Sammelstelle für Gedrucktes (60): Sachsen

Den politischen Jahresabschluß dominieren im Osten der Bundesrepublik diesmal nicht die Thüringer, sondern die Sachsen.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.


Was war pas­siert? In einem säch­si­schen Kreis­tag hat die CDU-Basis das getan, was sie nach Ansicht von Mer­kel, Merz und Co. nicht darf: in Sach­fra­gen mit der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land stimmen.

Es gel­te, so hat es die Par­tei­füh­rung kürz­lich erst erneu­ert, eine »Brand­mau­er« gegen rechts. Wer sich dar­an nicht hal­te, wer­de aus­ge­schlos­sen. Eigent­lich über­flüs­sig zu erwäh­nen, daß es frei­lich kei­ne ver­gleich­ba­re schwar­ze Mau­er gegen links gibt, im Gegen­teil: In Thü­rin­gen stützt man sogar die rot-rot-grü­ne Min­der­heits­re­gie­rung, Gen­der-Antrag hin oder her.

Bei Ste­fan Locke kann man die säch­si­schen Neu­ig­kei­ten ein wenig (zu) alar­mis­tisch im Ton nach­le­sen. In der FAZ (v. 17.12.2022) titelt er: »Bröckelnde Brand­mau­er in Sach­sen?« Locke führt ein:

Anfang der Woche stand im Baut­z­ner Kreis­tag ein AfD-Antrag zur Abstim­mung, der wohl kaum beach­tet wor­den wäre — hät­te ihm nicht die CDU zur Mehr­heit ver­hol­fen. Allein kön­nen die 29 AfD-Kreis­rä­te wenig aus­rich­ten, aber mit der CDU-Frak­ti­on, die eben­so vie­le Mit­glie­der hat, stel­len sie die meis­ten der 97 Kreistagsabgeordneten.

Die AfD-Kreis­tags­frak­ti­on for­dert in ihrem Antrag den Land­rat dazu auf,

die Inte­gra­ti­ons­leit­li­ni­en des Land­krei­ses so zu über­ar­bei­ten, dass künf­tig aus­län­di­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge von Leis­tun­gen der Inte­gra­ti­on aus­ge­nom­men sind, wel­che im Bun­des­ge­biet kein Auf­ent­halts­recht haben und voll­zieh­bar zur Aus­rei­se ver­pflich­tet sind”. Aus­ge­nom­men wer­den sol­len Per­so­nen, die über eine geklär­te Iden­ti­tät ver­fü­gen, ihre Aus­rei­se „nicht rechts­miss­bräuch­lich ver­hin­dern” und sich inten­siv um Inte­gra­ti­on bemühten.

So weit, so vernünftig-realistisch.

Was dann pas­sier­te, kann der Leser bereits ahnen:

47 Kreis­rä­te, 28 von der AfD und 19 von der CDU, stimm­ten dem zu, womit schnell die Fra­ge auf­kam, ob damit der Abgren­zungs­be­schluss der Uni­on und ins­be­son­de­re die AfD-Linie von Par­tei­chef Fried­rich Merz unter­mi­niert werden.

Das wur­de dem ers­ten Christ­de­mo­kra­ten übri­gens bereits unan­ge­nehm und er distan­zier­te sich nach mas­si­vem öffent­li­chen Druck von sei­nem eige­nen Abstim­mungs­ver­hal­ten. Die Säch­si­sche Zei­tung (v. 20.12.2022) berich­tet über CDU-Kreis­rat David Stat­nik, der auf Face­book geschrie­ben habe: 

Ich habe zum Zeit­punkt mei­ner Ent­schei­dung die poli­ti­sche Trag­wei­te mei­nes Han­delns nicht beach­tet. Dafür möchte ich mich ent­schul­di­gen. In den ver­gan­ge­nen Tagen habe ich vie­le Gespräche geführt. Die­se haben mir ver­deut­licht, wie stark ich Men­schen enttäuscht habe.

Der Vor­sit­zen­de des Bunds Lau­sit­zer Sor­ben ent­schul­dig­te sich sogar bei sei­nen Mitgliedern: 

Unse­re Orga­ni­sa­ti­on steht für Welt­of­fen­heit. Dies will ich mit mei­ner fal­schen Ent­schei­dung nicht infra­ge stellen.

