»Wir passen aufeinander auf!«

PDF der Druckfassung aus Sezession 100/ Februar 2021

Alex­an­der Wal­l­asch im Gespräch mit Götz Kubitschek

Wal­l­asch: Es ist stil­ler um Sie gewor­den. Ihre Freun­de wie Mar­tin Sell­ner und Tei­le der AfD sind mit dem stärks­ten Bann­strahl der Repu­blik bedacht, ste­hen im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt und wer auf den kon­ven­tio­nel­len Kanä­len noch über die­se Per­so­nen berich­tet oder mit ihnen kom­mu­ni­ziert, wird eben­falls gebannt min­des­tens auf Face­book, You­Tube und Twit­ter. Was haben Sie also bes­ser / anders gemacht oder nicht gemacht, daß Sie nicht im aktu­el­len Ver­fas­sungs­schutz­be­richt auf­tau­chen? Aber halt, Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­dent Tho­mas Hal­den­wang hat­te Sie extra noch auf der Pres­se­kon­fe­renz zur Ver­öf­fent­li­chung des Berich­tes erwähnt, fast so, als wären Sie ihm ver­se­hent­lich im Druck­werk durch­ge­flutscht. Was ist da passiert?

Kubit­schek: Ich weiß nicht, was da pas­siert ist. Viel­leicht muß­te sich Tho­mas Hal­den­wang in der Nacht vor die­ser Pres­se­kon­fe­renz mit schlech­tem Sex zufrie­den­ge­ben oder hat­te einen Alp­traum. So jeden­falls erklär­ten wir uns beim Mili­tär neun­zig Pro­zent aller schrä­gen oder bös­ar­ti­gen Befeh­le. Hal­den­wang, von dem ich kei­nes­falls Befeh­le anneh­men wür­de, bezeich­ne­te auf sei­ner Pres­se­kon­fe­renz Leu­te, unter ande­rem mich, als die eigent­li­chen »Super­sprea­der von Haß und Gewalt«, obwohl wir gar nicht in sei­nem blö­den Bericht auf­tau­chen. Ihm tru­del­te also irgend­ei­ne Coro­na-Ana­lo­gie durchs Gehirn, wäh­rend er tat, was man tut, wenn man jemand ist, der sonst nicht viel hin­kriegt: dum­mes Zeug quat­schen, »lie­fern«, den poli­ti­schen Beam­ten spie­len. Ich muß Ihnen sagen: Eigent­lich inter­es­siert mich das alles gar nicht mehr. »Das alles« ist näm­lich so sehr auf den Hund gekom­men und zugleich so sehr sys­te­misch abge­si­chert, daß an Repa­ra­tur, Reform oder Abschaf­fung gar nicht zu den­ken ist. Daher: Abwen­dung. Sol­len die doch Staat spie­len. Ich guck noch nicht mal mehr zu dabei.

Wal­l­asch: Nach über ein­tau­send­fünf­hun­dert Arti­keln, die ich seit 2016 ver­öf­fent­licht habe, und der Erkennt­nis, daß damit zwar vie­le erreicht wur­den, aber nichts erreicht wur­de, bin ich lei­der auch ziem­lich rat­los gewor­den. Aber Sie und ich, wir bei­de publi­zie­ren, tei­len uns also schon von Berufs wegen ande­ren mit. Das will ja nicht auf­hö­ren. Und Ihr Ver­lag erreicht auch immer mehr Men­schen. Erzäh­len Sie bit­te etwas über die­sen Teil Ihrer Arbeit. Wo sind die Erfol­ge, wo die Schwie­rig­kei­ten, was hat gar nicht geklappt, was soll zukünf­tig klap­pen, was machen die Mitbewerber?

