Doch wenig überraschend gibt es praktisch keinen Anlaß für kaiserliche Artikelbergung aus einer etwaigen »Sturzflut des Gedruckten« in den deutschsprachigen Leitmedien. Ob FAZ, Süddeutsche oder Welt, Spiegel oder freitag – die in Frage kommenden Beiträge bestanden unisono die Sichtigung nicht.
Auch die NZZ (v. 18.1.) fällt hier an die Seite ihrer bundesdeutschen Konkurrenz ein wenig ab, obwohl sie diese ansonsten im direkten Vergleich regelmäßig distanziert. Eckhard Jesse weiß immerhin am Reichsgründungstag über das »Selbstverständnis der Deutschen« seiner internationalen Leserschaft mitzuteilen, daß das Kaiserreich 1871–1914
zwar keine Demokratie, wohl aber ein Rechtsstaat
war.
Bemerkenswert sind für die Zeit nach 1945 dann zwei Hinweise: Zum einen verweist der Chemnitzer Politikwissenschaftler auf die einst dezidiert patriotische Sozialdemokratie im Geiste Kurt Schumachers. Die SPD forderte nämlich anläßlich des 17. Juni 1953 einen »Nationalfeiertag des deutschen Volkes«; die Regierung aus Union, FDP und Deutscher Partei beließ es dann bei einem »nationalen Gedenktag«. Gewiß historische Nuancen, aber interessante.
Zum anderen gab es in der Bundesrepublik von 1954 noch eine knappe Mehrheit, die in Umfragen für Schwarz-Weiß-Rot, nicht aber Schwarz-Rot-Gold votierte. Daß Jesse seinen Beitrag damit schließt, daß eine heutige Affirmation schwarz-weiß-roter Symbolik »den demokratischen Comment« regelrecht »demontiert«, verweist indes darauf, daß die Gewichtung wirklich demokratiegefährender Handlungen und Prozesse durch den renommierten Totalitarismus- und Extremismusforscher mittlerweile schief ist.
Zur Lektüre empfohlen sei Eckhard Jesse daher die jüngste Veröffentlichung eines Kollegen seiner Politologenzunft an der TU Chemnitz. In Kulturkampf legt Lothar Fritze schonungslos offen, in welcher Art und Weise unsere Demokratie auf quasitotalitäre Abwege geraten ist – und durch welche politisch-ideologischen Einflußgruppen es bewirkt wird. Durch diese wird nicht »nur« der demokratische »Comment« abgetragen, sondern elementare Grundrechte oppositioneller Kräfte.
Eine positive Ausnahme zur Reichsgründung im Blätterwald stellt im übrigen noch die Junge Freiheit dar, wenngleich der Autor vorliegender Zeilen damit zu Beginn dieser dritten Folge der Kolumne erstmalig ausscheren muß. Denn bei diesem hervorhebenswerten Beitrag handelt es sich um keinen Printartikel, sondern um ein Video. Dennoch: 150 Jahre deutscher Nationalstaat werden hier von Karlheinz Weißmann in knapp 15 Minuten fachkundig gewürdigt.
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Doch auch Print gibt es in dieser Folge aus der vermeintlichen »Wochenzeitung für Debatte« (Debatte – wo ist sie?) etwas hervorzuheben. In der Ausgabe 4/2021 (Nachtrag: bereits online!) erscheint ein Beitrag des bayerischen, ehemals an der TU Dresden lehrenden Politikwissenschaftlers Werner Patzelt.
Dieser zählt zu den Ausnahmen unter den heute tätigen Forschern seines Faches. Er wirkt sowohl in seinen Publikationen und Vorträgen als auch in seinen Interviews unaufgeregt, sachlich und am Gegenstand seiner Untersuchung aufrichtig interessiert. Als er diese wissenschaftliche Authentizität 2014 ff. auch in bezug auf die Pegida-Demonstrationen bewies, brachte ihm dies bei Freund und Feind den Titel »Pegida-Versteher« ein. Und in der Tat erfolgten nicht nur Patzelts Pegida-Analysen sina ira et studio. Auch regelmäßige Wortmeldungen in Tagespresse wie Fachmedien zur AfD fallen ruhig und sachlich aus.