Stat­niks Distan­zie­rung von sich selbst und die Selbst­kas­tei­ung nach mas­si­vem lin­kem Druck zei­gen ers­tens, wie ängst­lich mit­un­ter selbst Basis-CDU-Appa­rat­schiks sind, die ja eigent­lich wis­sen müß­ten, daß das Abstim­mungs­ver­hal­ten eine Mehr­heit in der Bevöl­ke­rung fände.

Zwei­tens ver­deut­licht es die Abwe­sen­heit von Ideo­lo­gie­kri­ti­kern von For­mat im deut­schen Jour­na­lis­mus. Denn gäbe es sie, wür­den der­lei Anflü­ge von angst­er­füll­ter Selbst­kri­tik per­fek­tes Mate­ri­al zur Sprach- und Macht­kri­tik bie­ten, min­des­tens aber nicht auch noch als mutig und cou­ra­giert miß­in­ter­pre­tiert werden.

Ein ande­rer CDU-Abge­ord­ne­ter, der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Mat­thi­as Grahl, distan­ziert sich der­weil aber nicht. Er ver­tei­digt die Abstim­mung so nüch­tern wie konsequent:

Auf kom­mu­na­ler Ebe­ne ent­schei­den wir nach Sach­fra­gen, da kön­nen wir uns kei­nen Eier­tanz und kei­ne Kin­der­gar­ten­spie­le leisten.

Der Antrag sei in der Sache rich­tig, so der Geschäfts­füh­rer eines mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­mens. Er entspreche

unse­rer Über­zeu­gung sowie der einer Mehr­heit unse­rer Wäh­ler und auch der Bevölkerung,

was in der Tat eines der Haupt­mo­ti­ve sein dürf­te, gegen die Emp­feh­lun­gen aus Dres­den und Ber­lin an der Sei­te der AfD gestimmt zu haben: Die Angst vor wei­te­ren künf­ti­gen Ver­lus­ten an die AfD, die in Baut­zen und Umge­bung längst eine sta­bi­le 30-Pro­zent-Posi­ti­on aus­bau­en konn­te. AfD wirkt – hier stimmt der Slo­gan tatsächlich.

Wäh­rend Grü­ne, Lin­ke, SPD und die ent­spre­chen­den Medi­en toben, beweist Sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Micha­el Kret­schmer erneut, daß er (bzw. sein Bera­ter­stab) ein Gespür für Stim­mun­gen im Volk besitzt:

Den Baut­z­ner AfD-Antrag wer­tet Kret­schmer zwar als “Pro­vo­ka­ti­on”, dar­über hin­aus will er sich jedoch nicht äußern,

was pflicht­be­wußt sein Adla­tus Alex­an­der Dierks über­nimmt. Sach­sens smar­ter CDU-Generalsekretär

bekräf­tigt, dass eine Zusam­men­ar­beit mit der AfD „völ­lig aus­ge­schlos­sen” sei.

Geschenkt: Wenn in drei, vier oder sie­ben Jah­ren der eige­ne Macht­er­halt von die­ser Fra­ge abhän­gen soll­te, dürf­te das Zitat aus die­ser »Sam­mel­stel­le« längst ver­ges­sen und kor­ri­giert sein.

Ein wenig Was­ser in den Wein muß natür­lich den­noch bereits jetzt gegos­sen wer­den: Der gemein­sa­me AfD-CDU-Beschluß ist fak­tisch näm­lich fol­gen­los, wie die FAZ zu berich­ten weiß. Von 713 aus­rei­se­pflich­ti­gen Asyl­be­wer­bern im Land­kreis Baut­zen besä­ßen 400 von ihnen eine Dul­dung, die ande­ren hät­ten kei­nen Paß. Nur auf die­se 313 Men­schen trä­fe der Beschluß zwar zu, doch:

Einen Min­dest­an­spruch auf Exis­tenz­si­che­rung aber hät­ten auch sie, stell­te das Sozi­al­mi­nis­te­ri­um klar; das regel­ten Bun­des­ge­set­ze, an denen ein Kreis­tags­be­schluss nichts ände­re. Bei den Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen wie­der­um han­delt es sich meist um Sprach­kur­se oder Bera­tun­gen zur Kita und Schul­pflicht, die oft von Ver­ei­nen ange­bo­ten und vom Land­kreis geför­dert wer­den. Der säch­si­sche Flücht­lings­rat hält den Antrag des­halb für „Stim­mungs­ma­che”. An der Rea­li­tät wer­de er kaum etwas ändern,

was einer­seits ärger­lich sein mag, ande­rer­seits ohne­hin nach­ran­gig ist.

