1. Die Schwäche der Anderen
CumEx und Wirecard – Jeder hat von diesen Finanzskandalen gehört, aber kaum jemand dürfte die Zusammenhänge erklären und das Ausmaß des Versagens des Bundesfinanzministers Olaf Scholz detailliert und allgemein verständlich aufzeigen können. Demgegenüber stehen eine Plagiatsaffäre, permanente rhetorische Aussetzer und zu spät gemeldete Nebeneinkünfte einer Annalena Baerbock und ein intellektuell heillos überforderter und dünnhäutiger Armin Laschet, der in so manchen PR-Situationen schon die nötige Etikette vermissen ließ und der seine Kandidatur als gewiefter Strippenzieher und Parteisumpfpionier gegen die wesentlich höheren Beliebtheitswerte des damaligen Konkurrenten Markus Söder durchgesetzt hat.
Noch bevor sich der SPD-Aufstieg in den Umfragen für die Partei selbst niedergeschlagen hatte, konnte Scholz bereits in den direkten politischen Persönlichkeitsvergleichen punkten. Die Medienscheinwerfer waren über Wochen auf die Konkurrenz gerichtet. Für Baerbock schienen die Scheinwerfer etwas zu grell, weshalb das Kampagnenteam der Grünen schließlich hektisch versuchte, ein völlig neues Setting weg von der Personenzentrierung auf Baerbock hin zu dem inhaltlichen Kernthema Klimapolitik aufzubauen, welches sich angesichts der Flutkatastrophe im Südwesten der Republik auch anbot. Doch Baerbock reiste erst einige Tage später, nach Laschet und Scholz, an und verzichtete dabei auf sämtliche PR-Maßnahmen. Während die Grünen vehement versuchten, das Umweltthema für ihre Kernzielgruppe aufzuwärmen, ließ Baerbock im Wahlkampfendspurt wichtige Interviews mit großen Medienhäusern platzen.
Laschet witterte zwar seine medialen Inszenierungsmöglichkeiten, aber konnte sie nicht richtig umsetzen. Bei der Flutkatastrophe wurden ausgerechnet die Momente eingefangen, als ihm wütende Bürger die Leviten lasen und Pressekonferenzen vor Müllhalden abgehalten wurden. Hinzu kommen zahlreiche handwerkliche Fehler in der Kampagne, die die Authentizität des Kanzlerkandidaten zusätzlich beschädigten, bspw. als Laschet sich im Wahlwerbespot der CDU als einziger „Bergarbeiter“ mit Ruß beschmieren ließ, oder in der CDU-Plakatserie die Personen auf den Motiven als „Menschen aus dem normalen Leben“ dargestellt wurden und sich dann herausstellte, daß es sich um Mitarbeiter in der CDU-Parteizentrale handelte.
Die Kampagnenmacher der CDU und der Grünen scheinen inzwischen in den totalen Panikmodus geraten zu sein: Hektisches Agenda-Setting, indem alle drei Tage ein neues Positionspapier herausgebracht wird und die Vorstellung von sogenannten „Zukunftsteams“, um den Fokus vom eigenen Spitzenkandidaten abzulenken. Grüne und CDU beschränken sich jetzt nur noch auf eine kommunikative Fehlervermeidungsstrategie. Proaktive Impulse sind jedoch nicht mehr zu erwarten.
All diese kleineren und größeren Fehler wußte Scholz zu vermeiden und muß sich in der eigenen Partei weder mit Personaldebatten noch Themenfindungsproblemen auseinandersetzen.
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2. Der hybride Kandidat Olaf Scholz und das Merkel-Vakuum
Die SPD konnte mit Scholz auf den regierungserfahrenen Kandidaten setzen, der einerseits über seine Inszenierung als sicherheitsorientierter Macher das frühere Merkel-Lager einfangen konnte und in einer klaren Abgrenzungsstrategie zur CDU zugleich jene Wähler mobilisierte, die sich Wandel und Veränderung wünschen.
Es läßt sich bei dieser Bundestagswahl eine ambivalente Erwartungshaltung der Wähler erkennen. Einerseits steht der Wunsch nach Neuanfang und Aufbruch nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft und anderseits sehnen sich die Wähler nach Ordnung, Sicherheit, Struktur und auch „Normalität“ zurück. Scholz und die SPD haben es geschafft, eine hybride Rolle zwischen Anti-Merkel und Merkel 2.0 einzunehmen. Wie keine andere Partei kann die SPD sowohl mit ihrer thematischen- als auch personellen Profilierung bei den Wählern punkten.
Schon in den Wahlkampagnen 2009, 2013 und 2017 versuchte die SPD ein Abgrenzungsprofil zu Merkel und zur CDU zu entwickeln. Doch weil die Partei selbst 12 von 16 Merkel-Jahren mitregiert hatte, wirkten die Abgrenzungsversuche wenig glaubhaft. Unter dem Abgang von Merkel scheinen sich die Karten jedoch neu zu mischen und es formiert sich die Wählerschaft, die Aufbruch und Wandel will – dieses Angebot repräsentierten noch Anfang des Jahres die Grünen, die sich schließlich dank einer komplett überforderten Kampagnenführung ins Aus schossen. Diejenigen, die sich ein „Weiter so“ wünschten, erkannten, dass die Fußstapfen für einen Laschet dann doch zu groß waren.