Das heißt nicht, daß er keine Interessen vertritt. Das macht er so galant wie nachdrücklich. Der seit 1994 der CDU angehörende Patzelt berät und bewirbt seine Partei regelmäßig. So schrieb er etwa 2019 am christdemokratischen Programm für die sächsische Landtagswahl mit, bei der CDU und AfD sich um den Spitzenplatz duellierten; das partiell heimatverbundene Vokabular des christdemokratischen Wahlkampfs dürfte der Alternative für Deutschland Tausende Stimmen wackelnder Wechselwähler gekostet haben.
Als engagierter Verfechter eines wertkonservativen Kurses der Union mag er somit zwar politisch sympathischer wirken als Grüne oder Sozialdemokraten. Er bleibt aber eben Christdemokrat und damit ein – achtenswerter – politischer Gegner.
Diese nicht unwesentliche »Petitesse« sollte man mitdenken, wenn er in der JF (die diesen parteipolitischen Umstand ihren Lesern verschweigt) über das Verhältnis von Union und AfD nachdenkt oder wenn er der AfD nicht nur von außen, sondern überdies noch als Angehöriger der deutschen Regierungspartei (!), wie in seinem Meinungsbeitrag »Nur noch die Mitte«, richtungskampfbezogene Ratschläge erteilt. Ratschläge, die wiederum von gewissen AfD-Kreisen umgehend eins zu eins als Handlungsanweisung verstanden werden.
Patzelts Vorschlag an die AfD lautet dabei:
Sie verzichtet auf ein Selbstverständnis als Anti-Parteien-Partei oder als grundlegende Systemalternative, sondern bemüht sich um die Aufnahme ins etablierte Parteiensystem. Dann freilich müßte sie erst einmal ihre Bringschuld an Mäßigung im Ton und an Unanstößigkeit im Verhalten begleichen.
Es empfehlen sich zwei Bemerkungen zu dieser Kernaussage Werner Patzelts.
Erstens wäre die Preisgabe der AfD-Rolle als »Anti-Parteien-Partei«, sprich: ihrer immanenten Rolle als Alternative zum realexistierenden Kartell der »Altparteien«, Selbstmord auf Raten, da eben dies für einen erheblichen Teil der AfD-Sympathisanten die wahlentscheidende Rolle spielt. Es ist anzunehmen, daß ein gewissenhafter und akribisch arbeitender Professor wie Patzelt die politologischen und soziologischen Wähleranalysen der letzten fünf bis sieben Jahre kennen dürfte, was der Empfehlung zur Selbstkastrierung einen faden Beigeschmack verleiht.
Zudem erfolgt die vorgeblich erstrebenswerte »Aufnahme ins etablierte Parteiensystem«, so viel beweisen diverse Säuberungswellen seit Kalbitz und Hartwig, nicht über personelle Häutungsprozesse. Diese werden vom Establishment nicht gewürdigt, sondern als Zeichen der Schwäche verlacht. Man müßte demzufolge nicht nur personell Zugeständnisse an den vielgestaltigen Gegner machen, sondern vor allem inhaltlich weiter und weiter Konzessionen leisten und die eigene Programmatik – wohlgemerkt: auf Wunsch eines Angehörigen der regierenden Partei der Kanzlerin Merkel – über Bord werfen.
Das wäre, gelinde gesagt, Verrat am Wähler, Verrat an der eigenen, aufopferungsvoll arbeitenden Basis, Verrat an den Prinzipien einer wahrhaft oppositionellen Alternative zum falschen Ganzen. Eine solche Akkumulation des Verrats aber würde lediglich verdeutlichen, »wie man seine eigene Partei anzündet«, wie Götz Kubitschek unlängst befürchtete:
Genau so und nicht anders will es das Establishment haben.
