Sicherheit zu wünschen, ist dabei ein grundlegend menschlicher Charakterzug. Selbstverständlich lebt es sich in einer kontrollierten Umgebung ohne essentielle Bedrohungen “besser” als in ständiger Lebensgefahr. Besondere Bedeutung hat dieses Sicherheitsbedürfnis im Zwischenmenschlichen, bei finanziellen Entscheidungen und in vielen anderen Alltagsangelegenheiten, die in unseren ach so “freien” Zeiten eben nur scheinbar nach momentaner Lust und Laune verlaufen.
“Die” Freiheit ihrerseits kommt mittlerweile ausschließlich noch als leerer Signifikant daher, den jeder so auflädt, wie es ihm eben gerade paßt. (Die Begriffsmorphologie ist dabei ausgesprochen interessant und steht in enger Beziehung mit dem Aufkommen des Neoliberalismus, aber dazu dann mehr in Sezession 105.) Der gute Klang dieses hohlen Worts besteht jedoch weiterhin. Und so sehen sich inzwischen etwa Rechte als Verteidiger der Meinungsfreiheit, die die Kameraden von der anderen Feldpostnummer wiederum durch “strukturelle Unterdrückung” bedroht sehen. Also schlicht dadurch, daß von ihren eigenen abweichende Ansichten überhaupt noch stellenweise geduldet werden.
Was den Sehnsuchtszuständen Sicherheit und Freiheit allerdings heute gleichermaßen eignet, ist ihre totale Vermarktbarkeit. Besonders deutlich wird dies immer wieder im Bereich des Datenschutzes: Nicht umsonst wird dieser in der BRD im weltweiten Vergleich mit am strengsten geregelt, ebenso wie deutsche Politiker wesentlich an der EU-Datenschutzreform mitwirkten, an deren Ende die sattsam bekannte DSGVO stand.
Allein: Das nützt nicht viel, wenn man die eigene Sicherheit und Freiheit von (supra-)staatlichen Organisationen nur leidlich gut gewährleistet sieht. Und man muß längst kein libertärer Staatsverächter sein, um zu erkennen, daß das typisch rechte verzweifelte Klammern an Institutionen wie Polizei und Armee in unserem postnational verwalteten Staat allenfalls noch palliativ wirken kann.
So wendet sich der Dissident also anderen Anbietern zu, um der subjektiv empfundenen Sicherheit nachzuhelfen. Je schärfer der Wind der Repression abweichender Weltanschauungen weht, desto rasanter steigt die Nachfrage nach alternativen digitalen Austauschmöglichkeiten, Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechnologie etc. Und wiederum muß man kein libertärer Markt(ok)kultist sein, um mit allzugroßem Vertrauen auf diese privatwirtschaftlichen Angebote kräftig auf die sprichwörtliche Schnauze zu fallen. Denn das vielgerühmte Prinzip “Qualität durch Wettbewerb” bleibt nicht nur dank der faktischen Monopolisierung des Internets durch die “großen Fünf” GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft).
Diese betätigen sich nicht nur – inzwischen allgemein bekannt – rein profitorientiert als “Datenkraken”, sondern kooperieren auch mal mehr, mal weniger ausgeprägt mit den Behörden, natürlich nur zu unser aller Sicherheit. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an den 2016er Schlagabtausch zwischen Apple und dem FBI um die Frage, ob das Unternehmen verpflichtet werden könne, in seine Produkte elektronische “Hintertürchen” für Strafverfolgungsbehörden einzubauen.
Jüngst schlug nun der Fall von ProtonMail hohe Wellen unter um ihre digitale Sicherheit besorgten Internetnutzern. ProtonMail ist ein beliebter Anbieter primär von – unter gewissen Umständen – Ende-zu-Ende-verschlüsselter Mail-Kommunikation, wie es mittlerweile etliche gibt, so auch das deutsche Unternehmen Tutanota. Die Besonderheit von ProtonMail ist nun, daß diese Firma samt digitaler Infrastruktur in der Schweiz ansässig ist und mit den dortigen rechtlichen Bedingungen auch offensiv wirbt (»all user data is protected by strict Swiss privacy laws«). Entsprechend nutzen diverse rechte Medienprojekte und Einzelpersonen ebenso wie Cryptowährungsenthusiasten und andere Freunde von etwas mehr Privatsphäre als bei Google ProtonMail-Adressen.
Um so größer also der Aufschrei, als bekannt wurde, daß der Anbieter infolge eines Rechtshilfeersuchens von Europol die IP-Adresse – sprich: nicht etwa konkrete Mailinhalte – eines Nutzers aus der Klimaaktivistenszene, gegen den mehrere Verfahren anhängig sind, herausgegeben hat. Nur keine Schadenfreude, derlei kann auch vor jedem anderen politischen Hintergrund passieren und tut es gewiß auch.
