Mit dem kleinen Saarland startete am Sonntag das Wahljahr 2022. Trotz der geringen Bedeutung für die Bundespolitik gibt es einige interessante Bewegungen und erwähnenswerte Entwicklungen zu vermelden – auch in der AfD. Doch zunächst eine Gesamtschau auf die Wahl:
Die SPD ist der uneingeschränkte Gewinner des Wahlabends. Seit 1999 kann die SPD mit Anke Rehlinger an der Saar wieder den Ministerpräsidenten stellen und sicherte sich dabei mit 43,5% auch direkt die absolute Mehrheit. Die CDU ist mit einem Verlust von 13,2% und einem Endergebnis von 28,5% deutlich abgewählt worden, was der Parteispitze angesichts dieser deutlichen Niederlage einen Dämpfer verpasst haben dürfte. Doch Merz wird dies verkraften. Sowohl in den Umfragen im Bund als auch in den Länderumfragen für Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein kann die CDU die SPD derzeit auf Abstand halten. Der Abstieg der CDU dürfte also ein spezifisches Problem im Saarland sein.
Beobachter bemerkten im Wahlkampf ein verstärktes Personenduell, in dem der Amtsinhaber Tobias Hans recht blaß aussah und keine konsistente Kommunikationslinie fand. Weder scheinen die Wähler bei Hans die harte Lockdown-Politik gewürdigt noch die Begeisterung für gendergerechte Sprachpolitik geteilt zu haben. Diese Wahl wurde vor allem durch Charisma und gute personelle Inszenierung entschieden.
Wie auch schon bei der Bundestagswahl ist die Altersklasse Ü60 die politische Lebensversicherung der SPD und CDU. Die Rentnerrepublik westdeutschen Verschnitts ist politische Realität.
Wohl eine ganze Weile noch werden CDU und SPD von ihr zehren und ihr größtes Mobilisierungspotential bei den alten und sehr alten Wählern suchen. Auch das Saarland bildet hier keine Ausnahme und zeigt einmal mehr die Gebundenheit der alten Volksparteien an die pilzförmiger werdende Alterspyramide.
Ein weiterer großer Verlierer des Abends ist die Linkspartei. Noch vor Jahren war das Saarland der Stolz der Partei im Westen. Mit Oskar Lafontaine hatte die Partei ein prominentes Zugpferd, welches der Partei an der Saar stets Ergebnisse im zweistelligen Bereich brachte. Nur knapp eine Woche vor der Saarland-Wahl gab Lafontaine seinen Parteiaustritt bekannt – ein katastrophales Signal, auch wenn sich die deutlichen Verluste schon in den vorherigen Umfragen abzeichneten. Die Linke ist politisch am Ende.
Die Vertreter der linksliberalen Identitätspolitik haben sich in der Partei durchgesetzt und sind nicht in der Lage, aus dem schon desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Trend in die Bedeutungslosigkeit setzt sich also fort. Diese Renitenz rächt sich erfreulicherweise, und die Wähler wandern in großen Mengen zur SPD über, die ironischerweise einst der Grund für die Gründung der heutigen Linkspartei war, als nämlich die Sozialdemokraten unter Schröder jegliches sozialpolitisches Profil aufzugeben drohten. Nun ist es die Linkspartei selbst, die kaum noch in der Lage ist, ein grundsätzliches Sozialprogramm zu formulieren und das Bündnis mit der gesellschaftlichen Wokeness eingegangen ist.
FDP und Grüne verpassten trotz leichter Zugewinne erneut den Einzug in den Landtag. Als dritte Kraft mit drei Abgeordneten zieht schließlich die AfD mit 5,7% ein. Ein weiteres ernüchterndes Ergebnis, auch wenn angesichts des Zustands der Saar-AfD und der Umstände des Wahlkampfs ein Minus von 0,6% noch ein weicher Fall sein dürfte.
Von einer Kampagnenfähigkeit, die einem Wahlkampf angemessen wäre, war die AfD weit entfernt.
Durch interne Zerwürfnisse konnte man zunächst nicht einmal mit einer eigenen Liste oder gar einem Spitzenkandidaten antreten. Sowohl Fraktion als auch Landesverband sind hoffnungslos zerstritten. Jahrelang war der Landesverband von Notvorständen und Führungspersonalwechseln geprägt. Ohne Intervention des Bundesvorstandes wäre der Landesverband wahrscheinlich nicht einmal zur Organisation einfachster Wahlkampfaktivitäten in der Lage gewesen.
