Im neuen Compact-Heft wird ein Riesenkomplex gekonnt zusammengepuzzelt, doch am Ende stört ein Irrtum das Bild.
Zunächst ist es geboten, den Ausdruck „das Große Erwachen“ zu beleuchten, denn ohne Hintergrund versteht der Leser diese im amerikanischen Englisch sehr schön so genannte catchphrase nicht.
In der US-Geschichte gab es bereits drei bis vier „Great Awakenings“, das bekannteste spielte sich in der Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Immer handelte es sich um protestantische Erweckungsbewegungen, die gegen einen verkrusteten religiösen Traditionalismus die persönliche Ergriffenheit der Gläubigen neu zu entflammen versuchten. Politische Bewegungen waren es allerdings nie.
Die Phrase wurde zum feststehenden Topos in der amerikanischen Geistesgeschichte und konnte später hervorgeholt werden, wenn es rhetorisch eine große Umwendung zu beschwören gab. So sprach George W. Bush 2006 vor konservativen Journalisten vom „Great Awakening“, das nun Amerika zu ergreifen habe angesichts der armageddonartigen Bedrohung durch die Terror-„Achse des Bösen“ – ab hier wurde der Topos politisch gebraucht.
So nimmt es kaum wunder, daß seit 2017 im Umfeld republikanischer Trump-Anhänger dieselbe catchphrase auftauchte. Diesmal ging es um das „Erwachen“ des amerikanischen Volkes angesichts der horrenden Korruption und tiefen Verstrickung der linken Elite (deren Marionette Hillary Clinton war) in Sexsklaverei, Korruption und satanistisch-transhumanistischen Pläne zur Steuerung der Menschen in einer „Neuen Weltordnung“.
Unter dem Kürzel „QAnon“ tauchten kryptische Hinweise in Netz-Foren wie „4chan“ auf, die besagten, daß bereits unterhalb des Radars der öffentlichen Meinung Präsident Trump den korrupten Sumpf trockenlege und die globalistische Elite mit Hilfe des Militärs besiegen werde, „trust the plan“, hieß es. „Q“ zog weite Kreise in den alternativen Medien, und die ersten „Coronaproteste“ speisten sich teilweise aus dieser Gedankenwelt: lichtbringendes „großes Erwachen“ des Volkes gegen die finsteren Pläne der Eliten, auf einen Nenner zu bringen in Klaus Schwabs offen herausposaunter transhumanistischer Weltrevolution namens „Great Reset“.
Nach dem Wahlbetrug des vergangenen Jahres verschwand „Q“ zusammen mit Trump plötzlich von der Theaterbühne – der gruslige Lieblingsgegner der Mainstreammedien hatte seine Schuldigkeit getan.
Was bleibt von „Q“? Sowohl der Verdacht, es könnte sich um einen PsyOp-Massenwahn gehandelt haben, als auch ein untergründig weiterschwelendes spirituelles Protestbewußtsein gegen eine teuflische Herrschaft, die unter dem Mäntelchen von “Corona” die Macht ergriffen hat.
Der sich immer sichtbarer offenbarende geistige Kampf gegen das unsichtbare Böse ist indes um Jahrhunderte älter als das ephemere „Q“-Phänomen. Daß dieser dadurch ins massenmedial gesteuerte Bewußtsein gelangt ist, ist einerseits nützlich, weil viele Leute jetzt ein Gespür dafür bekommen haben, daß es diesen Kampf gibt, andererseits besteht die Gefahr, daß diese Leute dadurch verführt sind, sich luziferischen Massensuggestionen hinzugeben.
Hier knüpft das aktuelle Compact-Heft an. Die zwei zentralen Pfeiler sind Essays des Vatikan- und NWO-kritischen Erzbischofs Carlo Maria Vigano und des russischen Philosophen und Geopolitikers Alexander Dugin, dessen neuestes Buch den Titel „Das Große Erwachen gegen den Great Reset“ trägt. Um diese herum tragen die Autoren unzählige bekannte und unbekannte Hintergründe zusammen.
Ist der „Great Reset“ ein Projekt des Widersachers? (Felix Dirsch sagt: ja); Wie hängen Konzilsgeschichte und die aktuelle Haltung des Papstdarstellers zusammen? (zwei sehr erhellende Texte von Wolfram Schrems und Jürgen Elsässer); Wo gibt es tatsächlich satanistische Hintergründe? (Giuliano di Bernardo war mir bis dato unbekannt); Welche Rolle spielte Luthers Protest für die heutigen Kritiker der großen Lüge? (Marc Ihle und Elsässer spannen den historischen Bogen, Pastor Jakob Tscharntke predigte am Karfreitag 2020 darüber); Oder war es gerade der Protestantismus, der als Häresie zur Zerrüttung der Kirche führte? (Vigano dixit); Was vermag charismatisch-pfingstlerischer Protest als Teil der Popkultur? (Xavier Naidoo kommt ausführlich zu Wort, theologisch ist das m.E. bullshit); Was hat das „Große Erwachen“ mit der Anthroposophie zu tun? (Jonas Glaser bringt es – wie bereits in vergangenen Heften – sehr gut auf den Punkt); Ist das „Große Erwachen“ eine Massenbewegung?
