Deutsches Bürgertum

Wir veröffentlichen mit dem folgenden Text eine Replik Winfried Knörzers auf die Thesen zum deutschen Bürgertum von Thor v. Waldstein.

Er berei­chert die Aus­ein­an­der­set­zung mit der schein­bar bür­ger­li­chen Schicht in Deutsch­land durch einen ande­ren Blick auf das, was ein­mal das deut­sche Bür­ger­tum war.

Man tut Thor v. Wald­stein sicher­lich nicht unrecht, wenn man sei­nen Text als eine natio­nal­bol­sche­wis­ti­sche Stil­übung auf­faßt. Aller­dings schrieb Ernst Nie­kisch über die Wirk­lich­keit, Thor v. Wald­stein arbei­tet sich dage­gen an einem ima­gi­nä­ren Objekt ab. Ein Bür­ger­tum im eigent­li­chen Sin­ne exis­tiert schon seit lan­gem nicht mehr.

Man kann nicht beck­mes­ser­haft ver­lan­gen, daß ein Begriff den von ihm bezeich­ne­ten Gegen­stand adäquat und voll­stän­dig erfaßt; er soll­te aber zumin­dest eine unge­fäh­re Vor­stel­lung von die­sem Gegen­stand ver­mit­teln. Dies kann der Begriff des Bür­ger­tums zur Kenn­zeich­nung des in der BRD ton­an­ge­ben­den Per­sön­lich­keits­ty­pus nicht leis­ten, da es in der heu­ti­gen gesell­schaft­li­chen Wirk­lich­keit kei­ne ihm ent­spre­chen­de sozia­le For­ma­ti­on mehr gibt.

Das zen­tra­le Cha­rak­te­ris­ti­kum des klas­si­schen Bür­gers war die beruf­li­che Selb­stän­dig­keit, also eine Erwerbs­tä­tig­keit, die eine per­sön­li­che Abhän­gig­keit aus­schloß. Zum Bür­ger­tum zähl­ten daher Gewer­be­trei­ben­de, die Ange­hö­ri­gen frei­er Beru­fe und Beamte.

Das Selbst­be­wußt­sein des Bür­gers grün­de­te auf dem Bewußt­sein, sich selbst die Grund­la­gen der eige­nen Exis­tenz zu ver­schaf­fen. Man war sein eige­ner Herr und woll­te auch als sol­cher aner­kannt wer­den. Die­ses Stre­ben nach Aner­ken­nung moti­vier­te das poli­ti­sche Enga­ge­ment des Bür­ger­tums. Man woll­te sich nicht mit der Selbst­be­stim­mung im Wirt­schaft­li­chen beschei­den, son­dern ver­lang­te auch poli­ti­sche Selbst­be­stim­mung durch par­la­men­ta­ri­sche Reprä­sen­ta­ti­on und durch die Gewäh­rung von Mei­nungs­frei­heit und ande­ren Bürgerrechten.

Als poli­tisch sich selbst bestim­men­wol­len­der Mensch ver­stand sich der Bür­ger zugleich auch als Staats­bür­ger, wes­halb er die Sache der Nati­on zu sei­ner eige­nen mach­te. Unter der Losung „Frei­heit und Nati­on“ voll­zog sich die Eman­zi­pa­ti­on des Bür­ger­tums. Für die­se Zie­le war der Bür­ger auch zu Opfern bereit. Dies betraf nicht nur die Demo­kra­tie­be­we­gung (Dem­ago­gen­ver­fol­gung nach 1816 und Unter­drü­ckung der 1848er Revo­lu­ti­on), son­dern auch den Patriotismus.

Die ste­reo­ty­pe Bür­ger­schel­te ver­gißt ger­ne, daß es die Bür­ger waren, die sich 1813 und 1914 zu den Waf­fen mel­de­ten. Der Auf­stieg des Bür­ger­tums in sei­ner klas­si­schen Epo­che zwi­schen 1750 und 1914 mach­te den Bür­ger zur leit­bild­ge­ben­den Gestalt und daher auch die Gesell­schaft zur bür­ger­li­chen Gesellschaft.

Aber schon gegen Ende die­ser Epo­che betrat eine neue Gestalt die gesell­schaft­li­che Büh­ne, die zunächst noch tas­tend mit Begrif­fen wie „Hand­lungs­ge­hil­fe“ oder „Büro­be­am­ter“ umschrie­ben wur­de, bis sich schließ­lich der Begriff des Ange­stell­ten durch­setz­te. Der Ange­stell­te mag zwar in sei­nem Habi­tus dem Bür­ger ähneln, er ist aber kein Bür­ger, weil er nicht selb­stän­dig ist, son­dern Teil eines Funktionszusammenhangs.

Mit der Zunah­me von Büro­kra­tien und Groß­or­ga­ni­sa­tio­nen, mit der all­sei­ti­gen Inter­de­pen­denz wirt­schaft­li­cher und kom­mu­ni­ka­ti­ver Pro­zes­se und mit der Abhän­gig­keit von staat­li­cher­seits bereit­ge­stell­ter Infra­struk­tur kann die Vor­stel­lung, die im Zen­trum bür­ger­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses stand, Herr des eige­nen Schick­sals zu sein, nicht mehr auf­recht erhal­ten werden.

