Welches andere Milieu ist ähnlich souverän, derart offene Debatten über seine Kernbegriffe zu führen? Was Simon Kießling in Das neue Volk vorschlägt, lehne ich ab. Ungeachtet dessen begrüße ich die Debatte über rechte Strategien, in die sich dieser Band einfügt.
Das Kaplaken brilliert vor allem mit seiner klaren Lagebeschreibung. Als “gelernter Rechter” kennt man es natürlich längst. Doch Kießling gelingt es, die Agonie des alternden Volkes inmitten der modernen Welt treffend, unbarmherzig und schmerzhaft plastisch in Worte zu fassen. Doch entscheidend ist seine Antwort auf die Frage: „Was tun?“.
Der Autor listet drei Ansätze auf: die „bürgerliche Revolte“ nach Markus Krall, die „Reconquista“ und die „Strategie der Sammlung“. Alle drei lehnt er ab, sieht er in ihnen doch „eine uninspirierte, biedere, blutleere Verteidigung einer überkommenen Substanz“ (Kießling, S.8). Sie stellen einen „Weg ins Niemandsland der Geschichte“ dar. (S.36)
Stattdessen plädiert er dafür, „einen neuen Anfang zu wagen, eine Zukunft zu erkämpfen, eine Idee zu entwickeln, eine neue Welt auszubrüten.“ (S. 11) Das meint konkret ein „kommendes Volk“, das sich an die die existierenden (demographischen) Realitäten“ (S.85) anpaßt und sich daher „aus Menschen verschiedener ethnokultureller Herkunft zusammensetzt.“ (S.78)
Kießling nennt hier immer wieder explizit fremde Elemente, denn weder Herkunft noch Tradition einen das “kommende Volk”. Überkommene „alte Mythen“ seien passé, stattdessen gelte es, einen „neuen gemeinschaftsbildenden Mythos“ zu erschaffen (S. 73). Diese Aufgabe obliegt einem ebenfalls multiethnischen „Elite-Kern“, der sich zu einem „handlungsfähigen Volkszusammenhang zusammenfindet“ (S.77)
Meine Kritik an Kießlings Thesen erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Bereits die geschichtsphilosophische Einordnung der Gegenwart ist meines Erachtens kritikwürdig. Sie oszilliert zwischen hegelianischer, evolianischer und spenglerischer Geschichtsphilosophie. Die von Kießling häufig verwendete Methode der Analogie soll ein “schicksalhaftes“ Ende unseres Volkes belegen. Doch diese Vergleiche unterschlagen Entscheidendes!
Nicht nur wird die Auswirkung des Ethnomasochismus auf den politisch bedingten Bevölkerungsaustausch kaum beachtet, sondern positive Beispiele ethnokultureller Substanzbewahrung von Japan über Ungarn bis Israel bleiben ebenfalls unerwähnt.
Aus dieser unzutreffenden Lageanalyse ergeben sich unzutreffende Schlußfolgerungen. Selbst wenn man Kießling geschichtsphilosophisch folgt, würden ein Zerfall der Völker und eine Retribalisierung wohl eher zu noch exklusiveren, ethnisch homogeneren Gruppen führen. Ethnogenesen aus unterschiedlichen Stämmen schließlich erfordern ebenfalls eine ethnokulturelle Konvenienz (es sei denn, sie ergeben sich „unfreiwillig“, beispielsweise durch den Genozid der Männer und den Raub der Frauen).
Vor allem aber steht Kießlings Vorschlag der Kreation eines neuen Volksmythos, für den er Venedig als Beispiel anführt, in einem gewissen Widerspruch zur konstatierten „Auflösung aller Ordnungsssubstanz“. Selbst wenn ein Zerfallsszenario anzunehmen ist, lägen eine Strategie der Sammlung, ein Aufbruch ins Innere und eine nationale Renaissance näher als die Schaffung eines multiethnischen „Proto-Volkes“.
Soweit meine Kritik in knapper Form. Ich will nun die Argumente im einzelnen begründen und mit Zitaten belegen.
Kießlings gesamte Argumentation fußt auf dem Argument des „schicksalshaften Sterbens“ unseres Volkes und tendenziell aller Völker. Es stimmt: Technologie, Materialismus und Globalisierung nagen am Volk als ethnokultureller Daseinsform an sich. Doch der spezifische Untergang der weißen westlichen Völker, allen voran der deutschsprachigen, ist gerade kein „naturhafter Prozeß“.