So ist es auch bezeichnend, daß ein verbandseigener YouTube-Videokanal erst am 19.02.2022 gestartet wurde. Digitale Werbeanzeigen wurden in den sozialen Medien kaum eingesetzt, und auf manchen Plattformen waren die letzten Einträge aus dem Sommer 2021. Der Wahlkampf war also vielmehr Anlaß, um einen Landesverband halbwegs arbeitsfähig aufzubauen.
Innovative Kampagnen konnten nicht geplant, programmatische Akzente nicht gesetzt, kommunikative Taktikmanöver nicht ersonnen, verstärkte Mitgliederpartizipation nicht ermöglicht und alle Potentiale einer professionellen Wahlkampagne überhaupt nicht ausgeschöpft werden, da der Verband strukturell bei Null stand.
Auch nach dem Einzug ist immer noch unklar, ob die AfD-Abgeordneten aufgrund der Konflikte untereinander überhaupt in der Lage sein werden, eine eigene Fraktion zu bilden. Diese innere Zerstrittenheit wurde offensichtlich auch vom Wähler registriert und schmälert das Kompetenzvertrauen.
Dennoch kann die Partei im Westen anscheinend auf eine strukturell verankerte Wählerschaft bauen, die ihr zumindest den Wiedereinzug in die westdeutschen Parlamente ermöglicht. So bleiben zumindest infrastrukturelle Ressourcen (Mitarbeiterstäbe, Wahlkreisbüros etc.) und direkte parlamentarische Informationszugänge erhalten. Den selbst gesetzten Ansprüchen genügt dies jedoch nicht. Ob die Wählertreue auch noch kommende Legislaturen hält und sich neue Potentialräume eröffnen, ist fraglich. Dennoch akkumuliert die AfD weiterhin, wenn auch nur auf Sparflamme, den Protest und die Unzufriedenheit der Menschen vor allem mit der Migrationspolitik.
Mit Corona, steigenden Preisen und der Migrationspolitik ist die AfD in ihrem Kompetenzprofil zunächst auf klassische Protestthemen festgelegt. Das Wahljahr 2021 hat jedoch bei nahezu allen Wahlen gezeigt, daß der Protestimpuls allein die Partei nicht auf Dauer tragen wird und ihre Skalierungsmöglichkeiten einschränkt. Es fehlt an fachpolitisch respektierten Akteuren, intellektuellen Zentren und metapolitischer Grundlagenarbeit. Wer zuletzt auch die Bundestagsdebatten verfolgte, hat gemerkt, wie kraft- und ideenlos manche Reden inzwischen vorgetragen werden und viele Mandatsträger auf politischen Autopiloten eingestellt sind. Die AfD ist seit Corona zur reinen Reaktion verdammt. Offensive programmatische Akzente? Skizzierung strategischer Leitlinien? Aufbau von Experten, Talenten und politischen Leistungsträgern? Etablierung einer inneren kultivierten Debattenkultur? Fehlanzeige!
Es erscheint nicht verwunderlich, daß die AfD bei den Wählerwanderungen den größten Abgang in Richtung der Nichtwähler verzeichnet. Wenn für die Stammklientel, welche überwiegend aus vom politischen Mainstream Enttäuschten besteht, weder ein kommunikatives noch programmatisches Angebot gemacht wird, gehen diese Wähler zurück in den elektoralen Verweigerungsmodus. Die Zugewinne aus dem Lager der Linkspartei sind angesichts der massiven Verluste der Linken nur ein kleines Kuchenstück, welches die AfD abgreifen konnte. Mehrheitlich wanderten vormalige Linksparteiwähler zur SPD (-17.000) oder zu den Nichtwählern (-12.000).
Bei der sozioökonomischen Struktur der AfD-Wählerschaft zeigt sich ein bekanntes Bild. Die stärksten Stimmenanteile und zugleich auch das größte Wachstum kann die AfD bei den Arbeitern verbuchen (+7%). In den anderen Berufsgruppen stagniert sie, während es bei den Rentnern zu Verlusten kommt (-3%). Wir sehen hier also eine weitere soziale Homogenisierung in Richtung der Arbeiterschaft.
