Früher lächelte man in der Alpenrepublik noch über „italienische Verhältnisse“. Heute kann man sich kaum noch an eine Regierung erinnern, die ihre reguläre Legislaturperiode durchhielt.
Sebastian Kurz trägt dafür große Verantwortung. Er war es, der durch eine Palastrevolution in der ÖVP im Jahr 2017 die große Koalition sprengte. Mit einer täuschend ähnlichen Imitation des FPÖ-Programms verhalf er seiner schwächelnden Partei zu neuer Größe und ging in eine schwarzblaue Koalition. Auch die sprengte er kurze Zeit später, im Jahr 2019.
Der Grund dafür war vorgeblich das Ibizavideo, eigentlich aber die klare Kante von Strache und Kickl in der Migrationspolitik. Die darauffolgende Regierung mit den Grünen wäre letztes Wochenende ebenfalls fast zerbrochen. Nur mit seinem Rücktritt von der Kanzlerschaft konnte Kurz die Koalition retten. Sein Stern ist im Sinkflug. Der einstige „Gottkanzler“, an dem vom Volk geliebt, vom Ausland beneidet, alles wie an Teflon abperlte, erlebte im Oktober wohl die schlimmsten Wochen seiner politischen Karriere.
Bei alldem kann man als Rechter und Identitärer eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen. Es ist der Geist von Ibiza, der Kurz und die ÖVP nun heimsucht. Im Zentrum steht das Mobiltelefon von Thomas Schmidt, einem engen Vertrauten und selbsternannten „Prätorianer“ des Kanzlers. Dieses wurde bei einer Razzia im Zug der “Casino-Causa”-Ermittlungen beschlagnahmt. Eine anonyme Anzeige mit detailliertem Insiderwissen, die sich primär gegen Strache und die FPÖ richtete, war der Auslöser.
Im folgenden „Ibiza-Untersuchungsausschuß“, der eigentlich die FPÖ belasten sollte, geriet bald die Volkspartei in den Fokus. Sebastian Kurz wurde vorgeladen und soll dabei eine Falschaussage getätigt haben (es gilt die Unschuldsvermutung). Es gab eine Razzia bei Gernot Blümel, dem Finanzminister. Akten wurden geschreddert und Laptops versteckt.
All das belastete das „Koalitionsklima“ mit den Grünen enorm. Die Partei hatte sich nach dem Ibizaskandal als „Antikorruptionspartei“ stilisiert und die selten arrogante Parole „Wen würde der Anstand wählen?“ affichiert. Jetzt rebellierte die Basis im Wochentakt. Das linksliberale Feuilleton kündigte die Sympathie auf und hatte für ihre einstige Lieblingspartei oft nur noch Häme übrig. Der geheime Grund dafür ist wohl, daß die Grünen den Asylkurs von Sebastian Kurz mittrugen.
Das Verhältnis beider Parteien war also bereits zerrüttet, als es am Mittwoch dem 6.10. zu einer Razzia in der ÖVP-Parteizentrale kam. Es überrascht vielleicht bundesdeutsche Beobachter, daß diese nicht überraschend kam. Kurz zuvor hatte eine ÖVP-Politikerin in einer bizarren Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft ausgerichtet, daß man von einer kommenden Durchsuchung gehört habe. Diese sei sinnlos, weil „nichts mehr da” sei, da regelmäßig alle Daten gelöscht würden. Es kam dennoch zur Durchsuchung.
Wirklich überraschend war die Begründung derselben: Auf 104 Seiten, die sich wiederum primär aus Chatprotokollen von Thomas Schmid speisen, wurde der Mannschaft um Kurz Bestechlichkeit und Untreue zur Last gelegt. Aus den privaten Gesprächen ergibt sich der Verdacht, dass er und seine „Familie“, wie man sich in den Chats nannte, Steuergeld zur Finanzierung von geschönten Umfragen mißbrauchten.
Ob das stimmt und inwiefern Kurz selbst schuldig sein könnte, ist noch fraglich. Wie beim Ibizavideo geht es aber weniger um das „Was“, als um das „Wie“. Viele meinen, dass es vor allem die Fotos von Strache in Unterhemd auf dem Sofa waren, die ihn die Karriere kosteten. Nun sind es vor allem juristisch nebensächliche aber charakterlich fragwürdige Chatpassagen, die Kurz’ Ruf ruinieren könnten. Man spricht davon, „Bundesländer aufzuhetzen“, um Koalitionen zu sprengen, nennt Kontrahenten „Arschlöcher“ und würzt die Unterhaltungen über Pressebeziehungen mit Sätzen wie „wer zahlt, schafft an“.
