Musik und Spiele mit den Kindern. Und Lektüre: Ein befreundeter Verleger sandte mir Die Festung von Ismail Kadare, über den wir in der Sezession zwar schon ein Autorenporträt veröffentlichten, dessen Werk ich aber – bis auf eine Ausnahme – nicht kenne.
Die Festung war ein großartiges Leseerlebnis. Ich begann am ersten Weihnachtsfeiertag nach dem Mittagessen und schloß das Buch am andern Vormittag. Danach legte mir Kositza den neuen Mosebach auf den Schreibtisch. “Krass” sagte sie, und ich dachte, sie meine Ton oder Inhalt oder Szenen. Aber der Roman heißt so.
Inhaltsangaben verfertige ich jetzt nicht. Soviel nur: Die Festung ist ein unheimliches Buch, denn es ist aus der Sicht des Chronisten verfaßt, der die erfolgreiche Belagerung der albanischen Festung durch das osmanische Heer festhalten soll, zum Ruhme des Heerführers und des Padischah in Istanbul. Bloß: Die Festung trotzt, für diesmal zwar nur, aber immerhin.
Und Mosebachs neuer Roman? Mir sind unter den Lebenden, die episch erzählen können, ausbreitend, szenisch unfaßbar satt und fleischig, unermüdlich halbe Nächte hindurch, ihren Erzählfaden durch Jahrzehnte spinnend, ohne daß er je riß, zwei atmosphärisch ganz nah: Martin Walser und Martin Mosebach.
Ransmayr und Handke, Tellkamp und Bergel und Kopetzky und Kracht: Bei denen ist es eben nicht so, als könne man sich niederlassen, sich hinsetzen, mit dem Arbeiten aufhören und für die nächsten Stunden nur zuhören.
Man muß mit Mosebach, während man zuhört, kein Gespräch zu führen versuchen. Mehr: Man würde etwas Plattes sagen, versuchte man es. Man sollte bloß zuhören, also: lesen, Seite um Seite.
Mein Verdacht ist, daß er nichts will außer anzurichten und vorzulegen, mit dem feinen, leicht spöttischen Selbstbewußtsein des Kochs, der weiß, wie man mit Pfanne und Tiegel, Hauptstück und Gewürz hantiert. Er will, was wir verwundert wahrnehmen dürften, wenn wir wahrnehmen könnten, mit dem unfaßbaren Besteck der Sprache zubereiten. Er will die Sprache handhaben, er will mit ihr hantieren, ohne mit ihr zu experimentieren oder sie gar zu vergewaltigen.
Wer dann tafeln darf, dem läuft das Wasser im Mund zusammen (das Buch hat 500 Seiten!), und etwas Wunderbares kommt auf den Tisch.
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Andernorts ist das Wunderbare, ist das Wunder, das Mysterium verdampft. Die Messe am zweiten Weihnachtsfeiertag: ein Offenbarungseid. Spärlichst besucht, Maskenpflicht, den Gesang ersetzte ein CD-Spieler, nach der Kommunion in die Stille hinein wurde eine jazzige süße Grütze mit grober Kanüle unter die Haut geleitet. Von Andacht konnte keine Rede mehr sein.
Frontbogen Sachsen-Anhalt: Eine vom Tode bedrohte Einhunderteinjährige aus Halberstadt wurde gerettet, noch im alten Jahr (!), indem man ihr eine der ersten Impfdosen verpaßte. Wenn es ein Bild für den endgültigen Sieg der technokratisch-quantitativen über die seelische Gesundheit gibt, dann ist es in dieser Gegenüberstellung zum Alptraum Kubins oder Boschs verdichtet: Diejenige Offenbarung, die den Tod besiegte, und zwar endgültig, reagiert mit Erlahmung der Heilskraft und Preisgabe der inneren Festung. Sie streckt ihre Wunderwaffe, von deren Wucht sie allein weiß, und schickt uns in die Wüste. Kompaßnadeln weisen auf heillose Sammelstellen …
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Von Lehnert erhielt ich die mir noch fehlenden Tagebuchmonate Jochen Kleppers zum Geschenk. In seinem Unter dem Schatten deiner Flügel ist das knappe Jahr ausgespart, das Klepper in der Wehrmacht auf dem Vormarsch gegen die Sowjetunion verbrachte: Die Überwindung umfaßt die Spanne zwischen Januar und Oktober 1941.
Klepper haben wir noch nicht in einem Autorenporträt vorgestellt. Aber sein Roman Der Vater ist eines der fünf Bücher, das ich für meinen Empfehlungsabschnitt unseres Gemeinschaftsprojekts Das Buch im Haus nebenan auswählte.
Daß man sich kaum einen preußischeren Kopf denken konnte, half Klepper nicht: Er wurde bereits im Oktober 1941 als wehrunwürdig entlassen, weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht scheiden lassen wollte und auch zu deren Tochter aus erster Ehe stand. 1943 nahmen sich die drei das Leben – Hoffnungslosigkeit in eliminatorischer Zeit, Sortierung entlang von Maßstäben, die von Wahnsinnigen angelegt wurden.
Solche Geschenke sind Andeutungen: Klepper wird in der nächsten Staffel unserer Literaturgespräche der erste von vieren sein, deren Werk Lehnert und ich vorstellen.
Maiordomus
@Jochen Klepper war der Ausgangspunkt, warum Kubitschek unbeschadet von alltagspolitisch dann und wann unterschiedlichen Perspektiven für mich einen heute zu beachtenden Repräsentanten des deutschen Geisteslebens darstellt. Für mich unentbehrlicher als jeder Literat, der von Klepper vielleicht den Namen kennt oder wohl nicht mal denselben; auch nicht in der Lage wäre, über die wirklich bedeutenden und tapferen deutschen Autoren jener Generation zu schreiben und sich entsprechend mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich freue mich auf diese Gesprächseinheit; über den berühmten "Vater"-Roman hinaus verdienen die Klepperschen Briefwechsel hohes Interesse. Ausserdem gibt es einen Band "Im Schatten deiner Flügel" oder ähnlich. Eher kritisch setzte ich mich vor Jahrzehnten mit den "Olympischen Sonetten" auseinander. Hier hat Reinhold Schneider tiefer gesehen. JK war indes ein früher Spezialist für das Rundfunk-Feuilleton. Bemerkenswert ausserdem: Klepper in den "Weissen Blättern" von K.L. Guttenberg.