Insbesondere im Westen wäre es jedoch zu kurz gegriffen, hieraus eine diametrale Klassenkampfsituation abzuleiten. Die Soziale Frage der AfD-Wähler scheint nämlich nicht entlang der konventionellen Linie ökonomischer Verteilungsfragen zu verlaufen. Bei der Abfrage, ob Entlastungen eher geringeren Einkommen oder »allen Haushalten« zugutekommen sollten, gaben 70% der AfD-Wähler »alle Haushalte« an. Man mag nun die Aussagekraft aus einer solchen Frage in Zweifel ziehen, aber spätestens der Vergleich mit den Aussagen der Wählergruppen anderer Parteien zeigt, daß Verteilungsgerechtigkeit unter AfD-Wählern eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Nach wie vor sind es eher Abgabenbelastungen durch Inflation, steigende Energiepreise und Abstiegssorgen einer ökonomischen Mittelschicht, die ihren jahrelang erarbeiteten Sozialstatus bedroht sieht. Hier könnten sich in den kommenden Monaten und Jahren durchaus Mobilisierungspotentiale ergeben. Noch scheinen die wirtschaftlichen Verwerfungen sich noch nicht in einer existenziellen Krisenwahrnehmung zu manifestieren. Das Thema steigende Preise hat aktuell zu wenig emotionale Sprengkraft, um politische Verschiebungen in der Parteienlandschaft zu bewirken. Es ist Ärger, aber noch keine Wut, die sich entlädt.
Auch im Bereich Arbeitsmarktpolitik hätte die AfD durchaus einige Akzente setzen können. Immerhin war dies im nach wie vor stark industriell geprägten Saarland das wahlentscheidende Thema. Die Transformation der Arbeitswelt könnte demnach auch in anderen Teilen Deutschlands zu einem AfD-Leitthema werden, wenn Kohle- und Stahlindustrien zunehmend abgebaut werden und die Energiewende strukturell scheitern wird. Dafür bräuchte es dann jedoch konzeptionelle und programmatische Disziplin, die sich nicht nur in Vulgärradikalismus erschöpft.
Bei den Altersgruppen gibt es für die AfD ebenfalls keine Überraschungen. Bei den Ü60-Jährigen erzielt die Partei ihre schwächsten Ergebnisse, während die Partei in allen anderen Altersklassen deutlich über ihrem tatsächlichen Wahlergebnis liegt. Auch im Saarland liegt der Anteil der Wahlberechtigten Ü60 seit der letzten Landtagswahl bei über 35%. Somit neutralisieren sich die stärkeren Ergebnisse in den mittleren Altersklassen schlicht und ergreifend durch das schwerwiegendere schwache Ergebnis bei den älteren Wählern.
Wie die AfD die heutige Rentnergeneration, die im Westen kaum von pessimistischen Zukunftserwartungen geplagt ist, adressieren will, dürfte tatsächlich eine der größeren strategischen Herausforderungen sein. Neben dem starken Mittelbau im Bereich 30–59 Jahren ist noch eine jüngere Alterskohorte zu nennen, nämlich die der 18–30-jährigen, bei der die AfD auch keine großartigen Werte erreicht, aber wo sich zumindest ganz andere Potentiale eröffnen.
Wie schon bei der Bundestagswahl war es vor allem die FDP, die unter Jungwählern ihre stärksten Anteile mobilisieren konnte und damit vor allem im Wettbewerb mit den Grünen steht. Ich habe in einem früheren Artikel bereits auf die Motive und Einstellungen junger FDP-Wähler hingewiesen und die These aufgestellt, daß diese auch für die AfD ansprechbar sind. Das Coronathema hat schließlich auch in bundespolitischen Fragen gezeigt, daß es zwar absolut gesehen oft eine Mehrheit gab, die Lockdown und staatliche Eingriffsmaßnahmen unterstützt hat, diese Mehrheit aber nur durch die Altersgruppen Ü60 gebildet wurde.
Für die AfD stellt sich jetzt also die Herausforderung, aus den Lippenbekenntnissen zur stärkeren Einbindung von JA und Jungpolitikern auch Taten folgen zu lassen. Auch die saarländische AfD-Fraktion (sofern sie dann zustande kommt) liegt mit einem Altersschnitt von 55 Jahren leicht über dem Durchschnitt ihrer Wählerschaft. Im Bundestag ist die AfD die im Durchschnitt älteste Fraktion von allen. Erste Gehversuche zur Verjüngung der Partei wurden bereits in Mecklenburg-Vorpommern und jetzt auch mit der Liste in Nordrhein-Westfalen unternommen. In den meisten Verbänden fehlt jedoch noch das Bewusstsein zur Förderung und Aufbau junger Polittalente und der stärkeren strukturellen Verzahnung mit der Jungen Alternative und ihrer Einbindung bei der Gestaltung der Partei.
Die parteiinterne Interpretation des Saarland-Ergebnisses
In den Verlautbarungen der meisten Parteifunktionäre zeigte sich ein differenziertes Bild zur Interpretation des Wahlergebnisses. Während die einen am Wahlabend vor allem den Nicht-Einzug von Linkspartei, Grüne und FDP bejubelten (die beiden letztgenannten Partien waren vorher auch nicht im Landtag vertreten) und das Ergebnis trotz der Umstände noch als Erfolg verkauften, waren andere schon deutlich bemühter um eine realistische Einordnung, was die schlechte Wahlkampfperformance betraf.