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3. Eine starke Wahlkampagne und innere Parteidisziplin
Bei einigen vergangenen Landtags- und Bundestagswahlen versuchte die SPD, ihre Plakatwerbung auf das Nötigste zu reduzieren: Kleines Logo, Stockfoto oder Kandidat in idyllischer Landschaft, dazu ein generischer Slogan und fertig war das Wahlplakat. Mancher gewann den Eindruck, dass sich die “Genossen” teilweise für die eigene Partei schämten und traten dementsprechend zurückhaltend auf. Das ist bei dieser Bundestagswahl anders. Kräftige rote Signalfarben mit Schwarz-Weiß-Darstellung des Spitzenkandidaten, ein klar und deutlich erkennbares Parteilogo, sowie Kernbotschaften, die auch den früheren inhaltlichen Markenkern der SPD treffen. Entgegen dem Trend eines völlig neuen Corporate Designs, dem beispielsweise die AfD oder die Grünen gefolgt sind, setzt die SPD auf die visuelle und inhaltlich-kommunikative Abbildung ihrer Ursprungsidentität.
„12€ Mindestlohn“, „stabile Renten“, „faire Mieten“ – die SPD setzt den Fokus auf sehr klare Claims mit einer Hauptgewichtung auf die Sozialpolitik. Im Deutschlandtrend geben inzwischen 51% an, daß das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ die wichtigste Rolle für ihre Wahlentscheidung spielen wird. Damit wurden selbst die vormals großen Themenknaller Corona und Klimaschutz verdrängt.
Ein weiterer Vorteil ergibt sich für die SPD durch die klare Personenzentrierung auf Olaf Scholz, der in der Kampagne als sachlicher und staatsmännischer Pragmatiker inszeniert wird und somit die Blicke auf den linksdominierten SPD-Parteivorstand rund um Saskia Esken, Norbert-Walter Borjans und Kevin Kühnert ablenken kann. Über Wochen blieben die Parteivorsitzenden im Hintergrund und nehmen auch jetzt in der heißen Wahlkampfphase nur die nötigsten Termine wahr, höchstwahrscheinlich, um konservativere CDU-Wählerschaften nicht mit linker Folklore abzuschrecken und mögliche Machtoptionen für die SPD nicht schon im Vorfeld auf linke Bündnisse zu limitieren.
Auch in der Abfrage zur derzeit besten Kampagnenperformance schneidet die SPD deutlich besser als die Konkurrenz ab.
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4. Das vollausgeschöpfte Wählerpotential
Jede Woche bringt das INSA-Institut die sogenannte „Potentialanalyse“ heraus, in der zu der eigentlichen Parteipräferenz zusätzlich die Zweitwahlpräferenz abgefragt wird. Hier zeigt sich, daß die SPD auch in den Jahren ihrer Talsohle stets ein hohes Wählerpotential gehalten hat, aber im Moment der Wahl nie ausschöpfen konnte. 2009 verloren die Sozialdemokraten über 2 Millionen Wähler an das Nichtwählerlager, ein Verlust, den die Wahlen 2013 und 2017 nur geringfügig korrigieren konnten, so daß am Ende ein dickes Saldo von minus 1,5 Millionen vormaligen SPD-Wählern im Nichtwählerlager stand. Zum Vergleich: Dies entspricht ca. 25% aller AfD-Wähler von 2017. In der Studie “Vermessung der Wählerschaft vor der Bundestagswahl 2021” von der Konrad Adenauer Stiftung weist die SPD bei der Frage, über welche Partei man früher besser gedacht habe, mit 48% den höchsten Wert auf. Das heißt, die Stammwählerschaft der SPD hat zwar abgenommen, aber die Zugriffsmöglichkeit auf ein relevantes dynamisches Potential war immer stets vorhanden.
Studie der Konrad Adenauer Stiftung: “Vermessung der Wählerschaft vor der Bundestagswahl 2021”
CDU und SPD weisen hinsichtlich der demographischen Kernstruktur ihrer Wählerschaft die stärksten Gemeinsamkeiten auf: 60+, zumeist weiblich und mittlere bis hohe Einkommensklasse. Schaut man sich hierzu im Vergleich die soziodemographische und ökonomische Wählerverteilung der anderen Parteien an, so wird deutlich, daß SPD und CDU immer noch rein quantitativ die größten Wählermassen hinter sich versammeln können.
Bei der jetzigen Bundestagswahl kommt schließlich nochmals die Variable „Merkel“ hinzu. Jahrelang war die CDU ein aufgeblasener Ballon, der mit Merkels Autorität aufgefüllt war. Dieser Ballon war inhaltsleer, aber zumindest füllte die Allgegenwärtigkeit Merkels diesen Raum etwas aus. Durch die Übernahme der Partei durch Laschet bleibt logischerweise nur die Inhaltsleere.
