So hoch wollen die meisten der Sympathisanten dann doch nicht pokern, nur 800.000 seien es gewesen. Immerhin. Vielleicht auch nur 500.000, das ist aber die absolute Mindestzahl!
Die Polizei und die Mainstreampresse sprechen von 17.000 bis 20.000. Wer die Bilder ansieht, der fragt sich, ob das nicht zu hoch gegriffen ist. Könnten diese Bilder aus der Mainstreampresse böswillig vor Beginn, oder nach dem Ende der eigentlichen Demonstration geschossen worden sein?
Ja. Möglich. Aber wir leben im Zeitalter günstiger Kameradrohnen, selbst wenn es eventuell illegal gewesen wäre, eine solche über die Demonstration fliegen zu lassen, bei 500.000 Teilnehmern müßte irgendwer das gemacht haben, oder wenigstens von einem erhöhten Standpunkt den Zug gefilmt haben, so daß man sehen kann, daß die Straße des 17. Juni tatsächlich voll war. Das wären zwar immer noch keine 1,3 Millionen und auch keine 800.000, aber zumindest nicht ganz so meilenweit davon entfernt.
Ich habe den Gutteil eines Nachmittags damit verbracht, mir die Aufnahmen von der Demonstration durchzusehen und keine einzige gefunden, die auch nur die Zahl von 500.000, die niedrigste, die die Anhänger der Demonstration vom vergangenen Samstag zuzugestehen bereit sind, ansatzweise bestätigen würde. Die beste Quelle, die ich finden konnte war diese 1:22 Stunden lange Aufnahme des gesamte Zuges, wie er an einem Punkt in der Berliner Innenstadt vorbeizieht. Der Filmer ist ein Sympathisant, der glaubt, daß seine Aufnahme die 1,3 Millionen Zahl bestätigt.
Die Menschen gehen in lockerem Abstand voneinander auf der Straße, die wesentlich schmaler ist, als die des 17. Juni. Sie brauchen keine anderthalb Stunden. Das ist eine ordentliche Demonstration, aber eindeutig in der Größenordnung von 20.000 nicht von 500.000 und erst recht nicht von 1,3 Millionen. Wer Schwierigkeiten hat, nicht die genaue Zahl, aber doch die ungefähre Größenordnung einer Menschenmasse abzuschätzen, dem sei dieser Artikel ans Herz gelegt.
Ich fordere gerne jeden heraus, mir auf Twitter, oder hier in den Kommentaren gegenteiliges Material zu präsentieren.
Bis dahin gilt Artikel 1 IGG (Internetgrundgesetz): Pics or didn‘t happen!
Vielleicht werden wir im Laufe der Zeit mehr erfahren, aber zur Zeit scheint es so, daß der Ursprung für die explodierenden Teilnehmerangaben bei dem Wiener Busunternehmer Alexander Ehrlich liegt, der die Anfahrten organisierte. Bei einer zweiten Kundgebung am Sonntag erklärte er, daß 50.000 Anfragen für Busreisen bei ihm eingegangen seien, im Schnitt für vier Personen.
Es sei aber unmöglich gewesen alle Anfragen zu bearbeiten und somit seien bei weitem nicht alle transportiert worden. Wie viele tatsächlich von ihm und seinen Vertragspartnern befördert seien, das weigerte er sich anzugeben, einmal mit Verweis darauf, daß er das erst mitteilen möchte, wenn alle sicher wieder zu hause seien (ab 49:35), dann hielt er sich die Option vor, diese Aussage aus rechtlichen Gründen dauerhaft zu verweigern (ab 56:00).
Aus den 200.000 des freilich hochgradig persönlich an einem schnellen Ende der Coronamaßnahmen interessierten Herrn Ehrlich wurden dann 1,3 Millionen. Ein durchaus üblicher Vorgang. Seit Hans Delbrück wissen wir, daß die 3 Millionen Perser des König Xerxes auf ganz ähnliche Weise zustande kamen.
Die Zahlenangaben zur Demonstration am 1. August sind dreist gelogen. Ich möchte das an dieser Stelle aber gar nicht moralisch bewerten, weil ich dazu die Frage beantworten müßte, ob es statthaft ist, ein politisches Regime mit Falschbehauptungen zu bekämpfen, dessen Propagandaapparat notorisch zur Falschmeldung greift und dessen Diskursmacht neben der institutionellen und finanziellen Überlegenheit auf dem Bullshitprinzip beruht, wonach es viel mehr Zeit und Energie kostet, eine Lüge zu widerlegen, als sie in die Welt zu setzen und am Ende trotzdem etwas hängen bleibt.