So wie die Men­ta­li­tät des Bür­gers das 19. Jahr­hun­dert präg­te und nach unten und oben hin aus­strahl­te, so tut es die Men­ta­li­tät des Ange­stell­ten heu­te. In die­sem Sin­ne sind alle, ob Wer­be­gra­phi­ker oder Vor­stands­vor­sit­zen­der, ob Kin­der­gärt­ne­rin oder Chef­ärz­tin Angestellte.

Auch der Beam­te emp­fin­det sich nicht mehr als Reprä­sen­tant des Staa­tes, son­dern als Ange­stell­ter einer Behör­de. Wer sich selbst als Teil des Sys­tems und als abhän­gig vom Funk­tio­nie­ren des Sys­tems weiß, han­delt auch sys­tem­kon­form. Da man nicht mehr, wie der klas­si­sche Bür­ger, den Maß­stab des Han­delns in sich selbst fin­det, ori­en­tiert man sich an dem, von dem man annimmt, daß es die sozia­le Umwelt von einem erwartet.

Die­ser Wan­del vom selbst­be­wuß­ten, kraft indi­vi­du­el­ler Sou­ve­rä­ni­tät han­deln­den Bür­gers zum „außen­ge­lei­te­ten“ (David Ries­man), ange­paß­ten „Sys­tem­ling“ ist eine objek­ti­ve, his­to­risch-sozia­le Tat­sa­che und nicht Fol­ge eines selbst­ver­schul­de­ten mora­li­schen Defi­zits indi­vi­du­el­ler Akteure.

Die­ser his­to­risch beding­te Nie­der­gang des Bür­ger­tums ist auch von Wald­stein – dies sei nicht ver­schwie­gen – bemerkt worden:

Tat­säch­lich ist das Hono­ra­tio­ren­bür­ger­tum als geschicht­li­cher Trä­ger kon­ser­va­ti­ven Gedan­ken­guts bereits in den Bür­ger­kriegs­wir­ren nach dem Ers­ten Welt­krieg … unter­ge­gan­gen. Letz­te ver­blie­be­ne Spu­ren­ele­men­te die­ses sozio­lo­gi­schen Typus ver­schwan­den spä­tes­tens mit der Ära Adenauer…

Sieht man ein­mal davon ab, was hier aber nichts zur Sache tut, daß das Hono­ra­tio­ren­bür­ger­tum nicht „Trä­ger kon­ser­va­ti­ven Gedan­ken­guts“, son­dern Trä­ger libe­ra­len Gedan­ken­gu­tes war, so muß einen erstau­nen, daß das eben tot­ge­sag­te Bür­ger­tum im unmit­tel­bar fol­gen­den Satz völ­lig unmo­ti­viert wie­der­be­lebt wird:

Seit der mar­xis­tisch befeu­er­ten Kul­tur­re­vo­lu­ti­on ab Mit­te der 1960er Jah­re … hat sich das deut­sche Bür­ger­tum ohne Skru­pel dem Zeit­geist unterworfen.

Die­ser Wider­spruch läßt sich nur auf­lö­sen, wenn man einen Unter­schied zwi­schen dem frü­he­ren Hono­ra­tio­ren­bür­ger­tum und dem heu­ti­gen Bür­ger­tum macht, was aber nur statt­haft ist, wenn man angibt, wor­in die­ser Unter­schied besteht.

Dies führt zu der Fra­ge, was Wald­stein über­haupt unter Bür­ger­tum ver­steht. Ent­we­der meint er damit alle Deut­schen, ist aber zu höf­lich, um dies so unver­blümt aus­zu­spre­chen, oder er meint ganz ein­fach die Mit­tel­schicht. Die­se ist aber – ich muß es noch­mals beto­nen – nicht mit dem Bür­ger­tum im eigent­li­chen Sin­ne iden­tisch. Sie hat zwar gewis­se Ele­men­te von des­sen Lebens­wei­se, eine aus­kömm­li­che sozia­le Lage, eine gewis­se Kul­ti­viert­heit, eini­ge Umgangs­for­men usw. bewahrt, nicht aber des­sen mate­ri­el­le Basis sub­stan­ti­el­ler Selb­stän­dig­keit noch den dar­auf grün­den­den Ethos.

Um einer sozia­len Grup­pe ein bestimm­tes, typi­sches poli­ti­sches Han­deln zuzu­schrei­ben, muß die­se sozia­le Grup­pe auch als poli­ti­scher Akteur her­vor­tre­ten. Sie muß sich ihrer selbst als eine auf einer sub­stan­ti­el­len sozia­len Gemein­sam­keit beru­hen­den Ein­heit bewußt sein und auf­grund die­ses Ein­heits­be­wußt­seins poli­ti­sche Zie­le for­mu­lie­ren und sich gegen­über ande­ren, als Feind mar­kier­ten sozia­len Grup­pen abgren­zen. Dies hat das Bür­ger­tum im 18. Jahr­hun­dert als Stand inner­halb der feu­da­len Stan­des­ge­sell­schaft gegen­über dem Adel und im 19. Jahr­hun­dert als Klas­se in der kapi­ta­lis­ti­schen Klas­sen­ge­sell­schaft gegen­über dem Pro­le­ta­ri­at getan.

