Ronen Steinke berichtete in einem ausführlichen Artikel über die Praxis der Überwachung des rechten Spektrums durch den Verfassungsschutz. Demnach treiben sich speziell ausgebildete Spitzel unter multiplen falschen Identitäten in “rechten Chatrooms” herum, um durch aktive Mitbeteiligung vermeintlich gleichgesinnte “Freunde” zu angeln und auszuhorchen.
Die rein virtuelle Vorgehensweise hat dabei den Vorteil, daß die Infiltration weniger aufwendig ist, als bei klassischen “Undercover”-Operationen. Als Qualifikation genügt ausreichende Geschicklichkeit im Umgang mit sozialen Medien, und wenn ein Account einmal “entlarvt” wird, hat die betreffende Person wenig zu fürchten.
Deshalb investiert der Inlandsgeheimdienst jetzt so stark in diese neue Methode. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es inzwischen Dutzende virtuelle Agenten für die einzelnen “Phänomenbereiche“, für die rechte, die linke, die islamistische und neuerdings auch die verschwörungsideologische Szene. Das ist die Lage in diesem Herbst 2022: Viele Radikale ahnen wahrscheinlich gar nicht, wie viele Accounts in ihren Chatgruppen inzwischen schon von Verfassungsschutz-Agenten geführt werden.
Steinke faßt es auf Twitter so zusammen:
In solche „virtuellen Agenten“ hat der Geheimdienst seit 2019 massiv investiert. (…) Anlass war damals der Mord an Walter Lübcke. „Wir sollen mitschwimmen“, hat mir eine Agentin erzählt, die jetzt seit einem Jahr Fake Accounts führt, „gucken, was die anderen machen.“ Und, das ist das Besondere: auch selbst ein bisschen rechtsradikal spielen.
Denn das Ziel für den Verfassungsschutz ist, in die inneren Zirkel von gewaltbereiten Gruppen wie „Vereinte Patrioten“ hineinzukommen, dazu muss man sich Vertrauen erschleichen, „Freunde“ gewinnen, Beziehungen aufbauen.
Es seien inzwischen “hunderte rechtextremer Fake Accounts”, die der VS zu diesem Zweck betreibe, so viele, daß sich die Undercover-Agenten untereinander vernetzen müssen, um sich nicht gegenseitig zu bespitzeln. Das bedeutet umgekehrt auch, daß hunderte “Rechtsextremisten” und “Neonazis” im Netz in Wahrheit Verfassungsschutzmitarbeiter sind.
Um die Täuschung aufrechtzuerhalten, werden ganze Datenbanken mit Fotos angelegt, die für die “Echtheit” der Person hinter dem Netzaccount bürgen sollen, Maskenbildner angeheuert, Requisiten- und Kleidersammlungen angelegt.
Deshalb hat die Agentin, als es losging mit ihren Fake-Accounts, erst einmal Hunderte Handy-Fotos auf Vorrat geschossen, die Fotosession des Landesamts für Verfassungsschutz dauerte zwei Tage. Den großen Besprechungsraum haben sie im vergangenen November in einen Theaterfundus verwandelt, sie zeigt Handyfotos davon. Zu sehen sind Berge von T‑Shirts, Kapuzenpullovern, Hosen. Regelrechte Wühltische waren da aufgetürmt, wie auf einem Flohmarkt. Darauf lagen rechte Szenemarken, “Pro violence“ oder Yakuza zum Beispiel.
Parallel werden auch die üblichen technologischen Arten der Überwachung betrieben:
Aus dem Fenster fällt der Blick auf einen Hinterhof, grau, Wellblech, Industriegebiet. Der Verfassungsschutz betreibt hier zusammen mit der Polizei eine geheime Werkstatt. Techniker bauen kleine Spionagekameras in Vogelhäuschen. Sie präparieren Motorräder oder Kinderwagen mit unsichtbaren Mikrofonen. Wenn ein Mitarbeiter eine Mülltonne vor sich herrollt, kann sein, dass auch dieser Gegenstand Augen und Ohren hat.
Um innerhalb der zu überwachenden Zielgruppen Glaubwürdigkeit zu gewinnen, genießen die Agenten Narrenfreiheit und dürfen “Propagandadelikte” begehen, also auch Dinge posten, die unter geltendem Recht in den Bereich der “Volksverhetzung” fallen. Auch der Gefahr, daß sie durch das Untertauchen in bösen Gedankenwelten an ihrer Seele Schaden nehmen, ist durch psychologische Betreuung vorgesorgt.
