Hinter den Linien. Tagebuch – Samstag, 30. November

Jaja, das ist jetzt die Frage, nicht? Warum bleibt Höcke in Thüringen? Warum geht er nicht nach Berlin? Solches wollten bisher von mir eine Dame vom SPIEGEL, eine von der WELT, ein Herr vom Deutschlandfunk, einer von einem Recherchenetzwerk, einer aus Washington und einer aus Norwegen erfahren. Und jemand von der ZEIT natürlich.

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Wir waren wan­dern, Höcke und ich, vor eini­gen Wochen, und das, was nun ent­schie­den ist, war The­ma. Bit­te: nicht daß einer vom SPIEGEL oder aus Nor­we­gen denkt, ich hät­te wesent­li­chen Anteil an einer Ent­schei­dung von sol­cher Trag­wei­te. Man ist als Freund in sol­chen Lagen eine Echo­wand, wirft zurück, was gesagt wird, und for­dert das Sagen her­aus, und die­ses Sagen, das Aus­spre­chen, die plas­ti­sche und arti­ku­lier­te Vor­stel­lung des­sen, was wäre, wäre es so oder so, ist ein Schritt auf die Ent­schei­dung hin.

Ent­schei­dun­gen wie die von Höcke fal­len letzt­lich emo­ti­ons­los. Das muß so sein. Wo wären wir, folg­ten wir Stim­mun­gen? Wo stün­de Höcke, wür­de er nicht abwä­gen, son­dern stie­ße expres­siv vor und zurück wie einer, der ein Dar­stel­ler ist, einer fürs Spek­ta­kel, für die nächs­te Schlagzeile?

Letzt­lich emo­ti­ons­los, das heißt: Die Abwä­gung bezieht die Gestimmt­heit zunächst mit ein. Sie lau­tet: Höcke zeigt, daß er dort, wohin er zog, zuhau­se ist und daß er die­sem Zuhau­se poli­tisch geben möch­te, was ihm zusteht: Schutz in schwe­rer Zeit, Ent­wick­lungs­ru­he, Hoff­nung, Zuver­sicht, das Gan­ze ohne jede Nai­vi­tät als eine Auf­ga­be begrif­fen, die in zähem Klein­klein, in Beharr­lich­keit und lang­sa­mem Umsteu­ern geleis­tet wer­den muß.

Nie­mand, der dort steht, wohin Höcke gelangt ist, macht sich etwas vor. Er schon gar nicht. Und des­halb ver­liert die Gestimmt­heit als Ton ihre Kraft, je näher man einer Ent­schei­dung kommt. Am Ende sprach mehr, viel mehr für Thü­rin­gen und gegen Berlin.

Vor allem dies: Die AfD hat in Thü­rin­gen die Land­tags­wahl ohne jeden Zwei­fel und gegen den gebün­del­ten Wider­stand aller ande­ren Par­tei­en gewon­nen. Die poli­ti­schen Geg­ner haben die­sen Sieg igno­riert, die Medi­en haben nicht inter­ve­niert, die Zivil­ge­sell­schaft hat den Staats­streich von oben zur Ver­tei­di­gungs­leis­tung einer wehr­haf­ten Demo­kra­tie erklärt.

Dies war noch ein­mal ein Schock, trotz aller Des­il­lu­sio­nie­rung, und die­sen Schock muß man als Par­tei und als Spit­zen­kan­di­dat erst ein­mal ver­kraf­ten. Und mehr: Den Wäh­lern, die den Wahl­sie­ger wähl­ten, muß man erzäh­len, war­um es scho­ckie­rend ist, was gera­de geschieht. Denn “die Medi­en” erzäh­len es anders. Höcke wie­der­um wird es für sei­ne Wäh­ler gera­de­rü­cken kön­nen, weil er in Thü­rin­gen bleibt.

Auch das ist eine Beson­der­heit: Der Thü­rin­ger Weg ist inner­halb der AfD der­je­ni­ge, der bis­her am wei­tes­ten führt, weil er vom Spit­zen­kan­di­da­ten und vom längst­die­nen­den Lan­des- und Frak­ti­ons­chef der AfD Schritt für Schritt geplant, began­gen und aus­ge­baut wor­den ist und wird.

Aus­bau­en bedeu­tet: nicht nur loya­le, son­dern vor allem gute, geeig­ne­te Leu­te nach­zie­hen, mit­neh­men, aus­bil­den, vor­be­rei­ten – und jede Appease­ment-Poli­tik unter­bin­den. Die­se Weg­be­schrei­bung ist erneut in der Erklä­rung vor­han­den, die Höcke abgab, nach­dem er sei­ne Frak­ti­on und den Lan­des­ver­band über sei­ne Ent­schei­dung infor­miert hat­te. Er teilt nicht nur mit, son­dern erklärt.

Einer­seits weiß ich, daß im Bun­des­tag jeder gebraucht wird, der einen deut­schen Stand­punkt ver­tritt. Um ein Bei­spiel zu nen­nen: Not­wen­dig ist jede Stim­me, die sich gegen die Kriegs­het­ze stellt und sich für eine schnel­le Been­di­gung des Ukrai­ne-Krie­ges, für die Sou­ve­rä­ni­tät Deutsch­lands und für eine euro­päi­sche Sicher­heits­ar­chi­tek­tur unter Ein­be­zie­hung Ruß­lands einsetzt.

Ande­rer­seits haben die Thü­rin­ger die AfD erst­mals in einer Par­la­ments­wahl zur mit Abstand stärks­ten Kraft gemacht. Die Kar­tell­par­tei­en haben nun – getrie­ben durch Macht­in­ter­es­sen und das Ziel, den Wahl­ge­win­ner zu blo­ckie­ren – ein AfD-Ver­hin­de­rungs­bünd­nis geschmie­det. Das macht vie­le Thü­rin­ger fas­sungs­los. Immer mehr von ihnen fra­gen sich, ob sie noch in einer Demo­kra­tie leben. In einer sol­chen Situa­ti­on hät­te mein Gang nach Ber­lin so auf­ge­faßt wer­den kön­nen, als hiel­te ich die Lage im Frei­staat für hoffnungslos.

Das Gegen­teil ist der Fall: Die AfD Thü­rin­gen hat sich eine exzel­len­te Aus­gangs­ba­sis erar­bei­tet. Sie wird die inne­ren Wider­sprü­che die­ser neu­er­li­chen lin­ken Koali­ti­on durch pro­fi­lier­te Oppo­si­ti­ons­ar­beit auf­zei­gen und immer wie­der deut­lich machen, daß es kein Wei­ter­so geben kann. Sie wird die unüber­hör­ba­re Stim­me der Ehr­li­chen, Anstän­di­gen und Flei­ßi­gen sein. Und sie wird dar­über hin­aus mit aller Kraft für den Frie­den, die Frei­heit und unse­re Iden­ti­tät streiten.

Ich mache mei­ne poli­ti­sche Arbeit für Deutsch­land und Thü­rin­gen aus Thü­rin­gen her­aus, weil ich Thü­rin­gen lie­be und genau hier mei­nen Weg für die Men­schen und mei­ne Par­tei wei­ter gehen will!

Es wäre leich­ter gewe­sen, nach Ber­lin zu gehen. Es ist schwe­rer, so erfolg­reich zu arbei­ten, daß die Geg­ner damit begin­nen müs­sen, ihre “Brand­mau­er” abzu­tra­gen. Thü­rin­gen ist einer der Orte, an denen das Vor­ha­ben gelin­gen kann.

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Das Jahr ist noch nicht zu Ende, das Ver­le­ger­jahr schon. Was jetzt nicht längst im Druck ist oder schon zum Ver­sand bereit­liegt, gehört bereits in den Januar.

Mit der Ver­le­ge­rin und Buch­händ­le­rin, Poli­ti­ke­rin und Kul­tur­instanz Susan­ne Dagen das Ver­le­ger­jahr vor­bei­zie­hen zu las­sen und sei­ne Schlüs­sel­mo­men­te zu kom­men­tie­ren – das ist ein bereits tra­di­tio­nel­les Unterfangen.

Gedreht haben wir in Losch­witz. Es geht um den Cor­rec­tiv-Skan­dal und das Erfolgs­buch Remi­gra­ti­on, das uns die­ser Skan­dal bescher­te, um das Com­pact-Ver­bot und die Chif­fren, die das alles zei­tigt. Es geht um die Buch­mes­sen, die zu Toten­mes­sen wer­den und um eige­ne Plä­ne. Und wir geben Weih­nachts­emp­feh­lun­gen. Hier ist das Gespräch:

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Don­ners­tag, 14. November

Wäh­rend die Ampel­ko­ali­ti­on zer­bricht und ihre Prot­ago­nis­ten um sich bei­ßen, wäh­rend das AfD-Ver­bots­ver­fah­ren ven­ti­liert wird und Trump sein Kabi­nett auf­baut und Per­so­nal­ent­schei­dun­gen trifft, deren Aus­wir­kun­gen auf die Euro­pa­po­li­tik des Hege­mons unklar blei­ben – wäh­rend viel pas­siert, schrei­tet auch die Ver­fes­ti­gung und Kon­so­li­die­rung der neu­en Nor­ma­li­tät im vor­po­li­ti­schen Raum voran.

Die­se neue Nor­ma­li­tät ist das urei­ge­ne Pro­jekt von Ver­la­gen, Publi­zis­ten, Ver­an­stal­tern, also: das Zusam­men­spiel von Text, Buch, Ort, Per­sön­lich­keit und Szene.

In der kom­men­den Woche ist Wien Schau­platz gleich zwei­er hoch­ka­rä­ti­ger Ver­an­stal­tun­gen, und zwar an zwei Aben­den hin­ter­ein­an­der – Mitt­woch und Don­ners­tag, jeweils in der Sala Ter­re­na im Fer­di­nan­di­hof, Wehr­gas­se 30, Wien.

Am Mitt­woch, den 20. Novem­ber, wird auf Ein­la­dung der Zeit­schrift Abend­land Gene­ral­ma­jor Rober­to Van­n­ac­ci vor­tra­gen. Das freut mich des­halb sehr, weil Van­n­ac­cis Ita­li­en-Best­sel­ler Il mon­do al con­tra­rio von Antai­os ins Deut­sche über­tra­gen und unter dem Titel Ver­dreh­te Welt. Eine Bestands­auf­nah­me ver­öf­fent­licht wor­den ist.

Gene­ral Van­n­ac­ci wird ab 19.30 Uhr refe­rie­ren, und zwar auf Eng­lisch. Das soll­te indes kein Hin­de­rungs­grund sein: Er ist ein Mann kla­rer Wor­te und als Red­ner poli­tisch ver­siert. Die Euro­pa­wahl hat ihm im Som­mer ein Man­dat in Brüs­sel beschert, er nimmt es für die Lega Nord wahr.

Bücher haben wir nach Wien gelie­fert, man wird sie dort erwer­ben und natür­lich signie­ren las­sen kön­nen. Wer nicht anrei­sen kann, fin­det das Buch hier auf antaios.de.

Am Don­ners­tag, den 21. Novem­ber, sind dann der lang­jäh­ri­ge FAZ-Redak­teur und Autor Lorenz Jäger sowie unse­re Autorin Caro­li­ne Som­mer­feld zu Gast im Fer­di­nan­di­hof, und zwar auf Ein­la­dung des Karo­lin­ger-Ver­lags. Die Ver­an­stal­tung beginnt eben­falls um 19.30 Uhr.

Som­mer­feld wird Jäger über des­sen umfang­rei­ches Werk befra­gen: Phi­lo­so­phi­sche, poli­ti­sche und his­to­ri­sche The­men wer­den im Mit­tel­punkt ste­hen – und sicher auch Annä­he­rungs­ver­su­che an die Macht hin­ter der Macht: Som­mer­felds jüngs­tes Buch über Ver­schwö­rungs­theo­rien hat unter ande­rem von der Lek­tü­re des Werks Hin­ter dem gro­ßen Ori­ent. Frei­mau­re­rei und Revo­lu­ti­ons­be­we­gun­gen pro­fi­tiert. Ver­faßt hat es vor Jah­ren – Lorenz Jäger. Wir haben es hier neu in unser Sor­ti­ment auf­ge­nom­men.

Also: Das wer­den zwei span­nen­de Aben­de. Anmel­dun­gen sind jeweils nicht erfor­der­lich, pünkt­li­ches Erschei­nen ist auch des­halb sinn­voll, weil die Anzahl der Plät­ze beschränkt ist. Ein Ein­tritt wird nicht erho­ben. Wäre ja ger­ne sel­ber dort – aber Wien ist weit.

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Don­ners­tag, 31. Oktober

Heu­te ein Hin­weis, ein Zufalls­fund, also einer, nach dem man nicht suchte:

In Leip­zig sind Bil­der eines Malers zu sehen, der in Vech­ta gebo­ren wur­de, in Ber­lin lebt und Schü­ler von Georg Base­litz war. Frank Schä­pel (hier sei­ne Inter­net­sei­te) stellt noch bis zum 7. Novem­ber in der Gale­rie “Zen­tra­le Rand­er­schei­nung” in der Lud­wig­stra­ße aus.

Unter dem Titel “Rea­li­tä­ten” sind rund drei­ßig Gemäl­de ange­ord­net. Ich stieß vor gut andert­halb Jah­ren auf Schä­pel, als ich im Netz nach einer Illus­tra­ti­on für einen Bei­trag über die Kir­che “Not­re Dame” in Paris such­te. Er hat­te den bren­nen­den Dach­stuhl eines Turms gemalt, wie eine Fackel, groß­for­ma­tig, soweit ich das sehen konnte.

Ich schau­te mich in sei­nem Werk um, er kann wirk­lich malen und malt die Wirk­lich­keit. Das ist viel. Neu­lich schau­te ich erneut nach Schä­pels Arbei­ten, ange­sto­ßen durch mein Gespräch mit dem Maler Franz Ulrich Gött­li­cher – hier ein Link. Ich sah, daß er in Leip­zig aus­stell­te und fuhr die­ser Tage hin.

Ich kann den Besuch nur emp­feh­len. Das Werk ist eigen­ar­tig. Es ist in drei Räu­me auf­ge­teilt, his­to­risch, poli­tisch, reli­gi­ös. Die Hän­gung ist vom Künst­ler selbst. Sie hat mich sehr überzeugt.

Der Gale­rist Tho­mas Fie­big schreibt im Vor­wort zum Kata­log, Schä­pels Bil­der sei­en Moment­auf­nah­men rea­ler Ereig­nis­se. “Reli­giö­se Erschei­nun­gen, Ver­bre­chen im Migra­ti­ons­kon­text, Coro­na­po­li­tik und das Leid von Deut­schen im zwei­ten Welt­krieg sind nicht gera­de The­men, die gern und oft publi­ziert oder ander­wei­tig dar­ge­stellt wer­den.” Und wei­ter: “Der Künst­ler bezeich­net sei­ne Kunst selbst als Dokumentarmalerei.”

Ich ver­stand, nach­dem ich mir eine Stun­de Zeit genom­men und alles in Ruhe betrach­tet hat­te, Schä­pel als den Ver­tre­ter einer Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit jen­seits jener “vor­ge­stanz­ten Guck­lö­cher”, vor denen Peter Hand­ke in sei­ner so immens wich­ti­gen Win­ter­li­chen Rei­se zu den Flüs­sen Donau, Save, Mora­wa, oder: Gerech­tig­keit für Ser­bi­en mehr als drin­gend gewarnt hat.

Schä­pel nimmt wahr, wie man auch wahr­neh­men kann. Er behaup­tet in und mit kei­nem sei­ner Bil­der, daß man nur so und nicht anders wahr­neh­men dür­fe. Er hängt neben den Sek­ten­selbst­mord in Jones­town ein Bild über das Son­nen­wun­der und die Mari­en­er­war­tung in Herolds­bach, 1949.

Man sieht also einen Lei­chen­tep­pich neben einer Hoff­nungs- und Neu­gier­men­ge, bei­de Gemäl­de schwarz­weiß und ein wenig pas­tel­lig, sel­be Grö­ße, die einen aus Wahn tot, die ande­ren  – was jetzt: auch ein wenig wahn­haft oder doch nur gläu­big und man­che auf ein Sen­sa­ti­ön­chen aus? Jeden­falls: stark.

Hier ist der Link zur Inter­net­sei­te der Gale­rie, ganz unten ist eine Tele­fon­num­mer ange­ge­ben, 0162 4359461, unter der man auch für außer­halb der Öff­nungs­zei­ten (Fr-Sa 15–19 Uhr) einen Ter­min ver­ein­ba­ren kann. Als ich anrief, hat­te ich Glück: Es waren sowie­so Besu­cher ange­kün­digt, ich konn­te mit rein­rut­schen. Viel­leicht kann man sogar erfra­gen, ob der Künst­ler noch ein­mal vor Ort sein wird. Ich hat­te da kein Glück.

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Gro­ße Freu­de berei­tet uns die Arbeit an unse­rer Lis­te der hun­dert Roma­ne, die wir auf die Jah­re von 1924 bis 2024 set­zen und der Lis­te ent­ge­gen­stel­len, die der SPIEGEL vor zwei Wochen ver­öf­fent­licht hat. Wir klim­per­ten die­se Lis­te im Rah­men des Pod­casts mit Chris­toph Berndt durch, in der letz­ten Vier­tel­stun­de, hier der Link zum Nachhören.

Leh­nert, Kositza, ein Lite­ra­tur­ex­per­te unter unse­ren Lesern und ich sind fast fer­tig mit der Zusam­men­stel­lung. Wir wer­den in vier Etap­pen ver­öf­fent­li­chen: von 1924 bis 1932, von 1933 bis 1945, von 1946 bis 1989 und von 1990 bis heu­te. Man­che Jah­re sind gera­de­zu über­frach­tet, ande­re dürr. Aber wir füll­ten jedes.

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Sams­tag, 19.Oktober

Kositza und ich waren auf der Buch­mes­se in Frank­furt. Dort sind wir jedes Jahr für einen Tag, seit wir kei­nen eige­nen Stand mehr betreiben.

Nach den prä­gen­den Mes­sen von 2017 und 2018 (als wir mit weni­gen Qua­drat­me­tern die Bericht­erstat­tung domi­niert hat­ten) waren wir in eine Sack­gas­se abge­scho­ben wor­den – es lohn­te sich danach nicht mehr, nicht die Zeit, nicht das Geld, und vor allem paß­te es uns nicht, am Kat­zen­tisch gedul­det zu sein.

Über­haupt die­se Mes­se: Vor zwan­zig Jah­ren noch qualm­te man mit Gün­ter Maschke und Lorenz Jäger die Stän­de voll und ging in min­des­tens vier Hal­len auf zwei Ebe­nen durch Gas­sen vol­ler Leben. Über­all ver­hock­te Exis­ten­zen, die fürs Buch alles gaben, ob als Ver­le­ger, Autor, Buch­händ­ler oder Rezensent.

Aber jetzt? Mit Müh und Not sind es drei Stock­wer­ke, die Gän­ge zu breit, die Stän­de zu flä­chig, lau­ter Aus­stel­ler dabei, die nichts Ernst­haf­tes mit Büchern vor­ha­ben: Län­der­ver­tre­tun­gen, poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen, die Bun­des­bank … Alles wirkt, als sei es egal und gehe sowie­so zu Ende.

Jeden­falls: Kositza hat­te sich bereits online akkre­di­tiert, ich selbst noch nicht, denn mei­ne Nei­gung, an staats­geld­ge­stütz­ten Stän­den ent­lang­zu­schlen­dern und staats­geld­ge­stütz­te Bücher “unab­hän­gi­ger” Ver­la­ge zu begut­ach­ten, hielt sich in Gren­zen. Aber man fährt dann doch los, um zu schau­en und viel­leicht doch etwas auf­zu­stö­bern, das man im Netz nicht fin­den würde.

Ankunft also, Gang zum Akkre­di­tie­rungs­schal­ter im Mes­se­turm, prä­pa­riert mit der jüngs­ten Sezes­si­on und dem Per­so­nal­aus­weis; aber wie der jun­ge Mann mei­nen Namen ein­tipp­te, plopp­te es auf, und das Gesicht vor dem Bild­schirm zeig­te den Aus­druck dis­kre­ter Panik.

Der Sach­be­ar­bei­ter am Nach­bar­bild­schirm wur­de im sel­ben Moment auf­merk­sam und unter­brach sei­ne Arbeit. Er trat hin­ter sei­nen Kol­le­gen, ein Blick, dann ver­schwand er in einem Räum­chen, um zu tele­fo­nie­ren. Man signa­li­sier­te mir, daß es einen Moment dau­ern kön­ne und daß man nun ande­re Anfra­gen bear­bei­ten werde.

Wie lan­ge dau­ert es, bis man begreift, daß es sich nicht um einen tech­ni­schen Vor­gang, son­dern um eine Maß­nah­me han­del­te, die es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht gab, jetzt aber schon? Als ich nach fünf Minu­ten frag­te, ob es Pro­ble­me gebe, sag­te man mir, daß ich eine von knapp zwan­zig Per­so­nen sei, deren Name auf einer “Watch-Lis­te” ste­he und über deren Zutritts­ge­neh­mi­gung zur Mes­se nun die Mes­se­lei­tung ent­schei­de. Dies kön­ne dauern.

Kositza zog los, ich war­te­te. Lei­der muß ich ein­ge­ste­hen, daß ich in sol­chen Lagen nicht zu den­je­ni­gen gehö­re, die sofort zu fil­men, zu kom­men­tie­ren und zu kon­fron­tie­ren begin­nen. Natür­lich hät­te man einen Skan­dal dar­aus machen kön­nen, und viel­leicht wäre es das bes­te gewe­sen, auf der Hacke umzu­dre­hen und kund­zu­tun, daß man sich ganz sicher nicht von jeman­dem auf eine spe­zi­el­le­re Wei­se über­prü­fen las­se, weil man eine Bücher­schau besu­chen wolle.

Und so lehnt man dann so läs­sig wie mög­lich (in mei­nem Fall also: null) an einer Säu­le und beob­ach­tet den Mit­ar­bei­ter dabei, wie er alle paar Minu­ten sein Han­dy checkt, um zu sehen, ob er mir eine Pres­se­kar­te aus­stel­len dür­fe oder nicht. Und ich sah ihm an (ich sah es ihm wirk­lich an), daß er mir eine Ableh­nung erst dann signa­li­sie­ren wür­de, wenn er zuvor ein paar Sicher­heits­leu­te her­an­ge­wun­ken hätte.

Aber dann ein erleich­ter­tes Win­ken: ich dür­fe. Rasch druck­te er aus, nahm mir sogar das Fal­ten auf die Scan­grö­ße für den Ein­laß ab, ent­schul­dig­te sich für die Umstän­de und über­hör­te mei­ne Fra­ge, ob man die­se Watch-Lis­te irgend­wo ein­se­hen kön­ne, also viel­leicht auch inof­fi­zi­ell. Nur dies sag­te er eben: Es sei­en knapp zwan­zig Namen.

Die Stun­den bis zum Abend: gedul­de­ter Gang. Erst am spä­ten Nach­mit­tag wur­den die Bücher wie­der inter­es­san­ter. Zuvor war alles über­la­gert von Gedan­ken und vom Ver­such, durch Zuhil­fe­nah­me einer jener belieb­ten Denk­fi­gu­ren mit der eige­nen Rol­le zurecht­zu­kom­men: Dadurch, daß die Lei­tung der Buch­mes­se über mei­ne blo­ße Anwe­sen­heit aus der Lage her­aus ent­schied, habe sie sich “zur Kennt­lich­keit ent­stellt” – wie zuvor schon die Thü­rin­ger Land­tags­ver­wal­tung, der Ver­fas­sungs­schutz und Spie­gel TV.

“Zur Kennt­lich­keit ent­stellt” – was für eine Phra­se! Als ob das irgend­ei­ne Sau inter­es­sier­te! Und es war ja dann auch so, als mir der Herr Ham­me­leh­le vom SPIEGEL über den Weg lief und frag­te, was ich denn auf der Buch­mes­se such­te. Ich sag­te, daß ich mir Autos anschau­en wol­le, was auch sonst, und ob er wis­se, wo es wel­che gebe. Dann erzähl­te ich ihm die Ein­laß-Geschich­te. Sei­ne Ant­wort war ent­waff­nend: Er gra­tu­lier­te mir, denn offen­sicht­lich hät­te ich es ja doch geschafft.

Ent­spann­ter kann man es nicht sehen, und es ist alles in Ord­nung. Aber zu gern wüß­te ich, wer sonst noch drauf­stand auf die­ser Liste.

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Mei­ne Schil­de­rung über die sonn­täg­li­che Heim­su­chung durch die drei Fra­ge­zei­chen von Spie­gel TV (sie­he unten, 10. Okto­ber) hat vie­le Leser amü­siert. Inter­es­sant ist, daß die­je­ni­gen, die ich seit drei­ßig und mehr Jah­ren ken­ne, das Gan­ze sar­kas­tisch lasen. So mein­te ich es auch. Hier das, was mir einer aus Wolf Bier­manns Sta­si-Bal­la­de schickte:

Mensch­lich fühl′ ich mich verbunden
Mit den armen Stasi-Hunden
Die bei Schnee und Regengüssen
Müh­sam auf mich ach­ten müssen
Die ein Mikro­phon einbauten
Um zu hören all die lauten
Lie­der, Wit­ze, lei­sen Flüche
Auf dem Klo und in der Küche
Brü­der von der Sicherheit
Ihr allein kennt all mein Leid

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Don­ners­tag, 10. Oktober

Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag rief mich die Jüngs­te an die Tür. Es sei einer vom SPIEGEL da, der mich spre­chen wol­le. Es war gegen 10, man kam von der Früh­mes­se, man beginnt gera­de die aus­führ­li­chen, ruhi­ge­ren Brie­fe zu lesen und zu schrei­ben – und weiß genau, daß man dem Herrn vom SPIEGEL vor drei Tagen absa­gen ließ, genau­er: daß man nie zuge­sagt, son­dern ein Gespräch rund­weg abge­lehnt hat­te, und zwar mit deut­li­chen Worten.

Nun steht er unten vor der Haus­tür, also auf mei­nem Grund und Boden, zwi­schen den am Vor­tag geern­te­ten Hok­kai­do-Kür­bis­sen, die zum Trock­nen aus­lie­gen, und dem Wurf klei­ner Kat­zen, deren Neu­gier und Sorg­lo­sig­keit mit jedem Tag char­man­ter wird.

Man öff­net die Tür und hat gleich das Objek­tiv einer Kame­ra im Gesicht hän­gen, hört die Ham­pel­mann­fra­ge, die man noch nie beant­wor­tet hat – aber die Fra­ge­stel­ler wach­sen nach wie Ohren­haa­re: Wie groß der Ein­fluß auf die rechts­extre­me Sze­ne in Deutsch­land sei. Drei Mann hoch rück­ten die an, einer hält das gro­ße Mikro­fon, das immer so aus­sieht, als hät­te man eine graue Kat­ze ohne Kopf über ein Nudel­holz gezo­gen. Der größ­te stemmt die Kame­ra, der Zap­pel­phil­ipp stößt Wor­te aus.

Als ich mich hin­ter den Tür­rah­men zurück­zie­he, um der Auf­nah­me zu ent­ge­hen, stößt der Gro­ße nach und tritt um ein Haar auf eine Kat­ze, die geti­ger­te, die vor Neu­gier­de platzt und vom SPIEGEL noch nichts weiß.