Nun, rein juristisch ist dieser “Skandal” offenbar schnell zu den Akten zu legen: »Natürlich haben sie das getan – und sie werden es sicherlich wieder tun. Denn es gibt letztlich keinen absoluten Schutz bei offiziellen Anbietern im geographischen Raum Europa, selbst wenn man sich in der Schweiz befindet, also außerhalb der EU.«
Zur juristischen Perspektive kommt aber auch noch jene der allgemeinen Lebensklugheit, oder konkret: der Medienkompetenz hinzu. Es sollte sich doch mittlerweile wirklich herumgesprochen haben, daß es weder in Behörden- noch in Unternehmenskreisen barmherzige Samariter oder gar die oft beschworenen “heimlichen Unterstützer” gibt.
Nein, auch nicht Investorgigant Peter Thiel (der dieser Tage den Schirrmacher-Preis verliehen bekommt und damit immerhin für autistisches Kreischen beim Deutschlandfunk sorgt), bloß weil der offenbar u.a. seinen Carl Schmitt gelesen hat und 2019 mit dem Herausgeber der stets lesenswerten US-Vierteljahresschrift Telos, Russell Berman, an der Uni Stanford ein ziemlich knackiges Seminar über Souveränität und Globalisierung abgehalten hat.
Vielmehr verkörpert Thiel mit seinem “zweiten Gesicht” als Vorstandsvorsitzender des mit CIA-Geld gegründeten und stark für Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden tätigen Softwareanbieters Palantir für den Kern des Problems: Das Internet an sich ist von seiner Entwicklung her ein Produkt des militärisch-industriellen Komplexes, und allerspätestens seit der NSA-Abhöraffäre 2007 sollte klar sein, daß mindestens die amerikanischen Dienste das Netz sozusagen als US-Territorium betrachten. Demgegenüber sind ihre deutschen Appendizes völlig vernachlässigbar.
Wer noch immer glaubt, daß das Internet zur Gedankenfreiheit oder der Sicherheit des Austauschs zwischen “Unterdrückten” beigetragen hätte oder dies in Zukunft noch tun werde, dem ist wohl wirklich nicht mehr zu helfen. Das haben inzwischen selbst die einst so bejubelten “Piraten” eingesehen. Wer meint, dort wilde Sachen treiben zu müssen (oder wem nur all die personalisierte Werbung langsam unheimlich wird), der tut gut daran, jede nur denkbare Möglichkeit zur Anonymisierung, Maskierung und Verschleierung zu nutzen, die sich bietet – um hier nicht lexikalisch zu werden, sei auf die diversen Handreichungen zum Thema verwiesen, die online kursieren.
Es gibt im Netz schlechterdings keine zuverlässige Sicherheit, für niemanden, und diese Erkenntnis hat beträchtliche Auswirkungen nicht nur auf die Nutzung, sondern auch den geldwerten Konsum der dort abrufbaren Angebote.
Was lernen wir? Ironischerweise vor allem Manieren. Denn wenn es eine einfache Konsequenz aus der absoluten Datendurchlässigkeit aller Online-Aktivitäten gibt, dann diese: Der Wert von Mäßigung im Ton, des Bewußtseins, daß nicht über alles ausschweifend palavert werden muß, ja der aktiven Verschwiegenheit steigt in Zeiten des unablässigen, unausweichlichen Geschwätzes.
Wie es Thor v. Waldstein vor etlichen Jahren bei einem Vortrag in Marburg sinngemäß formulierte: Die Meinungsfreiheit beinhaltet auch, seine Meinung nicht immer und überall kundtun zu müssen. Zusammen mit einer zu erhoffenden wachsenden Abkehr von wesensgemäß unablässig eskalierenden und nicht zuletzt von staatlichen Lockspitzeln angeheizten Netzklüngeln könnte so vielleicht einmal wieder etwas erwachsen, das allein die Lehre aus unsinniger sozialmedialer Rabulistik und krankhaftem Institutionenfetisch sein kann: eben »Gespräche in der Sicherheit des Schweigens«.
Maiordomus
@Wegner. Was heisst da "mittlerweile" bei der pervertierenden Ideologisierung der Freiheit? Wer Freiheit, wie leider in der Tradition eines verschlagworteten Hegel Brauch geworden, besonders bei den Links-Hegelianern, als "Einsicht in die Notwendigkeit" definiert, der "leugnet ihren Entscheidungscharakter", wie mein Lehrer Hermann Lübbe in seiner Kritik an den 68ern nicht müde wurde zu betonen. Zumal Meinungsfreiheit hörte fast immer dann auf, wenn die wirklichen Meinungsverschiedenheiten auf den Tisch gelegt wurden. Sie haben indes recht, was den Stellenwert dieser vielgebrauchten Vokabel zumal in der heutigen politischen Debatte betrifft. Auch ist und bleibt es gefährlich, den Freiheitsbegriff in "Lager" aufzuteilen, so wie man etwas zur Zeit des Kalten Krieges von der "Freien Welt" sprach. Das war und ist und bleibt mit mannigfachen Lügen verbunden.