Nein, das ist kein Witz:
Der Top-Spion sagt: Die Absturzgefahr sei groß bei Agenten, die den ganzen Tag in sozialen Netzwerken mitschwimmen sollen.
Wer sich den ganzen Tag lang in einem rassistischen “geschlossenen Weltbild“ bewege, der müsse immer daran arbeiten, Distanz zu bewahren. “Geschlossene Weltbilder neigen dazu, in sich logisch zu sein.“Beim Bundesamt für Verfassungsschutz haben sie deshalb eigens Psychologinnen und Psychologen eingestellt. Als Helfer für die Agenten. Aber auch als Aufpasser, falls mal einer abdriftet. Wie oft das schon passiert ist, möchte der Beamte nicht sagen, die virtuellen Agenten sollen Tag und Nacht mithetzen, mitdiskutieren, im Sinne rassistischer Ideologien argumentieren – und “trotzdem straight bleiben“, wie er sagt. (…)
In der analogen Welt war das früher auch schon ein Problem. Schon damals sei die Gefahr groß gewesen, dass Agenten, die undercover leben, die Distanz verlieren und ihre neuen “Freunde“ plötzlich ganz nett finden. Psychologische Betreuung gab es beim Geheimdienst schon damals, aber nicht annähernd so viel wie heute.
Offenbar ist es so, daß die Argumente der “Extremisten” mitunter derart einleuchtend und diese mitunter derart nette Menschen sind, daß verstärkte psychologische Betreuung notwendig ist, um den kognitiven Abwehrapparat der Agenten gegen etwaige ideologische Versuchungen zu immunisieren. Die Psychologen haben auf diese Weise die geradezu priesterliche Aufgabe, den Glaubensabfall zu verhindern und die Teufel “Haß und Verschwörung” zu bannen.
Damit liegt auch offen zutage, daß der Verfassungsschutz selbst alles andere als weltanschaulich neutral ist (wie er es theoretisch sein sollte), sondern seinerseits auf der Basis eines “geschlossenen Weltbilds“ operiert.
Entsprechend “rein” müssen dann auch die Mitarbeiter sein, die er rekrutiert. Wer sich freiwillig zur Stasi meldet, um in ihrem Dienst zu lügen, zu betrügen, das Vertrauen von Menschen zu gewinnen und zu mißbrauchen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch passende ideologische (und charakterliche) Dispositionen mitbringen.
Die Hauptfigur von Steinens Reportage ist eine “junge Frau Ende Zwanzig”, die “aus Idealismus zum Verfassungsschutz gekommen” sei, “um etwas gegen Rechtsextreme zu tun.” Ohne Zweifel handelt es sich dabei, wie bei Innenministerin Nancy Faeser selbst, um eine Person mit Kontakten zur linksextremen und antifantischen Szene. Ähnlich dürfte es um einen ebenfalls erwähnten “Sozialwissenschaftler” bestellt sein, “der jetzt sein Wissen über die NS-Ideologie nutzt, um sich mit Holocaust-Leugnern anzufreunden”.
Undenkbar ist, daß heutzutage jemand beim Verfassungsschutz anheuert, um “idealistisch” etwas “gegen Linksextreme zu tun”. Auch wenn der VS immer noch manche linksextremen Gruppen “beobachtet”, so sind Teile der äußersten Linken längst in seinen Apparat integriert.
Denn für den bestehenden deutschen Staat steht der Feind nun einmal “rechts” oder wird je nach Bedarf dort einsortiert. Dabei muß er inzwischen buchstäblich neue Kategorien von Menschen erfinden, deren Grundrechte aufgrund ihrer falschen Meinungen praktisch aufgehoben werden – wo “Rechtsextremisten” nicht reichen, muß die Bandbreite neuerdings um “Querdenker” und “Verschwörungsideologen” erweitert werden.
Die Konsequenz daraus wird auch in Steinens Artikel deutlich: Was hier in erster Linie “überwacht” wird, sind Meinungen und Gesinnungen, aber auch Gefühlsäußerungen von Zorn, Empörung, Abscheu, in die Allzweck-Tüte “HASS UND HETZE” hineingepackt. Um die Infiltration zu rechtfertigen, werden vor allem die Buhmänner und Randgruppen des Spektrums genannt, etwa die Klassiker “Neonazis” und “Reichsbürger”.