Ein Stand ist eine Gemein­schaft, eine Klas­se eine Gesell­schaft, eine Schicht nur ein amor­phes Gemen­ge. Mit­tel­schicht ist kein auf­grund sei­ner sozia­len Lage han­deln­der poli­ti­scher Akteur, son­dern eine gro­be sozio­lo­gi­sche Kate­go­rie, die allein durch Ein­kom­mens­gren­zen fest­ge­legt wird.

Zur Mit­tel­schicht gehö­ren, von zeit­ge­nös­si­scher Sozio­lo­gie ein­ge­hend ana­ly­siert, meh­re­re, höchst unter­schied­li­che sozia­le Milieus, von denen in der Tat eini­ge mehr­heit­lich der herr­schen­den Ideo­lo­gie anhän­gen. Aber die­se tre­ten poli­tisch nicht in Erschei­nung durch eine Bezug­nah­me auf ihre sozia­le Lage, was auch bedeu­ten wür­de, daß sie ihren Feind anhand des­sen sozia­ler Lage bestimmen.

Ihr Feind ist die „Rech­te“, die sozio­lo­gisch genau­so dif­fus ist wie die Lin­ke. Die ver­schie­de­nen mit­tel­schich­ti­gen, mehr­heit­lich lin­ken Milieus eint nicht der sozia­le Sta­tus, kaum eine vor­po­li­ti­sche, lebens­welt­li­che Men­ta­li­tät, son­dern die Welt­an­schau­ung. Die Sozia­li­sa­ti­on in die­se Welt­an­schau­ung ist der sprin­gen­de Punkt und nicht die Einkommenshöhe.

Der Begriff des Bür­ger­tums hat einen prä­zi­sen, auf eine in einer bestimm­ten his­to­ri­schen Lage ent­stan­de­ne sozia­le For­ma­ti­on zuge­schnit­te­nen Sinn, der sinn­los wird, wenn man ihn auf eine ganz anders­ge­ar­te­te sozia­le For­ma­ti­on einer ande­ren Epo­che überträgt.

Die Mise­re des deut­schen Vol­kes ist real. Sie mit einer ima­gi­nä­ren sozio­lo­gi­schen Kate­go­rie beschrei­ben zu wol­len, bringt kei­nen Erkennt­nis­ge­winn. Hat man irgend­et­was an dem bekla­gens­wer­ten Ver­hal­ten der Deut­schen, das der eige­nen Aus­lö­schung taten­los zusieht, bes­ser ver­stan­den, wenn man es mit dem Attri­but „bür­ger­lich“ versieht?

Der Kri­tik des Autors an den in der BRD gras­sie­ren­den abstru­sen und schäd­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen kann vor­be­halt­los zuge­stimmt wer­den – nur was soll an die­sen bür­ger­lich sein? Der Bür­ger war nicht anti­na­tio­nal, son­dern patrio­tisch, was er in sei­ner frei­wil­li­gen Kriegs­teil­nah­me bewies, er war nicht kon­su­mis­tisch, son­dern spar­sam, weil er dies sein muß­te, er war nicht hedo­nis­tisch, son­dern folg­te einem rigi­den Moral­ko­dex, mit dem er sich ganz bewußt von der adli­gen Fri­vo­li­tät abhob.

Die Pole­mik Wald­steins speist sich aus der Tra­di­ti­on roman­ti­scher Phi­lis­ter­kri­tik und der Bür­ger­schel­te des sol­da­ti­schen Natio­na­lis­mus. Die­se Kri­tik war schon damals unan­ge­mes­sen, weil die im All­tag hei­mi­sche Lebens­welt des Bür­gers nicht an der Elle der außer­all­täg­li­chen Exis­tenz der Künst­ler und Front­kämp­fer gemes­sen wer­den kann. Erst recht geht sie an der Lebens­welt der Gegen­wart vor­bei. Die heu­ti­ge Lin­ke ist eben­so wenig mar­xis­tisch, wie der heu­ti­ge Durch­schnitts­ty­pus Bür­ger genannt zu wer­den verdient.

Am meis­ten ähnelt der Bei­trag Wald­steins dem Mas­sen­dis­kurs vom Beginn des 20. Jahr­hun­derts. Doch es besteht ein ganz fun­da­men­ta­ler Unter­schied, da der Mas­sen­dis­kurs ent­we­der die spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen beschreibt, die sich erge­ben, wenn sich Men­schen, gleich wel­cher sozia­len Her­kunft, zu einer Mas­se zusam­men­schlie­ßen, oder aus den Lebens­be­din­gun­gen der Moder­ne eine bestimm­te, für alle gel­ten­de Per­sön­lich­keits­prä­gung ableitet.

