…dürfen keine Skandinavier sein!
Daß es nichts skandinavisches, indes aber viel nicht-skandinavisches gibt, wissen Sie, werte Leser, ja spätestens, seitdem wir uns Anfang des Jahres im Rahmen dieser Kolumne gemeinsam einem filmischen Machwerk der Scandinavian Airlines gewidmet haben.
Neue Erkenntnisse im Bereich der Non-Skandinavistik liefert nun ein Artikel auf der Homepage von National Geographic:
Die Wikinger – eigentlich DER Exportschlager der Nordlande – waren, so stellt eine im Fachmagazin Nature erschienene Studie begeistert fest, keine ethnisch homogene Gruppe. Erschienen ist der Artikel unter dem reißerischen Titel: „DNA-Studie zu den Wurzeln der Wikinger: Weder blond noch skandinavisch”.
Wie Sie sich vorstellen können, sitzt der Schock tief. Für viele Skandinavier und Wikinger-Fans dürfte durch diese Studie ihr felsenfestes Weltbild vom blonden Barbaren gehörig ins Wanken geraten. Denn sie müssen sich belehren lassen: „Die Wikinger waren ein bunter Haufen ohne einheitliche Ethnie oder Nation.“ Insbesondere der derzeit in Gründung befindliche Zentralrat der Wikinger in Deutschland ist schwer empört und gab bekannt, eine Verfassungsbeschwerde beim nächsten Allthing in Haithabu einreichen zu wollen. Auch Vertreter wikingischer Minderheiten in Schweden und Norwegen kündeten Protestkundgebungen an, welche jedoch an den vorherrschenden Corona-Bestimmungen scheiterten.
Spaß beiseite: Natürlich ist das ein großer Strohmann. Selbst in den verwirrtesten Winkeln der Rechten habe ich noch nie jemanden getroffen, der „die Wikinger” ernsthaft für „eine eigene ethnische oder regionale Gruppe von Menschen mit einer ‚reinen‘ genetischen Blutlinie” gehalten hat. Wenn der Begriff überhaupt als (Selbst-)bezeichnung verwendet wurde, bezog er sich auf den Akt der (Raub-)seefahrt. Um so interessanter ist es allerdings, sich nicht nur über die offensichtlich politisch motivierte Überschrift zu echauffieren, sondern ein wenig weiter im Text zu stöbern.
Nach einigen oberflächlich einleitenden Worten, die sich den seetüchtigen Nordmännern widmen, rücken die Autoren nämlich mit den Hintergründen der Studie heraus: „Die „Nature“-Studie untersuchte die genetischen Daten von 442 Menschen, deren Überreste aus der Zeit von etwa 2400 v. Chr. bis 1600 n. Chr. stammen. Alle wurden in Gebieten begraben, in die sich die Wikinger einst ausgebreitet hatten. Einige hatten einfache Gräber an weit entfernten Orten wie Grönland, andere wurden mit Artefakten im skandinavischen Stil wie Münzen, Waffen und sogar ganzen Booten bestattet.“
Wer kennt sie nicht, die brutalen Seeräuber aus den sturmumtosten Fjorden, die mit ihren Kaperfahrten begannen, als in Mesopotamien gerade das Gilgamesch-Epos niedergeschrieben wurde und insgesamt 4000 Jahre lang den Kontinent terrorisierten, bevor sie sich im Jahr 1600 – vielleicht angesichts des herandräuenden Dreißigjährigen Krieges – zur Ruhe setzten?
Viel interessanter – und im Artikel überraschend wenig gewürdigt – ist da doch die Tatsache, daß bei den fast 450 aus ganz Europa zusammengeklaubten Skeletten aus vier Jahrtausenden, die in der Studie durchsucht wurden, zwar durchaus eine innereuropäische Varianz (vulgo „Vielfalt”) nachgewiesen werden konnte, Spuren außereuropäischer Populationen aber offenbar weitestgehend fehlen: „‚Viele Wikinger sind gemischte Individuen‘ und hatten beispielsweise Vorfahren sowohl aus Südeuropa und Skandinavien oder sogar samischen und europäischen Ursprungs.“ In Anbetracht der Tatsache, daß ihre Handels- und Raub- und Entdeckerfahrten die Wikinger bis nach Afrika und Asien führten, ein durchaus beachtliches Detail.
Die Antwort auf die Frage, weshalb Wikinger jetzt gar keine blonden Haare hatten und unter ihnen auch keine Skandinavier waren, wie es die Überschrift insinuiert, bleiben die Autoren schuldig. Wenigstens mit dem Schlußsatz des Artikels erkläre ich mich indes einverstanden: „Migration war schon immer ein Faktor in der Geschichte der Menschheit“. Nein, wirklich. Wer hätte das gedacht?!
RMH
... und der Sonntagsheld ist damit Hägar der Schreckliche?
Da Urlaub in Dänemark seit einiger Zeit in Mode gekommen ist, empfehle ich den Besuch des Museums in Jelling. Da kann man - wie in vielen anderen Museen Dänemarks auch - erleben, wie unverkrampft mit Vergangenheit umgegangen werden kann und man kann u.a. multimedial, -visuel schon einmal den Einzug nach Walhalla proben ...
PS: Jedes europäische Volk beruht auf einer anfänglichen Mischung - welch Überraschung! Das hat sogar der als Tabu geltende notorische H.St. Chamberlain in seinen Grundlagen des 19.Jhdts vor mehr als 120 Jahren so dargestellt (siehe Kapitel: Das Völkerchaos).