Letztes Jahr sind zwei meiner Freunde an Krebs erkrankt, einer etwas jünger, einer etwas älter als Kaiser, der wiederum mein Jahrgang war. Beide haben es überstanden. Auch wenn ich Kaiser nicht persönlich kannte, so habe ich bis zuletzt gehofft, daß auch er dem Tod von der Schippe springen würde.
Nachrufe, allesamt voller Respekt und Anteilnahme, habe ich bislang nur im “alternativen” Spektrum gefunden. (Nachtrag: Inzwischen hat die Welt einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel “Held einer Gegenwelt” gebracht).
Der Status schreibt zu Recht:
Egal, wo sich die einzelnen Personen innerhalb des kritischen Lagers verorten, alle preisen den zu früh verstorbenen Kaiser für seine Menschlichkeit und seinen Mut zur Wahrheit gleichermaßen. Liberalkonservative, Neurechte, Sozialpatrioten, kritische Linke, Querdenker: Alle wussten ihn zu schätzen und trauern um ihn.
Der sogenannte “Mainstream” hingegen, der nun schweigt, hat Kaiser schon lange für tot erklärt.
Sein Verbrechen war, daß er sich in der “Corona”-Zeit zu einem der klügsten und vehementesten Kritiker der Pandemiedoktrin entwickelte. Er wurde in der Folge, wie in diesem NZZ-Artikel, als “Ideologe” abgestempelt und diskreditiert, eben deshalb, weil er sich der herrschenden Ideologie nicht fügen wollte, eben deshalb, weil er kein Ideologe, sondern ein skeptischer Geist, ein Anti-Ideologe war, der sich aber nicht scheute, vehement Stellung zu beziehen, wenn es nötig war.
“Ich mach da nicht mit”, sagte er (April 2021), “ich schmeiße hin” (Mai 2021), und sogar, Richung Haldenwang gerichtet: “Ich bin ein Staatsfeind.” (Januar 2022). Und all dies, obwohl er mit seinem Talent bequem Karriere im Mainstream und etwa einem Herrn Precht Konkurrenz hätte machen können. Dem zog er aus Gründen der persönlichen Integrität den “Sprung ins Ungewisse” einer geistig unabhängigen Existenz vor.
Eines seiner Youtube-Videos führte er so ein:
Es kommt der Moment im Leben eines jeden Menschen, an dem er sich fragen muß: Soll ich bleiben oder gehen? Wenn die roten Linien immer näher rücken, muß man sich zudem vergegenwärtigen, welche Konsequenzen man ziehen will. Die Grundfrage lautet: Kannst du etwas im System verändern – oder verändert das System vorher dich? Es gilt das Verhältnis zwischen persönlichem Einsatz und Chancen auf Veränderung zu reflektieren und sich aus gesundem Selbstschutz selber zu begrenzen. Letztlich ist aber die Freiheit, die der Abschied vom System verleiht, auch die Voraussetzung einer Kreativität, mit der man erst über neue Wege und Lösungen träumen und nachdenken kann.
All dies sind Dinge, die auch “uns” beschäftigt haben und immer noch beschäftigen, schon vor “Corona”, aber von dieser traumatischen Erfahrung noch immens verstärkt.
In einer Besprechung seines Buches Der Kult schrieb ich im Juni 2022:
Gunnar Kaiser schmückt seinen Youtube-Kanal mit dem Hashtag #ichmachdanichtmit, einem Leitspruch also, der unserem sezessionistischen „etiam si omnes, ego non“ ziemlich ähnlich ist. (…) Der Liberale Kaiser landet am Ende genau dort, wo wir Rechten zu einem großen Teil schon gelandet sind: Das System ist nicht mehr reformierbar, es bedarf des Ausstiegs und der Vernetzung der Aussteiger, der Abkehr, der Sezession, idealerweise der Gründung neuer Gemeinschaften oder „Parallelgesellschaften“, die sich dem Zugriff des Massenwahns und der kommenden technokratischen Dystopie entziehen.