Doch sollte man der AfD, angetreten als Abrißbirne wider das Establishment, wirklich raten, sich so lange selbst zu entkernen und selbst zu verleugnen, bis man auf Gnade von Merkel, Laschet, Spahn und Co. hoffen darf? Und wäre man dann noch eine Alternative? Ein Stachel im Fleisch des Mainstreams? Eine Resthoffnung für viele Millionen Menschen, die genug haben von schwarz-rot-grüner Einheitssauce?
Das führt zur zweiten Bemerkung bezüglich des Patzeltschen Leitsatzes. Offenbar ernst ist es ihm mit einer »Bringschuld an Mäßigung im Ton und an Unanstößigkeit im Verhalten« der AfD. Das ist salopp daher gesagt, birgt aber gewaltiges Irritationspotential.
Denn allen objektiven Fakten zufolge sind es Politiker des Establishments,
- die AfD-Politikern mit Haß, Hohn und Häme begegnen,
- die AfD-Politikern keine Solidarität gewähren, wenn sie von Altparteien-nahen Tätern aus antifaschistischen Milieus verbal und tätlich angegriffen werden,
- die AfD-Politiker in Kollaboration mit der Presselandschaft denunzieren und zum Teil selbst in ihrem privaten Umfeld verächtlich machen,
- die AfD-Politikern geltende Ansprüche auf parlamentarische Posten vorenthalten,
- die AfD-Politikern die Verfassungsschutzbeobachtung aufhalsen, indem sie die Entscheidungsträger beeinflussen und unter Druck setzen.
Wenn dies aber so ist, und der bundesdeutsche Alltag legt dies mehr als nur nahe, dann liegt die »Bringschuld an Mäßigung im Ton und an Unanstößigkeit im Verhalten« nicht bei der AfD, sondern zunächst zweifellos bei den Stegners, Kippings und Künasts. Darauf hätte Werner Patzelt hinweisen müssen, zumal er beispielsweise mit Marco Wanderwitz dem selben CDU-Landesverband angehört.
Der derzeitige Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer schrieb etwa bei Twitter:
AfD und Gauland sind giftiger Abschaum.
Nun, die dahingehende Kolumne von Patzelt in der Freien Presse, in der Sächsischen Zeitung oder aber eben in der JF samt Aufruf zur »Mäßigung im Ton und an Unanstößigkeit im Verhalten« muß ich wohl übersehen haben.
Bei aller erforderlichen Polemik sei dies festgehalten: Natürlich sollte authentischer rechter »Populismus« nicht mit Vulgarität, boomereskem Gepolter und wüstem Auftreten verwechselt werden (dies gilt explizit lagerübergreifend). Die Betonung der Notwendigkeit von Professionalisierung der eigenen Arbeitsweise im speziellen sowie der eigenen politischen Theorie und Praxis im allgemeinen impliziert jedoch nicht, zu akzeptieren, daß man als Oppositioneller in bezug auf gegenwärtige Verhältnissen mit Demut und Selbstkasteiung vor den erlauchten Kreis der Herrschenden zu treten hat, um kraft- und mutlos um Akzeptanz zu bitten. Auf eine solche Alternative kann man verzichten, sie wäre lediglich ein elendes Korrektiv-im-Wartestand anstelle einer Volkspartei-im-Werden.
Apropos: Einen Vorwurf sollte man nicht Werner Patzelt machen, sondern jenen Kreisen, die Patzelts Beiträge im AfD-Umfeld fruchtbar machen wollen. Patzelt selbst, als gefragter Autor, hat jedes Recht, diese CDU-inhärenten Positionen zu vertreten. Als AfD-Aktiver sollte man sich nur fragen, ob man wirklich von dieser Seite aus professionelle und vorwärtsbringende Beratung erwarten darf.