In die­sem Sin­ne schreibt Hen­drik de Man in Ver­mas­sung und Kul­tur­ver­fall (Bern 1951, S. 44):

Ein jeder von uns ist in dem Gra­de Mas­sen­mensch, wie sein sozia­les Ver­hal­ten auf irgend­ei­nem Son­der­ge­biet durch Mas­sen­wir­kun­gen bestimmt wird. Auch der Wis­sen­schaft­ler, der in sei­nem eige­nen Fach ori­gi­nell und schöp­fe­risch denkt, ist Objekt der Ver­mas­sung, wenn er als Käu­fer eines Mar­ken­ar­ti­kels bewußt oder unbe­wußt der sug­ges­ti­ven Wir­kung einer Mas­sen­re­kla­me erliegt, oder wenn er am Radio die glei­che Dar­stel­lung des Welt­ge­sche­hens zu hören bekommt wie Mil­lio­nen ande­rer Menschen…

Die sozia­le For­ma­ti­on, die Wald­stein beschreibt, ist nicht die des Bür­gers, son­dern die des Mas­sen­men­schen. Der Mas­sen­mensch gehört kei­ner spe­zi­fi­schen sozia­len Klas­se an, son­dern des­sen Befind­lich­keit ist die Art und Wei­se des gewöhn­li­chen In-der-Gesellschaft-Seins.

Mit dem Fest­hal­ten an anti­quier­ten poli­ti­schen Begrif­fen läßt sich die Wirk­lich­keit nicht erken­nen. Wie der her­vor­ra­gen­de Auf­satz von Dani­el Fiß über die Wäh­ler rech­ter Par­tei­en in Sezes­si­on 112 gezeigt hat, läßt sich eine poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung nicht mehr ein­deu­tig einem sozia­len Sub­strat zuord­nen. Eine klas­sisch mate­ria­lis­ti­sche Vor­ge­hens­wei­se, die aus einer Klas­sen­la­ge eine Welt­an­schau­ung ablei­tet, hat aus­ge­dient, weil die Klas­sen­la­ge kei­ne unmit­tel­bar deter­mi­nie­ren­de Kraft mehr hat.

Es gibt sehr wohl einen ein­heit­li­chen poli­ti­schen Typus, der aber nicht mehr einem ein­heit­li­chen sozia­len Typus kor­re­spon­diert. Die rot-grü­ne Stan­dar­dideo­lo­gie des huma­ni­ta­ris­ti­schen Uni­ver­sa­lis­mus wird glei­cher­ma­ßen vom Uni­ver­si­täts­rek­tor wie vom ASTA-Stu­den­ten, vom Pro­gramm­di­rek­tor wie vom Kame­ra­mann ver­tre­ten. Die­se völ­lig unter­schied­li­chen sozia­len Lagen las­sen sich nicht auf einen gemein­sa­men sozio­lo­gi­schen Begriff brin­gen und erst nicht auf den völ­lig unan­ge­mes­se­nen des Bürgers.

Dies heißt nicht, daß man sich von einer dem Ver­ständ­nis poli­ti­scher Ein­stel­lun­gen die­nen­den sozio­lo­gi­schen Ana­ly­se ver­ab­schie­den müß­te. Aber die gesell­schaft­li­che Dif­fe­ren­zie­rung, die die aus ein­kom­mens­be­stimm­ter sozia­ler Lage, Habi­tus und Lebens­wei­se, Welt­an­schau­ung und poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung bestehen­de Ein­heit der For­ma­ti­on Bür­ger­tum in von­ein­an­der unab­hän­gi­ge Frag­men­te zer­split­tert hat, erfor­dert auch einen dif­fe­ren­zier­ten Blick.

Daher ein Wink zum Abschluß: Je ideo­lo­gi­scher ein Berufs­feld ist, d.h. je poli­tik- und staats­nä­her es einer­seits ist und je mehr es mit Kom­mu­ni­ka­ti­on zu tun hat, des­to grö­ßer ist die Wahr­schein­lich­keit, daß die dort Beschäf­tig­ten eine lin­ke Ideo­lo­gie ver­tre­ten, weil die­se Fel­der durch Koopt­a­ti­on sich selbst und ihre Ideo­lo­gie reproduzieren.

Das in die­sen Berufs­fel­dern übli­che Ein­kom­mens­ni­veau und das dort erwart­ba­re Min­dest­maß an Manie­ren und All­ge­mein­bil­dung ermög­li­chen eine Art der Lebens­füh­rung, die von Fer­ne der der Bür­ger­lich­keit gleicht. Mit dem klas­si­schen Bür­ger ver­bin­det den Per­sön­lich­keits­typ der lin­ken Mit­tel­schicht­mi­lieus nur das Bestre­ben, durch Ver­hal­tens­wei­sen und distin­gu­ie­ren­de Kon­sum­gü­ter sich von der Unter­schicht abzugrenzen.