 

Kubit­schek: Ich bin viel beschei­de­ner als Sie. Ich ging nie und gehe nicht davon aus, daß mit den Mit­teln, die dem Publi­zis­ten und dem Ver­le­ger zur Ver­fü­gung ste­hen, im gro­ßen Rah­men etwas erreicht wer­den könn­te. Wir haben mit unse­rem Ver­lags­stand die Bericht­erstat­tung über die Frank­fur­ter Buch­mes­se 2017 domi­niert und 2018 mit dem Fake-Ver­lag »Loki« nach­ge­legt: Auch damit waren wir Mes­se­ge­spräch. Und dann? Die­ses bun­te Trei­ben aus Main­stream­ver­la­gen, gepam­per­ten »Unab­hän­gi­gen«, För­der­pro­gram­men, Lite­ra­tur­preis­ka­rus­sells, Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät, Selbst­be­weih­räu­che­rung, Selbst­ge­fäl­lig­keit, Selbst­zu­frie­den­heit, Selbst­be­frie­di­gung und dau­ern­der Selbst­be­stä­ti­gung: Das geht ein­fach so wei­ter. Das ist noch nicht mal mehr eine »Gesell­schaft des Spek­ta­kels«, son­dern zu neun­zig Pro­zent eine ver­husch­te Bran­che, die jedes Jahr schwit­zend dar­auf hofft, daß ihr »der Steu­er­zah­ler« den gan­zen Müll, den sie pro­du­ziert, auch wei­ter­hin finan­zie­ren wird. Die­se neun­zig Pro­zent sind gar kei­ne »Mit­be­wer­ber«, son­dern die vom Staats­tropf abhän­gi­ge sozia­le Unter­schicht mei­nes Berufs­zweigs. Das ein­zi­ge, was mich an sol­chen Ver­le­gern inter­es­siert, ist: Woher kommt bei denen das Selbst­be­wußt­sein, an Stän­den, die sie nicht bezahlt haben, Häpp­chen zu fres­sen, die sie nicht bezahlt haben, und über Bücher zu plau­dern, deren Autoren und Über­set­zer und deren Satz und Druck sie nicht bezahlt haben und deren Inhal­te bloß wie­der die­je­ni­gen inter­es­sie­ren, die sich von Berufs wegen dafür inter­es­sie­ren müs­sen (und meist ist die­ses Inter­es­se auch noch geheuchelt)?

 

Wal­l­asch: Nun füh­ren wir nicht das ers­te Inter­view über die Jah­re, also stel­le ich zunächst mal fest, daß Ihre Spra­che här­ter gewor­den ist, unbe­ding­ter. Was kon­kret ist da pas­siert in den letz­ten drei Jah­ren von außen und von innen? Denn noch im Okto­ber 2017 berich­te­te kei­ne Gerin­ge­re als die New York Times über »The Pro­phet of Germany’s New Right« – eine Head­line, die Sie sich selbst wohl kaum getraut hät­ten. Wie fällt so etwas nie­der auf einen gläu­bi­gen Katho­li­ken Kubit­schek, fragt man sich da? Davor stan­den die gro­ßen deut­schen Alt­me­di­en bei Ihnen auf der Mat­te zum Zie­gen­mel­ken und zum heim­lich schüch­tern-lau­ern­den Blick ins Bücher­re­gal. Redak­teu­rin­nen wie Mela­nie Amann vom Spie­gel schie­nen bald Ihre per­sön­li­che Hof­be­richt­erstat­te­rin­nen zu wer­den. Jetzt ist Stil­le, eini­ge Ihrer engen poli­ti­schen Freun­de und Weg­ge­fähr­ten ste­hen im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt. Also aus­ge­rech­net wie­der dort, wo man schon mein­te, sich von da aus zurück ins bür­ger­li­che Leben gear­bei­tet zu haben. Der Marsch durch die Insti­tu­ti­on jäh beendet?

