Wachsende Ringe – Tagebuch (6)

Ein paar stille Tage: Kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet, die Kommentarfunktion war ausgeschaltet. Draußen endlich Frost.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios


Musik und Spie­le mit den Kin­dern. Und Lek­tü­re: Ein befreun­de­ter Ver­le­ger sand­te mir Die Fes­tung von Ismail Kada­re, über den wir in der Sezes­si­on zwar schon ein Autoren­por­trät ver­öf­fent­lich­ten, des­sen Werk ich aber – bis auf eine Aus­nah­me – nicht kenne.

Die Fes­tung war ein groß­ar­ti­ges Lese­er­leb­nis. Ich begann am ers­ten Weih­nachts­fei­er­tag nach dem Mit­tag­essen und schloß das Buch am andern Vor­mit­tag. Danach leg­te mir Kositza den neu­en Mose­bach auf den Schreib­tisch. “Krass” sag­te sie, und ich dach­te, sie mei­ne Ton oder Inhalt oder Sze­nen. Aber der Roman heißt so.

Inhalts­an­ga­ben ver­fer­ti­ge ich jetzt nicht. Soviel nur: Die Fes­tung ist ein unheim­li­ches Buch, denn es ist aus der Sicht des Chro­nis­ten ver­faßt, der die erfolg­rei­che Bela­ge­rung der alba­ni­schen Fes­tung durch das osma­ni­sche Heer fest­hal­ten soll, zum Ruh­me des Heer­füh­rers und des Padi­schah in Istan­bul. Bloß: Die Fes­tung trotzt, für dies­mal zwar nur, aber immerhin.

Und Mose­bachs neu­er Roman? Mir sind unter den Leben­den, die episch erzäh­len kön­nen, aus­brei­tend, sze­nisch unfaß­bar satt und flei­schig, uner­müd­lich hal­be Näch­te hin­durch, ihren Erzähl­fa­den durch Jahr­zehn­te spin­nend, ohne daß er je riß, zwei atmo­sphä­risch ganz nah: Mar­tin Wal­ser und Mar­tin Mosebach.

Rans­mayr und Hand­ke, Tell­kamp und Ber­gel und Kopetz­ky und Kracht: Bei denen ist es eben nicht so, als kön­ne man sich nie­der­las­sen, sich hin­set­zen, mit dem Arbei­ten auf­hö­ren und für die nächs­ten Stun­den nur zuhören.

Man muß mit Mose­bach, wäh­rend man zuhört, kein Gespräch zu füh­ren ver­su­chen. Mehr: Man wür­de etwas Plat­tes sagen, ver­such­te man es. Man soll­te bloß zuhö­ren, also: lesen, Sei­te um Seite.

Mein Ver­dacht ist, daß er nichts will außer anzu­rich­ten und vor­zu­le­gen, mit dem fei­nen, leicht spöt­ti­schen Selbst­be­wußt­sein des Kochs, der weiß, wie man mit Pfan­ne und Tie­gel, Haupt­stück und Gewürz han­tiert. Er will, was wir ver­wun­dert wahr­neh­men dürf­ten, wenn wir wahr­neh­men könn­ten, mit dem unfaß­ba­ren Besteck der Spra­che zube­rei­ten. Er will die Spra­che hand­ha­ben, er will mit ihr han­tie­ren, ohne mit ihr zu expe­ri­men­tie­ren oder sie gar zu vergewaltigen.

Wer dann tafeln darf, dem läuft das Was­ser im Mund zusam­men (das Buch hat 500 Sei­ten!), und etwas Wun­der­ba­res kommt auf den Tisch.

– – –

Andern­orts ist das Wun­der­ba­re, ist das Wun­der, das Mys­te­ri­um ver­dampft. Die Mes­se am zwei­ten Weih­nachts­fei­er­tag: ein Offen­ba­rungs­eid. Spär­lichst besucht, Mas­ken­pflicht, den Gesang ersetz­te ein CD-Spie­ler, nach der Kom­mu­ni­on in die Stil­le hin­ein wur­de eine jaz­zi­ge süße Grüt­ze mit gro­ber Kanü­le unter die Haut gelei­tet. Von Andacht konn­te kei­ne Rede mehr sein.

