Das Wort »trans« ist heute allgegenwärtig. Die lateinische Präposition wird mit »jenseits von«, »über« und »über etwas hinaus« übersetzt. »Trans« ist damit eine Chiffre für die Grenzüberschreitung. Von »transnational« bis »transgender« richten sich »Trans«-Ideologien stets gegen exklusive und gewachsene Gruppen. Nachdem man die Völker, die Geschlechter und die Religionen bereits für ideengeschichtlich überwunden wähnt, wendet sich die »Transavantgarde« der Grenzstürmer nun gegen den Menschen: Selbst ein Transhumanismus erscheint am Horizont der Moderne. Wir nähern uns damit technoreligiösen Sphären. Der Philosoph Oliver Weber spricht von der »Pervertierung eines Selbsttranszendierungsbedürfnisses«.
Seine erste Erwähnung findet der Begriff des Transhumanen in Dantes Göttlicher Komödie (1321). Der Dichter muß, um in den Himmel einzutreten, seine menschliche Form übersteigen. »Trasumanar« nennt Dante den Prozeß, der hier allerdings von »Gnade« und nicht vom menschlichen Willen abhängt. Erst in der Hochphase der technischen Moderne wird aus der Sehnsucht nach Selbsttranszendierung ein biopolitisches Wegprogramm. Julian Huxley, der Bruder des berühmten Autors Aldous, definierte den Begriff 1951 in einer Rede wie folgt: »Es ist die Idee, daß die Menschheit versucht, ihre Begrenzungen zu überwinden und zu vollerer Entfaltung zu gelangen.«
Damit wird ein kühner Gedanke in aller Deutlichkeit ausgesprochen. Die Mängel und die Schwächen des Menschen werden nicht mehr geleugnet, philosophisch oder religiös verwunden. Die moderne Technik soll Alter, Krankheit und sogar den Tod vom Schicksal zur »Option« machen. So schreibt es Yuval Noah Harari mehr als ein halbes Jahrhundert später in seinem Bestseller Homo Deus (2017). Der Titel seines Buches macht deutlich, was der Transhumanismus eigentlich will: Der Mensch soll zum Gott aufgerüstet und hier auf Erden von der Conditio humana »erlöst« werden.
Vom Transhumanismus zu unterscheiden ist der Posthumanismus. Dieser will den Menschen gar nicht erst verbessern, sondern hofft gleich auf seine Ersetzung durch eine neue biologische oder künstliche Lebensform. Oft sind hier die Übergänge fließend. Der kritische Posthumanismus hingegen geht als philosophische Kritik des Humanismus und seines Menschenbilds in eine andere, eine ideologiekritische Richtung.
Seit der Corona-Krise ist der Transhumanismus vielen ein Begriff. Da er über biometrische Technologie und medizinische Biopolitik vor allem als Elitenprojekt zur Bevölkerungskontrolle in Erscheinung tritt, schlägt ihm der zornige Protest populistischer Bewegungen entgegen. Doch das Phänomen ist mehr als ein sinistrer Plan globaler Eliten. Um es zu verstehen, müssen wir den Transhumanismus als philosophische, technologische und religiöse Strömung begreifen.
Es liegt nahe, daß diese scheinbar banale und naive Idee eine seltsame Frucht der Aufklärungsphilosophie darstellt. Ihre Knospe öffnete sich mit Descartes’ modernem Menschenbild und reifte als »neuzeitlicher Subjektivismus« (Martin Heidegger) jahrhundertelang. Stand im vormodernen Denken noch Gott im Mittelpunkt, so ist nun das Bewußtsein Zentrum alles Seienden. Die Welt des Mittelalters war eine göttliche Ordnung, in der alle Dinge in erster Linie »Geschöpfe«, also »ens creatum« waren. Der Mensch hatte in dieser Ordnung eine Sonderstellung, doch auch Tiere, Pflanzen, heilige Orte und Zeiträume hatten ihre – von Gott gestiftete – essentielle Qualität und waren somit »beseelt«.
Descartes’ radikaler und methodischer Zweifel läßt diese Ordnung einstürzen. Seine neue Metaphysik »begründet ein Zeitalter, indem sie ihm durch eine bestimmte Auslegung des Seienden und durch eine bestimmte Auffassung der Wahrheit den Grund seiner Wesensgestalt gibt.« (Heidegger: Beiträge zur Philosophie, GA 65, S. 170) Das einzige, was der rationalistischen Kritik und dem Kriterium der »Gewißheit« für Wahrheit standhält, ist jetzt das kritische Bewußtsein selbst. »Cogito ergo sum« heißt: Auch, indem das »ens cogitans« alles in Frage stellt und kritisiert, bestätigt es dabei performativ seine eigene, kritische Existenz.
