General-Streik, eine Neuauflage
Die Kampagne #allesdichtmachen beherrscht weiter die Schlagzeilen: Inzwischen wurde mehr als ein Drittel der Videos zurückgezogen und auch der Rest wird schwerer zu finden sein; YouTube belegte die Filmchen nämlich mit einem Shadowban, wodurch sie aus dem regulären Suchalgorithmus ausgeschlossen werden. Nur wer gezielt sucht, wird noch fündig. Mitleid haben also, mit Liefers und Kollegen?
Fest steht: Jeder, der jetzt noch dabei ist, hat schon ein paar Ausfahrten passiert, ohne wieder in die verkehrsberuhigte Zone abzubiegen. Wir reden hier nicht mehr von einem Versehen, einem Ausrutscher oder einem emotionalenen Facebook-Kommentar. Das Finanzielle mal außen vor – hier haben Leute in die Waagschale geworfen, was sie zu geben haben: Ihr Gesicht, einen gut gepolsterten, auskömmlichen Platz am Futtertrog.
Man darf natürlich berechtigt fragen: In welchem Land haben diese Menschen eigentlich die vergangenen 12 Monate gelebt? Viele von ihnen haben jahrelang genau dieses Gesicht gerne hingehalten für diesen Staat und seine Medien und sich dafür gut bezahlen lassen. Seit je her obliegt es dem Narren, dem König den Spiegel vorzuhalten – ein bräsiger Gaukler, dass er ein gutes Jahr benötigt, um seinen Job zu machen.
Aber andererseits, es ist so verrückt alles, da passt die Aktion schon ganz gut rein in das historische Panorama, dem wir live und in Farbe beiwohnen dürfen. Als Kind habe ich mir gerne auf Phoenix alte Jahresrückblicke angeschaut und ich frage mich heute, ob wir irgendwann in den 2050ern einen Beitrag über diese tapfere Künstlertruppe hören, bedächtig vorgetragen im wissenden Duktus der Nachgeborenen.
Vielleicht hören wir dann auch etwas über die 20 französischen Generäle, die sich nach dem islamistischen Mordanschlag auf eine Polizistin vor wenigen Tagen mit markigen Worten an ihre Regierung wandten: In Frankreich drohe nicht weniger als ein “Rassenkrieg”, hervorgerufen durch die staatlich forcierte Propaganda des Anti-Rassismus, Islamisierung und Masseneinwanderung.
Anstatt mit Spitzeln und Provokateuren gegen die eigenen Leute, vor Allem die Gelbwesten, vorzugehen, müsse sich Macrons Administration umgehend dieser Probleme annehmen. Täte sie das nicht, würde früher oder später der Einsatz der Armee nötig werden – ein Blick in die Geschichte der französischen Republik lässt breiten Interpretationsraum darüber, wie ein solcher Einsatz ablaufen könnte.
Wie gesagt: Verrückt das alles; und spannend! Und es gehört zu den Absurditäten dieser Gemengelage, dass der Schauspieler, der sein Satirevideo trotz Querdenker-Ruch und kontrollierter Akkupressur hinter den Kulissen nicht vom Netz nimmt, einstweilen eher seine Karriere aufs Spiel setzt, als der General, der mit kantigen Sätzen am Putsch herumzündelt. Dort hat man Routine: Es ist nicht die erste politische Denkschrift französischer Militärs; schon anlässlich des UN-Migrationspaktes meldeten sich mehrere Generäle zu Wort.
Generäle also in Frankreich, dagegen Mimen im besten Germany aller Zeiten – ein Preuße würde es sich wohl umgekehrt wünschen. Und dann doch wieder der Gedanke: Undeutsch, so einen Mahnbrief zu schreiben, wo Etikette nichts mehr gelten. Undeutsch, das Gewurschtel, die Appelle, die leeren Versprechungen. Dann lieber richtig, dann lieber geballter Ernst oder geballter Sarkasmus: am Altar von Notre Dame, oder halt doch in eine Kamera quatschen, wenn der Mumm sich im Frühjahr zu sprießen anschickt.
RMH
Liefers, Brambach, Ossis - die allererste "OMG, ich ziehe lieber zurück" Kreischerin, Makatsch, Wessi ...
könnte man ja jetzt einmal abzählen und die West/Ost Quoten der Standhaften bilden.
Wie auch immer, wer nie ein Sensorium für die Übergriffigkeit eines Staates herausgebildet hat, der gibt eben Leuten wie Böhmermann likes ...
An der Diskussion selber nerven am meisten die selbsternannten Ärztesprecher*innen und sonstige Zweitverwerter ihres Heilberufes. Halbgötter in weiß mit ihren helfenden Pflegeengeln, leisten Unermüdliches an der Corona-Front und dürfen sich Süffisantes, ausgerechnet von Schauspielern anhören. Das schmerzt, zumal man die vom job mit abzuzahlende Jacht an der kroatischen Adria (oder was auch immer man für bullshit mit der Kohle anschafft) in diesem Jahr auch wieder weniger besuchen darf (mithin also schlimme berufliche Schicksale). Wenn man dann - bis in juristische Fachzeitschriften hinein - ausgetragene Debatten über wegen Corona geringer gewordene sog. "Privatliquidationserlöse" und deren möglichen Ausgleich liest, dann wird klar, dass die Halbgötterdämmerung schon lange hinter uns liegt.