Vor 50 Jahren starb Ernst v. Salomon

Ernst von Salomon wurde am 25. September 1902 in Kiel geboren und starb am 9. August 1972 in Stoeckte bei Winsen (Luhe), heute vor 50 Jahren.

Er war zehn Jah­re alt, als sein Vater, ein ehe­ma­li­ger preu­ßi­scher Ritt­meis­ter, beschloß, ihn auf die Kadet­ten­an­stalt zu schi­cken. Von Novem­ber 1913 an besuch­te er die Kadet­ten­an­stalt in Karls­ru­he und spä­ter die König­lich-Preu­ßi­sche Kadet­ten­an­stalt in Berlin-Lichterfelde.

Beseelt von dem Wunsch, am Welt­krieg teil­zu­neh­men, erleb­te er als 16jähriger den Zusam­men­bruch sowie die anschlie­ßen­den Wir­ren des deut­schen Bür­ger­kriegs. Im Janu­ar 1919 schloß er sich dem Frei­wil­li­gen Lan­des­jä­ger­korps an. Es sei „das Preu­ßi­sche“ gewe­sen, das ihn zu den Frei­wil­li­gen geführt habe. Im Frei­korps Lie­ber­mann kämpf­te Salo­mon im Bal­ti­kum gegen die Rote Armee und den Bolschewismus.

Zurück im Reich betei­lig­te er sich am Kapp-Putsch und muß­te erle­ben, wie sein Frei­korps in Har­burg von roten Arbei­tern auf­ge­rie­ben und des­sen Füh­rer, der Flie­ger­haupt­mann Bert­hold, nach der Kapi­tu­la­ti­on bru­tal gelyncht wurde.

Als Mit­glied der aus der Bri­ga­de Ehr­hardt ent­stan­de­nen Orga­ni­sa­ti­on Con­sul, aus deren Rei­hen die Mör­der von Reichs­au­ßen­mi­nis­ter Wal­ter Rathen­au stamm­ten, zähl­te auch Salo­mon zu den Ein­ge­weih­ten des Kom­plotts. Den von ihm für das Atten­tat vor­ge­schla­ge­nen Fah­rer lehn­ten die bei­den Haupt­tä­ter Erwin Kern und Her­mann Fischer jedoch ab. Den­noch wur­de Salo­mon 1922 zu fünf Jah­ren Zucht­haus verurteilt.

Nach sei­ner Ent­las­sung Ende 1927 schloß er sich, wie sein Bru­der Bru­no, der Land­volk­be­we­gung an. Nach einer neu­er­li­chen Unter­su­chungs­haft wan­del­te sich Salo­mon end­gül­tig vom Mann der Tat zum Mann des Wor­tes. 1929 erschien bei Rowohlt sein auto­bio­gra­phi­scher Erst­lings­ro­man Die Geäch­te­ten, in dem Salo­mon sei­ne Erleb­nis­se im Nach­krieg, die Ermor­dung Rathen­aus und sei­ne Haft­zeit schil­dert. Es folg­ten 1932 Die Stadt, ein Roman über die Land­volk­be­we­gung und 1933 Die Kadet­ten. Die Dar­stel­lung der Kadet­ten­an­stalt Lich­ter­fel­de und deren Ende 1918 ist gleich­zei­tig Salo­mons per­sön­li­ches Bekennt­nis zu Preußen.

Nach der Macht­er­grei­fung ver­öf­fent­lich­te er im Rowohlt-Ver­lag, für den Salo­mon auch als Lek­tor tätig war, 1936 noch den Frei­kor­ps­über­blick Nahe Geschich­te. Da das Werk der par­tei­of­fi­zi­el­len Geschichts­deu­tung der Frei­korps als angeb­li­chem Vor­läu­fer des Natio­nal­so­zia­lis­mus und des poli­ti­schen Sol­da­ten­tums wider­sprach, wur­de Salo­mon „wegen poli­ti­sche Unzu­ver­läs­sig­keit“ aus der Reichs­pres­se­kam­mer ausgeschlossen.

