Als es vor einiger Zeit einen “Skandal” ausmachte, weil die AfD zu einem Parteitag bestimmten Journalisten keine Akkreditierung gewährte, lachten wir hier grimmig. Ich habe Jahrzehnte kulturjournalistischer Arbeit hinter mir und bin Ausschluß von Anfang an gewöhnt.
Ungefähr fünfzehn Jahre hatte ich für die Junge Freiheit neue Kinofilme vorgestellt. Daß ich barsche Briefe (im Vorhinein, nicht aufgrund etwa böser Besprechungen!) von Filmverleihen bekam, daß Kinobetreiber mich beim Eintragen in die Presseliste (“JF? Brauchen wir nicht.”) scharf angingen: Alltag.
Im Buchgeschäft ist es nicht anders. Wie wir auf Buchmessen beim simplen Besuch verschiedener Verlagsstände “verjagt” wurden (ich zuletzt von Jutta Ditfurth – netter Versuch), hatte ich mehrfach dokumentiert.
Buchrezensionen sind noch mal ein eigenes Terrain. Wir selbst, der Verlag Antaios, sind schon vor vielen Jahren davon abgekommen, jeder Bitte um ein Rezensionsexemplar nachzukommen. In den Anfangsjahren unseres Verlags versandeten zahlreiche Antaios-Exemplare in den Redaktionen der Großfeuilletons. Man bestellte dort neugierig Buch für Buch, man las vermutlich mit Gewinn – und besprach natürlich nicht.
Ich handhabe das als Redakteurin anders. Wenn ich einen Verlag um ein Rezensionsexemplar bitte, habe ich mich zuvor gründlich über dessen Relevanz für uns informiert. Dann wird es in neunzehn von zwanzig Fällen auch besprochen. Man sollte wissen: Was die Leitfeuilletons dieser Republik angeht, ist seit vielen Jahren die Klage virulent, daß rezensionstechnisch (anders als etwa in US-Medien) nahezu ausschließlich gelobhudelt wird.
Journalisten sind oft auch Schriftsteller, und so haben wir es mit einer großen kulturellen Echokammer zu tun, in der die eine Krähe der anderen kein Auge aushacken will. Ich bin nicht wirklich drin in diesem Literaturbetrieb, aber die wenigen Sachen und (Günstlings-)Verhältnisse, von denen ich weiß, reichen mir. In der Sezession werden Bücher unbesehen von solchen Abhängigkeiten besprochen. Es gibt kein unverdientes Süßholz, es gibt keine unverdiente Häme. Wir arbeiten hart an der jeweiligen Sache.
Über den Daumen gepeilt, liefern uns rund Dreiviertel der deutschsprachigen Verlage keine Besprechungsexemplare mehr. Nicht, weil wir so oft Verrisse brächten. (Ich erinnere nur daran, wie panisch der Schöffling-Verlag reagiert hatte, nachdem wir einen Roman seines damaligen Autors Bernd Wagner lobten: “Woher haben die das Buch?? Von uns sicher nicht!”)
Es sind Gründe jenseits des Journalistischen. Warum erzähle ich das? Aus Gelegenheit: Gestern kam ein Pressebeleg zurück, den ich an den recht jungen, allseits hochgepriesenen “Verlag Das kulturelle Gedächtnis” gesandt hatte. Eingeschnappt klang die Aufschrift der beigelegten Karte:
Guten Tag, es steht Ihnen natürlich frei, unsere Bücher zu besprechen [uff!, EK], an Belegen Ihres Magazins besteht hingegen keinerlei Interesse. Mit freundlichem Gruß, Peter Graf.
Nun denn. Es steht den Leuten in diesem Lande selbstverständlich allerlei frei. Wir, Antaios, pflegen jedenfalls nicht, beleidigt zu reagieren, wenn sich jemand ernsthaft mit unseren Bücher auseinandersetzt. Hier nun meine Besprechung.
– – –
Wenn ein Buch wie Susanne Kerckhoffs Berliner Briefe in der renommierten SWR-Bestenliste als Erstplatzierung über 100 Punkte erhält, ist das für gewöhnlich ein Qualitätsurteil jenseits von Geschmacksfragen. Kaum ein Großfeuilleton ließ sich diesen (teil)fiktiven Briefroman entgehen. Er wurde hochgerühmt – durchweg.
Meine erste Lektüre endete mit einem Kopfschütteln. Was war das, wenn nicht, ja: weibische Befindlichkeitsliteratur, opportun gerade für schöngeistige Zeitgeistritter von heute? Eine privatistische, antifaschistische, noch dazu leicht verlogene Inventur (dazu gleich) der 1940er Jahre, verschriftlicht von einer davongekommenen Frau, die betont, es selbst beizeiten besser gewußt zu haben? Ich traute meinen Augen nicht.
Ich bin skeptisch, wo offenkundig reflexartig geurteilt wird. Ich vermutete den einfältigen, typischen »Antifa«-Reflex hinter all den Lobhudeleien. Dann hinterfragte ich auch meinen eigenen Reflex. Bin ich voreingenommen gegen solcherart Widerstandslektüre? Hm. Ich mag Franz Fühmann und Brigitte Reimann, obwohl sie deutliche Avancen ans DDR-Regime machten. Ich mag sogar auf irrationale Weise Peter Hacks, Maxie Wander und Johannes R. Becher – teils. Ich las die Kerckhoff also voller Skrupel erneut.
