Während die Denker der neuen Linken die aktuelle Lage im Zuge der Corona-Epidemie nach ihrem Denkmuster analysieren, gab es bisher kaum gute und ihrer konservativ-nationalen Lehre entsprechende Analyse von Neuen Rechten und Konservativen aller Couleur zu lesen. Sie wiederholen zum Teil nur das, was die neuen Linken wie Giorgio Agamben oder Slavoj Žižek bisher über die Corona-Pandemie geschrieben haben.
Die Bürger liberaler Demokratien haben es geschehen lassen, dass sie über Nacht ihrer Freiheitsrechte beraubt wurden. So paradox es klingt: Das neue Credo der sozialen Distanzierung führt zu einer neuen Massengesellschaft passiver Menschen.
Solche Sätze von Giorgio Agamben haben beispielshalber Applaus in gewissen rechten Kreisen verdient.
Mittlerweile haben viele Rechte im Zuge der Corona-Epidemie die Grundrechte, welche aufgrund der restriktiven staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit dieser Krise als existentiell in Gefahr zu geraten scheinen, in den Mittelpunkt ihrer Agitation gestellt.
Sie schwören den Staat auf Bewegungsfreiheit der Bürger ein und verteidigen heroisch den Individualismus und liberale Freiheiten, die »Merkel« ihnen entzogen hat. Und vor allem machen sie sich in zahlreichen Artikeln die Sorge, daß der Staat wohl den ausgerufenen Notstand auch nach Ende des Ausnahmezustandes nicht aufheben wollte. Wobei sie der Frage nachgehen, ob Social Distancing das neue Organisationsprinzip der Gesellschaft darstelle!
Man beobachtet somit bei der Rechten seit der Verbreitung der Corona-Epidemie einen antiautoritären und anarchistischen Affekt, der so weit zu gehen wagt, sich gegen Staatshandeln per se zu richten. In dem Moment diskreditieren sich diese neuesten Rechten selbst, wenn man etwa AfD-Statements oder Kommentare zu der Verteidigung der Bewegungsfreiheit liest, in denen der Bezug auf Sicherheitsfaktoren und die entscheidende Rolle der Exekutivgewalt im Ausnahmezustand fehlt. Hier sollte sich ein Volker Weiß, der sich durch die Beobachtung und Denunzierung des neuen rechten Lagers finanziert, irritiert und überfordert fühlen.
Hierbei ist daran zu erinnern, daß die studentische Bewegung der 1968er damals mit der Kampagne gegen die Notstandsgesetze eine neue Qualität erreichte. Mit der Bildung der ersten Großen Koalition auf Bundesebene wurde aus der Anti-Notstandsbewegung die Außerparlamentarische Opposition, welche eine Reaktion auf die nahezu fehlende innerparlamentarische Opposition war. Ohne Zweifel boten damals die verfassungsrechtlichen Regelungen einer Notstandsituation ein politisches Minenfeld, weil die deutsche Staatsrechtlehre stark von dem Postulat Carl Schmitts geprägt war, wonach souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
Im Grunde waren doch hier die Vorbehaltsrechte, die sich die Westalliierten im Deutschlandvertrag von 1952 im Falle eines inneren und äußeren Notstands gesichert hatten, der Ausgangspunkt. Diese Vorbehaltsrechte dokumentierten also die unvollständige Souveränität der Bundesrepublik so explizit, dass schon die Bundesregierung unter Adenauer erste Überlegungen angestellt hatte, wie sie abgebaut und durch ein deutsches Notstandsrecht abgelöst werden könnte, um damit deutsche Souveränität zu versichern. Das ist allerdings rätselhaft, wie einige AfD-Funktionäre derzeit infolge der Beschränkung der Bewegungsfreiheit zur Bekämpfung von Seuchengefahr (Art. 11 GG) darauf kommen, sich wütend wie damalige Aktivisten der APO auf Grundrechte zu berufen.
Die Lage rechter Kreise ist in Folge der Corona-Epidemie noch verwickelter, weil einige AfD-Funktionäre während ihrer Begeisterung für die bürgerlichen Freiheiten völlig ausblenden, daß Victor Orban in Ungarn mit der Verabschiedung des von ihm erwünschten Corona-Gesetzes während der Zeit der Gesundheitskrise ohne jegliche parlamentarische Kontrolle per Dekret durchregieren kann. Heißt: Seine Regierung hat noch weitaus mehr Vollmachten als die derzeitige Bundesregierung überhaupt zur Verfügung. Wobei Donald Trump auch neuerlich von allumfassender Macht in der Zeit der Coronakrise gesprochen hat.
Hier ist deswegen berechtigt zu fragen, wie man sich z. B. für Putins und Orbans Maßnahmen zur Überwachung der sich in Quarantäne befindlichen Menschen begeistern kann, aber gleichzeitig hierzulande gegen jeden Polizisten eine Verfassungsklage anstrebt, der erst mal wagt, den Abstand zwischen zwei Bürgern zu bestimmen.