Fort­an ver­faß­te er vor allem Dreh­bü­cher, um mit unpo­li­ti­schen und unver­fäng­li­chen Arbei­ten sei­nen Lebens­un­ter­halt zu bestrei­ten und sich mit den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen zu arran­gie­ren. Dane­ben betä­tig­te sich Salo­mon aber auch wei­ter­hin als Chro­nist der Frei­korps, unter ande­rem als Schrift­lei­ter der von Heinz Oskar Hau­en­stein her­aus­ge­ge­be­nen Zeit­schrift “Der Rei­ter gen Osten”.

Salo­mon ver­ach­te­te Hit­ler und stand den Natio­nal­so­zia­lis­ten ins­be­son­de­re nach dem 30. Juni 1934 ableh­nend gegen­über. Ähn­lich wie Hans Fal­la­da, mit dem Salo­mon im April 1933 gemein­sam wegen des Ver­dachts auf „Ver­schwö­rung gegen die Per­son des Füh­rers“ in Schutz­haft genom­men wur­de, ging er aber nicht in die Emi­gra­ti­on. Zwar hielt er engen Kon­takt zu ver­schie­de­nen Wider­stands­kämp­fern und Ver­schwö­rern gegen Hit­ler, wie zum Bei­spiel Har­ro Schul­ze-Boy­sen oder Hart­mut Plaas, ein Atten­tat lehn­te er aber, auch aus der Erfah­rung sei­ner Betei­li­gung am Rathen­aum­ord her­aus, ab.

Es ging mir um Preu­ßen – in Preu­ßen gab es kei­nen Mord, auch einen poli­ti­schen Mord nicht.

Mord, so Salo­mon, sei immer „eine „Ver­le­gen­heits­lö­sung“ derer, die kei­ne bes­se­ren Mit­tel hät­ten. In sei­nem 1943/44 für den ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dienst „Office of Stra­te­gic Ser­vices“ ver­faß­ten Report über Künst­ler und Schrift­stel­ler, die im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land ver­blie­ben waren, ord­ne­te der 1939 in die USA emi­grier­te Dra­ma­ti­ker Carl Zuck­may­er Salo­mon in die Grup­pe der teils posi­tiv, teils nega­tiv zu beur­tei­len­den Son­der­fäl­le ein.

Salo­mon, so Zuck­may­er, habe sich von „natio­na­lis­ti­schen Ver­schwö­rer­tum, dem­ago­gi­schem Anti­se­mi­tis­mus und völ­ki­schem Res­sen­ti­ment“ abge­wandt und nach der Macht­er­grei­fung ver­sucht, „neu­tral zu blei­ben und ‘unpo­li­tisch’ für Fil­me etc. zu schrei­ben“. Es sei schon

eine ziem­li­che Cha­rak­ter­leis­tung, daß er sich nicht von den Nazis zum “Hel­den” und Mär­ty­rer machen ließ, er hät­te sich leicht einen Schla­ge­ter­nim­bus ver­schaf­fen kön­nen, aber er war aller­dings durch Freund­schaf­ten und Bezie­hun­gen zu Intel­lek­tu­el­len für die Nazis ver­dor­ben und lei­se ver­däch­tig. Sein mensch­li­ches Niveau war zu gut, um sich ins Nazi­tum abbie­gen zu lassen.

Nach Kriegs­en­de wur­de Salo­mon im Juni 1945 von den Ame­ri­ka­nern ver­haf­tet und für 15 Mona­te in ver­schie­de­nen Lagern, dar­un­ter in Lands­berg, inter­niert. Über sei­ne Gefan­gen­schaft, aber auch die Maß­nah­men der Ent­na­zi­fi­zie­rung und Umer­zie­hung rech­ne­te er in sei­nem 1951 bei Rowohlt erschie­nen auto­bio­gra­phi­schen Roman Der Fra­ge­bo­gen mit schar­fer Iro­nie ab. Auf über 800 Sei­ten beant­wor­tet er die Fra­gen des ame­ri­ka­ni­schen Ent­na­zi­fi­zie­rungs­bo­gens so aus­führ­lich, daß die „büro­kra­tisch-kol­lek­ti­ve Maß­nah­me, die den deut­schen Men­schen zu kate­go­ri­sie­ren such­te“, letzt­lich ad absur­dum geführt wird.

