Am Sonntag gingen wieder tausende Wiener auf die Straße und trotzten dem apodiktischen Demoverbot der Regierung. Auch ich war einer von ihnen und kann sagen: der 31.1. hat mich stolz auf meine Heimat und mein Volk gemacht.
Ein “Berufsaktivist” läuft immer wieder in Gefahr, eine gewisse Verachtung für die “schlafende Masse” zu entwickeln. Elitäre K‑Gruppen und sonstige selbsternannte Avantgarden, denen meist der Haupttroß fehlt, den sie anführen wollen, haben oft für die eigene Zielgruppe nur Geringschätzung übrig. Mich selbst heilt von solchen Anwandlungen jedes Treffen mit Leuten “von der Straße”.
Die unverfälschte Offenheit, die unverzärtelte Lebenstüchtigkeit, die unwiderstehliche Gewitztheit, die das Volk mit seinen Charaktertypen gerade im politischen Widerstand aufweist, übertönen die unvermeidlichen Profilneurotiker und Spinner bei weitem. Und je weniger akademische “Bildung” einer intus hat, desto angenehmer und erfrischender ist oft das Gespräch. Kurz gesagt: ich mag einfach das Land und seine Leute. Am 31.1. wurde diese Sympathie zu echter Liebe: wie tapfer, mutig, und doch diszipliniert das Volk an diesem Tag in seiner Hauptstadt auftrat, kann uns Hoffnung machen.
Um es gleich vorweg zu schicken. Meiner in diesem Artikel geäußerten Einschätzung treubleibend, mischte ich mich als einfacher Teilnehmer und Berichterstatter unter die Menge. Ich vermied es z.B. bewußt, ein Megaphon zu halten oder mich an die Spitze der Demo zu begeben. Diese Bewegung ist nicht die meine.
Ich habe den Erfolg des letzten Sonntags nicht zu verantworten. In Anbetracht der derzeit herrschenden Repression gegen die Identitären in Österreich, die sich mit dem “Symboleverbot” noch steigern wird, war diese Entscheidung in jedem Fall richtig. Selbst meine Teilnahme wird von der Presse in jedem Artikel als “Skandal” betrachtet. Als Teilnehmer gewann ich auch einen Eindruck der Ereignisse, den ich als Organisator so nie erfahren durfte. In einem Moment spürte ich die mitreißende Kraft der Gruppendynamik wie selten zuvor in meinem Leben. Von ihm will ich in diesen Beitrag berichten.
Als ich am Sonntagmorgen mit einigen anderen in Richtung Heldenplatz ging, war noch alles offen. Nehammer, der derzeitige Innenminister, hatte alle Kundgebungen verboten. Martin Rutter, der nimmermüde Motor der hiesigen Coronaproteste, hatte stattdessen eine “religiöse Prozession” angekündigt. Wir hatten von den 1683-Kahlenberg-Gedenkzügen noch ein schönes Banner mit Marco D’Aviano, das wir im Gepäck mitnahmen.
Als wir um 11:30 Uhr am vereinbarten Treffpunkt ankamen, waren fast nur Polizisten zu sehen. Zwischen Heldenplatz und Maria-Theresien-Platz standen dutzende Polizeiautos. Um zahlreiche Bäume der Ringstraße standen Greiftruppen im Kreis, die den beabsichtigten Effekt der Einschüchterung nicht verfehlten.
Wenige Grüppchen, die als Demonstranten erkennbar waren, spazierten etwas niedergeschlagen auf und ab. Man tat was man konnte, um die Stimmung zu heben und die Leute in Bewegung zu halten.
Eine größere Gruppe war an der Kreuzung zwischen Ring und Heldenplatz bereits eingekesselt worden. Schon seit Beginn verteilten die Polizisten Anzeige um Anzeige wegen Lappalien. Ein kleiner Autokorso wurde gestoppt, und als nach einer Stunde immer noch weniger Bürger als Polizisten im Areal waren, verloren einige fast den Mut.
Plötzlich änderte sich die Stimmung: aus allen Richtungen strömten immer größere Menschengruppen herbei. Die spazierengehenden Gruppen verschmolzen zu einer Masse. Rasenflächen wurden betreten. Einige “Kurz-muß-weg”-Rufe wurden laut und von der Polizei geahndet. Eine greifbare Spannung lag in der Luft. Was würde nun passieren? Wer würde den ersten Schritt machen? Erstmals wurde mir bewußt, wie sich Teilnehmer auf unseren Demos fühlen mußten und wie wichtig klare Ordnung und Leitung bei solchen Veranstaltungen sind.