Doch was kommt davon? Die größte Sensation zuerst: Dieses Desaster beschert uns den ersten Faktenfinderartikel in der journalistischen Karriere Patrick Gensings, der nicht nur nicht gelogen ist, sondern mit jedem Wort ins Schwarze trifft.
Dieses Wunder ist ein ein guter Indikator dafür, welcher Glaubwürdigkeitsverlust das für die politische Rechte bedeutet. Denn auch wenn die Veranstalter der Demonstration gerade nicht aus unserem Milieu kommen, rechnet man diese Demonstration jetzt bereits der Rechten zu.
Und das ist nicht einfach böswilliges Framing. Zahlreiche Akteure des rechten Lagers, viele, die über Jahre hinweg verdienstvolle Arbeit geleistet haben, sind auf diesen Zug aufgesprungen und meinen jetzt offenbar, auch diese völlig aus der Luft gegriffenen Teilnehmerzahlen bestätigen zu müssen.
Der Protest gegen die Coronamaßnahmen hat wieder einmal schmerzlich gezeigt, daß die Opposition in Deutschland in zwei Teile zerfällt. Da ist auf der einen Seite die politische Rechte, die ein grundsätzliches Gegenprogramm zum Status Quo verficht, wie intellektuell ausgestaltet das dann beim Einzelnen seien mag oder auch nicht.
Dann ist da die viel größere Zahl derjenigen, die ich als BRD-Widerstand bezeichnen möchte. Der BRD-Widerständler ist jemand, der die Grundlagenkrise unserer Gesellschaft auf irgendeine Weise spürt, oft auch eine zutiefst feindliche Einstellung gegenüber den etablierten Parteien und Medien pflegt, aber die Ereignisse innerhalb des geistigen Rahmens verarbeitet, an den ihn die bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gewöhnt hat.
Der BRD-Widerständler denkt über Politik so, wie ihm das Denken über Politik im Sozialkundeunterricht beigebracht wurde. Die Denkweise ist viel schwieriger zu ändern, als die Ausrichtung an irgendwelchen politischen Lagern.
Der, zugegeben klischeehafte, BRD-Widerständler ist gegen Coronamaßnahmen, weil sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Er lehnt die Euro-Rettung ab, weil das gegen den Maastrichter-Vertrag ist. Einwanderung will er nur legal und ist stolz, daß er einen schwarzen Freund hat. Vor dem aggressiven Auftreten des Islams hat er aber Angst. Deshalb glaubt er, daß Mohammed wie Hitler war und der Koran mehr oder weniger Inhaltsgleich mit Mein Kampf ist. Er schnüffelt im Widerstandslager nach Antisemiten und teilt auf sozialen Medien Karikaturen, auf denen Moslems kleine Kinder köpfen. Die Antifa beschimpft er als „Rotlackierte Faschisten“. Er ist gegen die Grünen, weil die eine Klimadiktatur wollen, und außerdem war die CDU in den 80ern auch noch gegen die Grünen.
Vor allem aber ist der BRD-Widerständler verunsichert. Darum ist er bereit, auf jeden Unfug aufzuspringen, solange der Unfug nicht zu rechts ist. Die originären Vordenker und Führungsfiguren, die dabei aus dem BRD-Widerstand aufsteigen, sind dementsprechend oft unter jeder Beschreibung.
(Vor einiger Zeit schlossen ein paar zynisch gewordene junge Patrioten eine Wette ab, daß sie Xavier Naidoo dazu bringen könnten, Jörg Meuthen als Freimaurer darzustellen. Sie fertigten dazu eine drittklassige Fotomontage an und haben ihre Wette gewonnen.)
Wäre der BRD-Widerständler nur der Anhänger irgendeiner Politsekte, so täte jede politische Bewegung, die ernst genommen werden will, gut daran, ihn nach Kräften zu ignorieren.
So einfach ist es leider nicht. Der BRD-Widerständler ist in der breiten Mehrheit kein dahergelaufener Wirrkopf. Er ist das unvermeidliche Produkt der in der ganzen westlichen Welt üblichen Erziehung zur Politikunfähigkeit durch Schule, Medien und Universität.
Die Verwechslung von Politik mit primitivsten Moralvorstellungen hat er mit der Muttermilch aufgesogen. In ihm manifestiert sich dieselbe Unfähigkeit in politischen Kategorien zu denken, die in nichtwestlichen Ländern mit einer Mischung aus Belustigung, und dem Entsetzen darüber wahrgenommen wird, daß der weltpolitische Block, der nach wie vor über die größten materiellen Machtmittel gebietet, aufgrund seiner inneren Diskursstruktur realismusunfähig ist und von einer moralischen Hysterie in die nächste torkelt.
