Fabian Wolff ist ein „Kostümjude“ (Jüdische Allgemeine). Man könnte ihn auch einen „Transjuden“ nennen. Er spielte den begeisterten Juden, steckt aber tragischerweise in einem biodeutschen Körper und hat seinen Opferstammbaum bloß erfunden. Nun kam er mit einem Artikel, in dem er seine „germanische Retransition“ beweint, einem Outing zuvor.
Details: Der Ostberliner Wolff erfand mit etwa 18 Jahren eine jüdische Identität, basierend auf einer vagen Behauptung seiner Mutter. Auf die Frage: „Mama, sind wir eigentlich jüdisch?“ Antwortete sie: „Na ja, nicht wirklich, aber du weißt ja das mit deiner Großmutter.“ Für Wolff änderte sich damit alles:
Ich hatte jetzt nämlich etwas, was ich über mich selbst erzählen konnte, auch wenn es mein Gegenüber womöglich befremdet, was dann auch oft genug geschah. Ich hatte jetzt eine Geschichte, ich hatte eine Identität.
Das impliziert freilich, daß er vorher keine Identität und Geschichte hatte. Seine angemaßte Identität beutete Wolff gründlich aus. Als „mutige, jüdische Stimme“ hatte er bald einen Stammplatz im deutschen Feuilleton.
Nur deshalb sorgt sein Fall für solches Aufsehen und schlägt höhere Wellen als der von Sophie Maria Hingst im Jahr 2019. Die deutsche Historikerin und Bloggerin bezeichnete sich als Nachfahre von verfolgten Juden. Ihre Identität nutzte sie, wie so viele, als Karrieregleitmittel. Nach ihrer Enttarnung wurde sie am 17. Juli 2019 tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie hatte die erzwungene „germanische Retransition“ nicht überlebt.
Bei Wolff ist Ähnliches gottseidank nicht zu befürchten. Zu viel Selbstmitleid und Selbstliebe strotzt aus seinen literarischen Ergüssen. Außerdem hat er eine Mission. Als „Kostümjude“ war er ein Kombattant in einer der wichtigsten, jüngeren Debatten der deutschen Ideengeschichte.
Der „historische Block“ (Antonio Gramsci), den die komplexen Untergruppen einer Gesellschaft zu jeder Zeit durch ihre ökosozialen Allianzen bilden, übt stets kulturelle Hegemonie aus. Nur so kann in der Gesellschaft ein „spontaner Konsens“ geschaffen werden. Dieser verbindet als sozialer Kitt Herrscher und Beherrschte.
Kern der Hegemonie ist ein „bloc des idées incontestable“ (Maurice Hauriou), also eine weltanschauliche Überzeugung, die im Grunde nicht infrage gestellt werden kann. Diese Überzeugungen bilden die Säulen der „herrschenden Ideologie“ (Louis Althusser). Wer diesen Mechanismus und seine weltanschaulichen Säulen nicht kennt, dem fehlt die ideengeschichtliche Orientierung. Er ist im äußersten Maße unfrei und „fremdgesteuert“.
Die Metaerzähung der BRD ist das Narrativ der eigenen Schuld, beginnend mit ihrem vielzitierten „Gründungsmythos“. Er dient als „fundamentaler Signifikant“ (Lacan). Er gibt jedem Deutschen eine (negative) geschichtliche Identität.
Die geschichtliche Mission des historischen BRD-Blocks ist im 3. Imperativ der Aufklärung festgelegt. In Anschluß an den kategorischen Imperativ Kants und den revolutionären Marxschen Imperativ formulierte ihn Adorno. Er fordert, die Welt so einzurichten und zu befrieden, „daß Auschwitz nicht noch einmal sei“. Statt einer universalen Befreiung von Unmündigkeit oder eines globalen Umsturzes aller Hierarchien wird ein permanenter, pessimistischer Verhinderungsmodus eingenommen.
Die universale Aufgabe der „Welteinrichtung“ beruft sich also auf ein deutsches Ereignis. Damit bildet die herrschende Ideologie ein autoaggressives „germanozentrisches“ Narrativ. Die Einhegung der deutschen Ursünde ist Aufgabe der Weltgemeinschaft. Dieser „adornitische Imperativ“ steht ideengeschichtlich in der Tradition politischer Religionen und der „Realtranszendenz“, die nach der Infragestellung der göttlichen Transzendenz notwendig wurde (Rolf Peter Sieferle).
Antiutopisch und „neokonservativ“ geht es dem 3. Imperativ der Aufklärung nicht mehr um die Schaffung einer neuen Welt, sondern um die Verhinderung eines neuen (deutschen) Unheils. Sein Credo lautet nicht „Bau auf!“ sondern „Nie wieder!“.