Bei der Baut­z­ner Abstim­mung geht es um mehr: Um die ers­ten sehr zag­haf­ten Eman­zi­pa­ti­ons­ver­su­che eini­ger christ­de­mo­kra­ti­scher Poli­ti­ker aus der drit­ten Rei­he von der Bevor­mun­dung aus Ber­lin. Ob mehr dar­aus wer­den kann, zeigt die Zeit, und ob das even­tu­el­le »Mehr« aus oppor­tu­nis­ti­schen oder inhalt­li­chen Moti­ven erfolgt, ist für das AfD-Aus­grei­fen sekundär.

Wich­tig ist die Bot­schaft, daß die »Brand­mau­er« gegen rechts ste­ti­ger Inter­ven­tio­nen von höhe­rer Stel­le aus bedarf; sie ist und bleibt vie­ler­orts künst­lich und wird wie alles Arti­fi­zi­el­le frü­her oder spä­ter (eher letz­te­res) auseinanderfallen.

Sehr gele­gen kommt dem poli­tisch-media­len Kom­plex daher die Debat­te um »Reichs­bür­ger« und »Putsch­plä­ne«. Man ergreift jeden Stroh­halm, um der AfD zu scha­den; sogar eine Ver­bots­de­bat­te wird angeheizt.

In der lin­ken Tages­zei­tung nd. Der­Tag (ehe­mals: neu­es deutsch­land) wird das The­ma (Aus­ga­be v. 21.12.2022) ent­spre­chend hoch gehängt:

Seit der Raz­zia bei den soge­nann­ten Reichs­bür­gern wird ver­stärkt über ein Ver­bot der AfD dis­ku­tiert. Poli­ti­ker der Grü­nen sind dafür. Thü­rin­gens Innen­mi­nis­ter Georg Mai­er hat­te sich kürz­lich sogar dafür aus­ge­spro­chen, ein Ver­bots­ver­fah­ren mög­lichst schnell vorzubereiten.

Daß ein SPD-Minis­ter just aus Thü­rin­gen das Ver­bots­ver­fah­ren for­dert, kann nicht ver­wun­dern. Selbst das lin­ke nd weiß:

In Thü­rin­gen steht sie [die AfD; B.K.] in Umfra­gen mit 25 Pro­zent auf dem ers­ten Platz. Im Herbst 2024 wird ein neu­er Land­tag gewählt. Dann dürf­te es schwer wer­den, erneut eine Koali­ti­on gegen sie zu bilden.

Was ver­schwie­gen wird: Die SPD steht nicht ein­mal bei der Hälf­te. Gemäß einer aktu­el­len Umfra­ge von Wahlkreisprognose.de steht die AfD sogar bei 30 Pro­zent – die SPD hin­ge­gen bei einem Drit­tel davon, bei 10 Pro­zent (Lin­ke: 27, CDU: 15).

Ange­sichts sol­cher Zah­len aus Thü­rin­gen und sol­cher Nach­rich­ten aus Sach­sen muß das Estab­lish­ment ein Kip­pen der bei­den mit­tel­deut­schen Kern­län­der wei­ter­hin fürch­ten. Auch vor die­sem Hin­ter­grund muß also die Reichs­bür­ger-Pos­se als ent­spre­chen­des Macht­in­stru­ment ein­ge­ord­net werden.

Wäh­rend aber deutsch­spra­chi­ge Medi­en immer noch zu unkri­tisch an die offi­ziö­sen »Nar­ra­ti­ve« her­an­tre­ten – rar gesä­te Aus­nah­men sind wie so oft NZZ oder auch Tichys Ein­blick – wächst im Aus­land die Skep­sis vor bun­des­deut­schen Umsturzerzählungen.

Der tür­kisch-kema­lis­ti­schen Tages­zei­tung Aydın­lık habe ich nun ein aus­führ­li­ches Inter­view gege­ben, wor­in es ins­be­son­de­re um eben­je­ne Reichs­bür­ger-Far­ce, wach­sen­de AfD-Umfra­ge­zah­len und den »Kampf gegen rechts« geht. Zum Abschluß der 60. »Sam­mel­stel­le« sei daher noch kurz die­ser Hin­weis in eige­ner Sache gestattet. 