Die Beziehung zwischen der politischen Rechten und dem BRD-Widerstand spielt sich nun im allgemeinen so ab, daß der BRD-Widerstand sich von irgendwoher politische Orientierung erhofft, aber Angst hat, mit den ganz Bösen assoziiert zu werden.
Die Rechte wiederum sieht im BRD-Widerstand ihren mit Abstand vielversprechendsten Resonanzraum, möchte aber nicht mit den ganz Durchgeknallten assoziiert werden. So läuft es seit der Gründung der AfD, hat sich durch das Phänomen der Septembergefallenen des Jahres 2015 verschärft, und durch Corona ist das Ganze jetzt eskaliert.
Die Dynamik zwischen der Rechten und dem BRD-Widerstand beruht darauf, daß letzterer sich in seiner Denkweise kaum vom gläubigen Zuseher der Tagesschau unterscheidet, jedoch durch die Ereignisse der letzten Jahre verunsichert wurde. Deshalb bietet er der Rechten ein Feld, in welchem sie mit weniger Pawlowreflexen zurecht kommen muß, als beim Durchschnitt der Bevölkerung.
Zudem, und hier haben alle recht, die im Teich der Coronakritiker fischen wollen, kommt die breite Mehrheit des deutschen Volkes nun einmal nicht ohne Folgeschäden aus der BRD-Erziehung heraus. Daran können wir nichts ändern und müssen irgendwie damit arbeiten.
Die letzten Monate haben jedoch aufs neue gezeigt, daß diese Dynamik so nicht weitergehen kann. Neben den erfundenen Teilnehmerzahlen vom Samstag sind ja der Parteiausschluß gegen Andreas Kalbitz und die unsägliche Geschichte um Lisa Licentia auf ihre Art ebenso Produkte des BRD-Widerstandes und bei Leibe nicht die ersten ihrer Art.
Die Rechte kann den BRD-Widerstand nicht abschreiben und seine Grundeinstellung kurzfristig auch nicht ändern. Aber sie braucht wieder eine eigene Position. Diese Position darf zwar kein rechter Szeneelfenbeinturm sein, aber sie darf auch nicht dem gerade aktuellen Fetisch der generell Unzufriedenen hinterher hecheln.
Die zu weitgehende Preisgabe eines solchen eigenen Standpunktes der Rechten zwecks Anschluß an das, was man für die Meinung der Unzufriedenen auf der Straße hielt, hat den Mainstreammedien während der Coronazeit den Triumph erlaubt, alle Dissidenten zu einem Sumpf von Verschwörungstheoretikern zusammen zu mischen, aus dem die grellsten Irrlichter herausleuchten.
Der bisherige Tiefpunkt ist, daß rechte Führungsfiguren entweder, wieder besseren Wissens, das Märchen von den (mindestens!) 500.000 tapferen Coronakritikern erzählten und es mit Bildaufnahmen untermauerten, auf denen man bestenfalls einige Tausend sehen kann, oder aber wie Björn Höcke, dem man noch nie ein solches Unbehagen an einer Sache anmerken konnte, es zumindest für unmöglich hielten offen zu widersprechen und sich auf ausweichende Formeln zurückzogen.
Im Ergebnis verliert die Rechte damit bei allen die Glaubwürdigkeit, die politisch auf der Kippe stehen, aber noch alle Sinne beieinander haben. Das ist ein langfristiger Verlust, der von keiner Demonstration aufgewogen werden kann, schon gar nicht von einer, die eben keine revolutionäre Masse hat.
In irrsinnigen Zeiten dürfen wir uns nicht davor fürchten, die Stimme der Vernunft zu sein. Daß unser Volk in der breiten Mehrheit zur Politikunfähigkeit erzogen ist, läßt sich nicht von heute auf morgen beheben. Der BRD-Widerstand wird uns auch in Zukunft viel Chancen bieten und noch mehr Kopfschmerzen bereiten. Doch daß die Reiter so mit den Pferden durchgehen, darf sich nicht wiederholen!
Fuechsle
Schön, daß SiN wieder da ist, auch wenn die kleine Verschnaufpause sicher nötig war. Jedenfalls trifft dieser gescheite, kaltblütige Beitrag den Nagel auf den Kopf und ist unbedingt zu beherzigen.