Ordnungskampf – ein paar Begriffe

Zusammengestellt von Benedikt Kaiser (BK), Götz Kubitschek (GK),
Erik Lehnert (EL) und Caroline Sommerfeld (CS)

PDF der Druckfassung aus Sezession 98/ Oktober 2020

SETZUNG

Die Geschich­te des Kon­zepts der »Set­zung« ist eine Auf­bie­tungs­ge­schich­te: gegen Auf­lö­sung wird Ord­nung auf­ge­bo­ten. Sie beginnt mit Tho­mas von Aquins Got­tes­be­weis: Das Uni­ver­sum ist zweck­mä­ßig geord­net, also muß es auch einen Set­zer sol­cher Zwe­cke geben. Gerät die­se Zweck­mä­ßig­keit nun his­to­risch am Beginn der Neu­zeit in Zwei­fel, muß gegen den Zwei­fel eine neue Ord­nung auf­ge­bo­ten wer­den: das Natur­recht. Doch die Auf­lö­sung schrei­tet wei­ter fort, und mit ihr ent­steht die Not­wen­dig­keit zur nächs­ten Set­zung: »Wenn die Natur den Hand­lungs­mög­lich­kei­ten und der Zer­stö­rungs­macht des Men­schen kei­ne Gren­zen mehr setzt, dann kann ein­zig der Mensch dies selbst noch tun – künst­lich, im Kunst­werk sei­ner poli­ti­schen Kul­tur. (Chris­ti­an Graf v. Krockow)«.

Wird nun die­ses Kunst­werk sei­ner­seits nach und nach aus­ge­höhlt, kann sich also der Staats­bür­ger nicht mehr auf den selbst­ge­setz­ten künst­li­chen Sou­ve­rän ver­las­sen, muß er als Indi­vi­du­um sel­ber Ord­nung erzeu­gen. Die­se letz­te Stu­fe der Geschich­te der Set­zung, mit Niklas Luh­mann könn­te man vom End­punkt einer his­to­ri­schen Seman­tik spre­chen, ver­legt die Auf­bie­tung in die Ent­schei­dung des ein­zel­nen: »Uns über­füllts. Wir ord­nens. Es zer­fällt. / Wir ord­nens wie­der und zer­fal­len selbst.« (Rai­ner Maria Ril­ke). Hier beginnt die Exis­tenz­phi­lo­so­phie: in Søren Kier­ke­gaards Ent­we­der – Oder muß der moder­ne Typus des Ästhe­ti­kers sich in einem exis­ten­zi­el­len »Sprung« am eige­nen Schla­fitt­chen hoch­rei­ßen und hin­ein in die Sphä­re des Ethi­schen hie­ven. Das Ethi­sche ist weder unmit­tel­bar gott­ge­ge­ben, noch natur­ge­ge­ben, noch insti­tu­tio­nell gege­ben, son­dern muß in einem Akt der Ent­schei­dung selbst – gesetzt wer­den. Von einem noch spä­te­ren Punkt aus kön­nen dann sporn­streichs alle his­to­ri­schen Ord­nun­gen als »blo­ße« Set­zun­gen erle­digt wer­den. Doch hier wie über­haupt gilt das ewi­ge Gesetz der Entro­pie: Ord­nung auf­zu­lö­sen ist wesent­lich leich­ter, als Ord­nung gegen die Auf­lö­sung aller Din­ge auf­zu­bie­ten. Set­zung ist Neg­en­tro­pie, und das bedeu­tet: sie ist har­te Arbeit. (CS)

 