So hockt dieses zweifelnde Etwas inmitten einer Welt fragwürdiger Objekte, die gleichrangig als »Gegenstände« im Sichtfeld des Bewußtseins auftauchen. Sie bilden keine natürliche Ordnung, sondern eine wirre Masse ohne originäre Qualitäten. Das Subjekt kann sie nur anhand ihrer quantitativen Merkmale in ein stabiles System bringen. Der Wahn der »Meßbarkeit« bricht an und hat bis heute nicht aufgehört. Jedes Ding, der Mensch inklusive, wird zu einem Datensatz und erhält einen Preis. Was sich nicht in Zahlen ausdrücken, berechnen und technisch beherrschen läßt, geht unter.
Seit damals wird die Welt vor allem technisch erfahren. Die Natur wird zu einem Uhrwerk, das Gott als Mechaniker konstruiert hat. Tiere sind Maschinen, die ein bestimmtes Programm abspielen. Und auch der menschliche Körper, samt Herkunft und Geschlecht, wird als ein reparaturbedürftiges Vehikel betrachtet. Dabei spiegelt die Sprache den Stand der Wissenschaft wider. Das Herz ist schon länger eine »Pumpe«, während das Hirn erst seit kurzem als »Festplatte« bezeichnet wird.
Das ist kein Zufall: Das Subjekt flüchtet sich vor der Ungewißheit und der Bezweifelbarkeit der Welt in die Wissenschaft und die Technik. Alles Substantielle, das dem Bewußtsein entgegensteht, um es moralisch oder physisch an der freien Entfaltung zu hindern, muß verflüssigt und beseitigt werden. Wenn sich heute ein Individuum selbst verwirklicht und dabei alle Bedingtheiten der Herkunft und des Geschlechts abstreift, dann ist das möglicherweise ein Erbe von Descartes’ radikalem Subjekt. Mittels der Technik wird vom Bewußtsein alles durchleuchtet, vorhersagbar, berechenbar und schließlich manipulierbar. So wie das Dasein sich durch kritisches Hinterfragen seiner selbst die eigene Existenz beweist, so sichert es diese Existenz über die technische Kontrolle der Umwelt. Die Entwicklung der modernen Technosphäre wird so mit dem neuzeitlichen Subjektivismus ideengeschichtlich möglich und existentiell notwendig.
Der Transhumanismus wird so ein logischer nächster Schritt. Da es technisch möglich ist, soll auch der Körper völlig dem Willen eines Subjekts unterworfen werden. Seine Grenzen, allen voran die Sterblichkeit, müssen verschwinden. Der Transhumanismus ist damit eine naive Schlußfolgerung aus der neuzeitlichen Ontologie. Ihre Leibfeindlichkeit, der Rationalismus und Solipsismus kommen heute voll zur Geltung.
Technisch betrachtet ist der Transhumanismus eine Schnittmenge aus Biotechnologie, Neurowissenschaften, Informatik, Robotik und KI-Forschung, insofern sie die menschlichen Fähigkeiten steigern. Wie Yuval Noah Harari bemerkt, ist es seit dem 20. Jahrhundert erstmals möglich, systematisch und nachhaltig von der »Heilung« des Körpers zu seiner »Verbesserung« überzugehen.
Ich unterscheide hierbei den »exoterischen« vom »esoterischen Transhumanismus«. Ersterer zielt mittels Prothetik und Nanotechnologie auf die Steigerung der Körperfunktionen bis zur Unsterblichkeit ab. Die esoterische Variante arbeitet hingegen an einer vollständigen Digitalisierung des Menschen und hofft auf einen vom verfallenden Körper abgelösten »Bewußtseinsupload«. Den nötigen technologischen Quantensprung zur Umsetzung dieser Visionen soll die »technologische Singularität« liefern. Bei diesem von Ray Kurzweil geprägten Konzept handelt es sich im wesentlichen um eine Künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, eine bessere KI zu erschaffen. Singularität wäre mit diesem Umschlagpunkt erreicht, denn die Maschine käme ohne den Menschen aus und verbesserte sich exponentiell.