Kame­ra aus, run­ter vom Hof, Anstand ler­nen, aber auch danach nicht wie­der­kom­men, vor allem nicht am Sonn­tag, und von Mon­tag bis Sams­tag schon gar nicht.

Zwei Stun­den spä­ter sind drei Anru­fe auf­ge­lau­fen: Man sehe Leu­te durchs Dorf streu­nen und jeden anquat­schen. Es ist halt wie immer. Aber als ich kurz vor Mit­tag mit den Mut­ter­zie­gen an der Lei­ne und den Dies­jäh­ri­gen in frei­er Freu­de über den Hof zur Wei­de zie­hen will, ste­hen die drei Fra­ge­zei­chen wie­der fil­mend an der Mau­er und has­peln über die Dorf­stra­ße hinterher.

Was mache ich mit den Kerls? Soll­te man coo­ler sein, Dop­pel­korn aus­schen­ken, schön rotz­frech dum­mes Zeug reden, unver­wert­ba­re Sül­ze? Kann ich nicht. Bin ich nicht. Das ist es näm­lich, in nuce: Die Haut ist NICHT dicker gewor­den, und mir macht die­ses Spiel kei­nen Spaß, ich bin nicht Krah und nicht Sellner.

Also dre­he ich um, zer­re die Zie­gen hin­ter mir her und beschimp­fe das Trio, das mitt­ler­wei­le die Stra­ße blo­ckiert. Mir rutscht dabei der Ver­gleich “wie die Schmeiß­flie­gen” her­aus, also, falls das mal online geht: Das ist kei­ne KI, so bin ich wirk­lich – WIRKLICH erzürnt über Typen, die am Sonn­tag Repor­ter spie­len und nicht wis­sen, daß selbst Rechts­extre­me einen Ruhe­tag sehr zu schät­zen wissen.

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Ges­tern lief im ZDF eine Doku­men­ta­ti­on über die Früh­pha­se der AfD. Hans-Olaf Hen­kel und Thi­lo Sar­ra­zin kom­men zu Wort, eben­so Köl­mel, Gen­te­le, Adam und noch ein paar, die nicht mehr mit­ma­chen, weil ihnen das, was kam, zu radi­kal wurde.

Ich kann mich nicht ent­schei­den, wer den grö­ße­ren Unfug erzählt, Hen­kel oder Sar­ra­zin. Der eine behaup­tet, Höcke habe deut­li­che Anklän­ge an den Natio­nal­so­zia­lis­mus, der ande­re zer­mürbt sich dar­über, daß man mit­ge­hol­fen habe, ein Mons­ter zu erschaf­fen, und nun wer­de man es nicht mehr los.

Mit­ten­drin Höcke und ich, mons­trös hin­ter Schreib­ti­schen und auf Tri­bü­nen. Jus­tus Ben­der von der FAZ darf uns deu­ten, er sitzt neu­tral und wie ein Kon­fir­mand mit Halb­glat­ze auf Stahl­rohr­mö­beln und weiß nicht recht. Ich mei­ne, man sieht ihm die Wun­de noch immer an, die wir ihm schlu­gen, als wir den Ver­kauf des Ver­lags Antai­os an einen Loki-Ver­lag vor­täusch­ten und dem spek­ta­kel­gei­len Ben­der die­se Sto­ry auf­ben­der­ten. Er brach­te sie brüh­warm zur Mes­se­er­öff­nung 2018 – und spür­te hilf­los über Stun­den, wie ihm die­se Brü­he unters Hemd rann …

Hin­ge­gen Mela­nie Amann, SPIEGEL: aus­ge­reift, bedeu­tungs­er­le­digt. Hier tut jemand so, als habe er ganz, ganz früh begrif­fen, wie per­fi­de es von mir war, dar­über nach­zu­den­ken, wie man die Lucke-Hen­kel-AfD kapern und auf rechts dre­hen könn­te. Sie hat­te das wahr­ge­nom­men und berich­tend nicht ver­hin­dern kön­nen. Der SPIEGEL – eine Platz­pa­tro­ne; Frau Amann – eine, die alles gab.

Wißt Ihr was? Ihr müßt damit leben, muß ich auch: Ihr damit, daß Ihr mit Eurer Medi­en­macht ein Mons­ter erschaf­fen habt, obwohl es nur um die sehr nahe­lie­gen­de und sehr nor­ma­le Ergän­zung des Par­tei­en­spek­trums ging; ich damit, daß, egal wer am Sonn­tag vor der Tür steht und Fra­gen stellt, am Ende immer das­sel­be her­aus­kommt – näm­lich etwas, das die­je­ni­gen, die in den kom­men­den Mona­ten kapie­ren wer­den, war­um es die AfD geben muß, davon abschre­cken soll, sie für nor­mal zu halten.

Es ist ein Thea­ter­stück, mehr nicht mehr. Es wird noch fünf­zig­mal gege­ben wer­den, die Rol­len sind ver­teilt, die Ver­se sim­pel, und es ist völ­lig egal, ob ich etwas umzu­schrei­ben oder noch ein­mal in ande­ren Wor­ten genau­er zu erklä­ren versuche.

Hier kann man sich den Film anschauen.

Es war übri­gens Nico­le Diek­mann, die mich davon zu über­zeu­gen ver­such­te, es wür­de dies­mal, für das ZDF, anders sein, ganz anders als sonst. In einer letz­ten Mail, die sie schrieb, um doch noch Auf­nah­men zu erwir­ken, unter­lief ihr ein Feh­ler. An ihrer Mail hing der Ver­lauf einer Kor­re­spon­denz mit Jan Loren­zen, der den Film mach­te und ver­ant­wor­tet. Das war aufschlußreich.

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Es gibt, ich wie­der­ho­le mich seit Mona­ten, die rüh­ren­de kon­ser­va­ti­ve Über­zeu­gung, die Rea­li­tät wer­de sich gegen die Ideo­lo­gie durch­set­zen. Ich hal­te die­se The­se für ein sehr fahr­läs­si­ges “Hän­de-in-den-Schoß”. Alle mei­ne Erfah­run­gen, gera­de auch die bei­den oben geschil­der­ten, ver­wei­sen auf das Gegenteil:

Die Pro­pa­gan­da ist gegen­über der Rea­li­tät sehr lan­ge und immer wie­der aufs Neue wirk­mäch­tig. Erzäh­lun­gen, Ver­dre­hun­gen, Lügen, vor allem Bil­der, Sze­nen, unter­ge­leg­te Musik kön­nen die Wahr­neh­mung der Rea­li­tät ver­ne­beln und ver­hin­dern oder die Schlüs­se, die zu zie­hen wären, blockieren.

Ich bin dem Sen­der Auf1 und sei­nem Kopf, Ste­fan Magnet, dank­bar, daß wir über die­ses The­ma aus­führ­lich spre­chen konn­ten. Das Video ist seit eini­gen Tagen ver­füg­bar – hier ist es. Gegen­öf­fent­lich­keit, Gegen­pro­pa­gan­da ist in ihrer Bedeu­tung kaum zu über­schät­zen. Die Bür­ger, Wäh­ler, Leser brau­chen eine zwei­te Erzählung.

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Don­ners­tag, 3. Oktober

Der 3. Okto­ber, der an den Fest­akt zur Ver­ei­ni­gung zwei­er deut­scher Teil­staa­ten erin­nern soll, wird gegen den 9. Novem­ber, den Tag des Mau­er­falls, emo­tio­nal immer den Kür­ze­ren ziehen.

Das liegt nicht nur dar­an, daß gelenk­te Freu­de gegen­über unge­zü­gel­ter Begeis­te­rung stets wirkt wie eine frei­wil­li­ge Über­ga­be neben einem auf­ge­ramm­ten Burgtor.

Es ist aber noch etwas ande­res: Am 3. Okto­ber schwan­te es den Bür­gern der DDR längst, daß von ihrer Art zu wirt­schaf­ten und zu gewich­ten kaum etwas übrig blei­ben wür­de. Und mehr: daß es dem Wes­ten wohl gestat­tet sei, dem Osten etwas vor­zu­ma­chen, und zwar im dop­pel­ten Wortsinne.

Es gibt mitt­ler­wei­le eine Rei­he erhel­len­der Bücher zum The­ma einer eigen­stän­di­gen und mehr und mehr selbst­be­wuß­ten Ost­iden­ti­tät. Von die­sem Selbst­be­wußt­sein konn­te am 3. Okto­ber 1990 kei­ne Rede sein. Ich ver­wei­se immer wie­der auf das Buch Das Licht, das erlosch von Ste­phen Hol­mes und Ivan Kras­tev. Die­ses wich­ti­ge Werk ist vor fünf Jah­ren erschie­nen, und sei­ne The­sen sind natür­lich längst wei­ter­ge­dacht wor­den. Zu nen­nen wäre Post­trau­ma­ti­sche Sou­ve­rä­ni­tät aus der Feder von Kuisz und Wigu­ra – ich habe es für die 121. Sezes­si­on rezensiert.

Man kann den Haupt­ge­dan­ken von Hol­mes und Kras­tev auf zwei Begrif­fe brin­gen: Aus der Nach­ah­mungs­be­geis­te­rung der­je­ni­gen, die für die Wen­de gestrit­ten hat­ten, wur­de nach rund andert­halb Jahr­zehn­ten ein Nach­ah­mungs­ver­bot – impli­zit aus­ge­spro­chen und expli­zit umge­setzt von den­je­ni­gen, die in den Län­dern des ehe­ma­li­gen Ost­blocks ver­blie­ben waren und nun dar­an gin­gen, für die­je­ni­gen Poli­tik zu machen, die sich Mühe gege­ben hat­ten und ent­täuscht wor­den waren.

Ich wer­de in einer Woche wie­der über Iden­ti­täts­fra­gen refe­rie­ren und dabei genau auf die­se Abläu­fe Bezug neh­men: wie also aus einer ehr­li­chen Nach­ah­mungs­be­geis­te­rung eine aus­sichts­lo­se Nach­ah­mungs­an­stren­gung, dann eine ers­te Nach­ah­mungs­skep­sis und ein mani­fes­ter Nach­ah­mungs­un­mut gewor­den sind, und wie das am Ende umschlug in eine Bestands­auf­nah­me des­sen, was die­je­ni­gen, die sys­tem-mora­lisch ohne eige­nes Ver­dienst in der Vor­hand waren, eigent­lich alles nicht begrif­fen haben – seit bald 35 Jah­ren nicht begriffen.

Aus die­ser Bestands­auf­nah­me lei­ten sich ein Ost­stolz, eine Ost­iden­ti­tät ab, die Leh­nert und ich lie­ber die Iden­ti­tät der deut­schen Mit­te nen­nen. Sie ist immer deut­li­cher wahr­nehm­bar. Sie ver­schaff­te sich zuletzt sicht­bar Aus­druck in den Ergeb­nis­sen der drei Land­tags­wah­len in Thü­rin­gen, Sach­sen und Brandenburg.

Als ich heu­te am Vor­mit­tag für eine hal­be Stun­de in der Lau­be eines Nach­barn saß, um für jedes Bein einen Vod­ka zu kip­pen, stie­ßen wir nicht auf die Wen­de an, son­dern auf “das jan­ze Deutsch­land” und auf “Hög­ge”. Alle stie­ßen an, kei­ner fand’s komisch, kei­ner hat Das Licht, das erlosch gele­sen, aber alle wis­sen sehr genau, was mit Nach­ah­mungs­un­mut gemeint ist und sagen ohne Fuß­no­ten das­sel­be, was die Autoren kom­pli­ziert aus­drü­cken: daß näm­lich das, was wir in den ver­gan­ge­nen Jah­ren beschert beka­men, nicht erhofft wur­de, als man die Mau­er ein­riß und sich dem Wes­ten anschloß.

Wer von der Arro­ganz, von der hier die Rede ist, das Neu­es­te ver­neh­men will, kann im Fol­gen­den bei Minu­te 11.45 ein­stei­gen und ein biß­chen zuhö­ren. Sol­che Reden sind für das ost‑, das mit­tel­deut­sche Gemüt gera­de­zu Identitätstorpedos:

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Frei­tag, 23. August

Ges­tern Abend war ich mit mei­nem Sohn im Land­tags­ge­bäu­de in Erfurt. Simon Kau­pert (Film­kunst­kol­lek­tiv) prä­sen­tier­te dort sei­nen Film über Björn Höcke. Er dau­ert 100 Minu­ten und trägt den Titel “Der lan­ge Anlauf”. Kau­pert, von dem Initia­ti­ve, Dreh­buch und Schnitt stam­men, durf­te Höcke andert­halb Jah­re lang beglei­ten und auf Archiv­ma­te­ri­al aus der Früh­zeit der AfD und von den Auf­trit­ten Höckes aus die­ser Zeit zugreifen.

Fünf Weg­ge­fähr­ten und poli­ti­sche Publi­zis­ten äußern sich inner­halb einer beson­de­ren Ver­suchs­an­ord­nung über Höcke als Per­sön­lich­keit und Poli­ti­ker, über den Weg der AfD und die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Höcke, über sei­ne Auf­ga­be und die Hoff­nung, die man mit ihm ver­knüpft. Zu Wort kom­men Dani­el Hasel­off (der in den Thü­rin­ger Land­tag ein­zie­hen wird), Bene­dikt Kai­ser, Ste­fan Möl­ler (Par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­füh­rer der AfD-Frak­ti­on in Thü­rin­gen), Robert Tes­ke (Büro­lei­ter Höckes) und ich selbst.

Die­se Stel­lung­nah­men, Erzäh­lun­gen und Ein­schät­zun­gen durch­zie­hen den Film als zwei­te von vier Erzähl­ebe­nen. (Die ers­te, die Grund­la­ge, bil­den natür­lich die Auf­nah­men, die Höcke als Poli­ti­ker, Red­ner, Mode­ra­tor, Den­ker zeigen.)

Die drit­te Ebe­ne besteht aus Annä­he­rungs­auf­nah­men am Kyff­häu­ser: Sie zei­gen den schla­fen­den Bar­ba­ros­sa und das aus dem Berg rei­ten­de Pferd mit Kai­ser Wil­helm im Sat­tel, und sie sug­ge­rie­ren, daß wir auf etwas war­ten könn­ten, näm­lich durch­aus auf “den Mann, der hilft” (Ste­fan George).

Das ist stim­mig: Kau­pert greift auf, was zugleich vie­le erwar­ten und etli­che ver­stört, wenn sie an Höcke den­ken. Robert Tes­ke bringt das gegen Ende des Films auf den Punkt, wenn er von der über­bor­den­den Heils­er­war­tung spricht, die Höcke ent­ge­gen­ge­bracht wird von Anhän­gern und Wäh­lern, und er berich­tet, wie wich­tig es sei, die­se Leu­te zu brem­sen und ihnen den Unter­schied zwi­schen Guru und Poli­ti­ker zu verdeutlichen.

Die­ses Rau­nen­de wird des­halb von einer vier­ten Ebe­ne abge­fan­gen und inter­pre­tiert: Wir sehen in meh­re­ren Abschnit­ten die Ent­ste­hung eines Ölge­mäl­des, das sehr zöger­lich, dann aber bestimmt ange­gan­gen und fer­tig­ge­stellt wird.

Kau­pert und sein Film­kunst­kol­lek­tiv hat­ten den Abend als Kino­abend insze­niert, mit Ein­tritts­kar­ten, Film­pla­ka­ten, mit Pop­corn und Geträn­ken, und es war wirk­lich gro­ßes Kino. Der Film strahlt in sei­ner Mach­art und allei­ne schon durch sein Vor­han­den­sein nach anstren­gen­den Mona­ten Selbst­be­wußt­sein aus.

Die Zugän­ge zu Par­tei­ta­gen, Bür­ger­dia­lo­gen und Vor­trä­gen sind aus der Per­spek­ti­ve der Mit­ar­bei­ter und Beglei­ter gefilmt, das Lau­te, Umring­te, Begeis­ter­te, Anstren­gen­de, Demü­ti­gen­de (in Hal­le, vor Gericht) und Pro­fes­sio­nel­le – das alles kommt ins Bild, und das ist eine beson­de­re Form des bild­li­chen Erzäh­lens, denn es gibt im Film kei­nen über­ge­ord­ne­ten Spre­cher, kei­nen Redak­teur. Und: Kaum je hat jemand Höcke bei der Arbeit im Gar­ten, am Holz, in sei­nem Büro und unter­wegs auf Feld­we­gen fil­men und zei­gen dürfen.

Höcke dank­te nach der Auf­füh­rung dem Fil­me­ma­cher Kau­pert, und ich will das ver­stär­ken: Kau­pert ist ein sel­te­ner Vogel. Er ver­fügt über die mitt­ler­wei­le rare Eigen­schaft der Begeis­te­rungs­fä­hig­keit für eine Sache, die aus der Idee zur Form fin­den muß und deren Ver­wirk­li­chung weit wich­ti­ger ist, als die Fra­ge danach, ob am Ende mate­ri­ell etwas dabei her­aus­springt. Kau­pert woll­te die­sen Film machen, punkt.

Ist der Film zu lang? Wel­che Rol­le spie­len die musi­ka­li­schen Unter­tö­ne? Ver­steht, wer nicht so eng dran ist an Höcke, wor­um es jeweils geht und war­um das nun wich­tig ist und zum Gesamt­bild gehört, das von die­sem Mann und Men­schen gezeich­net wird?

Ich sprach mit man­chem Zuschau­er über die­se Punk­te, hat­te den Film ja auch schon gese­hen, in einer vor­läu­fi­gen Fas­sung, und selbst man­ches ange­merkt. Und ich kann nur sagen: Schau­en Sie sich die­se Arbeit an, ganz, Details noch ein­mal, und dann notie­ren Sie bit­te, was Sie zu sagen haben, und schi­cken es mir zu: [email protected], denn ich will sam­meln und ord­nen und ver­öf­fent­li­chen, und zwar etwas von dem, das die­se Leis­tung wür­digt und aus der Distanz zu erken­nen glaubt, was man anders sieht, als ich es sah und aufschrieb.

Und Lob, Leu­te, Lob. Denn: Gab es so etwas schon ein­mal, so ganz ohne Staats­geld und fet­tes Team? Eben. Des­halb noch dies: Unter­stüt­zen kann man das Film­kunst­kol­lek­tiv, indem man pro­jekt­be­zo­gen über­weist oder – noch bes­ser – eine Dau­er­för­de­rung abschließt, also monat­lich einen Betrag über­weist. Für bei­des gibt es hier For­mu­la­re und Knöpf­chen. Und nun: Film ab!

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Mitt­woch, 14. August

Jetzt sit­zen wir alle vor den Bild­schir­men und ver­schaf­fen uns einen Über­blick zur Auf­he­bung des Com­pact-Ver­bots, nicht wahr? Wir sol­len fei­ern, schreibt Mar­tin Sell­ner. Er über­nimmt die­sen Auf­ruf von Jür­gen Elsäs­ser, dem Grün­der und Chef­re­dak­teur des Com­pact-Maga­zins, den man hier mit sei­ner Frau und einem sei­ner Mit­ar­bei­ter boden­stän­dig auf einem Sofa sit­zen sieht, froh dar­über, daß es nun zunächst wei­ter­ge­hen darf mit sei­nem Heft.

Elsäs­ser hat allen Grund, sich zu freu­en und sehr erleich­tert zu sein. Ver­mut­lich kann sich das Aus­maß die­ser Erleich­te­rung, die­ser Freu­de über die Mög­lich­keit, nun doch noch wei­ter­ma­chen zu dür­fen, nur der­je­ni­ge vor­stel­len, der eben­falls eine Zeit­schrift oder einen Ver­lag grün­de­te und ihn als Lebens­werk begreift und lebt.

Ich war in den ver­gan­ge­nen Wochen mehr als ver­är­gert über Stim­men aus unse­ren Rei­hen, die ihren Äuße­run­gen über die Aus­he­be­lung der Pres­se- und Mei­nungs­äu­ße­rungs­frei­heit eine Distan­zie­rungs­no­te vor­an­stell­ten. Ist es nicht genau das, was solch ein Ver­bot bezweck­te, unter ande­rem: die Sor­tie­rung der Sze­ne in fein­sin­nig und schmie­rig, dif­fe­ren­zier­ter und grö­ber durch die Sze­ne selbst?

Als ob nur das eine zu einem irgend­wie gear­te­ten Erfolg füh­ren kön­ne, sogar bes­ser ohne das ande­re! Als ob es einen Grund in Elsäs­sers Schreib- und Redak­ti­ons­wei­se gäbe, der ein Ver­bot recht­fer­ti­gen oder wenigs­tens nahe­le­gen würde!

Sym­bol­po­li­ti­sche Akte, Über­grif­fe, Straf­ak­tio­nen kön­nen zwar nicht jeden, aber doch nicht weni­ge von uns tref­fen. Daß in sol­chen Momen­ten vor­be­halts­lo­se Ver­tei­di­gung der eige­nen Linie die ein­zig rich­ti­ge Reak­ti­on sein muß, soll­te längst gelernt wor­den sein. Aber wir sahen und merk­ten uns, daß es so nicht war und ist.

Fei­ern also? Nein, Leu­te. Elsäs­ser soll fei­ern, er wird es mit einem Schau­er tun, der ihm über den Rücken läuft, wenn er dar­an denkt, was wäre, hät­te er das Eil­ver­fah­ren auf gan­zer Linie ver­lo­ren. Es ist doch eine die­ser Ent­we­der-oder-Lagen, in die man als älte­rer Herr nicht mehr kom­men möch­te: wei­ter­ma­chen dür­fen oder eben nicht. Also, fei­ert dort!

Wir fei­ern nicht, wir haben eine Gruß­nach­richt geschickt, und nun schau­en wir uns das Gan­ze an und den­ken dar­über nach. Eine ers­te juris­ti­sche Ein­schät­zung hat Alex­an­der Wal­l­asch auf sei­ner Sei­te ver­öf­fent­licht, und zwar von Ulrich Vos­ger­au, der zum Anwalts­team gehört. Vos­ger­au spricht von einem “ambi­va­len­ten Sieg”, was er dar­un­ter ver­steht und war­um ihn die Urteils­be­grün­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts über­rascht hat, kann man hier nach­le­sen.

Das hat alles sei­ne Berech­ti­gung und ist unter den gege­be­nen Umstän­den ein Maxi­mum. Aber es darf uns nicht dazu ver­lei­ten, den “Rechts­staat” zu fei­ern und in ihm einen Garant dafür zu sehen, daß letzt­lich doch alles nach demo­kra­ti­schen Spiel­re­geln und mit ein­klag­ba­rer Fair­neß ablaufe.

Es ist nicht so.

1. In Thü­rin­gen, Sach­sen und Bran­den­burg kämpft eine tap­fe­re Par­tei gegen die in Anschlag gebrach­ten Staats­mit­tel um jede Stim­me; der Ver­fas­sungs­schutz ist mit tau­sen­den Mit­ar­bei­tern zu einer Spit­ze­l­in­sti­tu­ti­on auf­ge­baut wor­den, die Ergeb­nis­se lie­fern muß. Alle Ein­stu­fun­gen, Mar­kie­run­gen, Infil­trie­run­gen und Ver­leum­dun­gen durch die­se Behör­de sind wei­ter­hin in Kraft, in Pla­nung, in vol­lem Gan­ge, sys­te­misch vor­ge­zeich­net. Dazu hat ja Mathi­as Brod­korb alles gesagt.

2. Nan­cy Fae­ser wird nicht zurück­tre­ten, sie wird im kom­men­den Jahr abge­wählt wer­den, das ist alles, was ihr wider­fah­ren wird. Sie wird nicht als Pfu­sche­rin, als anti­fa­schis­ti­sche Erfül­lungs­ge­hil­fin in die Geschich­te der BRD ein­ge­hen, son­dern gar nicht. Ein Nie­mand wird in Bio­gra­phien ein­ge­grif­fen und unter guten Leu­ten Ver­hee­run­gen ange­rich­tet haben, ohne jemals dafür zur Rechen­schaft gezo­gen wor­den zu sein. So ist unser gan­zer Staat: ein Para­de­bei­spiel für die Bana­li­tät der Funk­tio­nä­re, die selbst juris­ti­sche Klat­schen schul­ter­zu­ckend hin­neh­men und sich selbst nie infra­ge stellen.

3. Es bleibt auch nach dem Teil­sieg im Eil­ver­fah­ren die gru­se­li­ge Über­tra­gung des Ver­eins­rechts auf ein pri­va­tes Unter­neh­men. Das Gericht stell­te aus­drück­lich fest, daß es den Ver­eins­cha­rak­ter der GmbH Elsäs­sers eben­falls erken­ne. Eine sol­che Auf­fas­sung wäre, wenn sie im Haupt­sa­che­ver­fah­ren bestä­tigt wür­de, ein ähn­li­cher Damm­bruch wie die Bewer­tung des eth­ni­schen Volks­be­griffs als ver­fas­sungs­feind­li­che Meinung.

4. Und die gro­ßen Blät­ter und öffent­lich-recht­li­chen Häu­sern sind auf Fae­ser-Linie, immer noch. Erin­nern wir uns an das Jubel­ge­wit­ter, das sich ent­lud, als Fae­ser ver­kün­de­te, was die­se da alle erhofft hat­ten: end­lich ohne anstren­gen­den Argu­men­te ein­fach ver­bie­ten kön­nen! Nun geht es viel­leicht doch nicht so ein­fach, aber das führt nicht zu Beschei­den­heit, son­dern nur zu Unwil­len gegen­über den Stüm­pern, die das verbockten.

5. So auch die Poli­ti­ker, die nicht der AfD ange­hö­ren: Sie grei­fen die Teil­re­vi­si­on des Com­pact-Ver­bots auf, um Fae­ser zu kri­ti­sie­ren, aber natür­lich nicht, um die eben auf­ge­lis­te­ten, grund­sätz­li­chen Fra­gen zu stel­len. Ihnen geht es allein dar­um, daß man das, was man tat, ein­fach bes­ser hät­te abdich­ten sol­len. Fae­sers Dilet­tan­tis­mus habe dem Kampf gegen rechts einen Bären­dienst erwiesen.

Was also bleibt, wenn die Gruß­nach­richt an Elsäs­ser ver­schickt und sich das weni­ge an Genug­tu­ung ver­flüch­tigt hat? Es bleibt das mie­se Wis­sen dar­um, daß Män­ner und Frau­en, die für Deutsch­lands Zukunft um etwas bes­se­res kämp­fen als das, was gera­de und seit Jahr­zehn­ten regiert, jeder­zeit abhän­gig wer­den kön­nen von den Ent­schei­dun­gen eines Sys­tems, das in der Hand der Geg­ner ist.

(Schrieb ich Geg­ner? Noch immer Gegner?)

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Sonn­tag, 21. Juli

Wie schreibt man und was schreibt man, wenn alles gesagt ist? Wie führt man ein Tage­buch, wenn man des­we­gen nicht dazu kommt, weil man Brän­de aus­zu­tre­ten und sei­ne Sie­ben­sa­chen zu ord­nen hat, aus dem schlich­ten Grund, weil mor­gen die Uhr anders gestellt sein könnte?

Vie­le Zuschrif­ten und vie­le Gesprä­che, es waren auch Klug­schei­ßer dar­un­ter, und die Ant­wort, die mir ein hoher (also sehr hoher) Staats­be­am­ter auf mei­ne Fra­ge gab, die ich seit fünf Tagen stel­le, wenn ich Exper­ti­se erwar­te (näm­lich, ob es vor­stell­bar sei, daß auch wir ver­bo­ten wür­den), ist mein neu­er Lieb­lings­satz: “Was dach­ten Sie denn?”