Wäre er so „naturnotwendig“, wie Kießling schreibt, wären keine massive Zensur, keine Debattenverbote und keine politische Repression gegen jede alternative Bevölkerungspolitik vonnöten. Der Bevölkerungsaustausch durch Ersetzungsmigranten ist das Ergebnis der antideutschen Identitätspolitik, die, nach Kant und Marx, dem „kategorischen Imperativ“ Theodor W. Adornos folgt.
Länder wie Polen, Ungarn, Israel und Japan zeigen, daß eine Ära des allgemeinen Verfalls und, wenn man so will, ein “Kali Yuga” nicht notwendigerweise dazu zwingen, mit vollem Anlauf nationalen Selbstmord zu begehen. Die „Mühlen der ethnokulturellen Desintegration“ (S.40) sind kein global gleichförmig ablaufender automatischer Prozeß. Auch in 100 Jahren wird es noch eine türkische, japanische, pakistanische und indonesische Volkssubstanz geben.
Der allgemeine „schicksalhafte Alterungs- und Dekompositionsprozeß“ (S.40) ist nicht identisch mit dem uns aufgezwungenen Bevölkerungsaustausch. Das Volk der Deutschen verschwindet im 21. Jahrhundert innerhalb weniger Jahrzehnte aus all seinen traditionellen Siedlungsgebieten und wird durch Fremde verdrängt.
Das geschieht weniger aus „Altersschwäche und Überdruß“. Deutschland stirbt nicht an hohem Alter oder an einer unheilbaren Krankheit. Man muß es so sagen, wie es ist: Deutschland fällt einer willkürlichen Politik zum Opfer und wird, um in der Metapher zu bleiben, aktiv getötet. Indem der Volksbegriff an sich für extremistisch erklärt und jede Debatte über Bevölkerungspolitik unterdrückt wird, ergibt sich unweigerlich eine Politik des Bevölkerungsaustauschs.
Der Vergleich mit nationaler Altersschwäche im alten Rom hinkt. Damals gab es beispielsweise keine „antirömische Antifa“, die, mit durchgestrichenen Fasces als Feldzeichen, systematisch jeden patriotischen Römer verfolgte. Selbst wenn es sie gegeben hätte, hätte sie nie mit Billigung des Staates jede identitäre, prorömische Lebensäußerung attackieren können. Ja, Völker können sterben. Doch die Tatsache, daß unser Volk keines „natürlichen Todes“ stirbt, kann kaum geleugnet werden. Tatsächlich finde ich in der Geschichte nichts Vergleichbares.
Daraus dürfen wir in gewisser Weise Hoffnung schöpfen. Gäbe es keinen Lebensfunken mehr, würden dann unsere Gegner jeden Tag Millionen aufwenden, um ihn auszudämpfen?
Ein wichtiges, positives Beispiel einer nationalen Renaissance, ganz ohne „äußere Potenzen“ durch „jüngere und vitalere“ (S.55 ) Migranten, wird ebenfalls unterschlagen, weil es nicht ins Konzept paßt. Israel, das seine „tote“ Sprache wiederbelebte und mitten in globalen Völkersterben einen patriotischen Siedlerstaat aus dem Boden stampfte, zeigt, daß ein “globaler Volkstod” keine historische Gesetzmäßigkeit darstellt.
Ist Deutschland dazu in der Lage? Darum geht es bei meiner Kritik nicht. Denn Kießling schließt die Möglichkeit einer nationalen Renaissance anscheinend prinzipiell aus – es sei denn, man verbände sich mit migrantischen, externen Energien.
Man kann hier noch so viele historische Beispiele von Rom über Babylon und Bagdad bis Tenochtitlán anführen: All das verblaßt vor der täglich erlebbaren Gegenwart: der Bevölkerungsaustausch ist das Ergebnis einer Bevölkerungspolitik, die nicht alternativlos ist und als politisches Dogma nur mit zunehmender Repression und Zensur durchgesetzt werden kann.
Es könnte sein, daß Kießling meint, uns fehle die Kraft, diese Repression zu überwinden. Das schreibt er jedoch nicht. Das oft wiederholte Mantra der „Naturnotwendigkeit“ verdeckt so die tatsächliche Künstlichkeit und Einzigartigkeit des „strange death of Germany“. Das ist für jeden Kampf gegen den Bevölkerungsaustausch fatal.