Das Buch erreich­te inner­halb von andert­halb Jah­ren eine Auf­la­ge von über 200.000 Exem­pla­ren und wur­de zu einem ers­ten Best­sel­ler der Bun­des­re­pu­blik. Auch als Dreh­buch­au­tor war Salo­mon nach wie vor erfolg­reich. So stam­men bei­spiels­wei­se die Dreh­bü­cher zu Hans Hell­mut Kirsts 08/15-Trio­lo­gie aus einer Feder.

Poli­tisch wan­del­te sich der eins­ti­ge Frei­korps­kämp­fer zum Frie­dens­ak­ti­vis­ten. In die­ser Zeit ver­faß­te er Das Schick­sal des A.D. (1960). In dem Werk über den deser­tier­ten Reichs­wehr-Offi­zier­an­wär­ter Arthur Dietzsch, der sie­ben­und­zwan­zig Jah­re sei­nes Lebens in Haft­an­stal­ten der Wei­ma­rer Repu­blik, natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern und alli­ier­ten Kriegs­ver­bre­cher­ge­fäng­nis­sen ver­brach­te, flos­sen auch Salo­mons eige­ne Haft­er­leb­nis­se und ‑ein­drü­cke mit ein. Er sah in Dietzsch einen Mann, der all die Jah­re sei­ner Gefan­gen­schaft „stell­ver­tre­tend für die Sün­den unse­rer Zeit büß­te, ein Mann, der inmit­ten der Pro­ble­ma­tik unse­rer ‘unbe­wäl­tig­ten Ver­gan­gen­heit’ sei­ner­seits die Ver­gan­gen­heit durch­aus bewältigte“.

Als natio­na­ler Pazi­fist lehn­te Salo­mon die Wie­der­be­waff­nung der Bun­des­re­pu­blik eben­so ab wie deren ein­sei­ti­ge Bin­dung an den Wes­ten. Statt­des­sen heg­te er durch­aus Sym­pa­thien für die Sowjets, was in der DDR wohl­wol­lend auf­ge­nom­men wur­de. Salo­mon gehör­te zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Deut­schen Frie­dens­uni­on und nahm 1961 als Dele­gier­ter an der „7. Welt­kon­fe­renz gegen A- und H‑Bomben für voll­stän­di­ge Abrüs­tung“ in Tokio teil. Dort appel­lier­te er an die Siegermächte:

Ihr habt ver­spro­chen, mit­ein­an­der zu reden, ihr habt ver­spro­chen, nicht auf­ein­an­der zu schie­ßen. Wir rufen euch eure Paro­le zu: Frie­den! Frie­den! Frieden!

Doch Salo­mon war nicht nur über­zeug­ter Pazi­fist, son­dern blieb bis zu sei­nem Tod auch über­zeug­ter Preu­ße. Sei­nem Ide­al von Preu­ßen wid­me­te er sein letz­tes Buch, Der tote Preu­ße, das 1973 pos­tum erschien.

– – –

Der vor­lie­gen­de Text ist dem 3. Band des Staats­po­li­ti­schen Hand­buchs ent­nom­men, den man hier erwer­ben kann. In Band 2, Schlüs­sel­wer­ke, sind Der Fra­ge­bo­gen und Nahe Geschich­te abge­han­delt – hier bestel­len. Außer­dem hat Bene­dikt Kai­ser in unse­rem Lek­tü­reband Das Buch im Haus neben­an über Die Stadt geschrie­ben, und Tors­ten Hinz über den Fra­ge­bo­genhier ein­se­hen und bestel­len.

Die bes­te Bio­gra­phie über v. Salo­mon hat Gre­gor Fröh­lich ver­faßt – man kann sie hier bestel­len, die Lie­fer­zeit beträgt aller­dings einen knap­pen Monat.

