Schluss fast ohne wirkliche Anerkennung durch die höchste Führung aus dieser schrecklichen Hölle hervorragten wie die bleichen Hände der Verschütteten aus dem Schlamm der Schlachtfelder.

Maxx

2. März 2020 16:26

@zeitschnur - In der Tat sehr interessant, was Sie schrieben. Interessante Gedankengänge. Mit der Käferanalogie trafen Sie einen Nerv oder stachen möglicherweise ins Wespennest? Ob man in ein Wespennest gestochen hat, merkt man erst, wenn die Wespen (Vespula germanica?) schwirren.
Danke also für Ihre Erwiderung, natürlich auch für alle (!) anderen Kommentare, die ich stets, soweit zeitlich machbar, mit großem Interesse lese. Nichts für ungut. Lieber ernst jünger als heiter älter, so kalauerte doch einst Harald Schmidt, wenn ich mich recht erinnere ...

Franz Bettinger

2. März 2020 22:09

@Niekisch: Warum ich annahm, dass Sie niemals in einer lebensgefährlichen Grenz-Situation waren? (Mittlerweile haben Sie mich durch Ihre Beispiele widerlegt.) Antwort: Weil Ihre Kritik an Ernst Jünger (mir) nahelegte, dass Sie zur Beurteilung von Ereignisse - wie reflexartigem Töten, „Blutrausch“, Zorn, Wut, Hass gar - lediglich den Verstand und die darin hausende Moral anwenden, jedoch keinerlei Empathie. Letzteres ist kein herbeifantasiertes Mitgefühl, sondern der Instinkt, der entweder angeboren ist oder sich aus eigenem Erleben speist. Der Instinkt kommt ganz ohne Hirn (well, cortex) aus. Der Überlebends-Instinkt steckt in jedem Tier, auch in den 99,9% "Tier in uns" (@zeitschnur bitte weghören). - Verstehen Sie mich nicht falsch: Keiner, der bei Trost ist, „sucht“ das Abenteuer. Jeder Vernünftige sucht es zu vermeiden, durch gute Vorbereitung. Es kommt dann aber unvermittelt. Beispiele:

"Die Kanutin verschmolz mit ihrem Kajak. Sie lehnte sich, auf der Hut vor Überraschungen, gegen die Walzen und Presswasser. „Jii-haa!“ Sie glaubte an die Idee, irgendwie werde sie den Golofluss schon schaffen und durchkommen. Kletternd vielleicht? Sich auf- oder abseilend? Wenn es sein musste! Am besten paddelnd! Sie hatte all diese Bücher gelesen. 'Alles gut gegangen' von Louis Trenker. Hans Rueschs 'Top of the World' und Maurice Herzogs Klassiker 'Annapurna'. Literatur, die einem Träume in den Kopf pflanzt, und den Gedanken, dass nichts unmöglich ist und Auswege immer erkennbar sind, die trügerische Vorstellung vom ewigen Happy End. Die großen Überlebenden der großen Abenteuer berichteten davon. Die vergessenen Toten (George Mallory, Günther Messner) schwiegen. Das war die Kehrseite der Wahrheit. Die Seite, die Jana selten sah. Als sie in den dunklen Raum unter sich blickte, wehrte sich alles in ihr, noch weiter von der lebendig flimmernden Wasseroberfläche zu rutschten, auf die die Sonne tanzte. Das war's. Ich habe gespielt und verloren. Was mache ich hier? Ich habe nie die Gefahr gesucht. Ich wollte nie sterben. Jana suchte das Leben. Sie suchte es in der Zone, die reicher, intensiver und authentischer war als die Komfort-Zone der Strände und Boulevards. Am Rande der Zivilisation empfand sie das Leben stärker. Ist dieser Golo mein Leben wert gewesen? Sicher nicht. Wäre ohne das Wildwasser mein Leben etwas wert gewesen? fragte sie sich, während die Luft knapp wurde. Zwischen den zwei Extremen muss man seinen Weg finden. Der Balance-Akt war nun zu Ende. Nein, sagte sie sich noch mal. Wenn es zwei Wege gibt, wähle den kühneren. Nach unten!“ Und:

