1930 uraufgeführt, galt es unter Kommunisten als Verrat: Zu offen wurde innerparteiliche Herrschafts- und Gewaltpraxis dargestellt und legitimiert. Der Literaturwissenschaftler und politische Publizist Prof. Dr. Günter Scholdt legt »Die Maßnahme« seiner Lageanalyse zugrunde, die er unter dem Titel Brechts “Maßnahme” und die AfD in der reihe kaplaken veröffentlicht hat (hier einsehen und bestellen).
Deutschland 2020 bedeutet Unterdrückung und Zersetzung von Alternativen mit allen Mitteln. Aber verhält sich die “Alternative” unter diesem Druck richtig? Nein, meint Scholdt, und geht mit der Partei hart ins Gericht. Wir sprachen nun mit dem Autor über seine grundlegenden Thesen.
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SEZESSION: Herr Professor Scholdt, welche hauptsächlichen Aussagen enthält Ihr jüngster kaplaken-Band?
SCHOLDT: Er bietet die Analyse eines makabren kommunistischen Lehrstücks von 1930 als fortgesetztes Politikum. Gegenwärtig taugt es als Modell für die Sanktionierung Unangepaßter durch die jeweiligen Parteiführungen.
Ein weiterer Akzent liegt auf der prekären Zwickmühle, in die unsere Herrschaftsclique die AfD manövriert hat: Entweder sie fügt sich bundesrepublikanischen „Korrektheits“-Normen und verrät damit einen Teil ihrer Wähler, insbesondere in ihrer Abneigung gegen Maulkörbe. Oder sie wird durch diverse „Verfassungsschützer“ grundgesetzwidrig ausgegrenzt.
SEZESSION: Sie beraten in Ihrem Büchlein die AfD gewissermaßen?
SCHOLDT: Der Band votiert nicht für diese oder jene AfD-Werbetaktik und beteiligt sich an Richtungsdiskussionen nur insoweit, als er die jeweiligen Konsequenzen durchdekliniert. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, ob oder wodurch die AfD als Freiheitspartei überlebt.
Hinsichtlich des fundamentalen Vernichtungswunschs des Establishments einem so gefährlichen Stimmenkonkurrenten gegenüber sollten allerdings keine Illusionen bestehen. Auch eine forciert „bürgerliche“ Fassade änderte daran wenig.
SEZESSION: Muß in so gefährlicher Lage nicht alles vermieden werden, was Mainstream-Angriffe begünstigt? Ist strengste Disziplin oberste Pflicht der AfD?
SCHOLDT: Auch eine junge, sympathisch aufmüpfige Partei, die erstmals seit langem wieder Volks- statt nur Elite-Anliegen vertritt, ist kein Tummelplatz für egozentrische Schwadroneure. Gleichwohl erwartet man von einer parlamentarischen Kraft, die sich nennenswert von der Abnick-Mentalität der Altparteien unterscheidet und sich gar als „Alternative für Deutschland“ versteht, grundsätzlich mehr Liberalität.
In den Gründungstagen zumindest spürte man allenthalben den Wunsch, nicht nur unser gesellschaftlich oktroyiertes Duckmäusertum zu überwinden, sondern auch innerparteilich temperamentvolle Diskussionen zuzulassen. Diesem freiheitlichen Geist entspricht eher eine größere Bandbreite zu tolerierender Meinungen.
SEZESSION: Rechtfertigt das auch jüngste skandalträchtige Äußerungen wie die des Ex-Pressesprechers Lüth?
SCHOLDT: Natürlich nicht. Es ekelt mich zwar vor der in Mode gekommenen Praxis, rechtsalternative Repräsentanten wie Lüth oder Strache (ehemals FPÖ) mit perfiden bzw. geheimdienstlichen Mitteln unappetitliche Statements zu entlocken. Und aus Mangel an Pharisäertum kann ich mir durchaus vorstellen, daß sich jemand, der tagtäglich einem bösartigen Dauerdruck ausgesetzt ist, in (vermeintlich) privatem Kreis auch mal im Ton gänzlich vergreift oder verbal auskotzt.
