Darum nur kurz: Dem Rammstein-Frontmann Till Lindemann (*1963) wird aktuell nachgesagt, er bediene sich bei Konzerten eines speziellen Rekrutierungssystems, um seine sexuellen Gelüste zu befriedigen. Hübsche Mädchen würden entweder direkt auf den Konzerten oder zuvor via Social media angesprochen, ob sie Interesse hätten, beim Auftritt sowohl in „Row Zero“ (also direkt vor der Bühne) zu stehen als auch, ob sie gern Gast bei einer „Aftershowparty“ wären.
Der Legende nach würden Lindemann dann etliche junge Frauen vorgeführt, und er wählte eine (oder zwei) aus, die ihn in einer kurzen Pause befriedigten. Angeblich (laut Bild) geschehe das regelmäßig, während ein DJ auf der Bühne den verstörenden Hit „Deutschland“ („Deutschland- meine Liebe, Deutschland – mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen, Deutschland, dein Atem kalt, so jung und doch so alt“) spielte. Hernach würde Lindemann das Stück live performen.
Rammstein ist Kulturexport Nummer 1 und auch überseeisch enorm populär. Wir haben es hier mit echten Großverdienern zu tun. Sie setzen auf brachiale Ästhetik, krasse Texte und grandiose Shows mit extremer Pyrotechnik, offenkundig ein Popventil für eine Gesellschaft, der pathetischer Heroismus gründlich ausgetrieben wurde und in der jeder Männlichkeitskult als vorgestrig gilt.
Der wesentlich ostdeutschen Gruppe wird seit je ein Kokettieren mit NS-Symbolik vorgeworfen. Ein Video (1998) hatte Szenen aus Leni Riefenstahls Olympiafilm beinhaltet. (Ich besitze übrigens zwei Bücher aus der Feder von Lindemanns Vater, dem DDR-Dichter Werner Lindemann. Eines heißt Mädchen haben Zöpfe. Heute fraglos ein unmöglicher Titel!)
Vom „rechts“-Vorwurf hatten sie sich beizeiten schlau distanziert, unter anderem durch das Lied 2,3,4 links.
Zurück zum Mißbrauchsvorwurf. Kronzeugin gegen Lindemann ist zuvörderst eine junge, erfolgreiche Influencerin, die sich „Kayla Shyx“ nennt. Ihr Video muß man im Grunde zweimal ansehen. Beim ersten Anschauen wird man mitgerissen: Junge Fan-Frauen werden durch eine russische Vermittlerin (die anscheinend eine ähnliche Zuführrolle übernimmt wie Ghislaine Maxwell im Fall Jeffrey Epstein) perfide in einen Darkroom mit Lindemann gelotst! Dort werden sie wahrscheinlich unter Drogen gesetzt und mißbraucht. Das ist unglaublich!
Beim zweiten Anschauen tauchen dann doch Fragen auf. „Kayla Shyx“ tritt hier ungeschminkt und im Schlabberpulli auf – als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Nun, man findet leicht heraus, daß sie, die hier dramatisch ausruft, „auf einmal checke ich: ich bin hier als Sexobjekt!“, sich gerne so kleidet, daß man sie für ein „Sexobjekt“ halten könnte.
„Kayla“ berichtet mit aufgerissenen Augen. Sie erzählt nicht chronologisch, sondern „shocking“ durcheinander, vieles betont sie x‑fach. Die „Beweise“, die sie anführt, sind weitgehend anonym oder nebulös. Sie möchte dann ein Gedicht zitieren, das Lindemann vor Jahren veröffentlicht hat, aber sie „kann es nicht“, immer wieder kämpft sie anscheinend mit den Tränen. Daher wird das Poem eingeblendet: Eine „lyrische“ Phantasie, wie eine Frau heimlich mit Rohypnol betäubt und dann penetriert wird.
Lindemanns Verlag Kiepenheuer & Witsch hat sich nun vom Autor getrennt. So bewarb KiWi damals die Brutaloverse: Hier trete
ein abgründiges, reizbares, verletzliches lyrisches Ich in eine intime Zwiesprache mit dem Leser.
Die Rede ist- und da muß man schon lachen – von „Gefühlsinnigkeit“:
Trotz des zeitgenössischen Tons stellen sich sofort Assoziationen zur Lyrik der deutschen Romantik und des Expressionismus ein, auch zu Gottfried Benn und Bertolt Brecht. Die Motive umkreisen die Abgründe der Existenz, den Hunger des Begehrens, den Körper, den Schmerz, die Lust, die Komik und Tragik der Kommunikation, die Einsamkeit und Gewalt.
Nein, drunter machten sie´s nicht!
