Denn für die Wahl im September wird er nicht mehr antreten; interne Querelen und verengte Meinungskorridore sind offenbar ebenso ausschlaggebend wie inhaltliche und strategische Defizite der Linkspartei.
Ich war immer der Überzeugung, dass meine Partei auch einen Wettbewerb um die besten Köpfe braucht, die uns vertreten. Wir haben viele Talente und engagierte Mitglieder, die ihre Lebenszeit selbstlos in politisches Engagement investieren. Zu häufig ist aber der Maßstab für ein Bundestagsmandat nicht, wer über das eigene Milieu hinaus Menschen erreicht. Ich wollte nie an den Füßen voran aus dem Bundestag heraus getragen werden.
Es lohnt sich, diese persönliche Erklärung zu lesen. Sie verrät längst nicht nur zwischen den Zeilen einiges über Arbeitsklima und Mängel in der linken Sammlungspartei.
So nachvollziehbar die Beweggründe Fabio De Masis erscheinen mögen – er schwächt damit vor allem seine Kollegin Sahra Wagenknecht, zu deren (Minderheits-)Flügel in der Partei er zu rechnen ist.
Wagenknecht selbst steht – wieder mal – unter parteiinternem Beschuß. Ihre geplante Kandidatur in Düsseldorf stößt auf Widerstand innerhalb der NRW-Linken und weit darüber hinaus; eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, aber daß sie sich knapp durchsetzen wird, ist anzunehmen: Die Stimmen, die sie im Wahlvolk einfährt, verhelfen ja auch ihren innerparteilichen Feinden zu Mandaten und Posten.
Die unversöhnlicheren unter ihren internen Kritikern, die gleichermaßen aus den (konkurrierenden) traditionskommunistischen, trotzkistischen und »reformorientierten« Spektren stammen, dürften indes durch Wagenknechts aktuelles Spiegel-Gespräch (23.2.2021) neuen Aufwind bekommen.
»Ich möchte nicht, dass wir enden wie die USA«, ist das mehrseitige Gespräch betitelt, und Wagenknecht umschifft keines der vorgegebenen Themen. Doch schon einleitend wird ein erster Widerspruch zwischen der Eigenwahrnehmung Wagenknechts und der Realität interpretierbar:
Mir liegt eher, unsere Politik nach außen zu tragen.
Doch ist denn die Politik der Linkspartei ihre Politik? Es gibt einige Gründe, dies anzuzweifeln, und Wagenknecht legt sie selbst dar, einen nach dem anderen:
Wir brauchen eine Ergänzung durch direkte Demokratie. Wichtige Fragen in der Außen- und Sozialpolitik sollten wir per Volksentscheid klären.
Richtig ist: Die Linkspartei ist gegen Formen der direkten Demokratie, mißtraut dem stimmungsgetriebenen Volk zutiefst. Wagenknechts darauf folgende Äußerung,
die Politik spiegelt vor allem die Interessen des wohlhabenden urbanen Milieus und der sehr Reichen,
fällt ironischerweise auf die Mehrheit der heutigen Linkspartei im Bundestag zurück, die zwischen linksliberaler Interessenpolitik und diversen Spielarten postmoderner Ideologie oszilliert, sprich: sich an den »Interessen des wohlhabenden urbanen Milieus« orientiert bzw. diese vertritt.
So sollten wir nicht weitermachen,
warnt Wagenknecht, und weiß doch ganz genau, daß mit der – zweifellos befähigten Rednerin und Netzwerkerin – Janine Wissler und der die rot-rot-grüne Option verkörpernde – zweifellos weniger befähigten Rednerin – Susanne Henning-Wellsow, die fortan die Linke führen dürften, nicht ansatzweise ein Kurswechsel zu erwarten ist. Der Fall Fabio De Masi zeigt sogar: Das Gegenteil ist zu erwarten.
Wagenknecht dürfte dies ahnen, wenn sie ausholt:
Heute vertreten die sozialdemokratischen und linken Parteien vor allem die akademische Mittelschicht der Großstädte. Daraus erklärt sich das Abdriften zum Neoliberalismus, aber auch die Vorliebe für Lifestyledebatten und eine elitäre Sprache. Die Linkspartei ist nicht neoliberal, aber auch wir werden immer weniger in Plattenbausiedlungen und abgehängten Regionen gewählt, und mehr in den teuren Trendvierteln.