DER BLICK DES KÖNIGS

Es ist ein Unter­schied, ob einem jemand im ­Nacken sitzt oder über die Schul­ter schaut. Ers­te­res wird als Druck emp­fun­den, dem man unwil­lig folgt, letz­te­res ist der hel­fen­de Blick, der acht­gibt. Der Ursprung die­ses Blicks liegt in der Reli­gi­on, die ursprüng­lich nichts ande­res bedeu­tet als das Beach­ten der Vor­schrif­ten und Vor­zei­chen, und damit die Rück­bin­dung des mensch­li­chen Han­delns an das gött­li­che Wal­ten. Im Römer­brief wird der Zusam­men­hang zwi­schen Staat und Reli­gi­on her­ge­stellt: »es gibt kei­ne staat­li­che Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott ein­ge­setzt«. Von die­ser Über­zeu­gung, die von Luther in der Refor­ma­ti­on noch ein­mal erneu­ert wur­de, zehr­te auch das preu­ßi­sche König­tum, obwohl die Erlan­gung sei­ner Königs­wür­de alles ande­re als gött­li­cher Wil­le war. Um so höher ist die Leis­tung zu beur­tei­len, die erbracht wur­de, bis die­ser Ursprungs­ma­kel ganz in den Hin­ter­grund trat und der Blick des preu­ßi­schen Königs zu einem Syn­onym für ein funk­tio­nie­ren­des Gemein­we­sen wurde.

Die­ser Blick hat zwei Jahr­hun­der­te dafür gesorgt, daß jeder, der nicht patho­lo­gisch oder kri­mi­nell ver­an­lagt war, wuß­te, was er zu tun hat­te. Kein Poli­zist muß­te neben ihm ste­hen, kei­ne Mani­pu­la­ti­on war nötig. Im Gegen­teil: Der Blick ruh­te auf einem zuneh­mend gebil­de­ten, aber auch erzo­ge­ne­ren Bür­ger, der sich durch­aus sei­nes Geis­tes zu bedie­nen wuß­te. Es war eine Fra­ge der Ehre, die Basis der Spit­ze zu sein – nicht nur, weil das Got­tes­gna­den­tum das ver­lang­te, son­dern auch, weil Ein­sicht das nahe leg­te. Selbst Kant ver­such­te mit sei­nem kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv, nach dem mein Han­deln sich an der Maxi­me ori­en­tie­ren soll, die all­ge­mei­nes Gesetz sein könn­te, an die­sen Blick anzu­knüp­fen. Der Unter­schied lag dar­in, daß der Impe­ra­tiv jedem die Last auf­er­leg­te, selbst der könig­li­che Blick zu sein. Die­sem Anspruch, für alle zu den­ken, kann nicht jeder ent­spre­chen. Außer­dem wird dabei gleich­zei­tig der könig­li­che Blick hin­ter­fragt und schließ­lich zu einer Belas­tung, die einem im Nacken sitzt und die Frei­heit bin­det. (EL)

 