Nicht nur auf der „rechten Seite“ gibt es nun ordentlich Dissens zum Fall Till Lindemann. Zum einen ist die Häme gegenüber den nun ihre „Objekthaftigkeit“ beklagenden Frauen groß – etwa bei Michael Klonovsky, der nun seinerseits Unterleibsprosa bemüht:
die meisten sind oder waren aber einfach nur stolz darauf, eine Party mit echten Stars gefeiert zu haben, von einem echten Star beachtet oder sogar penetriert worden zu sein, es handelt sich um eine Form der Idolatrie – man denke nur an die weibliche Geräuschkulisse bei den Auftritten der Idole. Tja Mädels, auch dieses Pläsier fällt im Sturm des Zeitgeistes; die Musikanten werden es sich künftig wohl nebenwirkungsfrei professionell besorgen lassen, und ihr dürft in heiserer Ausgekreischtheit, bis aufs Höschen durchgeschwitzt, aber in aller Unschuld heimgehen.
Auf achgut.com ätzt Ulrike Stockmann:
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mal wieder eine Kampagne gegen Hedonismus, Ausschweifungen und Sinnesfreuden gefahren wird. Wie wäre es damit, Sex, Drugs and Rock’n‑Roll gleich ganz abzuschaffen?
Diese Argumentation verläuft nach dem Muster „dann mach doch die Bluse zu“ (Birgit Kelle). Motto: Niemand zwingt euch Mädels, aufreizend bekleidet solchen Stars zuzujubeln. Niemand zwingt euch, die Einladung zu einer Aftershowparty anzunehmen. Sollte euch doch klar sein, daß das dann keine Häkelrunde wird. Und mal im Ernst, ihr heult doch hinterher nur rum, weil der Kerl, der´s euch besorgt hat, keinen Blumenstrauß hinterherschickt.
Das ist so falsch wie die Argumentation der Gegenseite, die nun wie „Familienministerin“ Lisa Paus „Schutzräume für Frauen bei Konzerten“ fordert – was zusätzlich verlogen ist, da von solcher Seite „Schutzräume für Frauen in westdeutschen Großstädten“ (wo echte sexuelle Übergriffe massenhaft passieren und leitmedial so gut wie nie skandalisiert werden) eben nicht angemahnt werden.
Ulkig wird es auch, wenn Personen wie Reyhan Şahin (Künstlername Lady Bitch Ray; die Selbsternennung als „Bitch“ sei eine „antipatriarchale Umdeutungsgeste”) nun „strukturellen Sexismus“ im Showbusiness, ausgeübt durch “alte, weiße Männer”, beklagen.
Den Vogel schoß die linke Politikerin Julia Schramm („Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei“) ab, die auf Twitter den anklagenden Dreiklang „Epstein Weinstein Rammstein“ postete. Das hat Hautgout…
Man muß diesem Fall (wie in ähnlichen Fällen von Roman Polanski bis Dieter Wedel) nicht mit burschikoser Empathielosigkeit („was habt Ihr erwartet?“) begegnen, zumal hier der Verdacht, daß k.o.-Tropfen eingesetzt wurden, nicht ausgeräumt ist.
Andererseits ist es ein dem Feminismus inhärentes Problem, daß seine Verfechter der Sexualität die Machtverhältnisse austreiben wollen. Es gibt keine Augenhöhe zwischen Mann und Frau in diesen Fragen. Die permanente Einrede von konsensbasiertem Aushandlungsdialog führt nur dazu, daß Frauen blind dafür sind, daß Männer normaler- und natürlicherweise keine Domestiken sind.
Wie schrieb der gute Peter Rosegger in seinem Sünderglöckl:
Trau, schau, wem! Dieser Ruf müßte durch alle Liebesgeschichten hallen, die für junge Mädchen geschrieben werden!
Gestern spielten Rammstein übrigens vor ausverkauftem Stadion in München. Auf den Song „Pussy“ („You have a pussy, I have a dick, so what´s the problem, let´s do it quick“) wurde verzichtet. Die Fans trugen wie immer T‑Shirts mit „Evil German“-Aufdruck, mit „Manche führen – manche folgen“ oder: „Sex ist eine Schlacht – Liebe ist Krieg“.
Sandstein
Das wird EK bestimmt nicht gefallen, aber Verantwortung, insbesondere für das eigene Tun, zu übernehmen ist eben keine bei Frauen häufig anzutreffende Eigenschaft. Da wird oft nach Sündenböcken gesucht, wahlweise das System, die Gesellschaft, oder halt gleich der Mann ansich. Mich interessiert das alles nicht - trotzdem gut zu lesender Artikel von EK. Das war's dann aber auch - es gibt schlichtweg wichtigeres für mich.