Kießling stellt hier vielleicht zu große Ansprüche: Selbstverständlich würde eine alternative Bevölkerungspolitik noch keine Überwindung des Nihilismus bedeuten. Und auch Länder wie Japan und Israel leiden unter den Zerfallstendenzen, in deren treffender Analyse ich dem Autor voll zustimme. Doch diese Länder beweisen klar, daß Liberalismus und Nihilismus nicht automatisch den „Volksselbstmord“ in Höchstgeschwindigkeit bedingen.
Hier zeigt sich eine weitere Unstimmigkeit in Das neue Volk. Kießlings Analyse der „Krisis der Neuzeit“ ist im Detail stimmig, plastisch und bewegend. In der „Makroperspektive“ wirkt sie jedoch unklar. Einerseits beruft er sich regelmäßig auf Spenglers vitalistische Geschichtsmorphologie. Kulturen sind danach „Lebewesen“, sie „erreichen ihren Höhepunkt und sterben danach allmählich ab. (S.28) An anderen Stellen spricht Kießling von „historischen Weltsekunden“ und nationalen „Missionen“ und bedient sich damit einer nach meinem Empfinden eher “hegelianischen” Sprache. (S.57)
Was diese deutsche Mission war, und worin sie sich erfüllte, bleibt unerwähnt. Auch eine evolianische „Involutionsthese“ scheint stellenweise aufzublitzen und spräche wieder für einen universalen Blick auf die Geschichte. Dies ist jedoch mit lebensphilosophischen Interpretationen der Kultur als eine Art „elan vital“ schwer unvereinbar.
Entweder man nimmt einen Sinn der Geschichte an, der Völker und Kulturen transzendiert und ihnen Lebenssinn verleiht, solange sie ihrer historischen Aufgabe folgen, oder man sieht die Kultur als einen pflanzenhaften Ausdruck von Lebenskraft, die sich nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne erschöpft, egal ob eine „Mission“ erfüllt wurde, oder nicht. Welche Geschichtsphilosophie in „Das neue Volk“ die vorherrschende ist, bleibt in meinen Augen unklar.
Für beide Modelle ist jedoch das „naturnotwendige“ Ende des deutschen Volkes keineswegs evident. Gerade der Selbsthaß zeigt daß zumindest keine Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Volk besteht. Aus dieser lebendigen Spannung kann immer etwas Neues entstehen, das gerade kein ethnisch „Neues Volk“ sein muß. Kritisiert man sodann mit dem Autor die Entstehung eines humanistischen, gesichtslosen Weltstaates, ergäbe sich für das deutsche Volk in seiner konkreten Form durchaus eine historische Aufgabe.
Eine solche ideengeschichtliche Mission, die ich in der Folge skizziere, würde das Überleben des Volkes nicht nur voraussetzen, sondern auch unterstützen. Die meistzitierten Denker der Neuzeit, Freud, Marx und Nietzsche, schrieben und dachten deutsch. Die moderne Welt ist, ob es uns gefällt oder nicht, in weiten Teilen ein Ergebnis deutscher Geistesschöpfung. Martin Heidegger vermutet daher, daß die „größte und eigentliche Prüfung der Deutschen“ noch bevorstehe.
Neben meiner Kritik an der großen historischen Perspektive sind auch die einzelnen Schlüsse, die Kießling daraus zieht, zu hinterfragen.
An einer Stelle des Buches wirkt er auf mich fast „akzelerationistisch“ und schreibt affirmativ, daß die „Auflösung ordnender Substanz“ nicht zur Ruhe kommen kann, „bis all jene Hervorbringungen beseitigt sind, die das Individuum über ein basales Menschsein hinaus erheben” (S.60).
Wie könnte dann noch ein neue Ethnogenese und Fusion aus deutschen und beispielsweise afroarabischen Elementen stattfinden, wenn es gar keine Deutschen oder Araber, sondern nur mehr basale Individuen gibt? Hier zeigt sich deutlich, wie schlecht eine Analogie mit der Gründung Venedigs aufgeht.
Warum sollte ein „Neues Volk“ der allgemeinen „Verflüssigung und Substanzverzehrung“ (S.85) widerstehen?
Nun, warum sollte es den Neugründern eines Volkes anders als den Verteidigern des Alten gehen, sobald sie ihrerseits zu Bewahrern des Gegründeten werden? Warum sollte ein „Neues Volk“ dem festgestellten „autodestruktiven Kollektivimpuls“ widerstehen können, wenn dieser doch eine Art metaphysischer Tendenz darstellt? Denn Kießling betont mehrfach, daß der Grund für den Erfolg der Linken sei „weder ihre überlegene, an Althusser oder Gramsci geschulte Metapolitik” (S.16), noch ihre „kreativere Techniken der Kommunikation“, sondern das weltgeistliche „Oberwasser“ (S.27), das sie seit 1789 haben.
