Was war passiert? In einem sächsischen Kreistag hat die CDU-Basis das getan, was sie nach Ansicht von Merkel, Merz und Co. nicht darf: in Sachfragen mit der Alternative für Deutschland stimmen.
Es gelte, so hat es die Parteiführung kürzlich erst erneuert, eine »Brandmauer« gegen rechts. Wer sich daran nicht halte, werde ausgeschlossen. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, daß es freilich keine vergleichbare schwarze Mauer gegen links gibt, im Gegenteil: In Thüringen stützt man sogar die rot-rot-grüne Minderheitsregierung, Gender-Antrag hin oder her.
Bei Stefan Locke kann man die sächsischen Neuigkeiten ein wenig (zu) alarmistisch im Ton nachlesen. In der FAZ (v. 17.12.2022) titelt er: »Bröckelnde Brandmauer in Sachsen?« Locke führt ein:
Anfang der Woche stand im Bautzner Kreistag ein AfD-Antrag zur Abstimmung, der wohl kaum beachtet worden wäre — hätte ihm nicht die CDU zur Mehrheit verholfen. Allein können die 29 AfD-Kreisräte wenig ausrichten, aber mit der CDU-Fraktion, die ebenso viele Mitglieder hat, stellen sie die meisten der 97 Kreistagsabgeordneten.
Die AfD-Kreistagsfraktion fordert in ihrem Antrag den Landrat dazu auf,
die Integrationsleitlinien des Landkreises so zu überarbeiten, dass künftig ausländische Staatsangehörige von Leistungen der Integration ausgenommen sind, welche im Bundesgebiet kein Aufenthaltsrecht haben und vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sind”. Ausgenommen werden sollen Personen, die über eine geklärte Identität verfügen, ihre Ausreise „nicht rechtsmissbräuchlich verhindern” und sich intensiv um Integration bemühten.
So weit, so vernünftig-realistisch.
Was dann passierte, kann der Leser bereits ahnen:
47 Kreisräte, 28 von der AfD und 19 von der CDU, stimmten dem zu, womit schnell die Frage aufkam, ob damit der Abgrenzungsbeschluss der Union und insbesondere die AfD-Linie von Parteichef Friedrich Merz unterminiert werden.
Das wurde dem ersten Christdemokraten übrigens bereits unangenehm und er distanzierte sich nach massivem öffentlichen Druck von seinem eigenen Abstimmungsverhalten. Die Sächsische Zeitung (v. 20.12.2022) berichtet über CDU-Kreisrat David Statnik, der auf Facebook geschrieben habe:
Ich habe zum Zeitpunkt meiner Entscheidung die politische Tragweite meines Handelns nicht beachtet. Dafür möchte ich mich entschuldigen. In den vergangenen Tagen habe ich viele Gespräche geführt. Diese haben mir verdeutlicht, wie stark ich Menschen enttäuscht habe.
Der Vorsitzende des Bunds Lausitzer Sorben entschuldigte sich sogar bei seinen Mitgliedern:
Unsere Organisation steht für Weltoffenheit. Dies will ich mit meiner falschen Entscheidung nicht infrage stellen.
Statniks Distanzierung von sich selbst und die Selbstkasteiung nach massivem linkem Druck zeigen erstens, wie ängstlich mitunter selbst Basis-CDU-Apparatschiks sind, die ja eigentlich wissen müßten, daß das Abstimmungsverhalten eine Mehrheit in der Bevölkerung fände.
Zweitens verdeutlicht es die Abwesenheit von Ideologiekritikern von Format im deutschen Journalismus. Denn gäbe es sie, würden derlei Anflüge von angsterfüllter Selbstkritik perfektes Material zur Sprach- und Machtkritik bieten, mindestens aber nicht auch noch als mutig und couragiert mißinterpretiert werden.
Ein anderer CDU-Abgeordneter, der Fraktionsvorsitzende Matthias Grahl, distanziert sich derweil aber nicht. Er verteidigt die Abstimmung so nüchtern wie konsequent:
Auf kommunaler Ebene entscheiden wir nach Sachfragen, da können wir uns keinen Eiertanz und keine Kindergartenspiele leisten.