DEN VERFASSUNGSSCHUTZ IM NACKEN

Alle poli­ti­schen Bewe­gun­gen, die auf nach­hal­ti­ge Ver­än­de­rung gesell­schaft­li­cher Zustän­de abzie­len, sehen sich mit dem Span­nungs­ver­hält­nis von Nah- und Fern­ziel kon­fron­tiert. Die ein­zel­nen Schrit­te (real­po­li­ti­scher Natur) in Rich­tung Nah­ziel sind bereits auf der Ebe­ne der bestehen­den Ver­hält­nis­se mög­lich, und die Per­spek­ti­ve, das Fern­ziel, gilt einem neu­en Zustand, der bis­he­ri­ge Ver­hält­nis­se über­wun­den haben wird. Daß dies dem Regie­rungs- bzw. Kon­kur­renz- bzw. Ver­fas­sungs­schutz (VS) ein Dorn im Auge ist, wirkt er doch als den Innen­mi­nis­te­ri­en und damit den Alt­par­tei­en ver­pflich­te­tem Geheim­dienst, der die bestehen­de Ord­nung eben­je­ner Alt­par­tei­en ver­tei­digt, ist selbst­er­klä­rend. Eben­so selbst­er­klä­rend ist es, daß es sich bei dem Stre­ben nach rechts­al­ter­na­ti­ven Nah- und Fern­zie­len, wel­che die wei­ten Spiel­raum offe­rie­ren­den Regeln des Grund­ge­set­zes und der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung pein­lich genau ernst­nehmen, um kei­ne »ver­fas­sungs­feind­li­chen« Vor­ha­ben han­delt. Dies – um ein Bei­spiel anzu­füh­ren – den Wäh­lern und Sym­pa­thi­san­ten der AfD gele­gent­lich zu ver­deut­li­chen, auch durch PR-Maß­nah­men, ist statt­haft; sein durch Mit­glie­der­ab­ga­ben und Spen­den genähr­tes Bud­get in deso­la­te Ergeb­nis­se erzie­len­de Kam­pa­gnen wie »Wir sind Grund­ge­setz« zu inves­tie­ren, hin­ge­gen nicht. Als pro­ble­ma­tisch erweist sich, daß ent­spre­chen­de Manö­ver kei­nes­wegs an die eige­ne Kli­en­tel gerich­tet sind, son­dern pri­mär an den Ver­fas­sungs­schutz und sei­ne Wei­sungs­be­fug­ten. Die teu­re wie miß­glück­te Kam­pa­gne (bei You­Tube und Co. ein bru­ta­ler Flop) erweist sich nach dem Mot­to auf­ge­baut: Seht her, wir ver­tre­ten die­se und jene Eck­punk­te des Grund­ge­set­zes beson­ders nach­drück­lich, eure (»unfai­re«) Ein­schät­zung unse­rer­seits erweist sich damit als kri­tik­wür­dig, wo nicht rund­her­aus unver­nünf­tig. Doch Ver­nunft ist im bun­des­deut­schen Par­tei­en­busi­ness des Jah­res 2020 kei­nes­falls eine Kate­go­rie der Aus­ein­an­der­set­zung. Wer mit dem VS im Rücken sein Den­ken und Han­deln ent­spre­chend aus­rich­tet und bei jeder Aus­sa­ge oder Tätig­keit die mög­li­che Reak­ti­on des Regie­rungs­schut­zes abwägt, lähmt sich selbst, lenkt von wesent­li­chen The­men und Auf­ga­ben einer authen­ti­schen Alter­na­ti­ve ab, über­schätzt die VS-Wahr­neh­mung im wich­tigs­ten, Mil­lio­nen Köp­fe zäh­len­den AfD-Neu­wäh­ler-Seg­ment – den Nicht­wäh­lern – und ver­senkt Hun­dert­tau­sen­de Euros aus dem noto­risch klam­men Etat in einem Meer aus poli­ti­scher Irrele­vanz und Unpro­fes­sio­na­li­tät, die zu allem Übel auch noch wir­kungs­los blei­ben muß. Ein Umstand, der zumin­dest jenen Akteu­ren schla­gend erschei­nen dürf­te, die poli­tisch-rea­lis­tisch ana­ly­sie­ren und die Logik des Geg­ners nicht als die eige­ne miß­ver­ste­hen. Den VS im Rücken zu haben erfor­dert viel­mehr, die­se Logik von sich zu wei­sen, geis­ti­ge Sou­ve­rä­ni­tät und Unbe­küm­mert­heit aus­zu­strah­len und Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein ange­sichts der Stig­ma­ti­sie­rung zu prä­sen­tie­ren – kei­nes­falls jedoch aus eige­nem Antrieb zum Getrie­be­nen eines poli­tisch rüh­ri­gen Geheim­diens­tes zu wer­den. (BK)

 