Die Zei­tung, die der Vat­an-Par­tei (vgl. Sezes­si­on 75) nahe­steht, wird auch unter in Deutsch­land leben­den Tür­ken gele­sen; die Druck­auf­la­ge beträgt etwas über 50.000, dazu kom­men die vor allem in Deutsch­land gehal­te­nen Online-Abos. Die Fra­gen stell­te Ali Mer­can, der 2018 als Gast­red­ner mit eini­gen Lands­leu­ten und Par­tei­freun­den die Som­mer­aka­de­mie des IfS in Schnell­ro­da besuch­te (vgl. Aka­de­mie­be­richt von Tano Ger­ke).

Ich hal­te es für wich­tig, daß gera­de auch in Deutsch­land leben­den Tür­ken die hie­si­ge Pro­pa­gan­da gegen volks­ori­en­tier­te Kräf­te erläu­tert wird. In der tür­ki­schen Main­stream-Pres­se erschei­nen AfD und wir ja ansons­ten – wie in der deut­schen – häu­fig als »ras­sis­ti­sches« und »men­schen­feind­li­ches« Schreck­ge­spenst. Daß auch künf­tig mehr türkischstämmige BRD-Bür­ger die­ses lin­ke Spiel durch­schau­en kön­nen, ist von nicht zu unter­schät­zen­der Bedeu­tung für real­po­li­ti­sches Aus­grei­fen über die eige­ne Bla­se hinaus. 

Davon abge­se­hen benö­ti­gen wir per­spek­ti­visch ohne­hin non­kon­for­me deutsch-tür­ki­sche Gesprächs­fo­ren, so daß der ent­spre­chen­de »Dis­kurs« nicht von SPD-Tür­ste­hern und grü­nen Moral­po­li­zis­ten kon­trol­liert wird. Für die­se Kräf­te ist jeder, der sich rund um AfD und Vor­feld posi­tio­niert, ein zu bekämp­fen­der Feind, gegen den jede Dif­fa­mie­rung recht ist.

Ali Mer­can sag­te ich im Inter­view deshalb:

Natür­lich wird es für die AfD durch Ver­leum­dungs­kam­pa­gnen und ein­zel­ne gestör­te Indi­vi­du­en schwie­ri­ger, ihre Anschluss­fä­hig­keit in bis­her noch nicht erreich­te Bevöl­ke­rungs­krei­se her­zu­stel­len. 

Das ist das Ziel des hege­mo­nia­len links­li­be­ra­len Lagers: Zemen­tie­rung der Mei­nungs­füh­rer­schaft, Demon­ta­ge oppo­si­tio­nel­ler Regun­gen bzw. min­des­tens ihre Iso­lie­rung am Ran­de der Gesell­schaft oder gar jen­seits dessen.

Nur las­sen wir das nicht wider­spruchs­frei zu, so ein­fach ist das. 

Falls jemand des Tür­ki­schen mäch­tig sein soll­te, fin­det er das Inter­view hier. In der Druck- und PDF-Aus­ga­be von Aydın­lık ist unser Gespräch auf Sei­te 2 der Aus­ga­be vom 19.12.22 zu finden.

Nach die­ser klei­nen Selbst­zi­ta­ti­on aus einem hier doch etwas unty­pi­schen Medi­um bleibt mir nur noch, allen Lesern der Sezes­si­on im all­ge­mei­nen und der »Sam­mel­stel­le« im beson­de­ren fro­he Weih­nachts­ta­ge und einen guten Start in ein wohl recht beweg­tes Jahr 2023 zu wün­schen. Auf bald!

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (22)

Niekisch

21. Dezember 2022 16:48

"Ali Mercan, der 2018 als Gastredner mit einigen Landsleuten und Parteifreunden die Sommerakademie des IfS in Schnellroda besuchte (vgl. Akademiebericht von Tano Gerke)." Da hieß es noch: "Mercan betonte dabei die nationalrevolutionäre Ausrichtung seiner Partei, die sich dabei besonders an Rußland (respektive dem Konzept Eurasien) orientiere, um der Hegemonialstellung der USA Einheit ( gemeint sicher Einhalt, Niekisch ) zu gewähren."

2018 wohl "Hosiannah", jetzt eher "Kreuziget ihn!" 