Bei einer Vortragsveranstaltung im Herbst 2018, die ich mit den beiden grundsympathischen »Counterparts« Marc Jongen und Werner Patzelt in Bremen bestritt, wurde mir dies deutlich: Patzelt und ich wichen in unseren »Impulsvorträgen« ja nicht in der Analyse für das Entstehen von populistischem, alternativem Potential in der Bundesrepublik ab. Sondern in den Schlüssen, die wir daraus zogen.
Patzelt wünscht sich – damals wie heute – eine sanft populistische, liberalkonservative AfD, die qua moderatem Veränderungspotential der Parteienlandschaft aus der CDU/CSU wieder jenes projizierte Phantom machen würde, an das er und viele weitere Köpfe von JF-Chefredaktion bis Werteunion sich klammern: nämlich jenes Phantom einer vermeintlich intakten Prä-Merkel-Union.
Diese könnte sich wiedereinstellen, wenn besagte Union – leichten, anständigen, eben bürgerlichen – Druck von rechts bekäme und die korrigierenden Impulse in einer Post-Merkel-Ära beherzigen würde. Die Verhältnisse sähen sich womöglich »normalisiert« (wenn man die Ära Kohl fragwürdigerweise als deutsche »Normalität« definiert). Die scheinbar erstrebenswerte Epoche vom Schlage der 1990er Jahre wäre wieder vorstellbar, so die frappierende Naivität von gestern.
Die Deutung der AfD als »Wecker« für eine im Merkel-Schlaf vor sich hindämmernde CDU/CSU kann man so vertreten. Nur wäre eine solche AfD eben kein Korrektiv für Deutschland, sondern für die Christlich Demokratische Union Deutschlands. Und dafür wären die (gesellschaftlichen, beruflichen oder anderweitigen) Opfer, die jedes einzelne AfD-Mitglied zu tragen hat, dann doch zu schade.
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Ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und hinein ins liberalkonservative Wunderland ist nicht nur mit der Jungen Freiheit möglich. Erheblich mehr Input und unterschiedlichste lesenswerte »Stücke« sind im Monatsmagazin Tichys Einblick zu finden.
In der druckfrischen Ausgabe (2/2021) der »Standpunkte zu Politik, Wirtschaft und Kultur« kann man im Monatsrückblick von Stephan Paetow einen Nachtrag zur obigen Patzelt-Bringschuld-Debatte erspähen, wenn er ironisiert:
Jetzt hat er es aber mal allen seinen Parteimitgliedern deutlich gezeigt, der AfD-Chef Jörg Meuthen. »Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten.« Also sich besser mal von Querdenken distanzieren und sich in puncto Benimm ein Beispiel nehmen an Helge Lindh, Karl Lauterbach oder Claudia Roth.
Typisch liberalkonservativ-widersprüchlich wird es erst danach. Herausgeber Roland Tichy übt sich im Leitartikel »2021 – Jahr der Entscheidung« als ein Joseph McCarthy alle Ehre machender Adept, wenn er allerorten »Sozialismus« riecht. Ein solcher beginnt wohl bereits dann, wenn der Staat mehr tut, »als einen Rahmen zu setzen«. Der Staat, so vernimmt man klassisch minimalstaatlich, habe sich aus der Wirtschaft herauszuhalten; notwendig für eine freie prosperierende Gesellschaft seien »offene Märkte«. So weit, so schlecht.
Aber beißt sich dies nicht ein wenig mit dem direkt folgenden Artikel Alexander Wendts über die Impfproblematik, der beklagt, daß sich der deutsche Staat nicht auf dem freien Markt für mehr Impfdosen eingesetzt habe, wohingegen die Trump-Administration die Konkurrenz rigide vom Felde schlug? Einerlei, wie man sich selbst zur Impfdebatte positioniert: Hat hier nicht ein Staatenlenker gezeigt, daß das Primat der Politik bei lebenswichtigen Bereichen – wie der Gesundheit der Staatsangehörigen – unvermeidlich ist? Zahlt man nicht just dafür seine Steuern – Versorgungssicherheit, Daseinsvorsorge?