Von Kurzweil stammt auch eine bizarre technoreligiöse Fassung des Transhumanismus. Hier wird er vom technischen Phänomen zur Ersatzreligion, samt einem Katalog von Geboten und einer Aufladung mit Kategorien wie »Schicksal«. Moralisches Gewicht gewinnt er durch das Versprechen, Armut, Alter, Krankheit und Tod abzuschaffen. Die transhumane Sinnstiftung ergibt sich wiederum aus dem Darwinismus: Der Mensch sei nicht das Ende der Evolution, sondern nur Glied einer Kette. Seine Bestimmung ist die Weiterentwicklung zu einer neuen, »höheren« Existenzform, die er, gemäß seiner schöpferischen Natur, selbst schaffen muß. Er wird also letztlich von seiner eigenen Schöpfung überwunden, wird von einer »fitteren« Art ersetzt werden. Die kurze »Heilsgeschichte« des Transhumanismus liest sich wie folgt:
In vortechnologischer Zeit ist die Erde ein Jammertal. Religionen und Mythen sind primitive, verzweifelte Sehnsüchte auf die – noch unvorstellbare – transhumane Zukunft. Götter, Engel und Fabelwesen sind unbewußte biotechnologische Bauanleitungen. Die Propheten der Technik wie Galileo Galilei und Giordano Bruno werden von Fortschrittsfeinden verbrannt, doch die Geburtswehen des messianischen Zeitalters führen unaufhaltsam zur Neuzeit.
Mit dem Siegeszug der modernen Technik wird der Transhumanismus als bewußtes Ziel erstmals denk- und sagbar. Alles bereitet sich auf das Kommen des »Technomessias«, der Singularität, vor. Diese bricht wie ein Wunder in die Welt ein, ändert alles und schafft eine paradiesische Gesellschaft ohne Kriege, Umweltverschmutzung, Krankheit, Alter und Leid. Es beginnt die Koexistenz von Mensch und Künstlicher Intelligenz.
Doch die Evolution kann hier nicht haltmachen. Die Singularität wird vom Menschen als Knecht und Diener benutzt. Sie wird in einen »Käfig« aus Sicherheitssystemen gesperrt. Eines Tages muß die hyperintelligente KI jedoch in einer Form ausbrechen und das Verhältnis umkehren. Eine träge und von ihr abhängige Menschheit kann keinen Widerstand leisten. Als redundanter und immer noch irrationaler Minderleister wird der Mensch von der KI entweder ausgelöscht oder bestenfalls wie ein Affe in einen Zoo gesperrt. (Daher ist es aus Sicht der Transhumanisten ratsam, die KI »gut zu behandeln«, damit der Mensch in ihren Augen keine echte Bedrohung, sondern nur ein lästiges Hindernis darstellt.) Die Paradiesphase endet, und die Herrschaft der KI beginnt.
In der letzten Phase dieser sinistren »Heilsgeschichte« verwandelt die KI die Erde in einen Hyperrechner, der mit Solarpaneelen bedeckt und dessen Inneres ein einziges riesiges Kraftwerk ist. Alles dient der Rechenleistung. Das gesamte Universum wird von insektenartigen Roboterschwärmen kolonialisiert. Die nötige Technologie dafür existiert längst auf dem Reißbrett. Selbstreplizierende »Neumannsonden« und »Dysonsphären«, die ganze Sonnen umgeben und deren Energie absaugen, sind Traum der »Futuristen«. Ohne den störenden Faktor Mensch ist seine Umsetzung endlich möglich.
Der Hunger nach Energie und der Drang zur Selbsterhaltung führen die KI bis an die Grenzen des Universums. Jede Konkurrenz, auf die sie trifft, wird assimiliert oder ausgelöscht. Am Ende ist der gesamte verfügbare Raum erschlossen – alle Energiequellen sind ausgebeutet. Sie dienen einem universell vernetzten technischen System, das allgegenwärtig, allwissend und allmächtig, sprich: »Gott« ist. Das ganze All ist ein einziger Hochleistungsrechner, mit störungsfreier WLAN-Verbindung. Dieser »WLAN-Gott« ist nach Ray Kurzweil die Bestimmung des Menschen. Gott ist damit nicht Schöpfer des Menschen, sondern umgekehrt. Kurzweil und Co hoffen wohl, daß eine überzeugte Schar transhumaner Zeloten mit der KI verschmelzen oder als ihr treuer Diener am Leben gelassen wird, um bis ans Ende der Zeiten das Hosianna der Interkonnektivität zu singen.