Die Wiederkehr des Bösen droht nicht nur in und von Deutschland. Schon früh machte Adorno mit seiner berüchtigten „F‑Skala“ allüberall faschistoide Keimzellen aus. Benoist hielt dazu im Buch Totalitarismus fest:
Da sich niemand mehr zum Faschismus bekennt, er jedoch bei jedem vermutet wird (und um so leichter vermutet, als sich niemand zu ihm bekennt), gründet sich der Antifaschismus nicht mehr auf eine objektive Feststellung, sondern auf eine bloße Unterstellung. (…) Man versucht aus seiner abstoßenden Wirkung Kapital zu schlagen und kämpft gegen ein Gespenst, das man für allgegenwärtig erklärt.
Was hat das alles mit dem Fall Wolff zu tun? Der Imperativ Adornos und der germanozentrische Schuldkult führen zu einer ethnisch-identitären „Aufladung“ der aufklärerischen Metaerzählung. Während der orthodoxe Kommunismus noch mit dem Zionismus ebenso hart ins Gericht ging wie mit jedem anderen Nationalismus, ist der germanozentrische Schuldkult geradezu völkisch.
In den stellenweise religiös anmutenden, älteren Schriften antideutscher Denker wie Clemens Nachtmann, Stephan Grigat und Justus Wertmüller werden Juden zur Personifizierung der Aufklärung. Sie werden Avatare des Fortschritts und fleischgewordene Utopieversprechen. Marxistisch wird das so ausgelegt: Indem die „Dialektik der Aufklärung“ den Juden am härtesten getroffen habe, sei er zum revolutionären Subjekt ebendieser Aufklärung geworden.
Die Einzigartigkeit des Holocausts zu verteidigen bedeutet daher auch, die unerreichbare Entfremdungserfahrung des jüdischen Volks zu verteidigen. Die aufklärerische Metaerzählung bekommt ein positives völkisches Subjekt (Israel), dem das negative Antivolk der Nazis gegenübergestellt wird. Dieser Dualismus dient als Auslegungsbeispiel für jede andere moralische Frage. Eine recht beliebte antideutsche Formel lautet: „Wenn alle Staaten sterben müssen, dann Deutschland zuerst und Israel als letztes.“
Dieser ebenso germano- wie judäozentrische Schuldkult ist, so bizarr er sich auch anhört, derzeit die mächtigste Metaerzählung überhaupt. Markus Vahlefeld beschreibt seine Wirkung auf die Gesellschaft in Mal eben kurz die Welt retten als:
einen flächendeckenden Nazikompensationskomplex, der so tief in die Volksseele eingedrungen ist, dass er sich problemlos instrumentalisieren und als Rechtfertigung für jeden Sonderweg und jeden demokratischen Abusus ins Feld führen lässt.
Das Drama um den Fall Wolff läßt sich also nur begreifen, wenn man ihn im Kontext dieser Metaerzählung begreift. Wolff gehört nämlich einem konkurrierenden „Orden“ der Schuldreligion an. Dieser lieferte sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von vielen kaum wahrgenommen, einen regelrechten „Religionskrieg“ mit den Germanozentrikern. Die Fraktion der „Antiimperialisten“ bekriegte die „Antideutschen“.
Es ging, wie so oft, um den Staat Israel: Bedeutet die „Welt so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole“, nun den Staat Israel bedingungslos gegen „islamischen Antisemitismus“ zu verteidigen, oder, im Gegenteil, die Palästinenser als „neue Juden“ vor einem „Apartheidsstaat“ in Schutz zu nehmen?
Die orthodox marxistischen „Antiimps“ lehnten den ethonationalen Aspekt des germanozentrischen Schuldkults ab. Die neomarxistischen „Antideutschen“ begeisterten sich dagegen, ersatznationalistisch, für „jüdisches Leben“. Als germanische Prätorianergarde wollten sie sich schützend vor den Staat Israel werfen. Dagegen warfen die Antiimps ihnen vor, daß sie durch diese Fixierung den Kampf für eine globale „befreite Gesellschaft“ vernachlässigten. Schon damals argumentierte Robert Kurz wie später Fabian Wolff: Die Identifikation mit Israel sei eine Art Vorwand, damit man als Deutscher wieder Herrenmenschentum und (antiislamischen) Rassismus pflegen könne.
Der binnenmarxistische Auslegungskrieg, der etwa 2009 bei einer Aufführung des Claude-Lanzmann-Films “Warum Israel“ sogar gewaltsam auf der Straße ausartete, endete im Bereich der ideologischen Staatsapparate mit einem Sieg der gemäßigten Antideutschen. Deren radikale Spitze brach ab und machte sich selbständig. Vor allem in Form des Magazins Bahamas wurden sie seitdem immer neokonservativer und islamkritischer.