Ein Autor, der seit einigen Jahren vor minimalstaatlichen Argumenten warnt und die eher »preußisch«-soziale Generallinie vertritt, ist der Ökonom Max Otte. Der Autor und Vermögenswalter ist in vorliegendem Heft mit einem umfangreichen Gespräch vertreten, das einmal mehr nahelegt, daß Debatte sich oft dort lebendig erweist, wo man mit ihrem Vorhandensein nicht im Untertitel werben muß.
Es ist spannend, den klugen Wirtschaftsliberalen Tichy und den nicht minder klugen Sozialkonservativen Otte bei ihrem kleinen Disput gewissermaßen über die Schulter zu schauen. Es geht um den »Great Reset«, also die weltweite Umgestaltung der politischen und ökonomischen Verhältnisse als Folgewirkung der Coronakrise, dem »Neustart des Systems« (Otte).
Otte verweist auf die anhaltende Erosion der deutschen Mittelschicht und auf die Gewinne der Superreichen. Vor allem die Big Tech-Konzerne wie Amazon (Jeff Bezos ist 2020 mit Amazon 55 Milliarden Dollar reicher geworden) finden seine Kritik:
Die Techwerte sind ja wie Viren, die setzen sich quasi ins zentrale Nervensystem, mit relativ wenig Kapitalbedarf. So saugen sie den Mehrwert ab.
Angesichts des Publikationsortes fährt Otte erheblich vorsichtiger als noch in seinen Büchern (wie Weltsystemcrash) fort:
Das könnte man natürlich auch erst einmal Marktwirtschaft nennen. Aber wenn es dann mächtige Oligopole sind, dann muss man sich schon überlegen, ob man die nicht regulieren sollte.
Tichy, als Verfechter der allgemeinen Privatisierung und des Primats der Profitwirtschaft, fällt Ottes Stoßrichtung gleichwohl auf und fragt seinen Gesprächspartner neugierig wie augenzwinkernd:
Sind Sie plötzlich ein Sozialist geworden?
Otte besonnen:
Ich zitiere immer gerne Warren Buffett, den größten Börseninvestor der jüngeren Zeit. Der hat schon vor 15 oder 20 Jahren gesagt: »Es gibt Klassenkampf. Aber es ist meine Klasse, die Reichen, die ihn führt.«
Gegenüber einer zunehmend »unsolidarischen Gesellschaft«, spinnt Otte den Faden weiter, setze er »die Ideen der Bindung, der Solidarität«:
Es ist für mich bitter, aber es gibt Zeiten, in denen die Gesellschaft solidarischer ist, und es gibt Zeiten, in denen die Gesellschaft auseinanderfällt. Und in so einer Zeit leben wir gerade. Keine schöne Zeit,
schließt er.
Man könnte ergänzen, dabei immer noch in dieser überaus lesenswerten Ausgabe Tichys Einblick blätternd, daß dies keine »schöne Zeit« für die Mehrheitsbevölkerung im allgemeinen und für solidarisch orientierte Patrioten im besonderen sein mag – für die weltweiten Börsen ist es sogar eine sehr schöne Zeit, wie man einer aussagekräftigen Infographik im Heft entnehmen kann.
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Ohnehin: die Konzerne. Vor allem die digitalen Giganten haben im rechten Beritt – endlich – einen verdientermaßen schlechten Stand. Den Unmut nähren dürfte auch ein Beitrag aus der Dienstags-NZZ (19.1.2021), in dem Alain Zucker die Frage stellt:
Wer entscheidet, was zumutbare Inhalte sind?
Nun, darüber entscheidet, wer machtpolitisch dazu in der Lage ist, in der analogen wie in der virtuellen Welt. Und das heißt 2021 in bezug auf Löschwellen bei der Plattform Twitter:
Zu gross war der Druck von Kunden, Aktionären und den Demokraten.
