Es ging um Bücher und Gedenken, Grauenhaftes, Kämpferisches und Schönes.
Diesmal soll es um die anhaltende Debatte um die Kürzung des deutschen Sprachunterrichts gehen. Die Zeitung der Deutschen in Polen, das Wochenblatt (Abo in der BRD problemlos möglich, auch als preiswertes E‑Paper!), berichtet über den anhaltenden Kampf der Minderheit um ihre Rechte.
Zunächst rekapituliert Rudolf Urban die groben Züge der Problematik:
Der Minister für Bildung und Wissenschaft, Przemyslaw Czarnek, hat auf Antrag des Abgeordneten Janusz Kowalski mit seiner Verordnung vom 4. Februar 2022 die Anzahl der Stunden für Deutsch als Minderheitensprache von 3 auf 1 pro Woche reduziert.
Sowohl Eltern als auch Lehrer und Vertreter der deutschen Minderheit protestierten gegen diese Entscheidung, doch sie trat am 1. September 2022 in Kraft.
Erst einige Monate später erklärte Przemysław Czarnek bei einem Treffen mit Vertretern der deutschen Minderheit, dass die Verordnung zur Verringerung der Anzahl der Deutschstunden so bald wie möglich zurückgezogen werden würde. Bis heute wurde im Bildungsministerium jedoch keine solche Entscheidung getroffen.
Deshalb hat man eine Kampagne gestartet: »Gebt den Kindern die Sprache zurück«.
Rafał Bartek, Vorsitzender des Verbands der deutschen Gesellschaften in Polen, führt das Anliegen aus:
Seit dem Treffen mit Minister Czarnek in Oppeln sind sechs Monate vergangen und nichts hat sich geändert. Wir sind als Gemeinschaft und als polnische Bürger entsetzt über das Verhalten der Politiker der Regierungspartei, insbesondere aus unserer Region, was die Förderung des Sprachunterrichts für unsere Kinder betrifft.
Denn Bartek weiß, was ein jeder historisch und politisch Interessierter weiß: Über Sprache wird Identität geschaffen, Zusammenhalt, Vertrauen.
Bartek weiter:
Es kann uns nicht gleichgültig sein, was mit den Kindern geschieht. Unsere regionale Identität, unser Schlesischsein, Deutschsein und Polnischsein sind etwas, das hier eine Art Kapital schafft, um das uns andere beneiden.
Das Problem ist, daß die polnische Rechte, sowohl in der Regierung als auch die in der Opposition (dazu später mehr), das »Deutschsein« als einen Verrat am »Polnischsein« deutet; das »Schlesischsein« wird allenfalls geduldet, wenn es sich auf Polnisch-Schlesisches im Industrierevier (Beuthen bis Kattowitz) bezieht, nicht aber auf Deutsch(-Polnisch-)Schlesisches.
Die Frage nach dem Unterricht ist derweil keine, die nur ein paar Hundert Deutschgebliebene betrifft. Auch offiziell sind es schon jetzt mehr als 56 000 Kinder und Jugendliche in ganz Polen, das Gros lebt rund um Oppeln und im Kohlepott.
Die Entscheidung von Minister Czarnek betraf freilich nicht nur die Schüler. Auch Lehrer wurden zu Opfern dieser Entscheidung. Eine Lehrerin aus der Gemeinde Dambrau (Dąbrowa) teilte mit:
Da wir seit Generationen in Schlesien zusammenleben, wissen wir um die Notwendigkeit von Gesprächen und Dialogen in der Sprache der Menschen, die uns umgeben, und dies ist oft die Annahme, die Eltern aller Kinder in der Gemeinschaft machen, wenn sie ihre Kinder zum Deutschlernen schicken. Wir appellieren daher erneut an die Regierung, die Zahl der Deutschstunden wiederherzustellen. Gleichzeitig appellieren wir an die Menschen in unserer Region: Geben wir nicht auf, kämpfen wir für die bestmögliche Bildung und gleiche Entwicklungschancen für unsere Kinder.
Aus diesem Grund wurde die PR-Kampagne zugunsten des deutschen Spracherhalts gestartet. Großplakate, Internetgrafiken, Flugblätter: Ziel der Kampagne sei es, die handelnden Politiker
daran zu erinnern, dass “Politik nicht auf Kosten von Kindern gemacht werden sollte”.
