Im Anschluß an ihren Text “Kein NPC sein” sprach ich mit Sommerfeld darüber, ganz konkret entlang der Frage, wie man in einem etwaigen kommenden “Gesundheitsregime” die persönliche Freiheit bewahren könnte, ohne sich zu beugen. Offensichtlich würde man erhebliche Einbußen hinnehmen müssen, etwa der Reisefreiheit, wenn man sich weigert, seinen obligatorischen “Impfpaß” mit regelmäßigen Injektionen aufzufrischen. Haariger wird es, wenn auch der Arbeitsplatz oder die Ausbildung der Kinder auf dem Spiel stehen.
Andererseits würde sich ein Mensch, der sich in die Hände eines solchen Regimes begibt, auf profunde Weise abhängig und steuerbar machen. Heute findet er den Mikrochip unter seiner Haut, an dem man seine digitale ID ablesen kann, bequem und praktisch, weil er am Flughafen rascher durch die Kontrollen kommt und im Supermarkt nur noch sein Handgelenk scannen lassen muß wie eine Kreditkarte. Aber morgen schon kann ihn die Regierung mit einem einzigen Knopfdruck am Reisen und Einkaufen hindern, wenn er etwa auf Facebook etwas Unliebsames gepostet, die falschen Netzseiten besucht oder sein Impfungs-“Update” vergessen hat.
Das Thema der Freiheit ist philosophisch gesehen schier uferlos. Ich will es ein wenig vereinfachen: Wenn Freiheit darin besteht, bestimmte Dinge, die man tun will, auch tun zu können, und bestimmte Dinge, die man nicht tun will, nicht tun zu müssen, dann wird die Frage nach der “inneren” Freiheit am virulentesten, wenn einem diese “äußere” Freiheit gewaltsam verwehrt wird. Dazu zähle ich auch die Freiheit, “man selbst zu sein”, die Treue gegenüber bestimmten Prinzipien, Werten, Bindungen und Identifikationen, Dingen, die der eigenen Existenz einen Sinn geben, der beinahe ebenso nötig ist wie Sauerstoff.
Das Urbild der Freiheitsberaubung ist der Mensch in einer Kerkerzelle. Literatur und Geschichte sind voller Beispiele von Menschen, die sich in dieser Extremsituation auf die eine oder andere Art ihre Freiheit und Würde bewahren konnten, wozu auch die Abwehr der inneren Demoralisierung zählt. Es gibt Regime, die sich mit der bloß “äußeren” Gefügigkeit der Unterworfenen nicht zufriedengeben. Sie wollen auch ihre Seele brechen, ihnen auch die “innere Freiheit” rauben, die ich mir nicht anders als eine “reservatio mentalis” – in welcher Form auch immer – vorstellen kann.
Wo es noch “innere” Freiheit gibt, trachtet sie danach, sich in “äußere” Taten umzusetzen, und sei es auch nur, im stillen Kämmerlein ein verbotenes Buch zu lesen, wie Bradburys Feuerwehrmann Montag. Dieses Hinterland will das totalitäre Denken unter seine Kontrolle bringen, damit in seinem Gestrüpp keine Träume, Gedanken und Taten heranwachsen, die seinem Machtanspruch schaden oder gar zur Rebellion drängen könnten.
In Arthur Koestlers Roman Sonnenfinsternis (1940) wird der altgediente Bolschewik Rubaschow im Zuge der stalinistischen Säuberungen der “konterrevolutionären” Umtriebe angeklagt. Das Regime begnügt sich nicht damit, ihn einfach an die Wand zu stellen, sondern verlangt von ihm die totale Unterwerfung, inklusive öffentlicher Schuldbekenntnisse in Form von “sozialistischer Selbstkritik”. Am Ende ist seine Gehirnwäsche durch Folter und entsprechende Verhörmethoden so weit vollendet, daß er jedes Verbrechen gesteht, dessen man ihn bezichtigt, während er willig seinen eigenen Tod für die Sache der Partei und der Kommunismus, seiner eigenen alten Ideale, akzeptiert.