 

Kubit­schek: Mei­ne Spra­che ist nicht hart, son­dern gelang­weilt abschlie­ßend. Ich will kei­ne Zeit mehr dar­auf ver­schwen­den, von den Über­emp­find­li­chen ver­stan­den zu wer­den, also anschluß­fä­hig, ertrag­bar, kom­pa­ti­bel zu sein. Was vor drei Jah­ren geschah, hät­te zu aus­führ­li­chen Debat­ten mit uns über die Lage und die Zukunft füh­ren müs­sen, in allen gro­ßen Sen­dern und Medi­en. Statt des­sen köchelt man dort lie­ber wei­ter im sel­ben Sud, dis­ku­tiert mit denen, die schon immer dis­ku­tier­ten, über das, wovon alle die­sel­be Mei­nung haben. Das bedeu­tet: Man hat auf kei­nem Feld, weder in der Poli­tik noch im Vor­feld, die jeweils ein­zi­ge Oppo­si­ti­on als das begrüßt, was sie qua Wahl oder Auf­la­ge oder Auf­merk­sam­keit auto­ma­tisch war und ist: eine Not­wen­dig­keit, ein not­wen­di­ges Anzei­chen, eine Mas­sen­äu­ße­rung. Aber: Mit aller Macht, mit Lüge, Ver­dre­hung, Kri­mi­na­li­sie­rung, mit Denun­zia­ti­on, Ämter­miß­brauch und auf Kos­ten des Steu­er­zah­lers bekämpft und besu­delt die selbst­ge­fäl­li­ge, fet­te Mit­te die Oppo­si­ti­on. Das las­se ich nicht mit mir machen, dem wei­che ich aus. In die­se Insti­tu­tio­nen will ich gar nicht mehr ein­wan­dern, und viel­leicht könn­te das Ihren Begriff von Bür­ger­lich­keit kor­ri­gie­ren: Bür­ger­lich in die­sem Sin­ne bedeu­tet Abstand vom Dreck, von der Ver­kom­men­heit, bedeu­tet Abstand von Per­so­nen, die ihr Leben auf Gefa­sel und Intri­ge auf­bau­en. Man wen­det sich lie­ber ab und macht schö­ne Bücher oder geht Beschäf­ti­gun­gen nach, die in den Augen der Beu­te­ma­cher völ­lig sinn­los sind.

 

Wal­l­asch: Sie ste­hen zwar nicht im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt, wur­den aber Ende Früh­jahr 2020 ein soge­nann­ter Ver­dachts­fall wegen »Anhalts­punk­ten für Bestre­bun­gen gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung«. Was bedeu­tet das genau für Sie? Gab oder gibt es dazu eine Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Ihnen von Amts wegen, wird so was also offi­zi­ell in Schnell­ro­da mit­ge­teilt? Ste­hen da jetzt ver­dun­kel­te Fahr­zeu­ge ums Eck, womit müs­sen Sie da rech­nen, was für Fol­gen hat das für Ihren Tages­ab­lauf und was machen Sie auto­ma­tisch anders?

Kubit­schek: Als ich davon hör­te, beschleu­nig­te oder ver­lang­sam­te sich mein Puls nicht um einen Schlag. Ich bin selb­stän­di­ger Ver­le­ger, habe die bes­te Leser­schaft, die man sich den­ken kann, und es ist mir und mei­nem Ruf völ­lig egal, was irgend­ein Amt für Ein­stu­fun­gen vor­nimmt, um wei­te­re Arbeits­stel­len für jene Art Sozio­lo­ge oder Jurist zu schaf­fen, die es bloß auf kah­le Zwei­ge bringt. Als in dem Dorf, in dem ich lebe, nach der Wen­de auf­flog, wer für die Sta­si gear­bei­tet hat­te, hat man die bei­den Typen bei­na­he auf­ge­knüpft. Heu­te zecht man längst wie­der mit ihnen und macht Scher­ze. So wird’s wie­der kom­men, hof­fent­lich: erst ein biß­chen Angst, dann geläu­tert und leut­se­lig. Fürs »Schwamm drü­ber« bin dann sowie­so ich zustän­dig, ich kann ein­fach nicht anders. Ich schau mir selbst jeman­den wie Anet­ta Kaha­ne oder wie Hal­den­wang an wie Roman­fi­gu­ren, wie schä­bi­ge Neben­rol­len in einem Theaterstück.