KRIMINALISIERUNG

Ein Alex­an­der Sol­sche­ni­zyn zuge­schrie­be­nes Zitat besagt, daß man ein mar­xis­ti­sches Sys­tem dar­an erken­ne, »daß es die Kri­mi­nel­len ver­schont und den poli­ti­schen Geg­ner kri­mi­na­li­siert«. Auch im links­li­be­ra­len Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik hat eine bedenk­li­che real­exis­tie­ren­de Ver­schie­bung der recht­staat­li­chen Para­me­ter statt­ge­fun­den. Wäh­rend etwa außer­eu­ro­päi­sche Inten­siv­tä­ter in der erdrü­cken­den Mehr­zahl der Straf­pro­zes­se mode­ra­te Urtei­le erhal­ten und links­extre­me Gewalt­struk­tu­ren unbe­hel­ligt blei­ben, spitzt sich die Repres­si­on gegen poli­tisch Anders­den­ken­de zu. Die Kri­mi­na­li­sie­rung poli­ti­scher Oppo­si­ti­ons­ar­beit bedroht alle poli­tisch reg­sa­men Kräf­te, die sich nicht an dem ver­ord­ne­ten Kon­sens­rah­men der ton­an­ge­ben­den Krei­se ori­en­tie­ren wol­len. Wer die Gren­ze des Sag­ba­ren über die vom Hege­mon aner­kann­ten libe­ra­len und lin­ken Wahr­heits­sys­te­me hin­aus zu ver­schie­ben beab­sich­tigt, muß in einer zuneh­mend anti­fa­schis­tisch domi­nier­ten Ord­nung der Bun­des­re­pu­blik damit rech­nen, daß sei­ne Mei­nung, sei­ne poli­ti­sche Struk­tur (so es eine gibt) und schließ­lich sei­ne Per­son hors la loi gestellt wird. Die fort­schrei­ten­de Aus­wei­tung der Straf­tat­be­stän­de bei Mei­nungs­de­lik­ten in den letz­ten Jah­ren als juri­di­sche Kom­po­nen­te des all­um­fas­sen­den »Kamp­fes gegen Rechts« sorgt für prin­zi­pi­el­le Rechts­un­si­cher­heit, eta­bliert die »Sche­ren im Kopf« und unter­mi­niert das Ver­trau­en in Behör­den und Insti­tu­tio­nen, die Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit als Grund­rech­te der Bür­ger zu schüt­zen hät­ten, nach­hal­tig. Ins­be­son­de­re die Kri­tik an der Preis­ga­be der eth­no­kul­tu­rel­len Iden­ti­tät eines Staats­vol­kes – mit­hin: des grund­ge­setz­lich ver­brief­ten Sou­ve­räns – sieht sich seit gerau­mer Zeit als Ver­stoß gegen die Men­schen­wür­de auf eine Stu­fe mit der Auf­sta­che­lung zum Ras­sen­haß gestellt. Von dort ist es nicht weit zu diver­sen Straf­ver­fah­ren oder gar zu Ver­eins­ver­bo­ten auf Basis von ideo­lo­gi­schen Annah­men und frag­wür­di­gen Kon­struk­tio­nen (ein locke­rer ideel­ler Zusam­men­schluß reicht aus, um ver­eins­ähn­lich bewer­tet und ver­bo­ten zu wer­den). Die Stra­te­gie der Kri­mi­na­li­sie­rung des rech­ten Lagers setzt auf den ewi­gen Herr­schafts­fak­tor »Angst« – und ist damit einst­wei­len erfolg­reich. (BK)

 

 

