Weihnachtsempfehlungen 2 – Benedikt Kaiser

Nach Ellen Kositza bin ich dran - Gutes aus Oberschlesien, Wahres über die Identität und Schönes von Stalins Architekt.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Gutes –„Ober­schle­si­en – Mój Haj­mat!“ lau­tet einer der Leit­sprü­che der Auto­no­mis­ten­be­we­gung zwi­schen Oppeln und Kattowitz.

Ihre Exis­tenz, ihre Ver­an­stal­tungs­hin­wei­se, ihre gewähl­te Form der Drei­spra­chig­keit (Deutsch, Pol­nisch, „Schlonzakisch“/„Wasserpolnisch“) und nicht zuletzt ihr kul­tu­rel­les Enga­ge­ment erin­nern immer­hin dar­an, daß die Geschich­te Ober­schle­si­ens eine eige­ne Form der regio­nal­iden­ti­tä­ren Exis­tenz her­vor­ge­bracht hat und wei­ter hervorbringt.

Szc­ze­pan Twar­doch ist wohl das zeit­ge­nös­sisch bes­te (wenn­gleich ein­zi­ge?) Bei­spiel für einen Autor, der die­se so beson­de­re Regi­on Euro­pas sei­nem Leser ver­traut macht – in Polen wie in Deutschland.

Die­se Vor­re­de ist bit­ter not­wen­dig, denn die eigent­lich nahe­lie­gen­de Ober­schle­si­en-Manie hat – cum gra­no salis: trotz des Sezes­si­on-Autoren­por­träts (sie­he hier) – vie­le unse­rer Leser noch immer nicht erreicht … Dafür kann ich aber mich kür­zer hal­ten bei der Buch­be­schrei­bung: Lest (oder: Lesen Sie) Twar­dochs neus­ten Roman Demut!

Die Hand­lung stellt sicher­lich kein intel­lek­tu­el­les Feu­er­werk mit diver­sen zu ent­hül­len­den „Meta-Ebe­nen“ dar. Aber sie ist span­nend, infor­ma­tiv, unter­halt­sam. Muß auch mal sein.

Alo­is Poko­ra, der Prot­ago­nist, ist ein Berg­mann­sohn aus dem Glei­wit­zer Hin­ter­land (wie Szc­ze­pan Twar­doch) und erwacht als ver­wun­de­ter deut­scher Sol­dat im revo­lu­tio­nä­ren Ber­lin des Herbs­tes 1918 in einem Krankenhaus.

Von da an gerät Poko­ra in den Haupt­stadt-Stru­del aus Links­ra­di­ka­lis­mus, Frei­korps und ideo­lo­gi­sier­ter Gewalt, und das Leben wird nicht ein­fa­cher, als er, zurück­ge­kehrt in die Haj­mat, nicht nur in Par­tei- und Volks­tums­kämp­fe, son­dern auch in fami­liä­re Bre­douil­len gerät …

Das Ende des Werks läßt Twar­doch aus­rei­chend Spiel­raum für eine Fort­set­zung. Vor­ge­merkt zur Weih­nachts­emp­feh­lung 2024/2025!

Szc­ze­pan Twar­doch: Demut, Roman, 464 S., 25 €.

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Wah­res – Manch­mal geht selbst in der Ver­lags­welt alles ganz schnell: Als ich im April die­ses Jah­res an der jähr­li­chen Ilia­de-Kon­fe­renz in Paris teil­nahm, sprach mich ein sym­pa­thi­scher Fran­zo­se in fast akzent­frei­em Deutsch an und stell­te sich vor: Hen­ri Levavasseur.

Der Name war mir, dies offen gesagt, nahe­zu unbe­kannt. Nur auf einem der kapla­ken-ähn­li­chen Essay­bän­de des gast­ge­ben­den „Insti­tut Ilia­de“ hat­te ich ihn schon vor­her gele­sen. Aus dem Gespräch ging recht schnell das Vor­ha­ben her­vor, sei­nen in Frank­reichs Nou­vel­le Droi­te sehr gut auf­ge­nom­me­nen Band auch in die deut­sche Spra­che zu über­tra­gen. Et voi­là: Iden­ti­tät. Das Fun­da­ment der Gemeinschaft.

