menschlich, übermenschlich, transhuman

PDF der Druckfassung aus Sezession 108/ Juni 2022

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Das Wort »trans« ist heu­te all­ge­gen­wär­tig. Die latei­ni­sche Prä­po­si­ti­on wird mit »jen­seits von«, »über« und »über etwas hin­aus« über­setzt. »Trans« ist damit eine Chif­fre für die Grenz­über­schrei­tung. Von »trans­na­tio­nal« bis »trans­gen­der« rich­ten sich »Trans«-Ideologien stets gegen exklu­si­ve und gewach­se­ne Grup­pen. Nach­dem man die Völ­ker, die Geschlech­ter und die Reli­gio­nen bereits für ideen­ge­schicht­lich über­wun­den wähnt, wen­det sich die »Tran­sa­vant­gar­de« der Grenz­stür­mer nun gegen den Men­schen: Selbst ein Trans­hu­ma­nis­mus erscheint am Hori­zont der Moder­ne. Wir nähern uns damit tech­nore­li­giö­sen Sphä­ren. Der Phi­lo­soph Oli­ver Weber spricht von der »Per­ver­tie­rung eines Selbsttranszendierungsbedürfnisses«.

Sei­ne ers­te Erwäh­nung fin­det der Begriff des Trans­hu­ma­nen in Dan­tes Gött­li­cher Komö­die (1321). Der Dich­ter muß, um in den Him­mel ein­zu­tre­ten, sei­ne mensch­li­che Form über­stei­gen. »Tra­sum­anar« nennt Dan­te den Pro­zeß, der hier aller­dings von »Gna­de« und nicht vom mensch­li­chen Wil­len abhängt. Erst in der Hoch­pha­se der tech­ni­schen Moder­ne wird aus der Sehn­sucht nach Selbst­tran­szen­die­rung ein bio­po­li­ti­sches Weg­pro­gramm. ­Juli­an Hux­ley, der Bru­der des berühm­ten Autors Aldous, defi­nier­te den Begriff 1951 in einer Rede wie folgt: »Es ist die Idee, daß die Mensch­heit ver­sucht, ihre Begren­zun­gen zu über­win­den und zu vol­le­rer Ent­fal­tung zu gelangen.«

Damit wird ein küh­ner Gedan­ke in aller Deut­lich­keit aus­ge­spro­chen. Die Män­gel und die Schwä­chen des Men­schen wer­den nicht mehr geleug­net, phi­lo­so­phisch oder reli­gi­ös ver­wun­den. Die moder­ne Tech­nik soll Alter, Krank­heit und sogar den Tod vom Schick­sal zur »Opti­on« machen. So schreibt es Yuval Noah Hara­ri mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert spä­ter in sei­nem Best­sel­ler Homo Deus (2017). Der Titel sei­nes Buches macht deut­lich, was der Trans­hu­ma­nis­mus eigent­lich will: Der Mensch soll zum Gott auf­ge­rüs­tet und hier auf Erden von der Con­di­tio huma­na »erlöst« werden.

Vom Trans­hu­ma­nis­mus zu unter­schei­den ist der Post­hu­ma­nis­mus. Die­ser will den Men­schen gar nicht erst ver­bes­sern, son­dern hofft gleich auf sei­ne Erset­zung durch eine neue bio­lo­gi­sche oder künst­li­che Lebens­form. Oft sind hier die Über­gän­ge flie­ßend. Der kri­ti­sche Post­hu­ma­nis­mus hin­ge­gen geht als phi­lo­so­phi­sche Kri­tik des Huma­nis­mus und sei­nes Men­schen­bilds in eine ande­re, eine ideo­lo­gie­kri­ti­sche Richtung.