"Jana, kennst du eigentlich Frauen,“ Max räusperte sich, er hätte auch Mädchen sagen können, aber Frauen klang viel besser, „also Frauen, die nur das total oberflächliche heiße Erlebnis suchen?“ „Das heiße was?“ „Das schale, flüchtige. Na ja, es kann doch sein, dass ihr das gleiche wollt wie wir.“ Jana sah ihn fasziniert an. „Und auch, dass ihr untereinander über Sex und Männer nicht anders redet wie wir über euch. Das könnte doch sein. Vielleicht kennst du ja eine, die nur die Oberfläche abgrasen will und sonst nichts.“ Sie musterte ihn mit großen runden Augen wie eine Katze einen vor ihr herumhüpfenden, halb benommenen Kanarienvogel ansieht, der gegen die Glasscheibe geflogen war. „Saukomisch!“ Es waren die falschen Worte. Seine und ihre, alles falsch! Es war hoffnungslos. Max schüttelte den Kopf. „Ich hab's nicht drauf. Vermasselt.“ „Ein Mädchen, das hinter einem intensiven, wenn auch nur kurzen Abenteuer her ist?“ fragte Jana. „Hinter einer Affäre mit hohen, sich überschlagenden Wellen, aber ohne Tiefgang? Ja, Max, die kenne ich.“ Er sah sie sprachlos an. „Ich kenne sie gut.“ Sie grinste und rückte näher. „Ich kenn sie so gut wie mich selbst.“

Niekisch

3. März 2020 11:45

Lieber @ Maiordomus, wenn die Meisterei es zulässt, werde ich wegen der Vielzahl Ihrer bedenkenswerten Ausführungen zunächst auf kürzere Beiträge antworten. Da Sie für meine Position Verständnis zeigten, sollen Sie aber als erster von bei mir zwischenzeitlich entstandenen Zweifeln erfahren und zwar deswegen: "...ich ahnte zum ersten Male, daß dieser Krieg mehr als ein großes Abenteuer bedeutete (Stahlgewitter, S. 31) Dies als Ernst Jünger verwundet vom Lazarettzug aus Heidelberg sah. "Wenn mir später Gefangene in die Hand fielen, fühlte ich mich für ihre Sicherheit verantwortlich und suchte für sie zu tun, was in meinen Kräften stand" (S. 58) Dennoch halte ich an meiner Auffassung fest, dass ein Truppenführer auch schon im I.WK den Kriegs- und Militär- sowie den Strafgesetzen möglichst immer nachzukommen hatte. Ich habe immer vor Augen, was später im II. WK z.B. geschah, als man sich verwundeter Gefangener entledigte, indem man sie in Feodosia am vereisten Strand aufreihte und ganz einfach erfrieren ließ. Oder in Stalingrad, wo nach Ende der Kämpfe deutsche Verwundete in Kellern massenhaft mit Flammenwerfern durch die Kellerfenster verbrannt wurden. Immer gilt: Wehret den Anfängen und bedenkt das Ende auch für Euch selber! Die Lehre für uns heute sollte sein: Charakterstärke war schon immer und wird immer die stärkste Waffe sein, die uns zur Verfügung steht. Sie überlebt sogar militärische Niederlagen. Im kommenden Ethnienkrieg auf deutschem und europäischem Boden wird sie sogar die letzte und einzige Waffe zum Überleben sein.

Niekisch

3. März 2020 12:47

@ Maxx 29.2. 23:21: in meiner 24. Auflage geht das Zitat übergangslos zu Verpflegungsbeschreibungen hin und dem Hinweis, dass Jünger während des Angriffs noch nichts genossen hatte und sich daher Schinken, Weißbrot, Marmelade und einem Steinkrug mit Ingwer-Likör zuwandte, was aber schnell langweilig wurde und er sich wieder dem Kampfgetümmel ergab. Lassen wir offen, welchen Eindruck der junge Tote vor dem Graben wirklich auf ihn gemacht hat.

"Wäre ich ihm im Leben begegnet, wäre ich womöglich in eine peinliche Verklemmtheit verfallen, wie sie sonst höchstens an einem schlechten Tag gegenüber einer besonders schönen Frau auftreten kann".

@ Phil 1.3. 11:24: Vielleicht ist für Sie der Eindruck Margret Boveri Anfang 1950 von E.J. bei einem Besuch hatte: Jünger habe mit Augen "wie von vergeistigten Juden" eine "konzentrierte Schärfe" ausgestrahlt, der jede "füllende, ausgleichende Substanz" fehle...Hang zum lehrhaft Katalogisierenden" Man müsse "Mitleid mit ihm haben" usw. (Alexander Kissler in SZ v. 3.9.2008) Hatte sie Jüngers Aussage "Immer häufiger begegnet man jetzt unheimlich klugen Frauen- das ist auch ein Zeichen für die rapide Veränderung, in der wir begriffen sind- ob aber ein günstiges?" gekannt oder erahnt?