Die­se struk­tu­rel­le Ähn­lich­keit in die­sem einen Punkt recht­fer­tigt nicht den Gebrauch des Bür­ger-Begriffs. Viel tref­fen­der ist die­ser Per­sön­lich­keits­ty­pus mit dem Begriff des Any­whe­res oder, um auf den ein­gangs erwähn­ten Ernst Nie­kisch zurück­zu­kom­men, mit dem des Clerk gekennzeichnet.

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Kommentare (20)

Laurenz

18. März 2023 09:53

@WK ..... So gut sich Ihr Artikel, zugegeben, liest, erweist sich Ihre historische Herleitung als genauso löchrig, wie die TvWs. Einen Teil der Bürgerschaft deutscher Städte bildeten die Handwerker in ihren mächtigen Gilden, die über die heutige Gewerkschaft hinaus, die Sozialzunft abbildeten, was zur Folge hatte, daß zB das käuflich erwerbbare Bier unter aller Sau schmeckte, quasi ein elitärer Sozialismus nach Art der Nachkriegs-FDP bis zur Wende. Das Leistungsprinzip wurde erst von Bonaparte & seinen Gewerbescheinen eingeführt. Sie streifen zwar den Massenmenschen, ohne aber den Grund für seine Existenz zu nennen, die Industrielle Revolution, deren Deutsche Erfindungen heute noch den Planeten am Leben erhalten, zB der Kunstdünger. Das hatte natürlich die Akkumulation des Kapitals & der Produktionsmittel zur Folge, was Massen an Kaufmannsgehilfen & Prokuristen erforderte, die das von Ihnen & TvW umstrittene Bürgertum darstellten. Die von Ihnen beschriebene Konsequenz...die Wahrscheinlichkeit, daß die dort Beschäftigten eine linke Ideologie vertreten....führt unweigerlich in den sozialistischen Ruin in einer Art Neo-Feudalismus, der das Leistungsprinzip wieder verneint & Minderheiten privilegiert.

Umlautkombinat

18. März 2023 10:35

Viel besser als der Ausgangsartikel. Mit der Einordnung des urspruenglichen Beamten gehe ich zwar nicht mit (war der je anders und unabhaengiger?), aber das ist nebensaechlich.
 
Was nimmt man aber nun mit? Ich bin ja selbst Freiberufler. Das inhaltlich gesehen relativ neue Berufsfeld zeigt sich immer noch urspruenglich in seiner Ausuebung. So konkurriere ich heute mit fast Sechzig weiterhin mit jungen hungrigen Leuten direkt in der Auftragsbeschaffung. Und das ist OK fuer mich.
 
Es ist aber auch hier schon – in einem technischen Gebiet – die Aenderung zu sehen. Konkret habe ich laufende Auftraege durch Kollision mit Complianceforderungen verloren (einfach durch Weigerung, diesen zuzustimmen). Fortlaufend weiter festgeschrieben wird auch durch unangreifbare uebernationale Verpflichtungen wie Lieferkettengesetze, durch wokes Agieren von Banken (Sellner lässt gruessen), durch unzaehlige formelle und informelle Geschirre in Tiefe und Breite. Bis eben in die Denkweisen menschlicher ideologischer Traeger hinein (ebenfalls in frappierender Groessenordnung). Kommt digitales Zentralbankgeld, ist die Kontrolle erst einmal perfekt und die Selbststaendigkeit in weitestem Sinn erledigt, weil die Verfuegbarkeit ueber eine wesentliche eigentlich ureigene materielle Ressource damit komplett fremdgesteuert und gegebenenfalls beendet wird.

deutscheridentitaerer

18. März 2023 11:37

Wichtiger Artikel, diese ganze antibürgerliche Attitüde ist schon seit langem peinlich. Wenn Ernst Jünger einen auf Bürgerschreck macht, ok, aber unsereins?

der michel

18. März 2023 12:32

mein gott - geht das jetzt auch schon bei der"sezession" los
mit dem verhunzten deutsch?
...

besser so? und danke für das hinweis.

Laurenz

18. März 2023 14:35

@Umlautkombinat
Der wohl in Preußen erfundene Beamte war seinerzeit hoch angesehen, aber schlecht bezahlt. Man machte auf der Straße einem Lehrer Platz, dessen Berufsbezeichnung heute fast ein Schimpfwort darstellt. Die Problematik hat wohl, wie auch die hiesige Debatte um das deutsche Bürgertum, mit der Umstellung des Souveräns 1918/19 zu tun. Man hätte auch gleich das Beamtenrecht, wie auch einiges andere anpassen müssen, (aber Friedrich Ebert wollte wohl auch nur Ersatz-Kaiser werden,) da der heutige Souverän, als Volks-Kollektiv, keine wirkliche souveräne Handhabe besitzt, seine Souveränität auch auszuüben. Der Mangel an Abstimmungen (über Sachverhalte), die im Grundgesetz verbrieft sind, wurde von BRD-Verfassungsrechtlern ausgehebelt. Das machte die BRD zu einer oligarchischen Parteien-Diktatur. Man hätte bei Gründung der Weimarer Republik den Souverän bis hinunter auf die Gemeinde-Ebene definieren müssen, um die Bürger auf der jeweiligen Ebene als Souverän auch in die Verantwortung zu nehmen. Diesen elementaren Aspekt haben WK & TvW, bewußt oder unbewußt, außen vor gelassen.