Da bloße Gesinnungsschnüffelei nicht ausreicht, um einen solchen mit Steuergeldern bezahlten Aufwand zu rechtfertigen, betonen die Verfassungsschützer, daß es ihnen darauf ankomme, politisch motivierter Gewalt, “Anschlägen” zuvorkommen, also Terrorismusprävention zu betreiben.
Als im April eine rechtsextreme Gruppe aufflog, die sich bei Telegram “Vereinte Patrioten“ nannte und einen Anschlag auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach plante, war dieser Ermittlungserfolg nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung auch ein paar “virtuellen Agenten“ zu verdanken, die im Auftrag eines Landesamts für Verfassungsschutz unter falscher Flagge segelten, als vermeintliche Nazis.
Kann sich noch jemand an diese Geschichte vom April dieses Jahre erinnern? Aus einem Bericht der tagesschau:
Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen eine Gruppe, die unter anderem eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant haben soll. Nach Informationen des ARD-Politikmagazins Report Mainz sollen sie geplant haben, durch Anschläge auf Umspannwerke und Stromleitungen einen bundesweiten Stromausfall herbeizuführen, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu verursachen. (…)
Dieses Chaos wollten die Beschuldigten nach Ansicht der Ermittler nutzen, um das demokratische System in Deutschland zu stürzen und anschließend die Regierung zu übernehmen. Außerdem plante die Gruppe in einer Aktion namens “Klabautermann”, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen und seine Personenschützer “auszuschalten”.
Das klingt ja nach wahrhaft tollen Meisterplänen, die garantiert umgesetzt worden wären, hätten die Ermittler und die Undercover-Agenten diesen Umsturz nicht in letzter Sekunde verhindert. Berichte über brandgefährliche Extremisten dieser Art, die den Staat stürzen wollen, tauchen immer wieder in den Medien auf. Ob diese aus dem Internet gefischten Gestalten auch nur entfernt imstande sind, ihre großspurigen Vorhaben durchzuführen, ist dabei ohne Bedeutung.
Der Buhmann hat eine klare Ablenkungsfunktion. Politiker wie Lauterbach bedürfen solcher Stories, um von ihrer eigenen wahnwitzigen, destruktiven oder extremistischen Agenda abzulenken – möge es sich dabei um Bevölkerungsaustausch, “Pandemiebekämpfung” oder neuerdings Energiepolitik handeln. Sie können damit in die Rolle der bedrohten Opfer schlüpfen, und jeder, der ihre Politik kritisiert, kann nun in die Nähe von Antisemiten und Schwulenhassern, von gewaltbereiten Aluhutträgern und potentiellen Terroristen gerückt werden.
Steinke beklagt nun in seiner Reportage die “Zweischneidigkeit” einer Strategie, die im Chor der “Hetzer” mitmischt und ihn auch noch verstärkt:
Gleichzeitig ist die neue Strategie zweischneidig, und mit jedem neuen Erfolg, mit jedem neuen Vordringen in die inneren Zirkel der Online-Hetzer, wird es womöglich heikler. Die vielen Menschen, die als Opfer von rechter Online-Hetze betroffen sind, würden wahrscheinlich staunen, wenn sie wüssten, was da im staatlichen Auftrag inzwischen so alles gepostet und gelikt wird.
Da ist er einer Sache auf der Spur, deren Signifikanz er aus seiner Perspektive nicht sehen kann. Er beäugt es kritisch, daß Mitarbeiter des VS “rechtsextreme Bemerkungen”, “rassistische Witze” oder “NS-verherrlichende Bildchen” verbreiten, angeblich für den langfristig guten Zweck, “dicke Fische” am Wickel zu bekommen. Aber mit dieser “Fake-Account-Strategie” lassen sich auch etliche andere Dinge anstellen, als bloß Leute auszuhorchen.
Jeder Oppositionelle weiß, daß der Staat einerseits zu hysterischen Überreaktionen neigt, was das rechte Spektrum angeht, andererseits auf einer höheren Ebene der “Hetzer” und Krokodile dringend bedarf, um sich zu rechtfertigen und seine Kritiker anrüchig zu machen. Er hat mit anderen Worten ein Interesse daran, die Suppe in den Randgebieten am Köcheln zu halten. Er wird versuchen, auf sie Einfluß zu nehmen, sie zu seinen Zwecken zu nutzen und propagandistisch auszuschlachten.