Ähnlich begnügen sich die Folterknechte aus Orwells 1984 nicht damit, die Abweichler bloß einzuschüchtern oder zu terrorisieren. Nein, Winston Smith muß lernen, “den Großen Bruder zu lieben” und fünf statt vier Finger zu sehen, wenn es die Partei befohlen hat. Hier soll also auch jeder Millimeter “innerer Freiheit” ausgerottet werden. Smith und Rubaschow hatten allerdings wenig innere Reserven, die sie dem Zugriff des Regimes hätten entgegensetzen könnten. Rubaschow hatte den Glauben an den Kommunismus, aus dem ihm der verhörende Kommissar eine Schlinge drehen konnte, Smith hingegen hatte allenfalls ein paar vage Kindheitserinnerungen an eine Welt, in das Regime noch nicht alles beherrschte.
Jeder Gefangene träumt von der Freiheit, und natürlich trachtet er danach, von seinem mentalen Hinterland aus einen Befreiungsschlag zu starten.
Der Graf von Monte Cristo arbeitet jahrelang beharrlich am Werk seines Ausbruchs, während sich der Marquis de Sade in der Bastille in seiner Phantasie zügellosen Auschweifungen hingibt und diese heimlich in Mikroschrift auf eine Papierrolle kritzelt. Stefan Zweigs “Dr. B” aus der Schachnovelle spielte in der Isolationshaft Schachpartien mit Brotkrumen nach, konnte sich damit aber nicht vor dem Wahnsinn, der extremsten Form der inneren Unfreiheit, retten. Alexander Solschenizyn und Viktor Frankl stärkten sich im Gulag und Konzentrationslager durch den festen Vorsatz, der Nachwelt Bericht über die Abgründe zu erstatten, die sie gesehen hatten.
Auf einer höheren Stufe wird die irdische Welt selbst zum Gefängnis, dem es zu entrinnen gibt, und Freiheit bedeutet hier vor allem, die Furcht vor dem Tode zu verlieren. Diese aber ist “die Münze der Macht” (Canetti) und eines der Hauptinstrumente der Unterwerfung der Menschen. Sokrates hat sich durch die Kraft seines Geistes von den irdischen Dingen gelöst und trinkt gelassen den Schierlingsbecher, nachdem er seine Schüler über die Unsterblichkeit der Seele belehrt hat; Boethius schreibt in der Todeszelle seinen Trost der Philosophie.
Ähnliches geschieht in der Sphäre des Religiösen. Die “innere Freiheit” besteht hier oft darin, Tod und Folter statt Verrat und Apostasie zu wählen, und auf diese Weise seine Seele zu retten und das Himmelreich zu gewinnen.
Jeanne d’Arc, deren Prozess die Passion Christi spiegelt, mit der Kirche in der Rolle der Pharisäer, wird im inquisitorischen Kreuzverhör mit spitzfindigen theologischen Fragen aufs häretische Glatteis geführt, und durch Einzelhaft, körperliche Mißhandlung und Androhung der Folter mürbe gemacht.
Auch ihre Ankläger wollen sie zum öffentlichen Widerruf bewegen, um ihre angeblich göttliche Mission der nationalen Insurrektion gegen die englische Besatzungsmacht zu diskreditieren. Sie zerbricht, schwört ab, wird zu lebenslangem Kerker verurteilt (sie ist zu diesem Zeitpunkt achtzehn oder neunzehn Jahre alt). Wenige Tage später widerruft sie ihren Widerruf, womit sie sich sehenden Auges für den Scheiterhaufen entscheidet. In dem berühmten Stummfilm von Carl Dreyer gehört dieser Moment zu den bewegendsten Szenen. Hat sie das Himmelreich oder das langfristig kleinere Übel gewählt?
Was uns nun direkt zu dem Film Silence (2016) von Martin Scorsese führt. Basierend auf einem Roman des japanischen Katholiken Endo Shusaku (1923–1996), geht es hier um das Schicksal zweier portugiesischer Missionare im Japan des 17. Jahrhunderts, einer Zeit grausamer Christenverfolgungen. Es ist ein fesselnder und tiefgründiger Film, dessen Ende mich sprachlos zurückließ.
Ich werde im Folgenden gnadenlos “spoilern”, um die Kerngedanken des Films klar herauszustellen.
Im ersten Teil dieses Beitrags fragte ich nach dem Preis der Verweigerung des Geßlerhut-Grußes und der magischen Rituale der “Corona”-Kryptoreligion. Im Vergleich zu der Welt, die in Silence gezeigt wird, befinden wir uns noch in einem gemächlichen Kindergarten.