Doch das war diesmal natürlich nicht möglich, da jede offizielle Kundgebung untersagt worden war. Meine Angst war, daß der Österreicher, der mehr noch als der Bundesdeutsche ein geborener Behördenbüttel und Regelbefolger ist, sich davon abschrecken lassen würde. Nachdem auch die FPÖ in Vertretung Herbert Kickls das Verbot ihrer Ersatzdemo hingenommen und zu “Besonnenheit” aufgerufen hatte, waren unsere Erwartungen gedämpft. Doch was sich hier zusammenbraute, zeigte, daß wir zu wenig Vertrauen in den Mut des Volks gehabt hatten.
Aus allen Bundesländern und Regionen waren sie zusammen gekommen. Man hörte Tiroler, Kärntner und Vorarlberger Dialekte. Sogar einige Nachbarn hatten es über die Grenze geschafft und hier und dort sächselte es. Hier war das Volk in seiner Hauptstadt zusammengekommen um sich allen Verboten zum Trotz, den Mächtigen zu stellen.
Tausende sammelten sich bereits in den ringnahen Außenbereichen des Helden- und Maria- Theresien-Platzes. Doch was nun? Nervöse Erwartung machte sich breit.
Auf einmal hielt ein Pritschenwagen mit einer Tonanlage quietschend auf der Kreuzung. “Auf die Straße, kommt’s alle auf den Ring!” Die Stimme des drahtigen Manns auf dem Auto überschlug sich fast. Sofort stürzte eine Rotte Polizisten auf ihn los. Noch während sie ihn von dem Auto herunterzerrten schrie er immer und immer weiter “Auf den Ring, auf den Ring”.
Eine Schrecksekunde – und nichts geschah. Plötzlich strömte die Masse aus der Allee aus und nahm, wie ein Mann, die Straße. Banner wurden gehißt, Fahnen in den Wind gestreckt und aus einer Kehle erscholl “Kurz muß weg” in Richtung Parlament und Bundeskanzleramt. Es war geschehen.
Tausende Österreicher hatten mit diesem kleinen Schritt ihr bisheriges regeltreues Leben hinter sich gelassen. Sie hatten die kleine Ordnung gebrochen, um die große Unordnung anzuprangern.
Die vielen Jungen und Alten, die aus dem Land in die Hauptstadt gekommen waren, waren keine geborenen Revolutionäre und keine geübten Aktivisten. Die schlimmsten “Verbrechen” ihres Lebens beliefen sich wohl auf Parkstrafen und Geschwindigkeitsübertretungen.
Jetzt besetzten sie in Rufweite zum Parlament die Ringstraße. Als die Polizei mit ihre Spezialgreiftruppen, den “Rothelmen”, immer wieder Demonstranten aus der Menge zerren wollte, stimmte die ganze Menge in die Empörung mit ein. Junge Männer verhakten sich und versuchten, ihre Kollegen zu retten. Rüstige Damen schimpfte hinter ihnen wie Rohrspatzen. Immer noch strömten Menschen aus dem ganzen Land in die Innenstadt.
Bald konnte die Polizei die Masse nicht mehr halten und wurde selbst zwischen den Demonstranten eingekesselt. Währenddessen erklommen junge Aktivisten ein Dach und hißten ein Banner mit eben jener Parole, die tausende auf den Straßen riefen.
Ob aus Überwältigung durch die schiere Masse, aus stiller Sympathie mit ihrem Volk, oder als Streich der roten Wiener Stadtregierung gegen den Bundeskanzler öffneten sich dann auch nach auch einigen Stunden die Pforten des Kessels. Die Demonstranten zogen über den gesamten Ring und strömten sogar über den Naschmarkt, den Gürtel bis auf die Mariahilfer Straße aus. Der gesamte Verkehr der Stadt wurde lahmgelegt.
Der Protest wurde aus der eher menschenleeren Innenstadt in Wohngebiete getragen. Die Polizei nahm in vielen Fälle ihre Helme ab, regelte nur mehr den Verkehr und begleitete den Zug ohne einzugreifen. Von den Fenstern winkten und jubelten uns Familien zu. An den Straßenrändern stimmte man in die “Kurz-muß-weg”-Rufe mit ein. Der Parole “Schließt euch an!” folgten einige, sodaß der Zug sogar weiter wuchs.