Der Antrag sei in der Sache richtig, so der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Er entspreche
unserer Überzeugung sowie der einer Mehrheit unserer Wähler und auch der Bevölkerung,
was in der Tat eines der Hauptmotive sein dürfte, gegen die Empfehlungen aus Dresden und Berlin an der Seite der AfD gestimmt zu haben: Die Angst vor weiteren künftigen Verlusten an die AfD, die in Bautzen und Umgebung längst eine stabile 30-Prozent-Position ausbauen konnte. AfD wirkt – hier stimmt der Slogan tatsächlich.
Während Grüne, Linke, SPD und die entsprechenden Medien toben, beweist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erneut, daß er (bzw. sein Beraterstab) ein Gespür für Stimmungen im Volk besitzt:
Den Bautzner AfD-Antrag wertet Kretschmer zwar als “Provokation”, darüber hinaus will er sich jedoch nicht äußern,
was pflichtbewußt sein Adlatus Alexander Dierks übernimmt. Sachsens smarter CDU-Generalsekretär
bekräftigt, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD „völlig ausgeschlossen” sei.
Geschenkt: Wenn in drei, vier oder sieben Jahren der eigene Machterhalt von dieser Frage abhängen sollte, dürfte das Zitat aus dieser »Sammelstelle« längst vergessen und korrigiert sein.
Ein wenig Wasser in den Wein muß natürlich dennoch bereits jetzt gegossen werden: Der gemeinsame AfD-CDU-Beschluß ist faktisch nämlich folgenlos, wie die FAZ zu berichten weiß. Von 713 ausreisepflichtigen Asylbewerbern im Landkreis Bautzen besäßen 400 von ihnen eine Duldung, die anderen hätten keinen Paß. Nur auf diese 313 Menschen träfe der Beschluß zwar zu, doch:
Einen Mindestanspruch auf Existenzsicherung aber hätten auch sie, stellte das Sozialministerium klar; das regelten Bundesgesetze, an denen ein Kreistagsbeschluss nichts ändere. Bei den Integrationsleistungen wiederum handelt es sich meist um Sprachkurse oder Beratungen zur Kita und Schulpflicht, die oft von Vereinen angeboten und vom Landkreis gefördert werden. Der sächsische Flüchtlingsrat hält den Antrag deshalb für „Stimmungsmache”. An der Realität werde er kaum etwas ändern,
was einerseits ärgerlich sein mag, andererseits ohnehin nachrangig ist.
Bei der Bautzner Abstimmung geht es um mehr: Um die ersten sehr zaghaften Emanzipationsversuche einiger christdemokratischer Politiker aus der dritten Reihe von der Bevormundung aus Berlin. Ob mehr daraus werden kann, zeigt die Zeit, und ob das eventuelle »Mehr« aus opportunistischen oder inhaltlichen Motiven erfolgt, ist für das AfD-Ausgreifen sekundär.
Wichtig ist die Botschaft, daß die »Brandmauer« gegen rechts stetiger Interventionen von höherer Stelle aus bedarf; sie ist und bleibt vielerorts künstlich und wird wie alles Artifizielle früher oder später (eher letzteres) auseinanderfallen.
Sehr gelegen kommt dem politisch-medialen Komplex daher die Debatte um »Reichsbürger« und »Putschpläne«. Man ergreift jeden Strohhalm, um der AfD zu schaden; sogar eine Verbotsdebatte wird angeheizt.
In der linken Tageszeitung nd. DerTag (ehemals: neues deutschland) wird das Thema (Ausgabe v. 21.12.2022) entsprechend hoch gehängt:
Seit der Razzia bei den sogenannten Reichsbürgern wird verstärkt über ein Verbot der AfD diskutiert. Politiker der Grünen sind dafür. Thüringens Innenminister Georg Maier hatte sich kürzlich sogar dafür ausgesprochen, ein Verbotsverfahren möglichst schnell vorzubereiten.
Daß ein SPD-Minister just aus Thüringen das Verbotsverfahren fordert, kann nicht verwundern. Selbst das linke nd weiß:
In Thüringen steht sie [die AfD; B.K.] in Umfragen mit 25 Prozent auf dem ersten Platz. Im Herbst 2024 wird ein neuer Landtag gewählt. Dann dürfte es schwer werden, erneut eine Koalition gegen sie zu bilden.
Was verschwiegen wird: Die SPD steht nicht einmal bei der Hälfte. Gemäß einer aktuellen Umfrage von Wahlkreisprognose.de steht die AfD sogar bei 30 Prozent – die SPD hingegen bei einem Drittel davon, bei 10 Prozent (Linke: 27, CDU: 15).