Kevin Hagen und Jonas Schaible stellen die naheliegende Anschlußfrage:
Wie sähe aus Ihrer Sicht eine perfekte linke Partei aus?
Wagenknecht antwortet deutlich:
Sie sollte sich darauf konzentrieren, die Interessen derer zu vertreten, die sonst keine Lobby haben: Geringverdiener, die untere Mitte, die Arbeiterschaft. Das geht aber nur, wenn wir die Weltsicht dieser Menschen ernst nehmen, wenn wir ihre Werte und Wünsche achten, statt sie als rückschrittlich abzustempeln.
Im Klartext: Wagenknecht will jene erreichen, die heute das Gros der AfD-Wähler und Nichtwähler ausmachen (weswegen die stete Untersuchung der Personalie Wagenknecht gerade für Anhänger der Alternative unvermeidbar ist): Angehörige der unteren und mittleren Schichten.
Diese aber, so Wagenknecht korrekt,
fühlen sich nicht als Weltbürger, sondern als Bürger ihres Landes, von dem sie Schutz und Sicherheit erwarten. Stabile Gemeinschaften, die Familie, Planbarkeit des Lebens sind ihnen wichtiger als individuelle Selbstverwirklichung.
Es gebe keinen Grund, kosmopolitische Lebensanschauungen (in der Linkspartei sind das: vorherrschende Lebensanschauungen) für überlegen zu halten, mehr noch:
Wer jeden, der Zuwanderung begrenzen will, zum Rassisten abstempelt, oder jeden, der die Corona-Politik der Regierung kritisiert, zum Covidioten, isoliert sich von diesen Schichten. Zumal der Vorwurf naheliegt, dass hier Privilegierte eine Politik verteidigen, von deren negativen Folgen sie selbst kaum betroffen sind.
In dieser Tonart und mit dieser Stoßrichtung fährt Wagenknecht das Gespräch fort, das zu lesen in Gänze jedem empfohlen sei, auch wenn ihr blinder Fleck – ein fehlendes positives Verständnis von Volk und Nation (hier sind dazu ausführliche Analysen enthalten) – augenfällig bleibt.
Natürlich drängt sich überdies folgende Frage auf: Wie lange schließt Wagenknecht noch die Augen davor, daß die Positionen, die sie leidenschaftlich nach außen tragen möchte, in eklatantem Widerspruch zu den heutigen ideologischen Standpunkten jener Partei stehen, die sie doch als TV-Gesicht und partieller Publikumsliebling vertritt? (Die Antwort dürfte lauten: solange durch ein Bundestagsmandat die parteipolitische Bühne gesichert ist.)
Entscheidend für uns sind an dieser Stelle allerdings eher die finalen Stellen, als die Spiegel-Journalisten Wagenknecht direkt fragen, für wie realistisch sie es denn halte, daß sich die Linkspartei in ihre Richtung entwickeln könnte.
Die Ex-Linksfraktion-Chefin diplomatisch:
Mein Zuspruch zeigt mir, dass man mit den Ideen, für die ich stehe, sehr viele Menschen erreichen kann. Links muss nicht unpopulär sein. Auch in der Linken teilen sehr viele Mitglieder meine Sicht. Solange das so bleibt, ist es meine Partei,
was ja um so frappierender ist, wenn man sich vergegenwärtigt, wie kategorisch Wagenknecht-Positionen in der Linkspartei angegriffen werden und welche Anfeindungen die einstige Peter-Hacks-Schülerin und heutige Links-Ordoliberale in den letzten drei Jahrzehnten durch ihre Genossen erdulden mußte.
Doch Wagenknecht hegt noch Hoffnung auf eine Tendenzwende:
Die Geschichte zeigt: Wenn ein beachtlicher Teil der Bevölkerung zu lange politisch keine Repräsentanz hat, entsteht irgendwann etwas Neues. So sind die Grünen und schließlich die Linke entstanden.
Man darf ergänzen: Vor allem ist so die Alternative für Deutschland entstanden, mithin jene Partei, die – bis dato recht erfolgreich – just die Wählerklientel erreicht, die Wagenknecht in vorliegendem Interview in den Fokus nimmt.