Front­bo­gen Sach­sen-Anhalt: Eine vom Tode bedroh­te Ein­hun­dert­ein­jäh­ri­ge aus Hal­ber­stadt wur­de geret­tet, noch im alten Jahr (!), indem man ihr eine der ers­ten Impf­do­sen ver­paß­te. Wenn es ein Bild für den end­gül­ti­gen Sieg der tech­no­kra­tisch-quan­ti­ta­ti­ven über die see­li­sche Gesund­heit gibt, dann ist es in die­ser Gegen­über­stel­lung zum Alp­traum Kubins oder Boschs ver­dich­tet: Die­je­ni­ge Offen­ba­rung, die den Tod besieg­te, und zwar end­gül­tig, reagiert mit Erlah­mung der Heils­kraft und Preis­ga­be der inne­ren Fes­tung. Sie streckt ihre Wun­der­waf­fe, von deren Wucht sie allein weiß, und schickt uns in die Wüs­te. Kompaß­na­deln wei­sen auf heil­lo­se Sammelstellen …

– – –

Von Leh­nert erhielt ich die mir noch feh­len­den Tage­buch­mo­na­te Jochen Klep­pers zum Geschenk. In sei­nem Unter dem Schat­ten dei­ner Flü­gel ist das knap­pe Jahr aus­ge­spart, das Klep­per in der Wehr­macht auf dem Vor­marsch gegen die Sowjet­uni­on ver­brach­te: Die Über­win­dung umfaßt die Span­ne zwi­schen Janu­ar und Okto­ber 1941.

Klep­per haben wir noch nicht in einem Autoren­por­trät vor­ge­stellt. Aber sein Roman Der Vater ist eines der fünf Bücher, das ich für mei­nen Emp­feh­lungs­ab­schnitt unse­res Gemein­schafts­pro­jekts Das Buch im Haus neben­an auswählte.

Daß man sich kaum einen preu­ßi­sche­ren Kopf den­ken konn­te, half Klep­per nicht: Er wur­de bereits im Okto­ber 1941 als wehr­un­wür­dig ent­las­sen, weil er sich von sei­ner jüdi­schen Frau nicht schei­den las­sen woll­te und auch zu deren Toch­ter aus ers­ter Ehe stand. 1943 nah­men sich die drei das Leben – Hoff­nungs­lo­sig­keit in eli­mi­na­to­ri­scher Zeit, Sor­tie­rung ent­lang von Maß­stä­ben, die von Wahn­sin­ni­gen ange­legt wurden.

Sol­che Geschen­ke sind Andeu­tun­gen: Klep­per wird in der nächs­ten Staf­fel unse­rer Lite­ra­tur­ge­sprä­che der ers­te von vie­ren sein, deren Werk Leh­nert und ich vorstellen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (25)

Maiordomus

29. Dezember 2020 13:02

@Jochen Klepper war der Ausgangspunkt, warum Kubitschek unbeschadet  von alltagspolitisch dann und wann  unterschiedlichen Perspektiven für mich einen heute zu beachtenden Repräsentanten des deutschen Geisteslebens darstellt. Für mich unentbehrlicher als jeder Literat, der von Klepper vielleicht den Namen kennt oder wohl nicht mal denselben; auch nicht in der Lage wäre, über die wirklich bedeutenden und tapferen deutschen Autoren jener Generation zu schreiben und sich entsprechend mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich freue mich auf diese Gesprächseinheit; über den berühmten "Vater"-Roman hinaus verdienen die Klepperschen Briefwechsel hohes Interesse. Ausserdem gibt es einen Band "Im Schatten deiner Flügel" oder ähnlich. Eher kritisch setzte ich mich vor Jahrzehnten mit den "Olympischen Sonetten" auseinander. Hier hat Reinhold Schneider tiefer gesehen. JK war indes ein früher Spezialist für das Rundfunk-Feuilleton. Bemerkenswert ausserdem: Klepper in den "Weissen Blättern" von K.L. Guttenberg.

Ordo

29. Dezember 2020 14:45

Hoffnung kann befreien. Und sie kann lähmen, wenn sie dazu verführt, weiter passiv zu bleiben. In Fight Club heißt es: Alle Hoffnung zu verlieren ist Freiheit. Aber was ist eine solche Freiheit noch wert? Dann bleiben nur noch die letztlich unbefriedigenden Selbstkonstruktionsfantasien der Postmoderne. Ich denke, wir sind wirklich verloren. Während alle anderen gerade schreien, die Rettung sei nah. Gott ist wirklich tot. 