 

Wal­l­asch: Aller­dings gehört es auch zur Wahr­heit, daß eine Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz – gar eine Erwäh­nung im Bericht – eine gesell­schaft­li­che Äch­tung nach sich zieht. Ins­be­son­de­re Platt­for­men wie Face­book, You­Tube, Twit­ter und Co. löschen Accounts strin­gent. Sol­che Prot­ago­nis­ten wie bei­spiels­wei­se Mar­tin Sell­ner, der ein­mal einer ihrer engen Ver­trau­ten war, sind damit fak­tisch nicht mehr öffent­lich und müs­sen eine Art Gegen­öf­fent­lich­keit erst noch auf­bau­en via Tele­gram usw. Das führt mich zur Fra­ge der Radi­ka­li­sie­rung. Wie sehr radi­ka­li­sie­ren sol­che Maß­nah­men bei­spiels­wei­se auch die AfD? Wer nir­gends mehr publi­ziert wird, weil die Ver­la­ge schon die drei Buch­sta­ben AfD scheu­en, wie der Teu­fel das Weih­was­ser, bzw. wo die Öffent­lich-Recht­li­chen in kei­ne Talk­show mehr ein­la­den, da blei­ben selbst den Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten der AfD nur noch zwei­fel­haf­te und radi­ka­le­re Räu­me. Wer radi­ka­li­siert hier eigent­lich wen?

 

Kubit­schek: Ich las­se mich nicht radi­ka­li­sie­ren, nicht vom Ver­fas­sungs­schutz und nicht vom soge­nann­ten poli­ti­schen Geg­ner. Ich kann da gleich für mei­ne Frau, die Publi­zis­tin Ellen Kositza, mit­re­den: Unser Leben ist ein gewach­se­nes Gewe­be aus Ver­lag, Kin­der, Schreib­tisch, Gar­ten, All­tag, Küche, Glau­be, Lek­tü­re, Frei­heit und Pflicht. Ent­schei­dend ist, daß der hand­werk­li­che Anteil so groß ist: Wir schrei­ben nicht nur, wir machen Bücher, lagern sie ein, ver­kau­fen sie, haben zuvor das Papier, den Ein­band aus­ge­wählt, haben das alles in der Hand gehabt und arbei­ten mit, wenn die Palet­ten abge­räumt und in Ein­zel­sen­dun­gen für die Post fer­tig gemacht wer­den – wie will jemand, den wir zum Kot­zen fin­den, so ein Leben radi­ka­li­sie­ren? Für Sell­ner, der nach wie vor eng mit uns zusam­men­ar­bei­tet und einer der wich­ti­gen stra­te­gi­schen Köp­fe ist, sieht die Sache anders aus: Das »Deplat­forming« muß ihn ganz anders, sehr vehe­ment tref­fen: Wir sind ana­log, er ist digi­tal. Aber: Wir pas­sen auf­ein­an­der auf, er ist hier jeder­zeit will­kom­men, und das weiß er auch.