Levav­as­seurs pro­fun­de Stu­die eig­net sich als Ein­füh­rungs­schrift für alle „neu Dazu­ge­kom­me­nen“ in unse­rem Milieu eben­so wie als Hand­rei­chung für alle „Vete­ra­nen“, auf­grund der Strin­genz der Aus­füh­run­gen frei­lich auch (auf­ge­schlos­se­nen) „Anders­den­ken­den“. Denn der Autor ver­mit­telt Wis­sen, klärt Posi­tio­nen und kann über­dies auch bril­lant schrei­ben – eine sel­te­ne Kom­bi­na­ti­on auf so dich­tem Raum.

Was mir beson­ders gefällt, ist die Tat­sa­che, daß einem dank Levav­as­seur wie­der bewußt wird, daß „Iden­ti­täts­po­li­tik“ nicht in Bausch und Bogen abzu­leh­nen ist, nur weil „woke“ Akti­vis­ten­grup­pen der extre­men Lin­ken Schind­lu­der damit treiben.

Im Gegen­teil: Wer die ideo­lo­gi­sche Ver­stie­gen­heit des poli­ti­schen Geg­ners bekämp­fen möch­te, kann dies am bes­ten, wenn er mit sich, sei­ner Her­kunft und sei­nen eige­nen Vor­stel­lungs­wel­ten im rei­nen ist – wenn sei­ner Denk- und Lebens­wei­se also eine eige­ne Iden­ti­täts­po­li­tik zugrun­de liegt. Die­ser schma­le und doch tief­schür­fen­de Band weist dies nach.

Hen­ri Levav­as­seur: Iden­ti­tät. Das Fun­da­ment der Gemein­schaft, 112 S., 14 €.

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Schö­nes – Mit dem „Haus an der Ufer­stra­ße“ in Mos­kau, dem legen­dä­ren „Haus der Regie­rung“ (sie­he mei­nen Bei­trag dazu hier), begann die dezi­diert „sta­li­nis­ti­sche“ Archi­tek­tur­po­li­tik sich stär­ker denn zuvor in Stein zu meißeln.

Dabei war die­ses kon­struk­ti­vis­ti­sche Bau­werk sei­nes Schöp­fers und spä­te­ren Bewoh­ners Boris Iofan (1891–1976) nicht des­sen größ­ter Traum: Die­ser bestand viel­mehr im „Palast der Sowjets“, der nie ver­wirk­licht wur­de und dem man ange­sichts der erhal­te­nen Mate­ria­li­en eine gewis­se Ähn­lich­keit mit Albert Speers „Germania“-Entwürfen nach­sa­gen könnte.

Wes­halb fin­det sich nun eine Bild­bio­gra­phie Iofans unter der Rubrik „Schö­nes“? Nun: Iofans pathos­ge­la­de­ne Bau­en prägt bis heu­te das fas­zi­nie­ren­de Mos­kau­er Stadt­bild zwi­schen Neu und Alt, Kon­struk­ti­vis­mus und Neo­klas­si­zis­mus, Zucker­bä­cker­stil und Plat­ten­bau (usw.) mit. Aber was weiß man – was weiß jeden­falls ich – schon über die dafür ver­ant­wort­li­chen Architekten?

Wla­di­mir Sedow hat ein Werk vor­ge­legt, das auch Inter­es­sier­te ohne immense archi­tek­tur­his­to­ri­sche Vor­kennt­nis­se an die Hand nimmt und mit reich­lich Arbeits­skiz­zen, Zeich­nun­gen und Fotos ein leb­haf­tes Bild von den Bau­sti­len jener Epo­che des „tota­len Staa­tes“ vermittelt.

Iofan, in Odes­sa gebo­ren, ver­brach­te aus­ge­rech­net in Ita­li­en sei­ne ent­schei­den­den Lehr­jah­re. Gemäß sei­nem Werk­bio­gra­phen Sedow hat Iofan dort inten­siv den Futu­ris­mus stu­diert, aber nicht in Gän­ze ange­nom­men. Gleich­wohl war Iofan fas­zi­niert, und er blieb es trotz der „faschis­ti­schen Revo­lu­ti­on“ unter Beni­to Mus­so­li­ni. Erst Mit­te der 1920er Jah­re ver­ließ er das schwar­ze Ita­li­en in die rote Sowjet­uni­on – nicht ohne sei­ne Archi­tek­tur­ar­bei­ten dort als „Vor­be­rei­tungs­etap­pe für die Arbeit in der UdSSR“ zu definieren.

