Gutes – Nadine Schneider: Drei Kilometer, Salzburg: Jung und Jung 2019, 152 S., geb., 20 €
Auf dieses Büchlein stieß ich im Sommer nach der Lektüre von Die Unschärfe der Welt (hier von Kositza empfohlen). Etwas früher, 2019 erschienen, mit ähnlicher Handlung und in einer ähnlichen Zeit angesiedelt, aber ungemein verdichtet.
Rumänien, Spätsommer 1989: Anna, eine junge Frau, wohnt in einem winzigen Dorf an der Temesch, drei Kilometer sind es zur Grenze, zur Freiheit. Hans, ihr Geliebter, redet viel, vom Fliehen, von einer besseren Welt jenseits der drei Kilometer; Misch, der gemeinsame beste Freund, ist schweigsam, hat aber einen Plan. Auf schmalen 152 Seiten spielt sich das Drama ab: bleiben oder gehen? Widerstand oder Flucht? Hans oder Misch? Liebe oder Verrat?
Es liest sich nun aber nicht wie ein Drama, ganz langsam wird man in die Lebenswelt dieser jungen Frau hineingezogen, die alles mehr oder weniger mit sich geschehen läßt, beobachtet, grübelt, sich nicht entscheiden kann – und eigentlich keine große Veränderung herbeisehnt:
Ich frage mich, warum uns das nicht reichte. Warum es uns nicht reichte, das wir alle hier waren und an manchen Abenden eine gute Suppe aßen.
Dann aber läßt einem das Schicksal dieser drei jungen Menschen nicht los, entwickelt der Roman eine Sogkraft, bis zu einem fulminanten Ende und dem Zusammenbruch des Regimes – den allerletzten kitschigen Satz mag man verzeihen, es ist ja immerhin auch eine Liebesgeschichte.
Drei Kilometer hier bestellen.
– –
Schönes – Ludwig Reiners/ Albert von Schirnding (Hrsg.): Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch deutscher Dichtung, München: C.H. Beck 2007, 19.95 €, geb., über 1600 Gedichte
Letztes Jahr empfahl ich den Abreißkalender Mit deutschen Gedichten durch das Jahr 2020, damals ein wenig zu spät, nur dreißig Exemplare ließen sich noch verkaufen, dann war es vergriffen. Dieses Jahr waren wir früher dran mit der Werbung, und über 300 Exemplare sind bereits verkauft. Ich empfehle also auch dieses Jahr wieder, zuzugreifen (Mit deutschen Gedichten durch das Jahr 2021, hier bestellen), aber der Erfolg zeigt, daß es offensichtlich einen Bedarf an Lyrik gibt, und so will ich auf einen echten Klassiker hinweisen: Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch deutscher Dichtung.
1955 gab Ludwig Reiners diese großartige Sammlung deutscher Dichtung heraus, untergliedert in 25 „Büchern“: Das Buch der Liebe, Das Buch der Jugend etc. So findet sich in jedem Kapitel, in jedem „Buch“, das passende Gedicht zur Stimmung oder zum Anlaß. Man kann schmökern, entdecken und wiederentdecken, und Dank des guten Registers (nach Titel und nach Gedichtanfang) und Dichterverzeichnis auch hervorragend nachschlagen und suchen. Seit 1959 erschien der Band ununterbrochen und unverändert, 2005 erschien eine von Albert von Schirnding geänderte und erweiterte Ausgabe mit einigen Gedichten aus den letzten fünf Jahrzehnten.
Wer also Purist ist, mag antiquarisch nach einer älteren Ausgabe suchen, wer aber auch mit einem Gedicht von Günter Grass oder Friederike Mayröcker leben kann, sollte hier bestellen – fehlen darf das Hausbuch in keinem Haushalt!
– –
Wahres – Norbert Angermann/ Karsten Brüggemann: Geschichte der baltischen Länder, Stuttgart: Reclam 2018, 360 S., 29 €
Durch die Bücher einer meiner Lieblingsautorinnen, die leider in Vergessenheit geratene deutsch-estnische Schriftstellerin Else Hueck-Dehio (jedes junge Mädchen sollte Liebe Renata gelesen haben, jeder junger Mann Er aber zog seine Straße – beide leider nur noch antiquarisch erhältlich), hat sich früh ein Interesse für Estland im Besonderen und das Baltikum im Allgemeinen entwickelt.
Eine Reise dorthin ergab sich bislang nicht, und wird wohl auch so schnell nicht möglich sein, so muß dieser Band als Ersatz und Vorbereitung dienen. Es ist mir zwar schleierhaft, wie man ein Geschichtsbuch ohne zumindest eine Übersichtskarte herausgeben kann, aber abgesehen von dem Manko ist es eine lohnende und interessante Lektüre, beginnend mit dem Mittelalter, und endend mit der Lage der baltischen Staaten heute.
Besonders hervorzuheben ist der Augenmerk auf die ethnischen und sprachlichen Besonderheiten in den ersten Kapiteln und die natürlich für den deutschen Leser wichtige Geschichte der Deutschen im Baltikum.
Geschichte der baltischen Länder hier bestellen.
Gerald
Frau Wirzinger, vielen Dank, dass sie mich an den vor Jahren mehrmals gelesenen Roman „Liebe Renata“ erinnern. Er erreichte bei mir dasselbe wie bei Ihnen: ein anhaltendes Interesse am Baltikum, und dessen Menschenschlag, Landschaft, Geschichte. Der Roman selber zog mich in seinen Bann; das Werden einer jungen Frau in einer versunkenen Welt, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verwerfungen, wie sie damals überall stattfanden. Einzigartig die Beschreibung einer zarten Liebe, die wachsende Spannung zwischen dem Sehnen und dem Wollen der Jugend und nicht korrumpierbarer Prinzipientreue.
Danke auch für das Erwähnen des anderen Romans „Er aber zog seine Straße“, in welchem, wie ich erfuhr, eine wichtige Nebenfigur aus Renata weiterentwickelt wird: Herbert Haller. Ein in der gewachsenen Ständegesellschaft typisch gelangweilter Dandy, der dann in den sich anbahnenden Unruhen seine Aufgabe findet. Frei von jeglicher Abenteurerlust, ganz nüchtern: „Für mich … ist es Erfüllung. Für mich ist es endlich der große Einsatz.“ Antiquarisch entdeckt und gekauft, ich freu mich drauf. Und so hat auch das von Ihnen, Frau Wirzinger, vorgestellte Werk zur Geschichte der baltischen Staaten mich neugierig gemacht. Steht oben auf der Liste.