Als der Inhalt des Dokuments ruchbar wurde, mußten die Grünen reagieren. Sie forderten den Rücktritt von Sebastian Kurz. Andernfalls, so die Drohung, würden sie einem Mißtrauensantrag gegen ihn im Parlament zustimmen. Die ÖVP reagierte brüsk. In einer feierlichen Erklärung unterschrieben alle Regierungsmitglieder ein Dokument, daß sie nur mit Sebastian Kurz an der Spitze in der Koalition bleiben würden. Einen Tag später gab Kurz seinen Rücktritt bekannt und der ehemalige Außenminister Alexander Schallenberg wurde als neuer Kanzler nominiert.
Offenbar war der Druck der „alten ÖVP“, welche die türkise Alleinherrschaft von Sebastian Kurz immer nur duldete, solange er erfolgreich war, zu groß geworden. Immer noch hat der Exkanzler eine machtvolle Position. Er ist Parteiobmann, und viele sehen in ihm einen „Schattenkanzler“. Zu recht fordern daher die FPÖ und der Rest der Opposition nun auch den Rücktritt Blümels beziehungsweise der gesamten ÖVP-Regierung.
Als nach dem inszenierten Ibizaskandal Strache und Gudenus zurücktraten, verlangte die ÖVP ebenfalls den Rücktritt Herbert Kickls, obwohl gegen diesen rein gar nichts vorlag. Das Maß, das Kurz damals an die FPÖ anlegte, würde ihn selbst zum absoluten Rückzug aus der Politik zwingen. Selten wurden Doppelmoral und Heuchelei offensichtlicher. Als am Dienstag auch eine erste Verhaftung im Zuge der Ermittlungen stattfand, kam es auch in seiner eigenen Partei zu den ersten Rücktrittsrufen.
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Dazu tragen auch die katastrophalen Umfragewerte bei, die für die ÖPV ein Minus von 9% aufweisen. Die FPÖ hingegen kann gewinnen und durchbricht erstmals klar die 20%-Marke. Daß im Zuge des Nervenkriegs nach der Razzia alle Oppsitionsparteien bereit gewesen waren, mit Kickl zusammenzuarbeiten, um Kurz loszuwerden, verbessert dessen Stellung. Die hervorragende Arbeit von FPÖ-Politikern, allen voran Hans-Jörg Jenewein und Christian Hafenecker im Ibiza-Untersuchungsausschuss tat das ihrige.
Direkt nach besagter Verhaftung einer Meinungsforscherin, die im Zentrum des mutmaßlichen Systems aus Manipulation und Steuergeldmissbrauch stehen soll (es gilt die Unschuldsvermutung), kündigte Kickl einen neuen „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuß“ an. Die grünschwarze Regierung hat bereits jetzt ein Ablaufdatum, und Neuwahlen liegen in der Luft.
Für Patrioten in Österreich ist der Rücktritt von Kurz ein Grund zur Freude. Auch wenn wir den Blender noch lange nicht los sind (Gerüchte über die Gründung einer eigenen Liste gehen um), beginnt jetzt ein interner Konflikt im Lager der ÖVP. Der Ruf des ehemaligen “Wunderkinds” ist jedenfalls schwer beschädigt. Gerade das Bild der Seriosität und Untadeligkeit, mit dem er sich von den „schmuddeligen“ FPÖ-Politikern abheben wollte, scheint nun dahin zu sein. Für die FPÖ ist das ein echter Moment der Befreiung.
In jenem Artikel beschrieb ich Kurz einst als ein „Angebot, das viele Österreicher nicht ablehnen können”. Er ist eine Art „politische Designerdroge“ für Bürgerlich-Konservative, was auch seine Beliebtheit in der CDU-Basis erklärt: „ein (optisch) harter Migrationskurs in Verbindung mit glatter Biederkeit; eine (scheinbare) patriotische Wende, die man ohne Härten, Anfeindungen und Nazivorwürfe serviert bekommt.“
Solange das Produkt Kurz am Markt ist, das betonte ich stets, ist es für die FPÖ unendlich schwierig, deutlich über die 20%-Marke zu kommen. Statt sich anzubiedern und den übergelaufenen Wählern, die den „Weg des geringsten Naziverdachts“ wählten, hinterherzuhecheln, müsse sich die Partei daher auf eine klare „Kurz-muß-weg“-Strategie festlegen.