Heinrich Loewe

29. Dezember 2020 15:22

Jochen Kleppers Tagebuch, vorliegend in zwei Bänden (antiquarisch in schönen Leinen-Ausgaben erhältlich) haben den beachtlichen Umfang von ca. 1.400 Seite. Sie waren mir eine sehr berührende und bewegende Lektüre! Auch die kleineren Schriften sind von großer, sprachlicher Schönheit.

Wer je in Wusterhausen war, die Bilder des Soldatenkönigs anschauen, hat auch sofort die Szenerie vor Augen, wo dieser zum Mahle im Innenhof mit den „Stillen im Lande“ Konversation treibt. Der Kleppersche Stil jedoch duldet keinerlei Ablenkung… Schön, daß Sie Klepper zur Besprechung ausgewählt haben; ich freue mich darauf.

Gast auf Erden

29. Dezember 2020 16:47

"...ist das Wunder, das Mysterium verdampft. Die Messe am zweiten Weihnachtsfeiertag: ein Offenbarungseid. Spärlichst besucht, Maskenpflicht,..."

Komme zwar aus dem freikirchlichen Dunstkreis, aber die durchgängige Maskenpflicht (plus all die anderen "Neuerungen") verunmöglichen mir eben das Mysterium Gottesdienst. Ein vorher nicht für möglich gehaltenes Unbehaustsein ergreift mich. "Wo zwei oder drei in meinem Namen..." - Zusagen erlangen ganz neue Qualitäten.

Und Jochen Klepper? So in aller Konsequenz zu seinem Partner stehen zu können, mehr verstehen können von einem Martyrium, das wir bewundern, aber für uns nicht wünschen? Ich möchte mich gerne überraschen lassen. 

Ein gebuertiger Hesse

29. Dezember 2020 17:20

"Kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet" - so sieht sie aus, die Impfung nicht gegen, sondern für etwas, nämlich die unbezahlbare geistige Immunität. Sie wird auch im neuen Jahr das A und O bleiben. Mögen wir in den selbstgewählten Rückzugsräumen stets die Kraft finden, die uns aufrecht und widerständig gehen läßt.

heinrichbrueck

29. Dezember 2020 17:26

„Gott ist wirklich tot.“

In der Politik gibt es keine Zufälle. Die Geschichte kennt Sieger und Verlierer. Der Sieger hat einen besseren Plan, also ist Gott auf seiner Seite.

„Beten ist in der Religion, was Denken in der Philosophie ist. […] Der religiöse Sinn betet, wie das Denkorgan denkt.“ Novalis

Das Denkorgan sollte nicht beten, zumindest nicht in der Politik. Sonst wird die Realität ihn aus der Geschichte planen.

limes

29. Dezember 2020 22:35

» … das Mysterium verdampft« … von Andacht »keine Rede mehr«:
Kollateralschaden oder metapolitische Taktik?

Möglichkeit 1: Dagegen können wir etwas tun, jeder an seiner Position.
Das Weihnachtsmysterium ist wesentlich. Metapolitische Chancen gilt es zu erkennen.
Möglichkeit 2: Dagegen können wir nichts tun, sind hilflose Zuschauer.
Die weihnachtliche Konsumparty funktioniert auch in Pantoffeln und Pyjama.
Sicher sind beide Szenarien realistisch.

@ Ordo: »Alle Hoffnung zu verlieren ist Freiheit. Aber was ist eine solche Freiheit noch wert?« Ich nehme an, wer so fragt, hat noch nicht alle Hoffnung verloren.
Gott ist nicht tot, auch wenn die Rettung nicht nah ist oder nicht nah erscheint. Wir können ihn nur nicht verstehen.

Alter Lehrling

29. Dezember 2020 23:34

@ heinrichbrueck

>Die Geschichte kennt Sieger und Verlierer. Der Sieger hat einen >besseren Plan, also ist Gott auf seiner Seite.

Beide sind letztendlich Verlierer, der Verlierer selbst wie der vermeintliche Sieger. Spätestens ist das evident, wenn geschieht, was in der Geschichte immer wieder besichtigt werden kann: Der Sieger von heute ist der Verlierer von morgen oder übermorgen.

>„Beten ist in der Religion, was Denken in der Philosophie ist. […] >Der religiöse Sinn betet, wie das Denkorgan denkt.“ Novalis

Eine solche Trennung von Religion und Philosophie ist wesentliches Kennzeichen der Krise der ›Moderne‹. Schließlich wird nicht allein das Beten aufgegeben, sondern obendrein das Denken.