Wagenknecht kann (und dürfte) um diese Tatsache wissen, denn ob sie nun zu den Wähleranalysen von Klaus Dörre, Philip Manow oder der Bertelsmann-Stiftung greift (vermutlich: zu allen): Arbeiter, unterer Mittelstand und kleine Selbständige sind der Grund für die Zweistelligkeit der AfD auf Bundesebene und für die anhaltenden Wahlerfolge im Osten des Landes.
Wird sich vor Augen gehalten, daß in diesem heterogenen Segment nach wie vor ein relativ hoher Nichtwähleranteil zu finden ist (und zwar von Hamburg bis München, von Saarbrücken bis Dresden), wird noch klarer, wie bedeutsam es ist, daß die Repräsentationslücke, die die AfD teils bereits geschlossen hat und weiter schließen kann, nicht von der Linkspartei, sondern eben der Alternative bearbeitet wird. Hier liegt objektiv feststellbares Wachstumspotential, hier liegen realistische Chancen auf – erstens – eine Verfestigung der Wählerbasis und – zweitens – auf Wachstum über die bisherigen Ergebnisse hinaus.
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Aber nicht alle Beobachter der AfD nehmen diese empirisch feststellbaren Gegebenheiten wahr. Werner Patzelt, Christdemokrat und Politikprofessor, fordert in der Jungen Freiheit (Nr. 8/2021) erneut »Vernunft und Maß« ein. Damit meint er die zu forcierende Selbstverzwergung der AfD, um den verärgerten Riesen CDU/CSU ein wenig zu besänftigen. Ausführlich Stellung zu derartigen Planspielen habe ich hier bezogen.
Patzelt hält also nichts von einer Alternative als Alternative, welche bestehende Repräsentationslücken (siehe oben) schließt und konstruktive oppositionelle Politik gegenüber allen Altparteien betreibt – einschließlich der Union, die in 72 Jahren BRD-Geschichte stolze 52 Jahre regierte und damit als Hauptverantwortlicher für die bundesdeutsche Malaise zu gelten hat.
Patzelt, eben selbst CDU-Mitglied, sieht das freilich anders. Ihm schwebt eine liberalkonservative AfD als Union-Mehrheitsbeschaffer vor, die sich einseitig gegen links positioniert und damit »bürgerliche Mehrheiten« für realistisch werden läßt. Man kann tatsächlich mit guten Gründen über dieses Modell streiten, auch wenn es starke Argumente gibt, es abzulehnen.
Doch Patzelt führt keine guten Gründe an, sondern verzettelt sich in realitätsfernen Gedankenspielen aus dem Elfenbeinturm. Zunächst kritisiert er in deutlichen Worten Auftreten und Agieren vieler AfD-Verantwortlicher, was nicht zu bemängeln wäre, würde Patzelt keine perfide Art der Schuldumkehr bieten. Nicht der versammelte Block der Kartellparteien – einschließlich der Union! – ist nach Ansicht Patzelts primär verantwortlich für die eskalative Stimmung gegenüber der AfD im Superwahljahr. Sondern sie selbst.
Patzelt spricht lediglich von »gegnerischen Fouls«, die aber doch
in einer Demokratie etwas anderes sind als Staatsterror in einer Diktatur.
Das bestreitet niemand, aber dieser Passus vergleicht Äpfel mit Birnen.
Denn es handelt sich nicht nur um »gegnerische Fouls«, wenn AfD-Wahlkämpfer am hellen Tage krankenhausreif geschlagen werden; es handelt sich nicht nur um »gegnerische Fouls«, wenn Kneipen, die der AfD Obdach geben, verwüstet werden; es handelt sich nicht nur um »gegnerische Fouls«, wenn Autos von AfD-Akteuren in Flammen aufgehen.
Patzelt weiß zweifellos um den zu oft medial relativierten, wo nicht romantisierten Terror des Antifaschismus, er weiß um die Fördernetzwerke der linken Szene, er weiß um staatlich und politisch gewährte Spielräume des Linksextremismus. Also muß man bei dieser Verharmlosung in Sachen »gegnerischer Fouls«, die man nicht als Anlaß zu grundsätzlichen Tönen nehmen sollte, von Vorsatz ausgehen.
Es wird aber noch markanter. Patzelt führt aus:
Es haben viele Mitglieder und Anhänger der AfD anscheinend noch nicht begriffen, daß eine strikte Trennung von Regierungskritik und Systemgegnerschaft die Voraussetzung politischer Freiheit ist.