Selbst die Verhaftung von Martin Rutter auf der Höhe des Westbahnhofs konnte die Masse nicht mehr stoppen. Die Siegesstimmung war ansteckend. Gerade als der Zug der ländlichen Patrioten durch den grünen 7. “Bobo”-Bezirk strömte, die Anwohner mit ihren Parolen aufweckte und einige zornige Linke ohnmächtig den Mittelfinger aus dem Fenster streckten, wurde mir die tiefe symbolische Bedeutung bewusst.
Hier konfrontierte das gesunde, patriotische, rebellische Österreich in Form seiner 10.000 mutigsten und besten Vertreter das antipatriotische, bourgeoise Großstadtisolat. Das Land erhob sich gegen die Stadt und schickte aus seinen Provinzen die kritische Masse des Widerstands, den das Volk noch zu bieten hat. Mit ihm müssen die Eliten in Zukunft rechnen.
Der Zug endete für uns schließlich da, wo er begonnen hatte: vor dem Heldenplatz. Diesmal zog die Menge jedoch wie Gladiatoren nach einer Schlacht durch das Heldentor auf den Platz ein, wo die ikonische Statue von Prinz Eugen die Hofburg bewacht. Die Sonne war längst untergegangen, aber die Gesichter der Leute strahlten und ihre Parolen hallten ungebrochen und laut durch die Stadt. Man merkt mir meine nachhaltige Begeisterung wohl an. Doch auch für die nüchterne Analyse ergeben sich aus Wien jedoch gute Punkte:
1. Mit dem letzten Sonntag wurde der Regierung Kurz die Waffe des Demoverbots aus der Hand geschlagen. Die spontane Kundgebung hat für viel mehr Kosten, Ärger und Blockaden gesorgt als es jede zugelassene Demo vermocht hätte. Auch aus epidemiologischer Sicht wäre eine geordnete Demo zu bevorzugen gewesen. Sollte Nehammer die nächste Großdemo verbieten, wird das keinen mehr abschrecken.
Im Gegenteil: die Bilder der Begeisterung stecken an und ich prophezeie, daß noch viel mehr Demonstranten kommen und die Stadt lahmlegen werden. Sollte die nächste Demo aus diesen Gründen und auf Druck der Polizei genehmigt werden, ist das ein direkter Erfolgs des Drucks der Straße. So oder so bleibt die Geschichte spannend, und das ist es, was die Leute bei der Stange hält.
2. Die geplanten Lockerungen des “Lockdowns”, die Sebastian Kurz am 1.2. widerwillig verkündet hat, sind zwar lachhaft, doch wirken sie jetzt, egal ob schon vorher geplant, wie ein Einlenken gegenüber den Demonstranten. Der Regelbruch wird durch dieses scheinbare Nachgeben nachträglich legitimiert. Die FPÖ, die sich an diesem Wochenende weiter in Richtung einer Bewegungspartei entwickelt hat, wird diese Argumentation nutzen.
Die Solidaritätsbekundungen von Kickl, dem gar ein eigenes Banner gewidmet war, ebenso wie die Teilnahme und Anzeige dreier Parlamentarier tun das ihrige. Die Protestbewegung hat damit einen oppositionsgeübten parlamentarischen Arm, der Kundgebungen anmelden, Anfragen stellen und Rechtsberatung organisieren kann. Glaubt man Kickl, wird die FPÖ die Leute gerade in der Reaktion der Repression gegenüber nicht alleine lassen.
3. Die Coronaproteste in Österreich sind eindeutig patriotisch. Zwar herrscht auch hier klarer- und richtigerweise eine gewisse politische Neutralität vor. Auch hier sieht man einige Paradiesvögel und Exzentriker. Doch das Bild ist ein ganz anderes als in Berlin. Während dort tatsächlich teilweise eine Festivalstimmung herrschte und die “Peace-&-Love”-Symbolik überwog, dominieren in der Alpenrepublik Landesfahnen den kämpferischen, politischen Protest.