 

 

ALD

22. Dezember 2022 08:13

@Niekisch

Weder "Hosianna" 2018, noch "Kreuziget ihn" 2022. Weder mythisch überladenes Eurasiertum, noch mittelalterlich abgenutztes Orient VS. Okzident -, ergo Islam VS. Christentum - Gehabe.

Ratio und die Liebe zum Schönen und Wahren sind die Wegweiser zur Neuen Ordnung, bei der die Verständigung zwischen dem europäischen Motor Deutschland und dem westasiatischen Motor Türkei von nicht überschätzbarer Bedeutung sein wird.

Deshalb Dank an BK für sein mutiges Voranschreiten in diesem Entwicklungsprozess der gegenseitigen Annäherung!

Laurenz

22. Dezember 2022 10:10

@ALD @Niekisch

Deshalb Dank an BK für sein mutiges Voranschreiten in diesem Entwicklungsprozess der gegenseitigen Annäherung!

Das hat nichts mit irgendeiner Realität zu tun. Der Ukraine-Krieg hat Erdogan mit seiner Türkei, die völlig pleite ist, nochmal den Arsch gerettet. Zwar nutzt Erdogan die aktuelle Situation diplomatisch geschickt, aber es zeigt sich noch deutlicher als vorher, daß die Türkei ein unnatürlicher Fremdkörper in der Region ist. Die sunnitische Welt der Araber hat sich längst mit Israel geeinigt, aber die Türkei gehört, obwohl sunnitisch, nicht dazu & zum schiitischen Halbmond natürlich erst recht nicht. Auch wenn keine Fakedemie die Tourismusbranche der Türkei ruiniert, kann sich die Türkei, die Kriege, die sie führt, nicht leisten. Einerseits ist hier der Krieg im eigenen Land gegen die Kurden, andererseits das Engagement im Nord-Irak, wie auch in Nord-Syrien, zusätzlich dazu noch der Libyen-Konflikt. Ich kann natürlich hier jetzt viel behaupten, aber die Türkei wird zerrieben werden. Am Ende des Jahrhunderts wird Istanbul nicht mehr türkisch sein, sondern wieder orthodox. Deutschland täte gut daran, nicht in jedem Konflikt seit über 100 Jahren auf der Verliererseite zu stehen. Diese permanenten außenpolitischen Fehleinschätzungen, Afghanistan, Mali, Kosovo, Somalia, Ukraine sollten gerade uns Konservativen zu denken geben.

Hajo Blaschke

22. Dezember 2022 12:59

Laurenz, ich glaube, dass Sie mit Ihrer Prognose zur Türkei nicht richtig liegen. Und der angebliche Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten wird auch überspitzt. Die Türkei verfolgt im Verhältnis zum überwiegend schiitischen Aserbaidschan die Politik "Ein Volk, zwei Länder" und arbeitet mit Aserbaidschan auf allen Ebenen engstens zusammen.

Zwischen Russland und der Türkei gibt es viele Differenzen. Dennoch arbeiten beide Länder ebenfalls eng zusammen. Russland kann und wird dafür sorgen, dass es die Türkei am Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus geben wird. Russland selbst ist es auch egal, ob die Religion in der Türkei weiter islamisch bleibt oder, was ich bezweifle, orthodox sein wird.

Laurenz

22. Dezember 2022 16:27

@Hajo Blaschke @L.

Russland selbst ist es auch egal, ob die Religion in der Türkei weiter islamisch bleibt oder, was ich bezweifle, orthodox sein wird.

Das glauben Sie doch Selbst nicht. Sie wissen, daß die Kirche ein Bein der Macht Putins darstellt. Desweiteren schauen Sie Sich die ökonomischen Daten der Türkei an. Wenn ein Staat fertig hat, dann ist es die Türkei. Der einzige Grund, warum die Türkei überhaupt noch existiert, ist die funktionierende Agrarwirtschaft. Aber nichtsdestotrotz ist die Türkei in höchstem Maße instabil.

Das, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/wirtschaft-finanzen/Preisentwicklung.html

werter @Hajo Blaschke hält kein Staat länger durch, auch dann nicht, wenn ihm Aserbeidschan den Sprit schenkt.

Mitleser2

22. Dezember 2022 18:52

Off-topic: Bei Tichy wird gerade Maximilian Krah abgeschossen. Von Marco Gallina. Hatte der nicht was mit Petry zu tun? Ist auch egal. Aber diese Zerfleischung der Rechten ist absurd (klar ist Tichy eher wirtschaftskonservativ als rechts, aber verstehen muss man das trotzdem nicht).