Tja, dach­te ich da, ich dach­te mir das schon anders, damals, als wir mit­ten in der Nach­wen­de-Depres­si­on ein ehe­ma­li­ges Rit­ter­gut erwar­ben, das sonst kei­ner, also wirk­lich kei­ner haben woll­te, und mit der Reno­vie­rung und dem Auf­bau des Ver­lags, des Insti­tuts und der Zeit­schrift begannen.

Seit Diens­tag ver­gan­ge­ner Woche fech­ten nun die Juris­ten aus, ob Leu­te wie wir uns das hät­ten den­ken kön­nen, daß es nun so weit gekom­men sei mit der Ach­tung der Poli­tik vor dem Recht und vor allem vor dem Grün­dungs­my­thos der deut­schen Demo­kra­tie: der im Vor­märz erfoch­te­nen Pressefreiheit.

Ich ver­fol­ge die­se Fecht­übun­gen mit gro­ßem Nicht­ju­ris­ten­ver­stand, weil sie sich wie etwas exis­ten­ti­ell Inter­es­san­tes lesen. Unser Blog hat sich mit Tex­ten von Maxi­mi­li­an Krah direkt und von Thor v. Wald­stein grund­sätz­lich an die­sen Übun­gen beteiligt.

Das online-For­mat Frei­bur­ger Stan­dard hat umfas­send und nie­der­schmet­ternd auf Krah geant­wor­tet.

Mathi­as Brod­korb, Ver­fas­ser des so klu­gen, aber wahr­schein­lich wie­der­um wir­kungs­lo­sen Buches Gesin­nungs­po­li­zei im Rechts­staat? hat in der Ber­li­ner Zei­tung einer Poli­tik, die ihre Macht aus­spie­le, weil sie poli­tisch am Ende sei, ein sehr schlech­tes Zeug­nis aus­ge­stellt (hier lesen). Er schreibt als zum Publi­zis­ten gewor­de­ner ehe­ma­li­ger Minis­ter mit dem Unmut des­sen, der den Abbruch der Aus­ein­an­der­set­zung für falsch hält und der ein ande­res Kali­ber von Geg­ner wäre, wür­de er noch Poli­ti­ker sein.

Am Ende ist der inter­es­sier­te, exis­ten­ti­ell inter­es­sier­te Ver­le­ger nicht klü­ger als zuvor, schaut, daß er zurecht­kommt und zieht sich auf die Aus­gangs­the­se zurück, daß, wer im Com­pact-Ver­bot ein Pro­blem des Rechts­staats sehe, den Begriff des Poli­ti­schen verkenne.

Ansons­ten Gemüts­zu­stand daseins­ge­las­sen. Wenn ein­mal klar ist, daß kla­re Kri­te­ri­en nicht mehr vor­han­den sind, dann gilt der inne­re Kompaß. Haben wir uns etwas vor­zu­wer­fen? Aber nein!

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Der Vor­trag, den ich vor genau einer Woche zum Abschluß unse­res Som­mer­fes­tes hielt, ist auf You­Tube ver­füg­bar. Er wird in der Wahr­neh­mung zuge­spitzt auf die Aus­sa­ge, daß unser Volk ein Käl­te­bad drin­gend nötig habe und daß der Soli­da­ri­sche Patrio­tis­mus nur mit einem erzo­ge­nen, bis in die ein­fachs­ten Arbeits­be­rei­che hin­ein flei­ßi­gen Volk umzu­set­zen sei.

Ich bin ganz dafür, mit denen, die es nicht mehr aus eige­ner Kraft schaf­fen, soli­da­risch zu sein und ihr Lebens­not­wen­di­ges wür­dig abzu­si­chern. Jedoch ist die abschüs­si­ge Bahn bis dort­hin, wo es gar nicht mehr geht, eine ordent­lich lan­ge Strecke.

Thor v. Wald­stein notier­te in sei­nen oben bereits ver­link­ten The­sen zum Rechts­staat fol­gen­de Sätze:

Seit den 1960er Jah­ren wur­de die Idee des Rechts­staats all­mäh­lich über­la­gert durch das Dog­ma eines pater­na­lis­ti­schen Sozi­al­staats, des­sen Lebens­eli­xier dar­in besteht, den einen zu neh­men, um den ande­ren zu geben.

Die Herr­schaft eines sol­chen Umver­tei­lungs­staats grün­det dar­auf, einer in die Mil­lio­nen gehen­den Zahl von Ali­men­te­emp­fän­gern die Eigen­ver­ant­wor­tung für ihr Leben abzunehmen.

Wald­stein para­phra­siert Ernst Forsthoff:

Es gebe einen gefähr­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen der Geber­lau­ne von „Vater Staat“ und des­sen Macht­a­van­cen gegen­über einer Schar von Kin­dern, von denen er sich wünscht, daß sie nie erwach­sen werden.

Die­ser Befund ist stim­mig für jeden, der wahr­neh­men kann und an einem Werk­tag wäh­rend der Arbeits­zeit in einer belie­bi­gen deut­schen Stadt eine Stre­cke mit der U‑Bahn fährt oder Ein­blick in die “Lebens­ent­wür­fe” in eini­gen belie­bi­gen Dör­fern nimmt. Auch Sta­tis­ti­ken rei­chen hin, natür­lich, bloß sind sie nicht so augen­schein­lich frech.

Ein erzo­ge­nes Volk hin­ter geschlos­se­nen Gren­zen kann soli­da­risch sein und eine Lebens­si­cher­heit ver­brei­ten, die der Traum von Gene­ra­tio­nen war. Ein in immer wei­te­ren Tei­len uner­zo­ge­nes Volk, das auf­grund offe­ner Gren­zen über­rannt wird, darf gar nichts mehr umver­tei­len. Es muß in ein Käl­te­bad, und die­ses Bad muß das ers­te sein, in das hin­ein­plumpst, wer den Schritt über die Gren­ze setzt. Ent­we­der – oder.

Indes: Der Vor­trag war viel mehr als nur die­se Debatte.

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In die­sem Zusam­men­hang will ich kurz auf James David Van­ce hin­wei­sen, den Trump vor ein paar Tagen zu sei­nem Kan­di­da­ten für das Amt des Vize­prä­si­den­ten ernannt hat. Ich las die längst welt­be­rühm­te Hill­bil­ly Ele­gie von Van­ce gleich nach ihrem Erschei­nen, 2016, rezen­sier­te sie aber nicht, seltsamerweise.

Ich erin­ne­re mich dun­kel, daß ich schon damals mit Bene­dikt Kai­ser über den Sozia­lis­mus und soli­dar­pa­trio­ti­sche Kon­zep­te sprach und in man­chem dezi­diert wider­sprach, immer aus der War­te des­sen her­aus, der das Wort “unter­pri­vi­le­giert” eben­so für eine Begriffs­ver­ne­be­lung hält wie “rela­ti­ve Armut”. Das hin­der­te uns bei­de nicht dar­an, den Soli­da­ri­schen Patrio­tis­mus als wirk­lich durch­dach­ten Ent­wurf bei Antai­os zu ver­öf­fent­li­chen – Bene­dikt als Autor, ich als Ver­le­ger und Lek­tor, der dadurch viel gelernt hat.

Ich rezen­sier­te Van­ce wohl nicht, weil ich Mate­ri­al sam­mel­te, um in einem gro­ßen Bei­trag vor den feh­len­den Grund­la­gen eines Soli­da­ri­schen Patrio­tis­mus zu war­nen. Ich schrieb die­sen Bei­trag nicht.

Van­ce: Er wuchs genau in die­ser Käl­te auf, die ich oben mei­ne und über die ich in mei­nem kur­zen Vor­trag sage, daß sie natür­lich eine har­te und unge­rech­te Sache sei, daß es aber anders wohl nicht mehr gehe. Van­ce, der buch­stäb­lich im Müll auf­wuchs, in Ver­hält­nis­sen, die in Deutsch­land so nicht vor­stell­bar sind, zog sich am eige­nen Schopf aus dem Sumpf.

Er absol­vier­te die har­te Schu­le des US Mari­ne Corps, stu­dier­te mit die­sem Schliff im Rücken und schloß in meh­re­ren Fächern ab. Neben­bei arbei­te­te er natür­lich, um sich das teu­re Stu­di­um über­haupt leis­ten zu kön­nen. Er ist Katho­lik, ist jetzt 39 Jah­re alt und ver­tritt die Über­zeu­gung, daß Här­te. Dis­zi­plin, Fleiß und der Ver­zicht auf die Gou­ver­nan­te Staat Män­ner und Frau­en zu selb­stän­di­gen, krea­ti­ven und hart arbei­ten­den Bür­gern mache, die sich eine Mün­dig­keit erlau­ben könn­ten, von der zyni­sche und infan­ti­le Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger und Gewerk­schafts­funk­tio­nä­re nur träu­men könnten.

Aber mehr: Van­ce ist, das ist auch mei­ne Mei­nung, der Auf­fas­sung, man müs­se die gigan­ti­sche Markt­macht der Super­kon­zer­ne beschrän­ken, müs­se sie zer­schla­gen, müs­se den klei­ne­ren und mitt­le­ren Selb­stän­di­gen zu Kon­kur­renz­fä­hig­keit ver­hel­fen und die Gemein­we­sen durch eine leben­di­ge Innen­stadt bele­ben und dafür sor­gen, daß das Geld wie­der inner­halb die­ser Struk­tu­ren zu krei­sen beginne.

In der Hill­bil­ly Ele­gie steht dar­über noch nichts, und natür­lich ist der Weg und die Lebens­leis­tung von Van­ce außer­ge­wöhn­lich. Aber es reich­te doch schon hin, wenn klar wäre: Jeder jun­ge Mensch hat eine Aus­bil­dung anzu­tre­ten und abzu­schlie­ßen, wenn er nicht ohne alles und für sehr lan­ge bei Papa und Mama unter­krie­chen woll­te. Denn nie­mand wür­de ihm sein fau­les Leben bezah­len. (Mitt­ler­wei­le ist auch ganz Süd-Sach­sen-Anhalt eine ein­zi­ge Markt- und Ausbildungslücke.)

Van­ce lesen (scheint aber der­zeit ver­grif­fen zu sein). Es den Jugend­li­chen zu lesen geben, dazu – als Kom­ple­men­tär­far­be – von Packer Die Abwick­lung. Das ist schon eine ande­re Stim­mung, wenn man in einem Land zurecht­zu­kom­men hat, das einem sehr wenig dabei hilft. Hier in Deutsch­land wars mal deut­lich bes­ser. Aber der Umweg über “Ame­ri­ka” muß wohl sein, wenn es wie­der deut­scher wer­den soll.

(Geor­ge Packer: Die Abwick­lung – hier bestel­len; Bene­dikt Kai­ser: Soli­da­ri­scher Patrio­tis­mus – hier bestel­len.)

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Diens­tag, 18. Juni

Der Prä­si­dent des Bun­des­amts für Ver­fas­sungs­schutz, Tho­mas Hal­den­wang, hat heu­te in einer Pres­se­kon­fe­renz bekannt­ge­ge­ben, daß der Ver­lag Antai­os nun vom Ver­dachts­fall zur gesi­chert rechts­extre­mis­ti­schen Bestre­bung her­auf­ge­stuft wor­den sei. Das hat mich über­rascht. Ich dach­te, wir sei­en das längst.

Jeden­falls kann nun der Dienst alles, was wir ver­le­gen, mit erwei­ter­ten nach­rich­ten­dienst­li­chen Mit­teln lesen und aus­wer­ten. Man wird auf noch mehr Palim­pses­te sto­ßen – und zuvor die­ses Wort nach­schla­gen müssen.

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In der ver­gan­ge­nen Woche war ich kaum Ver­le­ger. Zwi­schen den Tele­fon­ge­sprä­chen und Mails hier und da ein wenig Redak­ti­on und ein paar Ent­wür­fe – Freu­de sogar, über die 120. Sezes­si­on, die wie­der ein gutes Heft gewor­den ist, wie ich mei­ne; aber alles das lag wenig beach­tet auf mei­nem Schreib­tisch, hin­ter dem sit­zend ich her­aus­zu­fin­den ver­such­te, was eigent­lich gespielt würde.

Dies klingt dra­ma­tisch. Viel­leicht haben die­je­ni­gen unse­rer Leser und Freun­de recht, die sagen, daß die AfD am Ende nicht anders sei als jede Orga­ni­sa­ti­on, die sich aus­wach­se und ihre Rei­hen fül­le mit Leu­ten, die sich nicht mehr auf den Kampf um den ange­mes­se­nen Platz ihrer Par­tei, son­dern auf den Betrieb inner­halb ihrer Struk­tu­ren und ihre eige­ne Posi­ti­on dar­in konzentrierten.

Aber so ein­fach ist das nicht. Denn nichts davon, was in einer rei­fe­ren Par­tei geschieht, kann das erklä­ren, was in der Basis der AfD einen Schock aus­ge­löst und ihre Wäh­ler ver­är­gert hat, vor allem im Osten: näm­lich daß man am Tag nach einer gewon­ne­nen Wahl selbst dafür sorg­te, nicht mehr als Sie­ger, son­dern als ein in sich zer­ris­se­nes Pro­jekt The­ma zu sein.

Nie­mand kann nach­voll­zieh­bar erklä­ren, war­um sich die AfD-Dele­ga­ti­on bereits am Tag nach der Wahl grün­den muß­te und war­um man nicht abwar­ten woll­te. Man kann im EU-Par­la­ment Son­die­rungs­ge­sprä­che sowohl mit der ID-Frak­ti­on (aus der man gera­de geflo­gen war) als auch mit klei­ne­ren Par­tei­en über eine eige­ne Frak­ti­on füh­ren, ohne schon als Dele­ga­ti­on auf­zu­tre­ten, wochenlang.

War­um dräng­te Hans Neu­hoff auf die Grün­dung der Dele­ga­ti­on? War­um dräng­te er dar­auf, Maxi­mi­li­an Krah unmit­tel­bar danach aus die­ser Dele­ga­ti­on aus­zu­schlie­ßen? War­um ließ man es auf eine “gehei­me” Abstim­mung ankom­men, nach­dem Krah mit­ge­teilt hat­te, daß er frei­wil­lig nicht aus­tre­ten wer­de? War­um sprach die Bun­des­füh­rung nicht spä­tes­tens dann ein Macht­wort – ganz sim­pel mit dem Ver­weis dar­auf, daß der Osten in drei Bun­des­län­dern voll­stän­dig, in den bei­den ande­ren fast flä­chen­de­ckend die AfD zur stärks­ten Kraft gewählt habe, gegen den geball­ten, schä­bi­gen, skru­pel­lo­sen Wider­stand der ande­ren Par­tei­en und der von ihnen erbeu­te­ten und ein­ge­setz­ten Staatsmittel.

Es ist völ­lig uner­heb­lich, ob man Krah mag oder nicht. Es ist völ­lig egal, ob man gegen­über dem Ver­fas­sungs­schutz Erfül­lungs­po­li­tik betrei­ben oder über ihn in schal­len­des Geläch­ter aus­bre­chen will. Und es spielt kei­ne Rol­le, ob der Wes­ten den Osten in jeder Lage ver­steht oder nicht: die poli­ti­sche Lage, die Gefechts­la­ge, die (pro­fes­sio­nell aus­ge­drückt) Situa­ti­on der “Mar­ke AfD” leg­te so glas­klar und banal ein ande­res Ver­hal­ten nahe, daß ich für das, was seit Mona­ten falsch gemacht wird, das rich­ti­ge Wort nicht finde.

Ein Scher­ben­hau­fen. Natür­lich wirkt das Bild der Spit­zen aus den Ost­ver­bän­den, die sich am Sams­tag tra­fen, beru­hi­gend. Bloß: das Momen­tum war der Mon­tag, und Auf­räum­ar­bei­ten oder ein Grup­pen­bild vor zer­schla­ge­nem Por­zel­lan ist nichts, was zieht. Es kit­tet, es beru­higt, mehr nicht.

Es ste­hen drei Ost­wah­len an. Sie sind wich­ti­ger als die Wahl zum EU-Par­la­ment. Aber die heu­ti­ge Umfra­ge aus Thü­rin­gen zeigt, wie sehr die ver­meint­li­che Alter­na­ti­ve zur Alter­na­ti­ve zu zie­hen beginnt: zwar 28 Pro­zent für die AfD, aber schon 21 für das BSW und noch immer 23 für die CDU.

Strahlt nicht der MDR genau jetzt einen sechs­tei­li­gen Pod­cast über den Kampf Sahra Wagen­knechts aus, über ihren tap­fe­ren Wer­de­gang, ihre Intel­li­genz, “Trotz und Treue”, Ost­ver­ste­he­rin? Und ihre Aus­grün­dung? Unzer­strit­ten, unzer­schos­sen, nicht ver­narbt, nicht – müde?

Ich zitier­te wie­der­holt den PR-Bera­ter, der ganz aus der Sicht der Mar­ken­tech­nik (nicht zu ver­wech­seln mit “Mar­ke­ting”) ana­ly­siert, ob die AfD das, was die welt­weit auf höchs­tem Niveau agie­ren­de PR längst über die mensch­li­che Psy­che und das pro­pa­gan­dis­ti­sche Hand­werk weiß, ver­stan­den hat oder nicht. Sei­ne Bilanz ist für die Par­tei ver­hee­rend: Sie weiß mit sich selbst nicht umzu­ge­hen. Er notierte:

Das, was sich am Wahl­sonn­tag im Osten ereig­ne­te, geschah, obwohl die AfD schwach geführt wird und als Orga­ni­sa­ti­on nicht zusam­men­steht. Man schnitt, mar­gi­na­li­sier­te, beschwieg ohne Not den Mann, der an der Spit­ze des Wahl­kampfs stand. Man signa­li­sier­te Unsi­cher­heit, sand­te das Signal aus, man wis­se selbst nicht genau, ob man die­je­ni­ge Kraft sei, die wis­se, was sie wolle.

So etwas wirkt ver­hee­rend. Denn ob man Krah mag oder nicht, ob man die Spit­zen­kan­di­da­tur im Nach­hin­ein für einen Feh­ler hält: alles egal. Für die Mas­sen­psy­che zählt nur, ob man sie unter­hält und beein­druckt, ob man ihr vor-logisch mit­teilt, dass man es anders und bes­ser kön­ne als die Kon­kur­renz – in unse­rem Fall also die­je­ni­gen, die das Land ruinieren.

Steil­vor­la­ge nach Steil­vor­la­ge, in gan­zen Regio­nen wir­ken die Pro­pa­gan­da­mit­tel der Gegen­sei­te nicht mehr. Um wie­viel grö­ßer und sta­bi­ler hät­te der Schritt wer­den kön­nen mit erwach­se­nem Ver­hal­ten der Par­tei und sau­be­rer Koor­di­na­ti­on! Das muss die kri­ti­sche, die zen­tra­le The­se sein. Und die Fra­ge lau­tet natür­lich: Ist den Par­tei­spit­zen klar, was sie anrichten?

Auf die­se Fra­ge habe ich auch nach einer guten Woche, einer schlech­ten, zer­re­de­ten, unehr­li­chen Woche kei­ne Ant­wort. Denn mit dem jeweils klei­nen Ich ist das, was geschah und geschieht, nicht zu erklä­ren. Womit aber dann? Ver­mut­lich muß die Fra­ge nach dem cui bono der Zer­set­zungs­ten­denz von Innen mit mehr Phan­ta­sie gestellt werden.

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Pfingst­sonn­tag, 19. Mai

Mor­gen, am Mon­tag, den 20. Mai, bin ich als Red­ner bei Pegi­da vor­ge­se­hen. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letz­ten Mal in der Öffent­lich­keit eine Rede hielt. Es ist Jah­re her. Die Grün­de dafür sind vielfältig.

Der wich­tigs­te ist, daß ich den Popu­lis­mus und das Res­sen­ti­ment nicht mag. Bei­des ist not­wen­dig, aber es ist nicht das Geschäft eines Ver­le­gers anspruchs­vol­ler Bücher. Ich pro­bier­te das aus, als Pegi­da zu lau­fen begann, wir waren wirk­lich Mon­tag für Mon­tag dort, oft mit der gan­zen Fami­lie. Ich sprach bei Legi­da und bei Pegi­da, und immer war es so, daß ich eines zu ver­mit­teln versuchte:

Es gibt wuch­ti­ge, klas­si­sche, lite­ra­ri­sche Bil­der und Meta­phern für das, was uns wider­fährt und zuge­mu­tet wird. Und zwei­tens: Wir müs­sen bes­ser sein als die ande­ren, nicht lau­ter, son­dern besser.

Mor­gen also wie­der, nach lan­ger Zeit, um 18.30 Uhr auf dem Neu­markt in Dres­den, vor der Frau­en­kir­che. Wür­de mich freu­en, den ein oder ande­ren Leser aus der Umge­bung zu sehen.

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Anony­mi­tät und Radi­ka­li­tät gehen oft Hand in Hand. Wir hat­ten in der 39. Fol­ge unse­res Pod­casts “Am Rand der Gesell­schaft” die Influen­cer “Char­lot­te Corday” und “Shlo­mo” zu Gast. Bei­de ver­ber­gen ihre Iden­ti­tät hin­ter Pseud­ony­men, aber in unter­schied­li­cher Stu­fung: Wäh­rend Corday ihr Gesicht zeigt, aber unter Künst­ler­na­men agiert, influenct Shlo­mo ganz im Ver­bor­ge­nen: Kaum jemand weiß, wie er aussieht.

Im Pod­cast ant­wor­te­te er auf Ellen Kositz­as Fra­ge, war­um er das so hand­ha­be, mit einem Kata­log von Koran­schän­dun­gen, die er aus­ge­führt habe und für die er  – wohl­weis­lich damals schon hin­ter fal­schem Namen und Mas­ke ver­bor­gen – dut­zend­fach mit dem Tode bedroht wor­den sei. Ich selbst war so per­plex über die­se Aus­kunft, daß es mir tat­säch­lich die Spra­che ver­schlug. Dann lei­te­te ich zu einem ande­ren The­ma über.

Mein Stand­punkt ist natür­lich der­je­ni­ge, daß es in jedem Fal­le geschmack­los und unstatt­haft sei, das hei­li­ge Buch egal wel­cher Glau­bens­aus­rich­tung zu schän­den. Es ist – im Fal­le des Korans – einer Mil­li­ar­de Men­schen Grund­la­ge ihres Glau­bens. Die­ses Buch mag für uns völ­lig unin­ter­es­sant und als reli­giö­se Offen­ba­rung irrele­vant sein, es mag ver­hee­ren­de Fol­gen bei sei­nen Lesern aus­lö­sen und die Grund­la­ge der Unter­drü­ckung und der Unter­wer­fungs­for­de­rung sein, die in Sie­ben­mei­len­stie­feln auf uns zusprin­gen. Aber es ist das Buch einer Glaubensgemeinschaft.

Daß ich das im Pod­cast nicht klar­stell­te, liegt an einem Wahr­neh­mungs­li­be­ra­lis­mus, der sich etwa auf einen Ernst Jün­ger zuge­schrie­be­nen, lapi­da­ren Satz stützt: “Dies alles gibt es also.” Im Gespräch die Per­son sich aus­brei­ten, sich ganz zei­gen las­sen – das ist der Ansatz. er taugt nicht für Poli­ti­ker, und beklei­de­te ich in der AfD ein hohes Amt oder säße auf einem wich­ti­gen Man­dat, hät­te das Dos­sier über mich nun eine Sei­te mehr. Aber ich bin Ver­le­ger und Publi­zist und neh­me zunächst wirk­lich erst ein­mal wahr.

Erik Leh­nert, mit dem ich über die Fra­ge tele­fo­nier­te, ist da stren­ger als ich. Er hält Pseud­ony­me und Stim­men aus dem Off für Aus­schluß­kri­te­ri­en, wenn es um Gesprä­che für die Öffent­lich­keit geht. Wor­an liegt es, daß wir nie ent­gleis­ten, daß wir kei­ne Lei­chen im Kel­ler haben und noch immer jeden Satz, den wir äußer­ten, unter­schrei­ben können?

Es liegt auch dar­an, daß der­je­ni­ge, der mit Namen und Gesicht kämpft und nicht in die Anony­mi­tät zurück­tau­chen kann, sehr genau sei­ne lin­ke und sei­ne rech­te Gren­ze kennt. Und anders her­um: Wer die­se Gren­zen kennt, mag kei­nen Grund mehr sehen, sich nicht ganz zu zei­gen und sei­nen Namen darunterzuschreiben.

Im Pod­cast, der ein wirk­lich gutes Gespräch mit den bei­den Influen­cern prä­sen­tiert, füllt die kras­se Shlo­mo-Erklä­rung eine knap­pe Minu­te. Sie prägt den Aus­tausch nicht, aber sie ist ein beson­de­rer Moment und ver­lang­te nach die­sem Nach­trag. Hier ist der Podcast:

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Allen freu­di­ge Pfingst­ta­ge! Der Geist ist unser Beglei­ter, er ist Maß­stab, Auf­trag und stif­tet Mut.

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Diens­tag, 30. April

Vor gut zwei Mona­ten beglei­te­te ich einen Mos­lem zum Frei­tags­ge­bet. Ich hat­te ihn im Zug ken­nen­ge­lernt, er las ein Buch, ich las ein Buch, er kann­te mein Buch und sprach mich an.

Ich beglei­te­te ihn, weil ich erle­ben woll­te, wie es sei, wenn sich ent­wur­zel­te Män­ner tref­fen, um eine der Wur­zeln zu gie­ßen, die sie mit sich tra­gen und die in der Frem­de ent­we­der Halt zu bie­ten ver­mag oder vertrocknet.

Ich traf zur ange­ge­be­nen Zeit am bezeich­ne­ten Ort ein, also kurz nach Mit­tag vor dem Kul­tur­zen­trum des Stadt­teils. Ein gro­ßer Raum dar­in, Mehr­zweck, mit nied­ri­ger Decke und Spros­sen­wän­den, ver­schieb­ba­ren Raum­tei­lern und fadem Lin­ole­um – wir wür­den ihn als Ver­lag, als Sze­ne nie und nim­mer anmie­ten kön­nen, um dar­in eine Buch­mes­se zu ver­an­stal­ten oder ein Fest. Die Mos­lems aber besit­zen einen Ver­trag bis Ende des Jah­res, Frei­tag für Frei­tag, stets für einen hal­ben Tag.

Mah­mud ent­deck­te und begrüß­te mich, es war die typi­sche Ges­te: Er griff mit bei­den Hän­den nach mei­ner rech­ten Hand und hat­te zuvor bei­de Hand­flä­chen kurz an sei­ne Brust gedrückt. Wir betra­ten die fla­che Hal­le. Im Vor­raum hun­der­te paar Schu­he. Ich ließ mei­ne an und rück­te einen Stuhl ganz nach hin­ten an die Wand, setz­te mich und schau­te zu, wie Män­ner, kei­ne Frau­en, nur Män­ner in die Hal­le drängten.