Uwe Lay

18. März 2023 17:53

Fragen
Könnte man nicht den Verdacht hegen, daß Thomas Manns "Buddenbrooks" den Untergang des Bürgertumes beschreibt? (vgl dazu G.Lukacs, Thomas Mann auf der Suche nach dem Bürger?). Der Begriff des Bürgerlichen hat doch nur seinen Gehalt in seiner Opposition einerseits zum Adel und andererseits zur Arbeiterklasse. Diesen Gehalt verliert er, wenn er nun mit der sog. Mittelschicht gleichgesetzt wird oder identifiziert wird mit dem sich liberal verstehenden Subjekt. Kulturell scheint die bürgerliche Kultur sich seit 1968 auch aufzulösen durch die linke Kulturrevolution. Besitzt der Begriff des Bürgerlichen wirklich noch eine die gesellschaftliche Wirklichkeit erschließende Kraft oder ist er nur noch eine Chimäre?  

Gracchus

18. März 2023 18:35

Die Korrektur ist berechtigt. Dennoch scheint mir mit "Bürgertum" der richtige getroffen. Auch die Angestellten könnte man als Bürger subsumieren. Scheint so, dass das Bürgertum in Deutchland nie eine starke emanzipative Kraft entfaltet hat. Dass @Laurenz von Neofeudalismus spricht, ist ganz zutreffend. Es fehlt eine politische Kraft von unten. Die AfD versucht dies zu sein, wird aber von den Bürgern dafür ausgebuht. Solche Dämlichkeit ist einzigartig. So was will mir nicht in den Kopf.
Man könnte dem Bürgertum vorwerfen, dass es der Massengesellschaft Vorschub geleistet hat. Allerdings hat das Bürgertum kein "Adresse", wenn man nicht die Parlamente dafür hernehmen will. 
 

Umlautkombinat

18. März 2023 18:46

@Laurenz
Ich will nun nicht in Bildungshuberei verfallen (und bin kein Experte des Themas) - aber Beamte hatte wohl nahezu jede menschliche Gesellschaft hinreichend ausgepraegten Komplexitaetsgrades. Ob das jetzt Rom, China, Aegypten, Frankreich oder meinetwegen auch Preussen war. Und eine definierende Eigenschaft dieses Standes war Loyalitaet ihrer Herrschaft gegenueber, dazu wurde er ja geradezu explizit geschaffen. Das schliesst Selbststaendigkeit auf verschiedenen wesentlichen Ebenen weitgehend aus. 

FraAimerich

18. März 2023 19:08

Auf Twitter liest man: "Replik auf Thor v. Waldsteins Bürgerschelte: TvW arbeite sich an einem Strohmann ab und verwechsle die Mittelschicht mit einem Bürgertum, das es so gar nicht mehr gebe"
Wozu dann die Haarspalterei - ist schon wieder Sommerloch?
Oder soll die Debatte auf etwas hinauslaufen? 
Auf die Ehrenrettung und Stärkung des "Spiesbürgers" als dem "traditionellen" Hervorbringer und Unterhaltsleister des herrschenden Elends?
Oder positiv gewendet - auf die Ausrichtung und Stärkung des Widerstands gegen den entfachten "Klassenkampf gegen die Mittelschicht"?
Letzteres verträgt sich schlecht mit "Bürgerschreck"-Haltung, zugegeben. 
Rechterseits verfängt man sich andererseits aber doch ohnehin ständig in den eigenen Widersprüchen, Historisierungen, Verklärungen - wie das eben so üblich ist beim Versuch, die eigene Überidentifikation mit durch und durch "bürgerlichen" Idealen, auch "dem Staat", in Einklang zu bringen mit der Wirklichkeit bzw. dem "inneren Staatsfeind", der einem angesichts der bundesrepublikanischen Realexistenz ständig von innen gegen die Stirn klopft...

Majestyk

18. März 2023 19:37

@ Laurenz:
Großartig auf den Punkt gebracht. Was Sozialismus und Feudalismus eint ist die vollkommene Abwesenheit des Leistungsprinzips. Weder in der Herrschaft vieler über den Einen, noch in der Herrschaft weniger über viele gibt es die Anerkennung individueller Leistung und auch nicht das Recht auf individuelle Selbstentfaltung. Beides sind extreme Pole wie man Gesellschaft denken kann und beide sind grundfalsch. Austarieren läßt sich das nur, wenn ein Gesellschaftsvertrag klar die Rechte des Bürgers gegen den Staat regelt und der Staat nie die Tiefe erreicht um gegenüber dem Bürger Dominanz zu erlangen. Die Akkumulation von Kapital und Produktionsmitteln ist ja nur möglich, wo es starke nationale oder gar supranationale Strukturen gibt. Bei echten föderalen und starken kommunalen Strukturen können weder Einzelne, noch Ideologien überall und umfassend Einfluß gewinnen. Genau deswegen muß man  aus freiheitlicher Sicht das Steuersystem und den sich daraus ergebenden starken Staat an sich in Frage stellen.
Letzten Endes läuft es immer darauf hinaus ob man Gesellschaft und Staat vom Kollektiv aus denkt oder vom Individuum. Der kollektiv gedachte Staat kann nie freiheitlich sein und ist am Ende der Entwicklung auch sozial nicht gerecht.