Im Buch­han­del erhält­lich ist übri­gens nur Der Fra­ge­bo­gen in einer akzep­ta­blen Taschen­buch­aus­ga­be (hier bestel­len, Pflicht­lek­tü­re wie nur weni­ge ande­re Bücher). Die Geäch­te­ten und Die Kadet­ten kann man in wenig anspre­chen­den Aus­ga­ben neu erwer­ben, wir emp­feh­len jedoch die Anti­qua­ri­ats­su­che. Ver­dienst­voll ist die Fak­si­mi­le-Aus­ga­be von Das gro­ße Buch vom Frei­korps­kämp­fer (hier ein­se­hen und bestellen).

Zuletzt: Erik Leh­nert und Götz Kubit­schek haben eines ihrer Lite­ra­tur­ge­sprä­che über Ernst v. Salo­mon geführt. Hier ist es.

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Kommentare (20)

RMH

9. August 2022 10:11

"Dennoch wurde Salomon 1922 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt."

Wieso "dennoch"? Heute würde er als Mittäter zu Lebenslang mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.

Nachdem ich in früheren Jahren die eine oder andere Gerichtsakte aus den 20er und frühen 30er Jahren durchsehen konnte, verfestigt sich bei mir seit einiger Zeit der schwere Eindruck, vom juristischen Handwerk, der Neutralität und des juristischen Sachverstandes der damaligen Richter könnten sich etliche der heutigen Richter eine große Scheibe abschneiden (b.t.w.: rein formal gilt, auch wenn durch zahlreiche Reformen verändert, das gleiche StGB wie damals) - und ohne die Akten im Fall S. zu kennen, haben die damaligen Richter bei mir einen Vertrauensvorschuss dahingehend, dass sie vermutlich schon richtig lagen, wenn sie Herrn S. verurteilten.

PS: Der "Fragebogen" war für mich keines der Bücher, welches ich gerne noch einmal lesen würde oder welches ich weiterempfehlen würde. Ich verstehe den Kult um dieses Buch nicht, evtl. bin ich dafür aber ausnahmsweise zu jung. Von den Vorkriegsbüchern habe ich nur 1 gelesen, "Die Geächteten". Das würde ich jederzeit dem "Fragebogen" vorziehen.

Laurenz

9. August 2022 11:15

@RMH

Naja, das ist wie im III. Reich & heute auch, systemtreue Richter. Als von Salomon verurteilt wurde, gab es mutmaßlich noch viele kaisertreue Richter, die insgeheim Verständnis für die Tat aufbrachten.

Auch als Hitler verknackt wurde, bedeutete man ihm, daß er sich an die Regeln halten müßte, aber eine echte Strafe für einen Putschversuch kann man das nicht nennen.

Indigo

9. August 2022 12:05

Ergänzend zum Artikel oben sei noch auf zwei weitere lesenswerte Artikel hingewiesen, die nun zum 50.Todestag von Ernst v. Salomon erschienen sind: "Lauter Widersprüche in Person" von Karlheinz Weißmann und "Der tote Preuße: Vor 50 Jahren starb der Schriftsteller Ernst von Salomon" von Markus Klein.

https://jungefreiheit.de/wissen/geschichte/2022/von-salomon-lauter-widersprueche/

https://wir-selbst.com/2022/08/06/der-tote-preuse-vor-50-jahren-starb-der-schriftsteller-ernst-von-salomon/

Franz Bettinger

9. August 2022 12:26

Ich habe den ‚Fragebogen‘ von Salomon mit Genuss und Gewinn gelesen. Ja, das Buch gehört unbedingt in den rechten Kanon.

RMH

9. August 2022 13:50

@Laurenz,

in dem von @Indigo verlinkten Artikel von KH Weißmann erfährt man ein wenig über die Verurteilung und das Salomon selber im Nachkriegsinterview gesagt hat, dass er "Schmiere" gestanden hat. Worauf ich mit meinem Beitrag mehr oder weniger dezent hinweisen wollte ist der Umstand, dass man damals noch Beihilfe als Beihilfe behandelt hat und heute wurde aus Katzen hüten und Essenkochen ohne auch nur ein einziges Mal an einem Tatort auch nur in der Nähe gewesen zu sein bei dem bekannten Zwickauer Trio gleich "Mittäterschaft", frei nach dem Motto, ohne Mampf, kein Kampf, daher entscheidender Tatbeitrag oder - anderes Beispiel - einmal einer Wachmannschaft zugeteilt, gleich Mittäter, kein Helfer. Aber noch vor 10 oder 20 Jahren wäre wohl kaum ein Jurist auf die Idee gekommen, bei solchen Sachlagen eine Mittäterschaft zu sehen und das Thema Beihilfe, Mittäterschaft gabs damals in den 20er Jahren des vorherigen Jhdts ja beim "gleichen" StGB auch.

