Es heißt Hin und wieder zurück, und eines der Kapitel enthält Texte in chronologischer Folge über einen Vorgang, der mit den heutigen Nachrichten zu einem Abschluß gekommen ist: Neben dem Institut für Staatspolitik ist nun auch der Verlag Antaios für das Bundesamt für Verfassungsschutz ein sogenannter Verdachtsfall.
Das erwähnte Kapitel heißt “Unter Verdacht”, die Texte darin beschreiben das Ineinandergreifen von willkürlicher Begriffsumdeutung, medialer Jagd, strategischem Mißverstehen, Kriminalisierungswunsch und Amtshandlung. Am Ende steht man als “Verdachtsfall” da und kann selbst in den allerehrlichsten Stunden, im Gespräch mit den verwunderten, ein wenig erstaunt nachfragenden Kindern zum Beispiel, nicht erklären, wie es dazu kommen konnte.
Also: Man kann es eigentlich schon, aber dieses Erklären wird dann zu einem Exkurs über die Deutungsmacht, die eigentliche Rolle der Presse, die eigentliche Rolle von Gerichten, die eigentliche Rolle des Verfassungsschutzes und die eigentliche Rolle eines Staats, die er dann ausüben kann, wenn er nicht zur Beute von Parteien und zivilgesellschaftlichen Lobbygruppen geworden ist – abendfüllende Gespräche.
Bloß: Man spricht über einen hoffnungslosen Fall, über einen Patienten, der sich an so viele Pillen und Schläuche, Scharlatane und Sterbehelfer gewöhnt hat, daß man ihn aufgeben muß. Die Quadratur des Kreises ist selbst im verständnisbereitesten Zuhörerkreis nicht mehr zu leisten: wieso noch die Idee von etwas (vom Staat, von der Verfassung, vom Verfassungsgericht, von Bemessungskriterien) gegen seine derzeitige Konkretion verteidigen?
Eigentlich kann man das nur noch theoretisch: Der politisch-mediale Komplex spielt jetzt seinen Grand Ouvert runter. Das hat Vorteile: Man kann aufstehen und gehen und zuvor noch kurz die Karten auf den Tisch legen – es ist egal, in welcher Reihenfolge die Gegner sie wegstechen, das ist nicht mehr unser, nicht mehr mein Spiel.
Der Verdachtsfall – weg vom Spieltisch, wieder am Schreibtisch. Mails prasseln herein, “nicht aufgeben” oder “kann ich nicht fassen”, aber, das schönste: Mails vom Setzer, der einfach weitersetzt, vom Autor, der den Streit um eine Idee einfach fortschreibt, ohne mit einer Silbe zu erwähnen, ob er das, was nun durch den Blätterwald rauscht, überhaupt mitbekommen hat. Das sind mir die liebsten: diejenigen, die sich wegen einer Pipipfütze nicht vom Arbeiten abhalten lassen.
Auf meinem Schreibtisch liegen:
+ Satzbögen einer neuen, sehr bibliophilen Reihe, die es in 451 nummerierten Exemplaren geben wird. Diese Reihe wird ausschließlich über Antaios vertrieben werden, die Bücher werden ohne ISBN erscheinen, werden nicht ausliegen, werden über amazon und VLB nicht auffindbar sein. Solche Sachen zu machen – die Freiheit des Verlegers, des Selbständigen, der in kein Fördernetzwerk eingebunden ist, keine Opferknete vom Staat bezieht, seine Identität nicht herbeischmarotzen muß, sondern mit denkbar großer Freude die Form, das Fertige, das Gelungene, das Festgehaltene miterstellt und genießt;
+ Verträge zu neuen Büchern für unsere Theorie-Reihe: der Weltstaat wird Thema sein, rechte Strategie in Zeiten der Übermacht des Feindes, vielleicht auch etwas über den “Abschied von Deutschland”, eine haarsträubende Bestandsaufnahme also;
+ die drei neuen Bändchen der kaplaken-Reihe, die vor zwei Wochen erschienen sind. Bei zweien müssen wir fast schon die 2. Auflage vorbereiten, und unsere Vertriebsleiterin hat nachdrücklich darum gebeten, ich solle endlich die sogenannten “Waschzettel” zu Ende formulieren. Das sind Buchinformationen, die an mögliche Rezensenten ausgesendet werden. Bloß denke ich diesmal noch deutlicher als sonst: Wozu? Kommt es darauf an, daß irgendeiner, der seine Brötchen öffentlich-rechtlich oder sonst irgendwo weit entfernt von uns verdient, seinen Senf dazugibt?
+ Zwei Päckchen Stangenbohnen, die heute oder morgen noch in den Boden sollen. Überhaupt ist der Garten eine Pracht, nach drei trockenen Jahren “atmet die Schöpfung auf”, wie es in einem großen Hymnus heißt. Gärtnern ist wie Verlegen: Sorgfalt, Platzwahl, der richtige Zeitpunkt, Ausjäten – und manchmal latscht eine Ziege durch den Salat.
Immer lieber eine Ziege als ein Fuchs. Es ist wieder Christian Fuchs von der ZEIT, der die Tagesmeldung vom Verdachtsfall Antaios abfeiert wie ein schwammiger Fettsack eine neue Netflix-Staffel. Es ist von großem Unterhaltungswert, ihm dabei zuzusehen, wie er sich aus dem Sessel hochzustemmen versucht, um seinen Anteil am Geschehen herauszustreichen. Sonst kann er ja nix.
Er ist eine Systemschranze, er würde unter jedem System, Regime, Gesetz in ähnlicher Position landen: als Meinungsfunktionär, ausgestattet mit der Witterung fürs angesagte Wort und mit jenem Quentchen Ehrgeiz, das reicht, um beim Wiederkäuen einen eigenen Zungenschlag hörbar zu machen. Er ist derjenige, der nachtritt und sich immer damit herausreden wird, daß er doch bloß im Auftrag handelte. Hannah Arendt hat diesen Typ beschrieben, und Gott!, bin ich froh, daß ich von völlig anderen Männern umgeben bin!
Fuchs zündelt wieder, andere machen mit. War schon immer nicht anders. Der Verdachtsfall am Schreibtisch: Er korrigiert jetzt noch ein paar Manuskriptseiten, dann geht er Bohnen stecken.
Dieter Rose
Jetzt erst recht -Antaios!