SITTE

»Sit­te« wur­zelt in dem­sel­ben alt­hoch­deut­schen Wort­stamm wie »Seil« und bedeu­tet ursprüng­lich nichts ande­res als »Bin­dung«. Fer­di­nand Tön­nies nennt die Gesamt­heit der über­lie­fer­ten gel­ten­den Nor­men und Wer­te »Sit­te«, die er sei­ner­zeit (1909) unwie­der­bring­lich ­ver­lo­ren sieht. Von einer ech­ten Sit­te wird ein »fes­tes, treu­es Mus­ter« wie­der­ge­ge­ben. Glück­li­che Völ­ker, so Tön­nies, ver­fü­gen über eine Sit­te, in der »Gleich­heit«, »Ein­fach­heit«, »Nai­vi­tät«, »Wär­me«, »Herz­lichkeit« und »hei­mat­li­che Grob­heit« der »Zäh­mung« des Men­schen die­nen. Die Sit­te erfor­dert Gehor­sam, sie erwar­tet, daß der Ein­zel­ne sich dem fügt, was für alle unaus­weich­lich ist. Hegels gesam­te Philo­sophie wid­met sich der Lösung des Dilem­mas, die Fül­le der Auto­no­mie­be­stre­bun­gen sei­ner Zeit mit dem Gedan­ken der Wie­der­ge­win­nung jener sitt­li­chen Gemein­schaft zu ver­bin­den. Er rekon­stru­iert den Begriff einer umfas­sen­den Ord­nung, die er »Sit­te« nennt, auf dem Fun­da­ment der Auto­no­mie: denn von einem Gesetz beherrscht zu wer­den, das aus uns selbst ent­steht, bedeu­tet, frei zu sein. Es geht ihm um eine »Ent­wick­lung der Ver­hält­nis­se, die durch die Idee der Frei­heit not­wen­dig, und daher wirk­lich in ihrem gan­zen Umfan­ge, im Staat sind.« Der Staat, nament­lich der preu­ßi­sche Staat, ver­kör­pert die­se Frei­heit, und zwar über das Indi­vi­du­um hin­aus­grei­fend. Die­se »sitt­li­che Sub­stanz, als das für sich sei­en­de Selbst­be­wußt­sein mit sei­nem Begrif­fe geeint ent­hal­tend, ist der wirk­li­che Geist einer Fami­lie und eines Volks.« Auf die­se Wei­se schließt Hegel den Kreis zur gött­li­chen Ord­nung wie­der, der das Indi­vi­du­um aus Frei­heit zustimmt, weil es in ihr es bereits unhin­ter­fragt auf­ge­ho­ben ist. Die »Sitt­lich­keit der Sit­te« ist Hegels For­mel dafür, daß der Mensch nur in einer ihm vor­aus­ge­hen­den Ord­nung frei (und damit ein mora­li­sches, »sitt­li­ches« Wesen) ist. Die Sit­te bin­det den Men­schen und macht ihn dadurch erst frei. (CS)

 

 

EINBAU

Es ist evi­dent, daß das Par­tei­en­kar­tell ver­schie­de­ne Tak­ti­ken anwen­det, um unlieb­sa­me For­ma­tio­nen zu bekämp­fen, damit die eige­ne ideo­lo­gisch-struk­tu­rel­le Ord­nung bewahrt wird. Funk­tio­niert das klas­si­sche Aus­gren­zen situa­tiv nicht, sprich: ist ein Geg­ner zu stark gewor­den, ver­sucht man einen kol­la­bo­ra­ti­ons­be­rei­ten Flü­gel her­aus­zu­lö­sen oder gar eine oppor­tu­nis­ti­sche, »ver­stän­di­gungs­be­rei­te« Cli­que an die Par­tei­spit­ze zu hie­ven, um mög­li­che authen­ti­sche Oppo­si­ti­ons­ar­beit zu unter­mi­nie­ren. Johan­nes Agno­li hob 1967 in sei­ner Schlüs­sel­schrift Die Trans­for­ma­ti­on der Demo­kra­tie her­vor, daß es dem bür­ger­lich-libe­ra­len ­Den­ken ­inne­woh­ne, den »Lock­vo­gel der poli­ti­schen ­›Ver­ant­wor­tung‹« gegen­über noch unge­zähm­ten wider­stän­di­gen Krei­sen ein­zu­set­zen, das heißt sie ver­hand­lungs­be­reit zu machen, um ihnen die ent­schei­den­den, tat­säch­lich alter­na­ti­ven Ideen für eine ver­meint­li­che »Regie­rungs­fä­hig­keit« auszutreiben.