Phil

3. März 2020 12:59

Zu den unterschiedlichen Fassungen des Abenteuerlichen Herzens bemerkt Jünger in "Gespräche im Weltstaat", S. 87f.:

"In beiden Fassungen blieben nur etwa 27 Seiten gleich. Meine Unzufriedenheit mit der ersten Fassung hatte verschiedene Gründe. Einmal fand ich sie zu sehr auf die Person bezogen, während ich mich inzwischen stärker den Sachen zugewandt hatte. Stilistisch könnte man das als den Übergang von Expressionismus zum Surrealismus bezeichnen. Die Wendemarke ist der >>Sizilische Brief an den Mann im Mond<Magischen Realismus< zuordnen."
______________________________________

Zu Niekisch' Wunsch nach Charakterstärke:
Bei einem etwaigen "Ethnienkrieg" sehe ich da schwarz. Die Betonung des Rassischen wie auch die Betonung des Ideologischen lässt uns auf eine primitive Stufe herabsinken. Der "Weltbürgerkrieg", der 2. WK, war ideologisch aufgeheizt, im Pazifikraum auch rassisch.
Oder nehmen wir beispielsweise heutige amerikanische Soldaten und ihre Sicht auf "towel heads", auf Araber, und das daraus resultierende Verhalten. Ganze Länder wie Afghanistan werden als hässlich, rückständig und "böse" dargestellt, das erleichtert und rechtfertigt das Bombardieren.
Schon in der Ausbildung der tollen Kämpfer für die "Freiheit", ist zu befürchten, wird der potentielle Feind nicht als Mensch dargestellt, sondern als Tier, Untermensch, Sache... Kriegsverbrechen sind so vorprogrammiert. Dazu kommt eventuell eine temporäre Psychopathie im Einsatz, auf Grund der Extremsituation.
Ich bin da also pessimistisch, teile aber natürlich den Wunsch nach dem, was Niekisch als Charakterstärke bezeichnet.

Niekisch

3. März 2020 17:52

@ zeitschnur 1.3. 12:38: Ihre interessante Andeutung einer psychologisch-psychiatrischen Fremdanamnese und Analyse hat Parallelen zu Texten Horst Oblesers und Antonia Grunenberg sowie Kollektivtraumataforschern. Auch in dem von mir bereits erwähnten Artikel von Alexander Kissler erweist das Gespräch zwischen Margret Boveri und Ernst Jünger gewisse Hinweise auf "autistisches" Verhalten Jüngers in der Form von Kontaktmangel, Sich schwer tun, perfektionistischem Ordnungssinn im ganz Kleinen - Aufspiessen und Katalogisieren von Insekten-, radikalisierter Beobachtung bis zum Habitus, Selbstobjektivierung und Fetischisierung, innere Abspaltung vom Öffentlichen, radikale Scheidung von inszeniertem Fremd- und verborgenem Selbstbild. Konsequent kritisierte Ernst Jünger an Carl Schmitt, nicht emigriert oder sich ins rein Private zurückgezogen zu haben. Schmitt hingegen sah bei Jünger eine "Flucht aus der Wirklichkeit" (so Kissler) Die bewussten oder unbewussten Selbstheilungsversuche bei Kriegsopfern, denen professionelle Hilfe nicht zuteil wurde, sollten möglichst immer in die Beschäftigung mit im Streit stehenden Menschen wie Ernst Jünger einbezogen werden. Sonst sind Leben und Werk nicht gerecht zu beurteilen.

Wenn es noch keine Arbeiten zu diesem Thema gibt, dann sollten sie geschrieben werden.

Niekisch

3. März 2020 18:04

"Macht es für die Toten einen Unterschied, ob sie verhungerten oder im Schützengraben zu Tode vegetierten? Wo bleibt da Ihre Ritterlichkeit?"

Nein, werter Laurenz, das macht keinen Unterschied. Nur die Ursache des Todes macht einen Unterschied. Der Krieg selber war damals noch nicht verboten, allerdings rechtlich bereits eingehegt, eine Hungerblockade gegen Nichtkombattanten war sehr wohl verboten. Und da die Fortführung der Hungerblockade den Deutschen angedroht wurde, wenn der Versailler "Vertrag" nicht unterzeichnet wird, mangelt es diesem Machwerk an der Wirksamkeit, es war ex tunc unwirksam.