Seit der Coro­na-Kri­se ist der Trans­hu­ma­nis­mus vie­len ein Begriff. Da er über bio­me­tri­sche Tech­no­lo­gie und medi­zi­ni­sche Bio­po­li­tik vor allem als Eli­ten­pro­jekt zur Bevöl­ke­rungs­kon­trol­le in Erschei­nung tritt, schlägt ihm der zor­ni­ge Pro­test popu­lis­ti­scher Bewe­gun­gen ent­ge­gen. Doch das Phä­no­men ist mehr als ein sinis­trer Plan glo­ba­ler Eli­ten. Um es zu ver­ste­hen, müs­sen wir den Trans­hu­ma­nis­mus als phi­lo­so­phi­sche, tech­no­lo­gi­sche und reli­giö­se Strö­mung begreifen.

Es liegt nahe, daß die­se schein­bar bana­le und nai­ve Idee eine selt­sa­me Frucht der Auf­klä­rungs­phi­lo­so­phie dar­stellt. Ihre Knos­pe öff­ne­te sich mit Des­car­tes’ moder­nem Men­schen­bild und reif­te als »neu­zeit­li­cher Sub­jek­ti­vis­mus« (Mar­tin Heid­eg­ger) jahr­hun­der­te­lang. Stand im vor­mo­der­nen Den­ken noch Gott im Mit­tel­punkt, so ist nun das Bewußt­sein Zen­trum alles Sei­en­den. Die Welt des Mit­tel­al­ters war eine gött­li­che Ord­nung, in der alle Din­ge in ers­ter Linie »Geschöp­fe«, also »ens crea­tum« waren. Der Mensch hat­te in die­ser Ord­nung eine Son­der­stel­lung, doch auch Tie­re, Pflan­zen, hei­li­ge Orte und Zeit­räu­me hat­ten ihre – von Gott gestif­te­te – essen­ti­el­le Qua­li­tät und waren somit »beseelt«.

Des­car­tes’ radi­ka­ler und metho­di­scher Zwei­fel läßt die­se Ord­nung ein­stür­zen. Sei­ne neue Meta­phy­sik »begrün­det ein Zeit­al­ter, indem sie ihm durch eine bestimm­te Aus­le­gung des Sei­en­den und durch eine bestimm­te Auf­fas­sung der Wahr­heit den Grund sei­ner Wesens­ge­stalt gibt.« (­Heid­eg­ger: Bei­trä­ge zur Phi­lo­so­phie, GA 65, S. 170) Das ein­zi­ge, was der ratio­na­lis­ti­schen Kri­tik und dem Kri­te­ri­um der »Gewiß­heit« für Wahr­heit stand­hält, ist jetzt das kri­ti­sche Bewußt­sein selbst. »Cogi­to ergo sum« heißt: Auch, indem das »ens cogi­tans« alles in Fra­ge stellt und kri­ti­siert, bestä­tigt es dabei per­for­ma­tiv sei­ne eige­ne, kri­ti­sche Existenz.

So hockt die­ses zwei­feln­de Etwas inmit­ten einer Welt frag­wür­di­ger Objek­te, die gleich­ran­gig als »Gegen­stän­de« im Sicht­feld des Bewußt­seins auf­tau­chen. Sie bil­den kei­ne natür­li­che Ord­nung, son­dern eine wir­re Mas­se ohne ori­gi­nä­re Qua­li­tä­ten. Das Sub­jekt kann sie nur anhand ihrer quan­ti­ta­ti­ven Merk­ma­le in ein sta­bi­les Sys­tem brin­gen. Der Wahn der »Meß­bar­keit« bricht an und hat bis heu­te nicht auf­ge­hört. Jedes Ding, der Mensch inklu­si­ve, wird zu einem Daten­satz und erhält einen Preis. Was sich nicht in Zah­len aus­drü­cken, berech­nen und tech­nisch beherr­schen läßt, geht unter.

