Extremform eines Nur-Erzählers – Romane und Kunst (3)

In der auf 600 Exemplare limitierten Reihe Mäander unseres Verlags sind als 6. Band Erzählungen von Helmut H. Schulz erschienen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Schulz (gebo­ren 1931) ist fast ver­ges­sen, obwohl er ein groß­ar­ti­ges Werk vor­zu­wei­sen hat. Ich las ihn Mit­te der Neun­zi­ger Jah­re auf Emp­feh­lung Armin Moh­lers (1920 – 2003): zunächst die drei Erzäh­lun­gen aus dem 1988 erschie­ne­nen Band Zeit ohne Ende, dann die vier aus Stun­de nach Zwölf (1985). Sie sind rund um die Stun­de Null in Ber­lin und Umland ange­sie­delt, beschrei­ben End­kämp­fe, das Unter­grund­le­ben in der zer­stör­ten Stadt, die Stil­le in den Rui­nen nach der Kapi­tu­la­ti­on, die selt­sa­me Stim­mung einer Zwi­schen­zeit, bevor die Sys­te­me sich bil­de­ten und der Umtrieb wie­der anruckte.

Bei­de Erzähl­bän­de bil­den nun unse­ren Mäan­der-Band, und man kann an ihnen zei­gen, war­um man sich als Rech­ter eine sol­che Art von Zugriff und Erzähl­kunst wün­schen soll­te. Der Kron­zeu­ge dafür ist Moh­ler, auf des­sen Emp­feh­lun­gen ich nicht immer etwas gab (Hen­scheids Maria Schnee bei­spiels­wei­se, den Moh­ler gera­de­zu fei­er­te, geht in der Wei­se, wie die ein­fa­chen Leu­te vor­ge­führt wer­den, schon in Rich­tung Franz Xaver Kroetz Ekel­stü­cke oder – weit frü­her – Hein­rich Manns Unter­tan).

Schulz aber wur­de von Moh­ler wirk­lich für uns ent­deckt. Der Aus­tausch die­ser bei­den Män­ner begann 1983. ­Moh­ler besprach in der rechts­kon­ser­va­ti­ven, damals wesent­li­chen Zeit­schrift Cri­ticón den Roman Dame in Weiß, im Duk­tus sehr für Ken­ner, voll des Lobes und in der für ihn typisch zuge­spitz­ten Wei­se. Zwei Sät­ze daraus:

Aber von der Lek­tü­re her nimmt sich die Ankün­di­gung der DDR-Füh­rung, man wer­de die gan­ze natio­na­le Erb­schaft über­neh­men, weni­ger harm­los aus. Man soll­te das ande­re Deutsch­land nicht bloß auf dem Sport­platz ernst nehmen.

Moh­ler sand­te sei­nen kur­zen Text an Schulz. Der bedank­te sich und führ­te aus:

Mein Krieg ist eigent­lich der Nach­krieg gewe­sen mit sei­nen Wider­sprü­chen. Dar­in bestand wahr­schein­lich die see­li­sche Tra­gö­die mei­ner Gene­ra­ti­on: Zwei­fel an der Rol­le, die wir gespielt hat­ten, such­ten uns nicht heim. Die­se poli­ti­sche, his­to­ri­sche, mili­tä­ri­sche und kul­tu­rel­le Kata­stro­phe war, so schien es, ohne unse­re posi­ti­ve Mit­wir­kung zustan­de gekom­men. Der mora­li­schen Zucht, in die uns die Sie­ger nah­men, fehl­te die Ein­sicht in unse­re wirk­li­che Lage.

Und ver­stär­kend:

Mit der Ein­tei­lung der Deut­schen in Nazis, Anti­fa­schis­ten und Mit­läu­fer konn­te ich gar nichts anfan­gen, das alles war zu locker gehandhabt.

Sol­che Sät­ze unter­strich Moh­ler, sie erreich­ten ihn in einer Pha­se, in der er dabei war, die drit­te Wel­le einer nicht enden­wol­len­den Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung als per­fi­des poli­ti­sches Instru­men­ta­ri­um zu beschrei­ben: Die­se Bewäl­ti­gung set­ze Grob­ein­tei­lun­gen vor­aus, Ras­ter, die mit nach­ge­reich­ter Moral über das schil­lern­de Leben, Leben-Müs­sen, Leben-Wol­len, über das Kar­rie­re­ma­chen, Macht­ha­ben, Mit­lau­fen, Bei­sei­te­tre­ten und Durch­kom­men gelegt wür­den und die Ver­hal­tens­mög­lich­kei­ten redu­zier­ten und schematisierten.

