Er war zehn Jahre alt, als sein Vater, ein ehemaliger preußischer Rittmeister, beschloß, ihn auf die Kadettenanstalt zu schicken. Von November 1913 an besuchte er die Kadettenanstalt in Karlsruhe und später die Königlich-Preußische Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde.
Beseelt von dem Wunsch, am Weltkrieg teilzunehmen, erlebte er als 16jähriger den Zusammenbruch sowie die anschließenden Wirren des deutschen Bürgerkriegs. Im Januar 1919 schloß er sich dem Freiwilligen Landesjägerkorps an. Es sei „das Preußische“ gewesen, das ihn zu den Freiwilligen geführt habe. Im Freikorps Liebermann kämpfte Salomon im Baltikum gegen die Rote Armee und den Bolschewismus.
Zurück im Reich beteiligte er sich am Kapp-Putsch und mußte erleben, wie sein Freikorps in Harburg von roten Arbeitern aufgerieben und dessen Führer, der Fliegerhauptmann Berthold, nach der Kapitulation brutal gelyncht wurde.
Als Mitglied der aus der Brigade Ehrhardt entstandenen Organisation Consul, aus deren Reihen die Mörder von Reichsaußenminister Walter Rathenau stammten, zählte auch Salomon zu den Eingeweihten des Komplotts. Den von ihm für das Attentat vorgeschlagenen Fahrer lehnten die beiden Haupttäter Erwin Kern und Hermann Fischer jedoch ab. Dennoch wurde Salomon 1922 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt.
Nach seiner Entlassung Ende 1927 schloß er sich, wie sein Bruder Bruno, der Landvolkbewegung an. Nach einer neuerlichen Untersuchungshaft wandelte sich Salomon endgültig vom Mann der Tat zum Mann des Wortes. 1929 erschien bei Rowohlt sein autobiographischer Erstlingsroman Die Geächteten, in dem Salomon seine Erlebnisse im Nachkrieg, die Ermordung Rathenaus und seine Haftzeit schildert. Es folgten 1932 Die Stadt, ein Roman über die Landvolkbewegung und 1933 Die Kadetten. Die Darstellung der Kadettenanstalt Lichterfelde und deren Ende 1918 ist gleichzeitig Salomons persönliches Bekenntnis zu Preußen.
Nach der Machtergreifung veröffentlichte er im Rowohlt-Verlag, für den Salomon auch als Lektor tätig war, 1936 noch den Freikorpsüberblick Nahe Geschichte. Da das Werk der parteioffiziellen Geschichtsdeutung der Freikorps als angeblichem Vorläufer des Nationalsozialismus und des politischen Soldatentums widersprach, wurde Salomon „wegen politische Unzuverlässigkeit“ aus der Reichspressekammer ausgeschlossen.
Fortan verfaßte er vor allem Drehbücher, um mit unpolitischen und unverfänglichen Arbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und sich mit den herrschenden Verhältnissen zu arrangieren. Daneben betätigte sich Salomon aber auch weiterhin als Chronist der Freikorps, unter anderem als Schriftleiter der von Heinz Oskar Hauenstein herausgegebenen Zeitschrift “Der Reiter gen Osten”.
Salomon verachtete Hitler und stand den Nationalsozialisten insbesondere nach dem 30. Juni 1934 ablehnend gegenüber. Ähnlich wie Hans Fallada, mit dem Salomon im April 1933 gemeinsam wegen des Verdachts auf „Verschwörung gegen die Person des Führers“ in Schutzhaft genommen wurde, ging er aber nicht in die Emigration. Zwar hielt er engen Kontakt zu verschiedenen Widerstandskämpfern und Verschwörern gegen Hitler, wie zum Beispiel Harro Schulze-Boysen oder Hartmut Plaas, ein Attentat lehnte er aber, auch aus der Erfahrung seiner Beteiligung am Rathenaumord heraus, ab.
Es ging mir um Preußen – in Preußen gab es keinen Mord, auch einen politischen Mord nicht.
Mord, so Salomon, sei immer „eine „Verlegenheitslösung“ derer, die keine besseren Mittel hätten. In seinem 1943/44 für den amerikanischen Geheimdienst „Office of Strategic Services“ verfaßten Report über Künstler und Schriftsteller, die im nationalsozialistischen Deutschland verblieben waren, ordnete der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer Salomon in die Gruppe der teils positiv, teils negativ zu beurteilenden Sonderfälle ein.
Salomon, so Zuckmayer, habe sich von „nationalistischen Verschwörertum, demagogischem Antisemitismus und völkischem Ressentiment“ abgewandt und nach der Machtergreifung versucht, „neutral zu bleiben und ‘unpolitisch’ für Filme etc. zu schreiben“. Es sei schon
eine ziemliche Charakterleistung, daß er sich nicht von den Nazis zum “Helden” und Märtyrer machen ließ, er hätte sich leicht einen Schlageternimbus verschaffen können, aber er war allerdings durch Freundschaften und Beziehungen zu Intellektuellen für die Nazis verdorben und leise verdächtig. Sein menschliches Niveau war zu gut, um sich ins Nazitum abbiegen zu lassen.