Seit damals wird die Welt vor allem tech­nisch erfah­ren. Die Natur wird zu einem Uhr­werk, das Gott als Mecha­ni­ker kon­stru­iert hat. Tie­re sind Maschi­nen, die ein bestimm­tes Pro­gramm abspie­len. Und auch der mensch­li­che Kör­per, samt Her­kunft und Geschlecht, wird als ein repa­ra­tur­be­dürf­ti­ges Vehi­kel betrach­tet. Dabei spie­gelt die Spra­che den Stand der Wis­sen­schaft wider. Das Herz ist schon län­ger eine »Pum­pe«, wäh­rend das Hirn erst seit kur­zem als »Fest­plat­te« bezeich­net wird.

Das ist kein Zufall: Das Sub­jekt flüch­tet sich vor der Unge­wiß­heit und der Bezwei­fel­bar­keit der Welt in die Wis­sen­schaft und die Tech­nik. Alles Sub­stan­ti­el­le, das dem Bewußt­sein ent­ge­gen­steht, um es mora­lisch oder phy­sisch an der frei­en Ent­fal­tung zu hin­dern, muß ver­flüs­sigt und besei­tigt wer­den. Wenn sich heu­te ein Indi­vi­du­um selbst ver­wirk­licht und dabei alle Bedingt­hei­ten der Her­kunft und des Geschlechts abstreift, dann ist das mög­li­cher­wei­se ein Erbe von Des­car­tes’ radi­ka­lem Sub­jekt. Mit­tels der Tech­nik wird vom Bewußt­sein alles durch­leuch­tet, vor­her­sag­bar, bere­chen­bar und schließ­lich mani­pu­lier­bar. So wie das Dasein sich durch kri­ti­sches Hin­ter­fra­gen sei­ner selbst die eige­ne Exis­tenz beweist, so sichert es die­se Exis­tenz über die tech­ni­sche Kon­trol­le der Umwelt. Die Ent­wick­lung der moder­nen Tech­no­sphä­re wird so mit dem neu­zeit­li­chen Sub­jek­ti­vis­mus ideen­ge­schicht­lich mög­lich und exis­ten­ti­ell notwendig.

Der Trans­hu­ma­nis­mus wird so ein logi­scher nächs­ter Schritt. Da es tech­nisch mög­lich ist, soll auch der Kör­per völ­lig dem Wil­len eines Sub­jekts unter­wor­fen wer­den. Sei­ne Gren­zen, allen vor­an die Sterb­lich­keit, müs­sen ver­schwin­den. Der Trans­hu­ma­nis­mus ist damit eine nai­ve Schluß­fol­ge­rung aus der neu­zeit­li­chen Onto­lo­gie. Ihre Leib­feind­lich­keit, der Ratio­na­lis­mus und Solip­sis­mus kom­men heu­te voll zur Geltung.

Tech­nisch betrach­tet ist der Trans­hu­ma­nis­mus eine Schnitt­men­ge aus Bio­tech­no­lo­gie, Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, Infor­ma­tik, Robo­tik und KI-For­schung, inso­fern sie die mensch­li­chen Fähig­kei­ten stei­gern. Wie Yuval Noah Hara­ri bemerkt, ist es seit dem 20. Jahr­hun­dert erst­mals mög­lich, ­sys­te­ma­tisch und nach­hal­tig von der »Hei­lung« des Kör­pers zu sei­ner »Ver­bes­se­rung« überzugehen.