Im Zuge der Beschränkung von bürgerlichen Freiheitenwird oft in den Medien von Carl Schmitts berühmtem Axiom in seiner Politischen Theologie – „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ – und die Verletzung der Grundrechte, deren Geltung im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland garantiert wurde, geredet. Um die Basis von Schmitts Ausnahmezustand de jure hinzuweisen, ist auf Schmitts „Verfassungslehre“ anzudeuten. Hierbei ist auch eine Hinweise auf Hans Kelsens „Reine Rechtslehre“ unumgänglich.
Verfassung ist bei Kelsen etwas Normatives. Es handele sich nämlich dabei um die Gesamtnormierung des staatlichen Lebens überhaupt, um das Grundgesetz im Sinne einer geschlossenen Einheit, um das Gesetz der Gesetze. Damit sei eine Norm nur dann gültig, wenn sie in eine Rechtsordnung eingebettet sei, d. h. in ein geschlossenes System von höheren und niederen Normen. Verfassung charakterisiertsich bei Kelsen als Grundnorm und sie ist insofern eine normierte Verfassung.
Im Gegensatz zu ihm definiert Carl Schmitt nicht die Verfassung mittels der Grundgesetze. Denn die Verfassung ist bei Schmitt zunächst Inbegriff des politischen Willens. Von daher gibt es einen Unterschied zwischen der verfassunggebenden Gewalt und den Verfassungsgesetzen. Die Bestätigung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes ist für Schmitt grundsätzlich nicht an ein konkretes Verfahren gebunden und zwar nicht an einzelne Gesetze.
In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt:
Durch die Relativierung der Verfassung zum Verfassungsgesetz und die Formalisierung des Verfassungsgesetzes ist die sachliche Bedeutung der Verfassung ganz zurückgetreten.
Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu Kelsen sei für Schmitt der Geltungsgrund der Rechtsordnung nicht eine Grundnorm, welche sich auf eine Verfahrensrationalität, mit Jürgen Habermas’ Worten, beruft, sondern die Entscheidung des faktischen Machthabers, des Herren über den Ausnahmezustand. Insofern geht Schmitt von den grundlegenden politischen Entscheidungen aus, womit die Verfassung als der konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung eines bestimmten Staates (Monarchie, Liberaldemokratie, Theokratie usw.) definiert wird.
Es steht insofern dem Staat zu Verfügung, daß er im Ausnahmezustand maßgebende Entscheidungen trifft, um damit verfassunggebende Gewalt als Inbegriff der politischen Einheit mittels der politisch-provisorischen Maßnahmen zu schützen, obwohl er gegen einzelne Verfassungsgesetze verstößt.
Über die Wirkung einiger Corona-Maßnahmen kann man sicherlich diskutieren und auch sollte man sich bewußt sein, daß das politische Establishment die Lage wohl in seinem Sinne ausnutzen würde. Dennoch gehört es zum normalen Bestand der Staatlichkeit, in einer Gefahrenlage die Grundrechte einzuschränken.
Die Coronakrise hat wohl eine Fehlentwicklung im rechten Lager sichtbar gemacht. Das Plädoyer vieler Rechter für sichere Grenzen und die Sicherung der Lebensbedingungen der deutschen Bürger hat sich so hysterisch in eine Merkel-Phobie umgeformt, daß einige Kreise den liberal-anarchistischen Tendenzen ausgesetzt sind. Dabei ist nicht verwunderlich, daß rechte Aktivisten gegen Corona-Beschränkungen am Samstag vor der Volksbühne in Berlin-Mitte mit staatsfeindlichen Linksextremisten zusammen demonstriert haben.
Die Tatsache ist, daß es sich bei Corona-Pandemie nicht um eine gewöhnliche Grippe handelt, die jedes Jahr vorüberzieht. Es handelt sich um eine gefährliche Pandemie. Denn die Kliniken und Intensivstationen sind wegen deren raschen Verbreitung mit Patienten gefüllt und 25% bis 30% der Pflegenden und der Ärzteschaft erwerben auch genau jene Krankheit, welche jene Patienten haben.
Von daher reicht die ungestörte Ausübung von Grundrechten in einem Ausnahmezustand zum politischen Handeln nicht aus. Allerdings ist der Gebrauch von Notverordnungen und Überlegungen zu deren Rahmenbedingungen erneut in Erwägung bei den neuen rechten Intellektuellen und Juristen zu ziehen, anstatt auf jenen bürgerlichen Freiheiten zu beharren, welche u. a. bislang der Massenmigration und einer multikulturellen Gesellschaft Vorschub geleistet haben.
Denn wir erleben hierzulande in gewisser Weise den Beginn »Weimarer Verhältnisse«; die Coronakrise ist die erste Etappe der grundlegenden Umwälzungen der sozialen und politischen Verhältnisse aufgrund der bevorstehenden Wirtschaftskrise und fehlender gesellschaftlicher Solidarität.
FranzJosef
Wo bleibt ein Artikel von Antaios-Autor Manfred Kleine-Hartlage zu Corona hier in der Sezession? Warum ist Compact-TV schneller?