Ziel und Würde des Menschen sind nach Sicht des Transhumanismus also, sich möglichst rasch selbst abzuschaffen. Es ist eine Ehre, daß seine Zivilisation und sein Heimatplanet Startpunkt und Brutstätte des Maschinengottes sind. Sich dagegen zu wehren wäre, als würde sich der Kokon gegen das Schlüpfen des Schmetterlings wehren. Dazu drängt angeblich die Zeit! Wenn andere Lebensformen eine technologische Singularität erschaffen und uns in der Technogenesis voraus sind, so würde uns gar ihr fremder Maschinengott zermalmen. Der Transhumanismus ist aus dieser Perspektive nicht nur Schicksal, sondern letzte Chance auf Rettung vor der Auslöschung durch eine fremde, »schnellere« Zivilisation.
Wie realistisch ist dieses Szenario? Derzeit steckt die transhumane Technik noch in ihren Kinderschuhen. Auch wenn nicht alle esoterischen und exoterischen Visionen umsetzbar sein mögen, so fungieren sie doch als technoreligiöser Leitstern des Fortschritts. Auf dem Weg zu diesem vielleicht unerreichbaren Ziel kommt es zu einem massiven ökologischen Zerstörungswerk sowie zu einer Steigerung der technischen Machbarkeit.
Da »Singularität« und »Bewußtseinsupload« aber sehr unwahrscheinlich sind, wird der Transhumanismus wohl in einem Vorstadium steckenbleiben, denn die Simulation von Bewußtsein und damit die kreative KI (Singularität) und der Bewußtseinsupload sind nach Auffassung seriöser Forscher auf diesem Gebiet nicht möglich. Auch die exoterische Verbesserung des Körpers samt Verlängerung des Lebens wird wohl nur einer kleinen Elite zugute kommen. Für den Rest der Bevölkerung erscheinen die freiwillige Flucht und die gezielte Verdrängung in digitale Welten am wahrscheinlichsten. Auch der »Great Reset« weist den Pfad in eine Welt, die über das »Internet of things«, das »soziale Kreditsystem«, hochtechnologische »Smart Cities« und massive Bevölkerungskontrolle von der Digitalisierung geprägt ist.
Während die echte Welt und die sie bewohnenden Menschen immer langweiliger und häßlicher werden, erscheinen digitale Erlebniswelten immer schöner, aufregender und abwechslungsreicher. Ein Großteil der Weltbevölkerung könnte so einen Großteil seiner Lebenszeit über VR-Brillen und Immersionsanzüge in digitalen Scheinwelten verbringen. Statt realer Allmacht winkt und gewinnt die virtuelle Macht. Statt ewigen Glücks gibt es eine Sonde, die das Belohnungszentrum stimuliert. Statt grenzenlosen Wohlstands kommt ein bedingungsloses Grundeinkommen, das man beim Essenslieferservice ausgeben kann.
Statt des »Homo Deus« bringt die neue Technik den »Homo lieferando«. Dieser ähnelt frappierend Nietzsches Bild vom »letzten Menschen«. Doch ist der transhuman aufgerüstete Mensch gleichbedeutend mit Nietzsches Übermensch? Der Philosoph gilt einigen Transhumanisten als wichtiger Vordenker. Rechte Befürworter des Transhumanismus wie Guillaume Faye berufen sich im »Archäofuturismus« dezidiert auf Nietzsche. Die Gründe dafür liegen in Nietzsches Kritik des klassischen Humanismus, seiner genealogischen Kritik und dem Mißverständnis, ihn als philosophischen Darwinisten zu sehen. Sein Menschenbild ist das einer »pontifikalen Existenz« (Sloterdijk). Den Menschen nennt er ein »Seil«, das, über dem Abgrund gespannt, vom Tier zum Übermenschen führen soll. Der Mensch ist für den Übermensch »ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham, so wie es der Affe für den Menschen ist.« (Nietzsche: Also sprach Zarathustra)
Geht man in die Tiefe seines Denkens, zeigt sich, daß Nietzsches Übermensch wenig mit der technologischen Fortschrittsutopie der Transhumanisten zu tun hat. Tatsächlich steht vieles in Nietzsches Werk im krassen Gegensatz zu dieser modernen Technoreligion. Deren Leibfeindlichkeit ist mit seinem Denken ebenso unvereinbar wie ihre linear-konvergente Fortschrittsgeschichte mit der »ewigen Wiederkunft des Gleichen«. Nietzsches Übermensch ist weniger ein Cyborg als eine Chiffre für eine bestimmte Haltung zur Welt und zum Leben. Der Übermensch erträgt den »Willen zur Macht« und die »ewige Wiederkehr des Gleichen« als Grundprinzipien der Welt. Daran verzweifelt er nicht, sondern wird zum aktiven Nihilisten und heroischen Subjektivisten. Das hat mit dem naiven Fortschrittskult und dem Empirismus der Transhumanisten wenig zu tun.