>Das Denkorgan sollte nicht beten, zumindest nicht in der Politik. >Sonst wird die Realität ihn aus der Geschichte planen.

Gerade umgekehrt: ›Ausgeplant‹ wird, wer jene Trennung vornimmt.
 

Hartwig aus LG8

30. Dezember 2020 09:34

"" ... dem 30. Januar 1933. Dieser Tag der Machtergreifung Hitlers ist für uns heute ein Schlüsseldatum der deutschen Geschichte. Für Fernaus "junge Männer" war es aber nur der Tag, an dem die Weimarer Republik wieder einmal eine neue Regierung bekam, und an dem ansonsten der Alltag weiterging ...""  (antaios.de)

Ich denke, dass es heute ähnlich ist; wir sind zu nah dran. Wenn wir noch nicht zu alt sind und dereinst vielleicht mit Abstand auf die Jahre 2015 bis 2025 schauen, dann werden wir den Wirbelsturm erkennen, den wir zur Zeit nur als steifen Gegenwind wahrnehmen.

 

Leo

30. Dezember 2020 12:26

Schon wer im alten ESG in der Adventzeit blätterte, stieß bei Nr. 14 auf den Namen Jochen Klepper.

"Die Nacht ist vorgedrungen." Kaum ein Lied paßt besser in diese Zeit. Vielleicht auch deswegen soll innerkirchlich fast nicht(s) mehr gesungen werden. (Selbst das Sanctus wurde in der Frühmesse letzten Sonntag nur gesprochen - brrr!)

"Unter dem Schatten deiner Flügel" habe ich vor über 17 Jahren gelesen - nicht zuletzt in innerer Vorbereitung auf seinen 100. Geburtstag am 22. März 2003. An einer evangelischen Pankower Kirche wurde Klepper vom damaligen Pfarrer Dr. Ulrich Kappes eine (über 2 1/2-stündige!) Missa poetica gewidmet. So was gab's nur einmal. 

Ja, Klepper ist ein wichtiger Geist. Auf die Sendung freue ich mich!

"Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her."

Mein Rat, abseits von Lektüre: Mehr Klepper SINGEN - denn: "Wer singt, betet zweimal." [war'n anderer; ich weiß].

Noch ein Hesse

30. Dezember 2020 12:40

Heiligabend, 16 Uhr: Lichterstunde in der Kirche der örtlichen Christengemeinschaft. Die Pfarrerin ist Rumäniendeutsche, die sich noch an Ceausescu erinnert. Kleiner Kreis, vielleicht 25 Menschen, aber keine Masken und keine Abstände, dafür Gesang, echt, live, nicht vom Band. Und auf einmal ist alles gelangweilt gewohnheitsmäßige, rituell showmäßige weggeblasen: Wer hier dabei ist, der ist es aus einer klaren inneren Entscheidung. Andacht - und Mysterium.

@Metapolitische Taktik, ganz klar. Aber wir können diesen Schuss nach hinten losgehen lassen.

anatol broder

30. Dezember 2020 12:46

während der mensch seinen gott betrauert, fragt ihn der tanzende roboter: «liebst du mich?»

Maiordomus

30. Dezember 2020 13:04

@Alter Lehrling. "Betendes Denken" gab es vielleicht bei einzelnen Betrachtungen von Meister Eckhart, aber bei streng logisch-methodischen Untersuchungen nicht mal bei Thomas von Aquin. Selbst die sogenannte Leugnung Gottes wurde bereits im Mittelalter mehr als nur angedacht; da muss nicht erst Umberto Eco lesen. Der klügste katholische Priester der letzten 200 Jahre, formal-methodisch eher über Kant und von den deutschen Protestanten plus Kierkegaard kaum eingeholt, hiess Bernhard Bolzano (Prag). Er unterschied sehr wohl Beten und Denken. Auch die autoritative Verkündigungssprache Jesu ist nicht mit Denken zu verwechseln. Zu bedenken bleibt aber überdies der Satz Heideggers, den Sie vermutlich sehr wohl nachvollziehen können, wiewohl aus dem dortigen Kontext zu verstehen: "Die Wissenschaft denkt nicht." Heideggers Denke hatte aber in der Tat etwas Raunendes, welches ich aber nicht mit Beten verwechseln würde. 

