Hackende Zukunft

PDF der Druckfassung aus Sezession 102/ Juni 2021

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Eines Nach­mit­tags ver­ließ ich das Dorf, in dem ich die ers­ten acht Jah­re mei­nes Lebens ver­bracht habe. Ich ver­ließ es nur für eini­ge Stun­den, dann wur­de ich auf­ge­fun­den und zurück­ge­bracht. Ich ver­ließ das Dorf, die­se ganz ver­trau­te Ansamm­lung von Häu­sern, Stra­ßen, Leu­ten, um, sechs Jah­re alt, einem Bild zu fol­gen, einem Urbild, einem Schock, einer Erkennt­nis und vor allem: drei ech­ten Männern.

Ich sah die­se Män­ner, als ich den klei­nen Laden ver­ließ, der nur ein paar hun­dert Meter von mei­nem Eltern­haus ent­fernt, aber jen­seits der Haupt­stra­ße lag. Man konn­te dort aus Glä­sern ein­zel­ne Brause­stäbchen und win­zi­ge Lut­scher fischen, das Stück zu zwei Pfen­ni­gen. Ich trat mit mei­nem Papier­tüt­chen in der Hand durch die Schel­len­tür auf die Gas­se zurück, hin­ein in einen hacken­den Lärm, einen rohen, uner­bitt­li­chen Rhyth­mus aus Stö­ßen, aus Kra­chen und Gepol­ter, aus einem het­zen­den Antrieb, einem trei­ben­den Scha­ben. Das gegen­über­lie­gen­de Hof­tor stand offen. Ich sah eine Holz­hack­ma­schi­ne, einen Spalt­keil, der von einer knat­tern­den Kraft hoch­ge­ris­sen und wie­der hin­ab­ge­stampft wur­de, in einem lang­sa­men Takt, ange­trie­ben von einem brei­ten, grau­en Keil­rie­men, der um die Wel­le eines Trak­tors gelegt war. Der Lärm fing sich zwi­schen den Mau­ern des Innenhofs.

Drei Män­ner arbei­te­ten an der Maschi­ne, führ­ten gleich­sam einen schwer­fäl­li­gen, mono­tonen, aber kei­nes­wegs zufäl­li­gen oder ­läs­si­gen Tanz auf: hoch­kon­zen­triert, ein­ge­tak­tet. Alles war auf den­je­ni­gen hin aus­ge­rich­tet, der unter der hacken­den Axt den auf die rich­ti­ge Län­ge zuge­schnit­te­nen Holz­klotz dreh­te und Scheit für Scheit davon abschla­gen ließ. Er umarm­te den Klotz fast, besah sei­ne Mase­rung, such­te nach Ris­sen, nach dem bereits haar­dünn Gebors­te­nen, an dem ent­lang sich wei­ter­spal­ten ließe.

Nach jedem Schlag und wäh­rend die Axt wie­der nach oben ras­sel­te, wisch­te der Mann mit der einen Hand das abge­trenn­te Scheit vom Tisch, beug­te den Kopf für den Bruch­teil einer Sekun­de wei­ter nach vorn und dreh­te dann den Klotz nur ein Stück­chen oder mit einem Ruck ganz und gar so, daß die Axt mit ihrem nächs­ten Hieb weder in einem Ast­an­satz ste­cken­blei­ben noch dar­an abrut­schen wür­de, den Klotz und mit ihm die Hän­de und Fin­ger des Zurich­ters in eine Dre­hung rei­ßend, aus dem Rhyth­mus der Zurich­tung in eine gefähr­li­che Unwucht.

Der Mann an der Hacke ließ den Blick nicht eine Sekun­de lang von sei­nen Hän­den und von dem Klotz, der – klei­ner und klei­ner wer­dend – immer genau­er unter die Schnei­de gedreht wer­den muß­te. Dann, zuletzt, zer­schlug die Hacke den Rest in die letz­ten bei­den Schei­te, und zugleich nahm der Mann sei­ne Hän­de ganz vom Holz und mach­te einen Schritt nach hin­ten. Die ande­ren bei­den reich­ten ein neu­es Stück an, und nach­dem der Keil zwei‑, drei­mal ins Lee­re gesto­ßen hat­te, schob der Mann den Klotz dre­hend auf den Tisch und unter den ers­ten Hieb.

Der Schock traf mich erst nach eini­gen Minu­ten. Ich nahm wahr, aber ich begriff nicht gleich, was mich die Män­ner anstar­ren ließ, ihre Hän­de, ihre Gesich­ter und wie­der und dann nur noch ihre Hän­de: Bei den bei­den älte­ren fehl­ten Fin­ger, an jeder Hand einer, zwei; schräg abge­trenn­te Kup­pen, gan­ze Glie­der; bei einem der Dau­men. An der Maschi­ne der jün­ge­re, noch unver­sehrt, und wäh­rend es hack­te und hack­te und ich auf den Schrei und das Blut und den Schmerz war­te­te, begriff ich, daß es also einen Beruf gab, für den sich zu ent­schei­den bedeu­te­te, wenigs­tens zwei, viel­leicht auch drei Fin­ger abge­schla­gen zu bekom­men, den Schmerz ertra­gen zu müs­sen, und (vor allem das!) zu wis­sen, daß die­ser Schmerz, die­se jähe, unkon­zen­trier­te, viel­leicht auch nur unglück­li­che Sekun­de wie in einer Sand­uhr unauf­halt­sam auf jeden zurie­sel­te, der hin­ter einer sol­chen Hacke stand.

Das Holz war auf­ge­schnit­ten, die Män­ner säu­ber­ten ihre Maschi­ne mit einem öli­gen Lap­pen und häng­ten sie an den Trak­tor. Der tucker­te den Feld­weg ent­lang auf den Hof am Wald­rand außer­halb des Dorfs zu. Dort lagen Hun­der­te Klöt­ze bereit. Spä­ter Nach­mit­tag, ich hat­te alles ver­ges­sen und trab­te hin­ter­her. Einer der Män­ner ging zu Fuß, er rauch­te und zeig­te mir sei­nen ver­näh­ten Fin­ger­stumpf, sei­ne rau­he, ver­narb­te Hand. Wäh­rend im Hof das Geras­sel und Gestamp­fe begann, setz­te ich mich ins Gras und wein­te vor Angst, viel­leicht ein­mal selbst hin­ter der Hacke ste­hen zu müs­sen, weil mir sonst nichts gelän­ge. So fand mich dann ein Nachbar.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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