Es waren vor allem jun­ge Män­ner, und es waren Män­ner aus aller Her­ren Län­der: vie­le Ara­ber, vie­le Syrer und Afgha­nen, manch­mal Brü­der, das sah man, weni­ge älte­re Väter mit ihren Söh­nen; klei­ne stäm­mi­ge Tsche­tsche­nen, mage­re schwar­ze Rie­sen unter Tuch, Tschad, Mau­re­ta­ni­en, Hir­ten­au­ra jeden­falls, und ganz sicher noch nicht “ange­kom­men” wie die Tür­ken und Alba­ner, die in Trai­nings­ho­sen erschie­nen, alle vom sel­ben Bar­bier ent­las­sen, ölig, à la Neu­kölln, irgend­wie längst im Geschäft.

Alle Stüh­le waren zusam­men­ge­scho­ben und weg­ge­sta­pelt, denn es wur­den Tep­pi­che ent­rollt, Tep­pi­che in allen Far­ben und Grö­ßen, längs, quer, auch Iso­mat­ten und Ret­tungs­de­cken, Haupt­sa­che irgend­et­was, nie der nack­te Boden. Ich nahm wahr, wie Unter­la­gen gedreht wur­den, damit der Nach­bar Platz dar­auf fand. Ein­la­den­de Zei­chen, aber auch schon inne­re Samm­lung bei man­chem, der Vor­ge­be­te ver­rich­te­te und sich vom Gerü­cke und Gere­de nicht stö­ren ließ.

Die Rei­hen rück­ten auf mich zu, der Raum füll­te sich. Ich wur­de gemus­tert und begrüßt, man bot mir Platz auf einem Tep­pich an, aber ich ver­wies stumm auf mei­nen Stuhl und blieb auch dann sit­zen, als ein Vor­sän­ger anstimm­te, das Gemur­mel ver­stumm­te und die Beter sich aus­rich­te­ten, mit Bli­cken nach links und rechts und letz­tem Geruckel.

Der Sän­ger kam zum Ende. Neben ihm erhob sich ein noch recht jun­ger Mann und setz­te an. Die Stim­me war die eines Offi­ziers: klar, selbst­be­wußt, auch in den Pau­sen, über­legt und über­le­gen, beglei­tet von spar­sa­mer Gestik.

Anru­fun­gen, Ver­beu­gun­gen aus knie­en­der Hal­tung her­aus, vor­ge­beugt ver­har­rend, dann Ent­span­nung und Pre­digt. Das war kei­ne Kon­takt­auf­nah­me mit nach­auf­klä­re­ri­schen Glau­bens­skep­ti­kern, kein Abho­len, kei­ne lit­ur­gi­sche Gefäl­lig­keit. Es war ord­nen­der Ton, Glau­bens­auf­for­de­rung und eine Ansa­ge, ein war­mes und ver­bind­li­ches, befeh­len­des und ver­spre­chen­des Arabisch.

Ich ver­stand natür­lich kein Wort und wan­der­te ab, dach­te zurück an den Got­tes­dienst, in dem wir neu­lich waren: der Pries­ter als Erklär­bär, ohne Auto­ri­tät, unsi­cher, fast ver­le­gen über die alten Riten; viel Ich, viel absur­des Lied­gut, Unver­bind­lich­keit und ein mit alter, gebro­che­ner, schwa­cher Hand ange­setz­ter Leber­ha­ken gegen rechts, der mir nicht weh­tat, mir aber alles ver­gäll­te, was hät­te sein sol­len: Ver­ti­ka­li­tät, sakra­ler Raum, Gottesdienst.

Dann war das Frei­tags­ge­bet zuen­de. Ich habe so etwas unter Chris­ten noch nie erlebt. Mah­mud hol­te mich ab. Die Män­ner stan­den in Grup­pen vor dem Kul­tur­zen­trum, die nächs­ten zwei­hun­dert, drei­hun­dert jun­gen Män­ner dräng­ten in den Saal, mit­ten in einer ost­deut­schen Stadt, alle bereit, an einem Frei­tag­nach­mit­tag sich auszurichten.

War­um sind das so vie­le? – Ganz klar, sag­te Mah­mud, weil der Glau­be wich­tig ist und weil er uns alle ver­bin­det. – Ist das stär­ker als in der Hei­mat? – Auf jeden Fall, vor allem jetzt, wo wir uns durch­set­zen müs­sen. – Gegen wen? – Gegen das, was Euer Sys­tem aus uns machen will. – Was will es denn aus Euch machen? – Kein Glau­be, Kon­sum, Alko­hol, kein Respekt, kei­ne Ehre, nur Ame­ri­ka und die Juden und schwa­che Men­schen, über­all. – Aber das ist unser Land, das ist unse­re Geschich­te, wir sind so gewor­den, wir waren anders, wir haben här­ter gekämpft als Ihr je. – Dann kämp­fe wie­der. Aber glaub mir: kei­ne Chance.

(Unter den drei­hun­dert jun­gen Män­nern der ers­ten Gebets­schicht waren viel­leicht zwan­zig, drei­ßig deut­sche Kon­ver­ti­ten. Man erkann­te sie an den Genen, am Phä­no­typ, am Ver­such, alles so zu machen, wie es im Buche steht. Sie sind wohl zum ers­ten Mal in ihrem Leben unter Män­nern, nur unter Män­nern, klar aus­ge­rich­tet, ein­ge­mein­det, beauftragt.

Ich bin mir sicher: Wir lau­fen in die­sem Bereich auf eine Kata­stro­phe zu, auf einen Kon­ver­si­ons­druck, der auf die Bereit­schaft eines Teils unse­rer Leu­te trifft, das Ange­bot der Unter­ord­nung, der Unter­wer­fung anzu­neh­men. Denn es gibt Män­ner, jun­ge Män­ner, die vor allem unter Män­nern sein wol­len, in star­ken Grup­pen, im Ein­satz. Wenn dage­gen kein Kraut wächst, ver­lie­ren wir sie.)

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Diens­tag, 16. April

Der Umzugs­un­ter­neh­mer Sven Ebert hat in der Nacht auf den gest­ri­gen Mon­tag durch einen Brand­an­schlag Tei­le sei­nes Fuhr­parks ver­lo­ren. Ebert sitzt für die AfD im Gemein­de­rat von Schko­pau, sei­ne Fir­ma war in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wie­der mit Farb­beu­teln und Schmie­re­rei­en atta­ckiert worden.

Nun muß Ebert den Scha­den auf meh­re­re hun­dert­tau­send Euro bezif­fern, und damit gehört die­ser Anschlag zu den grö­ße­ren, die bis­her gegen AfD-Poli­ti­ker, Unter­stüt­zer und Akteu­re der natio­na­len Oppo­si­ti­on ver­übt wurden.

Das schreibt sich so. Aber was bedeu­tet das eigent­lich? Es bedeu­tet, daß es kei­nen Schutz gibt, kei­ne abschre­cken­den Maß­nah­men, die “der Staat” ergrei­fen wür­de. Er könn­te es. Jedoch spre­chen die Signa­le, die er aus­sen­det, eine ande­re Sprache.

Sven Ebert: Er wohnt eine gute hal­be Stun­de ent­fernt von uns am Stadt­rand von Hal­le in Hohen­schön­wei­den. Sein Haus ist der Land­sitz eines Schot­ten: Ebert hat vor zwei Jahr­zehn­ten einen eige­nen Clan gegrün­det, tritt im Kilt auf, ser­viert Whis­ky, bläst die Lure und war als Ver­an­stal­ter der High­land-Games in Hal­le eine Größe.

Alles an Ebert ist sta­bil, schwer, kräf­tig, begeis­ter­tes Machen und nicht ohne Selbst­iro­nie. Er ist ein Allein­un­ter­hal­ter, eine exzen­tri­sche Figur, der früh­ver­greis­ten Man­dats­trä­ger­ver­nunft sei­ner eige­nen Par­tei unheim­lich oder pein­lich oder bei­des. Sei­ne Meta­phern und Wort­sal­ven sind unge­schützt, direkt, manch­mal schief, immer laut, immer von Her­zen. Als Unter­neh­mer ist er ein extrem erfolg­rei­cher Stratege.

Wir lern­ten ihn ken­nen, als er in Hal­le Pla­kat­wän­de mit dem Kon­ter­fei Pirinccis und dem Cover von des­sen Best­sel­ler Umvol­kung voll­häng­te und für Lesun­gen warb. Damals war Ebert noch Mit­glied der grü­nen Par­tei, ein Urgrü­ner – einer also, des­sen Grill­fleisch von wirk­lich glück­li­chen Tie­ren stammt und bis auf die letz­te Gabel ver­zehrt wer­den muß, wenn man bei ihm am Tische sitzt.

Ebert orga­ni­sier­te hoch­ka­rä­ti­ge Lesun­gen und Dis­kus­sio­nen, Pat­z­elt war bei ihm, vol­les Haus, offe­ne Gesprä­che, und immer ein groß­zü­gi­ges Buf­fet und Geträn­ke und ein schot­ti­scher Ausklang.

Bären­kraft, Mut, kein Mann für Frak­ti­ons­zwän­ge und Netz­wer­ker-Net­tig­kei­ten, offe­nes Visier, Klar­na­me, gan­zer Ein­satz: Und so einem fackeln die den Fuhr­park ab. Das ist ja noch nicht ein­mal Rot­front oder SA. Das sind klei­ne, fei­ge, anony­me Arschlöcher.

Ebert hat­te von denen mal ein paar erwischt, die gera­de dabei waren, AfD-Pla­ka­te zu zer­stö­ren. Er hat mit denen noch nicht ein­mal High­land-Games ver­an­stal­tet, also Baum­stamm­wer­fen oder so, bloß gestellt hat er sie, bis die Büt­tel kamen. Aber ange­zeigt wur­de natür­lich er.

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Wo wir gera­de bei der Anony­mi­tät sind: Nach Höckes Fern­seh­du­ell gegen sei­nen CDU-Her­aus­for­de­rer Voigt war gleich das Netz voll mit Bewer­tun­gen, Ana­ly­sen und Kri­tik – letz­te­re auch von rechts, letz­te­re fast immer mit spre­chen­den, also eit­len Pseud­ony­men, die das natür­lich alles bes­ser gemacht hät­ten, weil sie es bes­ser wis­sen, immer.

Bloß: Bescheid­wis­se­rei ist noch kein Machen. Die Ver­suchs­an­ord­nung war also folgende:

  1. Höcke gegen Voigt, zwei Mode­ra­to­ren, also Höcke gegen Voigt und zwei Moderatoren;
  2. hän­gen­de Ver­fah­ren, also Sor­ge, wie­der ein Wort zu sagen, eine Wen­dung zu ver­wen­den, aus denen man Stri­cke dre­hen könnte;
  3. über­haupt: der Nacken­griff der Demo­kra­tie – die­ses ver­schwie­mel­te Sug­ge­rie­ren, Unter­stel­len, Verdächtigen;
  4. ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum, das mit den Pro­pa­gan­da­mit­teln einer anti­deut­schen Staats­idee beharkt wer­den wür­de, wäh­rend­des­sen und danach.
  5. der Druck, die­se Show und Chan­ce zu verhauen;
  6. wis­sen, daß man hin­ter­her “kom­men­tiert” wird, daß man der Gesell­schaft des Spek­ta­kels eine Show lie­fer­te, lie­fern mußte.

Sich in eine sol­che Situa­ti­on zu stel­len – das macht nicht jeder, das besteht längst nicht jeder. Höcke muß das alles machen, er muß bestehen, denn Poli­tik ist Zehn­kampf, für Spit­zen­po­li­ti­ker befoh­le­ner Zehn­kampf, sozu­sa­gen. Egal, ob man hier Stär­ken und dort Schwä­chen hat: Zehn­kämp­fer kön­nen kei­ne ein­zi­ge Dis­zi­plin abwäh­len, son­dern müs­sen antre­ten, immer. Die Sum­me macht’s. Höcke und ande­re sei­nes Kali­bers ste­hen im Trai­ning, müs­sen sich mes­sen – und schla­gen sich gut!

Von Höcke und Ebert weiß man, wo sie woh­nen, wo man sie fin­det, daß sie Frau und Kin­der und einen Ort haben. Sie sind aus­ge­setzt, sie fech­ten nicht unter Pseud­onym, sie haben kei­ne zwei­te Existenz.

Anders aus­ge­drückt: Such­te man unter den Schlau­ber­gern einen, der selbst in den Ring stei­gen wür­de, weil gera­de kein Höcke ver­füg­bar wäre, käme es zu einer Drän­gel­be­we­gung nach hinten …

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Eben schrieb ein Leser, man kön­ne noch erwäh­nen, daß unse­re Arbeit hier in eine klei­ne, mie­se CDU-Patro­ne umge­gos­sen und gegen Höcke abge­feu­ert wur­de: ob er sei­ne “Ideen aus dem Nazi­schloss in Schnell­ro­da” bezie­he. Tat­säch­lich nahm ich’s wahr, ver­gaß es aber sofort wie­der – wie immer, wenn einer ver­bal am Ende ist und aus uns Nazis macht, die Bücher verlegen …

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Sonn­tag, 7. April

Das Schwie­ri­ge am Beruf des Ver­le­gers und Publi­zis­ten ist, daß man es sagen muß, wenn man sprach­los ist. Als ich ges­tern Spie­gel-online auf­such­te, um zu schau­en, was das Leit­me­di­um unse­rer Trans­for­ma­ti­ons­re­gie­rung der­zeit auf die Agen­da set­zen und in die Köp­fe beför­dern möch­te, war ich geneigt zu schwei­gen, nach­dem ich das etwas wei­ter unten doku­men­tier­te Bild gese­hen hatte:

Es scheint, daß dann, wenn die Guten gegen die Bösen Krieg füh­ren oder wenn es eben der Spie­gel ist, der etwas for­mu­liert (und sei es nur eine Über­schrift) – daß dann also alles sag­bar und ganz logisch ist, wes­we­gen uns der Ver­fas­sungs­schutz seit Jah­ren die Haut abzu­zie­hen versucht.

Ich kann auf den im screen­shot sicht­ba­ren Fami­li­en­bil­dern der ukrai­ni­schen Gen­pool-Ret­tungs­stel­le beim bes­ten Wil­len kei­nen Neu-Ukrai­ner aus­ma­chen, also einen aus Afgha­ni­stan, Nige­ria, Syri­en oder so. (Neben den wei­ßen Kin­dern, Eltern, Frau­en sehe ich bloß ein paar Iko­nen, also ist das alles geseg­net, sogar.)

Ich will mei­ne Hand nicht dafür ins Feu­er legen, daß ehe­ma­li­ge Ost-Polen dar­un­ter sind, oder Ruthe­nen und Bes­sa­ra­bi­en­deut­sche. Aber das wäre ja alles durch das gedeckt, was wir sagen, seit wir uns poli­tisch arti­ku­lie­ren kön­nen: Ukrai­ner ist, wer ukrai­ni­sche Eltern hat (Gen­pool!). Ukrai­ner ist aber auch, wer Ukrai­ner wer­den will und die Sache der Ukrai­ne ganz und gar zu sei­ner Sache macht (Assi­mi­la­ti­on!).

Erset­ze “Ukrai­ner” durch “Deut­scher” – dann bist du ein Fall für den VS. Dreh es wie­der um, dann darfst du ein Röhr­chen fül­len, damit der Gen­pool nicht aus­dünnt, denn wir alle wis­sen, daß es die Bes­ten sind, die fal­len, also die Bes­ten, die das Volk auf­zu­bie­ten hat, das Kol­lek­tiv, das wahr­nehm­bar anders ist als ande­re und sein So-und-nicht-anders-sein ver­tei­di­gen und WEITERGEBEN will. Punkt.

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Wäh­rend ich dies schrieb, ent­fiel mir, wor­über ich noch schrei­ben woll­te. War es die Atta­cke eines Syrers, der in Wan­gen im All­gäu eine Vier­jäh­ri­ge nie­der­stach? Wan­gen – das gehört zu mei­ner Hei­mat, das war mit dem Fahr­rad erreich­bar, dort­hin radel­ten wir manch­mal am Wochen­en­de, denn es gab dort eine aus­ge­zeich­ne­te Buch­hand­lung und ein alter­na­ti­ves Kino, und ins huma­nis­ti­sche Spohn­gym­na­si­um in Ravens­burg (Latein, Grie­chisch) pen­del­ten die ferns­ten exter­nen Schü­ler aus Wan­gen an, jeden Mor­gen sehr früh schon unterwegs.

Habe ich je notiert, daß Klaus Schwab, also der Davos-Schwab, der Welt­wirt­schafts­fo­rum-Schwab, an eben­die­sem Gym­na­si­um das Abitur abge­legt hat, also ordent­lich vor mei­ner Zeit? Ich selbst schriebs 1990, in Deutsch, Mathe­ma­tik, Geschich­te und Alt­grie­chisch, und jetzt kommts: Auf Wiki­pe­dia sind im Anschluß an die Geschich­te der Schu­le und die Lis­te der Rek­to­ren soge­nann­te “Per­sön­lich­kei­ten” aus der Schü­ler­schaft auf­ge­führt.

Natür­lich Klaus Schwab, aber eben auch ich. Das ist doch mal fair. Von dem Kir­chen­mu­si­ker Rei­ner Schu­henn an ken­ne ich sie alle noch per­sön­lich, die reüs­sier­ten mit ihrem Kön­nen schon wäh­rend der Schul­zeit. Ich war auch bereits damals in mei­ner Bran­che unter­wegs: vier Jah­re lang Chef­re­dak­teur der Schü­ler­zei­tung, “spohn­tan” hieß sie. (Erst vor einem Jahr sand­te mir ein fünf Jah­re jün­ge­rer Schul­ka­me­rad alle von mir ver­ant­wor­te­ten Aus­ga­ben gescannt zu – so rich­tig schö­ne Fingerübungen.)

Aber wei­ter: Johan­nes Braig bei­spiels­wei­se steht auch auf der Lis­te. Er ist der Sohn des Schul­rek­tors, über den ich im Vor­wort zum Gesprächs­band Unse­re Zeit kommt (mit Karl­heinz Weiß­mann) schrieb: Der alte Braig hat­te mich ins Rek­to­rat geru­fen, als die Mau­er fiel, 1989, denn ich war Schü­ler­spre­cher und kam sehr gut mit die­sem stren­gen, fai­ren, unfaß­bar gebil­de­ten und von einer selt­sa­men Melan­cho­lie umge­be­nen Mann aus.

Sein Sohn nun, Johan­nes Braig, hielt den Schul­re­kord über 3000 Meter. Johan­nes lief mit offe­nen Schnür­sen­keln, sie waren sehr lang, und er sag­te mir, daß er das mache, um sei­ne Schritt­län­ge zu hal­ten. Er gewann als Abitu­ri­ent einen Kunst­preis, weil er aus Ton eine Vase zu for­men in der Lage war, die als per­fekt galt. Als ich sel­ber an der Töp­fer­schei­be im Kunst­raum eine Vase zu gestal­ten ver­such­te, begriff ich, daß er den Preis zurecht ver­lie­hen bekom­men hat­te. Ich ver­mis­se die­sen Ernst.

Was erzäh­le ich da? Ich könn­te noch viel mehr erzäh­len, zu jedem auf­ge­führ­ten Schü­ler, auch etwas über die Leh­rer, von denen zumin­dest einer sich mel­de­te, als Schnell­ro­da so sehr bekannt wur­de und in den Focus geriet. Er mel­de­te sich und lob­te unse­re Arbeit. Aber er füg­te hin­zu, daß ich nie ver­ges­sen soll­te, was er immer im Unter­richt gesagt hat­te, wenn es um Hob­bes und den Levia­than ging: Der Mensch ist dem Men­schen ein Mensch, und das sei zugleich bes­ser und schlim­mer als wenn der Mensch dem Men­schen ein Wolf sei. (Als ob man so etwas ver­ges­sen könnte!)

Jeden­falls: So fädel­te sich ges­tern, beim Kar­tof­feln­le­gen, ein Gedan­ke an den ande­ren, aus­ge­hend von Wan­gen und dem nie­der­ge­sto­che­nen Mäd­chen – und beim Leh­rer noch längst nicht zuen­de. Die­ses Fädeln ist ein Ord­nen, ein Auf­ru­fen, ein Able­gen und eine Ein­bet­tung. Gen­pool, jaja – aber eben auch Prä­gung, vor allem Prä­gung, ein Dün­ger aus Erin­ne­rung und war­mem, sat­tem, näh­ren­dem Bild. (Und dann biegt ein Klaus Schwab so ganz anders ab! Tsts …)

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Mitt­ler­wei­le: 320 Anmel­dun­gen fürs Som­mer­fest – 180 freie Plät­ze noch.

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Frei­tag, 22. März

Der Schrift­satz, mit dem die Pots­da­mer Aus­län­der­be­hör­de, Fach­be­reich Ord­nung und Sicher­heit, den “Ver­lust des Frei­zü­gig­keits­rechts in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land” gegen Mar­tin Sell­ner fest­stellt, für zunächst drei Jah­re, ist: Zir­kel­schluß, Unter­stel­lung, logi­scher Offen­ba­rungs­eid, Maß­stabs­lo­sig­keit, ein Doku­ment der “Herr­schaft des Ver­dachts” und das eines begriffs­wir­ren Sprachregimes.

Leu­te wie Armin Pfahl-Traugh­ber, Mat­thi­as Quent, Anet­ta Kaha­ne, Andre­as Speit, Georg Rest­le und Vol­ker Weiß haben gan­ze Arbeit geleis­tet: Sie haben Wör­ter ins Schwam­mi­ge umge­deu­tet, mit einer gerichts­fes­ten Aura ver­se­hen und die Tech­nik der Unter­stel­lung in den Rang einer wis­sen­schaft­li­chen Metho­de erhoben.

Behör­den schrei­ben von agi­tie­ren­der Publi­zis­tik und “Wis­sen­schaft” ab. So ist im Schrift­satz das “het­ze­ri­sche, gewalt­be­ja­hen­de und men­schen­ver­ach­ten­de Poten­zi­al” Sell­ners eben­so The­ma wie der Umstand, daß Eth­no­plu­ra­lis­mus nichts ande­res bedeu­te als “aus­gren­zen­den Natio­na­lis­mus” und “Frem­den­feind­lich­keit”. Selbst eine For­de­rung nach “weit­ge­hen­der Wah­rung der Homo­ge­ni­tät der Bevöl­ke­rung” sei bereits ver­fas­sungs­feind­lich, und nicht erst dann, “wenn Homo­ge­ni­tät in ihrer Abso­lut­heit gefor­dert wird”, undsoweiter.

Die zustän­di­ge Behör­de schreibt sogar, sie gehe “in der Sum­me mei­ner Fest­stel­lun­gen” davon aus, daß Sell­ner durch sein Agie­ren “die his­to­ri­sche Ver­pflich­tung Deutsch­lands für den Holo­caust als Grund­la­ge unse­res Staats­we­sens negie­re”. Nicht nur die in die­sem Satz geäu­ßer­te Unter­stel­lung, son­dern sei­ne gan­ze Kon­struk­ti­on ist abenteuerlich.

Mar­tin Licht­mesz wird sich zu Sell­ners Fall aus­führ­lich äußern und den Schrift­satz so genüß­lich zer­le­gen, wie nur er es kann. Aber das Genüß­li­che wird Sell­ner nicht wei­ter­hel­fen, es rückt nur unse­ren Blick auf die­se Far­ce zurecht und kann uns hel­fen, den Humor nicht zu verlieren.

Aber könn­te, nein soll­te der Ansatz, unser Ansatz nicht wenigs­tens par­al­lel zu den Kom­men­tie­run­gen der Macht, die in den Hän­den der Fein­de liegt, ein ganz ande­rer sein? Viel­leicht haben wir zuviel Zeit damit ver­geu­det, auf Argu­men­te der Geg­ner und Fein­de ein­zu­ge­hen – also dort noch immer auf die Macht des Argu­ments zu set­zen, wo es nur noch um Macht geht, die ohne Argu­men­te auskommt.

Unser Ton, der nie wei­ner­lich ist, hat bereits auf­grund die­ser Ver­suchs­an­ord­nung etwas Bit­ten­des, einen Ver­ständ­nis hei­schen­den Grund­ton. Davon müs­sen wir uns lösen, in die­sem Punkt waren wir frü­her schon wei­ter: Wir wer­den die­je­ni­gen nicht über­zeu­gen, die den Ein­satz ihrer Macht­mit­tel nur noch dürf­tig kaschie­ren. Aber wir wer­den die­je­ni­gen begeis­tern, die eben­so angriffs­lus­tig, radi­kal, ver­blüf­fend, krea­tiv, scho­nungs­los, rabi­at, tat­säch­lich begabt für den Sprung ins Offe­ne auf die Zumu­tung unse­rer Zeit ant­wor­ten möch­ten wie wir.

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Ein Leser­brief zur Debat­te um den Film “Zone of Inte­rest” über das All­tags­le­ben der Fami­lie Höß neben Ausch­witz. Ich brin­ge ihn in vol­ler Län­ge. Der Ver­fas­ser nennt sich sprenkler@… , aber was er schreibt, klingt nicht nach Was­ser­dü­se und Rasen­flä­che, ganz und gar nicht:

Ich las gera­de die Film­be­spre­chung über “Zone of Inte­rest” auf Ihrem Blog. Inter­es­sant, wie unter­schied­lich man aus der­sel­ben Ecke auf Din­ge bli­cken kann. Es stimmt schon, der Anfang setzt die Meß­lat­te hoch, vie­les danach kommt aber dar­un­ter zu lie­gen. Nicht optisch, die Bil­der waren durch­ge­hend stark: jedoch hört der Film spä­tes­tens zur Hälf­te hin auf, nur zu zei­gen und beginnt zu erzäh­len, ist dabei nicht nur ein­mal auf­dring­lich und plump.

Hed­wig spa­ziert samt Mut­ter durch den Gar­ten und redet ver­son­nen über Blu­men und Schwimm­be­cken, wäh­rend man im Hin­ter­grund Schüs­se hört? Bit­te, die­se Bot­schaft kann man auch ele­gan­ter herüberbringen.

Rudolf ver­kün­det sei­ne Ver­set­zung, Hed­wig fürch­tet, das wun­der­vol­le Grund­stück neben Aus­schwitz I zu ver­lie­ren und läßt die Wut an den ande­ren aus? Ver­ste­he, deut­sche Frau­en schie­ßen nicht, deut­sche Frau­en sind ver­dammt gemein zu pol­ni­schen Dienst­mäd­chen und den­ken nur an die Aza­leen, nicht an das Grau­en hin­ter der Mauer.

So tritt also jeder auf sei­ne Wei­se nach unten, wäh­rend man den Blick stehts aufs Ziel gerich­tet hat, Volk und Blumenbeet.

Die­ser Film hat kei­ne Aus­dau­er. Immer wie­der ver­sucht er, wirk­lich unge­wöhn­lich und nicht direkt zu sein und jedes Mal aufs Neue hält er nicht durch, als wür­de ihm plötz­lich die Unge­heu­er­lich­keit sei­ner eige­nen Bot­schaft bewußt wer­den. Also gleich noch­mal das Gezeig­te, aber sicher­heits­hal­ber unver­schlei­ert dies­mal, nur, damit kei­ne Miß­ver­ständ­nis­se auf­kom­men. Nie wieder.

Das pol­ni­sche Mäd­chen im Nega­tiv wirft beim ers­ten Mal Fra­gen auf, beim zwei­ten Mal leuch­ten die Äpfel weiß hin­ter schwar­zen Schau­feln, und man ver­steht plötz­lich, was sie tut. War­um hier noch wei­ter­erzäh­len? War­um ihr auf dem Weg nach Hau­se fol­gen, den Fil­ter lüf­ten und so mit der unwirk­li­chen Stim­mung bre­chen? War­um wie­der direkt? Jetzt weiß man, sie ist Polin, im Wider­stand und spielt Kla­vier. Sile­sia Film im Abspann, und man denkt sich zum zehn­ten Mal, wie faul und feig die The­men­wahl ist.