Karrieristen gabs und gibts bei den Juristen immer und zu jeder Zeit - aber Richter waren früher zumeist Richter und heute hat man manchmal den leichten Eindruck, sie sind in politisch entscheidenden Fällen die Gutachtenschreiber zur Bestätigung der Auffassungen der Staatsanwaltschaft, der Regierung oder des Zeitgeistes. Ob es so etwas wohl schon damals gegeben hat? Ich bin kein Rechtshistoriker, um das beantworten zu können.

Laurenz

9. August 2022 14:58

@RMH @L.

Wir sind uns da einig. Aber Sie sehen doch, daß es bei der Straffeststellung nur darum dreht, um wen es sich handelt. Wie schon mehrmals erwähnt, hat die SPD seit 30 Jahren über ihre Stiftung freigiebig Stipendien verteilt. Sehr erfolgreich, wie man sieht.

Übrigens habe ich bisher noch keinen Juristen getroffen, der das Urteil gegen die Dame im Trio nicht als politisches Urteil erachtet.

Wer bei politischen Straftaten angesichts der Zahlen den sogenannten Rechtsextremismus als größte Gefahr ansieht, dürfte bei entsprechenden Tests eine psychiatrische Klinik wohl nicht verlassen.

Niekisch

9. August 2022 15:20

"Ob es so etwas wohl schon damals gegeben hat? "

@ RMH 9.8. 13:50: Es ist schon nicht uninteressant, sich mit Strafverfahren der "Weimarer Zeit" zu befassen. Eine schöne Darstellung zum Altonaer Landvolk- und Bombenlegerprozeß" von 1930 findet sich in Volck, Herbert, Rebellen um Ehre, Brunnen 1932, ab S. 411. Der prozeßleitende Richter Dr. Zelenka wurde wie durch den preußischen Justizminister Dr. Schmidt ( Zentrum ) versprochen zum Landgerichtsdirektor in Frankfurt an der Oder hochbefördert, als die Strafen wunschgemäß ausgefallen waren, S. 465. 

Übrigens: NSDAP, DNVP  u n d  KPD stimmten damals gemeinsam für eine Amnestie zugunsten von Volck, der ebenfalls verurteilt war. 

Zum herrlichen Walter Rathenau: "Autokratisch soll überall regiert werden, jede andere als die autokratische Regierung ist machtlos und unfähig " ( Rathenau, An Deutschlands Jugend, S. Fischer 1918, S. 108

B Traven

9. August 2022 17:17

Die Salomon-Lektüre lohnt auch noch nach Jahrzehnten und nach Mühen der antiquarischen Beschaffung. Ich meine es waren die Kadetten, in denen EvS beschreibt, wie er um den 09.11.1918 als 16 Jaehriger ratlos durch Berlin läuft, auf einen seiner Lehrer von der Kadettenanstalt trifft und ihm bestuermt, man müsse etwas unternehmen. Sein Lehrer, irgendwann genervt, bescheidet den jungen Ernst, er solle Ruhe geben, man sei auf dem Weg zu einer Abendgesellschaft. Das wirft ein Schlaglicht auf das deutsche Bürgertum bis in heutige Zeiten. 

nom de guerre

9. August 2022 22:06

Fragebogen / Die Geächteten – habe beide Bücher mit Gewinn gelesen. Dennoch würde ich, wenn ich mich entscheiden müsste, eher die Geächteten empfehlen. Zum einen hat der Fragebogen viele Längen, bei denen man vielleicht etwas hätte kürzen können. Zum anderen tritt dem Leser des Fragebogens in dem Erzähler ein völlig anderer Mensch gegenüber als in dem früheren Buch. Ich kann es auch persönlicher ausdrücken, den Salomon aus den Geächteten mochte ich, ich wollte ihn zwar öfter schütteln oder ohrfeigen, aber es war mir nicht egal, was mit ihm passiert, ich konnte wirklich mit ihm mitfühlen.

