Allerdings entwickelt sich gerade in Teilen des im weitesten Sinne rechten Lagers (und nicht nur dort) eine komplett entgegengesetzte Deutung, die in der laufenden Entwicklung eher eine globalistische Finte und eine mögliche Stärkung des herrschenden Systems kommen sieht.
Demnach wäre das “patriotische”, partikularistische Moment, wie es gerade in Österreich stark bedient wird, ein Lockmittel, eine Falle. Das geht über andere Kritikpunkte – etwa, was den zu erwartenden wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Schaden des “shut-downs” angeht – weit hinaus und hat einige Überschneidungen mit kritischen Stimmen aus dem Mainstream.
Ein Beispiel wäre dieser äußerst polemische Artikel von Christian Zeitz vom Wiener Akademierbund, der vor einer “Corona-Diktatur”, ja vor einer veritablen “Höllenfahrt” warnt:
Es ist keineswegs zu gewagt zu vermuten, dass die Bevölkerung unter unverdächtigen Bedingungen an den Geschmack der Diktatur gewöhnt werden sollen. Asymmetrische und willkürliche Verfolgung Andersdenkender ist ja schon im Regierungsprogramm („Kampf gegen Rechts“, „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ sowie „Hasspostings“) angekündigt worden. Jetzt werden Versammlungs- und Ausgehverbote verhängt, „unnötige“ Ortswechsel und Einkäufe (wer bestimmt, was „unnötig“ ist?) unter Strafe gestellt. Platzverweise können ausgesprochen werden. Zahlreiche Geschäfte, Gasthäuser, Cafés und auch Vereinslokale bleiben geschlossen.
Der zivilgesellschaftliche politische Diskurs wird ausgeschaltet. 25.000 Polizisten sind diesbezüglich im Einsatz – der Polizeistaat lässt grüßen. Die Medien sind völlig gleichgeschaltet, Kritik wird de facto ausgeschlossen. Bezahlte Großinserate von Bundesregierung und Kommunen zum einschlägigen Thema tun ein Übriges. Ohne allzu große Empörung wurde bekannt, dass der Netzbetreiber A1 allen Ernstes die Bewegungsprofile der Handy-Benutzer erfasst und diesbezügliche Dokumentationen an die Regierung weitergibt. Das neugewonnene „Wir-Gefühl“ der Volksgemeinschaft wird glorifiziert.
In der Tat, so ganz gemütlich scheint es in diesem neuen, “patriotisierten”, “Wir-halten-zusammen”-Österreich nicht zu sein, in dem Polizeiautos aus den Lautsprechern Reinhard Fendrichs “I am from Austria” tönen lassen, während sie durch leergefegte Straßen patrouillieren und mitunter eine diffuse Angst verbreiten.
Entscheidend ist jedenfalls, daß nun ein Fall wie aus dem politologischen Lehrbuch eingetreten ist: der Ausnahmezustand einer außergewöhnlichen Gefährdung, der zwangsläufig dazu führt, daß der Staat bis zu einem gewissen Grad illiberal handeln muß. Und dann muß eben irgendwann irgendjemand souverän entscheiden, ob der extreme Notfall eingetreten ist und was zu tun sei. (Und hierbei kann es natürlich zu fatalen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen kommen.)
So kommt es, daß neulich in der österreichischen Show “Talk im Hangar‑7″ Moderator Michael Fleischhacker und Ulrike Guérot zustimmend Carl Schmitt zitierten: “Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.” Daran hängt auch die Frage, ob es im Interesse des Gemeinwohls legitim sei, “vorübergehende” Diktaturen oder autoritäre Strukturen zu errichten; denn im Notfall kann kein Parlament ewig abstimmen, abwägen und überlegen – wenn nicht gehandelt wird, drohen Tod und Untergang. Es muß eine Entscheidung gefällt werden, und derjenige, der sie ungehindert fällen kann, ist der eigentliche Souverän.