Gerne ertrage ich Sie weiterhin als Diskussionspartner und wünsche Ihnen noch viele schöne Jahre.

Maiordomus

3. März 2020 18:30

@Niekisch. Da Sie mit Ihrer Argumentation sich jeweils auf konkrete Texte stützen, wird es weniger für mich als zum Beispiel für die Referenten @Kubitschek @Lehnert und @Kalbitz wohl nicht unbedeutend sein, darauf einzugehen. Wobei aus Gründen, die ich oben betr. der Textsortenfrage ausgeführt habe, trotzdem nicht darum gehen kann, Jünger in eine Art Anklagezustand zu setzen; wobei aber gerade bei einer Debatte "von rechts gesehen" die Charakterfrage auch schon und zumal aus eigener Perspektive keine Nebensache sein kann.

@Zeitschnur. Es ging nicht darum, Ihnen zu nahe zu treten oder gar zu beleidigen. Für den Fall, dass es tatsächlich so ist, dass auch Sie über den Entomologen Jünger so im Bild sind, dass Sie sich als kritikfähig einschätzen, ist es Ihnen natürlich unbenommen, Ihre Sicht noch etwas zu erläutern. Warum nicht vielleicht auch mal an einem entomologischen Kongress, wo die Leistuntgen Jüngers natürlich mal ein ernsthaftes Thema sein könnten. Sie müssen sich bewusst sein, dass sich eine diesbezügliche Debatte, und nicht nur dieselbe, wirklich auf dem Niveau der Jünger-Kenner bewegen sollte; zumal hier, wo es darum geht, für die oben genannten drei Referenten vielleicht doch Grundlagen für eine sehr gute Tagung nicht vorzubereiten, aber immerhin vorzuthematisieren. Es muss klar: Von Kubitschek und Lehnert, im Prinzip auch von Kalbitz ist verlangt, wenn Sie Jünger nicht kompromittieren wollen: das Niveau der Debatte muss höher sein als z.B. im Bundestag, zu welchem Amt Jünger sich nie zur Verfügung gestellt hätte; auch natürlich höher als hier im Blog, Es ist eine wirklich anspruchsvolle Aufgabe. Sie, @Zeitschnur, bringen immer wieder anregende Beiträge, aber bei der Detailgenauigkeit könnten Sie sich vielleicht nicht an den Gesprächsteilnehmern bisher hier, aber zum Beispiel an @Monika ein Beispiel nehmen. Ich gestehe ein, dass auch ich deren feine Art des Argumentierens selten erreiche; wobei es aber in Sachen Jünger stets um Textkenntnis geht auf der Basis wenn möglich des Gesamtwerks. Er hat nun mal auf verschiedenen Gebieten Massstäbe gesetzt, aber keineswegs kann er unkritisiert bleiben.

Franz Bettinger

3. März 2020 21:39

@Niekisch: Wunderbar, was Sie geschrieben haben, und doch: "Charakterstärke war schon immer die stärkste Waffe, die uns zur Verfügung steht. Sie überlebt sogar militärische Niederlagen. Im kommenden Ethnien-Krieg wird sie die letzte und einzige Waffe zum Überleben sein.“ Das ist schön, aber voller Pathos. Falschem Pathos? Ich weiß es nicht. Jedenfalls braucht die Seele und damit der Charakter den lebendigen Körper. Nicht umgekehrt. Der Körper käme auch ohne Seele und Charakter aus. Dafür gibt es genügend (abstoßende) Beispiele.

Phil

3. März 2020 22:49

*"[...] Die Wendemarke ist der "Sizilische Brief an den Mann im Mond". Das Stück hat jetzt, während der Entmythisierung unseres Trabanten, für mich eine neue Bedeutung gewonnen. Ich würde es eher dem "Magischen Realismus" zuordnen."

Cugel

3. März 2020 23:43

@Phil:
"Es ist immer wieder faszinierend, Jünger in Videos zu sehen und zu hören. Wäre ich ihm im Leben begegnet, wäre ich womöglich in eine peinliche Verklemmtheit verfallen, wie sie sonst höchstens an einem schlechten Tag gegenüber einer besonders schönen Frau auftreten kann."