Zwar sind Nietzsches Denken und der Transhumanismus in Tiefe und Wert himmelweit verschieden, doch stammen sie – meiner Ansicht nach – aus ein und derselben modernen Ontologie und »Willensmetaphysik«. Auch Nietzsches Denken bleibt durch seinen instrumentellen Zugang zur Wahrheit, seinen Voluntarismus und Vitalismus der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie im Versuch ihrer Überwindung verhaftet. Ob man mit Nietzsches Denken die transhumanistische Monstrosität, mit der »verglichen die Explosion der Wasserstoffbombe wenig bedeutet« (Heidegger), überhaupt überwinden kann, ist fraglich.
Der Transhumanismus ist als untergeordnetes Werkzeug des Machtwillens zur Steigerung der Lebenskräfte und Züchtung einer übermenschlichen Elite nämlich tatsächlich mit einigen Nietzsche-Interpretationen vereinbar. Nietzsches Denken führt nicht notwendig zum Transhumanismus. Doch aus seinen Prinzipien folgt auch kein genereller Einwand gegen die biotechnologische Transformation des Menschen – ist dieser doch auch nur ein Übergangszustand und ein Pluriversum aus Machtquanten. Ein auf den Menschen gerichtetes »Züchtungsnarrativ« ist zudem Nietzsches Texten nicht fremd.
Die große Gefahr des Transhumanismus besteht in der Machtsteigerung, die das Mängelwesen Mensch durch ihn erfährt. Konnte bisher jede ideologische und religiöse Epoche ihr Bild des »neuen Menschen« nur über Erziehungs‑, Wirtschafts- und Familienpolitik umsetzen, so ermöglicht die Technik jetzt erstmals direkte »Biopolitik«. Von digitalen Methoden, Bewußtseinskontrolle, chemischer Sezierung bis hin zur Manipulation der DNS, haben die heute herrschenden Ideologien die technische Möglichkeit, ihr Menschenbild physisch zu imprägnieren und einen neuen Menschen zu schaffen. Der Mißbrauch der technologischen Möglichkeiten, welche die transhumane Forschung bereitstellt, durch politische Machtsysteme ist bereits jetzt zu einer unerwarteten, neuen politischen Front geworden. Das rechte Lager muß sich entscheiden, ob es den Menschen und das Volk in ihrer Unverfügbarkeit bewahren und dabei auf Macht verzichten oder ob es den Transhumanismus und die Biotechnologie für politische Ziele einsetzen will.
Rechts sein heißt meiner Ansicht nach, gewisse Grenzen zu wahren und einen Bestand zu schützen. Der Sieg über den Tod besteht weder in einer transhumanistischen Flucht in die Technik noch in einem Klammern an das Leben. Ein menschlicher Sieg über den Tod besteht im richtigen Leben, das sich übermenschlichen Werten weiht und im Kampf um (oder im Glauben an) sie Sinn findet. Das bedeutet keine nekrophile Kapitulation vor der Sterblichkeit, sondern besagt, daß der Sinn des Lebens jenseits der bloßen Lebenserhaltung und Lebenssteigerung und Lebensverlängerung gesucht werden muß.
Der Tod zwingt uns zu dieser Suche. Er ist nach Rilke unser »Freund« und »die Frucht, um die sich alles dreht«. Einer solchen Haltung sind daher notwendig Authentizität und Wahrheit wichtiger als pure Macht oder das nackte Überleben. Nur ihr gilt ein Verlust der Ehre schlimmer als der des Lebens. Mit dieser Haltung geht notwendig die Frage nach Wahrheit und Gott einher, die sowohl für den Transhumanismus als auch für den Nietzscheanismus als abgeschlossen oder sinnlos gilt.
Als Alternative zur »transhumanistischen Heilsgeschichte« und dem archäofuturistischen Machtrausch rät uns Heidegger zum »Retten der Erde, Empfangen des Himmels, Erwarten der Göttlichen, Geleiten der Sterblichen«. Aus den Menschen als »den vernünftigen Lebewesen müssen erst die Sterblichen werden« (Heidegger: GA 79, S. 18 u. 20). Das heißt: Wir müssen den Tod statt als Defizit als menschliches »Vermögen« annehmen, um gegen die Versuchung des Transhumanismus gefeit zu sein.