Was Moh­ler an Schulz fas­zi­nier­te, war der Ton eines sich alle »Hal­tung« unter­sa­gen­den Schrei­bens. Er sah in Schulz die »Extrem­form eines Nur-Erzäh­lers«, dem Kon­kre­ten zuge­neigt, »zu jeder Pro­duk­ti­on von All­ge­mein­hei­ten unfä­hig«. Wel­che Bedeu­tung Moh­ler einer sol­chen Erzähl­hal­tung bei­maß und wel­che wir ihr heu­te bei­mes­sen müs­sen, liegt auf der Hand:

Es geht um die Aus­ein­an­der­set­zung, ob Lite­ra­tur enga­giert zu sein, also einen poli­ti­schen, sozi­al­kri­ti­schen oder mora­li­schen Stand­punkt zu bezie­hen habe, oder ob es um Wirk­lich­keits­ab­bil­dung von einem sozu­sa­gen rei­nen Wahr­neh­mungs­stand­punkt aus gehe. Ist ein Roman ein Plä­doy­er oder nicht, for­dert eine Erzäh­lung zu etwas auf, for­dert sie sogar etwas ein – in Bekennt­nis, ein Ver­hal­ten, eine Wertung?

Es geht um Ten­denz­li­te­ra­tur, um die Rol­le des Schrift­stel­lers, der nicht außer­halb der Gesell­schaft ste­hen dür­fe, son­dern sich zu enga­gie­ren habe. Von die­ser War­te aus ist alles nicht in den Klas­sen­kampf oder den natio­na­len Auf­bruch oder die zivil­ge­sell­schaft­li­che Wach­sam­keit ein­ge­bun­de­ne Schrei­ben die spöt­tisch betrach­te­te “Kunst um der Kunst wil­len”, ein Schnör­kel­dre­hen, l’art pour l’art.

Natür­lich lasen wir Ras­pails Das Heer­la­ger der Hei­li­gen gern und mit gars­ti­gem Lachen, natür­lich ver­le­gen wir von dem etwas, das ich im 2. Teil die­ser klei­nen Serie über Roma­ne und Kunst auf­lis­te­te. Und natür­lich stö­bern wir in Neu­erschei­nun­gen nach Bot­schaf­ten; aber eigent­lich reicht unse­rer Sei­te stets das “Nur-Erzäh­len” aus, denn die Rech­te hat recht, wenn sie sagt:

Die Wirk­lich­keit ist auf unse­rer Seite.

Sie meint damit nicht, daß sich die Wirk­lich­keit zwangs­läu­fig gegen die Uto­pie durch­set­zen wer­de, und sie ver­kennt nicht, daß die ver­rück­tes­ten Ideen mani­fest wer­den und die Wirk­lich­keit über­wäl­ti­gen und ver­ge­wal­ti­gen kön­nen. Der Satz hat eine ande­re Bedeu­tung. Er sagt schlicht, daß die Rech­te den Erklä­rungs­auf­wand und den Kon­struk­ti­ons­auf­wand nicht kennt, den die Lin­ke auf­wen­den muß, um zu einer an der Wirk­lich­keit vor­bei­ge­lo­ge­nen Gesell­schaft zu kommen.

Ich will’s mal so sagen: Wer einen Autor wie Schulz liest, wird stil­ler und beschei­de­ner, nach­denk­li­cher und mehr dem Leben in sei­ner gan­zen unfaß­ba­ren Fül­le zuge­wandt aus der Lek­tü­re wie­der auf­tau­chen. Also: weni­ger groß­spu­rig und laut. Wird man dadurch am Ende poli­tik­un­fä­hig? Eher so: Das Pau­scha­le fällt schwe­rer, und das könn­te das Poli­ti­sche torpedieren…

– – –

Noch ein­mal Schulz: In Publi­kums­zei­tun­gen konn­te Moh­ler für die­sen Autor nicht mehr wer­ben. Der Feuil­le­ton­chef der Welt, Gün­ter Zehm, selbst frei­ge­kauf­ter Häft­ling in Wald­heim und Tor­gau, lehn­te nach einem ers­ten posi­ti­ven Über­blick Moh­lers über vier Bücher von Schulz jede wei­te­re Rezen­si­on ab – auch er eher ein kal­ter Krie­ger denn jemand, der unbe­fan­gen und damit über­ge­ord­net las und dach­te. Moh­ler wich aus, konn­te aber nicht mehr in die Brei­te wirken.