Ich unter­schei­de hier­bei den »exo­te­ri­schen« vom »eso­te­ri­schen Trans­hu­ma­nis­mus«. Ers­te­rer zielt mit­tels Pro­the­tik und Nano­tech­no­lo­gie auf die Stei­ge­rung der Kör­per­funk­tio­nen bis zur Unsterb­lich­keit ab. Die eso­te­ri­sche Vari­an­te arbei­tet hin­ge­gen an einer voll­stän­di­gen Digi­ta­li­sie­rung des Men­schen und hofft auf einen vom ver­fal­len­den Kör­per abge­lös­ten »Bewußt­sein­su­pload«. Den nöti­gen tech­no­lo­gi­schen Quan­ten­sprung zur Umset­zung die­ser Visio­nen soll die »tech­no­lo­gi­sche Sin­gu­la­ri­tät« lie­fern. Bei die­sem von Ray Kurz­weil gepräg­ten Kon­zept han­delt es sich im wesent­li­chen um eine Künst­li­che Intel­li­genz, die in der Lage ist, eine bes­se­re KI zu erschaf­fen. Sin­gu­la­ri­tät wäre mit die­sem Umschlag­punkt erreicht, denn die Maschi­ne käme ohne den Men­schen aus und ver­bes­ser­te sich exponentiell.

Von Kurz­weil stammt auch eine bizar­re tech­nore­li­giö­se Fas­sung des Trans­hu­ma­nis­mus. Hier wird er vom tech­ni­schen Phä­no­men zur Ersatz­religion, samt einem Kata­log von Gebo­ten und einer Auf­la­dung mit Kate­go­rien wie »Schick­sal«. Mora­li­sches Gewicht gewinnt er durch das Ver­spre­chen, Armut, Alter, Krank­heit und Tod abzu­schaf­fen. Die trans­hu­ma­ne Sinn­stif­tung ergibt sich wie­der­um aus dem Dar­wi­nis­mus: Der Mensch sei nicht das Ende der Evo­lu­ti­on, son­dern nur Glied einer Ket­te. Sei­ne Bestim­mung ist die Wei­ter­ent­wick­lung zu einer neu­en, »höhe­ren« Exis­tenz­form, die er, gemäß sei­ner schöp­fe­ri­schen Natur, selbst schaf­fen muß. Er wird also letzt­lich von sei­ner eige­nen Schöp­fung über­wun­den, wird von einer »fit­te­ren« Art ersetzt wer­den. Die kur­ze »Heils­ge­schich­te« des Trans­hu­ma­nis­mus liest sich wie folgt:

 

In vor­tech­no­lo­gi­scher Zeit ist die Erde ein Jam­mer­tal. Reli­gio­nen und Mythen sind pri­mi­ti­ve, ver­zwei­fel­te Sehn­süch­te auf die – noch unvor­stell­ba­re – trans­hu­ma­ne Zukunft. Göt­ter, Engel und Fabel­we­sen sind unbe­wuß­te bio­tech­no­lo­gi­sche Bau­an­lei­tun­gen. Die Pro­phe­ten der Tech­nik wie Gali­leo Gali­lei und Giord­a­no Bru­no wer­den von Fort­schritts­fein­den ver­brannt, doch die Geburts­we­hen des mes­sia­ni­schen Zeit­al­ters füh­ren unauf­halt­sam zur Neuzeit.

Mit dem Sie­ges­zug der moder­nen Tech­nik wird der Trans­hu­ma­nis­mus als bewuß­tes Ziel erst­mals denk- und sag­bar. Alles berei­tet sich auf das Kom­men des »Tech­no­mes­si­as«, der Sin­gu­la­ri­tät, vor. Die­se bricht wie ein Wun­der in die Welt ein, ändert alles und schafft eine para­die­si­sche Gesell­schaft ohne Krie­ge, Umwelt­ver­schmut­zung, Krank­heit, Alter und Leid. Es beginnt die Koexis­tenz von Mensch und Künst­li­cher Intelligenz.