Maiordomus

30. Dezember 2020 13:16

@Kositza u. Verlag: "Der ewige Brunnen", bei Ihnen bestellt, neu herausgegeben von Albert von Schirnding, dem klugen Weggefährten des grossen Deutschlehrers Friedrich Denk (Orthographiereform-Kritiker), ist zu meiner Begeisterung noch im alten Jahr per Post bei mir eingetroffen. Noch schöner als erwartet, wie fast nur Borchardts "Ewiger Vorrat deutscher Poesie". Am meisten Freude hatte ich am Eingangsgedicht von Albrecht Goes, neben dem sitzend ich im Kaufhaus zu Freiburg 1971 Vorträge von Friedrich Heer und Walter Nigg anhörte. Unterdessen ist dieser epochale "Nachbar"  längst verstorben. Die letzte Strophe aber lautet: 

"Geh kühnen Schritt, tu tapferen Tritt,

gross ist die Welt und dein.

Wir werden nach dem letzten Schritt

wieder beisammen sein."

Gibt es einen schöneren Gruss eines verstorbenen väterlichen Freundes?

 

 

heinrichbrueck

30. Dezember 2020 14:44

@ Alter Lehrling

Wenn die Christen nicht mehr glauben können, muß es einen triftigen Grund geben. Dann ist die Krise nicht zu überwinden, wenn sie noch stärker glauben und beten. Ich sehe keinen Weg zurück. Das Wissen fordert das Denken heraus. Geht das Denken in die falsche Richtung, verliert auch der Glaube seine wahre Rechtfertigung. Diesen Kampf, wie soll er gewonnen werden?

Ein gebuertiger Hesse

30. Dezember 2020 14:53

@ Hartwig

"Wenn wir noch nicht zu alt sind und dereinst vielleicht mit Abstand auf die Jahre 2015 bis 2025 schauen, dann werden wir den Wirbelsturm erkennen, den wir zur Zeit nur als steifen Gegenwind wahrnehmen."

Wobei der unschöne Witz hierbei der ist, daß einem dieses Vorwissen vermutlich nichts nützt. Widerständige Form annehmen - dort, wo man täglich steht und geht - wird man ungleich mehr durch eigenes Verhalten und Handeln als durch jede noch so richtige Prophetie. (Was ich ergänzend meine, nicht belehrend.)

Vielleicht müssen wir metapolitische Dinge, wie wir sie dank einer Schule wie SiN seit Jahren aufnehmen, in uns hin und her bewegen, womöglich sogar von ihnen träumen, letzten Endes vergessen, ruhen lassen, um dort, wo es hart auf hart kommt, unseren Mann zu stehen. Ähnlich ist ein wirklich großer Schauspieler wie Marlon Brando mit Drehbuchtexten umgegangen - sie waren Elemente, die sein Agieren im Jetzt, also im Moment der Aufnahme, grundierten, aber nicht ausmachten. Was sie ihm eingaben, war die Pflicht, aber auch die Berechtigung und überhaupt erst die Freiheit, im Hier und Jetzt das Richtige zu tun.

Monika

30. Dezember 2020 15:19

Was Kubitschek Martin Mosebachs Buch,  war mir während der Weihnachtstage das Buch von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz „SPIELRÄUME“. Tiefe theologische Gedanken in überraschend verständlicher Sprache ausgedrückt. Nein, das Wunderbare ist nicht verdampft! Es findet sich nur nicht an den Stellen, wo wir es erwarten ( Die hiesigen Weihnachtsgottesdienste waren armselig).   Es geschieht unerwartet! Wunderbar ist das Gedicht von Albrecht Goes „Die Schritte“. Beim Lesen der dritten Strophe ( @maiordomus) fielen mir wie aus heiterem Himmel die beiden ersten Strophen ein. Sie sind in meinem Gedächtnis eingebrannt. Ich muss das Gedicht vor Jahrzehnten in der Schule gelernt haben. Und habe es seitdem nicht mehr gehört. Zumindest dieses Gedicht ist nicht verdampft...