Gleich die erste Szene zeigt, wie christliche Missionare zu Tode gefoltert werden, typisch sino-japanisch auf eine besonders ausgeklügelte und langsame Art: Ihre auf Pfähle gefesselten, nackten Körper werden mit Schauern von kochendem Wasser aus einer heißen Quelle begossen, immer und immer wieder. Entsetzter Augenzeuge dieser Szene ist der Missionar Ferreira (Liam Neeson), ein Charakter, der auf einer historischen Figur basiert. Jahre später ist dieser ohne ein Lebenszeichen spurlos verschwunden, während das Gerücht umgeht, daß er vom Glauben abgefallen ist und nun nach den Sitten der Japaner lebt.
Zwei junge jesuitische Priester, Rodrigues (Andrew Garfield) und Garupe (Adam Driver), verwerfen dies als empörende Verleumdung und beschließen, sich nach Japan auf die Suche nach Ferreira zu begeben. Das ist eine außerordentlich tapfere Entscheidung, die einer Suizid-Mission gleicht: Die Christenverfolgungen befinden sich dort gerade auf dem Höhepunkt, und als Ausländer weißer Rasse sind die beiden Missionare mit Leichtigkeit zu identifzieren.
Als Führer dient ihnen ein verwahrloster Sonderling namens Kichijiro, ein japanischer Konvertit, den heftige Schuldgefühle plagen. Eine Rückblende zeigt, was geschehen ist: Die Inquisitoren zwingen die Verdächtigen, ein Bildnis von Christus oder der Mutter Gottes mit den Füßen zu treten, um zu beweisen, daß sie keine Christen sind. Das geht einen erheblichen Schritt über die Nötigung zum Gruß des Geßlerhutes hinaus: Hier wird nicht verlangt, dem Götzen zu huldigen, sondern den eigenen Gott zu verwerfen, zu verraten und zu beschmutzen.
Um sein Leben zu retten, gehorcht Kichijiro, während sich seine gesamte Familie weigert und daraufhin vor seinen Augen bei lebendigem Leib verbrannt wird. Im Laufe des Films wird Kichijiro immer wieder erneut abschwören und Verrat begehen, und immer wieder erneut zum Glauben zurückkehren und die Missionare um Absolution anflehen, die sie ihm nach gehörter Beichte auch immer wieder erteilen.
Der Moment, in dem sich die Angeklagten entscheiden müssen, mit ihrem Fuß auf das Bildnis zu treten, “nur einmal, ganz schnell” oder auch auf das Kruzifix zu spucken, ist das zentrale Leitmotiv des Films. Auch dieser Moment wird immer und immer wieder wiederholt, so lange, bis sich Vater Rodrigues schließlich selbst in dieser Lage befindet.
Sehr ähnliche Szenen sind auch aus den Zeiten der antiken Christenverfolgung überliefert, und auch hier wurde die Bereitschaft zur politischen Unterwerfung unter die Staatsgewalt geprüft: Christen wurden genötigt, dem Bildnis des Kaisers oder einer heidnischen Gottheit zu huldigen, taten sie dies nicht, drohte ihnen ein grausamer Tod. Und doch war es bekanntlich gerade diese ungeheure Opferbereitschaft, die das Christentum stärkte. Aus dem Blut der Märtyrer erwuchs langsam die Kirche.
Allerdings haben die japanischen Autoritäten in Silence diese Dynamik rasch durchschaut. Sie haben verstanden, daß es nicht genügt, die Priester und die konvertierten Bauern zu foltern und zu töten, sondern es gilt, den Geist des Christentums zu brechen und zu demoralisieren. Ein Schlüssel hierzu sind die europäischen Patres, die vom unterdrückten Volk wie Halbgötter und Heilsbringer verehrt werden. Es sind die Ärmsten der Armen, die im hierarchischen System der japanischen Gesellschaft Niedrigsten der Niedrigen, die sich an die Paradiesversprechen des Christentums auf naive Weise klammern wie an den letzten Krümel Brot.
Die Missionare bewegt der aufrichtige Wunsch, diesen Menschen zu helfen, aber sie sehen sich bald vor einem schrecklichen Dilemma. Sollen sie diese einfachen, geplagten Menschen zum Martyrium ermutigen? Oder sollten sie ihnen nicht doch raten, zum Schein auf die Forderungen der Inquisitoren einzugehen? Letzteres ist für einen Jesuiten des 17. Jahrhunderts geradezu undenkbar: Wer die Heiligkeit Christi ernst nimmt, und an die ewige Verdammnis glaubt, kann unmöglich ein Sakrileg wie das Bespucken eines Kreuzes dulden oder gar empfehlen.