Manche mögen den Wählerexodus der Union noch nicht sehen und gehen davon aus, daß die Union ihr wesentliches Kernwählerpotential von knapp 25% kaum unterschreiten wird. Andere sehen zwischen SPD und CDU einen Rollentausch und damit eine große kommende Abstiegsära der Union. Sollte die CDU tatsächlich ein Ergebnis von unter 20% einfahren, kann sich die Kellerfahrt auch schnell in den Bereich von 16–17% beschleunigen. Der politische Parteienwettbewerb ist volatiler und dynamischer geworden. Schon im September letzten Jahres machten fast die Hälfte aller bisherigen CDU-Wähler ihre künftige Wahlentscheidung vom kommenden Kanzlerkandidaten abhängig.
Für die daraus resultierende Frage, ob die bisherigen Unionswähler mit Laschet als Kandidaten zufrieden sind, brauchen wir nur einen Blick auf die Beliebtheitswerte zu werfen.
Tatsache bleibt: Die SPD hat (und darin sind sich auch alle renommierten Werbeexperten einig) die beste Kampagne. Sie haben den besser inszenierten Kandidaten und das richtige Momentum erwischt, um ihre gut ausgewählten Themen zu platzieren. Die Partei schafft es, ihre Mobilisierungspotentiale auszuschöpfen und plündert sowohl bei den Grünen als auch im Linksparteilager, zugleich setzt die Partei aber auf die aussichtsreichere Machtoption und fischt bei der CDU, indem sie eine Identifikationsfigur für die Sicherheits- und Stabilitätshoffnungen nach der Ära Merkel sucht. Auch die permanente Krisensituation (Flut, Corona, Afghanistan) lenkt den Wählerblick nochmals deutlicher auf die personelle Besetzung im Kanzleramt.
Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie wissen wir auch, daß politische und gesellschaftliche Ausnahmezustände die Akzeptanz der Regierung verstärkt. Kaum verwunderlich also, daß die SPD kurz vor dieser wichtigen Wahl mit einem Kandidaten aufwartet, der von seinem ganzen Auftreten her am ehesten sowas wie Kompetenz verkörpern oder besser kann.
Noch mag es vor allem aufgrund der hochdynamischen Entwicklungen zu früh für eine Prognose des Wahlabends sein. Doch die Indizien zu den aktuellen Umfragen und Wählerstudien lassen trotz aller Fehleranfälligkeit vermuten, daß der Wahlsieger am Abend des 26. September Olaf Scholz und die SPD sein wird. Für die AfD mag dies für die inhaltliche Profilierung nicht weiter ausschlaggebend sein. Für die Gestaltung künftiger Kampagnen kann man von der SPD jedoch einiges lernen. Und auch auf die denkbare Situation einer CDU-geführten Opposition, die ein stärkeres rechtes Mimikry betreibt, sollte sich die AfD strategisch vorbereiten. Dazu ein anderes Mal mehr.
Waldgaenger aus Schwaben
Ich gratuliere SiN zum neuen Autor, der in seiner nüchternen Analyse dazu beiträgt, den Eindruck SiN, mausere sich zum Zentral-Organ des Anti-Meuthen-Flügels in der AfD, bei mir zu relativeren.
Zum Inhalt:
In Teil 2 vermisse ich den Namen Helmut Schmidt. Mehr als vielleicht der Verfasser, kann ich mich in das Lebensgefühl der westdeutschen Boomer einfühlen. Helmut Schmid geniesst bei ihnen (nicht bei mir!) das höchste Ansehen aller Nachkriegs-Kanzler. Der SPD ist es gelungen, daran anzuknüpfen. Das Ansehen Schmidts ist auch dem Lebensalter der Boomer geschuldet. Als Schmidt Kanzler war, waren sie Anfang Zwanzig, die beste Zeit im Leben vielleicht, die Kämpfe der Pubertät sind ausgestanden, das Ende der Jugend noch fern.
Die AfD könnte zumindestens optisch daran anknüpfen zum Beispiel bei der Gestaltung der zukünftiger Wahlplakate im Stile der 80iger Jahre.
Die CDU in der Opposition und die Grünen in der Regierung sehe ich noch lange nicht. Scholz wird, falls die SPD stärkste Partei wird, eine große Koaltion anstreben, das Schicksal Schmidts und Schröters vor Augen. Die CDU dafür einen hohen Preis zu zahlen bereit sein, denn in der Opposition würden gnadenlose Flügelkämpfe ausbrechen. Möglicherweise gibt es in der SPD noch langfristig denkende Strategen, die nicht wollen, dass die Parteienlandschaft rechts der Mitte sich neu aufstellt. Sollte es für Große nicht reichen, wird es spannend wen die beiden als Dritten hinzu nehmen.