Nach Kriegsende wurde Salomon im Juni 1945 von den Amerikanern verhaftet und für 15 Monate in verschiedenen Lagern, darunter in Landsberg, interniert. Über seine Gefangenschaft, aber auch die Maßnahmen der Entnazifizierung und Umerziehung rechnete er in seinem 1951 bei Rowohlt erschienen autobiographischen Roman Der Fragebogen mit scharfer Ironie ab. Auf über 800 Seiten beantwortet er die Fragen des amerikanischen Entnazifizierungsbogens so ausführlich, daß die „bürokratisch-kollektive Maßnahme, die den deutschen Menschen zu kategorisieren suchte“, letztlich ad absurdum geführt wird.
Das Buch erreichte innerhalb von anderthalb Jahren eine Auflage von über 200.000 Exemplaren und wurde zu einem ersten Bestseller der Bundesrepublik. Auch als Drehbuchautor war Salomon nach wie vor erfolgreich. So stammen beispielsweise die Drehbücher zu Hans Hellmut Kirsts 08/15-Triologie aus einer Feder.
Politisch wandelte sich der einstige Freikorpskämpfer zum Friedensaktivisten. In dieser Zeit verfaßte er Das Schicksal des A.D. (1960). In dem Werk über den desertierten Reichswehr-Offizieranwärter Arthur Dietzsch, der siebenundzwanzig Jahre seines Lebens in Haftanstalten der Weimarer Republik, nationalsozialistischen Konzentrationslagern und alliierten Kriegsverbrechergefängnissen verbrachte, flossen auch Salomons eigene Hafterlebnisse und ‑eindrücke mit ein. Er sah in Dietzsch einen Mann, der all die Jahre seiner Gefangenschaft „stellvertretend für die Sünden unserer Zeit büßte, ein Mann, der inmitten der Problematik unserer ‘unbewältigten Vergangenheit’ seinerseits die Vergangenheit durchaus bewältigte“.
Als nationaler Pazifist lehnte Salomon die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ebenso ab wie deren einseitige Bindung an den Westen. Stattdessen hegte er durchaus Sympathien für die Sowjets, was in der DDR wohlwollend aufgenommen wurde. Salomon gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Friedensunion und nahm 1961 als Delegierter an der „7. Weltkonferenz gegen A- und H‑Bomben für vollständige Abrüstung“ in Tokio teil. Dort appellierte er an die Siegermächte:
Ihr habt versprochen, miteinander zu reden, ihr habt versprochen, nicht aufeinander zu schießen. Wir rufen euch eure Parole zu: Frieden! Frieden! Frieden!
Doch Salomon war nicht nur überzeugter Pazifist, sondern blieb bis zu seinem Tod auch überzeugter Preuße. Seinem Ideal von Preußen widmete er sein letztes Buch, Der tote Preuße, das 1973 postum erschien.
– – –
Der vorliegende Text ist dem 3. Band des Staatspolitischen Handbuchs entnommen, den man hier erwerben kann. In Band 2, Schlüsselwerke, sind Der Fragebogen und Nahe Geschichte abgehandelt – hier bestellen. Außerdem hat Benedikt Kaiser in unserem Lektüreband Das Buch im Haus nebenan über Die Stadt geschrieben, und Torsten Hinz über den Fragebogen – hier einsehen und bestellen.
Die beste Biographie über v. Salomon hat Gregor Fröhlich verfaßt – man kann sie hier bestellen, die Lieferzeit beträgt allerdings einen knappen Monat.
Im Buchhandel erhältlich ist übrigens nur Der Fragebogen in einer akzeptablen Taschenbuchausgabe (hier bestellen, Pflichtlektüre wie nur wenige andere Bücher). Die Geächteten und Die Kadetten kann man in wenig ansprechenden Ausgaben neu erwerben, wir empfehlen jedoch die Antiquariatssuche. Verdienstvoll ist die Faksimile-Ausgabe von Das große Buch vom Freikorpskämpfer (hier einsehen und bestellen).
Zuletzt: Erik Lehnert und Götz Kubitschek haben eines ihrer Literaturgespräche über Ernst v. Salomon geführt. Hier ist es.
RMH
"Dennoch wurde Salomon 1922 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt."
Wieso "dennoch"? Heute würde er als Mittäter zu Lebenslang mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.
Nachdem ich in früheren Jahren die eine oder andere Gerichtsakte aus den 20er und frühen 30er Jahren durchsehen konnte, verfestigt sich bei mir seit einiger Zeit der schwere Eindruck, vom juristischen Handwerk, der Neutralität und des juristischen Sachverstandes der damaligen Richter könnten sich etliche der heutigen Richter eine große Scheibe abschneiden (b.t.w.: rein formal gilt, auch wenn durch zahlreiche Reformen verändert, das gleiche StGB wie damals) - und ohne die Akten im Fall S. zu kennen, haben die damaligen Richter bei mir einen Vertrauensvorschuss dahingehend, dass sie vermutlich schon richtig lagen, wenn sie Herrn S. verurteilten.
PS: Der "Fragebogen" war für mich keines der Bücher, welches ich gerne noch einmal lesen würde oder welches ich weiterempfehlen würde. Ich verstehe den Kult um dieses Buch nicht, evtl. bin ich dafür aber ausnahmsweise zu jung. Von den Vorkriegsbüchern habe ich nur 1 gelesen, "Die Geächteten". Das würde ich jederzeit dem "Fragebogen" vorziehen.