Der Salomon, der den Fragebogen beantwortet, ist dagegen nach meinem Eindruck ein verbrauchter Mensch, dem manches auf der inneren Ebene abhanden gekommen ist. Bloß: Ist das denn anders zu erwarten? Dazwischen liegen 20-25 Jahre, in denen die allseits bekannten Dinge stattgefunden haben und z.T. dem Autor selber oder nahen Angehörigen widerfahren sind. Insofern fand ich das Buch in dieser Hinsicht vor allem lehrreich. Der Gewinn der Lektüre liegt für mich darin, dass es die damaligen Verhältnisse – natürlich nur in der Lebenswelt der Milieus, zu denen der Autor Zugang hatte – in einer Weise beschreibt, wie ich es in Geschichtsbüchern oder entsprechend aufbereiteten Zeitzeugenberichten nicht gefunden habe. Dass er sich dabei an manchen Stellen vermutlich etwas in Szene setzt, finde ich verzeihlich.

ede

10. August 2022 00:09

Stimmt schon, der "Fragebogen" hat Längen. Und betreffend diverser Schlüsselabläufe (Rathenau, Rote Kapelle, Gefangennahme 45 etc.) hätte ich mir mehr Ausführlichkeit und Reflexion gewünscht. Aber das war natürlich Anfang der 50er, und ist es heute wieder, immer noch heikel.

Dennoch, und auf jeden Fall, ich habe den Fragebogen mit großem Gewinn gelesen. Das Buch enthält zig Artefakte, die es sonst nirgendwo gibt.

RMH

10. August 2022 07:30

@nom de guerre,

das haben Sie gut beschrieben. Dass es bei mir auch nur diese 2 Werke waren, liegt daran, dass man den Fragebogen sowohl antiquarisch (es war in der Tat ein Bestseller, der auch von den damals so beliebten Buchclubs vermarktet wurde - daher gibt es noch viele alte Ausgaben) als auch noch neu absolut unproblematisch bekommen kann und die Geächteten nach wie vor als Nachdruck bekommen kann. Zu der Zeit, als ich Salomon las, gabs nach meiner Erinnerung (noch?) auch nicht die Kadetten als Nachdruck. Antiquarisch wird mittlerweile für alles, was ein bisschen bekannter ist und den Stempel "rechts" drauf hat, ein quasi "Schmuddelaufschlag" verlangt, den ich mittlerweile nicht mehr mitgehe (aber offenbar gezahlt wird, sonst würde es ihn nicht geben). Habe zum Glück mir bereits seit den 80er Jahren eine eigene, kleine Bibliothek (zu meist moderaten Kaufpreisen) aufbauen können, in der sehr Vieles und Wesentliches vorhanden ist.

Zu dem, was sie als "Längen" im Fragebogen beschreiben, hätte man früher, als dieses Wort noch nicht komplett verbrannt und auch sinnverändert (!) wurde, durchaus auch "Schwurbelei" oder "verquast" sagen können. Ihren Eindruck von den Geächteten kann ich bestätigen und von daher bekommt dieser Autor bei mir noch eine Chance mit einem weiteren Vorkriegswerk, dann, weil offenbar noch erhältlich, die Kadetten.