Einen zwiespältigen Eindruck hat mir Jüngers Schilderung seiner Erwartung und schließlicher Erleichterung über den Tod eines Kameraden gemacht, von welchem kompromittiert zu werden er befürchtet hatte (Beide waren vor dem Krieg in eine Affäre im Spelunken- bzw. Rotlichtmilieu verwickelt gewesen).
Einerseits befremdlich bei einer Ausnahmeerscheinung wie Jünger, andererseits von beeindruckender Offenheit. Er hätte es verschweigen können.

Daß er seine Schriften häufig und tiefgreifend redigiert hat, stößt mir allerdings auf. Zeitdokumente sollte man nicht ohne Not ändern. Persönliche Entwicklung und Perspektivenänderung dokumentiert ein Schriftsteller in seinen Werken ohnehin.

links ist wo der daumen rechts ist

4. März 2020 08:09

Um einen Theweleit von rechts bittend?

@ zeitschnur
Habe Ihren Insekten-Eintrag noch mehrmals gelesen. Vermutlich doch – neben den Einwänden von @ Niekisch - der erhellendste Beitrag in diesem Kommentarstrang. Vielleicht sind Sie aber auch schlicht und einfach zu intelligent für dieses Forum.

V.a. sehe ich Ihren Hinweis auf die fehlende Transzendenz bei Jünger als wesentlich (Fantasy mit "postplatonischen Dialogen"!); an Stelle dessen trat eben seine Suche nach Transformation eines verwundbaren Körpers, der auch durch einen „Körper-Panzer“ des Heroismus nicht mehr ersatz-gestählt werden kann. Mit der Erscheinung des Stoßtruppkämpfers im Frühjahr 1918 begann für ihn die konsequente Entwicklung zum Arbeiter-Krieger. Hier müßte man einmal genau untersuchen, wann sein affirmatives Verhältnis zur Technik sich wieder zu einer relativ traditionell konservativen Zivilisationskritik wandelte, er sozusagen zu den Positionen seines Bruders Friedrich Georg zurückkehrte.
Als mögliches Werk nenne ich die „Gläsernen Bienen“, in dem der 19. Jahrhundert-Schauder aus dem „Abenteuerlichen Herz“ zurückkehrt.

Als Resümee dieses Strangs und der fundierten Kritik von Ihnen beiden bleibt für mich die belustigende Einsicht, daß schlicht und einfach ein Theweleit von rechts zu fehlen scheint; dessen „Männerphantasien“ erfahren ja gerade eine Neuauflage, übrigens sein einziges vor Ideologie triefendes Werk. An anderer Stelle wußte er Benn gegen Klaus Manns „Stalinismus“ und die Genickschußgelüste eines Kisch und Becher zu verteidigen oder den Landser-Jargon via Arno Schmidt zu rehabilitieren. Und auch seine „Aufklärungsarbeit“ in Sachen Jonathan Littell verkehrte sich fast ins Gegenteil: wenn wir in diesem Strang Einsicht gewannen in Jüngers „Blutrausch“, ist die Figur des Max Aue in Littells „Wohlgesinnten“ (in den Passagen von Lemberg bis Kiew) bloß die konsequente Fortsetzung. Mit einem Leon Degrelle (in dessen „Erinnerungen eines Europäers“ mir Theweleit eine Widmung geschrieben hat, soviel Humor hat der Mann) und den Schilderungen des Rußland-Feldzugs eines Paul Carell hat das alles nur am Rande zu tun (dann hätte man z.B. auch die politisch korrekten Erinnerungen eines Claus Hansmann samt Zeichnungen in die Pflicht nehmen müssen). Insofern hat sich hier der Arbeiter-Krieger im Sinne Jüngers oder sogar Theweleits „Körper-Panzer“ tatsächlich in den Landsknecht mit seiner schlichten, todesverachtenden Brutalisierungslogik zurückverwandelt.