Natürlich, angesichts der Allianz aus einflußreichen Kapitalfraktionen, Politestablishment und Antifaschismus kann man gewiß gar nicht anders verfahren. Ein denkbarer rettender Akt kommt indes zu spät: Trump kann Patzelts Rat an die AfD nicht mehr verinnerlichen.
Denn hätte der Präsident des letzten Hegemons seinen Widersachern eine gebührende »Bringschuld an Mäßigung im Ton und an Unanstößigkeit im Verhalten« (Patzelt) dargebracht, hätte er sicherlich auf die Fairneß und Unvoreingenommenheit der linksliberalen Einheitsfront bauen können – eben so, wie die AfD in Berlin auf die Fairneß und Unvoreingenommenheit der ideologischen Staatsapparate hoffen darf.
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In der Schweiz ist die Debatte über Big Tech, Zensurmaßnahmen und Löschwellen auf einem guten Wege, kategorisch Position für zu bewahrende bzw. wiederherzustellende Meinungsäußerungsfreiheit zu beziehen.
Diese Tendenz verkörpert auch der Zürcher Jurist Urs Saxer in der NZZ (v. 19.1.), wenn er in seinem Beitrag »Medien oder Zensoren?« die neue machtpolitische Rolle der »sozialen Netzwerke« beleuchtet. Seine Kernaussage darf man weite Verbreitung auch beim nördlichen Nachbarn der Eidgenossen wünschen:
Netzwerke sollten nicht in die Lage kommen, den Zensor zu spielen. Es braucht zwar zweifellos Regeln gegen den überbordenden destruktiven Diskurs, welche die Netzwerke durchsetzen müssen. Aber letztlich sollte öffentliche Kommunikation möglichst frei sein, auch in den sozialen Netzwerken.
In Ungarn wie in Polen beläßt man es derweil nicht nur bei Absichtserklärungen. In Polen müssen sich die sozialen Netzwerke fortan an neue strikte Gesetze halten; das Primat des polnischen Gesetzgebers wird durchgesetzt (was in der BRD freilich einen Doppelcharakter tragen würde). Und in Ungarn plant man Sanktionen gegen Facebook und Co. – Justizministerin Judit Varga bemängelte unter anderem, daß Facebook christliche und nationalkonservative Standpunkte einschränke.
Einmal mehr erweist sich Ungarn als Hort europäischer Restvernunft. Und so endet die dritte Sammelstelle mit einer Empfehlung an alle deutschsprachigen Leser, die sich für das widerständige Land interessieren: Die Budapester Zeitung kann man auch hierzulande beziehen.
Das von Jan Mainka verantwortete Blatt erscheint täglich als PDF-Tageszeitung, wöchentlich als BZ Magazin online und zugleich als Druckausgabe. Bei einem Probeabonnement der Tageszeitung ist das Wochenmagazin im übrigen inkludiert.
RMH
Danke für die umfangreiche Presseschau. Zum Thema AfD = Wecker für die Union: Spätestens seit der Wahl von Laschet müsste dem letzten Konservativen in der Union klar sein, dass es hier eher um die Chancen auf möglichst reibungslose Wahrung der Pöstchen und Regierungsbeteiligung geht, als um konservative Inhalte. Was von Laschet inhaltlich zu erwarten ist, hat Curio jüngst in einem Video gezeigt. Unionler, die ihre "alte Union" wieder haben wollen, haben deutlich bessere Chancen dies durch einen Wechsel zur AfD mit der AfD zu erreichen, als umgekehrt durch die AfD die Union inhaltlich treiben zu lassen, was erkennbar nicht passiert. Aber es würde anderen Kräften in der AfD nicht Recht sein, wenn es zu einer Wechselwelle käme. Der Verlust bei allen Unionlern, ernsthaft strategisch zu denken, dürfte die AfD aber vor so einer Wechselwelle bewahren. Und so wird alles seinen Gang nehmen ...