Der „Einklang mit der fundamentalen Bewegungstendenz“ (S.16) der Moderne mache Konservative unweigerlich zu Verlieren. Inwiefern gewönne ein multiethnischer „handlungsfähiger Volkszusammenhang“ (S. 58) nun dieses geschichtliche “Oberwasser”, sobald er als Volk handlungsfähig wird?
Wenn Kießling davon spricht, die „Urquellen des Seins auf neue Weise zu mobilisieren“ (S.72), muß ich mich als Heideggerleser erstens fragen, was konkret damit gemeint ist. Zum zweiten kommt man nicht umhin zu bemerken, daß auch dieser Mobilisierungsversuch der Schicksalhaftigkeit des Zerfalls der Ordnungssubstanz widerspricht.
Ich identifiziere die Urquellen mit dem Mythos des „kommenden Volks“, der es zuwege bringen müßte, diverse, widerstrebende, ethnokulturelle Elemente zu vereinen und zu verschmelzen. Kießlings spricht hier davon, „ins Offene zu schreiten, eine positive Idee zu entwickeln, eine Zukunft zu erkämpfen, eine neue Welt auszubrüten“(S.71).
Ursprungsmythen, wie sie die Ethnogenese von Völkern begleiten, kann man aber nicht einfach erfinden. Seit vielen Jahrhunderten entstehen kaum „neue Völker“ oder echte Mythen, und das hat gute Gründe. Optimale Bedingungen dafür finden sich eben in vormodernen, mythischen Zeiten. Unter modernen, rationalistischen und atheistischen Verhältnissen scheint allenfalls eine nationale Renaissance nach israelischem Vorbild denkbar. Sonst bliebe noch das technizistische „nation building“ und die „chemisch”-aufklärerischen Vertragsstaaten amerikanischer und australischer Prägung.
Die ideengeschichtlichen Umstände sind also denkbar schlecht für die Entstehung oder gar die Erzeugung „neuer Völker“. Man kann den Rationalismus von Jahrhunderten auch nicht einfach im voluntaristischen Rausch beiseite fegen. Kurzlebige „Kunstvölker“ wie D’Annunzios Kommune in Fiume zeigen das grandiose und spektakuläre Scheitern solcher Setzungen als politische Strategie.
Wie stellt sich Kießling konkret die Entstehung eines Volksmythos vor? Einmal spricht der Autor davon, jene zu sammeln, die für den „gemeinschaftsbildenden Mythos empfänglich sind“ (S.73) und erteilt dem „Reißbrett“ eine Absage. Dann wiederum spricht er aber von „Setzung“, „Mobilisierung“, und von „konstruktiv Geschichte schreiben“, verwendet also eher das Vokabular eines voluntaristischen Tatkults.
Oft bleibt der Autor vage. Er spricht von „ewigen Quellen des Daseins“, die man „neu erschließen“ könne (S.75) und dem „ substantiell Ewiggültigen“, das man in „neue Gestalt übersetzt“ (S.76). Das klingt mehr nach einer lebensreformatorischen Kommune als einem konkreten Volk. Schließlich bleibt der Verweis, daß sich der Mythos im Lauf der Geschichte des neuen Volkes bilden werde. Doch wie soll das gehen, wenn der Mythos die Geschichte des neuen Volkes erst begründet, indem er die fremden Elemente verschweißt?
Kießling argumentiert weiters, daß eine Ordnung „nicht aus der bloßen Rückbesinnung auf die alten Werte“ entstehen kann. Dazu brauche es die bereits erwähnten fremden „jüngeren und vitaleren (»barbarischen«) Energien“(S.55). Doch wo sähe überhaupt ein moderner Tacitus heute seine modernen Germanen, die er der spätrömischen BRD-Dekadenz entgegenstellen könnte? Egal wohin man blickt, zeigen sich langweilige materialistische Massemenschen und Massenkonsum.
Auch und gerade die „barbarischen“ Migranten pflegen einen Kult der Oberflächlichkeit, der Luxussucht und des Hedonismus. Die besagten positiv barbarischen, weil urtümlichen Energien sehe ich zumindest beim importierten “Humankapital” kaum.