Die Antiimps erleben derzeit wieder einen gewissen Aufwind. Die neulinke Identitätspolitik, rund um „Postkolonialismus“, „Black lives matter“ und nicht zuletzt der „demographische Wandel“ sind die Ursachen.
Antideutsche Ideologie ist ein durch und durch „biodeutsches Phänomen“. Ihr erwächst daher paradoxerweise durch den Bevölkerungsaustausch ein neuer Gegner: Eine neue Generation an „Aggromigranten“ dringt in die Hochschulen vor.
Sie zeichnet sich durch leidenschaftliche Beschimpfungen der Einheimischen und höhnischen Beifall für den Bevölkerungaustausch aus. Zwar spielt sie virtuos mit dem „flächendeckenden Nazikompensationskomplex“ der „Kartoffeln“. Zugleich empfinden sie aber, von Ilhan Omar bis zu Hegameh Yagobifarah naturgemäß wenig Sympathien für den Staat Israel. Sie wollen den germanozentrischen Schuldkult vom Holocaust „entkoppeln“ und zu einem postkolonialen Schuldsyndrom transformieren.
Dabei wollen sie selbst, zum Nachteil der Juden, in der Hierarchie der Opfer aufsteigen. Damit machen sie nicht nur Hitlerdeutschland als „schwarze Sonne, um die sämtliche Wert-Planeten dieser Republik kreisen“ (Botho Strauß) die unmoralische Einzigartigkeit streitig. Die POCs beanspruchen, immer lautstarker, vor den Juden den ersten Platz in der antikapitalistischen „Entfremdungsskala“ einnehmen zu wollen.
Ich habe diese Debatte bereits im Mai 2021 in einem Beitrag aufgegriffen. Der australische Genozidforscher Anthony Dirk Moses setzte damals, unter anderem gegen Dan Diner, zur Frontalattacke auf den Gründungsmythos der BRD an. Der Holocaust sei ein „christologisches Erlösungsnarrativ“ und „heiliges Trauma“ mit „völkischen Vorannahmen“ sowie eigenen „Glaubensartikeln“. Es sei an der Zeit „diesen Katechismus aufzugeben.“
Fabian Wolff ist nun nicht nur irgendein „Kostümjude“. Er war eine der wichtigsten Stimmen der antiimperialistischen Fraktion. Für die ZEIT schrieb er:
Nur wenn die Shoah nicht als hermetisch versiegelter Fakt außerhalb jeder Geschichte verstanden wird, sondern als radikalste Konsequenz einer gewalttätigen Aussonderung und Unterwerfung, als Teil von historischen Prozessen, die nicht 1933 begonnen und nicht 1945 aufgehört haben und in denen es nicht nur um Jüdinnen* Juden und Deutsche geht, kann die Erinnerung an sie Grundlage dafür sein, dass Auschwitz nie wieder sein wird. Egal für wen.
Hier sehen wir lehrbuchartig den alternativen Auslegungsversuch des adornitischen Imperativ. In antideutschen Augen muß das ketzerisch wirken.
Wolff offenbart weiters, was die angemaßte jüdische Identität für ihn bedeutet:
Ich bin Jude, weil dieses Land kalt und gemein ist und die Welt überhitzt und zerbrochen und es die Aufgabe eines jeden Juden und einer jeden Jüdin ist, sie etwas zu reparieren. Das jüdische Projekt ist noch nicht beendet und wird es nie sein. Vielleicht reagiert dieses Land deswegen so empfindlich auf linke Jüdinnen*Juden: weil sie die letztlich sehr christliche Vorstellung von Israel als Apotheose jüdischer Geschichte anzweifeln.
In Wolffs Perspektive erscheint Israel als Katechon und Bremsblock für die jüdische Mission des „tikkun olam“, die revolutionäre „Heilung“ und Neugestaltung der Welt. Ein jüdischer Nationalismus, der im Sinne des „Muskeljudentums“ langfristig zu einer Verwurzelung und Normalisierung führt, ist ihm zuwider. Wolff plädiert stattdessen (als Nichtjude einigermaßen bizarr) für die ewige Diaspora und jüdische Weltrevolution:
Aber ich bin hier und, noch einmal boruch hashem, nicht allein. Langsam entstehen Allianzen: migrantisch-jüdisch, jüdisch-palästinensisch, interreligiös, Black-Jewish, Migrantifa.
Sein Fall stärkt eindeutig die Schuldkleriker der Antideutschen Fraktion. In ihren Augen ist Wolff ein Indiz dafür, daß Antizionismus ein deutscher Sonder(flucht)weg aus ihrer „einzigartigen Verantwortung“ sei.