Zuge­ge­ben, die Wut aufs Publi­kum half nicht: Alman­knech­te und Michel­fres­sen, alle mit hän­gen­den Schul­tern. Plötz­lich war sich jeder bewußt, Vor­fah­ren zu haben, plötz­lich nicht mehr zufäl­lig auf die­sen Fle­cken Erde gewor­fen, statt­des­sen blu­ti­ge Hän­de und Zäh­ne unter den Soh­len. Und jeder die­ser Vor­fah­ren war Lager­lei­ter im Osten. Wir müs­sen alles bes­ser machen. Viel besser.

Sams­tags, nach der Vor­stel­lung, ging es mit die­sem Bes­ser gleich gut wei­ter: Mar­tin Sell­ner wur­de aus der Schweiz abge­scho­ben. Ein Anfang, immerhin.

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Es ist der Demo­kra­tie nicht zuträg­lich, daß alle zum Bekennt­nis der­sel­ben Mei­nung genö­tigt wer­den. Das Bild stammt von der Eröff­nungs­ver­an­stal­tung zur Leip­zi­ger Buch­mes­se, die noch bis Sonn­tag läuft. Ich wür­de gern die­je­ni­gen zu einem Abend­essen in einer guten Leip­zi­ger Gast­stät­te ein­la­den, die den “Welle”-Effekt, den Gleich­schritt unter­lie­fen und kein Schild in die Höhe hielten.

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Sams­tag, 9. März

War­um ich mich, immer­hin gedient und sogar ein­satz­er­fah­ren, nicht aus­führ­lich zur Cau­sa jener vier hoch­ran­gi­gen Offi­zie­re äußer­te, deren läs­si­ges Gespräch über den Ein­satz von Len­kra­ke­ten gele­akt wor­den ist? So frag­te nicht nur einer.

Ganz ein­fach: Es ist irrele­vant, was ich dazu zu sagen habe. Detail­wis­sen, kennt­nis­rei­che Spe­ku­la­ti­on, was haben wir (wir?) falsch gemacht, was kön­nen wir bes­ser machen – alles völ­lig egal.

Mein Ein­wurf wür­de aus die­ser Armee nicht wie­der mei­ne, unse­re Armee machen. Die­se Zei­ten sind vor­bei. Das sage ich nicht als belei­dig­te Leber­wurst, son­dern als jemand, der zu vie­le gute Sol­da­ten frus­triert hat auf­ge­ben und zu vie­le gute Män­ner erst gar nicht zum Zuge hat kom­men sehen. Der Sub­stanz­ver­lust ist bru­tal, die Aus­le­se absurd, dar­über täu­schen ein paar gute Batail­lo­ne nicht hinweg.

Wozu also kom­men­tie­ren, wenn wir gar kei­nen Stand­punkt mehr ein­neh­men müs­sen? Man staunt dar­über, was auf Kar­rie­re­lei­tern ganz oben ange­krab­belt kommt. Man will nie­mals von sol­chen Män­nern geführt werden.

Und im nächs­ten Moment wird einem spei­übel, denn die Strack-Zim­mer­mann faselt und wet­tert wie­der ein­mal, ges­tern gegen des Paps­tes sanf­ten Vor­schlag, man sol­le der Rea­li­tät ins Auge sehen und der Ukrai­ne emp­feh­len, sich drin­gend mit Ruß­land an den Ver­hand­lungs­tisch zu bege­ben. Da kehrt also ein libe­ral­de­mo­kra­ti­scher Dop­pel­na­me, eine katho­li­sche Bürs­te, die männ­li­chen Res­te ukrai­ni­scher Jahr­gän­ge an die Front.

Das sind wir, das ist das, was das Aus­land sieht. Und mit­hört. Das war’s, oder?

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Höcke rief an. Wir wol­len bald wie­der ein Stück wan­dern und in Ruhe spre­chen. Aber des­we­gen rief er nicht an. Er teil­te nur kurz mit, daß sei­ne “Immu­ni­tät”, die ihn als Teil der Legis­la­ti­ve vor der Will­kür der Exe­ku­ti­ve schüt­zen soll­te, nun zum ach­ten Mal auf­ge­ho­ben wür­de. Das ist in der Geschich­te des Par­la­men­ta­ris­mus in der BRD ein­sa­me Spitze.

Vor allem aber ist es nicht lus­tig, über­haupt nicht sogar. Zwar wird jedes Schwert zum schar­ti­gen Küchen­mes­ser­chen, wenn man es zu oft und am fal­schen Mate­ri­al ein­setzt – der dro­hen­de Klang der Schlag­zei­le “Ver­lust der Immu­ni­tät” hat sein Poten­ti­al längst ver­spielt; aber das ist es ja gera­de: Woher soll denn noch Respekt vor staat­li­cher Insti­tu­ti­on kom­men, wenn ihr Miß­brauch zuta­ge liegt und ihre Kraft ver­schleu­dert wurde?

Höcke wird sich mit­ten im Wahl­kampf in drei Gerichts­pro­zes­sen gegen die Unter­stel­lung zur Wehr set­zen müs­sen, Mei­nungs­de­lik­te began­gen zu haben. Gera­de in sei­nem Fall liegt der Argu­men­ta­ti­ons­krin­gel, der Selbst­be­stä­ti­gungs­krei­sel aus poli­ti­schem Geg­ner, denun­zia­to­ri­schem Jour­na­lis­mus und Inlands­ge­heim­dienst offen zu Tage: Medi­en­ver­tre­ter recher­chie­ren etwas, das für den Ver­fas­sungs­schutz rele­vant sein könn­te und schrei­ben spä­ter, daß man das beim “Dienst” eben­falls so sehe.

Was Höcke schmerzt, ist nicht die Auf­he­bung sei­ner Immu­ni­tät – er ist sowie­so für die Abschaf­fung die­ses Nicht-Schut­zes: Er die­ne mitt­ler­wei­le nur noch dazu, auf­ge­ho­ben zu wer­den und beim ers­ten Mal den Bür­ger in jedem von uns zu erschre­cken. Aber selbst an die Auf­he­bung der Immu­ni­tät kön­ne man sich gewöh­nen. Sag­te es – und lach­te dann doch.

Was ihn wirk­lich schmerzt, ist der Zeit­ver­lust. Sich mit Gro­tes­ken beschäf­ti­gen zu müs­sen, wäh­rend sein Bun­des­land vor der Wahl steht – das ist schwer zu ertragen.

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Die Sell­ner-Fest­spie­le sind auf ihrem Höhe­punkt ange­langt. Zwar war ges­tern Sonn­tag, aber auch der Tag des Herrn sah Sell­ner im uner­müd­li­chen Ein­satz mit dem Vor­schlag­ham­mer: Sell­ner drischt den Begriff “Remi­gra­ti­on” in die Köp­fe, dies­mal auf dem Bal­kon des Gebäu­des der EU-Agen­tur in Wien, mit rie­si­gen Ban­nern (man beach­te das Flug­zeug im “R”) und einer Megaphon-Ansprache.

Als ich ihn ans Tele­fon krieg­te, war er gera­de vom Gebäu­de run­ter und hat­te den Poli­zis­ten sei­ne Per­so­na­li­en ange­ge­ben. Er war sehr zufrie­den, denn mit etwas Lauf­schritt und güns­ti­ger Ampel­schal­tung wür­de er es noch recht­zei­tig zu einem Essen schaf­fen, zu dem sei­ne Fami­lie ein­ge­la­den war. Ande­re wür­den sich fei­ern las­sen, trü­gen ihre Schüt­zen­gra­ben­ge­schich­te wochen­lang vor, zuletzt ver­mut­lich in Rei­men – so nicht Sellner.

Er ist der Pop-Star der Sze­ne, wir haben ihn unter Ver­trag. Die 1. Auf­la­ge sei­nes Buches Remi­gra­ti­on. Ein Vor­schlag, 8500 Exem­pla­re, wird Ende März ver­grif­fen sein.  Auch die 5. Auf­la­ge von Sell­ners Regime Chan­ge von rechts schmilzt ab, und der mit Mar­tin Licht­mesz geführ­te Dis­put Bevöl­ke­rungs­aus­tausch und Gre­at Reset wird bereits nach­ge­druckt – er ist seit Wochen vergriffen.

Für uns als Ver­lag inter­es­sant ist das wie­der­keh­ren­de Pro­blem des Papier­man­gels. Wir dru­cken auf hoch­wer­ti­gem Off­set-Papier, gelb­lich­weiß, 80 oder 90 Gramm, nichts Unge­wöhn­li­ches für die Lie­fe­ran­ten unse­rer Dru­cke­rei­en, sogar sehr gän­gig für jeden Ver­lag, der in Deutsch­land dru­cken läßt. Aber die Lage ist der­zeit wie­der so kri­tisch, daß wir mit der 2. Auf­la­ge das gesam­te rasch ver­füg­ba­re Kon­tin­gent aus­rei­zen wer­den, obwohl selbst damit nicht die gewünsch­te Stück­zahl wird rea­li­siert wer­den kön­nen. Eine Ent­span­nung der Lage ist erst für April signa­li­siert worden.

Sell­ner, des­sen Twit­ter-Account ges­tern wie­der frei­ge­stellt wor­den ist, hat sich übri­gens sehr über die Druck­qua­li­tät und die Farb­ge­bung sei­nes neu­en Buches gefreut. Er hat es seit Frei­tag auf dem Tisch und signiert der­zeit 200 Exem­pla­re für einen ganz beson­de­ren Kun­den. Das ist eine gro­ße Aus­nah­me, ich bit­te dar­um, von Nach­fra­gen abzusehen!

Aber wir pla­nen natür­lich mit Sell­ner als Gast auf unse­rem dies­jäh­ri­gen Som­mer­fest. (Den Ter­min soll­ten Sie sich vor­mer­ken, wir wer­den wie­der­um nur 500 Gäs­ten Platz bie­ten kön­nen: Wir fei­ern am 13. und 14. Juli – aber bit­te: Mel­den Sie sich NOCH NICHT an. Wir geben den Start­schuß nach Ostern!)

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Sams­tag, 24. Februar

Mos­kau war die ers­te Stadt, in der man mit soge­nann­tem Face Pay die U‑Bahn benut­zen konn­te. Filipp Fomit­schow, ein jun­ger rus­si­scher Wis­sen­schaft­ler, der vor einer Woche im Rah­men unse­rer Win­ter­aka­de­mie zum The­ma “Die ideo­lo­gi­sche Land­schaft Ruß­lands” refe­rier­te, erklär­te es mir: Man hält sein Gesicht in eine Kame­ra, nur für eine Sekun­de, dann geht die Schran­ke auf, man hat bezahlt und kann fahren.

Ich habe nach­ge­schaut, es stimmt: Seit Okto­ber 2021 funk­tio­niert die­ses Sys­tem an 240 U‑Bahnhöfen Mos­kaus. Fomit­schow selbst nutzt Face Pay nicht, aber er berich­te­te, daß sehr vie­le Mos­kau­er die­sen Dienst nutz­ten und nichts dabei fän­den. Über­haupt habe es ihn gewun­dert, daß es in Deutsch­land noch immer etli­che Geschäf­te gebe, in denen man Bar­geld akzep­tie­re oder sogar aus­schließ­lich anneh­me. Zwar sei in Ruß­land der Unter­schied zwi­schen Mos­kau und Pro­vinz enorm; jedoch bar­geld­los bezah­len: Das kön­ne man in jedem Kiosk.

Aus die­ser Schil­de­rung her­aus ent­wi­ckel­te sich ein Gespräch über die Tech­nik und die Moder­ne, kon­ser­va­ti­ve Kul­tur­kri­tik und das Neben­ein­an­der von Spit­zen­tech­no­lo­gie und Folk­lo­re, Welt­for­mat und Eigent­lich­keit, Mes­ser­schmidt Me 262 und Braun­hem­den-Auf­tanz, Face Pay und Stel­lungs­krieg wie vor über hun­dert Jahren.

War­um erzäh­le ich das heu­te? Vor zwei Jah­ren griff Ruß­land die Ukrai­ne an. Unse­re Ruß­land-Aka­de­mie kam und unse­re Ruß­land-Sezes­si­on kommt jedoch ohne eine Zei­le über die­sen Krieg aus. Grund ist die tie­fe­re Absicht hin­ter Aka­de­mie und Heft: Wir woll­ten ers­tens Ruß­land ent­ro­man­ti­sie­ren und ein ambi­va­len­tes, unein­heit­li­ches, dis­pa­ra­tes Bild von die­ser Welt­macht ver­mit­teln. Zwei­tens soll­te aber der geis­ti­ge Raum die­ses gro­ßen und groß­ar­ti­gen Lan­des geöff­net werden.

Bei­des ist geglückt, wirk­lich. Fomit­schow trug ent­schei­dend dazu bei, aber auch Leh­nert mit sei­nem Vor­trag über die Deut­schen und die Rus­sen und ihre Nah­fer­ne, Dušan Dosta­nić mit der schwie­ri­gen und lei­der oft bloß pau­schal erzähl­ten Geschich­te zwi­schen Ser­bi­en und Ruß­land und natür­lich Ivor Clai­re, der eine geo­stra­te­gi­sche Skiz­ze zeich­ne­te und alle Kna­ben­mor­gen­blü­ten­träu­me mit Ver­wei­sen auf Macht­lo­sig­keit und Wunsch­den­ken weg­wisch­te und die Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit nannte.

Guck­lö­cher nann­te Peter Hand­ke das, was uns vor­ge­stanzt auf Län­der, auf Schuld und Glanz bli­cken läßt, und min­des­tens hin­ter­fra­gen soll­ten wir stets, wer der Stan­zer war. Bes­ser noch: weg mit der Bret­ter­wand, frei­er Blick, mit denen reden, die scho­nungs­los schau­en. Das haben wir getan, ein lan­ges Wochen­en­de und 80 Heft­sei­ten lang, und es hat mir sehr gut getan, sehr.

Heft 118Auch des­we­gen: An einem Abend, also jetzt gera­de vor genau einer Woche, ver­sam­mel­ten sich von den hun­dert­fünf­zig Teil­neh­mern zwan­zig in unse­rer Biblio­thek und hör­ten einem Spre­cher zu, wie er eine Stun­de lang aus­wen­dig rus­si­sche Lyrik rezi­tier­te, über­setzt natür­lich. Alex­an­der Pusch­kin, Michail Ler­mon­tow, Iwan Tur­gen­jew, Alex­an­der Block, Niko­laj Gumil­jow und Anna Ach­ma­towa –  ich sag­te zu Leh­nert, als wir danach wie­der nach vorn in den Gast­hof pil­ger­ten, daß allei­ne so etwas die Arbeit von zwan­zig Jah­ren loh­ne und daß so etwas die lin­ken Pen­ner, die mor­gen demons­trie­ren wür­den, sicher­lich nicht für mög­lich hiel­ten und ganz sicher noch nie erlebt hätten.

Eine Woche ist es erst her, und heu­te kam Post von einem, der auf ukrai­ni­scher Sei­te an der Front steht. Ich kann ihn ganz ver­ste­hen, auch, wie sehr der Loya­li­täts­raum auf die Kame­rad­schaft zusam­men­schnurrt – eine Erfah­rung, die unse­re jun­gen Män­ner alle­samt nicht mehr machen kön­nen, die ihnen vor­ent­hal­ten wird, denn erfahr­bar ist sie schon, wo man mal zwei Wochen am Stück in einem naß­kal­ten Wald­stück liegt und das übt, was nun an der schreck­li­chen Ost­front wie­der gekonnt wer­den muß.

Und wir haben in unse­ren You­tube-Kanal den andert­halb Jah­re alten Vor­trag von Pro­fes­sor Neu­hoff (AfD NRW, Euro­pa­lis­ten­platz weit vorn) wie­der ein­ge­stellt – er han­delt vom Kon­flikt und vom Krieg in der Ukrai­ne, paßt also zum heu­ti­gen Datum. Neu­hoffs Vor­trag erscheint erneut und just dann, wenn er sich heu­te und mor­gen inmit­ten der nord­rhein-west­fä­li­sche AfD über der Fra­ge, ob man sich von der JA distan­zie­ren sol­le, zu posi­tio­nie­ren hat. Man benimmt sich dort, als hät­te man nichts gelernt und nichts kapiert.

Das sind jetzt Fet­zen, Stück­chen, dar­aus kann die Poli­tik kaum etwas ablei­ten, und vehe­ment rede­te ich, wie auf jeder Aka­de­mie, gegen zuviel Theo­rie und vor allem gegen Jar­gon und geschlos­se­ne Gebäu­de an. Wir sto­chern uns vor­an, ste­cken erkun­de­te Stü­cke ab, das ist viel. Der Stand­punkt ist dabei immer Deutsch­land, wen wundert’s.

(Das Ruß­land-Heft der Sezes­si­on gibt’s hier und Neu­hoffs Vor­trag da.)

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Don­ners­tag, 15. Februar

Vor Jah­ren war ich mit der Fami­lie am Mon­te Cas­si­no, süd­lich von Rom. Wir waren dort nicht der wie­der­auf­ge­bau­ten Grün­dungs­ab­tei des Bene­dik­ti­ner­or­dens wegen, son­dern um den deut­schen Sol­da­ten­fried­hof zu besu­chen, auf dem rund 20 000 Gefal­le­ne beer­digt sind. Die­ser Fried­hof ist einer der schöns­ten und wür­digs­ten, die ich kenne.

Die Deut­schen ver­tei­dig­ten 1944 die soge­nann­te Gus­tav-Linie vier Mona­te lang gegen die Viel­völ­ker-Armee, die unter US-ame­ri­ka­ni­scher Füh­rung von Süd­ita­li­en her anrann­te: Neu­see­län­der, Eng­län­der, Inder, Exil­po­len, sogar Bra­si­lia­ner. Die Mon­te-Cas­si­no-Schlacht gilt als eine der längs­ten und für bei­de Sei­ten ver­lust­reichs­ten Schlach­ten des II. Welt­kriegs. Sie wird von der Mili­tär­ge­schichts­schrei­bung in vier Abschnit­te aufgeteilt.

Mich inter­es­siert heu­te, daß die Deut­schen auf Befehl des Ober­be­fehls­ha­bers Feld­mar­schall Albert Kes­sel­ring das Klos­ter auf dem Mon­te Cas­si­no nicht zur Fes­tung aus­bau­ten: Zu wert­voll sei die­ses Kul­tur­gut. Der Abt des Klos­ters bestä­tig­te nach dem Krieg, daß sich die deut­schen Stel­lun­gen gemäß Befehl 300 Meter vom Klos­ter ent­fernt befan­den – und daß kein deut­scher Sol­dat die­sen Befehl unterlief.
Kes­sel­ring hat­te den Alli­ier­ten die­se Maß­nah­me zur Kennt­nis gebracht, und die Geg­ner fan­den im Ver­lauf der ers­ten Schlacht um die Gus­tav-Linie kei­nen Beleg dafür, daß die Deut­schen nur eine Kriegs­list ange­wen­det hätten.

Die zwei­te Schlacht sah einen alli­ier­ten Angriff auf die Cas­si­no-Stel­lun­gen der deut­schen Fall­schirm­jä­ger vor. Sie begann am 15. Febru­ar 1944, also vor 80 Jah­ren, mit erheb­li­chen Ver­lus­ten für die Angrei­fer. Dar­auf­hin bat der neu­see­län­di­sche Gene­ral Frey­berg um Luft­un­ter­stüt­zung und um die Bom­bar­die­rung des gesam­ten Berges.

225 Bom­ber luden rund 500 Ton­nen Spreng- und Brand­bom­ben auf das Klos­ter ab. Es wur­de voll­stän­dig zer­stört, etwa 400 Mön­che und Zivi­lis­ten kamen um, aber kein ein­zi­ger deut­scher Sol­dat. Denn erst nach der Zer­stö­rung rich­te­ten sich die Deut­schen in den Trüm­mern ein und bau­ten die Rui­nen zu einer prak­tisch unein­nehm­ba­ren Fes­tung aus.

Kunst­schät­ze, die unfaß­bar wert­vol­le Biblio­thek und die Gebei­ne des Ordens­grün­ders, Bene­dikt von Nur­sia, waren zuvor unter Mit­hil­fe von Trup­pen der Fall­schirm-Pan­zer-Divi­si­on Her­mann Göring in die Engels­burg in Rom aus­ge­la­gert worden.

Da unse­re Fami­lie eine beson­de­re Bezie­hung zum Orden der Bene­dik­ti­ner pflegt, ist der 15. Febru­ar nicht nur der letz­ten Angriffs­wel­le auf Dres­den wegen ein schwar­zer Tag.

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Mitt­woch, 7. Februar

Sechs Tage lang war Mar­tin Sell­ners noch nicht erschie­ne­nes Buch Remi­gra­ti­on. Ein Vor­schlag beim Inter­net-Rie­sen Ama­zon auf Platz 1 der best­ver­kauf­ten Bücher.

Tele­fo­na­te erge­ben ein Volu­men von bis­her rund 7000 vor­be­stell­ten Exem­pla­ren allein über die­sen einen Anbie­ter. Jedoch will Ama­zon den Inhalt des Buchs zunächst prü­fen. Nun dis­ku­tie­ren wir mit Sell­ner und erfah­re­nen Buch­händ­lern dar­über, wie wir damit umge­hen sollten.

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Die Lage der natio­na­len Oppo­si­ti­on in Deutsch­land, der wir ange­hö­ren, hat sich wei­ter ver­schärft: Die Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on der AfD, die Jun­ge Alter­na­ti­ve (JA), hat ein Eil­ver­fah­ren gegen ihre Ein­stu­fung als “gesi­chert rechts­extre­mis­tisch” ver­lo­ren. Ein Ver­wal­tungs­ge­richt in Köln hält die­se Ein­stu­fung durch das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz für recht­mä­ßig: Die JA ver­tre­te einen an der Abstam­mung aus­ge­rich­te­ten, also eth­ni­schen Volks­be­griff und ver­sto­ße damit gegen das Prin­zip der Men­schen­wür­de, weil sie Abstam­mungs­deut­sche von Paß­deut­schen unter­schei­de und Wert dar­auf lege, daß ers­te­re in der deut­li­chen Mehr­heit blieben.

Die JA ver­tritt also einen Volks­be­griff, wie er von der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit aller Natio­nen und Völ­ker welt­weit als Selbst­ver­ständ­lich­keit ange­se­hen wird und wie ihn auch Deutsch­land etwa im Rah­men der Defi­ni­ti­on und der pri­vi­le­gier­ten Behand­lung deutsch­stäm­mi­ger Rück­sied­ler aus ehe­ma­li­gen Aus­wan­de­rer­grup­pen zugrundelegt.

Aber es ist wie längst schon: Die Ver­tei­di­gung der Nor­ma­li­tät wird kri­mi­na­li­siert von Leu­ten, die im Sin­ne macht­ha­ben­der Alt­par­tei­en agie­ren und Begrif­fe ver­bie­gen, weil sie von eben die­sen Alt­par­tei­en zum Schutz des Alt­par­tei­en­staa­tes ein­ge­setzt wor­den sind.

Gefähr­lich ist die­ses Affen­thea­ter für die JA, weil sie als Ver­ein orga­ni­siert ist – wie übri­gens jede Par­tei­ju­gend. Ver­ei­ne kann das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um mit einem Feder­strich ver­bie­ten, sofern das, was der Ver­ein tut, gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung ver­stößt und/oder sich gegen den Gedan­ken der Völ­ker­ver­stän­di­gung richtet.

(Auch hier wie­der das Wort “Völ­ker”: Wel­che wie ver­faß­ten sind gemeint? Die­je­ni­gen, die eth­no­kul­tu­rell als unter­schie­den von ande­ren wahr­nehm­bar sind, soll es ja gar nicht mehr geben.)

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Wir alle rech­ne­ten für das so wich­ti­ge Wahl­jahr 2024 (Euro­pa­par­la­ment und drei Land­ta­ge im Osten) mit mas­si­ven Stö­run­gen und Ver­zer­run­gen des in geord­ne­ten Bah­nen vor­ge­se­he­nen Wett­be­werbs um Stim­men­an­tei­le. Die ver­gan­ge­nen Wochen und jetzt die mas­siv auf­kei­men­den Ver­bots­dis­kus­sio­nen, die auf den Par­tei-Rück­raum, auf die Ver­eins­struk­tu­ren des Vor­felds zie­len, haben gezeigt: Unse­re Ver­mu­tung war und ist begründet.

Nicht, daß nicht zuvor schon unlau­ter agiert wor­den wäre von Sei­ten derer, die an der Macht sind: Aber die Unver­fro­ren­heit, mit der ein „Geheim­tref­fen in Pots­dam“ nicht nur erfun­den, son­dern mit toxi­schem Inhalt auf­ge­la­den und begriff­lich in die Nähe natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Eli­mi­nie­rungs­be­schlüs­se gerückt wur­de, hat selbst uns überrascht.

Scho­ckie­ren­der noch als die Erfin­dung und Plat­zie­rung die­ser Kam­pa­gne an sich ist der Umstand, daß ihre Absicht medi­al nicht hin­ter­fragt, son­dern unter­stützt wur­de und daß die­se Unter­stüt­zung sich auf wie­der­um stark staat­lich geför­der­te Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen gegen die AfD aus­dehn­te, obwohl das Demons­tra­ti­ons­recht nicht dafür gedacht ist, daß Regie­rungs­par­tei­en, also Macht­ha­ber, es für sich in Anspruch neh­men, um damit gegen die Oppo­si­ti­on zu agitieren.

Wie stets weiß nie­mand von uns, ob wir uns durch unse­ren Wider­stand und die erneu­te Straf­fung der Oppo­si­ti­ons­ar­beit genau dort­hin bege­ben, wo uns der Geg­ner haben möchte.

Jeden­falls hat die ver­lo­ge­ne Kam­pa­gne für Tage und Wochen fast alle Auf­merk­sam­keit auf sich gezo­gen. Sie hat sie dadurch von ande­ren Ereig­nis­sen und The­men abge­lenkt. Ganz sicher waren und sind die­se ande­ren The­men wich­ti­ger als die Tat­sa­che, daß sich ein paar Leu­te in Pots­dam tra­fen, um über ein The­ma zu spre­chen, das zum Kern jeder natio­na­len Oppo­si­ti­on gehört: über die not­wen­di­ge Schub­um­kehr von Migra­ti­ons­strö­men. Es soll­te sich also loh­nen, zusam­men­zu­stel­len, was unter den Tisch fiel. (Natür­lich die Bau­ern- und Hand­wer­ker­pro­tes­te, aber auch sie sind eher ein Kräu­seln an der Oberfläche.)

Und noch dies: Es hat sich in den ver­gan­ge­nen Wochen – wie stets in kri­ti­schen Pha­sen – her­aus­ge­schält, wer sich nicht nur an die poli­ti­sche Front wäh­len ließ, son­dern front­taug­lich ist und sei­nen Sold zurecht ein­streicht. Der Weg zur Gestal­tungs­macht und zu Deu­tungs­an­tei­len im vor­po­li­ti­schen Raum ist kein Pony­rei­ten, und viel­leicht ist das, was seit Mit­te Janu­ar auf­ge­führt wird, nur eine Fingerübung.