Das “dionysische Individuum” das Jonas Schick in Berlin verortet hatte, war in Wien in der Minderheit. Die Solidaritätsdemo in Berlin, die zeitgleich stattfand, zeigt auch, daß Österreich hier eine inspirierende und mobilisierende Wirkung hat. Für mich selbst, als einfacher Teilnehmer hat man für so etwas ja Zeit, waren die Kundgebungen ein hervorragender Ort zur Vernetzung. Ich habe viele gute alte Bekannte, die ich im letzten Jahr kaum treffen konnte, wiedergesehen und zahlreiche interessante neue Leute kennen gelernt. Vielen anderen ging es sicher ebenso.
4. Der friedliche Regelbruch bei der Besetzung des Rings hebt das Bewußtsein der Demonstranten auf ein höheres Niveau. Daß es auch zu wenigen Festnahmen, meines Wissens keinem Einsatz von Wasserwerfern, kaum Gewalt und Tränengaseinsatz kam, zeigt den Teilnehmern, daß wenn man friedlich, geschlossen und in Masse auftritt, man auch mit solchen rebellischen Akten “davonkommen” kann.
Außer Rutter, der sich tatsächlich geopfert hat, konnte jeder Teilnehmer am Abend nach Hause fahren und von seinen Erlebnissen berichten. Einige haben sicher Hunger auf mehr und sind in Zukunft zu weitere spontanen Aktionen bereit. Diese neue Qualität des Widerstandsbewußtseins macht die Coronaproteste für die Regierung noch schwerer einzuschätzen und einzudämmen.
5. Die Proteste sind und bleiben absolut gewaltfrei und anschlußfähig. Die wenigen Zusammenstöße waren klar von der Polizei provoziert und die Menge reagierte deeskalierend. Die “erlebnisorientierten” Jugendlichen hielten sich wie beim letzten Mal eher vom Haupttroß fern und lieferten sich lieber Scharmützel mit den versprengten Linksextremen. Diese werden dadurch gebunden und jene fallen nicht zu sehr auf die Demo zurück. Vor allem aber ist offensichtlich allen vor- und parteipolitischen Rechten bewußt, dass diese Bewegung organisch und eigenständig wachsen muss. Bis jetzt versuchte keine Gruppe, die Proteste mit ihren eigenen Bannern oder Parolen zu kapern.
All das – 1. bis 5. – zusammen gibt Grund zur Hoffnung. Zwar gilt nach wie vor, daß das diffuse Meinungsmileu der Coronademos ebenso wie ihre Zielsetzungen nicht als “rechts” im klassischen Sinne zu begreifen sind. Dennoch wächst hier das Potential für eine organisierte, basisdemokratische und im besten Sinne des Wortes “populistische” Protestbewegung.
Wenn der Kärntner Rebell Martin Rutter Monat für Monat die Hauptstadt “lahmlegen” kann, ist das auf Dauer für keine Regierung verkraftbar. Sollte erstmals ein patriotischer Straßendruck eine Regierung zu Fall bringen, wäre das ein Fanal. In dem Sinne und noch etwas beflügelt von den Ereignissen des Sonntags:
Kurz muß weg!
Maiordomus
"Kurz muss weg" tritt viel zu kurz, würde viel zu wenig verändern. Zum "Skandal" von Sellners Teilnahme gilt, an die Adresse seiner Gegner: Solche "Todfeinde der Demokratie" scheinen sie sich zu wünschen. An Sellner: Verfügt wenigstens nicht Ihr Kollege Lichtmesz über so etwas wie akademisches Niveau? Die Machtergreifung bestimmter Ideologen an den Hochschulen und den entsprechenden Institutionen, deren akademisches Ethos durchwegs in Frage zu stellen ist, sollte uns trotzdem die akademische, theoretische, denkerische, leider dogmenbildende Seite des Konflikts nicht unterschätzen lassen, zumal im breiten oppositionellen Lager. Revolutionen sind nach Edmund Burkes nun mal Revolutionen des Dogmas. Dies spürt man negativ heute in den Vereinigten Staaten. und es war schon bei der Französischen Revolution so, wie das Burke, Fichte und Kant sehr wohl gemerkt haben. Das bisher allerdings geistloseste Abzeichen einer Revolution in der Menschheitsgeschichte trug vor 90 Jahren das Kürzel "SA". Dasselbe wird zur Diskreditierung vielen Rechtsoppositionellen von heute angehängt. Deswegen auch wandte ich mich hier immer z.B gegen den nichtsnutzigen, eher kritisches Denken verhindernden Symbolkult der Identitären.