Dietrichs Bern

18. März 2023 21:49

Ja, finde ich auch deutlich besser als den Vorgängerartikel.
Woran beide scheitern: Wie erkläre ich den Vater, der nach dem grausamen Mord an seiner Tochter verlautbart, den weitgereisten Mörder wie einen Sohn empfangen zu haben, wie den Vater der angesichts seiner ermordeten Tochter von der Angst ungetrieben wird, die Tat spiele den falschen in die Hände.
Wer soll das sein, welches historisches Vorbild sollte ihm vorangegangen sein?

Gotlandfahrer

18. März 2023 23:19

Die Kritik am Artikel von TvW ist "theoretisch" berechtigt, bringt aber auch keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn: Dann ist der Bürgerbegriff also unscharf, gut, aber trotzdem ist die klimaabgabenzahlende Fernreisen-Mittelschicht offenbar "links" (was auch TvW herausstellt und doch aber auch nicht mehr so ist, wie es mal war).  Vermutlich kann man sich stets an den ausgewählten Begriffen stoßen. Was ist eigentlich unser größtes Problem? Die definitorische Tiefenschärfe? Nein: Die Frage, wie wir unsere Überlebenschance in einem nahezu aussichtslos erscheinenden Sklavendasein erhalten und nutzen. Den "Bürger", den der Autor oben besser zu beschreiben gedenkt, gab es so nur in einem kurzen historischen Moment, den Menschen mit seinen Stärken und Schwächen gibt es immer. 
An TvW gefällt mir ganz grundsätzlich immer sehr gut die Verachtung für das ignorante Duckmäusertum, das es ebenfalls immer gibt, egal wie man das begrifflich kategorisiert und wie es sich historisch zeigt. Mir persönlich scheint es, gegenüber Beschreibungswettbewerben, aber wichtiger, sich - auch mittels theoretisierendem Schrifttum - von der Masse geistig unabhängig zu halten, um ihre unausweichlichen Stampeden ertragend zu überstehen.  Auch wenn TvW dafür keine praktischen Lösungen liefert, ist mir seine Haltung willkommenes Vorbild.

Laurenz

19. März 2023 07:59

@Umlautdekanart     ...Beamte.... in der Form, wie wir sie heute kennen, mit diesem expliziten Recht, wurden in Preußen erfunden. Mutmaßlich stammen sie aus einer militärischen Idee. Derfflinger erschuf dem Großen Kurfürsten ein stehendes Heer mit sozialen Standards, auch für die Familien der Soldaten & löste damit die Landsknechterei ab. Stehende Heere waren wesentlich stabiler als Söldner.
@Gracchus  .... Wir dürfen festhalten, daß es den idealen Deutschen Bürger, wie ihn TvW uns skizziert hat, historisch so nie gab. Man kann das als Schimäre oder Romanitisierung bezeichnen. Bürger, im Sinne TvWs waren, als Krämerseelen, nie in der Lage, politisch mehr als Stadtstaaten zu organsieren. Ob Hellas, Karthago, Venezien & die Hanse, alle scheiterten an der Unfähigkeit dauerhaft territoriale Macht zu etablieren. Historisch war der größte Coup wohl die feindliche Übernahme des Stuhls Petri durch nordlitalienische Kaufmannsfamilien. Ihre dummen aktuellen Bürger sind auch nicht dümmer, als jene vor 500 Jahren. Es geht ihnen vielmehr um ihr Leben im Stand. Für darüber hinaus reichendes politisches Denken, hatte es im Bürgertum nie gereicht. Das muß man sich eben auch eingestehen.

Laurenz

19. März 2023 08:06

@Gotlandfahrer   ... ist die klimaabgabenzahlende Fernreisen-Mittelschicht offenbar "links". Machen Sie Sich nichts vor. Die linke Mechanik einer neo-theologischen Wissenschaft mit variablen Göttern, wie sie heute auf dem Vormarsch ist, beherrschte uns über 1.000 Jahre. Im Westen nichts Neues. Sobald die Christen im Römischen Reich, Dank Konstantin, Oberwasser bekamen, waren alle Andersdenkenden Freiwild, spätestens mit Theodosius zum Abschuß freigegeben.

Mitleser2

19. März 2023 08:18

Ein sehr guter Artikel, nur eine kleine Kritik zu "Das in diesen Berufsfeldern [politisch, staatsnah, links] übliche Einkommensniveau und das dort erwartbare Mindestmaß an Manieren und Allgemeinbildung ermöglichen eine Art der Lebensführung, die von Ferne der der Bürgerlichkeit gleicht."
Das Einkommensniveau mag für die überbezahlten ÖRR Mitarbeiter und andere in staatsversorgten NGOs etc gelten. Manieren und Allgemeinbildung finden sich dort aber eher nicht, siehe die Aufführungen der jungen, grünen, weiblichen Bundestagsabgeordneten.