Die Vor­gehensweise hier­bei ist ein­leuch­tend; Agno­lis Theo­rie wur­de hin­läng­lich in der Pra­xis bewie­sen, wobei das Vor­ge­hen bei aller Ver­schie­den­heit Kon­stan­ten kennt: Das eta­blier­te Kar­tell von Kräf­ten aus Poli­tik und Medi­en arbei­tet dar­an, jede sich bil­den­de Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on abzu­schwä­chen und Gesprächs­be­reit­schaft in Rich­tung der »gemä­ßig­ten« bzw. gesprächs­be­rei­ten Insur­gen­ten zu signa­li­sie­ren. Wenn für Tei­le der jewei­li­gen Pro­test­par­tei die Gefüh­le des Wider­spruchs par­la­men­ta­risch (oder: koali­tio­när) ver­tre­ten zu sein schei­nen, wenn für Tei­le die­ser Oppo­si­ti­on immer­hin eini­ge Zie­le durch Annä­he­rung an die sog. Mit­te – das sind im Regel­fall die hege­mo­nia­len Kräf­te eines Lan­des – durch­setz­bar und schließ­lich eini­ge For­de­run­gen ver­han­del­bar zu sein schei­nen, erhöht sich, so Agno­li, »die Bereit­schaft zur Untä­tig­keit«, denn man ist schein­bar ange­kom­men (inhalt­lich, »dis­kur­siv«, nicht zuletzt: mone­tär). Der eta­blier­te Par­tei­en­block sta­bi­li­siert sei­ne Herr­schaft, indem die Oppo­si­ti­on beginnt, Teil des – einst aus guten Grün­den befeh­de­ten – fal­schen Gan­zen zu werden.

Die FPÖ bei­spiels­wei­se hat die­ses dop­pel­te Ver­ein­nah­mungs- und Spal­tungs­pro­jekt über­lebt; es hat die Par­tei aber um Jah­re zurück­ge­wor­fen und mar­kan­te Tei­le der Wäh­ler­schaft pul­ve­ri­siert. Dar­aus könn­te eine Alter­na­ti­ve für Deutsch­land ler­nen und vor­beu­gen­de Kon­se­quen­zen zie­hen. Der­zeit scheint sie aber dem Nega­tiv­vor­bild aus Öster­reich zu fol­gen und sich selbst zu para­ly­sie­ren. Der suk­zes­si­ve Ein­bau respek­ti­ve die Inte­gra­ti­on als sys­tem­sta­bi­li­sie­ren­de Ergän­zungs­par­tei voll­zieht sich. (BK)

 

 

STRUKTURELLE MACHT

Ich kann mich gut an einen insti­tu­tio­nel­len Streit erin­nern, den ich vor Jah­ren erleb­te. Es ging damals um die Fra­ge, wer sich durch­set­zen und im Vor­stand jener Insti­tu­ti­on die Mehr­heit hin­ter sich brin­gen wür­de. Zwi­schen den bei­den Prot­ago­nis­ten des Streits gab es ein letz­tes, auf Ver­mitt­lung und Kom­pro­miß ange­leg­tes Gespräch, dem ich bei­woh­nen konn­te. Das Gespräch schei­ter­te. Es gip­fel­te in einem bemer­kens­wer­ten Satz: »Spar Dir jedes wei­te­re Wort. Du wirst mit mir leben müs­sen.« Geäu­ßert hat­te ihn der­je­ni­ge, der letzt­lich ver­lor. Er schätz­te sei­ne Lage und die tat­säch­li­chen Macht­ver­hält­nis­se völ­lig falsch ein, weil er sich für unver­zicht­bar hielt und sei­nem Geg­ner weder Här­te noch Käl­te zutrau­te. Weni­ge Tage spä­ter erleb­te er das Gegen­teil: Abstim­mungs­nie­der­la­ge, Ent­mach­tung, Abgang mit lee­ren Händen.