Aus die­sem Grund wird man auf den 300 reich bebil­der­ten Sei­ten immer wie­der her­aus­ge­for­dert, sich mit den Fra­gen zu beschäf­ti­gen: Wie nah waren sich „faschis­ti­sches“ und „sozia­lis­ti­sches“ Bau­en in den 1930er und 1940er Jah­ren? Wer inspi­rier­te hier wen? Aber auch: Wo ver­wirk­lich­te sich eine prak­tisch gewor­de­ne Mega­lo­ma­nie und wo blieb sie prag­ma­ti­sches Stückwerk?

Wer ein­tau­chen will in die­se The­men­ge­bie­te, wird mit vor­lie­gen­dem Bild-Text-Band sei­ne schö­ne Freu­de haben.

Wla­di­mir Sedow: Sta­lins Archi­tekt. Auf­stieg und Fall von Boris Iofan, 304 S., 28 €.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (3)

Laurenz

2. Dezember 2022 11:35

@BK

Was mich bei der Nouvelle Droite Frankreichs interessieren würde, ohne 20 Bücher lesen zu müssen, ist, wie die Neue Rechte Frankreichs mit dem Nationalismus oder auch der Identität umzugehen gedenkt?

Natürlich hat die französische Rechte durch die imperiale, römische Struktur Frankreichs mehr Schlagkraft, als die Deutsche Rechte im mehr föderalen Deutschland. Aber welcher konservative französische Verlagschef würde sein Journal schon Sécession nennen. Das ist doch fast undenkbar. Dieser systemische Unterschied in Sprache & Staatsstruktur birgt seit der Niederlage des Vercingetorix & dem Sieg Armins vor über 2k Jahren kaum überbrückbares Konfliktpotential. Welchen Kompromiß ist die Französische Rechte in der Zukunft bereit einzugehen?

Maiordomus

3. Dezember 2022 09:47

Deutschlands föderale Struktur hat natürlich um Welten mehr mit den seit dem Mittelalter aufgebauten Hintergründen  des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803/04 zu tun als mit dem Unterschied zwischen Vercingetorix und Arminius, wenn schon, wäre der Vertrag von Verdun zu bemühen.

Oberschlesien: die dortigen Nationalitätenkonflikte brachten ab dem blutigen Jahr 1921 den historisch bedeutendsten Einsatz der Schweiz als neutrale Vermittlerin mit unserem Bundesrat Felici Calonder, der sogar zusammen mit seinem Schwiegersohn in OS Wohnsitz nahm und die aus Polen und Deutschen gemischte Vermittlungskommission leitete, mit dem Schwiegersohn als deren Generalsekretär. Calonder, für spätere Einschätzungen relativ deutschfreundlich, gut bekannt mit CH-Generalstabschef Sprecher, galt für die Polen als deutschfreundlich, aber spätestens ab 1933 als polenfreundlich, auch Fürsprecher der Juden. 1937 galt die Mission als gescheitert, wobei aber 15 Jahre Friedensarbeit durchaus als epochal für die Schweizer Neutralität gelten dürfen. Davon weiss unsere Regierung heute nichts mehr. 

Laurenz

3. Dezember 2022 15:14

@Maiordomus

Deutschlands föderale Struktur hat natürlich um Welten mehr mit den seit dem Mittelalter aufgebauten Hintergründen  des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803/04 zu tun als mit dem Unterschied zwischen Vercingetorix und Arminius.

Das ist natürlich eine falsche historische Einschätzung. Alle einschlägigen Historiker sehen das anders. Die unterschiedlichen Sprachen sind der elementarste Ausdruck dessen. Als die Franken die Römer in Gallien ablösten, paßten sich erstere aus machtopportunen Gründen in Sprache & Religion ab 500 nach 0 an. Der Kampf in Deutschland zwischen römischen & germanischen Recht wurde vom Römischen Kirchenrecht im 16. Jahrhundert (im Gegensatz zu Britannien) endgültig gewonnen, aber geblieben ist die föderale Königs- oder Kaiserwahl, in Frankreich kein jemals übliches Procedere. Bis zum heutigen Tage spielt in Frankreich die Provinz keine Geige. Auch Bonaparte hatte in jeglicher Realität 0 Interesse den Rheinbund tatsächlich zu einem Staat zu machen. Politisch entwickeln sich jetzt die Bundesländer durchaus unterschiedlich. Die Neutralität der Schweiz ist seit der Anpassung an die EU längst Geschichte. Roger Köppel trommelt vergebens. Von daher war meine Frage an BK durchaus berechtigt.

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