Umlautkombinat

19. März 2023 10:48

@Gotlandfahrer
 
> aber wichtiger, sich - auch mittels theoretisierendem Schrifttum - von der Masse geistig unabhängig zu halten
 
Was soll man sagen: Das ist "theoretisch" berechtigt :-) - genuegt halt aber vielen Leuten nicht.
Nebenbei m.E. auch dem Betreiber dieses Forums nicht, nachdem man nun schon geraume Zeit die Kommentare nach runden Zahlen schliesst.
 
 

ABC

19. März 2023 12:19

@Dietrichs Bern
 
Der soziale Tot wird mehr gefürchtet als der physische Tot - sowohl der eigene als auch der der Kinder. Das ist nicht ungwöhnlich, die klassische Form ist der Stolz auf den Heldentot des Sohnes im Kampf fürs Vaterland. So eine Haltung bricht nur zusammen, wenn das zugrundeliegende sinnstiftende Narrativ nicht mehr aufrechterhalten werden kann oder gar der soziale und gesellschaftlich Bezugsrahmen verschwindet. Also klassisch bei militärischen Niederlagen wie in den Weltkriegen.
 
Die historische Argumentation von Winfried Knörzer finde ich genauso überzeugend wie die von Panajotis Kondylis zum Konservatismus. Bleibt natürlich die Frage was derartige Gelehrtheit nützt. Die Begriffe Bürgertum und Konservatismus werden aktiv verwendt und niemand hat mitbekommen, dass die grundlegenden sozialen  Gruppierungen und gesellschaftlichen Zustände nicht mehr existieren.

quarz

19. März 2023 12:31

@Dietrichs Bern
Wer soll das sein, welches historisches Vorbild sollte ihm vorangegangen sein?
Das ist kein Vorbild, das der bürgerliche Vater deutlich und bewusst vor Augen hat, sondern eine geistesgeschichtliche Entwicklung, in deren Folgen er schwimmt wie ein Fisch im Wasser, ohne sie wahrzunehmen, und die sein Denken bestimmt.
Hauptimpulsgeber dieser Entwicklung ist der Umstand, dass keine der beiden einflussreichen ethischen Ideologien der letzten Jahrhunderte (ja, so weit reicht das zurück) - Utilitarismus und Kantianismus - dem für eine schlüssige Ethik unverzichtbaren Element der spezifischen Verantwortlichkeit einen angemessenen Platz eingeräumt hat.
So kommt es, dass den ahnungslosen Erben dieser philosophischen Katastrophe der Sinn dafür abhanden gekommen ist, für wen sie Verantwortung tragen und für wen nicht.

Dietrichs Bern

19. März 2023 14:30

@ABC: Zunächst danke für die gute Replik. Ich bin nicht sicher, ob ich der Eingangsthese folgen möchte. Ob es z. B. zur Zeit der beiden Weltkriege wirklich so etwas wie Stolz über den auf dem Felde der Ehre (so man dieser Formulierung etwas abgewinnen kann) gefallenen Sohn gab, oder ob man seinen Schmerz auch aus guten Gründen hinter Flosken verbarg, vermag ich nicht zu sagen. 
Ich weiß auch nicht, ob der Vergleich mit der Opferung von Töchtern (ich halte den Unterschied nicht für bedeutungslos) unter weltanschauliche Begleitumstände wirklich passt. Aus der konsequenten Realitätsleugung, die mir in Diskussionen mit dem "Team Umvolkung" begegnet ist, würde ich allerdings tatsächlich auf zumindest Hinnahme dieser Opfer schließen und weniger Angst vor Ächtung in der eigenen Blase.
Ihrer Kritik an der Diskussion über einen Bürgerstand, den es so in der Realität kaum gegeben hat, schließe ich mich vollkommen an.

Dietrichs Bern

19. März 2023 15:00

@quarz: Auch Ihnen zunächst einmal Dank für Ihre Antwort. Eine unbewußte Entwicklung erscheint mir eine nachvollziehbare Begründung - allerdings nur für Teile der "bürgerlichen Väter" (wenn wir diesen Begriff einfach mal so für die Diskussion akzeptieren). Vor meinem geistigen Auge sehe ich Soziologen, Oberstudienräte, Künstler, Schauspieler und den ganzen Berliner Sumpf der Nettostaatsprofiteure als Substrat der Entwicklung, weniger den Facharbeiter, den einfachen Angestellten usw.
Als Triebfeder dieser Entwicklung meine ich auch einen ausgeprägten Selbsthass feststellen zu können, dessen Aussaat wohl nach dem 2. Weltkriege begann und  in den wirtschaftlichen Thesen einer Ulrike Herrmann als  "Selbstmorgenthauisierung" den vorläufigen Höhepunkt findet.

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