Manche versuchten vor allem die aktuelle Ukraine-Krise als Erklärung für das ernüchternde Wahlergebnis heranzuziehen, welche angeblich viele Wähler zu den Volksparteien gespült hätte. Glaubt man jedoch den Umfragen, so war die Ukraine-Krise weder bei den entscheidenden Wahlmotiven noch bei der Problemwahrnehmung von irgendeiner signifikanten Relevanz für die Gesamtwählerschaft.
Solche Erklärungsmodelle sind zwar einfach und billig zu haben, sie verstellen aber den Blick auf die strukturellen Defizite und die Tatsache, daß sich die Wahl im Saarland in eine Reihe von demoskopischen Stagnationen und leichten Abstiegstendenzen seit knapp einem Jahr einfügt. Bei fünf Wahlen im Jahr 2021 verzeichnete die Partei Verluste. Im Westen mit Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg etwas stärkere als im Osten mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Man kann die Saarland-Wahl also nicht von der generellen Negativtendenz für die AfD isolieren, sondern sollte das sehr mäßige Ergebnis als weiteren Warnschuss begreifen. Wie viele es noch braucht, liegt in den Händen der AfD selbst.
Bemerkenswert waren jedoch die Reaktionen einiger Vertreter aus dem gemeinhin als „liberalkonservativ“ bezeichneten Lager. Der Tenor in einigen Twitterstatements war immer der gleiche. Die AfD brauche eine Führung, die auch im Westen Wähler mobilisiert und nicht nur den Osten adressiert. Zwar wurden keine Namen genannt, aber trotzdem dürfte für jeden oberflächlichen Kenner der AfD klar sein, daß mit dieser »Führung« der aktuelle Parteichef Tino Chrupalla gemeint ist. Ein billiges Manöver, das wohlmöglich schon den Machtkampf auf dem kommenden Parteitag im Juni vorzeichnet. Am Rande sei erwähnt, daß 2/3 des Bundesvorstandes aus Vertretern der Westverbände bestehen.
Bemerkenswert ist dabei, daß gleich vier prominente Aushängeschilder dieses Lagers Tweets abgesetzt haben, die in Wortlaut und Duktus fast identisch waren. Man könnte meinen, daß es hierzu in der internen WhatsApp-Gruppe vorab gemeinsame Absprachen über die Sprachregelung gab. Das ist nicht unüblich, und das andere Parteilager operiert ähnlich. In diesem Fall aber war das recht offensichtlich und durchschaubar, auch wenn man sich mit solchen Spekulationen und Nachforschungen nicht lange aufhalten sollte. Es ist jedoch ermüdend, wenn für schlechte oder stagnierende Wahlergebnisse im Westen die Ostverbände verantwortlich gemacht werden. Als es im letzten Jahr zu Verlusten bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern kam, konnte ich zumindest keine Stimmen der Landesverbandsführungen und Fraktionschefs im Osten vernehmen, die einem Meuthen oder Westverbänden die Schuld an den Verlusten gaben. Solche Erklärungen sind auch Ausdruck von analytischer Denkfaulheit.
Es bleibt zu hoffen, daß sich die Protagonisten der Destruktivität solcher internen „Dogwhistle-Kampagnen“ bewußt werden und erkennen, daß die Strukturprobleme in der AfD aktuell deutlich schwerer wiegen als die Personalprobleme. Wichtiger als der lähmende interne Stellungskrieg wären jetzt die Klärung strategischer Grundsatzfragen und visionäre Angebote einer AfD für die kommenden 5–10 Jahre. Hier sieht es über alle Parteilager hinweg nämlich recht mager aus.
Franz Bettinger
Die Landtags-Wahl war vor allem ein persöhnlicher Erfolg für Oskar Lafontaine. Die Linken sind so etwas von abgestürzt! Von 12,8% auf 2,6%. Das haben sie davon, die Besten zu vergraulen. Den Grünen und der FDP gönnen wir es natürlich auch: das Aus. Die AfD? Drin ist drin und basta. Ich kenne die Pappenheimer alle persönlich. Da ging es um reine Selbstbereicherung. Ja, das gibt's leider auch in der AfD. Schade, dass der von mir geschätzte Kai Melling nicht in den Landtag einzog. Er war Nr. 1 auf der Liste, die von den Listigen (alles Ex-Dörrianer) über Nacht und Nebel zurückgezogen wurde, damit sie selbst (dank des saarländischen Wahlgesetzes) drankämen. Aber egal. Drin ist drin, und auch ein Kaktus wäre besser als das Merkel-Gesocks.