Die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien als Motor der Kampagne hat eine Spendenmöglichkeit eingerichtet, wodurch jeder Freund der deutschen Sprache unkompliziert seine Unterstützung bequem per Mouseklick leisten kann. Wird mehr gespendet, können mehr Plakate und Großbanner gehängt werden – im besten Falle auch außerhalb der deutschsprachigen Schwerpunktregion Oppelner Land.
Apropos »außerhalb«: 120 Kilometer östlich von Oppeln, in der 300.000-Einwohner-Stadt Kattowitz, fand am vergangenen Wochenende der traditionelle »Schlesische Autonomiemarsch« statt. Dort demonstrieren jährlich polnisch- und deutschsprachige Oberschlesier für unterschiedliche Vorstellungen einer oberschlesischen Selbstverwaltung im Rahmen der Republik Polen. Vertreter der fast ausnahmslos polnischsprachigen Autonomiebewegung laufen ebenso mit wie Angehörige der deutschen Jugend des Industriereviers. Diesmal waren es respektable 1000 Teilnehmer.
Dementsprechend wurde auch in Kattowitz die Sprachkampagne thematisiert: »Gebt uns den Deutschunterricht zurück!« lautete die zentrale Parole auf dem Marsch.
Der Beuthener Markus Tylikowski begründete gegenüber dem Wochenblatt die Beteiligung an der Autonomie-Demonstration:
Wir wollten durch unsere Teilnahme zwei Dinge zum Ausdruck bringen: erstens, dass Oberschlesien für uns Deutsche unsere Heimat war, ist und immer sein wird. Und zweitens, dass wir angesichts der Diskriminierung zehntausender junger Oberschlesierinnen und Oberschlesier beim Erlernen von Deutsch als Minderheitensprache nicht aufhören werden, unsere Rechte einzufordern.
Rechte, die derzeit eben beschnitten werden.
In Deutschland mag man sich fragen, ob es nur an der PiS und ihren rechten Koalitionspartnern wie der Solidarna Polska liegen mag, daß es soweit kommen konnte. Doch die Ressentiments und Chauvinismen gegenüber den Deutschen in Schlesien sind rechts der Mitte bedauerlicherweise parteienübergreifend vorhanden.
Denn auch die Konfederacja, das aufstrebende oppositionelle Rechtsbündnis aus Monarchisten, Libertären und Nationalisten, das in der AfD zunehmend Sympathien gewinnt, spielt eine zweifelhafte Rolle. Gewiß: Konfederacja-Politiker äußern sich seltener zur deutschen Minderheit als ihre PiS-Konkurrenten.
Aber wenn, dann läßt man keinen Zweifel an einer vorhandenen Abneigung:
Konfederacja möchte die Rechte der deutschen Minderheit in Polen abschaffen,
heißt es schulterklopfend auf einem rege frequentierten rechten Internetportal der polnischen Rechten, Konfederacja-Politiker sind empört ob deutscher Fahnen in Kattowitz und die Parteienallianz schreibt selbst auf ihrer Netzseite, daß die Minderheitenrechte für die Deutschen in Schlesien nur dann gewährt werden können, wenn Deutschland endlich die polnischen Minderheitenrechte in Deutschland gewährt, womit sich Konfederacja auf Regierungslinie der PiS befindet.
Zu erinnern ist hierbei indes an einen bedeutenden Unterschied: Die polnische Einwanderung nach Deutschland hinein ist etwas anderes als die deutsche Restpräsenz in Oberschlesien, wo man seit vielen Jahrhunderten lebte, zunächst als Mehrheit, dann, nach der Vertreibung, als kleine Minderheit.
Es ist diese rechte Ablehnungsfront von PiS (Regierung) bis Konfederacja (Opposition), die die 200.000 bis 300.000 deutschstämmigen Wähler in Polen in die Arme linksliberaler Parteien treibt, die offen für Minderheitenrechte agieren und damit der deutschen Minderheit potentiell mehr Freiräume verschaffen würden als aktuell.