Doch wer seiner Partei solchen Schaden zufügt, muß Konsequenzen ziehen oder dulden, daß andere es tun. Korruptionsverdacht oder derartige Gewaltphantasien verbieten sich, und die Öffentlichkeit verzeiht sie weder hier noch in Österreich – zumindest nicht im rechten Lager. Ausnahmen gelten allenfalls für etablierte Parteien, inklusive der neuerdings koalitionsfähigen Linken, bei denen auf Parteitagen schon mal über die Erschießung oder Zwangsbehandlung von Reichen spekuliert werden darf.
SEZESSION: Haben also diejenigen recht, die der AfD schon lange zur „Säuberung“ respektive dem „Ausschwitzen“ des „rechtsradikalen Narrensaums“ rieten?
SCHOLDT: Das ist mir zu einfach. Nicht jeder rhetorische Grobianismus ist unangebracht oder gar eine (partei-)politische Todsünde. Wo Populismus – ein Begriff, den ich als Abwehrbewegung gegenüber einer abgehobenen Funktionselite positiv besetze – ernstgenommen wird, bedarf es auch einer Sprache, die Kompliziertes auf Wesentliches herunterbricht und mit drastischen Beispielen erläutert.
Eine provozierende Regierungspolitik verdient keine wohltemperierte Ausdrucksweise. Erfolgreiche Wahlkämpfer wie Strauß, Lafontaine, Schröder, Fischer und zuweilen auch Schmidt scherten sich häufig keinen Deut um Political Correctness.
SEZESSION: Schießt man als bewußt Inkorrekter zu oft übers Ziel hinaus?
SCHOLDT: Nun: Was unsere politische Klasse als unerträgliche rechte Herausforderung oder gar Extremismus beklagt, belegt meist doch gar keinen (sprachlichen) Exzesse, sondern Einsprüche gegen zentrale Elemente der aktuellen postdemokratischen Agenda, z.B.
- gegen die Auflösung der Nationen zugunsten einer kaum noch kontrollierbaren Eurokratie oder globalen NGOs;
- gegen EU-Finanz- und ‑Währungsgebaren oder ungebremste Massenimmigration samt ihrer sozialen und ökonomischen Folgen;
- gegen Genderwahn in einem sprachlichen Absurdistan;
- gegen billionenschweren Aktivismus in Sachen CO2 und neuerdings im Dienst unseres Corona-Managements;
- gegen unantastbare Multikulti-Visionen und Antidiskriminierungsterror à la BLM;
- gegen Political Correctness, die in nahezu allen Lebensfragen und Gesellschaftsbereichen den gesunden Menschenverstand und die Meinungsfreiheit blockiert.
Verteidigt man nicht umfassend das Grundrecht, solche und andere Belange in aller Deutlichkeit anzusprechen, wird man auf ständig kleinere Handlungsräume des angeblich nur noch Sagbaren zurückgedrängt und programmatisch kastriert.
SEZESSION: Ihre Parallelisierung von Brechts „Maßnahme“ mit der Praxis gegenwärtiger Parteien lebt von der Behauptung, diese verhüllten überhaupt noch etwas, das Nonkonformisten unbedacht ausplaudern. Doch vertuschen die Blockparteien ihre unseligen Ziele denn überhaupt noch?
SCHOLDT: In der Tat outen sich Parteiobere heute zunehmend öfter, so daß jeder halbwegs Beschlagene eigentlich Bescheid wissen müßte. Ein schlimmes Signal, obwohl lediglich die Spitze des Eisbergs sichtbar wird. Was uns mit allen Konsequenzen wirklich droht, erreicht das Bewußtsein der Öffentlichkeit eher selten, sondern wird häufig in blumigen Statements und geframten Nachrichten verschleiert.