Der zweite Halbsatz klingt politikwissenschaftlich korrekt und ist es auch. Nur: Es trifft wiederum nicht die realen Verhältnisse. Denn selbstverständlich ist Regierungskritik das Feld der AfD; doch die Regierung und ihr nahestehende Medien erheben die Regierung und ihr Vorfeld in einen Status, in dem diese Allianz für nicht grundsätzlich angreifbar erklärt wird, was der Kritik an ebenjenen Strukturen doch erst den systemgegnerischen Mantel verpaßt.
Gerade dies ist das Problem des Folgearguments, wonach man eine Regierung und die sie tragenden Parteien »scharf angreifen« dürfte –
nicht aber eine Verfassungsordnung, nur weil deren Spielregeln derzeit den Gegner an der Machtsein lassen.
Auch diese Passage klingt wohlfeil, denn die Verfassungsordnung wird nicht angegriffen, sondern in ihrer Gültigkeit im allgemeinen für Deutschland und im besonderen auch für sich selbst eingefordert.
Patzelt blendet einmal mehr aus, daß der »Gegner« qua machtpolitischen Setzungen seine »Spielregeln« überhaupt erst aufgestellt und in ihrer Wirkmacht so zementiert hat, daß ein Aufbegehren gegen falsche Spielregeln und falsche Schiedsrichter eo ipso in den Rang prinzipieller Systemgegnerschaft erhoben und dadurch nominell unmöglich gemacht wird. (Es sei denn, man kalkuliert eben ein, daß bei Zuwiderhandeln der Verfassungsschutz aktiv wird.)
Patzelt kümmert sich nicht um derlei Petitessen. Er fährt fort:
Die richtige Reaktion auf solche Fouls wäre es, gerade nicht zum von Gegnern lustvoll gezeichneten Zerrbild zu werden. Doch immer, wenn genau das in den Reihen der AfD versucht wurde, standen selbstberauschte Rechtsdemagogen dagegen auf. Oft setzten sie sich durch. Erst Jörg Meuthen – selbst spät zur Einsicht gelangt – konnte für die „Realos“ zwei, drei aufsehenerregende Etappensiege erringen.
Es ist natürlich ein Allgemeinplatz, wenngleich ein richtiger, daß grundsätzliche und authentisch alternative Politik formuliert werden sollte, ohne diese mit Vulgärpolterei und Rabulistik zu verwechseln. Es ist die Sache der AfD, diese tatsächlich in allen Parteiströmungen vorhandenen Fehler und Unappetitlichkeiten zu korrigieren.
Es ist demgegenüber nicht die Sache jener, die die »Sprache der BRD« (Manfred Kleine-Hartlage) fortwährend reproduzieren, etwa wenn Wertungen wie »selbstberauschte Rechtsdemagogen« zirkulieren, die ja regelmäßig zu jener Enthemmung verleiten, aufgrund derer sich antifaschistische Täter als Vollstrecker gegen die – mit allen Mitteln und gutem Gewissen – zu bekämpfenden Demagogen berufen fühlen.
Zwei abschließende Bemerkungen zur nunmehrigen Patzeltschen Intervention sind zu ergänzen.
Erstens stellt er etwas dar, was zutreffen dürfte.
Die zur AfD abgewanderten Wähler möchte die Union ohnehin nicht mehr zurückgewinnen. Sie könnte das auch gar nicht mehr. Denn bei den von der Union zur AfD Übergegangenen ist die Empörung über Vertrauensbrüche der CDU-Kanzlerin gegenüber Nicht-Linken einfach zu groß.
Dazu paßt aktuell eine aktuelle Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. In Des Wählers Herz (Berlin 2021) formuliert die Autorin Viola Neu ihre Erkenntnis, wonach die AfD den »größten Anteil von Anhängerinnen und Anhängern ohne Zweitwahlabsicht hat«. Das bedeutet: Jene, die sich für die AfD entschieden haben, bleiben (einstweilen?) auch an Bord; sie haben sich von den Altparteien abgewandt und verzeihen der AfD (noch?) immanente Schwächen.
Zweitens zeigt Patzelt danach, wie gefährlich seine Denkmuster wirken können. Er fordert offen:
Die Partei sollte sich ferner von den Lieblingszielscheiben ihrer Gegner trennen oder diese zumindest ins Abseits stellen. Und sie sollte in den eigenen Reihen und in ihrer Anhängerschaft nicht Ressentiments fördern, sondern mäßigend wirken – wie einst, zum Besten unseres Landes, die SPD hinsichtlich der revolutionären Linken.