Angesichts solcher Zahlen aus Thüringen und solcher Nachrichten aus Sachsen muß das Establishment ein Kippen der beiden mitteldeutschen Kernländer weiterhin fürchten. Auch vor diesem Hintergrund muß also die Reichsbürger-Posse als entsprechendes Machtinstrument eingeordnet werden.
Während aber deutschsprachige Medien immer noch zu unkritisch an die offiziösen »Narrative« herantreten – rar gesäte Ausnahmen sind wie so oft NZZ oder auch Tichys Einblick – wächst im Ausland die Skepsis vor bundesdeutschen Umsturzerzählungen.
Der türkisch-kemalistischen Tageszeitung Aydınlık habe ich nun ein ausführliches Interview gegeben, worin es insbesondere um ebenjene Reichsbürger-Farce, wachsende AfD-Umfragezahlen und den »Kampf gegen rechts« geht. Zum Abschluß der 60. »Sammelstelle« sei daher noch kurz dieser Hinweis in eigener Sache gestattet.
Die Zeitung, die der Vatan-Partei (vgl. Sezession 75) nahesteht, wird auch unter in Deutschland lebenden Türken gelesen; die Druckauflage beträgt etwas über 50.000, dazu kommen die vor allem in Deutschland gehaltenen Online-Abos. Die Fragen stellte Ali Mercan, der 2018 als Gastredner mit einigen Landsleuten und Parteifreunden die Sommerakademie des IfS in Schnellroda besuchte (vgl. Akademiebericht von Tano Gerke).
Ich halte es für wichtig, daß gerade auch in Deutschland lebenden Türken die hiesige Propaganda gegen volksorientierte Kräfte erläutert wird. In der türkischen Mainstream-Presse erscheinen AfD und wir ja ansonsten – wie in der deutschen – häufig als »rassistisches« und »menschenfeindliches« Schreckgespenst. Daß auch künftig mehr türkischstämmige BRD-Bürger dieses linke Spiel durchschauen können, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für realpolitisches Ausgreifen über die eigene Blase hinaus.
Davon abgesehen benötigen wir perspektivisch ohnehin nonkonforme deutsch-türkische Gesprächsforen, so daß der entsprechende »Diskurs« nicht von SPD-Türstehern und grünen Moralpolizisten kontrolliert wird. Für diese Kräfte ist jeder, der sich rund um AfD und Vorfeld positioniert, ein zu bekämpfender Feind, gegen den jede Diffamierung recht ist.
Ali Mercan sagte ich im Interview deshalb:
Natürlich wird es für die AfD durch Verleumdungskampagnen und einzelne gestörte Individuen schwieriger, ihre Anschlussfähigkeit in bisher noch nicht erreichte Bevölkerungskreise herzustellen.
Das ist das Ziel des hegemonialen linksliberalen Lagers: Zementierung der Meinungsführerschaft, Demontage oppositioneller Regungen bzw. mindestens ihre Isolierung am Rande der Gesellschaft oder gar jenseits dessen.
Nur lassen wir das nicht widerspruchsfrei zu, so einfach ist das.
Falls jemand des Türkischen mächtig sein sollte, findet er das Interview hier. In der Druck- und PDF-Ausgabe von Aydınlık ist unser Gespräch auf Seite 2 der Ausgabe vom 19.12.22 zu finden.
Nach dieser kleinen Selbstzitation aus einem hier doch etwas untypischen Medium bleibt mir nur noch, allen Lesern der Sezession im allgemeinen und der »Sammelstelle« im besonderen frohe Weihnachtstage und einen guten Start in ein wohl recht bewegtes Jahr 2023 zu wünschen. Auf bald!
Niekisch
"Ali Mercan, der 2018 als Gastredner mit einigen Landsleuten und Parteifreunden die Sommerakademie des IfS in Schnellroda besuchte (vgl. Akademiebericht von Tano Gerke)." Da hieß es noch: "Mercan betonte dabei die nationalrevolutionäre Ausrichtung seiner Partei, die sich dabei besonders an Rußland (respektive dem Konzept Eurasien) orientiere, um der Hegemonialstellung der USA Einheit ( gemeint sicher Einhalt, Niekisch ) zu gewähren."
2018 wohl "Hosiannah", jetzt eher "Kreuziget ihn!"