Schulz erhielt nun von mir sei­ne Autoren­ex­em­pla­re am Tag sei­nes 91. Geburts­tags, und in einem kur­zen Tele­fo­nat von heu­te äußer­te er, daß er sich über die fei­ne Aus­stat­tung, das Nach­wort und das im Band nach­ge­druck­te Autoren­por­trät aus der Feder Moh­lers sehr freue. Bloß eines fra­ge er sich nach wie vor: War­um so betont wer­den müs­se, daß jemand wie er die Wirk­lich­keit erzäh­le und dadurch einen Stand­punkt mar­kie­re. Nichts sei doch näher­lie­gend, wenn man einer Sache gerecht wer­den wolle.

– – –

Von Mäan­der 6 – den Erzäh­lun­gen von Schulz – ist ein klei­ner Über­druck vor­han­den, nicht num­me­riert wie für unse­re 600 Abon­nen­ten, son­dern von der Dru­cke­rei eben als Über­druck gelie­fert, weil ja min­des­tens 600 Bän­de gelie­fert wer­den müs­sen und man kein Risi­ko ein­ge­hen mag. Wer also die Extrem­form eines Nur-Erzäh­lens genie­ßen möch­te, wird hier fündig.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (3)

Heinrich der Seefahrer

29. April 2022 21:33

Mit diesem Erzählband von Helmut H. Schulz ist dem Verlag antaios wirklich ein großer Wurf gelungen. Ich habe diese Erzählungen fast atemlos gelesen. Einer der mit der deutschen Sprache so gelungen die Wirklichkeit beschreibt, findet man kaum. Ich fand sie einst im (vergessenen) Wolfgang Borchert und weder in Grass noch in Böll. Und man muss der Äusserung des Autors zustimmen, wenn er fragt und dann schlussfolgert: "Nichts sei doch näherliegend, wenn man einer Sache gerecht werden wolle". Es ist bedauernswert, wenn man in Deutschland solche Autoren nicht mehr kennen will. Daher meine Schlussfolgerung mit Rilkes Stundenbuch... "Und manchmal kommt ein ernster Hergereister, geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister und zeigt uns zitternd einen neuen Griff." DANKE.

Gracchus

29. April 2022 22:37

Da bedaure ich ja wiederum, dass es den Band nur im Abo gibt. 

Zum Plädoyer: volle Zustimmung. Ähnliches sagt Mosebach in einem Essay, in dem er begründet, warum er, der Katholik, sich nicht als katholischen Schriftsteller bezeichnet. Julien Green, für mich einer der größten Romanciers des letzten Jahrhunderts, hat dieses Etikett auch für sich abgelehnt. 

Derzeit ist engagierte Literatur wieder im Schwange; ich finde das so erstaunlich wie schwer erträglich. 

Zu Henscheids, Maria Schnee: Hochgelobt, aber ich kam auch nicht über die ca. ersten 20 Seiten hinaus. Dasselbe bei dolce madonna bionda. 

Fuechsle

30. April 2022 13:07

Unterschreibe jeden Satz@ Heinrichs des Seefahrers. Ich kannte Helmut H.Schulz zuvor nicht. Der gediegene Mäanderband landete zunächst auf einem Stapel (noch) ungelesener Bücher. Ich fing dann an darin herumzulesen und war nach wenigen Sätzen, etwa aus der Erzählung,  "Die Rache" gebannt. Ein großartiges Deutsch, die Schilderungen nüchtern aber nicht kalt, unverklemmt aber nicht voyeuristisch oder gar schmierig. Nahezu jeder seiner  meist kurzen Sätze schlägt ein und läßt einen nachdenklich werden!

Lieber Herr Kubitschek, falls Sie den 91 Jahre alten Autor mal wieder sprechen, richten  Sie ihm bitte aus, daß er nicht umsonst geschrieben hat!!

 

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