Geht man von einem unvermeidlichen, unweigerlichen Zerfall des Nationalstaates aus, und will man Kultur und Tradition im elitären Kreis bewahren, spricht zudem nichts dafür, hier zwanghaft „fremde Elemente“ einzubauen. Eine Auflösung des Nationalstaats führt zu einer Retribalisierung, die, wie bereits oben angedeutet, eine Stärkung der ethnischen Exklusivität bedeutet. Gelänge eine Reconquista nicht, und fiele der Nationalstaat unrettbar globalistischen Kräften in die Hände, so schlüge die Stunde einer „Strategie der Sammlung“.
Diese „Völkerwanderung nach innen” wäre vermutlich weniger inklusiv und „offen“ als die rechtspopulistischen Bewegungen, die in der „Reconquista“ um den Staat kämpften. Bereits jetzt zeigt sich in den USA deutlich, daß im Zuge des “white flight” eine freiwillige ethnische Segregation stattfindet.
Ein Volk kann Fremdes assimilieren. Ein Stamm oder Clan, der auf direktem Kontakt und unausgesprochener Gemeinschaft beruht, ist in der Regel exklusiv und enthnozentrisch. Selbst wenn man also Kießlings Thesen zustimmt, wäre eine Sammlung von Deutschen „ohne Migrationshintergrund“ um ein “Sezessionsvolk“ herum viel erfolgversprechender. Eine Minderheit Assimilierter, die sich bewußt einem homogenen, nationalen Bewahrungsprojekt anschlösse, entspricht ja gerade nicht der Idee Kießlings.
Dabei wird es selbst in einem sterbenden Volk noch ausreichend gesunde Elemente geben, die sich sammeln und neu formieren können. Im deutschsprachigen Raum lebten im Jahre 1970, vor Pillenknick und Massenmigration immerhin 90 Millionen Menschen, sodaß sich theoretisch auch im Jahr 2040 noch genügen Ressourcen für eine Renaissance finden würde – wenn sie denn gewollt ist. Das Postulat der Aufnahme fremder Elemente ergibt hier in keiner Hinsicht Sinn.
Doch nun geht es ans Eingemachte, und wir blicken auf Kießlings vorgeschlagene Charta des politisch handlungsfähigen „Proto-Volkes“ (S.73). Was sind die verbindenden Elemente des „kommenden Volks“ (S.78), die immerhin eine der ersten europäischen Ethnogenesen seit Jahrtausenden bewirken sollen?
Kießling zählt Religiösität, Verteidigung der privat-familiären Sphäre, einen starken Rechtsstaat, Widerstand gegen den Great Reset sowie die Wahrung des Mittelstandes, der Energiesicherheit und des Lebensstandards auf (S.81ff). Das klingt verdächtig nach Markus Kralls „bürgerlicher Revolte“, die der Autor selbst kritisiert.
Alles in allem erinnert es mich an den Wertekanon eines Mainstream-Republikaners, der auf die Bibel schwört, die Familie schützen, “law and order” garantieren, Globalismus und Genderwahn bekämpfen und den Wohlstand bewahren will. (Und offen für fremde Ethnien wäre die GOP übrigens auch.)
Was daran ist tatsächlich ein „Aufbruch ins Neue”? Wo sind die revolutionären, mobilisierenden Ideale gegen den Verfall? Diese abstrakten Ideale wirken meines Erachtens alles andere als offensiv-mobilisierend und stehen z.B. hinter dem Mythos einer Reconquista zurück. Der Kern des neuen Volkes bleibt also dort, wo Kießling politisch-konkret wird, eher minimalistisch, defensiv und abstrakt.
Böse Zungen könnten diese Ideale gar „blutleer“ nennen, ein Adjektiv, mit dem Kießling selbst die „Reconquista“ belegt. Andere Vertreter neuer Völker, allen voran der amerikanische Blogger “Bronze Age Pervert”, der mit seinem Kultbuch “The Bronze Age Mindset” eine treue Anhängerschaft aufgebaut hat, wartet hier zumindest mit fantastischen, archäofuturistischen Visionen zwischen “Conan der Barbar” und “Warhammer 40.000” auf.
Mein Problem mit Kießlings Kern des neuen Volkes ist seine Abstraktheit. Eine konkrete Religion ist eben mehr als „die Bereitschaft, die Lebensführung aus überzeitlichen Prinzipien abzuleiten“ (S.81). Welche „spirituellen Prinzipien“ sollten deutsche Katholiken und islamische Afghanen vereinen? Welche „familiären Werte“ formen ein Protovolk aus Schwaben und Senegalesen? Völker gibt es nur als konkrete Wesenheiten. Der „Volksbegriff“ und die „Volkshaftigkeit“, von der Kießling spricht, riechen trotz gegenteiliger Beteuerungen für mich nach Reißbrett.