Spricht man mit polnischen Rechten, die keinerlei antideutsche Stimmung aufweisen (die gibt es) und wagt sich vor auf das heikle Terrain der deutschen Frage in O.S., wird einem in vertrauter Regelmäßigkeit entgegnet, man könne als polnischer Rechter weder intern noch extern deutschfreundliche Interessen vertreten, solange die deutsche Minderheit unverhohlen mit der Bürgerplattform aus der linken Mitte liebäugelt*, dem Herausforderer der polnischen Rechten aller Couleur.
Allein, die ketzerische Gegenfrage stellt sich von selbst: Bleibt den Deutschen in Schlesien denn eine Wahl? Deren schwacher Ausgangspunkt lautet: Mit PiS und Partnern gibt es Rechteabbau für Deutsche, mit Konfederacja gäbe es Rechteabbau für Deutsche, nur die Mitte-Kräfte und Linksliberalen versprechen einen Ausbau der Minderheitenrechte.
Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma, daß identitätsbewußte Deutsche in Polen notorisch identitätsverleugnende Linke oder Liberale wählen »müssen«?
Der Ausweg bestünde darin, daß wenigstens eine Rechtspartei von ihren antideutschen Ressentiments zu lassen hätte. Die beste Chance darauf gibt es, trotz skizzierter Kritik, wohl noch im wachsenden Konfederacja-Spektrum. Dort sind die Strukturen und Denkprozesse nicht so verfestigt wie bei der PiS-Regierung, heißt es jedenfalls von jenen AfD- und JA-Funktionären, die mit Polens politischer Rechten bestens vertraut sind.
Bei Spiegel+ (v. 17.7.2023) beschreibt man derweil die Konfederacja so:
Konfederacja ist eine traditionalistische Partei, in der Führungsriege findet sich keine einzige Frau. Und diese Aufstellung scheint anzukommen, vor allem bei jungen, männlichen Wählern. In der Altersgruppe der 18 bis 39 Jahre alten Männer auf dem Land oder in Kleinstädten schätzen Soziologen das Potenzial der Konfederacja auf mehr als 35 Prozent.
Die Frage ist: Birgt diese Wählerzusammenstellung Potential für eine deutschfreundliche Politik oder ist nicht just auf dem polnischen Land der klassische Nationalismus (eben: inkl. antideutscher Stereotype) hegemonial?
Man verstehe mich nicht falsch, auch nicht im Hinblick auf die nahende Europawahl im Jahr 2024 und die Situation der AfD, deren Protagonisten sich teils gen PiS, teils gen Konfederacja positionieren:
Antiquierten antideutschen Ressentiments ist nicht mit antiquierten antipolnischen Ressentiments zu begegnen. »Breslau, Danzig und Stettin!«-Gesänge und Kalauer über die »polnische Verwaltung der Ostgebiete« sind 2023 ähnlich dumm und schädlich wie ihr unseliger Pendant, ein großpolnisch-antideutscher Chauvinismus.
Es liegt vielmehr in unserem vollkommenen Interesse, partnerschaftliche Beziehungen zur polnischen Rechten zu pflegen, nicht nur, aber auch, um die Situation der Deutschen in Polen zu verbessern. Dabei dürfen wir aber nicht die realexistierende deutsche Minderheit politisch »opfern«, um bei polnischen Rechten Reibungsflächen und Verstimmungen zu vermeiden.
Ich fasse daher zusammen:
- Es würde der deutschen Minderheit helfen, gäbe es eine parlamentspatriotische polnische Rechte, die die Interessen der Deutschen in Schlesien beherzigt, anstatt sie zu leugnen oder gar zu bekämpfen.
- Es würde der AfD helfen, gäbe es eine parlamentspatriotische polnische Rechte, die gemeinsam mit ihr in Brüssel und Straßburg für eine europäische Politikwende arbeiten könnte.
- Es wäre indes genuin unpatriotisch für die einzige bundesweit relevante patriotische Kraft der BRD, würde die AfD die Frage der deutschen Minderheit in Polen relativieren oder gar ignorieren, um parlamentspatriotische polnische Kooperationspartner 2024ff. zu gewinnen.
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* Nachtrag zum Liebäugeln der deutschen Minderheit in Polen mit der »linken Mitte«:
Es ist ein offenes Geheimnis, daß die deutsche Minderheit bei polnischen Wahlen liberale und linksliberale Parteien wählt, wohingegen sie bei Wahlen in Deutschland CDU und CSU favorisiert. Beides hat historische und politische Gründe, beides hat man als politische Rechte in der BRD nicht vollständig selbst in der Hand.