Mag sein, daß dies nicht jedem klar war, der sich expo­nier­te. Aber jetzt muß es jedem klar sein, und jeder soll­te begrif­fen haben, daß auch in die­sem Staat (oder gera­de in die­sem) kei­ner von denen, die seit Jahr­zehn­ten die Macht haben, bereit ist, Macht kampf­los abzu­ge­ben und daß die­se Geg­ner den Kampf dre­ckig füh­ren wer­den. Ein siche­res Indiz dafür ist stets die Behaup­tung, man habe die Demo­kra­tie zu ver­tei­di­gen gegen die Fein­de der Demokratie.

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Frei­tag, 2. Februar

Mal ein wenig Werk­statt­be­richt: Seit drei Tagen wird Mar­tin Sell­ners Buch Remi­gra­ti­on. Ein Vor­schlag im deut­schen Buch­sor­ti­ment des Online-Rie­sen ama­zon auf Platz 1 geführt. Wir hiel­ten die­se Pla­zie­rung schon ein­mal, im Som­mer und Herbst 2017, als das Kapla­ken-Bänd­chen Finis Ger­ma­nia von Rolf Peter Sie­fer­le zum Skan­dal­buch der Buch­mes­se in Frank­furt wurde.

Das Feuil­le­ton hat­te damals scho­ckiert reagiert und Sie­fer­les Nacht­ge­dan­ken von der Spie­gel-Best­sel­ler­lis­te ent­fernt – ein bis dato ein­ma­li­ger Vor­gang in der BRD. (Die Bes­ten­lis­te, die der NDR und die Süd­deut­sche Zei­tung gemein­sam erstellt hat­ten, wur­de gleich ganz auf­ge­ge­ben. Sie exis­tiert heu­te in geän­der­ter Form wieder.)

Aber zurück zu Sell­ners Remi­gra­ti­on (das Buch kann hier vor­be­stellt wer­den): Platz 1 bei ama­zon bedeu­tet 250 bis 1000 ver­kauf­te Exem­pla­re pro Tag. Man kann das nicht so genau sagen, denn es kommt auf den Druck an, den die Pla­zie­rung von hin­ten erfährt. Fin­den sich dort – im Janu­ar wahr­schein­li­cher als im Weih­nachts­ge­schäft – eher ruhi­ge Titel ein, kann man ganz vorn lan­den, ohne har­te Kon­kur­renz abhän­gen zu müssen.

Auch das im letz­ten Som­mer erschie­ne­ne Buch von Sell­ner, Regime Chan­ge von rechts, wird her­vor­ra­gend ange­nom­men und rei­tet auf einer zwei­ten Wel­le: Wir lie­fern seit ges­tern die 4. Auf­la­ge aus und haben gleich­zei­tig die 5. in Druck gege­ben. Poli­tik von rechts von Maxi­mi­li­an Krah wird mit­ge­zo­gen: Es lief in den Mona­ten davor etwas stär­ker als Sell­ners Regime Chan­ge, ist nun aber ein­ge­holt wor­den. Die 5. Auf­la­ge wird eben­falls gera­de gedruckt.

In der Zeit ist aus der Feder von Mari­am Lau übri­gens eine gan­ze Sei­te über die Theo­rie-Pro­duk­ti­on unse­res Ver­lags erschie­nen. Sie hat sich neben Sell­ners und Krahs Büchern auch die vor gut sechs Jah­ren erschie­ne­nen Bän­de Das ande­re Deutsch­land (von Erik Leh­nert und Wig­go Mann) und das legen­dä­re Mit Lin­ken leben (lei­der ver­grif­fen) von Mar­tin Licht­mesz und Caro­li­ne Som­mer­feld vor­ge­nom­men und einen Punkt getrof­fen: Damals übten wir uns noch in “brei­te Brust”, heu­te haben wir sie.

Noch im Wind­schat­ten segelt ein ande­rer Coup. Rober­to Van­n­ac­ci, Gene­ral der ita­lie­ni­schen Spe­zi­al­streit­kräf­te, hat im ver­gan­ge­nen Som­mer ein Bre­vier des gesun­den Men­schen­ver­stands vor­ge­legt. Das Buch wur­de im rechts­kon­ser­va­ti­ven, also nor­ma­len Ita­li­en zum Buch des Jah­res, Van­n­ac­ci zunächst beur­laubt. Im Dezem­ber aber wur­de er zum Chef des Gene­ral­stabs der ita­lie­ni­schen Land­streit­kräf­te ernannt – ein Skan­dal für deut­sche Zivil­ge­hir­ne, die davon aus­ge­hen, daß Gesin­nung Kön­nen ersetze.

Jeden­falls: Gene­ral Van­n­ac­cis Buch wird unter dem Titel Ver­dreh­te Welt. Eine Bestands­auf­nah­me zusam­men mit Sell­ners Remi­gra­ti­ons­vor­schlag bei Antai­os erschei­nen. Natür­lich wer­den wir Van­n­ac­ci zu unse­rem Som­mer­fest ein­la­den. Es könn­te dann etwas luf­ti­ger im Vor­trags­saal zuge­hen, denn viel­leicht wer­den wir zu die­ser Lesung nur Gedien­te zulas­sen (und sol­che, die ger­ne gedient hätten) …

Wer­den sehen, wie Lage und Stim­mung sich bis dahin entwickeln.

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Mon­tag, 29. Januar

Gemein­sam mit Maxi­mi­li­an Krah war ich zu Vor­trä­gen und Gesprä­chen in Wien und in Buda­pest. Rei­se und Pro­gramm hat­ten wir bereits im Dezem­ber fest­ge­legt. Aber ihre Auf­la­dung erhiel­ten die Besu­che erst in den ver­gan­ge­nen vier­zehn Tagen.

Denn in Öster­reich und in Ungarn, vor allem dort, inter­es­siert man sich nun dafür, wie es mög­lich sei, aus einer pri­va­ten Gesprächs­run­de von CDU- und AfD-Leu­ten ein “Geheim­tref­fen” zu kon­stru­ie­ren und es seman­tisch und emo­tio­nal mit der Wann­see­kon­fe­renz von 1942 zu verknüpfen.

In Wien waren Krah und ich zu Gast in den Räu­men der Öster­rei­chi­schen Lands­mann­schaft, ÖLM. Auf­ga­be die­ses 1880 gegrün­de­ten Ver­eins ist die Betreu­ung und Unter­stüt­zung deutsch­spra­chi­ger Min­der­hei­ten im Aus­land in allen Belan­gen. Ich hat­te im Saal der ÖLM schon im ver­gan­ge­nen Novem­ber vor­ge­tra­gen, damals (es kommt einem vor wie “damals”!) zu Ray Brad­bu­rys Roman Fah­ren­heit 451.

Das For­mat war dies­mal ein ande­res, wir tru­gen nicht ein­fach vor, son­dern ant­wor­te­ten stets bei­de auf Fra­gen zur Lage und zu den Hin­ter­grün­den der Kam­pa­gne. Das war leben­dig, man ergänz­te sich und kam in Fahrt, vor allem, weil man ein­an­der nicht aus­ste­chen woll­te, son­dern gemein­sam an der Lage­fest­stel­lung arbeitete.

In Buda­pest war es anders. Wir waren zu Gast im Insti­tut Imre Ker­té­sz, einer auf­wen­dig reno­vier­ten und her­vor­ra­gend aus­ge­stat­te­ten Jugend­stil­vil­la. Ich trug dort zehn The­sen zur “Lage der natio­na­len Oppo­si­ti­on in Deutsch­land” vor, Krah sprach über das Euro­pa­kon­zept der AfD und gab danach fünf oder sechs Inter­views, wobei neben regie­rungs­nä­he­ren auch oppo­si­tio­nel­le Medi­en­ver­tre­ter zum Zuge kamen (etwa hier).

Ich war im Apar­te­ment “Arthur Koest­ler” unter­ge­bracht, und das Gespräch mit dem Lei­ter des Insti­tuts dreh­te sich gleich um die “Tetra­lo­gie der Schick­sal­lo­sig­keit” von Ker­té­sz (von der ich nur den Band Roman eines Schick­sal­lo­sen gele­sen habe) und über Koest­lers Son­nen­fins­ter­nis. Die Dis­kus­si­on ent­wi­ckel­te sich in Rich­tung ver­schie­de­ner Libe­ra­lis­mus­be­grif­fe und Demo­kra­tie­theo­rien, und ich frag­te mich, als ich in der frei­en Stun­de eini­ges notier­te, wel­cher ande­re AfD-Poli­ti­ker in der Lage gewe­sen wäre, auf Deutsch und Eng­lisch über sol­che The­men so zu spre­chen, daß es sich ins Bild vom Men­schen ausweitete.

Mit Gast­ge­be­rin Mária Schmidt spra­chen wir in klei­nen Run­den über ande­re Din­ge. Erfreu­lich ist jedes Mal wie­der die Offen­heit und Direkt­heit der Leu­te: Dort regiert man längst, dort setzt man um, alles klug und auf Jah­re hin­aus ent­wor­fen. Ich habe wie­der viel gelernt und konn­te unge­schützt nach­fra­gen und nach­boh­ren. (Wäh­rend­des­sen löf­fel­te ich das Mark aus auf­ge­schnit­te­nen Kno­chen und streu­te Meer­ret­tich­kä­se dar­über – auch das mag ich so sehr an die­sen Län­dern, ost­wärts: das Ausgebreitete.)

Das alles vor den Vor­trä­gen. Wir hiel­ten sie nach den Hin­ter­grund­ge­sprä­chen am spä­ten Nach­mit­tag. Ich wer­de die­ser Tage mei­ne The­sen zusam­men­fas­sen und auf Punk­te kon­zen­trie­ren, die mei­ner Mei­nung nach über den Tag hin­aus­wei­sen und wie­der­um Tei­le des­sen beinhal­ten, was am Vor­tag in Wien, in der Woche zuvor in Dort­mund und im Cas­tell Auro­ra in Steyr­egg bei Linz schon zur Spra­che gekom­men war.

Und ich wer­de die­se The­sen an wei­te­ren Orten vor­tra­gen, vor allem im Westen.

Die Lage ist sur­re­al. Der Kan­di­dat der AfD für das Land­rats­amt im Saa­le-Orla-Kreis holt auf dem Höhe­punkt der Anti-AfD-Kam­pa­gne und unter dem Dau­er­feu­er eines ent­hemm­ten poli­ti­schen Geg­ners 48 Pro­zent der Stim­men – gegen alle ande­ren zusam­men; die AfD selbst ver­zeich­net seit zwei Wochen eine Ein­tritts­wel­le; wir selbst sam­meln am lau­fen­den Band Neu­abon­nen­ten und Erst­le­ser ein und arbei­ten im absur­den Tru­bel wie mit Scheu­klap­pen an den Satz­fah­nen der neu­en Bücher von Mar­tin Sell­ner (Remi­gra­ti­on. Ein Vor­schlag) und Rober­to Van­ac­ci (Ver­dreh­te Welt. Eine Bestands­auf­nah­me).

Der­weil ver­tieft der Kom­plex aus Staat, Par­tei­en, Zivil­ge­sell­schaft und Kir­chen den Riß bis zur Unüber­brück­bar­keit. Denn das ist das Ziel der lau­fen­den Kam­pa­gne: die Leu­te auf­ein­an­der­zu­het­zen und dadurch Herr­schafts­si­che­rung zu betrei­ben. Daß dies mit­tels einer Ver­leum­dung geschieht, die vom genann­ten Kom­plex durch­ge­tra­gen wird, ohne nen­nens­wer­ten Wider­spruch, ist ein Offen­ba­rungs­eid. Und es ist das, was mich am meis­ten erschreckt.

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Mon­tag, 22. Januar

Das schrieb ich mal, ist viel­leicht drei­ein­halb Jah­re her. Leser haben es aus­ge­gra­ben und mir zuge­schickt. Man muß also ab und an an sich selbst erin­nert wer­den. Und “aus­gra­ben” stimmt schon: Es ist in die­sen drei­ein­halb Jah­ren soviel an Sub­stanz und Dreck drü­ber­ge­häuft wor­den, daß man wirk­lich schach­ten muß. Also:

Jeder weiß doch, daß gera­de eine Demo­kra­tie wie die unse­re zwar stän­dig behaup­tet, nichts und nie­man­den zu unter­drü­cken, aber trotz­dem nur den­je­ni­gen Abweich­ler akzep­tiert, der sich sei­nen Platz macht­voll nahm oder mit einer ihm zuge­wie­se­nen Rol­le zufrie­den ist.

Die AfD ist mitt­ler­wei­le eine star­ke Par­tei, ihr Sie­ges­zug wirk­lich ein Tri­umph. Aber sie scheint immer dann an sich selbst irre zu wer­den, wenn es nach dem Tri­umph­zug, nach den scho­ckie­ren­den Sie­gen um den Auf­bau belast­ba­rer Struk­tu­ren geht – um Dis­zi­plin und Kärr­ner­ar­beit, nicht mehr um den Rausch der gro­ßen Pro­test­wel­len und den Zau­ber des Anfangs.

Die AfD – die geschnit­te­ne Par­tei, die von den “demo­kra­ti­schen Par­tei­en” zum unde­mo­kra­ti­schen Irr­läu­fer gebrand­mark­te Par­tei, die ein­zi­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei, der ein­zi­ge Pol­ler, an dem unser Land auf par­la­men­ta­ri­schem Weg Hal­te­taue gegen sei­nen Unter­gang fest­le­gen kann;

die AfD – zugleich Trä­ger und Pro­fi­teur einer unge­heu­ren Hoff­nung, gera­de für den flei­ßi­gen, nicht glo­bal agie­ren­den, nicht ort­lo­sen, son­dern ver­ant­wor­tungs­be­wuß­ten und dadurch per se sozi­al ein­ge­stell­ten Teil unse­res Volkes;

die AfD – eine Alter­na­ti­ve für Deutsch­land, nicht eine für zu kurz gekom­me­ne Über­läu­fer aus den Alt­par­tei­en oder für Leu­te, die im Par­la­ment oder in Abge­ord­ne­ten­bü­ros nach einer Alter­na­ti­ve zu ihrem bis­he­ri­gen Berufs­le­ben suchen …;

die AfD – der erträg­li­che Abweich­ler, der ange­kom­me­ne Gesprächs­part­ner, der oppo­si­tio­nel­le Teil des Spek­ta­kels: was für eine Horrorvorstellung;

die AfD – als ech­te Oppo­si­ti­on, als tat­säch­lich alter­na­ti­ver Macht­fak­tor, als Gegen­ent­wurf zur Alt­par­tei­en­ver­krus­tung: Dafür lohnt es sich, immer wieder.

Es muß in die­sem Gegen­ent­wurf vor allem dar­um gehen, Wider­standstu­gen­den vor­zu­stel­len und auszubilden:

1. Durch­hal­te­ver­mö­gen: Deutsch­land braucht eine poli­ti­sche Alter­na­ti­ve, das ist heu­te so rich­tig wie bei Grün­dung der AfD. Die­se Alter­na­ti­ve ist etwas fun­da­men­tal ande­res als eine Ergän­zung des Alt­par­tei­en­sys­tems. Dar­auf, daß die AfD als Alter­na­ti­ve gebraucht wird, muß sie vertrauen.

2. Unbe­ding­ter Zusam­men­halt: Die Geg­ner (Par­tei­en, Zivil­ge­sell­schaft, Medi­en, Staat) wer­den immer etwas Skan­da­lö­ses fin­den, um die AfD zu dis­kre­di­tie­ren – wenn beim einen nicht, dann beim nächsten.

3. Nach­ah­mungs­ver­bot: die Din­ge anders ange­hen als die ande­ren Par­tei­en, ande­re Voka­beln ver­wen­den, den Kor­rum­pie­rungs­kräf­ten von Par­la­ment und Lob­by­is­mus aus­wei­chen, die eige­ne Daseins­be­rech­ti­gung dar­aus ablei­ten, daß man nicht dazugehört.

4. Bera­tungs­re­sis­tenz: Staat­li­chen Insti­tu­tio­nen wie dem Ver­fas­sungs­schutz, aber auch ver­meint­li­chen Abwä­gungs­in­stan­zen kei­ner­lei Recht ein­räu­men, die AfD nach kom­pa­ti­bel und inkom­pa­ti­bel aus­ein­an­der­zu­sor­tie­ren. Sich vom Geg­ner nicht erklä­ren las­sen, wie man für ihn akzep­ta­bel wäre.

5. Ein­deu­tig­keit: Wenn die AfD sich zer­fa­sert, strei­tet sie. Wie­so öffent­li­cher Rich­tungs­streit? Es hört doch sowie­so kei­ner zu, es pflich­tet doch den bes­ten Vor­schlä­gen kei­ner bei. Theo­rie­ar­beit, Maß­nah­men­ka­ta­lo­ge: ja, für die Schub­la­de, für spä­ter. Für jetzt nur ein Man­tra: Wir leis­ten Wider­stand gegen die ver­meint­li­che Zwangs­läu­fig­keit “alter­na­tiv­lo­ser” Poli­tik. Wir sind ein­deu­tig anders als die andern. Bereits die­ser Ruf reicht für Mil­lio­nen Wähler.

Und zuletzt: Roger Köp­pel, Welt­wo­che, hat in einer Ana­ly­se zur Lage der AfD ein­mal das Bild ver­wen­det von Pech und Schwe­fel, das auf die­je­ni­gen aus­ge­gos­sen wer­de, die als Ers­te die Lei­ter hin­auf­klet­ter­ten, um die Burg zu erobern.

Es ist schä­big von denen, die hin­ter­her­klet­tern, die­ser ers­ten Rei­he die ver­kleb­ten Haa­re und die besu­del­te Wes­te vor­zu­wer­fen. Bloß: Den Anstand, das nicht zu tun, haben vie­le der Nach­züg­ler nicht. Wer bringt ihn ihnen bei? Und wo ist die brei­te Brust, die sich vor die­je­ni­gen stellt, die gekämpft haben und die zurecht und mit sehr gute Argu­men­ten ver­lan­gen kön­nen, daß die Alter­na­ti­ve ihren Weg als Alter­na­ti­ve weitergeht?

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Mitt­woch, 3. Januar

Heu­te nur ein kur­zer Hin­weis: Ich warb zwi­schen den Jah­ren um Abon­ne­ments der Sezes­si­on und ver­wies auf Exem­pla­re der Dezem­ber-Aus­ga­be, die wir zusätz­lich zur Buch-Prä­mie bei­le­gen würden.

Dem Auf­ruf, die wich­tigs­te rech­te Zeit­schrift deut­scher Zun­ge zu abon­nie­ren, folg­ten über 90 neue Leser – genau gesagt: 93 seit dem 28. Dezem­ber. Das ist sehr erfreu­lich und ganz rich­tig so. Bloß bringt es uns in fol­gen­de Ver­le­gen­heit: 50 Exem­pla­re der 117. Sezes­si­on sind bei­sei­te­ge­legt, die ers­ten 50 Neu-Abon­nen­ten krie­gen sie, aber 43 wei­te­re wer­den leer ausgehen.

Also: nicht ganz leer. Wir legen älte­re Hef­te bei, aber eben nicht die 117 – älte­re Hef­te und viel­leicht noch eine Zusatz­über­ra­schung. Ich weiß, ich weiß, eigent­lich wäre das nicht nötig, jedoch ist’s ein Ereig­nis: Denn der Schwa­be gibt gern, aber sel­ten. Und jetzt ist gera­de einer die­ser Momente.

Ernst­haft: Dank allen, die nun gezeich­net haben. Wir arbei­ten bereits an der 118. Sezes­si­on, The­ma Ruß­land, das wird ein fei­nes Heft.

Und wäh­rend ich’s schrei­be, fällt mir ein: Die Win­ter­aka­de­mie, The­ma Ruß­land, ist voll, ist über­bucht. 200 Anmel­dun­gen auf 130 Plät­ze – Gott bewah­re, daß nun ein Neu­abon­nent das Heft 117 nicht kriegt UND kei­nen Platz auf der Aka­de­mie. Nicht, daß eine hoff­nungs­vol­le rechts­in­tel­lek­tu­el­le Kar­rie­re mit zwei Dämp­fern beginnt …

Ich wun­de­re mich übri­gens nicht, nicht die Boh­ne. Wäre ich jung, wäre ich Abon­nent und Aka­de­mie-Teil­neh­mer. Ich habe das neu­lich im Halb­schlaf ernst­haft geprüft: Es wäre so.

Wir haben ja damals Monat für Monat auf die JoteF gewar­tet wie auf eine Befehls­aus­ga­be und saßen auf Bur­schen­häu­sern zwi­schen Besof­fe­nen, um dem Pro­se­mi­nars­ge­stam­mel eines armen Füchs­leins bei­zu­woh­nen oder einem von Hegel ein­kas­sier­ten Rene­ga­ten dabei zuzu­schau­en, wie er die Welt­for­mel auf­lös­te – ohne Rest.

Wie schreibt (oder schrieb) man auf Twit­ter? “Dan­ke für 4000 Fol­lower! (Herz­chen, beten­de Hän­de, Herz­chen)”. Also: Dan­ke für 4000 Abos, und bit­te machen Sie sich klar: 4000 Abon­nen­ten für eine anspruchs­vol­le Zeit­schrift – das ist eine ande­re Ansa­ge als 4000 “Freun­de”, die sich durch Pro­fi­le scrollen.

Wer dazu­sto­ßen möch­te: hier abon­nie­ren, ABER ohne Aus­sicht auf Heft 117! Wer lie­ber Ein­zel­hef­te abgreift, von Mal zu Mal, dem sei die fro­he Bot­schaft zuge­ru­fen: Wir dru­cken ab der 118 ein biß­chen mehr, damit die Bestän­de län­ger als einen Monat reichen.

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Diens­tag, 2. Januar

Das neue Jahr ist abge­na­belt und schon den zwei­ten Tag alt, aber so recht eigent­lich steht die Zeit noch still, gera­de noch so. Natür­lich wer­den wir an den Durch­brü­chen betei­ligt sein in die­sem Jahr – die Marsch­rou­te ist klar, die Arbeit war­tet und die Zuver­sicht ist ein hel­ler Ton.

Aber jetzt soll’s noch nicht los­ge­hen. Jetzt muß noch ein wenig Ruhe sein. Zunächst will ich näm­lich allen Lesern und Freun­den, Gäs­ten und Autoren ein taten­fro­hes und gedan­ken­schwe­res Jahr 2024 wün­schen – eines, das uns vor­sto­ßen und tie­fer­boh­ren sieht, aber nie abhe­ben und spinnen.

(Es sei denn, dies wäre unse­re Rol­le: der Scha­ber­nack, das Spek­ta­kel, die ver­rück­te Stun­de, wenn alle bier­ernst mei­nen, daß jedes Pro­zent Ret­tung bedeu­te; wenn also jemand kom­men muß und sagen: recht so, und wich­tig und fein ist das alles. Aber denkt mal scharf und kraß und hem­mungs­los nach, denn wir haben es mit einer Zer­stö­rung zu tun, für die man sich zwei Gene­ra­tio­nen lang Zeit ließ, um sie gründ­lich zu erledigen.)

Ich habe die tie­fen, dunk­len  Tage und Näch­te genutzt, um zu lesen und zu hören. Übers Lesen schrieb ich oft, übers Hören sel­ten. Ich spie­le die Gei­ge und kann als bün­disch Gepräg­ter zwei­hun­dert Lie­der klamp­fen, aber trotz­dem kann ich vom Hören nur schrei­ben wie der Ein­äu­gi­ge vom Raumgefühl.

Ich habe vor Mona­ten einen Kanal ent­deckt, den, das ist mei­ne Ver­mu­tung, jemand füllt, den ich ein­mal kann­te, bloß schrift­lich, aber eben doch. Die­se Bekannt­schaft, ein deut­lich jün­ge­rer Mann, war begeis­ternd, weil er, Exper­te, etwas ein­trug, das ich nicht selbst hät­te zusam­men­stel­len kön­nen. Er hat­te Zugän­ge zu Archiven.

Das alles ist völ­lig unpo­li­tisch, es ist kul­tu­rel­ler und künst­le­ri­scher Boden, und wenn man sich was drauf ein­bil­det, Bruck­ner durch­ge­hört zu haben, so, daß man ihn an ein paar Tak­ten erken­nen mag, Wag­ner und Richard Strauß, Schost­a­ko­vitsch und Schu­mann, und vom Oze­an Bach schip­pernd ein paar Küs­ten­strei­fen kennt – dann fin­det man plötz­lich den abge­le­ge­nen Strand, das Neben­tal und die klei­ne Hüt­te und fragt sich, war­um davon nicht Tag für Tag etwas auf­ge­führt wird, so phan­tas­tisch ist das.

Ich tei­le nun aus die­sem Kanal drei Stück. Es ist ein Zufall, daß die­se Wer­ke alle 1934 urauf­ge­führt wur­den. Sie sind alle glei­cher­ma­ßen klas­sisch und modern, und vor allem sind sie so ein­präg­sam, daß man, wenn man ein Ohr für der­lei hat, nach dem zwei­ten Hören denkt, man kenn­te sie schon lan­ge. Also:

vom Slo­we­nen Blaz Arnic (1901–1970) das sym­pho­ni­sche Gedicht “Memen­to Mori”,

vom Japa­ner Koi­chi Kishi (1909–1937) die Sym­pho­nie “Bud­dah” (die Ent­de­ckung der ver­gan­ge­nen Tage)

und vom Deut­schen Hein­rich Kamin­ski (1886–1946) das Orches­ter­werk “Dori­sche Musik”;

Man fin­det von die­sen Wer­ken aus leicht zu den Kanä­len, die der Musik-Grä­ber aus Archi­ven geschürft haben muß. Ich den­ke, daß Leh­nert und ich mit unse­ren Lite­ra­tur­ge­sprä­chen über fast ver­ges­se­ne Schrift­stel­ler auf lite­ra­ri­schem Fel­de ähn­lich arbei­ten. Kul­tu­rel­les Gedächt­nis, Saat­gut­re­ga­le, Gen-Bank. Wir müssen’s auf­be­wah­ren. Alles.

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Don­ners­tag, 14. Dezember

In einer Mischung aus Erstau­nen und Gereizt­heit schrieb mir ein Leser auf mein abend­li­ches Sin­nie­ren über die Schlacht­fel­der des Donbas:

In Ihrem Tage­buch­ein­trag vom 9. Dezem­ber wei­sen Sie jun­ge Män­ner an, ihr Müt­chen zu küh­len mit­tels Video­schau. Anlass und Angel­punkt des Ein­trags scheint Ihre jüngs­te Video­er­fah­rung zu sein. Zur Erin­ne­rung: Der Video­raum ist der Erfah­rungs­raum jun­ger Män­ner die hier­zu­lan­de auf­wach­sen, mit­ein­be­grif­fen das Video­spiel. Ange­nom­men Sie wür­den in die­ser Gene­ra­ti­on eine Umfra­ge nach schöns­ten Kind­heits­er­in­ne­run­gen machen: Man wür­de Sie mit Com­pu­ter­spiel­an­ek­do­ten überhäufen.

Die­ser Erfah­rungs­raum hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren erwei­tert um ein Gen­re, das einen mas­si­ven Zuwachs erfährt: War­porn. Nein, kein Recht­schreib­feh­ler. Man redet so, da man irgend­wo weiß, womit man es zu tun hat. Instink­tiv und ohne Ihre theo­re­ti­sche Vor­bil­dung wird die Nen­nung als Beschwö­rung ange­se­hen. Eine Beschwö­rung von sol­chem, über das man nicht verfügt.