Natürlich gab es neben Überschneidungen auch etliche Differenzen zwischen ihm und der politischen Rechten, die er zum Teil scharf kritisiert hat (August 2019). Im Gegensatz zu den meisten anderen Kritikern der Neuen Rechten war er jedoch bereit, sich persönlich sachlichen Debatten zu stellen, etwa mit Martin Sellner im Dezember 2019. Nicht anders als wir, so wünschte auch er sich “würdige Gegner”, eine sehr selten gewordene intellektuelle Spezies.
Er empfing aber auch etliche andere Köpfe auf seinem Kanal, die für unser Spektrum relevant sind: Er sprach unter anderem mit David Engels über die Rettung der “Seele Europas”, mit Harald Seubert über die Technologie-Kritik Martin Heideggers, mit Raymond Unger über den “Verlust der Freiheit”, mit Anselm Lenz über den Konformismus der zeitgenössischen Linken, mit Gunter Frank über den “Staatsvirus”, mit Hauke Ritz über die “Technologie der unfreien Welt”, mit Hans-Joachim Maaz über die “Kollektivpsychose” und mit Max Otte über das “verlorene Deutschland”.
Unvergessen ist auch seine Parodie auf die linken “Filmanalysen” von Wolfgang M. Schmitt, mit der er auch sein satirisches Talent unter Beweis stellte.
Ich selbst habe ihn erst in den Jahren der “Pandemie” zu schätzen gelernt. Während dieser Zeit war er für mich geradezu ein Held und ein Leuchtturm, nicht anders als der ebenfalls viel zu früh unter tragischen Umständen aus dem Leben geschiedene Clemens Arvay oder der kluge Wiener Psychiater Raphael Bonelli. Ich nahm Kaiser zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als “Gegner” wahr.
Arvay war auch einmal persönlich Gast auf Kaisers Kanal, in diesem sehenswerten Video vom 30. Oktober 2020. Ich kann es kaum fassen, daß nur drei Jahre später alle beide tot sind.
Im Januar 2021, als Kaisers Abkehr vom Mainstream schon weit fortgeschritten war, schrieb ein vor Wut schäumender Autor der Welt, dieser habe “die rote Linie überschritten”:
Nein, es ist kein Fall von „Cancel Culture“, wenn man feststellt: Der Autor, Publizist und YouTuber Gunnar Kaiser hat sich am 28. Januar 2021 in einem Post auf Facebook als Teilnehmer in der Debatte über Sinn und Unsinn, Chancen und Schäden der Corona-Maßnahmen restlos disqualifiziert.
Worin bestand denn nun die unermessliche “Ungeheuerlichkeit” (so der Autor dieses “Kommentars”) von Kaisers Wortmeldung? Die Welt zitierte in voller Länge:
„Haben ältere Menschen“, fragt er [Kaiser], „die klaglos hinnehmen, dass ‚in ihrem Namen‘ und ‚zu ihrem Schutz‘ Kinder und Jugendliche in Angst und Schrecken versetzt werden, sie Störungen und Neurosen entwickeln, unter Isolation und Einsamkeit so sehr leiden, dass unter ihnen die Suizidrate signifikant steigt, sie seit beinahe einem Jahr nur noch einen billigen Abklatsch von Bildung bekommen, nicht mehr unbeschwert spielen und ihren Hobbys nachgehen können, sie zu Hause vernachlässigt werden, auch kleine Kinder acht Stunden am Tag im Sommer Masken tragen mussten und eine ganze jüngere Generation für die zukünftigen Schulden und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgeschäden wird bürgen und aufkommen müssen …“ – hier fügt Kaiser einen Absatz ein – „… haben ältere Menschen, die das hinnehmen und freudig akzeptieren für ein paar eigene Lebensjahre mehr, diese Lebensjahre dann verdient?“
Nun, das war gewiß eine gezielte Provokation, die dem Schreiberling, der mit einiger Chuzpe beteuerte, er betreibe keine “Cancel Culture”, ein willkommenes Alibi gab, zu behaupten, Kaiser sei als “Teilnehmer in der Debatte über Sinn und Unsinn, Chancen und Schäden der Corona-Maßnahmen restlos disqualifiziert”. Man könne doch nicht “die Bedingungslosigkeit des Rechts auf Leben, die ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft ist, relativieren”!