Hier setzen die japanischen Inquisitoren an, die nicht nur die Raffinessen der physischen Folter virtuos beherrschen. Hauptgegenspieler von Rodrigues, der bald in Gefangenschaft gerät, wird der Gouverneur Masashige, ein alter, lispelnder Mann mit einem dümmlich lächelnden Clownsgesicht, hervorstehenden Zähnen und einer quakenden Stimme. Aber der äußere Eindruck trügt: Masashige, der Chef-Inquisitor, ist hochintelligent, eiskalt und mit allen Wassern gewaschen.
In der Tat kommt es zu faszinierenden Gesprächen zwischen dem Inquisitor und dem Missionar. Masashige ist “guter” und “böser Polizist” in einem. Mit ausgesuchter Höflichkeit versucht er, den Jesuiten nicht bloß mit Gewalt zu zwingen, sondern auch mit durchaus klugen Argumenten zu überzeugen. Er beteuert, dass er Christentum nicht grundsätzlich ablehne, es sei sicherlich das Richtige für Spanien und Portugal, aber es passe einfach nicht zu Japan und seinen Menschen. Der Same dieses Baumes gedeihe im hiesigen Klima schlicht und einfach nicht.
Masashige benutzt also ein ethnokulturell-partikularistisches Argument gegen den christlichen Universalismus von Rodrigues, der davon überzeugt ist, daß die Wahrheit immer und überall dieselbe sein muß, ansonsten sie nicht die Wahrheit wäre.
Masashige hat allerdings noch einen weiteren argumentativen Trumpf im Ärmel: Er sieht die christliche Mission gewiß nicht zu Unrecht als Mittel, mit dessen Hilfe die europäischen Kolonialmächte (er nennt Spanier, Portugiesen, Holländer und Briten) unter dem Deckmantel der Religion politischen Einfluß auf Japan auszuüben trachten, während sie gleichzeitig die herrschende soziale Ordnung unterminieren.
Rodrigues wird nun von den Japanern auf verschiedenen Ebenen mürbe gemacht, psychisch wie physisch: er wird in Einzelhaft gesteckt und mit Tod und Folter bedroht; er wird gezwungen, die Folterungen und Hinrichtungen von Christen mitanzusehen; im einen Moment wird er verspottet und verhöhnt, im nächsten wird er zu respektvollen Disputen auf vermeintlicher Augenhöhe aufgefordert, die in seiner eigenen Sprache geführt werden. Die Verfolger üben auch massiven Druck auf sein Gewissen aus: Mag sein, daß er für seinen Glauben zu sterben bereit ist, aber kann er es auch verantworten, daß andere für ihn sterben? Darum soll er abschwören, und er soll den Gläubigen – notleidende, unterdrückte Menschen, die er aufrichtig liebt – raten, dasselbe zu tun, um ihr Leben zu retten.
Der schwerste Schlag erfolgt schließlich durch die Konfrontation mit Vater Ferreira, der ihm im Habitus eines Japaners begegnet und der tatsächlich vom Glauben abgefallen ist. Er hat eine japanische Frau geheiratet und führt nun ein Leben als angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Die Autoritäten nutzen seine Intelligenz und sein westliches Wissen. Er wird beauftragt, Traktate zu schreiben, die die Irrtümer des christlichen Glaubens widerlegen. Er dient als Trophäe und vorzügliche Propagandafigur, um die christliche Mission zu entmutigen.
Auch Ferreira versucht Rodrigues zur Apostasie zu verführen, unter anderem mit dem Argument, daß auch die religiösen Traditionen Japans voller Weisheit sind und viel mit dem Christentum gemeinsam haben. An seinem Mienenspiel läßt sich jedoch leicht ablesen, daß er im Herzen nicht so recht glaubt, was er sagt, und daß er keineswegs seinen inneren Frieden durch die Unterwerfung unter die japanischen Autoritäten gefunden hat. Vielmehr scheinen eine schwere Melancholie und ein erdrückend schlechtes Gewissen auf ihm zu lasten – und ein Trauma: Denn auch er wurde letztendlich nicht durch “bessere Argumente”, sondern durch eine sadistische Foltermethode “überzeugt”.