Die letzte Frage will ich mir genauer anschauen. Denn da liegt der Punkt, auf den bezugnehmend ich zu Beginn schrieb, das vorliegende Compact-Heft ende irreführend. Die Idee, daß es sich um eine weltweite Massenbewegung handle, vertritt Alexander Dugin mit Eifer: „Das Große Erwachen ist die spontane Antwort der Massen auf den Great Reset“. Allerdings macht er kurz vorher in seinem Text den Fehler zu schreiben: „Alex Jones beendet seine Sendungen immer mit dem gleichen Schlachtruf: ‚Ihr seid der Widerstand!‘. So unglaublich „spontan, größtenteils unbewusst, intuitiv und blind“ ist das Erwachen also wohl doch nicht. Was für „Q“ gilt, ist für Figuren wie Jones in ähnlicher Form anzunehmen.
In meinem Versuch über den Riß schrieb ich an einer Stelle:
Der Fehlschluß aus dem Kollektiv lautet: Je mehr Erwachte wir sind, desto mehr nimmt die Lüge ab, desto schneller implodiert das Narrativ der Eliten.
Erwachende lassen sich aber nicht addieren – so zu denken widerspricht dem christlichen Erweckungsgedanken fundamental, denn der richtet sich an den einzelnen persönlichen Gläubigen. Satan wird nicht durch irdische, sondern durch himmlische Heerscharen überwältigt. Ein einzelnes Gebet aus dem Geist der Feindesliebe hat eine Gewalt, welche selbst die pure Finsternis niederzwingt, und ist nicht mit „Megademos“ zu verwechseln – das gesamte COMPACT-Heft durchzieht mal mehr, mal weniger eine unaufgelöste Gleichsetzung von politischem und geistigem Widerstand.
Typisch dafür ist ein kurzer Essay von Wassilij A. Schipkow, der einen zu frühen Rückzug in die Katakomben kritisiert, dabei allerdings Einwände gegen die gesamte Vorstellung des „Großen Erwachens gegen den Great Reset“ liefert. Heutige Katakombenchristen gingen, so Schipkow, immer von bedrohlicher Eschatologie und von einem „axiologischen Dualismus“ aus, d.h. der Vorstellung, sich selbst auf die Seite des Guten und die Feinde auf die Seite des Bösen zu sortieren. Inwiefern ein von ihm favorisiertes „öffentliches Bekämpfen des Transhumanismus“, also politischer Widerstand, dies nicht voraussetzt, bleibt mir unklar.
Kurzum: die spontan erwachte Masse ist nicht nur nicht auszumachen, sondern dem „Erwachen“, wenn man es ernstnimmt und nicht als politische catchphrase gebraucht, eminent abträglich. Daran, daß im vorliegenden Magazin der politische Widerstand und der spirituelle über weite Strecken miteinander kontaminiert werden, trägt Dugins Irrtum wohl die Schuld.
Man sieht: ein Puzzle für Fortgeschrittene, ein Zeitdokument erster Wahl, unzählige offene Fragen – daraus folgt eine nachdrückliche Kaufempfehlung!
– – –
Compact Spezial: Das Große Erwachen. Der spirituelle Kampf gegen den Great Reset.
Maiordomus
Spiritueller Kampf? Die ganz grossen Spiritualen, etwa Meister Eckhart oder Klaus von Flüe, waren umstritten, aber als Meister der Gelassenheit keine Kämpfer, so wie in der ersten Jahrhunderthälfte und selbst im 3. Reich die Spiritualen zwar Einfluss auf den Widerstand hatten, sich aber wie Reinhold Schneider kaum selber daran beteiligten. Ebene des Satanismus führt selten zur geistigen Klärung. Eine der interessantesten Figuren eines spirituellen Widerstandes war aus meiner Sicht zweifelsfrei Thomas Morus, liegt wie andere genannte weit zurück, siehe Pascal, der indes dem Jansenismus nahe stand. Ganz speziell die Figur des Prinzen Max zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, womit sich einer der früheren SiN-Kommentatoren befasst hat, sich aber nicht auf der vorliegenden Spalte äussere.
PS. Betr. Q. oder ähnlich. Noch vor Jahresfrist gab es eine ätzend satirische rechte Tagesschau, von zwei Maskierten vorgetragen, die aber schon länger aus dem Internet völlig verschwunden zu sein scheint. Weiss jemand etwas über das weitere Schicksal dieses alternativen Kanals, er war zeitweilig mit dem "Digitalen Chronisten", zwar einem Schwätzer, in Kontakt.