Gustav Grambauer

30. Dezember 2020 16:06

Noch ein Hesse

"Christengemeinschaft - ... wer hier dabei ist, der ist es aus einer klaren inneren Entscheidung. Andacht - und Mysterium"

Ich weiss von einer Christengemeinde, bei der der Kassenwart SFr 30.000 unterschlagen hatte. Es gilt überall als ungeschriebene Regel, jemand in einem solchen Fall ratzfatz rauszuwerfen, ihm den Schubkasten hinterherzukippen und Hausverbot zu erteilen sowie den Rest die Anwälte erledigen zu lassen. Aber nein, sie haben sich mit ihm zusammengesetzt, nach seinem Ausdruck der Reue eine außergerichtliche Abzahlungsvereinbarung mit ihm getroffen und der Mitgliederversammlung vorgeschlagen, daß er im Angesicht seiner Schuld Kassenwart bleiben dürfe, was auch mit großer Mehrheit bestätigt wurde und wobei er sich bewährt hat. Hat dies die Gemeinde näher zusammengebracht? Sicher! War dies inmitten der bereits begrifflichen Obszönität des sog. HRM ("Human Resources Manangement") und der Eiseskälte des Law-and-Order-Fanatismus, aufgrunddessen Kassiereninnen wegen zuungunsten der Company / Kompagnei / Kumpanei aufgerundeter Kleinstbeträge ohne Anhörung auf die Straße gesetzt werden, eine Demonstration von Großmut, Grandezza, Menschenliebe und spiritualisiertem Christentum? Ja! Haben sie gewußt, was sie damit der "all-gemeinen" geistigen und seelischen Finsternis entgegensetzen? Aber in aller Klarheit!

- G. G.

MARCEL

30. Dezember 2020 16:16

Zu Festung fiele mir noch Kolberg 1807 ein (dazu die filmische Durchhalte-Version von 1945) mit seinem Volkshelden Nettelbeck. Der preußisch-deutsche Mythos Kolberg wäre einen Sez.-Artikel wert (kein Widerstand ohne Rückbindung an Mythen).

Doch wie sagte der damalige Gegner Napoleon treffend: "Diejenige Partei, die in der Festung bleibt, verliert".

Auch 2021 wird der Gegner nicht ruhen - und wir auch nicht

MARCEL

30. Dezember 2020 17:21

p. s. Mittlerweile scheint es eine Art umgedrehter Triage zu geben. 100 jährige erhalten "neues Leben" per Impfung, während das Leben der wenigen Jungen nachhaltig ruiniert wird.

Es geht nach den Kopfzahlen: Migranten und Rentner führen da mit Abstand. Wie sagte doch einst Rolf Dieter Brinkmann:"Ihr seid doch nur noch viele!" (bei allem Respekt für ältere Leser und Kampfgenossen)

Franz Bettinger

30. Dezember 2020 23:34

So, man liest meine Kommentare also teils mit grimmigem Vergnügen, höre ich. Ha! - Früher wehrte ich mich dagegen, bei politischen Diskussionen (meinetwegen über das 3. Reich, aber auch über Umwelt) von Freunden gesagt zu bekommen: Du bist in Wahrheit ein Rechter. Das wollte ich nicht sein. Ich zuckte zusammen. Reflexartig wehrte ich die Kennzeichnung ab, die nach Kainsmal roch und wohl auch so riechen sollte. 

Die Freunde hatten recht: Meine Haltung war wohl  immer schon rechts  gewesen (ausgenommen einer kurzen Periode als Siebenjähriger, in der ich eine Phase linken Mitleids mit den armen Negerkindern durchlebte, denen ich mein ganzes Erspartes nach Afrika schicken wollte, damit sie sich einmal richtig satt essen konnten, was meine Mama verhinderte).  

Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde, dass in mir ein verkappter Rechter steckt. Ich war für Leistung, Fleiß und Schulnoten, ich war für die Auslese. Ich fand Hierarchien gut und die Jusos doof, und irgendwann empfand ich meinen Abwehrreflex gegen das rechte Stigma mindestens genau so doof - und ließ ihn weg. Von nun an hieß es: Ja, ganz recht: Ich bin rechts, und das ist auch gut so. Das war das Ende der Toleranz derer, die die Toleranz stets groß im Schilde führten. Während die (ehemalige Nazi-Mitläufer und nun in der BRD Arrivierte) Eltern meiner damaligen Weggefährten noch über mich schmunzelten, verwarfen mich meine Freunde.   ff

Franz Bettinger

30. Dezember 2020 23:36

ff

Nein, eigentlich doch nicht. Sie hätten es gerne, konnten es aber nicht. Denn sie brauchten mich, als Hilfe. Als Hilfe in der Schule, beim Sport, Hilfe beim Abenteuern und Hilfe bei verbalen Abwehrschlachten gegen Noch-Linkere als meine Freunde. Irgendwie war ich ihnen ganz nützlich. Bis sie es geschafft hatten, ihr Abitur mit Ach und Krach hinzukriegen und über Härtefall-Klauseln sich ihr Med-Studium und über Beziehungen ihren Doktor zu erschwindeln und eine passable Frau zu finden, die sie sich mit der Zeit zurecht kneteten, und ein feudales Haus zu erben, nachdem man die Geschwister erfolgreich ausgebootet hatte. Die anpasungsfähigen linken Freunde! 