Die Problematik spitzt sich zu, wenn diese diktatorisch oder autoritär durchgesetzten Notmaßnahmen erhalten bleiben, wenn der Notfall vorüber ist. Darum hat man Machthaber auch immer wieder verdächtigt, Notfälle zu “erzeugen” oder zu befördern oder mindestens zu “benutzen”, um die eigene Macht auszubauen, die Verfassung auszuhebeln, das politische System umzustrukturieren. Momentan scheinen Viktor Orbán und Benjamin Netanjahu, die ohnehin im Ruf stehen, autokratische Neigungen zu hegen, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. (Die österreichische Justizministerin Zadić verspricht, daß alle Beschränkungen aufgehoben werden, wenn die Krise vorbei ist, und die Grundrechte unangetastet bleiben).
Trump hingegen, von seinen Feinden seit Jahr und Tag als “Faschist” gezeichnet, scheint sich relativ zurückhaltend zu verhalten. Der linke, mainstreamkritische Journalist Michael Tracey schrieb auf Twitter:
Ich bin froh, daß Trump kein Faschist ist, im Gegensatz zu dem Nonstopgeschrei über ihn, aber ein überzeugter Faschist würde wahrscheinlich einen viel besseren Job im Umgang mit einem Ausbruch von Infektionskrankheiten machen.
Angesichts der Seuchengefahr nahmen die Bürger der meisten Staaten, in denen entsprechende Maßnahmen getroffen wurden, die Einschränkung ihrer Bürgerrechte, die Schließung ihrer Betriebe, die Gefährdung ihrer Arbeitsplätze etc. bislang relativ widerspruchslos hin (in den Pariser Banlieues rumort es allerdings mal wieder, und in New York und Israel zeigen sich manche orthodoxe Juden widerspenstig), ja schienen teilweise ihre Regierungen geradezu zu drängen, endlich eingesperrt und beschützt zu werden.
Irgendwie mußte ich hier an den Satz von Canetti denken, daß der Tod “die Münze der Macht” sei. Mit der Verbreitung von Todesfurcht kann man sich eine Menge von Menschen gefügig machen. Es hängt wie gesagt alles an der Frage: wie “gefährlich” ist der Virus tatsächlich? Und angenommen, er wäre nicht ausreichend gefährlich, um die jetzigen Maßnahmen zu rechtfertigen: Agieren die Regierungen wider besseres Wissen, glauben sie ernsthaft an seine Gefährlichkeit, oder wollen sie im Zweifelsfall kein Risiko eingehen?
Nun häufen sich täglich Artikel in den Mainstreammedien, in denen liberale Meinungsjournalisten ihr Unbehagen an der Einschränkung der Bürgerrechte äußern und davor warnen, daß man hier den Bogen nicht überspannen dürfe und die richtige Balance zwischen “Sicherheit und Freiheit” finden müsse, eine Problematik, die sich etwa in den Zeiten terroristischer Bedrohung immer wieder stellt (weshalb es auch kaum einen Terroranschlag gibt, der nicht als “false flag”-Manöver verdächtigt wurde).
Aber mir erscheint das Gros dieser Wortmeldungen eher wie streberhafte Pflichtaufgaben, als spiele man eine Rolle, die eben von einem “kritischen” Journalisten erwartet wird. Die Verve, mit der in denselben Medien nach einem Verbot der AfD gerufen wurde, die ebenfalls als “antidemokratischer” Virus aus dem System ausgeschieden und isoliert werden soll, war ungleich größer (Proteste gegen erste Schritte in diese demokratiepolitisch bedenkliche Richtung, wie der “Beobachtung” des “Flügels” durch den “Verfassungsschutz”, gab es eigentlich kaum).
Immer noch im Bereich der Mainstreamkritik an den “illiberalen” Antiseuchenmaßnahmen ist man, wenn man die Gefahr einer technologischen Überwachung bemerkt und anprangert. Der österreichische Kommunikationsanbieter A1 hat – selbstverfreilich anonymisierte! – Bewegungsdaten seiner Kunden an die Regierung weitergeleitet, und man wundert sich, warum er das “darf” und offenbar aus freien Stücken auch tut.
Handyüberwachung, um “Corona zu stoppen”, wird unter anderem auch in Asien, Israel und Polen praktiziert, und Kurz äußerte sich im israelischen Fernsehen äußerst aufgeschlossen bezüglich einer Nutzung von “Big Data” im Kampf gegen den Virus, und gab an, von Netanjahu viel gelernt zu haben.