Aber wofür sind denn Philosophen – und Kaiser war ein solcher – da, wenn nicht dazu, unbequem zu sein, aufzurütteln, zu denken und auszusprechen, was andere nicht zu denken wagen? Ausgerechnet Kaiser unter dem Vorwand moralischer Empörung aus dem damaligen “Diskurs” ausschließen zu wollen, hieß, eine besonders gewichtige und unverwechselbare Stimme zu eliminieren. Er hatte keineswegs irgendjemandem das “Recht auf Leben” abgestritten, sondern eine durchaus profunde ethische Frage aufgeworfen, die in dem Schreiberling hysterische Anfälle auslöste.
Es war zu diesem Zeitpunkt bekannt, daß “Corona” nur für eine bestimmte Altersklasse riskant ist. Die Frage war hart, aber berechtigt: War es vertretbar, zum Schutz dieser Menschen, die nicht mehr viel Lebenszeit vor sich hatten, “Maßnahmen” aufzufahren, die dazu führten, daß junge Menschen, die nicht gefährdet waren, einen hohen Preis bezahlen mußten, bis hin zur Gefährdung ihres eigenen Lebens, zunächst durch den psychischen Druck, der auf jugendliche, verwundbare Gemüter ausgeübt wurde, später durch die Erpressung und versuchte Verpflichtung zur Impfung?
Verhielten sich Menschen, die das “klaglos” hinnahmen, um sich selbst (vermeintlich) zu retten, nicht kurzsichtig, egoistisch, rücksichtslos, unethisch? Kann es denn überhaupt so etwas geben wie eine “Null-Risiko-Gesellschaft”, die den Verfechtern des Hygiene-Regimes als Ideal vorschwebte?
Wie liest sich dieser Facebook-Eintrag heute? Damals konnte noch niemand ahnen, daß Kaiser selbst nur mehr zwei Lebensjahre vor sich hatte. Auch er wußte das nicht. Kann man sich nun vorstellen, daß er in Kauf genommen hätte, eine ganze Gesellschaft unter Psychoterror zu setzen, damit er selber sich noch etwas Lebenszeit herausschinden könne?
Natürlich nicht. Als der Tod in Gunnar Kaisers Leben trat, bewies er, aus welchem charakterlichen Holz er geschnitzt war. Er trug sein Schicksal mit stoischer Würde, und strebte bis zuletzt nach Wissen, Erkenntnis und Freiheit, wie es einem echten Philosophen seit eh und je geziemt.
Die Krebserkrankung war nach “Corona” der zweite große Prüfstein in Gunnar Kaisers intellektueller Karriere (es mag noch andere gegeben haben, aber von diesen weiß ich nichts). Er wurde auf Gottes Waage gewogen, und ich denke nicht, daß er zu leicht befunden wurde.
Gunnar Kaiser war, im Gegensatz zu vielen anderen, die sich an eine “alternative” Gegenöffentlichkeit wandten, kein Spendenabgreifer, kein Jäger nach Klickzahlen, kein eitler Selbstdarsteller, kein seichter Schlagwortfabrikant, sondern ein vielseitig talentierter, aufrichtig an der Wahrheitsfindung interessierter, unkorrumpierbarer Geist.
Sein Kanal bleibt hoffentlich weiterhin im Netz verfügbar, als Zeitdokument und einzigartige Fundgrube voller geistiger Anregungen zu einer stupenden Vielfalt von Themen.
Er ruhe in Frieden, und ich ziehe den Hut vor ihm.