Da entdeckte ich eine tiefe Wahrheit: Man kann sich seine Freunde nicht aussuchen. So wenig wie die Brüder, Eltern, Tanten und Onkel. Sie passieren einem, sie liegen am Weg. Man nimmt sie auf, steckt sie ins Gepäck + macht das Beste draus.

Irgendwann ist es genug. Da holt man sie aus dem Sack und schmeißt sie von sich. Ende der Zeitverschwendung. Fortan achtet man mehr darauf, wen man mitschleppt. In dem Sinn: Alles Gute, auf dass die Zukunft besser werde als unsere böse Ahnung! Nofear, Nomaské, Novaccine und Nonchalence! F

Franz Bettinger

30. Dezember 2020 23:40

Es war das Buch Tristesse Droite von Kositza, das mich den Schnellrodaern näherbrachte. Da stehen ein paar tief gehende Dinge drin, z.B. (wenn ich recht erinnere) Kositzas Definition von rechts. = das Eigene wertschätzen und verteidigen. Das Eigene? Das sind die Eigenschaften, Eigenheiten, Eigentum, usw. - Ja, das erachte auch ich als die Grundlage des rechts Seins. Ich habe über rechts und links schon viele Briefe (an meine Freunde und Ex-Freunde) verfasst. Das Linke tragen wir Rechten auch in uns; zu gewissen Zeiten kann man sich leisten, links zu sein; heutzutage nicht; heute führt Linkssein schnurstracks in die Auslöschung, allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung. Also: Grenzen zu! Ramassez à la soupe - notre soupe! 

Laurenz

31. Dezember 2020 13:59

@Anatol Broder

Bei Castaneda habe ich gelernt, die Liebe ist ein rares Gut, da alle nach ihr suchen, ob nun nach Gottes Liebe, die anderer oder die eines Roboters, spielt im Tun keine Rolle. Vielmehr sollten wir uns fragen, was mit unserer eigenen Liebe ist.

@Gustav Grambauer

Sie haben Ihre Religion genau beschrieben. Sie existiert vordergründig für Verbrecher, die sich nicht verantworten wollen und immer um Verzeihung bitten. Ich, hingegen, votiere für unbarmherzige Rücksichtslosigkeit, außer gegen Soldaten und Kinder.

@Maiordomus

Das Beten ist wohl verfälscht worden. Es geht doch nicht darum, was wir zu sagen haben, befürchten, hoffen. Die Kontemplation dient dazu, zu hören oder zu fühlen, was der Große Geist, die Absicht, der Adler oder von mir aus Gott zu sagen hat. Welche Richtung schlägt die Göttliche - und Universale Allmacht ein?

quarz

31. Dezember 2020 15:13

@Bettinger

"das Eigene wertschätzen und verteidigen"

Dieser Impetus bedarf einer Ergänzung, ohne die der mit ihm verknüpfte Handlungsgrund nicht über den Status eines Ideals hinauskommt, dem man sich auch verweigern kann ohne sich moralisch schuldig zu machen. Die Wertschätzung des Eigenen ist nicht nur moralisch zulässig und auch nicht nur moralisch verdienstvoll, sondern mehr noch: die höhere Bewertung des Eigenen ist in vielerlei Hinsicht eine moralische Pflicht.

Die Ursünde des moralischen Universalismus besteht im Ignorieren der Tatsache, dass wir für bestimmte Menschen wie Familienangehörige oder Landsleute in höherem Maße verantwortlich sind als für x-beliebige andere Personen. Wer den Interessen der Fernsten in der Orientierung seines Handelns in jeder Hinsicht dasselbe Gewicht einräumt wie denen der Nächsten, der ist nicht etwa ein humanitärer Held, sondern der handelt moralisch verwerflich. Dieser Einsicht zu größerer Verbreitung zu verhelfen, darin besteht eine vorrangige Aufgabe zeitgenössischer Ethik.

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