Da sollten nicht nur bei der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, FPÖ-Chef Norbert Hofer und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger die Alarmglocken läuten,
Aus Israel kommt auch eine deutliche Warnung. Der Philosoph Yuval Harari (Eine kurze Geschichte der Menschheit) sieht eine totalitäre, technokratische Gefahr heraufdämmern. Er ist der Ansicht, daß die Corona-Krise die Welt von Grund auf umkrempeln und Wirtschaft, Politik und Kultur nachhaltig und gründlich verändern wird:
Viele kurzfristige Notfallmaßnahmen werden fixer Bestandteil des Lebens werden. Das ist die Natur von Notfällen. Sie beschleunigen historische Prozesse. Entscheidungen, die in normalen Zeiten Jahre der Überlegung brauchen können, werden innerhalb von Stunden getroffen. Unausgereifte und sogar gefährliche Technologien werden in Betrieb genommen, weil das Risiko des Nichtstuns größer ist. Komplette Länder dienen als Versuchskaninchen für großangelegte soziale Experimente. (…) In normalen Zeiten würden Regierungen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen solchen Experimenten niemals zustimmen. Aber dies sind keine normalen Zeiten. In dieser Krisenzeit stehen wir vor zwei besonders wichtigen Entscheidungen: Die erste ist zwischen totalitärer Überwachung und der Ermächtigung der Bürger. Die zweite zwischen nationalistischer Isolation und globaler Solidarität.
Was nun die “totalitäre Überwachung” angeht, so sind die Weiterleitung von Bewegungsdaten und ähnliche bereits übliche Praktiken ein Kindergarten gegenüber zukünftigen Möglichkeiten. Die Epidemie könnte zu einem Sprung in der Geschichte der Überwachung führen, die nun buchstäblich “unter die Haut” geht.
Bislang war es so: Wenn Ihr Finger den Bildschirm Ihres Smartphones berührte und auf einen Link klickte, dann wollte die Regierung wissen, was genau Ihr Finger da anklickt. Aber mit dem Coronavirus verschiebt sich das Interesse. Jetzt will die Regierung wissen, welche Temperatur Ihr Finger hat und wie hoch Ihr Blutdruck ist.
Man könne sich etwa eine hypothetische Regierung vorstellen, die verlangt, daß jeder Bürger ein biometrisches Armband trägt, das 24 Stunden am Tag die Körpertemperatur und die Herzrate mißt:
Die daraus resultierenden Daten werden gehortet und von Algorithmen der Regierung analysiert. Die Algorithmen werden wissen, ob Sie krank sind, bevor Sie es selber bemerken, und sie werden auch wissen, wo Sie gewesen sind und wen Sie getroffen haben. Die Infektionskette könnte drastisch verkürzt und sogar vollständig abgeschnitten werden. Ein solches System könnte eine Epidemie binnen weniger Tage stoppen. Klingt wunderbar, nicht? (.…)
Der Nachteil wäre natürlich, daß dies ein erschreckendes neues Überwachungssystem legitimieren könnte. Wenn Sie zum Beispiel wissen, daß ich lieber Links von Fox News als von CNN anklicke, dann könnten Sie einiges über meine politischen Ansichten, wenn nicht gar über meine Persönlichkeit in Erfahrung bringen. Aber wenn Sie auch noch auf den Schirm bekommen, was mit meiner Körpertemperatur, meinem Blutdruck und meiner Herzfrequenz passiert, während ich den Videoclip ansehen, dann können Sie in Erfahrung bringen, worüber ich lache, worüber ich weine, und was mich wirklich, wirklich wütend macht.
Damit steht natürlich der Weg zu Manipulationen aller Art offen. Szenarien dieser Art sind im Bereich des Möglichen, und auch Edward Snowden, der es wissen muß, warnt vor einem “Überwachungsstaat” auf der Basis von antipandemischen Tracking-Maßnahmen.