Hajo Blaschke

22. Dezember 2022 19:24

Werter Laurenz, es ist der Prognose egal, was ich glaube.

Die Türkei hat für Russland eine existentielle Funktion. Und Russland wird nach allen Möglichkeiten dafür sorgen, dass die Türkei diese Funktion erfüllen kann. Russland hat vor nicht allzu langer Zeit der Türkei auch die Folterinstrumente gezeigt, indem es Boykotte gegen türkische Waren und die türkische Tourismusindustrie verhängt hat, was zu einer immensen Wirtschaftskrise führte.

Jetzt wird die Türkei als wichtiger Gasumschlagspunkt als Ersatz für Deutschland aufgebaut.

Da bei der Erfüllung der der Türkei zugedachten Funktion die Religion keine Rolle spielt, ist egal, ob dort Orthodoxie oder Islam herrschen.

Hajo Blaschke

22. Dezember 2022 19:34

@ Laurenz, stark verbunden mit dem Verhältnis zur Türkei ist die Funktion Aserbaidschans. Aserbaidschan wird von interessierter Seite immer Aggressivität gegen Armenien unterstellt. Das aggressive Verhältnis zu Armenien stimmt. Es ist aber so, dass Armenien z.Z. damit beschäftigt ist, sowohl die USA als auch die EU in Gestalt von Frankreich in den Konflikt mit Aserbaidschan hineinzuziehen. Das widerspricht total dem Interesse sowohl Russlands als auch der Türkei und dem Iran sowieso. Mit dieser für Armenien schädlichen Politik der armenischen Führung unter Paschinjan und der ständigen Vorwürfe seitens dieses Herrn, dass Russland nicht militärisch aktiv wird, soll wohl eine zweite Front für Russland eröffnet werden. 

Laurenz

23. Dezember 2022 06:41

@Hajo Blaschke @L.

Armenien

hat doch mit meiner längerfristigen Prognose nichts zu tun. Das orthodoxe Europa ist der schwächste Punkt der Nato, wie der EU. Denn, man kann diese kulturelle Verbindung, inklusive Griechenland, nicht einfach wegdiskutieren. Die Türken sitzen jetzt 570 Jahre am Bosporus & den Dardanellen. Die Orthodoxen vorher über 1k Jahre. Ich habe ja nicht die ultimative Vernichtung der Türkei prognostiziert, sondern das Bestreben der orthodoxen Welt, die Meerengen zurückzugewinnen. Hier stellt sich schlicht die Frage, wer dieser Region in den nächsten 50 Jahren mehr zu bieten hat? Die Chinesen oder die Amis? Solange Rußland die südasiatischen Steppen weiter kontrollieren kann, steht die Türkei in der jetzigen Konstellation alleine da.

Valjean72

23. Dezember 2022 10:11

Aus der Ferne betrachtet, wäre es mE allmählich an der Zeit, dass kommunale Mandatsträger der sächsischen CDU ihrer Partei den Rücken kehren. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie man als vernunftbegabter Politiker mit konservativer Ausrichtung solch eine verheerende Politik mitragen kann, wohlwissend, dass diese gerade in der heimatlichen Region auf grossen Widerstand und Unverständnis stösst.

Das Înterview auf Aydinlik habe ich mithilfe von Google-Translate gelesen. Intereressant fand ich das Zitat von AfD-Berater Marvin T. Neumann 

„Eine multiethnische, liberale Gesellschaft kann ohnehin nur mit maximaler Zensur überleben ... "

Karl

23. Dezember 2022 10:39

ZumThema:

"Davon abgesehen benötigen wir perspektivisch ohnehin nonkonforme deutsch-türkische Gesprächsforen, so daß der entsprechende »Diskurs« nicht von SPD-Türstehern und grünen Moralpolizisten kontrolliert werden."

empfehle ich dies Video von Huseyin Özoguz (verwandt mit der SPD-Politikerin Özoguz, z.Z.Europa-Parlament) der von den Hauptstrom-Medien - ob zutreffend oder nicht vermag ich nicht zubeurteilen - in die islamistische Ecke gesteckt wird. Link zum Video (Actuarium):

(831) An meine rechten Zuschauer: Wie prinzipientreu seid ihr wirklich? - YouTube

Laurenz

23. Dezember 2022 12:01

Ich wünsche der Redaktion, allen SiN-Teilnehmern, SiN-Lesern eine frohe Weihnacht, frostige Raunächte & einen guten Rutsch.