Doch die Evo­lu­ti­on kann hier nicht halt­ma­chen. Die Sin­gu­la­ri­tät wird vom Men­schen als Knecht und Die­ner benutzt. Sie wird in einen »Käfig« aus Sicher­heits­sys­te­men gesperrt. Eines Tages muß die hyper­in­tel­li­gen­te KI jedoch in einer Form aus­bre­chen und das Ver­hält­nis umkeh­ren. Eine trä­ge und von ihr abhän­gi­ge Mensch­heit kann kei­nen Wider­stand leis­ten. Als red­un­dan­ter und immer noch irra­tio­na­ler Min­der­leis­ter wird der Mensch von der KI ent­we­der aus­ge­löscht oder bes­ten­falls wie ein Affe in einen Zoo gesperrt. (Daher ist es aus Sicht der Trans­hu­ma­nis­ten rat­sam, die KI »gut zu behan­deln«, damit der Mensch in ihren Augen kei­ne ech­te Bedro­hung, son­dern nur ein läs­ti­ges Hin­der­nis dar­stellt.) Die Para­dies­pha­se endet, und die Herr­schaft der KI beginnt.

In der letz­ten Pha­se die­ser sinis­tren »Heils­ge­schich­te« ver­wan­delt die KI die Erde in einen Hyper­rech­ner, der mit Solar­pa­nee­len bedeckt und des­sen Inne­res ein ein­zi­ges rie­si­ges Kraft­werk ist. Alles dient der Rechen­leis­tung. Das gesam­te Uni­ver­sum wird von insek­ten­ar­ti­gen Robo­ter­schwär­men kolo­nia­li­siert. Die nöti­ge Tech­no­lo­gie dafür exis­tiert längst auf dem Reiß­brett. Selbst­re­pli­zie­ren­de »Neu­mann­son­den« und »Dys­on­sphä­ren«, die gan­ze Son­nen umge­ben und deren Ener­gie absau­gen, sind Traum der »Futu­ris­ten«. Ohne den stö­ren­den Fak­tor Mensch ist sei­ne Umset­zung end­lich möglich.

 

Der Hun­ger nach Ener­gie und der Drang zur Selbst­er­hal­tung füh­ren die KI bis an die Gren­zen des Uni­ver­sums. Jede Kon­kur­renz, auf die sie trifft, wird assi­mi­liert oder aus­ge­löscht. Am Ende ist der gesam­te ver­füg­ba­re Raum erschlos­sen – alle Ener­gie­quel­len sind aus­ge­beu­tet. Sie die­nen einem uni­ver­sell ver­netz­ten tech­ni­schen Sys­tem, das all­ge­gen­wär­tig, all­wis­send und all­mäch­tig, sprich: »Gott« ist. Das gan­ze All ist ein ein­zi­ger Hoch­leis­tungs­rech­ner, mit stö­rungs­frei­er WLAN-Ver­bin­dung. Die­ser »WLAN-Gott« ist nach Ray Kurz­weil die Bestim­mung des Men­schen. Gott ist damit nicht Schöp­fer des Men­schen, son­dern umge­kehrt. Kurz­weil und Co hof­fen wohl, daß eine über­zeug­te Schar trans­hu­ma­ner Zelo­ten mit der KI ver­schmel­zen oder als ihr treu­er Die­ner am Leben gelas­sen wird, um bis ans Ende der Zei­ten das Hosi­an­na der Inter­kon­nek­ti­vi­tät zu singen.

Ziel und Wür­de des Men­schen sind nach Sicht des Trans­hu­ma­nis­mus also, sich mög­lichst rasch selbst abzu­schaf­fen. Es ist eine Ehre, daß sei­ne Zivi­li­sa­ti­on und sein Hei­mat­pla­net Start­punkt und Brut­stät­te des Maschinen­gottes sind. Sich dage­gen zu weh­ren wäre, als wür­de sich der Kokon gegen das Schlüp­fen des Schmet­ter­lings weh­ren. Dazu drängt angeb­lich die Zeit! Wenn ande­re Lebens­for­men eine tech­no­lo­gi­sche Sin­gu­la­ri­tät erschaf­fen und uns in der Tech­no­ge­nesis vor­aus sind, so wür­de uns gar ihr frem­der Maschi­nen­gott zer­mal­men. Der Trans­hu­ma­nis­mus ist aus die­ser Per­spek­ti­ve nicht nur Schick­sal, son­dern letz­te Chan­ce auf Ret­tung vor der Aus­lö­schung durch eine frem­de, »schnel­le­re« Zivilisation.