Abgesehen von der Unsinnigkeit der Aussage bezüglich der Sozialdemokratie, an deren Rändern heute stärker denn je an Rot-Rot-Grün gearbeitet wird samt entsprechenden Antifa-Sympathieerklärungen selbst der aktuellen Parteispitze (!), übergäbe man bei dieser eingeforderten Selbstkasteiung die volle Gestaltungsmacht dem politischen Gegner. Diese politische Subsumption ohne Gegenleistung entspräche einer anhaltenden Regression vom Status einer Alternative (für Deutschland) in Richtung eines unwiderruflich gezähmten und chronisch manipulationsanfälligen Korrektivs (für die Union).
Denn der vielgestaltige Gegner könnte zur »Lieblingszielscheibe« natürlich stets eine solche Person erheben, die der AfD nutzen und den Altparteien schaden könnte. Gestern war es Andreas Kalbitz, heute ist es Alexander Gauland, morgen sind es vielleicht Gottfried Curio, Sebastian Münzenmaier oder René Springer. Kann man sowas wirklich ernst meinen?
Wohl nur, wenn man es nicht gut mit der AfD meint, dafür aber mit einer hyperidealisierten CDU »nach Merkel«.
– –
Es spricht ja nicht viel dafür, daß eine solche CDU besser wird. Armin Laschet wird keine Kehrtwende einleiten, die eine Alternative für Deutschland überflüssig machen kann, und Markus Söder, Jens Spahn oder Friedrich Merz sind als Charaktermasken des politisch-ideologischen Staatsapparates allesamt Teil des Problems, nicht der Lösung. Das realisieren auf einer gewissen Abstraktionsebene eben auch die zu Stammwählern gewordenen AfD-Sympathisanten.
Ebenfalls in der aktuellen JF (»Mit weniger mehr?«) ist zu lesen:
Mit 10,5 Prozent steht die AfD derzeit recht stabil da. Der Wert in der sogenannten negativen Sonntagsfrage („Welche Partei können Sie sich grundsätzlich gar nicht vorstellen, zu wählen?“) sank sogar von 74 Prozent Anfang Dezember vergangenen Jahres auf aktuell 68 Prozent. Es scheint, als hätten die innerparteilichen Kontroversen und Zerwürfnisse zumindest kurzfristig auf Bundesebene in den Erhebungen der Demoskopen kaum negative Folgen für die Partei.
Endlich gute Nachrichten, aber auch hier wird selbstverständlich die Artikulation politischer Interessen im Sinne der Patzelt-Tendenz angeschlossen:
Aufgeschlüsselt nach Wählern, die bisher für andere Parteien votieren, ergibt sich, daß vor allem die Anhänger der Unionsparteien auf Veränderungen bei der AfD reagieren würden.
Hat Patzelt also doch Recht? Millionen CDU-Wähler warten nur auf das Ende von Björn Höcke und Co., um endlich die ersehnte AfD-Stimmenabgabe vollziehen zu können?
Wenn die Partei die Gefahr durch Corona nicht verharmlosen würde, so stiege laut Insa unter den aktuellen 33,5 Prozent an Unionswählern der Anteil potentieller AfD-Wähler um gut vier Prozentpunkte. Das gesamte Potential für die AfD innerhalb der Anhängerschaft von anderen Parteien würde so um neun Punkte auf insgesamt 13 Prozent wachsen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Fragen von Koalitionsfähigkeit und im Falle von weniger Skandalen.
Mehr potentielle Wähler liest sich zunächst gut, sagt aber bedauerlicherweise nicht viel aus. Denn »potentielle Wähler« sind eben nur potentiell Wähler und vier Prozentpunkte Anstieg ebenjener Klientel ist empirisch betrachtet eine vernachlässigbare Größe, wenn man hochrechnet, wieviel Prozent von ihnen dann tatsächlich die Union verabschieden würden und was das in Zahlen aussagen könnte.
Vor allem aber, und dies dürfte der entscheidende Einwand sein, wird nicht im selben Atemzuge gefragt, wieviele tatsächlichen AfD-Wähler diesen für Unions-Gemüter notwendigen Kurswechsel der Partei mit Wahlenthaltung beantworten würden, so daß am Ende für die AfD sogar ein Verlustgeschäft stehen könnte. Aufgrund dieses Mankos verpufft die Erhebung ohne aussagekräftigen Wert im Nichts.