Sobald es wirk­lich um etwas geht, um Geld, Pos­ten, Mehr­hei­ten, sind Inhalt und Rich­tung zweit­ran­gig. Wirk­lich hart wird nur dann gekämpft, wenn es um Macht­po­si­tio­nen und ihren Aus­bau inner­halb von Struk­tu­ren geht. Der ideel­le Anteil mag zunächst groß sein, der gute Wil­le etli­ches über­brü­cken, der Zau­ber des Anfangs die Kon­kur­renz ver­schlei­ern, die Begeis­te­rung den Moment beherr­schen: Je län­ger etwas währt und je mehr es zu ver­tei­len gibt, des­to wich­ti­ger wird die struk­tu­rel­le Macht: Nur sie ist die Garan­tie dafür, daß man die­je­ni­gen dau­er­haft ver­sor­gen kann, deren Loya­li­tät man braucht, um sel­ber sta­bil zu ste­hen. (GK)

 

 

BEFEHL UND AUFTRAG

Die Gren­ze zwi­schen Befehl und Auf­trag ist flie­ßend. Bei­des meint die Erle­di­gung einer über­tra­ge­nen Auf­ga­be. Der Unter­schied liegt in der »sozia­len Bezie­hung«, in der Befehl oder Auf­trag erteilt wer­den. Den Auf­trag gibt es in allen Lebens­be­rei­chen, den Befehl nur in Berei­chen, in denen die Hier­ar­chie auf Befehl und Gehor­sam beruht und Zuwi­der­hand­lun­gen ent­spre­chend sank­tio­niert wer­den. Zum Mili­tär gehört der Befehl, zu dem in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts in Deutsch­land der Auf­trag kam. Unter dem Stich­wort der Auf­trags­tak­tik eta­blier­te sich ein Ver­fah­ren der Befehls­ge­bung, das dem Befehls­emp­fän­ger vor allem das Ziel vor­gab und ihm den Weg dort­hin, die Durch­füh­rung (unter Auf­la­gen) frei­stell­te. Das Ver­fah­ren setz­te ein hohes Maß an Ver­trau­en in die Fähig­kei­ten der unter­ge­ord­ne­ten Füh­rer vor­aus und konn­te daher erst eta­bliert wer­den, als die Aus­bil­dung des Offi­ziers­korps fes­ten Regeln unter­wor­fen war.

Bewährt hat sich die Auf­trags­tak­tik in den Eini­gungs­krie­gen, fest­ge­schrie­ben wur­de sie zuerst im Exer­zier­re­gle­ment für die Infan­te­rie von 1888. In Reichs­wehr und Wehr­macht erfolg­te auch die Aus­bil­dung von Mann­schaf­ten und Unter­of­fi­zie­ren so, daß sie in der Lage waren, einen Auf­trag mit einem selb­stän­dig gefaß­ten Ent­schluß umzu­set­zen. Seit­her ist sie deut­sches Cha­rak­te­ris­ti­kum, das trotz der zwei ver­lo­re­nen Welt­krie­ge als das Maß aller Din­ge in der Befehls­ge­bung gilt. Im Gemein­sinn erzo­ge­ne und schu­lisch gebil­de­te Sol­da­ten sind die Vor­aus­set­zung zu ihrer Umset­zung, da nur die­se zwi­schen Lage und Auf­trag eine Bezie­hung her­stel­len kön­nen, die sie zum selb­stän­di­gen Han­deln befä­higt. Durch die Wehr­pflicht war in Deutsch­land (aus­ge­nom­men die NVA) fast zwei­hun­dert Jah­re lang die Qua­li­tät der Sol­da­ten sicher­ge­stellt. Mit deren Abschaf­fung steht auch die Auf­trags­tak­tik zur Dis­po­si­ti­on, auch wenn an ihr als »Füh­ren mit Auf­trag« wei­ter­hin fest­ge­hal­ten wird, weil man in ihr den mili­tä­ri­schen Aus­druck der »Inne­ren Füh­rung« zu erken­nen meint, die damit weder his­to­risch noch struk­tu­rell irgend­et­was zu tun hat. (EL)