Habe hier den bewegenden Weihnachts-Werbespot der DocMorris-Online-Apotheke aus dem Kaaskopp-Land gefunden, die vor allem nach Deutschland verkauft. Gehört seit 10 Jahren wohl einem Schweizer Konzern.

Dieser Werbestreifen (die Kuhtreiber sagen Commercial) unterscheidet sich fundamental in den vielen Kleinigkeiten zu sonstiger woker Kotz-Werbung. Die Geschäftsführung weiß wohl, wer ihre Kunden sind.

Kann sein, daß ich die schon mal gepostet hatte. Kann man aber immer wieder anschauen, ist schön.

https://youtu.be/2N2eSsIWtNI

Hajo Blaschke

23. Dezember 2022 12:19

Werter Laurenz, es gibt nur eine Macht, die in der Lage wäre, die Dardanellen und den Bosporus zurückzuerobern. Das ist eindeutig Russland. Russland wird das aber, so glaube ich, nicht tun. Für Russland ist wichtig, dass russische Schiffe incl. Kriegsmarine immer freie Durchfahrt haben. Und das bestimmt in hohem Maße das Verhältnis beider Staaten zueinander. 

Hajo Blaschke

23. Dezember 2022 14:19

Ich wünsche dem Team des Rittergutes Steigroda und allen mit ihm Verbandelten ein Frohes Weihnachtsfest und erholsame Feiertage.

 

ALD

23. Dezember 2022 15:03

@Hajo Blaschke

Anmerkung zu Armenien: Paschinjan scheint sich derweil als durchaus wandlungsbereit zu präsentieren. So widersetzt er sich den Ultras im eigenen Land, die eine Zuspitzung der Konfrontationen herbeisehnen, und lässt immer wieder Kooperationsbereitschaft mit der Türkei aufblitzen. 2022 gab es mehrer Telefonate zwischen Erdoğan und Paschinjan. Erdoğan wünschte den Armeniern frohe Ostern und umgekehrt gratulierte Paschinjan zum Zuckerfest.

Allen ist bewusst; die Ordnung nach den dunklen Jahren der unipolaren Verfehlung wird in Westasien ohne eine Katastrophe wie damals ablaufen müssen! Wenn der Westen aufhörte sein Süppchen dort zu kochen, wäre der Weg zur Aussöhnung frei.

 

@Laurenz

Türkei und Russland werden die nächsten Jahrzehnte in allen Bereichen enger zusammenarbeiten. Das lässt sich praktisch gar nicht mehr umkehren. Russland und Türkei bedingen einander im 21. Jh.

Laurenz

23. Dezember 2022 15:09

@Hajo Blaschke

Für Russland ist wichtig, dass russische Schiffe incl. Kriegsmarine immer freie Durchfahrt haben.

Das ist politisch (aktuell) vollkommen richtig, interessiert aber die Kirche nicht. Die will in der Hagia Sophia wieder ihre Gottesdienste feiern. Wenn ich nicht selbst auf der Krim & in Kiew das Selbstverständnis orthodoxer Priester & Mönche persönlich kennengelernt hätte, würde ich erst gar nicht zu einer solchen Schlußfolgerung kommen. Die sind mit den Lackaffen der westlichen Kirchen in keiner Weise zu vergleichen. Falls Sie, Der_Jürgen oder sonstwer hier nähere Kontakte zur orthodoxen Kirche hätte, wäre es sicherlich interessant näheres über das Innenleben zu erfahren. Der aktuelle Konflikt, die Nato, die EU gehen quer durch orthodoxes Land. Wer glaubt den ernsthaft, das liefe ohne Interferenzen ab? Ich erachte das als extrem instabil.  https://www.laenderdaten.info/religionen/orthodoxe.php

Hajo Blaschke

23. Dezember 2022 18:20

ALD, Paschinjan versucht seit einiger Zeit die russische Friedensmission zwischen Armenien, Karabach und Aserbaidschan zu verunglimpfen und die USA und die EU in eine dann nicht mehr russische Mission zu hineinzuziehen. Das wird Russland nicht einfach zulassen. Paschinjan als Soros-Zögling schadet dem Friedensprozess und seinem eigenen Volk mehr als Aliejew.