Wie sollen sich Rechte angesichts dieses gordischen Knotens aus historischen Komplexen und neomarxistischem Sektierertum verhalten? Ich rate zur Zurückhaltung. Erfreulicherweise bekriegen sich hier zwei Lager, die zu unseren Gegnern gehören. In den öffentlichen Debatten überbieten sich die Freunde und Feinde Wolffs immerhin in der Frage, wer die Deutschen mehr „nerven“ würde. Germanozentrischer und internationaler Schuldkult sind sich im Verdikt des deutschen Volks und ewigen Reparationszahlungen einig. Der Streit beginnt bei der Frage, auf welches Konto eingezahlt werden soll.
Gegenüber dem deutschen Volk verhalten sich „Antiimps“ und „Antideutsche“ – man verzeihe mir das raue Beispiel – wie zwei Vergewaltiger, die sich nicht über die Reihenfolge einigen können. Man streitet sich um den Anspruchsvorrang.
Doch gerade in diesem immer wilderen Konflikt produzieren beide Seiten Argumente, die für eine „erinnerungspolitische Wende“ brauchbar werden könnten. Die Kritik der „Antiimps“ am „heiligen Trauma“ könnte zur Historisierung und korrekten Einordnung der Vergangenheit beitragen.
Die Warnungen der Antideutschen vor importiertem, muslimischen Antisemitismus und ihre Apologie des Nationalstaats können Starthilfe für eine deutsche Identitäts- und Remigrationsdebatte werden. Zieht man den ermüdenden, ritualisierten deutschlandfeindlichen Jargon der Debatten ab, so finden sich wohl verhältnismäßig mehr Schnittmengen mit nationalistischen Zionisten wie Yoram Hazony und Ideologiekritikern wie Justus Werthmüller.
Aus gänzlich anderen Intentionen haben sie derzeit ein (vorsichtiges) Interesse an einer Bremsung des Bevölkerungsaustauschs in Westeuropa und einer Rehabilitierung des (relativ) homogenen Nationalstaats als politischem Ordnungsmodell.
Doch wir sollten hier nicht Position beziehen, sondern beobachten, wie ein morscher „historischer Block“ Risse bekommt. Konkret sind daher aus dem Fall Wolff, meiner Ansicht nach, drei Schlüsse zu ziehen und zu verbreiten:
1. Der Fall Wolff ist Patientenmaterial des Ethnomasochismus. Die „holocaust education“ traumatisiert, wie Prof. Schmidt-Denter nachweist, deutsche Jugendliche und treibt sie zur Suche nach Ersatzidentitäten, die von Geschlechtsanpassung bis zur ethnischen Hochstapelei reicht. Die gezielte Traumatisierung drängt gerade sensible Jugendliche auf Sinnsuche regelmäßig in Extremismen. Das „Hufeisen“ der derzeitigen „holocaust education“ reicht von Fabian Wolff bis zu Stephan Balliet . Warum ist diese Art der „schwarzen Pädaogik“ ein Tabu?
2. Jude oder Migrant zu sein bedeutet im heutigen Deutschland ein Privileg. Es verleiht einen geschützten „Sprechort“, von dem aus man rassistisch gegen Einheimische agieren kann. „Kostümjuden“ wie Wolff sind ein unwiderlegbarer Beleg dafür. Wieso sprechen wir immer noch von „Diskriminierung“?
3. Während das deutsche Volk jenseits der Staatsbürgerschaft nicht existieren darf, sind bei anderen Ethnien geradezu „biologistische“ Identitätsnachweise offenbar legitim und werden unkritisch eingefordert und akzeptiert. Wieso ist das eine „gesichert rechtsextrem“ und das andere nicht?
Das Ziel ist nicht eine neue Auslegung des adornitischen Imperativs oder gar eine Integration der Rechten in die Opferpyramide, sondern seine Überwindung und deren Sturz.
Ziel einer erinnerungspolitischen Wende muß eine ebenso unverkrampfte Beziehung zum eigenen wie zum jüdischen Volk sein. Mit dem germanozentrischen Schuldkult muß die pathologische Fixierung auf das jüdische Volk und Israel in positiver wie negativer Hinsicht überwunden werden. Jeder Versuch, ihn zu transformieren oder gar postkolonial auf „POCs“ und den Rest der Welt auszuweiten, ist abzulehnen.
Zusammengefaßt hieße das, Deutschland so einzurichten, daß sich der Fall Wolff nicht wiederhole.
anatol broder
ich bezweifle, dass jemals ein jude beim anblick von fabian wolff dachte, er wäre einer von uns.