Zusammenfassend krankt also meiner Einschätzung nach Das neue Volk an einer unklaren geschichtsphilosophischen Perspektive und zahlreichen Widersprüchen und Unklarheiten in den hieraus abgeleiteten Konsequenzen. Es stellt in meinen Augen eine unnötig erschwerte Variante der „Strategie der Sammlung“ dar, die ideengeschichtlich überladen ist.
Glaubt man an die Möglichkeit, auch in Zeiten des Verfalls Ordnungsstrukturen zu bewahren, so gibt es keine Alternative zum Volk. Das bedeutete einen Kampf um Demokratie und Staat (Reconquista), und falls dies an der Demographie scheiterte, eine Strategie der Sammlung. In diesem Fall gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum man in der „Germanosphäre“ nicht dem zeitgenössischen Beispiel Israels folgend an einer nationalen Renaissance arbeitet.
In meinen Augen sind im Moment beide strategischen Optionen offen, weswegen die Reconquista den Vorrang hat. Weder ist eine deutsche seinsgeschichtliche Aufgabe erfüllt, so daß wir der Welt nichts mehr zu sagen hätten, noch ist jede Lebenskraft aus unserem Volks- und Kulturraum gewichen. Voraussetzung für jede Renaissance ist jedoch eine Meisterung des Bevölkerungsaustauschs. Hier wirkt Das neue Volk im schlimmsten Fall demoralisierend.
Wenn Kießling auf die „existierenden (demographischen) Realitäten“ verweist, und jeden, der „nicht mit ihnen rechnet und arbeitet“ (S.85) als realitätsfern kritisiert, klingt das verdächtig nach Angela Merkels „Nun sind sie halt da.“ Dieser scheinbare Pragmatismus geht hier aber Hand in Hand mit einer unerfüllbaren Utopie.
Kießling ist daher klar zu widersprechen, wo er die Ersetzung der Deutschen durch Fremde als „schicksalshaft“, „naturnotwendig“, oder gar als historischen Normalfall darstellt. Hier normalisiert er, vermutlich unbewußt, einen einzigartigen historischen Skandal, der alles andere als alternativlos ist.
Das dient den Interessen der Proftiteure, Verharmloser, Organisatoren und Lobbyisten des Bevölkerungsaustauschs.
Trotz aller Kritik soll diese Rezension jedoch mit einer positiven Note enden. Denn mein häufigster Gedanke beim Lesen dieses Buches war nicht Widerwille, sondern: „Endlich traut sich wieder jemand etwas!“.
Nach zahllosen betulichen Texten, die Altbekanntes in neue Worte verpacken, findet sich hier jemand, der große historische Bögen zieht, gewagte Linien zeichnet und vor radikalen Forderungen nicht zurückschreckt. Auch wenn ich in fast allen Punkten widerspreche, kann ich eines anerkennen: der wunde Punkt der Neuen Rechten, den Kießling haargenau trifft, ist ihre Visionslosigkeit.
Er erkennt klar: Fehlen eine Vision und eine Strategie, dominieren „individuelle Lebensentwürfe, persönliche Karrierewege und private Refugien“ (S.14) das rechte Lager. Doch diese Sehnsucht nach Visionen darf nicht auf visionäre Irrwege führen.
Die konservative Revolution besteht nicht in der krampfhaften Schaffung von „etwas Neuem“, weil das Alte krankt. Auch das Erhalten einer Ordnung und die Verteidigung des Eigenen kann ein mobilisierender Mythos sein. Selbst in der Idee des Katechon liegt oft eine erneuernde, mobilisierende Kraft, wie uns Carl Schmitt lehrt.
Kießlings Buch ist nicht die Vision, die wir brauchen. Es sollte unserem Lager aber als aber als Impuls für eine Strategiedebatte, und als Mahnmal gegen die Visionslosigkeit dienen.
– – –
Simon Kießling: Das neue Volk. Reihe Kaplaken, Band 83, 96 Seiten, 10 € – hier bestellen.
Zusammen mit den anderen beiden Bänden der Dreierstaffel (Lorenz Biens Depressive Hedonie und Heino Bosselmanns Alterndes Land) zum ermäßigten Paketpreis bestellen.
Jungreaktionaer
Wie immer eine gute Analyse!