Größer als der Tod noch ist das Sterben
Zum Gefallenengedenken hatte ich und (habe ich eigentlich bis heute) ein zwiegespaltenes Verhältnis. Zu präsent sind mir die bierseligen Kneipreden jener bräsigen Brillenträger, die zwar von jedem Weltkriegspiloten die Anzahl der Luftsiege kennen, aber nicht wissen, wie man einen linken Haken schlägt. An der Seite dieser Leute rangiert auch das mehr oder weniger offizielle Gedenken (etwa am Volkstrauertag) irgendwo zwischen schamhaft erfüllter Pflicht und Schützenverein.
Am ehesten fühle ich mich noch wohl bei den Fackelzügen der Korporationen; aber so wie ein Glas Bier durchaus geeignet sein kann, das Herz für die Weihe des Appells zu öffnen, so sind fünf oder sechs davon eine sicherer Garant dafür, daß der Gleichschritt im Marsch komplett vor die Hunde geht. Und so gerät das große Ritual zur Ehre der Helden zur wackeligen Totentanzstunde im Angesicht der Fackelschalen.
Vor 75 Jahren, am 4. April 1945 fiel der Luftwaffenpilot Heinrich Ehrler im Alter von 27 Jahren in der Nähe von Stendal. Er starb bei der Attacke auf eine Formation amerikanische B‑24-Bomber, die ihre tödliche Fracht über Gera, Leipzig und Halle abgeworfen hatte und sich nun auf dem Rückflug befand. Zum Zeitpunkt seines Todes war er Major, ihm wurden über 200 bestätigte Feindabschüsse zugeschrieben.
Indes ist es nicht die stattliche Anzahl von Abschüssen, die mir im Gedächtnis blieb, als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal von Heinrich Ehrler las. Es waren seine letzten Worte, die sowohl von der britischen Funküberwachung, als auch von seiner deutschen Leitstelle überliefert wurden: “Theo, Heinrich hier! Habe zwei Bomber abgeschossen; Munition ist alle. Ich ramme jetzt. Auf Wiedersehen, sehen uns in Walhalla!”
Das ist Kriegertum; das ist so kalt und wild, so gewaltig und gewalttätig, daß es einem die Sprache verschlägt. Und es gehört zur Tragik der großen Kriege, daß sie eine ganze Generation lang solche abenteuerliche Herzen wie das von Heinrich Ehrler und unzähligen anderen durch die Knochenmühlen und Höllenmaschinen trieben und so den Heldentod – ich schrieb darüber hier schonmal – zur Massenware abfertigten.
Gestern dann erreichte mich die Nachricht, daß sich Ehrlers Tod 2020 zum 75. Mal jährt und wieder waren es diese letzten Worte, mich gefangennahmen für diesen jungen Mann, der bei seinem Tod kaum ein Jahr älter war, als ich es jetzt bin: “Munition ist alle. Ich ramme jetzt. Auf Wiedersehen, sehen uns in Walhalla!” – Ein Teufelskerl.
Daß Ehrler nicht ganz in Vergessenheit geraten ist, daß haben wir nicht zuletzt dem Vermißtenforscher Uwe Benkel zu verdanken, der gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiter seit über dreißig Jahren anhand von Aufzeichnungen, Funksprüchen und Zeugenberichten verschollene Kriegsgefallene ausfindig macht. Er entdeckte vor wenigen Jahren Teile des Wracks von Ehrlers Maschine und konnte so auch seine sterblichen Überreste ausfindig machen.
Man kann nun viel darüber nachgrübeln, wie man so einem Tod gerecht wird. Ein würdiges Gedenken, so meine ich, muß heute geheim sein. Es findet statt auf kleinen Waldlichtungen, wo sich wenige im feierlichen Kreis versammelt haben, es findet statt in einem Lächeln vor den Denkmälern vor denen bis heute frische Blumen blühen. Vor allem aber findet es statt in der Tat. Und wenn mich das nächste Mal jemand fragt, wie die Deutschen sind, dann werde ich ihm die letzten Worte von Heinrich Ehrler zeigen und sagen: Auch anders, ja. Aber eben auch so.
Republikfluechtling
Danke - Fürwahr, eine würdige Wahl und wunderschön geschrieben. Tot ist nur, wer vergessen wird.