Interessant finden die Diskutanten dies, weil an Grundpfeilern der Ethik und Aufklärung, mithin am europäischen Weltbild rütteln darf, wer am Kant-Denkmal rüttelt.
Insofern es überhaupt eher ums bloße Meinen und Dafürhalten als um qualifizierte Urteile geht, darf zudem jeder mitmachen, gegen einen der Größten der Philosophie, der oft als Autoritätsbeweis zitiert, kaum aber gelesen wird. Bekenntnis ist in der Berliner Republik längst wichtiger geworden als Erkenntnis. Nicht mal die philosophisch gebotene Unterscheidung von Wort und Begriff findet statt.
Müßig deswegen, jetzt darauf hinzuweisen, daß Kant am besten aus seiner Zeit heraus zu verstehen ist, die nun mal anderen Begriffen und Zuschreibungen folgte als die unsere, wenngleich sich Johann Gottfried Herder mit einer vermeintlich damals schon moderneren Auffassung gegen den Königsberger in Stellung bringen läßt.
Das alles kann man, wenn man möchte, im Berliner „Tagesspiegel“ nachlesen, in einer Argumentation von Floris Biskamp, der kenntnisreich daherkommt und gerade noch moderat polemisiert, obwohl er einer der steten Mahner vor rechter Gefahr ist.
Symptomatisch erscheint aber etwas anderes, nämlich allein der Untertitel der Überschrift. Er lautet: „Müssen wir den Philosophen der Aufklärung heute vom Sockel stoßen?“
Dieser Satz offenbart im Stile der DDR-Volksbildung – vermutlich halbbewußt – mehr Zeitgeist, als er offenbaren will, und zwar zum einen kraft des frech vereinnahmenden Pronomens „wir“, zum anderen im Gebrauch des harten Modalverbs „müssen“.
Beides suggeriert, daß wir zur politischen Folgsamkeit erzogen werden müssen. Wer sind „wir“? Vermutlich alle „Anständigen“, die, weil sie anständig sind, gefälligst einem Diktum zu folgen haben: Wenn nämlich zu beweisen wäre, daß Kant als Rassist zu gelten habe, „müssen wir“ dieser Festlegung in Übereinkunft folgen und sollen den Aufklärer vom Sockel hauen, in Befolgung einer “Kritik der weißen Vernunft”, wie Biskamp pointiert meint.
Nein, eben nicht wollen, können oder dürfen, sondern MÜSSEN, aus einem Sollen heraus, das gebietet: Ein Rassist ist in unserem Deutschland eines Denkmals unwürdig, selbst wenn er ein philosophisches Erbe hinterließ, auf das sich unser Menschenbild sowie das Staats- und Rechtsverständnis gründen. Rassist bleib nun mal Rassist, selbst in seiner vormaligen Lebensgegenwart, die das Wort, wenn sie es überhaupt gebrauchte, eben nicht so gebrauchte wie wir Anständigen heute. Wollten wir das anders sehen und etwa noch von Historizität reden, wären wir ja selbst Rassisten.
Jemand, der sich als Medium der „Anständigen“ versteht, will seine Argumentation mit dem Ziel führen, daß danach unwidersprochen klar zu sein hat, was wir jetzt „sollen“ und “müssen”. – Das genau kennzeichnet überhaupt die politische Verfassung der Erziehungsrepublik Deutschland, nicht nur in der Frage, wie man zu Immanuel Kant stehen SOLL und MUSS.
Offenbar leben wir überhaupt in den Zeiten großer Läuterung: Unsere Sünden werden uns nicht nur endlich klar, nein, wir stellen sie sogar endgültig ab und gestalten wieder mal den neuen Menschen, still perplex nur, weil wir das über die früheren Jahrtausende nicht vermochten. Aber jetzt ist es ja soweit: Wir retten uns vor uns selbst und damit den Weltfrieden, das Weltklima und das Weltgewissen, und selbstverständlich sind wir aus Einsicht und Vernunft künftig keine Rassisten mehr!
Der Autor endet seinen Beitrag huldvoll salomonisch, aber doch tendenziös, selbst wenn er sich in den Konjunktiv zurückzieht:
“Wenn ‘vom Sockel stoßen’ aber heißt aufzuhören, Kant als einen über jeden Zweifel erhabenen Heiligen zu verehren, dann sollte man den Bildersturm besser heute als morgen vollziehen – und wenn man dabei ist, könnte man auch darüber nachdenken, ob man überhaupt irgendwen in solcher Weise auf Sockel stellen muss. (…) Vielleicht besteht für uns weiße Männer doch noch Hoffnung und wir können, wenn wir uns denn Mühe geben, auch im hohen Alter noch Rassismus verlernen. Darin dürfte man sich Kant dann durchaus zum Vorbild nehmen – aber das kann man nur, wenn man anerkennt, dass es einen Rassismus gab, den er verlernen musste. Auf einen Sockel muss deshalb aber niemand gestellt werden.”
Aha. Wir haben also bitte weiter zu lernen. Und uns zu bessern! Und sollen und müssen dann aber folgsam sein. Wir, also die Guten! Kant ist kein Heiliger mehr, wir aber können es endlich werden, antirassistisch sowieso, aber zudem tolerant, weltoffen, klimaneutral und möglichst vegan.
Die Auffassung der Linken, ein Leben ohne Leid und Schuld wäre möglich und der Mensch in seiner Exzentrizität würde durch ein neues Denken oder bessere Bedingungen erlöst, ist nicht nur illusionär, sondern vor allem gefährlich.
Maiordomus
Die Meinungen von Kant über "Negern", "Mohren"m "Eskimos", über die "rachsüchtigen und feigen", aber "arbeitsamen" allesfressenden Chinesen u. auch sog. Naturvölker waren sogar für das 18. Jahrhundert unter jeder Kanone und weit unter Niveau der Jesuiten-Missionare, die früh die Sprache dieser Völker grammatikalisiert haben und deswegen klar mehr empirischen Zugang hatten als der nie über die engeren Gemarkunngen einer Stadt hinausgekommene Königsberger, eine Stadt, wo gestern eine "Siegesparade" stattgefunden hat, kein Beitrag zur kulturellen Weiterentwicklung zwar. Von hohem Unterhaltungswert ist das Buch "Kant's grosse Völkerschau", Heimeran München 1960, Anlass genug, sämtliche Spuren von Kant aus linksgenderischer Sicht zu löschen, zu schweigen von Kolumbus, der nach seiner 1. Fahrt 10 in Westindien für Glasperlen gekaufte Sklaven als Beute seinen Königen nach Hause gebracht hat. Eine Schülerin von mir, jetzt Arabistin, fand Kant "massiv überschätzt"!