Jene jun­gen Män­ner ins­be­son­de­re, die sich in Ihre Tagun­gen und Ver­an­stal­tun­gen ver­lau­fen, sind Söh­ne der Por­no­gra­phie, vom Son­der­schü­ler zum Best­ab­itu­ri­en­ten, vom Wort­füh­rer zum Ord­ner. Was das heißt, wis­sen sie zumeist nicht. Schlim­mer noch, daß auch Sie sich dar­über nicht im Kla­ren zu sein scheinen.

Das Leben die­ser Jun­gen ist geprägt von offe­nen Wun­den. Und nein, damit ist nicht das Spek­ta­kel des Octa­gons gemeint, das sich in den letz­ten zehn Jah­ren fest eta­bliert hat und dem das Kriegs­spek­ta­kel nun den Rang abzu­lau­fen beginnt. Bei­des sind Fuß­no­ten zu jenem Wund­ge­schäft, das Ihre Zög­lin­ge zu einer Aus­nah­me­erschei­nung macht. Denn es gab sel­ten ein­zel­ne, und nie zuvor eine Gene­ra­ti­on, die, durch das, was ihnen von früh an zu Gesicht kam, so schwer ver­wun­det wurde.

Sie ken­nen Ihr Publi­kum kaum. Wis­sen nicht, was mitt­ler­wei­le unterhält.

Als ich Ellen Kositza beim Abend­brot die­se Zei­len refe­rier­te und mit einem Abschnitt aus Slo­ter­di­jks Regeln für den Men­schen­park ver­knüpf­te, sag­te sie spon­tan, daß der Mann Recht habe: Ich hät­te wohl tat­säch­lich kei­ne Vor­stel­lung davon, wie sehr sich die Seh­ge­wohn­hei­ten und der Abstump­fungs­le­vel jun­ger Leu­te von dem unter­schei­de, was ich so für gang und gäbe hielte.

(Mich ärger­te das, man will ja nicht der alt­ba­cke­ne Dachs sein, und wie stets in solch argu­men­ta­tiv aus­sichts­lo­sen Lagen brach­te mich das Geräusch des Brot­kau­ens der bei­den jun­gen Damen auf, die ihre Bei­ne noch unter mei­nen Tisch stel­len. Ich ver­bot augen­blick­lich den Han­dy-Kon­sum für den wei­te­ren Abend und sam­mel­te die Gerä­te ab.)

Aber natür­lich war mir spä­ter, als ich nur noch mich selbst Wein schlu­cken hör­te, klar, daß Kositza recht hat­te und daß es Zeit wer­den könn­te, ein jun­ges, abge­stumpf­tes, War­porn-ange­füll­tes Köpf­chen an der Pla­nung von Aka­de­mien und Hef­ten zu betei­li­gen – irgend­ei­nen depres­si­ven Hedo­nis­ten oder Incel­ler, der auf Leveln kämpf­te, von deren Exis­tenz ich nicht die lei­ses­te Ahnung habe.

Aber es ist ja für zyni­sches Gescher­ze viel zu ernst, das alles.

Daher nun Slo­ter­di­jks Sät­ze zu Bes­tia­li­sie­rung, 1999 geschrie­ben, und sein Essay wird – wie ich im Edi­to­ri­al der just ver­sand­ten Sezes­si­on 117 notier­te – im kom­men­den Jahr ein the­ma­ti­scher Schwer­punkt nicht nur des Som­mer­fests, son­dern auch der August-Aus­ga­be sein. Aus Regeln für den Men­schen­park, edi­ti­on suhr­kamp, S. 17ff:

Zum Cre­do des Huma­nis­mus gehört die Über­zeu­gung, daß Men­schen “Tie­re unter Ein­fluß” sind und daß es des­we­gen uner­läß­lich sei, ihnen die rich­ti­ge Art von Beein­flus­sung zukom­men zu las­sen. Das Eti­kett Huma­nis­mus erin­nert – in fal­scher Harm­lo­sig­keit – an die fort­wäh­ren­de Schlacht um den Men­schen, die sich als Rin­gen zwi­schen bes­tia­li­sie­ren­den und zäh­men­den Ten­den­zen vollzieht. (…)

Was die bes­tia­li­sie­ren­den Ein­flüs­se angeht, so hat­ten die Römer mit ihren Amphi­thea­tern, ihren Tier­het­zen, ihren Kampf­spie­len bis zum Tode und ihren Hin­rich­tungs­spek­ta­keln das erfolg­reichs­te mas­sen­me­dia­le Netz der alten Welt instal­liert. In den toben­den Sta­di­en rund ums Mit­tel­meer kam der ent­hemm­te homo inhu­ma­nus wie kaum je zuvor und sel­ten danach auf sei­ne Kos­ten. Erst mit dem Gen­re der Chain Saw Mas­sacre Movies ist der Anschluß der moder­nen Mas­sen­kul­tur an das Niveau des anti­ken Bes­tia­li­tä­ten­kon­sums vollzogen. (…)

Danach folgt eine Absa­ge an das Kon­zept der Abhär­tung durch Aus­set­zung, und Slo­ter­di­jk schlußfolgert,

daß Mensch­lich­keit dar­in besteht, zur Ent­wick­lung der eige­nen Natur die zäh­men­den Medi­en zu wäh­len und auf die ent­hem­men­den zu ver­zich­ten. Der Sinn die­ser Medi­en­wahl liegt dar­in, sich der eige­nen mög­li­chen Bes­tia­li­tät zu ent­wöh­nen und Abstand zu legen zwi­schen sich und die ent­menschen­de Eska­la­ti­on der thea­tra­li­schen Brüllmeute.

(Merkt noch jemand, wie die hilf­lo­se Kul­tur­kri­tik sich in Scha­le wirft – ein Vor­gang, den schon Geh­len müde belächelte?)

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Ergän­zung nach Mit­tag. Gera­de schrieb ein Leser noch dies:

Kürz­lich mach­te ich wie­der ein­mal den Feh­ler, in das 4chan-Forum poli­ti­cal­ly incor­rect rein­zu­schau­en. Dort hat­te ein User das von Ihnen the­ma­ti­sier­te Video mit dem ster­ben­den rus­si­schen Sol­da­ten rein­ge­stellt mit dem Kom­men­tar, “Why is it so satis­fy­ing wat­ching zig­gers suf­fe­ring?”, also “War­um ist es so befrie­di­gend, dabei zuzu­se­hen, wie Zig­ger leiden?”

“Zig­ger” ist die abwer­ten­de Bezeich­nung für Rus­sen. Das “Z” bezieht sich auf das tak­ti­sche Zei­chen, das die rus­si­schen Mili­tär­fahr­zeu­ge in der Ukrai­ne tra­gen, und “igger” bezieht sich auf “Nig­ger”.

Ande­re User mach­ten sich eben­falls über die Todes­qua­len des Sol­da­ten lus­tig. Einer mach­te den Vor­schlag, das Video jede Nacht in das Schlaf­zim­mer der Mut­ter des Sol­da­ten zu projezieren.

Auf 4chan wer­den stän­dig sol­che Bil­der und Vide­os ver­öf­fent­licht, und zwar von bei­den Sei­ten, also auch von Usern, die mit der rus­si­schen Sei­te sym­pa­thi­sie­ren. Von denen wer­den dann eben ent­spre­chend Vide­os und Bil­der von ver­letz­ten oder getö­te­ten ukrai­ni­schen Sol­da­ten gepostet.

Das bei Ernst Jün­ger so bedroh­lich wie magi­sche Spre­chen von “Räu­men” und “Zonen” (man den­ke nur an “Köp­pels­bleek” aus den Mar­mor­klip­pen) ist ins vom Gamer-Ses­sel aus Begeh­ba­re ausgeweitet.

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Sams­tag, 9. Dezember

Seit die kal­ten Novem­ber­re­gen ein­ge­setzt und die Frost­näch­te Ein­zug gehal­ten haben, den­ke ich viel an die Sol­da­ten in einem Krieg, der hin­ter dem Nah­ost-Kon­flikt zu einem zweit­ran­gi­gen Schau­platz gewor­den ist, aber mit grau­sa­mer Här­te geführt wird. Im Ukrai­ne-Krieg sind nun Käl­te und Näs­se ent­setz­li­che Gegner.

Wer als Sol­dat auch nur ein paar Wochen bei wid­ri­gem Wet­ter und eisi­ger Tem­pe­ra­tur im Frei­en ver­brin­gen muß­te, weiß, wovon ich spreche.

Wir alle waren nie im Krieg. Aber in mei­nem Fall waren die­se Wochen in der Win­ter­kampf­schu­le in Bal­der­schwang zu absol­vie­ren, und die Näch­te, die um kurz nach fünf began­nen, waren so eisig, daß wir in Bewe­gung blie­ben, um nicht zu erstar­ren. (Im Ohr Fet­zen des Skrew­dri­ver-Lieds “The Snow fell”). Ski mit Steig­fel­len, Win­ter­tarn, wil­len­lo­se Stun­den, und das alles war nur Übung. Kein Tod, kei­ne Todes­angst, abseh­ba­res Ende, zwei Wochen eben.

Ent­lang der Front im Don­bas lie­gen sich die Sol­da­ten im zwei­ten Kriegs­win­ter gegen­über, und wer die Bil­der von den Unter­stän­den sieht, in denen die Sol­da­ten kau­ern, muß mit­be­den­ken, daß es nicht um Arbeits­ta­ge mit abend­li­chem Sau­na­gang geht, wie auf den Win­ter­bau­stel­len im Frei­en. Es geht um Tage, Wochen und Mona­te ohne Ende.

Aber zu die­sem Leid, zu die­sen Sze­na­ri­en, die an die Stel­lungs­schil­de­run­gen Ernst Jün­gers aus dem I. Welt­krieg erin­nern und an die Kriegs­brie­fe aus Sta­lin­grad, gesellt sich ein Grau­en, das vor über hun­dert und vor acht­zig Jah­ren noch nicht über den Schlacht­fel­dern kreiste.

In einem Vor­trag über Ray Brad­bu­rys Roman Fah­ren­heit 451, den ich vor Wochen in Wien hielt, hat­te ich es ange­deu­tet: das Grau­en, das einen packt, wenn der Mensch von der Maschi­ne ver­folgt und zur Stre­cke gebracht wird. Ich bezog mich auf den “mecha­ni­schen Hund” im Roman, des­sen Injek­ti­ons­na­del den Staats­feind zur Stre­cke bringt, nach­dem die unfehl­ba­re Nase ihn auf­ge­spürt hat.

Als Bei­spiel unse­rer Zeit führ­te ich die Jagd an, die im Ukrai­ne-Krieg mit bewaff­ne­ten Droh­nen auf Boden­trup­pen gemacht wird. Im Netz gibt es hun­der­te Vide­os, die ahnungs­lo­se oder ver­zwei­felt davon­krie­chen­de Sol­da­ten zei­gen, deren Bewe­gun­gen aus der Luft gefilmt und deren Leben mit einer wie in einem Com­pu­ter­spiel abge­wor­fe­nen Gra­na­te been­det wird.

Ich stieß heu­te, als ich den Front­ver­lauf ein­mal wie­der nach­voll­zie­hen woll­te, auf einen Tele­gram­ka­nal, der sol­che ent­setz­li­chen Vide­os prä­sen­tiert. Ich kann mich nur an weni­ge Wahr­neh­mungs­mo­men­te in mei­nem Leben erin­nern, in denen ich inner­lich vor Ent­set­zen so erstarr­te wie heu­te Abend.

Das eine Mal liegt über vier­zig Jah­re zurück – als mir ein Anti­kriegs­buch aus dem Bestand mei­nes Groß­va­ters in die Hän­de fiel. In die­sem Buch waren Gesich­ter Kriegs­ver­sehr­ter aus dem I. Welt­krieg abge­bil­det, durch die Geschos­se gefah­ren waren und die aus gro­ßen Augen ohne Nase und Kie­fer und aus Mün­dern ohne Stirn, aber mit gräß­li­chen Zäh­nen bestan­den. Die Erschüt­te­rung wirk­te über Tage.

Das zwei­te Mal ergriff mich die­se Erstar­rung, als ich begann, in der Doku­men­ta­ti­on zu lesen, die das deut­sche Bun­des­ar­chiv mit Augen­zeu­gen­be­rich­ten über die Ver­trei­bung der Deut­schen aus den Ost­ge­bie­ten gefüllt hat­te. Ich schaff­te den Band über Böh­men zur Hälf­te, die ande­ren Tei­le ste­hen unan­ge­tas­tet im Bücher­schrank. Aus­weg­lo­sig­keit und Leid sind so ent­setz­lich, daß jede wei­te­re Lek­tü­re zumin­dest mein Gemüt auf lebens­ver­än­dern­de Wei­se berüh­ren würde.

Viel­leicht ein Drit­tes: die Hebung eines Mas­sen­grabs in Bos­ni­en, der ich als jun­ger Offi­zier bei­wohn­te; und ein Vier­tes: der von einem Mob tot­ge­prü­gel­te Mann in einer Klein­stadt im Süden Kame­runs, dem man Hexe­rei nach­ge­sagt hat­te. Als ich dem Geschrei nach­ging, anlang­te und ihn als den Anlaß der Zusam­men­rot­tung zwi­schen den Gaf­fern erspäh­te, tas­te­ten er noch mit einem ver­renk­ten Fin­ger nach etwas im nas­sen Lehm, bevor ihm ein gro­ber Beton­klotz auf den Kopf gerollt wurde.

Und heu­te: Das Film­chen einer ukrai­ni­schen Droh­nen­ein­heit, das mit einer rühr­se­li­gen rus­si­schen Melo­die anhebt und dann in einen Gitar­ren-Trash umkippt, wäh­rend man von oben ein­zel­ne rus­si­sche Sol­da­ten her­an­zoomt, die bereits ver­wun­det und hilf­los in einem zer­split­ter­ten Wald­stück lie­gen, unter Ästen, mit offe­nen Brü­chen, in sich gekrümmt, embryo­nal, bedürf­tig, schutzlos.

Wäh­rend die Droh­ne zoomt, fal­len Gra­na­ten gezielt auf und dicht neben die­se Män­ner. Die Gen­fer Kon­ven­ti­on ist einen Dreck wert, und wenn im Staats­funk von Lie­fer­schwie­rig­kei­ten für Droh­nen­bau­tei­le an der pol­nisch-ukrai­ni­schen Gren­ze die Rede ist, dann spre­chen wir über Ersatz­tei­le für Kampf­mit­tel, aus denen sol­che Fil­me entstehen.

Der letz­te rus­si­sche Sol­dat, der erle­digt wird, liegt ver­wun­det unter Geäst. Die Droh­ne läßt ihre Gra­na­te dicht vor sei­nen Rumpf fal­len. Dann zoomt die Kame­ra auf eine ent­setz­li­che Wun­de und auf einen stum­men Schrei und eine tas­ten­de Hand, die ver­sucht, das zer­fetz­te Auge, den abge­ris­se­nen Kie­fer und den Kno­chen­brei dort­hin zurück­zu­schie­ben, wo ein­mal ein Gesicht war, rund­lich, schon etwas älter.

Das hei­le Auge sucht den Him­mel ab, dann stirbt die­ser Mensch.

Ich möch­te, daß sich jeder mar­tia­lisch gestimm­te jun­ge Mann die­ses Video anschaut, jeder Kriegs­theo­re­ti­ker auch und natür­lich jede grü­ne Kriegs­trei­ber­see­le, die von einer von ihr so nicht vor­ge­se­he­nen Kriegs­mü­dig­keit der Deut­schen faselt und wei­te­re “Anstren­gun­gen” fordert.

(Man möch­te dort Zel­te errich­ten und mit gro­ßen wei­ßen Ban­nern und roten Kreu­zen in sol­che Wäl­der gehen, um jeden, der nicht mehr kann, ins War­me zu holen und ins Leben zu ret­ten. Ich bete nun den gro­ßen ortho­do­xen Abend­hym­nos für bei­de Sei­ten – wohl auch für mich, um die Erstar­rung zu lösen.)

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Diens­tag, 28. November

Rand­no­tiz 1: Der schwu­le tür­kisch­stäm­mi­ge Exmos­lem Ali Utlu und die jesi­di­sche Gat­tin des AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mar­tin Sichert, Ronai Cha­ker, behaup­ten seit Tagen auf allen ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kanä­len, daß wir “Schnell­ro­daer” nur hete­ro­se­xu­el­le, natio­na­lis­ti­sche Deut­sche ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der AfD sehen woll­ten und alle ande­ren Anwär­ter zu ver­hin­dern wüßten.

An die­ser Unter­stel­lung stimmt vor allem eines nicht: Kei­ner von uns ist Par­tei­mit­glied und dort in Lohn und Brot, wo es um die Auf­nah­me neu­er Mit­glie­der geht. Kei­ner von uns kann etwas “ver­hin­dern”.

Herr Utlu ver­öf­fent­lich­te zuletzt eine Kari­ka­tur, auf der ein ihn wür­gen­des Schnell­ro­da sei­nen Traum von der AfD-Mit­glied­schaft zer­plat­zen läßt. Er will nun eine eige­ne Inter­net-Sei­te grün­den, um auf ihr den angeb­li­chen Haß aus unse­rer Rich­tung gegen ihn zu dokumentieren.

Frau Cha­ker-Sichert wie­der­um schrieb ges­tern über einen unse­rer Autoren:

Licht­mesz ist für mich im übri­gen ein lupen­rei­ner Anti­se­mit, denn er hat sich in einer Dis­kus­si­on mit mir, vor Jah­ren schon hin­ter die Hamas gestellt und deren Vor­ge­hen befürwortet.

Ich riet Licht­mesz ab, juris­tisch vor­zu­ge­hen. Man bie­tet Büh­nen und ver­liert Zeit.

Aber über die­sen Haß hät­ten wir sehr gern ein sehr gründ­li­ches Gespräch mit sowohl Frau Cha­ker-Sichert als auch Herrn Utlu geführt, um zu ergrün­den, wie ernst es ihnen mit der deut­schen Sache sei und war­um sie davon aus­gin­gen, daß wir jeden, der es wirk­lich ernst mei­ne, auf sei­ne Her­kunft abklopf­ten und in sein Schlaf­zim­mer späh­ten, um dann den Dau­men zu sen­ken oder zu heben.

Ich habe Frau Cha­ker-Sichert vor eini­gen Wochen und Herrn Utlu vor fünf Tagen Gesprächs­an­fra­gen zukom­men las­sen und bei­den jeweils frei­ge­stellt, ob solch ein Gespräch öffent­lich oder im stil­len Käm­mer­lein geführt wer­den sol­le. Im Fal­le von Frau Cha­ker erfolg­te die Anfra­ge auch über ihren Gatten.

Wie stets ging es mir, uns dar­um, aus dem Schwarz-Weiß des Geze­ters die Abschat­tie­rung der poli­ti­schen Rea­li­tät abzu­lei­ten. Weder Herr Utlu noch Frau Cha­ker-Sichert haben geantwortet.

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Rand­no­tiz 2: Der Jun­g­eu­ro­pa-Ver­lag hat heu­te die Fort­set­zung des skur­ri­len Pro­zes­ses um sei­nen Namen erlebt. Der Euro­pa Ver­lag klag­te vor einem Jahr, weil er Ver­wechs­lungs­ge­fahr und damit einen Vor­teil für die Jun­g­eu­ro­pä­er wähn­te, denen das hun­der­te, wenn nicht tau­sen­de Leser qua­si ins Fang­netz spü­len würde.

Schon in ers­ter Instanz ent­schie­den die Rich­ter, daß von einer Ver­wechs­lungs­ge­fahr kei­ne Rede sein kön­ne. Die­se Ein­schät­zung wur­de heu­te bestä­tigt, die Urteils­ver­kün­dung ist am 15. Dezember.

Dem Jun­g­eu­ro­pa-Ver­lag zu die­sem juris­ti­schen Erfolg zu gra­tu­lie­ren, wäre so, als klopf­te man jeman­dem auf die Schul­ter, der die Ziga­ret­te rich­tig her­um im Mund­win­kel hat … (Na klar, Jungs: Glückwunsch!)

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Frei­tag, 24. November

Der unga­ri­sche Staats­prä­si­dent Vik­tor Orbán hat zum 90. Geburts­tag der Schwei­zer Welt­wo­che den Fest­vor­trag gehal­ten. Ich emp­feh­le ihn, denn Orbán spricht klar und schnör­kel­los und kommt von der Kri­tik an Euro­pa und am west­li­chen Modell her auf den poli­ti­schen Ansatz sei­nes eige­nen Lan­des zu sprechen.

Die Kern­aus­sa­gen der Bestands­auf­nah­me lau­ten: Euro­pa habe sei­ne stra­te­gi­sche Sou­ve­rä­ni­tät seit lan­gem ein­ge­büßt; in Brüs­sel wer­de kei­ne euro­päi­sche Poli­tik gemacht, son­dern die Herr­schaft der Büro­kra­ten über die Poli­tik vor­ge­führt; die hin­ter Demo­kra­tie­durch­set­zung und Staats­be­frei­ung ver­bor­ge­ne US-Außen­po­li­tik wer­de mitt­ler­wei­le welt­weit als das durch­schaut, was sie sei: knall­har­te Inter­es­sens­po­li­tik; Euro­pa und nament­lich Deutsch­land wer­de als Vasall eines Hege­mons auf Abstieg ver­ar­men, wenn es sich nicht befreie.

Gegen­maß­nah­men skiz­ziert Orbán als Kon­zept der Selbst­ret­tung der Nati­on. Das hal­te ich für ent­schei­dend: Orbán, der mit dem fei­nen Witz des geüb­ten Red­ners und an Gold­waa­gen gewöhn­ten Poli­ti­kers spricht, ist grund­ehr­lich, wenn er das Gewicht Ungarns als zu leicht dafür beschreibt, in Euro­pa aufzutrumpfen.

Es geht im zwei­ten Teil also aus­schließ­lich um den Ver­such Ungarns, mit dem, was auf­ge­bür­det wird, zurecht­zu­kom­men und die Fol­gen für Volk und Nati­on abzu­fe­dern. Orbán weiß um die Ver­füh­rungs­macht der auch in Ungarn omni­prä­sen­ten ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur­ho­heit, um ihre Prä­ge­kraft in der All­tags­kul­tur, dem Frei­zeit­ver­hal­ten und für die “Nar­ra­ti­ven” gera­de jün­ge­rer Generationen.

Orbán stellt kurz das “Work-First-Modell” vor, das nach­weis­lich als unat­trak­tiv für Ein­wan­de­rer, also vor allem: für Asyl­be­wer­ber gilt. Staat­li­che Absi­che­rung gebe es nur für die­je­ni­gen, die arbei­te­ten. Er bezeich­net die­ses Modell sogar als “kalt” im Ver­gleich zu dem, was etwa Deutsch­land macht. Das ist es: auf die Robust­heit der eige­nen Leu­te bau­en, um die Beu­te­ma­cher von außen abzuwehren.

Außer­dem streicht Orbán die unga­ri­sche Fami­li­en­po­li­tik her­aus, von der er – wie­der­um sehr ehr­lich – sagt, daß sie noch kei­ne demo­gra­phi­sche Wen­de her­bei­ge­führt habe, aber immer­hin das für Fami­li­en attrak­tivs­te Modell Euro­pas sei, bereits Früch­te tra­ge und damit die Chan­ce für eine Sta­bi­li­sie­rung des Volks aus eige­ner Kraft biete.

Ich will das noch ein­mal beto­nen: Ana­ly­se auf euro­päi­scher, Maß­nah­men auf natio­na­ler Ebe­ne. Wer nach­le­sen möch­te, wie Ungarn die­ses poli­ti­sche Pro­jekt zivil­ge­sell­schaft­lich abzu­si­chern ver­sucht, kann zum Bänd­chen Natio­na­ler Block von Már­ton Békés grei­fen. Orb­ans Rede gibt es hier zu sehen.

Im Ver­lag ist das Weih­nachts­ge­schäft ange­lau­fen. (Wir berech­nen bis Ende des Jah­res 1.50 € für Sen­dun­gen im Inland und lie­fern ab 70 € por­to­frei.) Es ist Jahr für Jahr schön zu sehen, wie das Buch doch Teil der Geschenk­kul­tur bleibt, obwohl ihm vom mobi­len Geschnip­sel und Geglot­ze so sehr zuge­setzt wird.

Bei uns recht­zei­tig ein­ge­trof­fen sind Nach­dru­cke der Essay-Rei­he Kapla­ken. Ich lis­te die Nach­dru­cke mal auf, es sind Samm­ler­stü­cke dar­un­ter und län­ger ver­grif­fe­nes. 65 Bänd­chen sind ins­ge­samt lie­fer­bar, und es gibt immer wie­der Leser, die uns gera­de erst ent­deckt haben, sozu­sa­gen aus dem Main­stream her­über­stol­pernd, und die Gesamt­ab­nah­me zeich­nen. (Recht haben sie! Die Rei­he Kapla­ken ist doch so etwas wie das Kern­holz der Szene …).

Hier also das, was nun wie­der erhält­lich ist:

Bd 79 – Ste­fan Scheil: Der deut­sche Donner
Bd 67 – Armin Moh­ler: Der faschis­ti­sche Stil
Bd 70 – Sophie Lieb­nitz: Antiordnung
Bd 53 – Thor v. Wald­stein: Macht und Öffentlichkeit
Bd 47 – Mar­tin Sell­ner, Wal­ter Spatz: Gelas­sen in den Widerstand
Bd 41 – Jean Ras­pail: Der letz­te Franzose
Bd 29 – Hen­ry de Mon­t­her­lant: Nutz­lo­ses Dienen
Bd 15 – Karl­heinz Weiß­mann: Post-Demokratie

Hier sind alle 65 lie­fer­ba­ren Bänd­chen auf­ge­lis­tet - so vie­le waren es noch nie. Und: Ste­fan Scheils Vie­rer­pa­ket “II. Welt­krieg” ist auch wie­der voll­stän­dig lieferbar.

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Sams­tag, 18. November

Also: Wie war das ges­tern vor und auf der Ram­pe (Trep­pe) der Uni­ver­si­tät Wien? Wir muß­ten uns prü­geln, dann gab’s die Kund­ge­bung und für den Abzug wur­de eigens für uns eine Stra­ßen­bahn requi­riert, eine “Bim”. Irgend­wie und immer wie­der irre, das Gan­ze. Dabei ging es doch bloß um ein Buch.

Die Ver­suchs­an­ord­nung habe ich vor zwei Wochen beschrie­ben: Der Ring Frei­heit­li­cher Stu­den­ten (RFS) hat­te zu einem öffent­li­chen Vor­trag in einen der Hör­sä­le der Uni­ver­si­tät ein­ge­la­den. Ich soll­te über den Roman Fah­ren­heit 451 von Ray Brad­bu­ry spre­chen. Das Recht zu sol­chen Ver­an­stal­tun­gen hat der RFS, aber es wur­de ihm ver­wehrt, und eine juris­ti­sche Durch­set­zung mißlang.

Die bis­her noch nicht öffent­lich agie­ren­de Grup­pe namens “Akti­on 451” mel­de­te dar­auf­hin eine Kund­ge­bung auf der Trep­pe zum Haupt­ein­gang der Uni­ver­si­tät an. Kositza und ich kamen mit ein paar Leu­ten kurz vor drei an – da war auf bei­den Sei­ten schon Anti­fa ver­sam­melt, und als sie uns sahen, begann’s zu sum­men wie in einem Wespennest.