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Während die AfD in Umfragen zwischen 9 und 12 Prozent stagniert bzw. leicht schrumpft, kann der Rassemblement National (ehemals Front National) in Frankreich mit seiner Coronapolitik (u.a. Lockdown für große Konzerne und Märkte, kein Lockdown für Einzelhandel im kleineren und mittleren Segment etc.) die Menschen zunehmend für sich einnehmen.
Marine Le Pen, so entnimmt man Klaus-Dieter Frankenbergers Kommentar »Sehnsucht nach Le Pen« aus der FAZ (v. 23.2.2021),
kann sich im Glanz guter Umfragewerte sonnen. Das spiegelt die Unzufriedenheit vieler Wähler mit dem Krisenmanagement des Präsidenten Macron und mit dessen Regierungsstil. Doch reicht die Unzufriedenheit offenbar tiefer. Viele Wähler hadern generell mit dem Zustand des Landes, mit dem politischen System und damit, wie die Politik mit Islamismus und Terrorismus umgeht.
Und Michaela Wiegel, Paris-Korrespondentin, sekundiert ihrem außenpolitischen Kollegen am selben Tag in selbem Publikationsort (»Wenn Le Pen Präsidentin ist«):
Die 52 Jahre alte Präsidentschaftskandidatin hat beste Aussichten, sich im nächsten Frühjahr für die entscheidende Wahlrunde zu qualifizieren. Die Corona-Pandemie hat die letzten Überbleibsel der Aufbruchsstimmung zerstört, die Emmanuel Macron nach seinem Einzug ins Elysée 2017 verbreitete. Die Gesundheitskrise legt offen, wie viele Franzosen die Ideen Le Pens von Abschottung, Schutz und Rückbesinnung auf die Nation teilen.
Die konstante grundsätzliche und authentische Oppositionsarbeit Marine Le Pens und ihrer sozialpatriotischen Partei scheint sich auszuzahlen. Begünstigt wird ihr Umfragehoch sicherlich durch folgende Zahlen:
65 Prozent de Franzosen halten die politisch Verantwortlichen ihres Landes für korrupt. Unter den deutschen Befragten sind es 42 Prozent.
Und: 44 Prozent der Franzosen sprechen sich, so faßt Wiegel eine internationale Umfrage zusammen, dafür aus, »sich stärker vor der Welt zu schützen«:
19 Prozent wollen eine größere Öffnung. Unter den deutschen Befragten plädieren 51 Prozent für wirtschaftliche Weltoffenheit.
Auch Kritik an Partizipationsmöglichkeiten für das Volk am demokratischen Prozeß kann der Rassemblement National geschickt nutzen:
Die Wut über mangelnde politische Teilhabe könnte Le Pen zugutekommen, die sich geschickt als Anwalt der “Vergessenen” profiliert.
Wir erinnern uns an dieser Stelle an die eingangs besprochene Repräsentationslücke, die die AfD schließen sollte und die Wagenknecht durch ihren anvisierten linkspopularen Neuanfang schließen könnte (wenn ihre Partei sie denn ließe, und sie läßt sie nicht).
Eine authentische Oppositionskraft mit Gestaltungs- und Veränderungsanspruch à la longue ist zunächst die Stimme der autochthonen Vergessenen, Ungehörten, Verdrängten, Überstimmten, Ignorierten, Verlachten, Unzufriedenen.
An Gewinner der jetzigen Verhältnisse – heruntergebrochen: des Globalismus – kann man herantreten, wenn sie durch baldige Krisenerfahrungen neue Erkenntnisse gewonnen haben dürften.
RMH
Bei dem, was man gerade über den Entwurf für das Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2021 lesen kann, finde ich wenig Neoliberales und viel Bodenständiges und Soziales.
So will die AfD in den Wahlkampf ziehen (jungefreiheit.de)
Ich würde zwar gerne Wissen, was unter der Pudding-Formulierung "Entschlackung des Arbeitsrechts" genau gemeint ist, aber im Kern ist das Programm doch gar nicht so weit weg von dem, was B.K. oben fordert.
Die Forderung „Wir wollen ein Land von Wohnungseigentümern werden“, halte ich bspw. für etwas sehr substantiell Wichtiges.