Wal­l­asch: Wel­ches Gefühl haben Sie bei der Quer­den­ken-Bewe­gung? Über­ra­schend, daß die über­haupt so wach­sen konn­te, nicht über­ra­schend, daß es mut­maß­lich so enden wird wie PEGIDA und AfD? Ange­la Mer­kel hat dazu im ZDF gera­de for­mu­liert: »Das übli­che Argu­men­tie­ren hilft da nicht. Und das wird viel­leicht auch eine Auf­ga­be für Psy­cho­lo­gen sein oder für … also wir wer­den da noch sehr viel erfor­schen müs­sen: Wie ver­ab­schie­det man sich eigent­lich aus der Welt der Fak­ten und gerät in eine Welt, die sozu­sa­gen eine ande­re Spra­che spricht und die wir mit unse­rer fak­ten­ba­sier­ten Spra­che gar nicht errei­chen kön­nen? Es gibt ja dann eine rich­ti­ge Dis­kus­si­ons­ver­wei­ge­rung: Man arbei­tet nicht auf einer Ebe­ne. Sie aus die­ser Welt wie­der in eine Welt zu holen, wo wir uns gegen­sei­tig zuhö­ren kön­nen, das wird sehr, sehr schwer sein, und da muß man auch noch mal ver­ste­hen, was sozia­le Medi­en zum Teil machen, was die­se Räu­me machen, in denen man eigent­lich nur sich bestä­tigt fühlt und hin­rei­chend vie­le Leu­te hat, die einen unter­stüt­zen, die aber gar kei­ne Ver­bin­dung mehr zu ande­ren Räu­men haben. Ich habe dar­auf die per­fek­te Ant­wort nicht, aber das beschäf­tigt uns in der Poli­tik auch sehr.«

 

Kubit­schek: Ange­la Mer­kel spricht aus ihrer Bla­se her­aus über Leu­te, die nicht drin sind, und behaup­tet, es sei­en immer nur die­se ande­ren, deren Räu­me kei­ne Ver­bin­dung mehr zu den ande­ren Räu­men hät­ten. Sie behaup­tet, die Fak­ten sei­en auf ihrer Sei­te, und ver­mu­tet, daß denen, die das nicht so sehen, nur noch ein Psy­cho­lo­ge hel­fen kön­ne. Sie begreift nicht, daß sie immer wie­der eine der Urhe­be­rin­nen des immer wie­der glei­chen Vor­gangs ist: Pro­test und Oppo­si­ti­on wer­den für dumm erklärt, aus­ge­sperrt und kri­mi­na­li­siert, und wenn dadurch die Oppo­si­ti­on die Gesprächs­be­reit­schaft auf­gibt und zur Paro­le und zur Ver­wei­ge­rungs­hal­tung über­geht, wird ihr genau dies vor­ge­wor­fen. Am Ende kommt immer »Can­cel Cul­tu­re«, »Deplat­forming«, Ver­bots­be­stre­bung, Kri­mi­na­li­sie­rung her­aus. Ob Mer­kels »Raum«, die­ser Rie­sen­raum, die­ser poli­tisch-media­le Kom­plex, genau die­se Art Geg­ner braucht – das ist die Fra­ge, die mich seit PEGIDA beschäf­tigt, und mit der­sel­ben Fra­ge­stel­lung den­ke ich auch über die Quer­den­ker nach.

 

Wal­l­asch: Haben die Deut­schen nicht die Mer­kel bekom­men, die sie woll­ten bzw. ver­dient haben?

 

Kubit­schek: Ja und nein. Unser Volk wird auf denk­bar sanf­te Art umge­baut und auf­ge­löst. Die­ses Ergeb­nis kann das Volk nicht wol­len, aber die Ange­bo­te zum Nicht-Wider­stand sind ein­fach zu gut und zu ver­lo­ckend. Selbst­kas­tra­ti­on unter wir­kungs­volls­ter ört­li­cher Betäu­bung, Wär­me­tod, tota­le Abhän­gig­keit bei gleich­zei­tig sug­ge­rier­ter tota­ler Unab­hän­gig­keit, Gesell­schafts­for­mie­rung ohne offen­sicht­li­che Bru­ta­li­tät. Wol­len wir das, haben wir das ver­dient? Noch­mals: Ja und nein.

Wal­l­asch: Aber der Deut­sche will doch, er wählt doch. Und er fein­det sogar in über­wäl­ti­gen­der Mehr­heit an, was Sie wol­len. Aber viel wich­ti­ger und Ihren Über­le­gun­gen hier ein­mal fol­gend: Wer sind denn die Umbau­er kon­kret, wer sind die Auf­lö­ser, wenn nicht das Wahl­volk mit sei­nen demo­kra­ti­schen Ent­schei­dun­gen selbst?