Maiordomus

10. August 2022 11:10

Informative Zusammenfassung des Lebens von Ernst von Salomon, dem ich zu dessen Lebzeiten, also zu meiner Studentenzeit, mangels dieses Vorwissens nicht über den Weg traute. Zumal die Verquickung in die Ermordung Walther Rathenaus war keine Werbung für ihn. Man erinnerte sich an den Hetz-Slogan "Hängt den Walther Rahtenau, die gottverdammte Judens..." usw.  Rückblickend gilt wohl, dass Salomon in den erweiterten Kreis der 1934er Rechten gehörte, die mir aufgrund von Forschungen um Leopold Ziegler und Reinhold Schneider und persönlicher Bekanntschaften mit einstigen Rechtsradikalen auch in der Schweiz, die sich nach der "Reichsmordwoche" um ihre Hoffnungen auf A.H. betrogen sahen und trotz dessen späterer Erfolge bis 1940/41 dabei blieben, darunter auch der damals berühmteste Germanist der Schweiz, von dessen Vorlesungen und Seminarien ich bis zur Emeritierung kaum eine verpasst habe. Noch interessant auf SiN vor einigen Jahren die auf dieser Seite unter den Mitdiskutanten kontroverse Einstellung sowohl zu 1934, wo ich freilich tiefer durchsehe als andere, und auch zu Stauffenberg, Goerdeler u. Co., offenbar aus dem Bekanntenkreis von Remer. Diese Stimmen scheinen unterdessen verstummt.   

Suedburgunder

10. August 2022 12:12

Der "Fragebogen"  nimmt in meinem ganz persönlichen Kanon eine herausragende Stellung ein. Er gehört für mich zu jenen Büchern, die ich nach dem Lesen der letzten Seite ergriffen zuschlage mit dem erhabenen Gefühl, Zeuge von etwas Großem gewesen zu sein. Dann tritst du schweigend ans Fenster, blickst wie im Trancezustand in die Weite und möchtest einfach nur "Danke" sagen.

Maiordomus

10. August 2022 17:04

@Maiordomus. Zu oben, ein allzu langer Schachtelsatz enthält eine Lücke. "Dass Salomon in den erweiterten Kreis der 1934er Rechten gehörte, die mir aufgrund von Forschungen um Leopold Ziegler und Reinhold Schneider und persönlicher Bekanntschaften auch in der Schweiz,   b e k a n n t   g e w o r d e n  s i n d."

Es waren durchwegs solche, die nach der "Reichsmordwoche" (Erik von Kuehnelt-Leddihn) sich um ihre Hoffnungen auf A.H. betrogen sahen. Dabei haben sich etwa Wilhelm Röpke, Konrad Adenauer und natürlich Otto von Habsburg solcherlei Hoffnungen bzw. Illusionen nie gemacht, weswegen sie nie zur Konservativen Revolution zu zählen waren. Dies gilt aber keineswegs für Leopold Ziegler, von wegen seinen Beziehungen zu Edgar Julius Jung. Dass Ziegler im Reichstag besonders von nationalsozialistichen  Abgeordneten bei seiner Goethe-Rede ausgebuht wurde, war eher deren Bildungsniveau als Zieglers politischen Vorstellungen geschuldet, welche tatsächlich ins Sprektrum der konservativen Revolution gepasst haben. Schneider wiederum bekannte sich als Wähler der "Papen"-Partei, in der Bundesrepublik verwahrte er sich indessen gegenüber der damaligen demokratischen Erneuerung. Mit Salomon scheint er keinen Kontakt gepflegt zu haben, sehr wohl schrieb er aber in Gutenbergs Weisse Blätter bis zu deren Einstellung 1943,

Maiordomus

10. August 2022 23:52

Rückblickend auf Leopold Ziegler, der dann nach seiner Phase als konservativer Revolutionär ein bedeutender Religionsphilosoph wurde, z.B. mit den beiden Bänden "Menschwerdung", reut es mich nicht, am ersten Septemberwoche an einem wenig bekannten Wallfahrtsort über Einsiedler und Sonderlinge zu sprechen, was nur auf den ersten Blick als abseitig und sozusagen als angeblicher Eskapismus aus den aktuellen Problemen der Gegenwart den Anschein machen könnte. In Wirklichkeit ist es eine willkommene Gelegenheit, die wahre "Diversität", wie sie sich durchaus so gut wie immer als umstritten historisch entfaltete, als Herausforderung für die Gegenwart zu thematisieren. Zieglers "Menschwerdung" enthält eine der ausführlichsten je getätigten allgemeinphilosophischen Deutungen des Jesusgebetes "Vater unser" oder "Unser Vater", welche Wortwahl freilich in der neueren gegenderten "Bibel in gerechter Sprache" nicht mehr zulässig wäre.. Wie auch immer: Eine schöne Thematik für einen Monat, der mit dem Fest der heiligen Verena (1. Sept.) beginnt, einem traditionellen wettervorhersagenden "Klimatag" für die Verhältnisse der folgenden drei herbstlichen Monate. Der Weltuntergang ist da aber in keiner der möglichen Varianten als Panikmache ins Auge gefasst.  