Immerhin rumort es zuweilen sogar in der Basis der “hygienischen” Parteien gewaltig. Wenn also die CDU Maaßen abstraft, die SPD Sarrazin, die FDP Kemmerich und die Grünen Palmer, so erfolgen solche exemplarischen Sanktionen ja nicht, weil dies gänzliche Außenseiterpositionen wären. Im Sinne der Parteiführung bedarf es daher derartiger Exekutionen.
Der humanitäre Fortschritt in der Bundesrepublik besteht immerhin darin, daß man sich statt revolutionärer Liquidierungen einstweilen noch mit Rufmord und juristischer Behelligung begnügt. Nichtsdestotrotz kennzeichnet massive Disziplinierung von Abweichlern alle Parteien.
Und erst sie ermöglicht jene neue kartellartige Homogenität der Blockparteien, geprägt von der gemeinsamen Furcht, durch eine neue politische Kraft von ihren parlamentarischen Fleischtöpfen vertrieben zu werden.
SEZESSION: Wie verhält es sich speziell bei der AfD? Einigt sie überhaupt (noch) ein tragender Wille zur energischen Konfrontation des Establishments, den „jüngere Genossen“ öffentlich preisgeben könnten?
SCHOLDT: Dies bleibt als Kernfrage und entscheidet darüber, ob die AfD ihrer Freiheitsmission überhaupt noch gerecht wird. Schließlich verfolgten bereits die Lucke- und Henkel-Zirkel einen Kurs, der sich weithin auf EU- und Währungskritik reduzierte und das innerparteiliche „Säubern“ in Gang setzte.
Gibt es also überhaupt einen „Geheimplan“, der von „jungen Genossen“ zu verraten wäre? Bei den „Realos“ der Partei wohl kaum. Wenn sie sich durch „Fundis“ verraten bzw. in der Öffentlichkeit desavouiert sehen, rührt dies daher, daß ihre Politambitionen niemals über ein weithin systemkonformes Mitregieren hinausgingen.
Gleichwohl existierten in der AfD zu jeder Zeit nicht ganz einflußlose Grundimpulse, sich mit diesem (von ökonomischen Abhängigkeiten und Sozialgruppen-Kumpanei korrumpierten) postdemokratischen System nicht gänzlich gemein zu machen.
Die Blockparteien registrierten insofern mit Grund, daß sie diesmal ernsthaft herausgefordert sein könnten. Dies nun gänzlich im Sinne des Kontrollchors der „Maßnahme“ vergessen zu lassen, dürfte kein Königsweg zum Erfolg einer Alternative sein.
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+ Scholdt deutet es an: Die Alternative für Deutschland steht am Scheideweg – zum Teil selbstverschuldet. Daher fragt die neue IfS-Studie aus der Feder Josef Schüßlburners: Scheitert die AfD?
Kalastos
AfD-Bayreuth: Beisitzer muss gehen wegen Globalismuskritik.
Dazu passsend sind auch die skandalösen Vorgänge in der AfD-Bayreuth. Dort musste der Beisitzer Jürgen O aus dem Kreisvorstand gedrängt.
Der Grund dafür: Jürgen O hatte die aktuelle Bevölkerungsentwicklung in Deutschland als Genozid charakterisiert ("Deutscher Volksgenozid") und er den Einfluss der Globalisten auf die politischen Elite kritisierte.
Der Kreisvositzender der AfD-Bayreuth Christian Erdelen wird im Nordbayrischen Kurier mit den Worten zitiert:
"Er habe Sachen gesagt, „das geht so nicht.“ Die AfD distanziere sich von Aussagen, die mit der Partei nichts zu tun hätten. Der Begriff „deutscher Volksgenozid“ komme aus einer Ecke, mit der die AfD nichts zu tun habe. O. habe eingesehen, dass dies mit seinem Parteiamt nicht vereinbar sei und sei zurückgetreten " https://www.kurier.de/inhalt.antisemitische-verschwoerungstheorien-bayreuther-afd-funktionaer-muss-posten-raeumen.fa14911b-5b43-4b59-b90c-f3c1a289cc2e.html