Maiordomus

4. März 2020 08:50

@Gygax. Leider haben Sie allzu recht, dass der Ehrenbürger von Ascona, Erich Maria Remark, wie er dort auch zivilstandsamtlich eingetragen war, mit seinen späten Bestsellern wie "Die Nacht in Lissabon" vor allem ein Konkurrent des ebenfalls im Tessin lebenden Publizisten Hans Habe war, der gleichfalls hohe Auflagen erzielte, aber dessen Stärke wohl eher in der Textsorte Kolumne lag. Sie sollten jedoch respektieren, dass das für die Marke "Remarque" wesentliche Hauptwerk, wichtig für die hier geführte Debatte, nebst dem Millionenbestseller "Im Westen nichts Neues" noch aus "Der Weg zurück" und vor allem aus dem Erzählband zum 1. Weltkrieg, "Der Feind" besteht. Es sind nun mal ernst zu nehmende literarische Werke über den Krieg, meinetwegen als sogenannte "Antikriegsbücher" einzuschätzen; das war und ist nun mal eine Gattung, bei der sogar der sonst verschmähte Begriff "Tendenzliteratur" ausnahmsweise deklariert ist und insofern auch als ehrenvoll gilt. Eher noch mehr als "Der Weg zurück", ein dem Erfolg des Weltbestsellers geschuldeter 2.Band, vgl. "Heidi", Bd. 2, wären die Erzählungen "Der Feind" für einen Vergleich Remarque - Jünger heranzuziehen. Der historische Abstand sollte es erlauben, die beiden weltliterarisch repräsentativen deutschen Autoren zum Thema 1. Weltkrieg feindbildfrei zu lesen und zu analysieren. Bei Jünger ist das von mir oben erwähnte Kriegstagebuch 1914 - 1918 natürlich ein Muss für eine sachkompetente Debatte.

Die beiden Bände Remarque las mein Vater, Handwerker, als Zwanzigjähriger schon in der Originalausgabe um 1930, weswegen diese mir schon etliche Jahre vor Jünger, im "Karl-May-Alter" als Kriegsromane aus der Hausbibliothek begegneten. Nach Prof. Peter von Matt liegt die Gemeinsamkeit zwischen Remarque und Jünger im lebenslang prägenden "Kriegserlebnis", nicht zu vergessen die gemeinschaftskonstituierende "Kameradschaft", nicht zu vergessen, dass die "dreckigen" Seiten des Krieges bei beiden Autoren so zur Darstellung kommen, dass auch hier von nicht unbeträchtlichen Schnittmengen gesprochen werden darf. Bemerkenswert bleibt, dass natürlich in Sachen Schullektüre Remarque Jünger bei weitem in Sachen vielfacher Beachtung den Rang abgelaufen hat, wobei etwa mein Deutschlehrer noch den Namen "Kramer" vermittelte, was ich bis vor kurzem noch selber als gesichertes Schulwissen hielt; darauf kann man sich nun mal nicht verlassen! Dabei ist mir aber auch in Erinnerung geblieben, dass und wie schon 1965 den Namen "Ernst Jünger" im Unterricht vermittelt bekam: "Im Westen nichts Neues" sei der Gegensatz zum "kriegsverherrlichenden" Buch "In Stahlgewittern" von Ernst Jünger! Da ich in jenem Alter schon Nietzsche und Sartre las, weil vor diesen Autoren gewarnt wurde, konnte ich mir natürlich einen Ernst Jünger nicht entgehen lassen.

Grössere Zeitungsartikel über Ernst Jünger jeweils zum 90. und 100. Geburtstag (als Auftragsarbeiten) habe ich derzeit nicht mehr greifbar, erinnere mich aber, 1985 dank Kontakten in die DDR die dortige Rezeption zur Kenntnis genommen zu haben. Nicht unehrlich wurde den "Stahlgewittern" in einer dickleibigen Literaturgeschichte noch eine "beträchtliche Sprachkraft" attestiert und die Darstellung des Krieges zwar insgesamt aus ideologischer Warte und natürlich auch selber als "militaristisch " kritisiert, ohne die inhaltlichen, nämlich realistischen Qualitäten dieses Buches schlechthin zu leugnen. Leider habe ich diesen Beleg aus einem DDR-Literaturbuch nicht mehr präsent. Im persönlichen Gespräch stritt ich mich aber sehr heftig mit dem Literatenehepaar Hirsch-Schuder über die angeblich militaristischen Autoren Benn und Jünger. Weil sie indes in der DDR "ausgesondert" waren, wurden sie zumal von neugierigen Autoren umso aufmerksamer gelesen und dann und wann, vor allem Jünger, ohne Quellenangabe in eigenen Werken jenseits herkömmlicher unredlicher plagiatorischer Betrugsabsicht zitiert, zumindest anspielungsweise. Es wäre dies vielleicht ein Thema für die aktuelle Jünger-Forschung.

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