Laurenz, es ist immer wieder erhebend, orthodoxen Priestern zuzuhören, das glaube ich Ihnen gerne. Aber die Russisch-Othodoxe Kirche wird nie in die Lage kommen, außenpolitische Schritte einer russischen Regierung vorzuschreiben oder zu veranlassen. In Russland selbst leben Millionen Mohammedaner und ich glaube nicht, dass eine russische Regierung diese Bewohner durch eine Aggression gegen mohammedanische Institutionen gegen sich aufbringen wird. Die Hagia Sophia ist für das Christentum verloren,

Laurenz

23. Dezember 2022 22:05

@ALD @L.

Türkei & Russland werden die nächsten Jahrzehnte in allen Bereichen enger zusammenarbeiten. Das lässt sich praktisch gar nicht mehr umkehren. Russland und Türkei bedingen einander im 21. Jh.

Beide Staaten agieren rein opportun, unterstützen zB in Libyen oder Syrien unterschiedliche Kräfte. Die Zusammenarbeit findet also nur dort statt, wo territoriale -, wie ökonomische Interessen sich überschneiden. Was Sie & HaJo Blaschke unterschätzen, ist der angeschlagene ökonomische Status der Türkei. Weder türkische Bürger noch der türkische Staat sind bei aktuellen Wechselkursen & o.g. Inflationsrate in der Lage in Fremdwährung aufgenommene Kredite zu bedienen, ein eklatantes Problem, denn kein Investor kauft türkische Lira. Ihre Sicht der Dinge funktioniert nur so lange, wie die AKP an der Macht bleibt. Erdogan ist auch schon 68. Gelangen die Kemalisten jemals wieder an die Macht, war's das mit Ihrer Beider politischen Einschätzung. Istanbul ist bereits wieder kemalistisch. Und natürlich macht sich Rußland auch jetzt Gedanken darum, was sein wird, wenn die Kemalisten wieder dran sind.

Hajo Blaschke

24. Dezember 2022 12:52

Werter Laurenz, was Sie opportun nennen, ist Diplomatie. Nicht das, was wir von geistesbeschränkten Darstellern aus Europa und vor allem aus Deutschland kennen.

Dass die Lira Schwierigkeiten steckt, ist bekannt. Es ist aber abzuwarten, dass Russland, welches die Türkei als Erdgas- und Erdölumschlagpunkt aufbaut, Handel mit Rubel und Lira abwickeln wird.

Mitleser2

24. Dezember 2022 13:57

Die Frage ist, sind die Kemalisten westlich orientiert, oder nur anti-Sultan?

Laurenz

25. Dezember 2022 09:41

@Hajo Blaschke

Diplomatie ist vonnöten, um bei Meinungsverschiedenheiten Interessenausgleich herzustellen, also das, was der Westen den Russen seit 30 Jahren verweigerte.

Eine ökonomische Verflechtung ist der normale Zustand. Manchmal bedarf es einer Wirtschaftsförderung, der Punkt an dem Politik unterstützend tätig sein kann.

Auf der Währung bildet sich eine ganze Ökonomie ab. Die Weimarer Republik wurde aufgrund ihrer schwachen Währung, vor allem aus den USA leer gekauft, eben weil die Politik hier nicht eingegriffen hatte, zB das in Asien übliche Verbot für Devisenausländer Grund/Boden zu erwerben.

Wenn die Türken zB in Währungsfragen Unterstützung brauchen, wären die politischen Zugeständnisse der Türkei in dieser Größenordnung intern kaum zu rechtfertigen. Da geht es nicht um 3 Euro 80.

Laurenz

25. Dezember 2022 10:13

@Mitleser2 (2)

Ähnlich Putin, versuchte Erdogan bis etwa 2006 vom Westen anerkannt zu werden. Aber, wie Putin, zeigte der Westen Erdogan die kalten Schulter, finanziert bis heute viele NGOs, die Erdogan seiner Macht berauben sollen. Den Putsch können wir auch hier einordnen. https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_T%C3%BCrkei_2016

Sie können davon ausgehen, daß unter kemalistischer Herrschaft, die Russen Schwierigkeiten bekommen würden, den Bosporus in der gewohnten Art nutzen zu können. Nato-Marinen haben schon mehrfach das Aufenthaltsrecht von Kriegsschiffen gebrochen. Aber wer sollte da das explizite Seerecht durchsetzen?

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