Der von Einzelhaft zermürbte und am Rande des psychischen Zusammenbruchs stehende Rodrigues wird schließlich in einer nächtlichen Stunde vor die Wahl gestellt, entweder in Anwesenheit von Ferreira das Bildnis seines Erlösers (es zeigt ihn – Ecce homo! – als Schmerzensmann) mit den Füßen zu treten, oder aber mitansehen zu müssen, wie fünf Christen qualvoll zu Tode gebracht werden: An den Füßen aufgehängt, stecken ihre Köpfe in Erdgruben, während sie langsam verbluten und röchelnd ersticken.
“Es ist eine Formalität. Nur eine Formalität”, flüstert ihm einer seiner klugen Peiniger zu.
In diesem Moment meint Rodrigues die Stimme Christi zu hören:
Du kannst es ruhig tun. Es ist schon gut. Setze deinen Fuß auf mich. Ich verstehe deinen Schmerz. Ich wurde in diese Welt geboren, um die Schmerzen der Menschen zu teilen. Ich trug das Kreuz für eure Schmerzen. Dein Leben ist jetzt bei mir. Tu es.
Nicht, daß ich es zuverlässig wüßte, aber ich stelle mir vor, daß der wirkliche Jesus in diesem Moment genau dies zu ihm gesagt hätte.
Rodrigues tut schließlich, wie ihm geheißen wurde. Nun stürzt seine Welt zusammen. Sein Widerstand ist gebrochen. Er sinkt zu Boden, die zum Tode Veruteilten aber werden auf Befehl des Inquisitors umgehend von ihrer Qual erlöst. In der Ferne hört man einen Hahn dreimal krähen, rasch gefolgt vom schrillen, dämonischen Zirpen der Grillen des triumphierenden japanischen “Sumpfes”, in dem das christliche Samenkorn nicht gedeihen kann.
Die letzten zwanzig Minuten des Films zeigen das Leben Rodrigues’ nach seiner Apostasie, teilweise durch die Augen eines holländischen Kaufmanns, der mit Erstaunen die abgefallenen weißen Priester in japanischen Diensten beobachtet, wie sie mit steinerner Miene europäische Waren nach etwaigem christlichem Schmuggelgut durchforsten – eine weitere Expertise, für die sie nützlich sind.
Rodrigues hat diesselbe Verwandlung wie Ferreira durchgemacht: er ist nun bartlos, trägt japanische Kleidung und Haartracht, hat den Namen eines verstorbenen Japaners angenommen und seine Witwe zur Frau bekommen. Und wie Ferreira, mit dem ihn nun eine wortlose Komplizenschaft verbindet, erscheint er schwermütig, resigniert und demoralisiert.
Immer wieder wird überprüft, ob er nicht doch heimlich Christ geblieben ist. Das Treten von heiligen Bildern wird zur Routine, die er regelmäßig wiederholen muß. Kichijiro, der Rodrigues einst an die Inquisitoren verriet wie Judas den Herrn, taucht erneut als Diener des abgefallenen Priesters auf. Als entdeckt wird, daß er ein Heiligenbild in einem Amulett versteckt hat, wird er abgeführt und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Am Ende war gerade er, der größte Sünder und Verräter, der Treueste und Hartnäckigste von allen.
Ich werde das Ende des Films nun doch nicht verraten, aber ich kann nur wiederholen, daß es mich schier umgeblasen hat.
Nur soviel: Trotz seiner vollkommenen äußeren Anpassung und widerstandslosen Kollaboration mit den antichristlichen Japanern wird angedeutet, daß Rodrigues seinem Glauben insgeheim doch treu geblieben ist. Hat er seine “innere Freiheit” bewahrt, auch wenn von ihr nur mehr ein winziger Zipfel übriggeblieben ist? Was nützt die “innere” Freiheit, wenn sie sich nicht mehr in Handeln und Tun umsetzen kann? Muß sie denn überhaupt zu irgendetwas “nützen”? Ist sie dann noch “Freiheit”?
Ich empfehle allen, die sich diesen Fragen stellen wollen, sich diesen Film anzusehen. Und vielleicht gibt er uns auch eine Vorahnung, welche Waffen eines Tages gegen uns und unseren Widerstand eingesetzt werden.
Die japanischen Katholiken haben übrigens Jahrhunderte im Untergrund überdauert, völlig abgeschnitten von der christlichen Welt außerhalb Nippons; Jean Raspail hat darüber in seinem Buch Die Axt aus der Steppe berichtet.
Lotta Vorbeck
Dieser Tage in Kanada ...