Es handelt sich um dreizehn nicht datierte Briefe, die ein deutsches Kerckhoff-Alter-Ego namens »Helene« an einen (offenkundig jüdischen und im Exil lebenden) »Hans« schreibt. 1947 hatte Susanne Kerckhoff (1918 – 1950, geendet durch Suizid, Halbschwester des DDR-Philosophen Wolfgang Harich) diesen Roman veröffentlicht. Die dreizehn Briefe bleiben ohne Antwort. Sie suggerieren aber einen Austausch. »Helene« tut, als antworte sie auf Hansens Briefe, indem sie Argumente, Antworten, Anwürfe von ihm aufgreift. Das ist fast nie plausibel. »Helene« nämlich erzählt und erklärt ihr Leben, als wisse »Hans« rein gar nichts von ihr – aber zugleich rekurriert sie auf gemeinsame Bekannte. »Helenes« Klagebriefen – und das sind sie – haftet daher wenig Authentizität an. Es ist ein Agendasetting und kein Dialog. »Hans« ist eine Luftnummer!
Kerckhoff / »Helene« schafft sich als unterlegene (nämlich trotz allem: deutsche) Überlegende Luft und Diskurshoheit. Sie vermaledeit die »zynischen Phrasen« des Verlierervolks, dem sie nur widerwillig angehört. Die Masse, dieses bei weitem nicht entnazifizierte »Pack« [sic!], dieses »Giftzeug« traue sich sogar, Stalin anzuklagen und »Rußland mit Hitler-Deutschland in einen Diktaturtopf« (»Helene« wagt sich metaphorisch durchgängig weit vor) zu werfen!
Kerckhoff / »Helene« deutet solche Grummeleien als Äußerungen »Unterlegener, die sich gegen die moralische Diskriminierung wehren und durch ihre Art des Wehrens sich noch schärfer ins Unrecht setzen.« Das explizit »antifaschistische« »Wir« der Briefeschreiberin bezieht sich auf die wenigen guten Sozialisten und Kommunisten. »Ideologisch sind wir an der Macht«, schreibt sie, jedoch als vom Volk ungeliebte Elite: »Es mag sich anders anhören, wenn Du Radio hörst, aber in Wahrheit sind wir eine ziemlich schwache Gruppe.« Kommt uns Radiohörern von heute das bekannt vor?
»Ehre allen Tapferen, aus welchem Lager sie immer kommen!«, feuert Kerckhoff / »Helene« an einer Stelle pathetisch. Ein Strohfeuer. Sie meinte es nicht so. Es geht ihr, die sich (interessanterweise zehn Jahre, bevor ihr Gegenbild Ayn Rand Atlas shrugged verfaßte) wiederholt als tapfere »Atlasameise« unter vielen anderen »Atlasameisen« bezeichnet, stets um ihre eigene Linie: »Die Deutschen sollten ins ›Haus der offenen Türen gehen‹, ins Haus der Kultur der Sowjetunion.«
Kerckhoff ist 1948 in die SED eingetreten. »Helene« schreibt 1947, sie könne kein Parteimitglied werden, weil »Enttäuschungen mich dort mehr martern würden als irgendwo anders. Aber die ganze Sehnsucht meiner Jugend, die ich heute noch bejahe, umarmt die SED mit einem sehr zärtlichen Kummer.« Am Ende des letzten Briefes schwört »Helene«, nun keine Christin mehr zu sein. »Mich bewegt allein das Golgatha meiner Mitmenschen.« Insofern antizipierte Kerckhoffs suizidaler Untergang, falls man es so hart sagen darf, den allgemeinen Verfall ihres Landes knapp vier Jahrzehnte hernach.
Im ansonsten überaus kundigen Nachwort des Verlagsleiters Peter Graf, der in diesem aufschlußreichen Dokument zurecht eine spezifisch »weibliche moralische Rigorosität« anklingen sieht, merkt er außerdem an, daß Kerckhoff einem Ränkespiel »alter weißer Männer« zum Opfer gefallen sei. Vielleicht, Gott sei mit ihr, war sie einfach schwach.
– – –
Susanne Kerckhoff: Berliner Briefe. Ein Briefroman, Berlin: Verlag Das kulturelle Gedächtnis 2020. 111 S., 20 €, kann man hier bestellen.
Gustav Grambauer
"Fühmann ..."
Es wimmelte damals von Kinderkonspirationsbüchern, das wg. seines Erscheinungsjahres (erst 1960) für mich bemerkenswerteste ist dessen "Suche nach dem wunderbunten Vögelchen", später (1964) von Losansky verfilmt, mit den - für die Vor-53-Zeit typischen - kontrastären Verkitschungs-Elementen.
Sehe diese Titel das sowjetische Literaturgenre aus der Zeit des Großen Terrors nachträglich in der DDR wiederbelebend, in dem unentwegt "Agenten, Saboteure, kleinbürgerlich-reaktionäre Elemente und Diversanten" von Kindern gejagt und Kinder auf die Parteidisziplin der Eltern getrimmt worden waren.
F. hat später auf beeindruckende Weise zur Integrität gefunden, die S. nicht. M. E. ist dies der Grund dafür, daß heute von Mainz aus ein neuer Seghers-Kult aufgezogen wird. In der original-möblierten Seghers-Wohnung hat mir Frau Melchert voriges Jahr u. a. mit Stolz erzählt, welch großer Seghers-Fan ZDF-Intendant Frey sei.
Zu Harich hat Prof. Prokop am intensivsten geforscht.
Grüße!
- G. G.