eike

11. August 2022 03:55

Wenn er nicht durch den 'Fragebogen' berühmt geworden wäre, der damals noch den Deutschen ans Herz ging, wären "Preußen" wie Salomon in der Versenkung verschwunden, wie so viele, die nicht verstanden haben, daß ihr Land mit haßerfüllten Gegnern im Inneren wie im Äußeren zu kämpfen hatte und der Krieg nicht gegen den NS sondern gegen Deutschland geführt wurde.

Konnte man seine Haltung im 'Fragebogen' noch bewundern, so kann man seine kläglichen Aufrufe bei der Friedensunion an die Alliierten, die ihn gefoltert hatten, nur bedauern:

"Ihr habt versprochen, miteinander zu reden, ihr habt versprochen, nicht aufeinander zu schießen. Wir rufen euch eure Parole zu: Frieden! Frieden! Frieden!"

 

RMH

11. August 2022 07:08

@MD, @weiße Blätter,

Ausgaben von den weißen Blättern sind sehr selten und schwer zu finden, insbesondere, wenn man einmal einen Komplettbestand in Augenschein nehmen will. Das Stadtarchiv am Herausgabeort Bad Neustadt an der Saale hat einen Komplettbestand in seinen Beständen. War eine Schenkung aus dem Hause Guttenberg.

Maiordomus

11. August 2022 12:52

@RMH. Für mich ein sehr wichtiger Hinweis auf die Einsichtnahme in die Weissen Blätter, wiewohl, wie gesagt, gerade nicht mit Ernst von Salomon in Verbindung stehend.. @eike. Derartige Friedensschriften sind in den Kontext zu stellen, wie Sie wissen, hat auch Ernst Jünger eine verfasst, sicher nicht mit den von Ihnen erwähnten untertänig wirkenden Stellen, würde mich aber ohne das Ganze incl. die Zwischentöne nicht so über Ernst von Salomon äussern. Jünger konnte es mit seiner Friedensschrift seinerseits nicht allen recht machen. Noch mehr Hin und Her manifestiert das Lebensbild des Autors Bernhard Brentano, der als angeblich zu nazifreundlicher Exilant in der Schweiz nach einer hässlichen Pressekampagne nach dem Krieg aus der Schweiz ausgewiesen wurde, im Gegensatz zum hochangesehenen Ludwig Klages. 

Das Andenken an Ernst von Salomon verdient meines Erachtens Respekt. Dazu wird mit dem obigen Artikel beigetragen. Aussagen zu Kriegszeiten, gilt gerade für heute, sind sehr punktuell aus dem Zeitpunkt ihres Kontextes einzuordnen. Vgl. die Weltwoche zum Zeitpunkt des Beginns der "militärischen Sonderaktion". Sie versuchen es bis heute zurechtzustrampeln, wagen aber nicht das offene Bekenntnis, dass man bei einer Debatte über einen Krieg stets im Hinterkopf den Sieg je einer Seite vorziehen würde. Exemplarisch dafür waren die Debatten über den Vietnamkrieg. 

 

Kurativ

12. August 2022 16:21

Der junge Ernst von Salomon als Mann der Tat hat viel Schaden angerichtet. Später hat er sich dramatisch gewandet. Vielleicht könnte das eine Warnung an junge rechte Heißsporne sein. Vorsicht. Und erst einmal denken...

Kurativ

12. August 2022 16:26

Erstaunlich ist immer wieder der große Unterschied zwischen dem, was man erreichen will und was man dann bekommt.