Allerdings biegt Harari in den nächsten Absätzen beschönigend ab, und plädiert dafür, anstelle eines Überwachungssystems das stark lädierte Vertrauen der Menschen “in Wissenschaft, öffentliche Autoritäten und die Medien” wieder neu aufzubauen. Er ruft die Bürger dazu auf, “wissenschaftlichen Daten und Gesundheitsexperten” mehr zu vertrauen als “unbegründeten Verschwörungstheorien und eigennützigen Politikern. Wenn es uns nicht gelingt, die richtige Wahl zu treffen, dann werden wir unsere wertvollsten Freiheiten abgeben, weil wir denken, daß dies der einzige Weg ist, unsere Gesundheit zu schützen.”
Das ist angesichts der Warnungen, die er ausgesprochen hat, und der Uneinigkeit der Wissenschaftler und Regierungen ein ausgesprochen unbefriedigender und wenig überzeugender Appell.
Harari fordert schließlich wenig überraschend “globale Kooperation”, “globale Solidarität” anstelle von “globaler Uneinigkeit”. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es um dem Austausch von Informationen und gegenseitige Hilfestellungen geht. In der Tat sitzt hier ein großer Teil der “Menschheit” in einem Boot, ebenso wie sich gerade die Bürger einzelner Nationen wieder als Schicksalsgemeinschaften erleben oder dieses Erlebnis (siehe Kronen-Zeitung) zumindest medial vermittelt bekommen. Gerade Harari hat betont, daß zwischen “positivem” Nationalismus und “globaler Kooperation” nicht notwendigerweise ein Widerspruch bestehen muß, vielmehr das eine das andere befördern und stützen kann.
So wären nach Hararis Modell mehrere Kombinationen denkbar:
- 1.) Totalitäre Überwachung und “nationalistische Isolation” (wie manche es in Israel, Ungarn und nun auch ansatzweise Österreich befürchten).
- 2.) Stärkung von nationalen Bürgerrechten und “nationalistische Isolation”
- 3.) Totalitäre Überwachung und “globale Kooperation” (wobei “Kooperation” hier nur ein Euphemismus wäre)
- 4.) Stärkung von nationalen Bürgerrechten und “globale Kooperation”.
- 5.) Stärkung von globalen Bürgerrechten und “globale Kooperation”.
Geht man davon aus, daß komplette “nationalistische Isolation” heute unmöglich ist, dann wäre
- 1.) mit gewissen Einschränkungen zumindest denkbar, wobei der “Nationalismus” in Kurzens Österreich eher ein Placebo wäre, und die Überwachung wie gehabt eher benützt würde, um die national-patriotische Opposition zu unterdrücken.
- 2.) eine Art Gallierdorf, das in einer global vernetzten Welt kaum realistisch wäre.
- 4.) ein Idealzustand, der politisch angestrebt werden sollte und im Bereich des Möglichen und Denkbaren liegt (meine Option),
- 5.) eine globalistische Utopie, die einen Weltstaat und ein Weltbürgertum voraussetzt, und
- 3.) ein globalistischer Alptraum, der leider durchaus im Bereich des des Möglichen und Denkbaren liegt.
Jenseits der (eher halbherzigen) Proteste gegen den Entzug von Bürgerrechten und der Furcht vor einer globalen Überwachungstechnokratie, die noch in den Mainstream passen, beginnt der Dschungel der “Verschwörungstheorien” mit “Fake News”-Infektionsgefahr, und seinen üblichen Verdächtigen wie KenFM, Oliver Janich, Gerhard Wisnewski, Eva Herman und anderer.
Ich bin kein Anhänger irgendeiner dieser Theorien, aber im Gegensatz zu Yuval Harari empfehle ich hartnäckige Skepsis gegenüber “Wissenschaft, öffentlichen Autoritäten und Medien” sowie das Prüfen sämtlicher Sichtweisen auf den seltsamen, alptraumhaften Film, in dem wir uns seit etwa zwei Monaten befinden.
Gelddrucker
Ach, die Corona-Sache.
Ich glaube nach wie vor, dass danach alles mehr oder weniger wie gewohnt weitergeht. Mit Ausnahme der wirtschaftlichen Auswirkungen.
Ich hab nicht die geringste Angst vor irgendwelchen Überwachungsmaßnahmen in der Hinsicht.