Eine Telegramgruppe wie “Vereinte Patrioten“ z. B. zu gründen, zu züchten, zu infiltrieren und deren Mitglieder zu starken Sprüchen und Umsturzphantasien anzustacheln, wäre für einen Geheimdienst wahrlich nicht schwer. Wenn sie aufgedeckt wird, zeigt sich ihr Nutzen: Bloße Worte und Absichtserklärungen, anonym gepostet, genügen, um Razzien auszulösen, Rufe nach Zensur laut werden zu lassen, Angstpropaganda nach dem Motto “Haltet-den-Dieb” auszulösen.
Steinke zitiert einen Leiter eines Landesamts für Verfassungsschutz: „Das ist die Zukunft der Informationsbeschaffung”, geradeso, als handle es sich hier um etwas grundsätzlich Neues, weil über das Internet operiert wird, während derlei getan wird, seit es das Internet gibt. Im anglophonen Raum ist daraus das Schlagwort “fedposting” entstanden:
To post violent threats on the Internet, ostensibly as an everyday citizen, but actually working as an undercover federal agent as a form of entrapment.
Vorgeblich als normaler Bürger gewalttätige Drohungen ins Internet zu stellen, in Wirklichkeit aber als verdeckter Bundesagent (“fed”) zu arbeiten, um eine Falle zu stellen.
Der Begriff wird in der Folge als Scherz benutzt, wenn man den Drang verspürt, etwas besonders Krasses oder Zorniges zu posten, sich das “Fedposting” dann aber lieber verkneift eingedenk der Konsequenzen, die es nach sich ziehen könnte (wie etwa eine Twitter-Sperre oder gar eine Hausdurchsuchung).
Wir haben es hier mit uralten Strategien zu tun, wie sie schon die zaristische Geheimpolizei Ochrana oder das FBI mindestens seit den fünfziger Jahren betrieben haben. Als ich um 2005 zur rechten Szene in Deutschland stieß, galt es als Running Gag, daß die NPD durch und durch von V‑Männern infiltriert ist, bis hinein in die Führungsspitzen, wo sich Leute tummelten, die zuverlässig dafür sorgten, daß die “Optik” ihrer Kameraden stimmte, wenn die Kamerateams des Staatsfernsehens heranrückten.
Aus rechter Sicht bringt der Artikel also insgesamt wenig Überraschendes. Als Beleg für die Praktiken des VS ist er gewiß sehr hilfreich. Daß das Internet voller falscher Freunde ist, wissen wir schon lange, seien es “authentische” Spinner, “LARPer” und Radikalinskis oder V‑Leute und andere einschlägig Engagierte mit einer “Mission”. Aufs Glatteis führen sie alle gleichermaßen, weshalb es ratsam ist, niemandem zu vertrauen, den man nicht auch persönlich kennt.
Wenn wir schon bei der Paranoia angelangt sind, so frage ich mich zuletzt, wieso der Artikel von Steinen überhaupt erschienen ist.
Was sagen eigentlich die Arbeitgeber der idealistischen “jungen Frau Ende zwanzig” mit Jeans und T‑Shirt und selbstgebackenen Keksen im Fedposting-Büro dazu, daß sie derart detailliert aus dem Nähkästchen plaudert? Hat sie sie vorher gefragt, ob ihr das erlaubt ist? Haben sie ihr Einverständnis gegeben? Ist es ihnen egal? Oder haben sie sich über die auskunftsfreudige Mitarbeiterin geärgert und wird diese jetzt gefeuert?
Jedenfalls sind die Teilnehmer in den “rechten Chatrooms” nun gewarnt.
Laurenz
@ML
Das ist doch nur konsequent.
Die Linke (inklusive des VS) hat den Diskurs so verengt, so sehr stalinisiert, daß ihr gar nichts anderes mehr übrig bleibt. Laut VS gibt es maximal 20k Rechtsradikale & Reichsbürger in Deutschland. Statistisch geht das gegen 0. Deswegen muß man die Kampfzone auf die Masse der Konservativen ausweiten um das eigene Dasein zu rechtfertigen. Und klar ist doch, wenn die durch den Kakao gezogenen Konservativen, abseits jeglicher Radikalität, jemals drankommen sollten, fliegen alle Linken Maden raus aus dem Staatsspeck, inklusive der Versager beim VS. Deswegen darf das nicht passieren. Dazu ist man bereit alles, also wirklich alles zu tun.