Das war meine Ansicht und offenbar auch die Herbert Kickls, der diese Parole zum Leitthema der FPÖ machte. Sollte Kurz nun nachhaltig entzaubert sein, könnte sich der Effekt, den seine Parteiübernahme im Jahr 2017 verursachte, umkehren, sprich, die FPÖ könnte wieder stärkste Kraft werden.
Die Lage ist derzeit sehr volatil. Der Artikel kann schon bei seinem Erscheinen wieder überholt sein. Totgesagte leben oft länger und das mag auch für Sebastian Kurz gelten. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die ÖVP von ihrem eigenen Narrativ gerichtet wird. Ihr “Mentekel” hat sie selbst gesprochen. Die Maßstäbe, die sie im Ibiza-Präzedenzfall 2019 gesetzt hat, werden ihr nun zum Richtstab, den die FPÖ genüßlich schwingt. Der Rücktritt, den Kurz von Strache, Gudenus und Kickl verlangte, ist nun sein eigenes Schicksal geworden.
Bei aller Freude über die späte Gerechtigkeit dürfen wir aber nicht vergessen, wie sie vollstreckt wurde. Erneut hat in Österreich ein System aus Presse und Justiz in die Politik eingegriffen. Erneut haben Ermittlungen und illegale Datenlecks einen Politiker “abgeschossen”. Blickt man auf ähnlich gelagerte Fälle wie Grasser und Strache, fällt schnell eine Gemeinsamkeit auf: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die hinter den Razzien und Ermittlungen steht, wird von Politikexperten als linkes Machtzentrum klassifiziert. Viele vermuten hinter den Vorgängen einen unsichtbaren Krieg zwischen der ÖVP und der WKStA. Stimmen diese Einschätzungen, so etabliert sich in Österreich gerade ein Mechanismus, mit dem jede beliebige Regierung auf Knopfdruck gesprengt werden kann.
Wenn Razzien derartig rasch und großzügig genehmigt werden, und danach jedesmal private Chats in der Öffentlichkeit landen, kann der bloße Verdacht jeden Politiker in den Augen der Öffentlichkeit vernichten. Was dann am Ende bei den Ermittlungen herauskommt, ist egal. Die öffentliche Demütigung, wie wir sie bei Kurz und Schmid, Strache und Gudenus erlebten, kommt bereits einem vollstreckten Urteil samt verbüßter Strafe gleich. 2019 traf es die FPÖ zur Freude von Kurz.
Heute trifft es Kurz und ich verstehe die Genugtuung der FPÖ. Doch der “Feind meines Feindes” muß nicht mein Freund sein – das sollte man bei aller “Kurz-ist-weg”-Feierlaune bedenken.
Laurenz
(1)
Als die Affaire des Kronprinzen Basti I los ging, dachte ich sofort, in der k.u.k Staatsanwaltschaft sitzen noch zuviele SPÖ-Schranzen. Die Korruptionsvorwürfe sind in der Mini-Donaumonarchie nichts Neues, es handelt sich hier um ein übliches Procedere in der Ostmark. & nur, weil Strache nicht an der Steuerspeck heran kam, suchte er nach Alternativen. Beide, Kurz & Strache hatten ja noch Glück, daß sie so, also medial zu beseitigen waren. Bei Haider war dies nicht möglich.
& daß Kurz den Terminus "Charakterlicher Schließmuskel" für Mitbewerber nutzt, mag zwar etwas an dem Ruf des "Idealen Schweigersohns" kratzen, aber Sie, MS, haben daraus nie Ihre Konsequenzen gezogen. Sie nennen Kurz zwar Blender, gestehen aber gleichzeitig die Schwäche ein, kein adäquates Gegenstück ins Feld schicken zu können. Für alle die Alpenrepublikaner, die denken können, hat Kickl durch seine Authentizität, Qualitäten in der Debatte & Überzeugungskraft gewonnen, aber hierbei gilt zu bedenken, daß die Mehrheit, ähnlich im Piefke-Land, nicht denkt oder nicht denken kann. Die Mehrheit, vor allem die Frauen, wählen emotional.