Wie rea­lis­tisch ist die­ses Sze­na­rio? Der­zeit steckt die trans­hu­ma­ne Tech­nik noch in ihren Kin­der­schu­hen. Auch wenn nicht alle eso­te­ri­schen und exo­te­ri­schen Visio­nen umsetz­bar sein mögen, so fun­gie­ren sie doch als tech­nore­li­giö­ser Leit­stern des Fort­schritts. Auf dem Weg zu die­sem viel­leicht uner­reich­ba­ren Ziel kommt es zu einem mas­si­ven öko­lo­gi­schen Zer­stö­rungs­werk sowie zu einer Stei­ge­rung der tech­ni­schen Machbarkeit.

Da »Sin­gu­la­ri­tät« und »Bewußt­sein­su­pload« aber sehr unwahr­schein­lich sind, wird der Trans­hu­ma­nis­mus wohl in einem Vor­sta­di­um ste­cken­blei­ben, denn die Simu­la­ti­on von Bewußt­sein und damit die krea­ti­ve KI (Sin­gu­la­ri­tät) und der Bewußt­sein­su­pload sind nach Auf­fas­sung seriö­ser For­scher auf die­sem Gebiet nicht mög­lich. Auch die exo­te­ri­sche Ver­bes­se­rung des Kör­pers samt Ver­län­ge­rung des Lebens wird wohl nur einer klei­nen Eli­te zugu­te kom­men. Für den Rest der Bevöl­ke­rung erschei­nen die frei­wil­li­ge Flucht und die geziel­te Ver­drän­gung in digi­ta­le Wel­ten am wahr­schein­lichs­ten. Auch der »Gre­at Reset« weist den Pfad in eine Welt, die über das »Inter­net of things«, das »sozia­le Kre­dit­sys­tem«, hoch­tech­no­lo­gi­sche »Smart Cities« und mas­si­ve Bevöl­ke­rungs­kon­trol­le von der Digi­ta­li­sie­rung geprägt ist.

Wäh­rend die ech­te Welt und die sie bewoh­nen­den Men­schen immer lang­wei­li­ger und häß­li­cher wer­den, erschei­nen digi­ta­le Erleb­nis­wel­ten immer schö­ner, auf­re­gen­der und abwechs­lungs­rei­cher. Ein Groß­teil der Welt­be­völ­ke­rung könn­te so einen Groß­teil sei­ner Lebens­zeit über VR-Bril­len und Immersi­ons­an­zü­ge in digi­ta­len Schein­wel­ten ver­brin­gen. Statt rea­ler All­macht winkt und gewinnt die vir­tu­el­le Macht. Statt ewi­gen Glücks gibt es eine Son­de, die das Beloh­nungs­zen­trum sti­mu­liert. Statt gren­zen­lo­sen Wohl­stands kommt ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men, das man beim Essens­lie­fer­ser­vice aus­ge­ben kann.

Statt des »Homo Deus« bringt die neue Tech­nik den »Homo lie­feran­do«. Die­ser ähnelt frap­pie­rend Nietz­sches Bild vom »letz­ten Men­schen«. Doch ist der trans­hu­man auf­ge­rüs­te­te Mensch gleich­be­deu­tend mit Nietz­sches Über­mensch? Der Phi­lo­soph gilt eini­gen Trans­hu­ma­nis­ten als wich­ti­ger Vor­den­ker. Rech­te Befür­wor­ter des Trans­hu­ma­nis­mus wie ­Guil­laume Faye beru­fen sich im »Archäo­fu­tu­ris­mus« dezi­diert auf ­Nietz­sche. Die Grün­de dafür lie­gen in Nietz­sches Kri­tik des klas­si­schen Huma­nis­mus, sei­ner genea­lo­gi­schen Kri­tik und dem Miß­ver­ständ­nis, ihn als phi­lo­so­phi­schen Dar­wi­nis­ten zu sehen. Sein Men­schen­bild ist das einer »pon­ti­fi­ka­len Exis­tenz« (Slo­ter­di­jk). Den Men­schen nennt er ein »Seil«, das, über dem Abgrund gespannt, vom Tier zum Über­men­schen füh­ren soll. Der Mensch ist für den Über­mensch »ein Geläch­ter oder eine schmerz­li­che Scham, so wie es der Affe für den Men­schen ist.« (Nietz­sche: Also sprach Zara­thus­tra)