 

Kubit­schek: Ja, der Deut­sche wählt, und in Sach­sen-Anhalt wähl­te jeder vier­te die Alter­na­ti­ve zur Alter­na­tiv­lo­sig­keit, gegen das media­le, poli­ti­sche und zivil­ge­sell­schaft­li­che Dau­er­feu­er eines Par­tei­en­blocks von ganz links bis zur CDU. In Thü­rin­gen und in Sach­sen eben­falls, auch in Bran­den­burg. Und wenn man mit Leu­ten spricht, die das noch nicht getan haben, dann fin­det man oft kei­ne inhalt­li­che Hür­de vor, aber eine emo­tio­na­le: Es ist dem Geg­ner gelun­gen, die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung (bei der er wenig Chan­cen hät­te) zu einer Empö­rungs­schlei­fe in Sachen Stil und Ver­gan­gen­heits­po­li­tik umzu­bau­en: Feind­mar­kie­rung mit­tels Ver­gan­gen­heits­be­wirt­schaf­tung, Feind­mar­kie­rung mit­tels pro­fes­sio­nel­ler Voka­bel­sen­si­bi­li­tät – das Gan­ze 24 / 7 auf allen Kanä­len. Wer dage­gen anwählt, ist mündig.

 

Wal­l­asch: Und zum zwei­ten Teil der Frage?

 

Kubit­schek: Der Umbau der Welt und unse­rer Nati­on zu einer diver­sen, indi­vi­dua­li­sier­ten, offe­nen Gesell­schaft ist zugleich eine Gesamt­be­we­gung der Moder­ne, ein welt­in­nen­po­li­ti­sches Pro­jekt, eine kapi­ta­lis­ti­sche Fol­ge­rich­tig­keit, ein büro­kra­ti­scher Vor­gang und eine Kar­rie­re­chan­ce. Dekon­struk­ti­on, Real­tran­szen­denz und die Auf­lö­sung aller Din­ge lie­gen im Zuge der Zeit. Wen wol­len wir dafür ver­ant­wort­lich machen? Die Auf­klä­rung? Die Seins­ge­schich­te? Die mensch­li­che Kon­sti­tu­ti­on an sich? Es läuft ab und bekommt im lau­fen­den Pro­zeß Gesich­ter: Mark Zucker­berg, Ste­ve Jobs, Peter Thiel, Ange­la Mer­kel, Chris­ti­ne Lag­ar­de und so wei­ter, bis hin­un­ter zu denen, die Sie per­sön­lich ken­nen oder über die Sie immer wie­der schrei­ben, weil sie eben das Gesicht des Geg­ners sind: Anet­ta Kaha­ne, Mela­nie Amann, Georg Rest­le, und immer wei­ter run­ter, bis zum Anti­fa-Fak­to­tum von neben­an. Alle die­se Leu­te sind auf den Strom­schnel­len der Fließ­be­we­gung unse­rer Zeit sehr geschickt unter­wegs und trei­ben die Sache vor­an, wäh­rend wir mit unse­rer Unzeit­ge­mäß­heit die Getrie­be­nen sind. Von oben betrach­tet, mag sich unser Enga­ge­ment gegen oder für etwas sogar rüh­rend aus­neh­men. Aber unter den­je­ni­gen, die eben­falls zu den Getrie­be­nen gehö­ren, gilt es als rich­tungs­wei­send, und der dar­aus erwach­sen­den Ver­ant­wor­tung wol­len wir gerecht wer­den, solan­ge wir es können.

 

 

Alex­an­der Wal­l­asch und Götz Kubit­schek führ­ten die­ses Gespräch Ende Dezem­ber als Online-Brief­wech­sel. Danach wur­de es auf der Sei­te alexander-wallasch.de veröffentlicht.

 

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