Was man sehr wohl in der Hand hat: Mehr Interesse für O.S. und Co. zeigen, mehr Empathie für die Situation der Menschen vor Ort aufbringen, mehr Solidarität üben: Wochenblatt abonnieren, für die Sprachkampagne spenden, über die ÖLM/Der Eckart bezüglich neuer Projekte der Minderheit informieren, Mitstreiter für das Thema sensibilisieren: Das kann wirklich jeder.
Untätig sein ist unstatthaft, zumal die »Gegenseite« ebenfalls nicht untätig bleibt. Linksorientierte deutsche Schlesier leisten Anti-Rechts-Arbeit. Finanziert von polnischen Stellen und dem deutschen Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) – ausgerechnet unter der Schirmherrschaft des verdienstvollen Joseph-von-Eichendorff-Konversatoriums (Oppeln) – berichtet man über die AfD, die man seinen schlesischen Landsleuten als Partei vorstellt, »deren Mitglieder sich offen auf die nationalsozialistische Tradition berufen«.
Der Autor Sebastian Fikus warnt vor einer AfD-Sympathie der Deutschen in Polen. Er führt aus:
Das deutsche Recht sieht vor, dass im Ausland lebende Bürger aktiv an Wahlen teilnehmen können. Die überwiegende Mehrheit der Autochthonen besitzt dieses Recht und kann aktiv an der Bundestagswahl teilnehmen. Dieses Recht ist unbestritten. Voraussetzung für die Teilnahme an der Bundestagswahl ist die Auswahl eines Wahlkreises in Deutschland, in dem man wählen möchte. Diese Wahl muss mit einem Bezug zur gewählten Region begründet werden.
Für Autochthone wäre der naheliegendste Wahlbezirk der westliche Teil des historischen Schlesiens, der in der Bundesrepublik liegt. Das wären die deutschen Kreise westlich von Görlitz. Also dort, wo die AfD-Partei am stärksten ist.
Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte können die Autochthonen beginnen, ihre Interessen in Deutschland aktiv zu vertreten und zu verteidigen. Und der Stimmzettel ist eine wirksame Waffe, die sie dabei einsetzen sollten.
Finanziert von polnisch-staatlichen Stellen wird hier mindestens unterschwellig dazu aufgefordert, gegen die AfD zu optieren. Vielleicht wäre derartiges auch einmal ein Thema für die Partei, wenn sie mit Konfederacja- und/oder PiS-Politikern zu Gesprächen zusammenkommt?
Fortis fortuna adiuvat
O wie raunt, lebt, atmet in deinem Lautder tiefe Gott, dein Herr; unsre Seel, die da ist das Schicksal der Welt. Du des Erhabenen starres Antlitz, mildes Auge des Traumes, eherne Schwertfaust!
Eine helle Mutter, eine dunkle Geliebte, stärker, fruchtbarer, süßer als all deine Schwestern; bittern Kampfes, jeglichen Opfers wert: Du gibst dem Herrn die Kraft des Befehls und Demut dem Sklaven. Du gibst dem Dunklen Dunkles und dem Lichte das Licht. Du nennst die Erde und den Himmel: deutsch!
Du unverbraucht wie dein Volk! Du tief wie dein Volk! Du schwer und spröd wie dein Volk! Du wie dein Volk niemals beendet!
Im fernen Land furchtbar allein, das Dach nicht über dem Haupte und unter den Füßen die Erde nicht:Du einzig seine Heimat, süße Heimat dem Sohn des Volks.
Du Zuflucht in das Herz hinab, du über Gräbern Siegel des Kommenden, teures Gefäß ewigen Leides! Vaterland uns Einsamen, die es nicht kennt, unzerstörbar Scholle dem Schollenlosen, unsrer Nacktheit ein weiches Kleid, unserem Blut eine letzte Lust, unserer Angst eine tiefe Ruhe:
Sprache unser! Die wir dich sprechen in Gnaden, dunkle Geliebte!Die wir dich schweigen in Ehrfurcht, heilige Mutter!
Josef Weinheber (aus "Adel und Untergang" 1934)