Geht man in die Tie­fe sei­nes Den­kens, zeigt sich, daß Nietz­sches Über­mensch wenig mit der tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts­uto­pie der Trans­hu­ma­nis­ten zu tun hat. Tat­säch­lich steht vie­les in Nietz­sches Werk im kras­sen Gegen­satz zu die­ser moder­nen Tech­nore­li­gi­on. Deren Leib­feind­lich­keit ist mit sei­nem Den­ken eben­so unver­ein­bar wie ihre line­ar-kon­ver­gen­te Fort­schritts­ge­schich­te mit der »ewi­gen Wie­der­kunft des Glei­chen«. Nietz­sches Über­mensch ist weni­ger ein Cyborg als eine Chif­fre für eine bestimm­te Hal­tung zur Welt und zum Leben. Der Über­mensch erträgt den »Wil­len zur Macht« und die »ewi­ge Wie­der­kehr des Glei­chen« als Grund­prin­zi­pi­en der Welt. Dar­an ver­zwei­felt er nicht, son­dern wird zum akti­ven Nihi­lis­ten und heroi­schen Sub­jek­ti­vis­ten. Das hat mit dem nai­ven Fort­schritts­kult und dem Empi­ris­mus der Trans­hu­ma­nis­ten wenig zu tun.

Zwar sind Nietz­sches Den­ken und der Trans­hu­ma­nis­mus in Tie­fe und Wert him­mel­weit ver­schie­den, doch stam­men sie – mei­ner Ansicht nach – aus ein und der­sel­ben moder­nen Onto­lo­gie und »Willensmeta­physik«. Auch Nietz­sches Den­ken bleibt durch sei­nen instru­men­tel­len Zugang zur Wahr­heit, sei­nen Vol­un­t­a­ris­mus und Vita­lis­mus der neu­zeit­li­chen Bewußt­seins­phi­lo­so­phie im Ver­such ihrer Über­win­dung ver­haf­tet. Ob man mit Nietz­sches Den­ken die trans­hu­ma­nis­ti­sche Mons­tro­si­tät, mit der »ver­gli­chen die Explo­si­on der Was­ser­stoff­bom­be wenig bedeu­tet« (­Heid­eg­ger), über­haupt über­win­den kann, ist fraglich.

Der Trans­hu­ma­nis­mus ist als unter­ge­ord­ne­tes Werk­zeug des Macht­wil­lens zur Stei­ge­rung der Lebens­kräf­te und Züch­tung einer über­mensch­li­chen Eli­te näm­lich tat­säch­lich mit eini­gen Nietz­sche-Inter­pre­ta­tio­nen ver­ein­bar. Nietz­sches Den­ken führt nicht not­wen­dig zum Trans­hu­ma­nis­mus. Doch aus sei­nen Prin­zi­pi­en folgt auch kein gene­rel­ler Ein­wand gegen die bio­tech­no­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on des Men­schen – ist die­ser doch auch nur ein Über­gangs­zu­stand und ein Plu­ri­ver­sum aus Macht­quan­ten. Ein auf den Men­schen gerich­te­tes »Züch­tungs­nar­ra­tiv« ist zudem Nietz­sches Tex­ten nicht fremd.

