Und es sollte gelingen. Nach einem Jahr verordneter Corona-Ruhe und der letzten Akademie unter strengen Hygieneauflagen kamen die Antaios-Verlagstage einem Aufatmen gleich. Der Andrang war groß, das Interesse an der geistigen Arbeit ungebrochen, die Lust am Lesen weiterhin intakt.
Und das für das Wochenende live diskutierende Literarische Trio gedachte, diese Leselust noch anzufeuern. Sezession-Literaturredakteurin Ellen Kositza, Buchhändlerin Susanne Dagen und Sezession-Redakteur Benedikt Kaiser als Gast stellten ihre Lieblingsbücher der letzten Wochen vor: Ein schreckliches Land (Keith Gessen), Eine Seuche in der Stadt (Ljudmila Ulitzkaja) und EuropaPowerBrutal (John Hoewer).
Während Kositza und Dagen kein gutes Haar an der Buchauswahl der anderen ließen, wußte Kaisers Auslese, EuropaPowerBrutal, zumindest Kositza restlos zu überzeugen. Der von Kaiser angeführte, ganz eigene »Sound«, den Hoewer über die Gedanken des Protagonisten in dieser wahnwitzigen Reise durch Europa erklingen läßt, brachte sie zu dem Urteil: »Ich finde das Buch absolut gigantisch!«
Aber sehen Sie am besten selbst:
Wie immer erhalten Sie alle drei vorgestellten Romane bei Antaios, dem größten konservativen Versandbuchhandel.
John Hoewers versoffenen Wahnsinnsritt durch Europa erhalten Sie direkt hier.
Keith Gessens Ein schreckliches Land, über einen US-amerikanisierten Russen, der in sein Heimatland zurückkehrt, um sich um seine Großmutter zu kümmern, erhalten Sie direkt hier.
Und Ljudmila Ulitzkajas Eine Seuche in der Stadt, die einem den Großen Terror unter Stalin bedrückend näherbringt, erhalten Sie direkt hier.
In den »Netzfundstücken (83) – Kohle, Affären, Hörstoff« lenkte ich den Blick bereits auf den Ruhrpott, speziell Essen mit seiner Zeche »Zollverein«, als Antreiber der industriellen Revolution in Deutschland mit globalen Auswirkungen.
Kohle, Eisen und Stahl sind die Stoffe, mit denen der radikale Wandel vorangetrieben wurde. »Die stählerne Zeit« pulverisierte das Gewachsene der vorangegangenen Jahrhunderte und überholte sich dabei stetig selbst: Was gestern noch neue Gültigkeit beanspruchte, zerfällt heute schon wieder und wird morgen ridikülisiert.
Das Schicksal der Sozialdemokratie in Europa steht exemplarisch dafür: Die Grundpfeiler, auf denen sie gründet –Industrieproduktion, an deren Überschuß die Arbeiter beispielsweise durch starke Tarifverträge beteiligt werden – existiert auf unserem Kontinent nicht mehr in der alten Form. Wenn, ist sie global weitergezogen. Die alten Versprechen der Sozialdemokraten sind aus der Zeit gefallen, von dem Prozeß, von dem man einst profitierte, überholt worden.
Der Saarländische Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk warfen in einem Dokudreiteiler einen Blick zurück auf die Zeit des Stahls. Hier ein Zusammenschnitt auf YouTube:
In einem Interview mit Der Zeit betont der Publizist und ehemalige Chefredakteur des Philosophie Magazins Wolfram Eilenberger, daß das Ruhrgebiet erneut der Vorbote dessen ist, was kommen wird bzw. was sich längst vollzieht: ein Epochenwechsel.
Covid fungiert für Eilenberger dabei als Katalysator dieses Wechsels, wobei er natürlich den Gedankenbahnen des Establishments verhaftet bleibt und den neurotischen Charakter einer hypersensiblen Gesellschaft, der in der Pandemie mitschwingt, nicht aufgreift oder gar nicht erst erkennt.
Ungeachtet dessen beschreibt er die Vorzeichen der Transformation, die sich völlig unabhängig von Covid entwickelt und ins Ungewisse führt, konzise:
Wir begreifen heute, dass unsere Lebensform nicht fortsetzbar ist und an ein Ende kommt, ohne dass wir wüssten, was an deren Stelle treten kann. Das Ruhrgebiet musste ein solches Abbruchsbewusstsein schon vor 40 Jahren entwickeln. […] Das Ruhrgebiet als Emblem des Aufbruchs und des Abbruchs des fossilen Kapitalismus führt uns vor Augen, mit welcher Wucht vormals selbstverständliche Grundlagen einer Lebensform fraglich und brüchig werden können.
Den Einwand der Interviewerin, daß »gerade diese Region heute, im europäischen Vergleich, als eine doch eher respektable Erfolgsgeschichte der unausweichlichen Veränderung« dastehe, kontert er:
Die umfassende ökologische Verheerung der Landschaften, die von Menschen dort in wenigen Jahrzehnten angerichtet wurde, wird in Zehntausenden von Jahren noch zu spüren sein. Wenn die Pumpen unterhalb des Ruhrgebiets nicht mehr pumpen, stehen große Teile des Reviers binnen Wochen unter Wasser. Es sind Ewigkeitskosten, die so entstehen. Das bedeutet einen Horizont, der mit menschlicher Verantwortung nicht zu messen ist. Das Ruhrgebiet ist das Gestalt gewordene Anthropozän. Es nimmt vorweg, was wir in vielen Gestalten auf dem Planeten zu sehen und zu verwalten bekommen.
Und verdeutlicht damit, die dünne, instabile Schicht, auf der die neu geschaffenen Industriefolgelandschaften gründen.
Zum gesamten lesenswerten Interview geht es hier:
»Wir begreifen heute, dass unsere Lebensform nicht fortsetzbar ist«
Verwurzelung war für sie [Simone Weil, Philosophin] das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der Seele, Entwurzelung dementsprechend die tiefste und meist übersehene Krankheit unserer Zeit. Sie tritt ein, wenn Menschen an dem Ort, an dem sie leben, daran leiden, dass sie kein inneres Verhältnis zu Natur, Örtlichkeit und zu gewachsenen Traditionen spüren; und dass die Tätigkeiten, die sie ausüben, für sie keinen Sinn verbürgen.
Laurenz
"kontert er:
Das ist nun mal so. Mit Atommüll generiert man dieselben Ewigkeitskosten. Und den Wald durch Windkraftanlagen zu ersetzen, bringt auch nichts. Es sind einfach zu viele Menschen. Wären wir entschieden weniger, machte es auch nichts, wenn das Ruhrgebiet zum See würde. Und wer sollte die Überbevölkerung denn abbauen? Wilhelm Tore?