 

 

TABUS/ TABUBELEGTE ZONEN

Die Situa­ti­on in der bun­des­deut­schen »Diskurs«-Ordnung ist strikt auf­ge­teilt: Es gibt grund­le­gen­de tabu­be­leg­te Zonen und es gibt leben­di­ge Streit­ge­sprä­che in eher abge­le­ge­nen The­men­be­rei­chen. Die grund­sätz­li­chen Wider­sprü­che einer Gesell­schaft wer­den nicht aus­ge­foch­ten, son­dern jeder Dis­kus­si­on ent­zo­gen, als moral­po­li­tisch auf­ge­la­de­ne Tabus behan­delt. Gleich­zei­tig wird der Popanz der »deli­be­ra­ti­ven«, offe­nen Gesell­schaft kul­ti­viert. Das Kon­sens­den­ken der BRD ver­spricht auf eine red­un­dan­te Art und Wei­se Bera­tung und Aus­tausch – aber nur in einem fest­ge­zurr­ten Rah­men, jen­seits der ent­schei­den­den Lebens- und Orga­ni­sa­ti­ons­fra­gen eines Vol­kes. Eben dies macht den Zustand der post­po­li­ti­schen Ord­nung im Spät­mer­ke­lis­mus aus: Dis­kurs in Ablenk­zo­nen, Ende der welt­an­schau­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung in den Kern­ge­bie­ten: Wie wol­len wir leben? Mit wem wol­len wir leben? Wem schul­den wir Soli­da­ri­tät? Wer ist »Wir«? usf. – von geschichts­po­li­ti­schen Fra­gen ganz zu schweigen.

Statt wesent­li­che Pro­ble­me aus­zu­dis­ku­tie­ren herrscht ein Durch­re­gie­ren falsch ver­stan­de­ner Eli­ten und die­nen mora­lis­tisch ver­bräm­te Letzt­be­grün­dun­gen ihrem Han­deln. Die­ses von oben her­ab agie­ren­de Ver­hal­ten des herr­schen­den Jus­te Milieu voll­zieht sich nicht nur in vol­ler Über­ein­stim­mung mit den wich­tigs­ten Inter­es­sen­grup­pen des bun­des­deut­schen Kapi­tals. Es voll­zieht sich in sel­bem Maße in har­mo­ni­scher Zusam­men­ar­beit mit der ver­ei­nig­ten Lin­ken. Das einen­de Ziel ist die offe­ne, bun­te Gesell­schaft, deren wesent­li­che Para­dig­men – Frei­heit bzw. Vor­rang des Indi­vi­du­ums, des Mark­tes, der Migra­ti­on – außer­halb der Dis­kus­si­on ste­hen, eben als Tabu aus­ge­wie­sen sind. Wer gegen das Tabu­g­e­bot ver­stößt, wird zivil­ge­sell­schaft­lich geäch­tet, öko­no­misch rui­niert, zum Paria. Doch es sind just die­se drei Para­dig­men, die man zur Dis­po­si­ti­on stel­len muß, weil es Fra­gen der Wirt­schaft und der Migra­ti­on sind, die unse­re Lebens­wirk­lich­keit im Zeit­al­ter der Auf­lö­sung aller Din­ge sub­stan­ti­ell ver­än­dern. Durch hyper­mo­ra­li­sche Set­zun­gen wird aber die­se Infra­ge­stel­lung herr­schen­der Glau­bens­leh­ren erschwert; es erscheint schlicht­weg als unmo­ra­lisch, als »böse«, eben als Tabu, den poli­tisch-kor­rek­ten Kon­sens der offe­nen Gesell­schaft, der Libe­ra­le und Lin­ke in eine gemein­sa­me Front stellt, auch nur in Fra­ge zu stel­len. (BK)

 

 

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