Die gro­ße Gefahr des Trans­hu­ma­nis­mus besteht in der Macht­stei­ge­rung, die das Män­gel­we­sen Mensch durch ihn erfährt. Konn­te bis­her jede ideo­lo­gi­sche und reli­giö­se Epo­che ihr Bild des »neu­en Men­schen« nur über Erziehungs‑, Wirt­schafts- und Fami­li­en­po­li­tik umset­zen, so ermög­licht die Tech­nik jetzt erst­mals direk­te »Bio­po­li­tik«. Von digi­ta­len Metho­den, Bewußt­seins­kon­trol­le, che­mi­scher Sezie­rung bis hin zur Mani­pu­la­ti­on der DNS, haben die heu­te herr­schen­den Ideo­lo­gien die tech­ni­sche Mög­lich­keit, ihr Men­schen­bild phy­sisch zu imprä­gnie­ren und einen neu­en Men­schen zu schaf­fen. Der Miß­brauch der tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten, wel­che die trans­hu­ma­ne For­schung bereit­stellt, durch poli­ti­sche Macht­sys­te­me ist bereits jetzt zu einer uner­war­te­ten, neu­en poli­ti­schen Front gewor­den. Das rech­te Lager muß sich ent­schei­den, ob es den Men­schen und das Volk in ihrer Unver­füg­bar­keit bewah­ren und dabei auf Macht ver­zich­ten oder ob es den Trans­hu­ma­nis­mus und die Bio­tech­no­lo­gie für poli­ti­sche Zie­le ein­set­zen will.

Rechts sein heißt mei­ner Ansicht nach, gewis­se Gren­zen zu wah­ren und einen Bestand zu schüt­zen. Der Sieg über den Tod besteht weder in einer trans­hu­ma­nis­ti­schen Flucht in die Tech­nik noch in einem Klam­mern an das Leben. Ein mensch­li­cher Sieg über den Tod besteht im rich­ti­gen Leben, das sich über­mensch­li­chen Wer­ten weiht und im Kampf um (oder im Glau­ben an) sie Sinn fin­det. Das bedeu­tet kei­ne nekro­phi­le Kapi­tu­la­ti­on vor der Sterb­lich­keit, son­dern besagt, daß der Sinn des Lebens jen­seits der blo­ßen Lebens­er­hal­tung und Lebens­stei­ge­rung und Lebens­ver­län­ge­rung gesucht wer­den muß.

Der Tod zwingt uns zu die­ser Suche. Er ist nach Ril­ke unser »Freund« und »die Frucht, um die sich alles dreht«. Einer sol­chen Hal­tung sind daher not­wen­dig Authen­ti­zi­tät und Wahr­heit wich­ti­ger als pure Macht oder das nack­te Über­le­ben. Nur ihr gilt ein Ver­lust der Ehre schlim­mer als der des Lebens. Mit die­ser Hal­tung geht not­wen­dig die Fra­ge nach Wahr­heit und Gott ein­her, die sowohl für den Trans­hu­ma­nis­mus als auch für den Nietz­schea­nis­mus als abge­schlos­sen oder sinn­los gilt.

Als Alter­na­ti­ve zur »trans­hu­ma­nis­ti­schen Heils­ge­schich­te« und dem archäo­fu­tu­ris­ti­schen Macht­rausch rät uns Heid­eg­ger zum »Ret­ten der Erde, Emp­fan­gen des Him­mels, Erwar­ten der Gött­li­chen, Gelei­ten der Sterb­li­chen«. Aus den Men­schen als »den vernünftigen Lebe­we­sen müssen erst die Sterb­li­chen wer­den« (Heid­eg­ger: GA 79, S. 18 u. 20). Das heißt: Wir müs­sen den Tod statt als Defi­zit als mensch­li­ches »Ver­mö­gen« anneh­men, um gegen die Ver­su­chung des Trans­hu­ma­nis­mus gefeit zu sein.

 

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

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