Beim Über­que­ren der Stra­ße zur Trep­pe hin wur­den wir ange­grif­fen, sehr plötz­lich und mas­siv. Das letz­te Mal, daß mir so etwas pas­sier­te, ist fast zehn Jah­re her. Damals waren wir auf dem Weg zum Leip­zi­ger Able­ger von PEGIDA. Die Poli­zei hat­te den Opern­platz abge­rie­gelt und uns nur schma­le Durch­gän­ge ein­ge­räumt, die mit­ten durch Pulks ver­mumm­ter Anti­fa führ­ten. Man wur­de mit Schlä­gen ein­ge­deckt, wäh­rend man durchlief.

Ges­tern war es direk­ter, und gut ist es, mit den rich­ti­gen Jungs unter­wegs zu sein, wenn so etwas pas­siert. Die Poli­zei war völ­lig über­rascht, aber bis sie ein­griff, hat­ten wir uns schon Luft ver­schafft, nichts abge­kriegt, aber aus­ge­teilt. (Schön zu sehen, wie sich jun­ge Män­ner in Dresch­fle­gel ver­wan­deln, wenn es sein muß.)

Danach die Kund­ge­bung war gut orga­ni­siert, ich sag­te auch ein paar Wor­te, kaum zu Fah­ren­heit 451, mehr zu den Umstän­den. Ich ver­ste­he ja nicht, wie die Uni­ver­si­tät und die Lin­ke an sich immer wie­der so blöd sein kön­nen, den Wir­bel und die Auf­merk­sam­keit durch ihren Hygie­ne­fim­mel erst zu erzeugen.

Denn: Fahren­heit 451 ist kein rech­tes Buch. Es ist auch kein lin­kes Buch. Es ist kul­tur­kri­tisch, steht in der Tra­di­ti­on hilf­lo­ser Tech­nik- und Gesell­schafts­kri­tik und kann ver­ein­nahmt und als Chif­fre besetzt wer­den. Das haben wir zwei Jahr­zehn­te lang gemacht, aber erst seit ges­tern ist es ganz klar, daß die Zif­fer 451 und Feu­er­wehr­mann Mon­tag als Gestalt, als Typ, nun uns gehören.

Wäre ich im Besitz der Ver­an­stal­tungs­macht, hät­te ich mich zuge­las­sen und ein Podi­um gefor­dert, um mir die Deu­tungs­ho­heit über Fah­ren­heit 451 zu ent­rei­ßen. Aber der Schat­ten ist zu breit, die Lin­ke und die Mit­te kön­nen nicht mehr über ihn springen.

Den Vor­trag hielt ich dann spä­ter in den Räu­men der Öster­rei­chi­schen Lands­mann­schaft. Er ist auf­ge­zeich­net wor­den, wir ver­öf­fent­li­chen ihn bald. Das wird die­je­ni­gen nicht beein­dru­cken, denen egal ist, wor­über wir reden, Haupt­sa­che wir reden nicht. Aber es wird die Ver­ein­nah­mung ver­stär­ken und der Akti­on 451 ein wenig Theo­rie liefern.

Der Abzug von der Trep­pe und die Ver­le­gung zur Lands­mann­schaft war dann noch ein Spek­ta­kel. Die Poli­zei räum­te das aka­de­mi­sche Pro­le­ta­ri­at bei­sei­te, damit wir zur Stra­ßen­bahn kämen. Die wur­de extra auf­ge­hal­ten, und wäh­rend wir durch die Stadt zup­pel­ten, eskor­tier­te die Poli­zei im Lauf­schritt. Sur­re­al, so etwas, aber in der Situa­ti­on ganz logisch und plas­tisch und absurd. Aber auch: ein Erlebnis.

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Diens­tag, 14. November

Heu­te kommt Band 5 der Antai­os-Roman­rei­he aus dem Druck. Er ist Abon­nen­ten der Gesamt­rei­he vor­be­hal­ten, das war von vorn­her­ein abge­macht, davon rücken wir nicht ab.

Die ers­ten vier Bän­de der Rei­he sind sehr gut auf­ge­nom­men wor­den, kaum kri­tisch, oft begeis­tert. Jeden­falls hat sich bestä­tigt, was schon frü­he­re bel­le­tris­ti­sche und exklu­si­ve Ver­lags­pro­jek­te ein­brach­ten (Rei­he Mäan­der!): Es schrei­ben ganz ande­re Leser ihre Ein­drü­cke und Fra­gen auf als die­je­ni­gen, die im Blog kom­men­tie­ren oder auf unser poli­ti­sches Pro­gramm reagie­ren. Es ist, als stie­ße man mit sol­chen Büchern auf einen Kern der Leser­schaft vor, der zu den Stil­len im Lan­de gehört (wie Jochen Klep­per das ein­mal ausdrückte).

Autor und Titel des fünf­ten Ban­des ver­ra­ten wir nicht. Das ist eine der sprich­wört­li­chen Kat­zen im Sack, bloß kann ich sagen, daß es bei uns kei­ne trief­na­si­gen und schiel­äu­gi­gen Tier­chen gibt. Es gehört schlicht zu den Ver­le­ger­freu­den, um das Ver­trau­en der Leser auf das Ver­le­ger­händ­chen zu wissen.

Die berüh­rends­ten Brie­fe erhielt ich zu Hase­manns Gefan­gen­schafts­ro­man Nas­ses Brot. Die Lek­tü­re ist zäh wie die end­los lang­sam ver­strei­chen­de Zeit in einem Vieh­wa­gon auf der Fahrt nach Osten, auf einer klir­rend kal­ten Bau­stel­le in der Step­pe und im Durch­gangs­la­ger auf dem Weg in die Hei­mat, auf dem noch an den letz­ten Sta­tio­nen ohne Begrün­dung Gefan­ge­ne aus dem Zug gefischt und zurück ins End­lo­se geschickt werden.

Leser schrie­ben von Tage­bü­chern ihrer Väter und Groß­vä­ter, schil­der­ten den Abbruch der Lek­tü­re und die Wie­der­auf­nah­me nach Tagen der inne­ren Kräf­ti­gung. Einer schrieb, ob es sein müs­se, sol­che Tore auf­zu­sto­ßen. Ich mei­ne: ja, und zwar dann, wenn jemand wie Hase­mann das Tor auf­stößt. Er schrieb ja nur drei Bücher, danach hat­te er etwas erle­digt. Leh­nert und ich wer­den über ihn eine Lite­ra­tur­sen­dung machen.

Wir haben von den Gesamt­ab­nah­men der Roman-Rei­he noch etwa 100 Pake­te zu ver­ge­ben. Im Weih­nachts­pro­spekt, der neben­an gera­de ver­sand­fer­tig gemacht wird, sind die­se Pake­te noch ein­mal und abschlie­ßend im Angebot.

Hier kann man eines davon bestellen.

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Zwei­mal Björn Höcke, ein­mal er selbst, das ande­re Mal die­je­ni­gen über ihn, die ihn nicht ken­nen, aber so tun, als wüß­ten sie Bescheid.

Vor­ab aber Fol­gen­des: Ich gehö­re zu denen, die Höcke am bes­ten ken­nen. Wir haben über unser poli­ti­sches Den­ken, die Suche nach Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten und die Kri­tik an Hin­ter­zim­mer, Eska­pis­mus, poli­ti­scher Melan­cho­lie und sub­stanz­lo­ser Kar­rie­re­ab­sicht bereits gespro­chen und gestrit­ten, als wir alle noch in klei­nen Zir­keln unter der gro­ßen Blei­de­cke saßen und Deh­nungs­übun­gen machten.

Es war im Okto­ber 2013, als ich mit eini­gen mei­ner Kin­der an den Fuß des Han­steins fuhr, um am Auf­takt zur 100-Jahr-Fei­er des damals rich­tungs­wei­sen­den jugend- und reform­be­weg­ten Meiß­ner­tref­fens teil­zu­neh­men. Die Nacht ver­brach­te ich mit der Jüngs­ten, die mir beim Wan­dern noch auf den Schul­tern saß, bei Höcke in Bornhagen.

Als es im Hau­se ruhig war, setz­ten wir uns zum Bier zusam­men, um über die noch sehr jun­ge Par­tei und über Höckes Enga­ge­ment dar­in zu spre­chen, das ihn bereits an die Lan­des­spit­ze Thü­rin­gens gebracht hat­te. Er war vol­ler Opti­mis­mus und berich­te­te von Ver­samm­lun­gen, Zustrom und ers­ten Richtungsentscheidungen.

Ich war skep­tisch, fast spöt­tisch, denn unser bei­der Erfah­rung mit den vie­len Kleinst- und Split­ter­par­tei­en von rechts war ernüch­ternd. Wir hat­ten deren Geh­ver­su­che schrift­lich und in Gesprä­chen beschrie­ben und ana­ly­siert, uns aber nie betei­ligt. “Die Frei­heit” war zuletzt schon als jun­ges Pflänz­chen ver­dorrt, und wir streif­ten sie nur, weil die Emp­feh­lung ihrer Bun­des­spit­ze, der AfD bei­zu­tre­ten, ent­we­der kurz bevor­stand oder schon erfolgt war (ich weiß es nicht mehr).

Spät in der Nacht jeden­falls hat­te mich Höcke mit sei­ner Zuver­sicht doch unsi­cher gemacht. Im Unter­schied zu allen ande­ren Par­tei­grün­dun­gen war die AfD nicht von rechts, son­dern aus der ent­täusch­ten und alar­mier­ten Mit­te der CDU her­aus initi­iert wor­den. Nur ein ein­zi­ges Mal hat­te es etwas Der­ar­ti­ges bis­her gege­ben: Der Ham­bur­ger Rich­ter Ronald Schill war auf Anhieb mit einer eige­nen Lis­te in die Bür­ger­schaft ein­ge­zo­gen, weil auch er den Duft des­je­ni­gen ver­ström­te, des­sen poli­ti­sche Her­kunft kein abge­brann­ter Rand war.

Höcke been­de­te damals unser Gespräch mit den Wor­ten, daß wir mal sehen müß­ten, inwie­weit die Herr­schaf­ten aus der Mit­te für genu­in rech­te The­men offen wären. (Der Rest ist bekannt – samt Bernd Luckes poli­ti­schem Sal­to Mortale.)

Wenn ich dar­über nach­den­ke, wie sehr das libe­ral­kon­ser­va­ti­ve AfD-Lager uns und vor allem Höcke die Schuld zuschob, daß man die für ihren poli­ti­schen Mut bekann­te bür­ger­li­che Mit­te ver­lo­ren und eines der hoff­nungs­volls­ten Par­tei­pro­jek­te aller Zei­ten an den Rand des Abgrunds und dar­über hin­aus gescho­ben hätte!

Höcke gehör­te zu den­je­ni­gen, die sich unter dem Ein­druck die­ser Kri­tik aus den ver­meint­lich eige­nen Rei­hen nicht zu Lands­knechts­na­tu­ren wan­del­ten und sen­gend durch die Par­tei zogen. (Sol­che Kan­di­da­ten gab es.) Was sei­ne par­tei­in­ter­nen Geg­ner unter­schätz­ten und bis heu­te unter­schät­zen, ist die Macht der Begeg­nung und die Über­zeu­gungs­kraft der Persönlichkeit.

Ich habe Par­tei­ver­an­stal­tun­gen erlebt, die feil­schen­den Basa­ren gli­chen, bis zur Rück­sichts­lo­sig­keit laut und geschwät­zig, obwohl vorn einer am Pult stand und sprach – und die zu Räu­men wur­den, in denen man noch den Letz­ten zur Ruhe zisch­te, weil Höcke ans Mikro­fon trat.

Ich ken­ne etli­che Par­tei­leu­te, die, auf­ge­la­den nicht nur von der Lücken­pres­se, son­dern von den eige­nen Leu­ten, in Höcke den dump­fen, rück­sichts­lo­sen Sprü­che­klop­fer sahen – und im Gespräch ihr Feind­bild nicht fan­den, son­dern in einer Mischung aus Ver­wir­rung und Erleich­te­rung kein schlech­tes Wort mehr über die­sen Mann hören woll­ten, son­dern sei­nen Weg akzeptierten.

War­um notie­re ich das alles noch ein­mal, wo ich es schon hier und da beschrie­ben und in unge­zähl­ten Gesprä­chen inner­halb und außer­halb der AfD erzählt habe? Der Anlaß ist bald zwei Wochen alt. Ich hör­te beim Holz­schich­ten im Kon­tra­funk die Sonn­tags­run­de mit Burk­hard Mül­ler-Ulrich und sei­nen Gäs­ten, und es ging um Höcke.

Zu Gast war ers­tens Vera Lengs­feld. Sie lag mir schon vor sie­ben Jah­ren, als ich sie in Son­ders­hau­sen besuch­te, damit in den Ohren, daß in Thü­rin­gen eine fei­ne Regie­rung aus CDU und AfD sofort mög­lich sei, wenn Höcke zurück­trä­te und den Weg frei mach­te für einen Kon­ser­va­tiv­li­be­ra­len in der AfD. Aber schon damals begriff sie nicht, daß sich inmit­ten der Lawi­ne aus Kri­sen, Dys­funk­tio­na­li­tät, Über­frem­dung und Vasal­len­glück die fein­sin­ni­ge Unter­schei­dung zwi­schen der Volks­front von Judäa und der Judäi­schen Volks­front als irrele­vant erwei­sen müs­se, und zwar mit jedem Tag mehr. Sie begriffs wirk­lich nicht, das habe ich jetzt gehört, denn im Kon­tra­funk wie­der­hol­te sie ihren alten Ser­mon, obwohl die AfD auch rund um Son­ders­hau­sen bei über 30 Pro­zent steht.

Dann Ingo Lang­ner, fleisch­ge­wor­de­ne BRD, bis weit in die 2000er Jah­re mit­ten im Kul­tur­be­trieb (dafür muß man sich ja fast schon ver­ant­wor­ten, fin­de ich) und nun neu­er Chef­re­dak­teur bei CATO, dem Maga­zin fürs War­te­zim­mer. Er äußer­te sich am schä­bigs­ten über Höcke und gab dabei zu, die­sen Mann ers­tens gar nicht per­sön­lich zu ken­nen, zwei­tens des­sen Gesprächs­band Nie zwei­mal in den­sel­ben Fluß gar nicht gele­sen, son­dern drit­tens sein Wis­sen über Höcke einer Rezen­si­on die­ses Buches aus der Feder Die­ter Steins ent­nom­men zu haben. Das nen­ne ich Augenhöhe!

Peter J. Bren­ner zuletzt: Autor unter ande­rem bei Tumult, bekannt durch das Abfas­sen von Offe­nen Brie­fen an Redak­tio­nen, deren Weg er als Abon­nent oder Mit­glied nicht mehr tei­len woll­te, nament­lich FAZ (2020) und wbg (2019). Er sieht Höcke “die zwölf Jah­re” bewirt­schaf­ten, kanns aber nicht bele­gen, und in der Sonn­tags­run­de gab er sei­nem ungu­ten Gefühl dar­über Ausdruck.

Burk­hard Mül­ler-Ulrich war irgend­wie kon­ster­niert. Die­ses Gere­de vom Hören­sa­gen her und im Dia­lekt der Wer­te­Uni­on – das gefiel ihm nicht. Aber die­se Leu­te fin­den ja Gehör.

Jedoch: Ich will jetzt mal behaup­ten, daß die kaum wahr­nehm­ba­re Argu­men­ta­ti­ons­li­nie von den Drei­en kaum zu hal­ten sein wird. Es wird sogar ganz schön schwie­rig, wenn ich jetzt mal Höcke zitie­re, ohne ihn gefragt zu haben, ob ich das darf. Aber es paßt halt so gut, und er äußer­te es neu­lich, als wir end­lich wie­der ein­mal ein paar Stun­den wan­dern konn­ten. “Götz”, sag­te er, “das ist alles nicht schön, aber wir ken­nen das ja, oder? Und jeder will sein Süpp­chen kochen. Aber am Ende gehö­ren die eben doch alle zu uns. Und wir brau­chen jeden, wirk­lich jeden, so groß ist die Aufgabe.”

So ist es, und wer das begrif­fen hat, weiß, wie es klingt, wenn man Eng­stir­ni­gen und Korin­then­ka­ckern den Maß­stab erklärt: Unser Volk und unse­re Demo­kra­tie müs­sen geret­tet wer­den, und das ist kei­ne Butterfahrt.

Des­halb, und weil es wich­tig ist, zu sehen, wie einer ant­wor­tet, wenn er mal nach­den­ken darf, bevor er ant­wor­ten muß, emp­feh­le ich als zwei­tes das gro­ße Inter­view, das der sehr gut vor­be­rei­te­te Mar­tin Mül­ler-Mer­tens für Auf1 mit Höcke geführt hat. Hier ist es.

(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansam­melt. Jedoch geht es nicht um übli­ches Kom­men­ta­ri­at, son­dern um Fort­schrei­bung. Wir wer­den sehen, wie das klappt.)

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Mon­tag, 6. November

Der Druck­aus­ga­be der Sezes­si­on liegt in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den das Lite­ra­tur­heft Pho­no­phor bei. Es ent­hält Kurz­pro­sa aus der Leser­schaft. Wir rie­fen Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res erst­mals zur Betei­li­gung auf. Idee und Name gehen auf eine Initia­ti­ve des Sezes­si­on-Autors Dirk Alt zurück: Der “Pho­no­phor” ist eine Art Smart­phone. Er taucht in Ernst Jün­gers Roman Eumes­wil bereits auf und wird indif­fe­rent als Sta­tus­sym­bol, ins­ge­samt aber als pro­ble­ma­tisch beschrieben.

Was mich freut, ist, daß unser Pho­no­phor, Aus­ga­be 4, nun an zwei unter­schied­li­chen Stel­len aus­führ­lich gewür­digt wor­den ist. Die Publi­zis­tin Bea­te Broß­mann hat für das Blog der Zeit­schrift Tumult rezen­siert, Phil­ip Stein und Vol­ker Zier­ke bespre­chen Aus­ga­be 4 im Jun­g­eu­ro­pa-Pod­cast.

Auch Ellen Kositza und ich haben den Pho­no­phor erwähnt, als wir die 116. Sezes­si­on in einem kur­zen Video vor­stell­ten. Dabei ist neben mei­ner Pro­jek­ten grund­sätz­lich ent­ge­gen­ge­brach­ten Skep­sis die Freu­de über die Kon­ti­nui­tät und Qua­li­tät die­ser Bei­la­ge zu kurz gekom­men. Leser frag­ten, ob ich den Pho­no­phor wie­der ein­stel­len wol­le. Aber nein, im Gegen­teil! Wie schon oft, sind wir auch auf die­sem Feld Pio­nie­re und machen, was fehlte.

Um ein wei­te­res Miß­ver­ständ­nis aus­zu­räu­men: Der 4. Pho­no­phor wird jeder 116. Sezes­si­on bei­gelegt, egal ob im Abon­ne­ment oder als Ein­zel­heft erwor­ben – jedoch nur, solan­ge der Vor­rat reicht. (Er ist auf 25 Hef­te geschrumpft.) Bestel­len kann man hier.

Der Ring Frei­heit­li­cher Stu­den­ten (RFS) aus Wien hat mich zu einem Vor­trag an die Uni­ver­si­tät ein­ge­la­den. Man hat das Recht auf öffent­li­che Ver­an­stal­tun­gen in Hör­sä­len, wenn man im Hoch­schul­par­la­ment ver­tre­ten ist, und die­ses Recht will der RFS am 17. Novem­ber wahr­neh­men. Zwar hat die Uni­ver­si­täts­lei­tung den Ver­trag für die­se Ver­an­stal­tung umge­hend gekün­digt, nach­dem bekannt wur­de, daß ich dort vor­tra­gen sol­le. Aber gegen die­se Kün­di­gung wird nun geklagt.

Ich wer­de am 17. auf jeden Fall pünkt­lich an der Uni­ver­si­tät sein und den ver­ein­bar­ten Vor­trag über das Buch Fah­ren­heit 451 von Ray Brad­bu­ry in der Tasche haben. Feu­er­wehr­mann Mon­tag ist eine unse­rer Iko­nen, denn er steht fast allein neben der beläm­mer­ten Mas­se und gegen ihre Domp­teu­re, die das Lesen ver­bo­ten und fast alle Bücher ver­brannt haben. Er steht aber nicht ganz allein, denn man erkennt ein­an­der am Hun­ger auf ande­re Kost als die, die durch die Git­ter­stä­be gereicht wird. Man tas­tet ein­an­der ab, man faßt Ver­trau­en, man sieht eine Lebenstür.

Unse­re Sze­ne hat für Dys­to­pien viel übrig, sie ist hell­hö­rig, hat das geschul­te Gehör derer, die auf­ge­wacht sind und die Schrit­te der Wär­ter stu­die­ren. Legen wir uns wie­der hin oder klop­fen wir die Wän­de ab? Lesen wir, daß es anders sein könn­te oder lie­fern wir die Bücher an die­je­ni­gen ab, die selbst die Erin­ne­rung an sie noch til­gen möch­ten? Begrei­fen wir unser Leben als gol­de­nen Käfig oder sehen wir die Stä­be nicht mehr?

Es gibt unter Umstän­den kein Recht auf den ande­ren Ton an der Uni­ver­si­tät, so naiv bin ich nicht. Aber es wird drin­gend Zeit für einen ande­ren Ton, und wir erhe­ben Anspruch dar­auf. Wenn es also die Mög­lich­keit gibt, sich Zutritt zu ver­schaf­fen und Platz zu neh­men, dann soll­ten wir sie ergreifen.

Wir ergrei­fen sie übri­gens als die­je­ni­gen, die davon berich­ten wol­len, wie schön und befrei­end es ist, sich geis­tig nichts von vorn­her­ein ver­bie­ten zu müs­sen. Ich bemit­lei­de die Ver­tre­ter der Can­cel cul­tu­re. Ich bemit­lei­de sie wirk­lich, denn sie haben sich selbst so vie­les ver­bo­ten, haben sich selbst mit Auf­pas­sern umstellt, sind ein­an­der zu Auf­pas­sern gewor­den, weil sie sich in einem Minen­feld wähnen.

Dabei sind sie bloß Mimo­sen und haben sich Hygie­ne­vor­schrif­ten unter­wor­fen, die das Leben und Lesen zu einer asep­ti­schen Sache machen.

Wir hin­ge­gen müs­sen nicht vor­ein­an­der recht­fer­ti­gen, mit wem wir spre­chen, was wir lesen, wem wir zuhö­ren und von wem wir ler­nen wol­len. Noch nie muß­te ich zu jeman­dem sagen, er sol­le ein Gespräch, das wir führ­ten, so behan­deln, als habe es nie stattgefunden.

Aber wie oft schon sag­ten mir die ver­ängs­tig­ten, ver­zwei­fel­ten, rat­lo­sen, zyni­schen, vor allem aber ver­meint­li­chen Geg­ner, mit denen ich mich traf, um Rede und Ant­wort zu ste­hen, daß das sozia­le Höl­len­tor geöff­net wür­de, käme ans Licht, mit wem sie sich gera­de austauschten.

Denen, die nun die Tür zum Hör­saal ver­na­geln wol­len, muß man die Angst neh­men. Leu­te: Es han­delt sich um einen Vor­trag. Es wird um einen der Klas­si­ker über die Selbst­er­mäch­ti­gung gehen, nach Büchern zu grei­fen, sie nicht zu ver­bren­nen, son­dern zu ret­ten und ihren Inhalt so zu ver­in­ner­li­chen, als sei man selbst die­ses Buch.

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Diens­tag, 31. Oktober

Zum ers­ten Mal in mei­nem Leben auf einer Galopp-Renn­bahn: Halle/Saale, Volks­fest­stim­mung, Gulasch und Bier, sie­ben Ren­nen. Was fas­zi­nier­te, wie bei Jägern: die ganz eige­ne Spra­che, die in den Ankün­di­gun­gen und Sie­ger­inter­views eben nicht gepflegt, son­dern ein­fach ver­wen­det wurde.

Da gaben Pfer­de ihr Lebens­de­büt, als begän­ne das Leben erst, wenn man die Renn­bahn betritt. Von Aus­gleichs­ren­nen und Han­di­caps war die Rede, und bei­des hat mit Gewich­ten zu tun, die den Pfer­den ange­hängt wur­den, damit auch ande­re eine Chan­ce bekä­men. Ein Mann knurr­te was von Blen­dern, die sei­ne Drei­er­wet­te ver­saut hät­ten. Dabei hing der Gaul samt sei­nem Jockey mit den gestreif­ten Far­ben bloß im Lot und konn­te nicht vorbei.

Eini­ge Besu­cher mach­ten auf Stil, also Tweed und Karo und Frau­en mit Sonn­tags­rei­ter­mo­de plus hohen Stie­feln und Sekt­glas. An den Wett­kas­sen end­lo­se Schlan­gen, und ein paar Män­ner mit Feld­ste­cher und Notiz­blö­cken setz­ten nicht aus Jux. Ich sprach einen an, aber das Miß­trau­en war grob.

An den Bier­ti­schen und auf der Tri­bü­ne lausch­te ich den Gesprä­chen: nicht ein poli­ti­sches Wort. Aber ein paar Handschläge.

Gespräch mit einem Sicher­heits­exper­ten aus Öster­reich. Er war für die UN-Frie­dens­trup­pe auf den Golan­hö­hen an der syri­schen Gren­ze und hat den Abzug der öster­rei­chi­schen Ein­hei­ten von dort im Jahr 2013 mit­ge­macht. Er ist mit einer Israe­lin ver­hei­ra­tet, lebt in Wien und ist oft in Tel Aviv – Sicher­heits­be­ra­tung für Import und Export.

Wir tra­fen uns in Leip­zig. Sei­ne Ant­wort auf mei­ne Fra­ge, ob Isra­el über­rascht wor­den sei am 7. Okto­ber, ver­blüff­te mich in ihrer Direkt­heit. Er sag­te ers­tens, es sei völ­lig aus­ge­schlos­sen, daß Isra­el im Vor­feld kei­ne Kennt­nis von die­sem Angriff gehabt habe, also wirk­lich völ­lig aus­ge­schlos­sen. Man habe es aus ver­schie­de­nen Grün­den gesche­hen lassen.

Da sind innen­po­li­ti­sche Grün­de zum einen, also Ablen­kung von inner­is­rae­li­scher Span­nung, und zum ande­ren außen­po­li­ti­sche Grün­de, näm­lich die Legi­ti­ma­ti­on für einen mani­fes­ten Gegen­schlag, für den es wie­der ein­mal an der Zeit gewe­sen sei.

Jedoch, zwei­tens: Isra­el habe die eige­ne Grenz­si­che­rung über­schätzt und sei von der Wucht und der Bru­ta­li­tät der Angrei­fer am Boden über­rum­pelt wor­den. Man habe falsch kal­ku­liert, weil man nur weni­ge habe ein­wei­hen kön­nen, also im Grun­de kaum jeman­den von denen, die den ers­ten Wel­len­bre­cher zu bil­den gehabt hätten.

Die Lage sei, drit­tens, mili­tä­risch für Isra­el gut, aber psy­cho­lo­gisch schlecht. Mili­tä­risch: Er selbst ken­ne kei­ne Armee, die am For­ma­len weni­ger inter­es­siert und zugleich so kon­se­quent auf Effek­ti­vi­tät aus­ge­rich­tet sei. Ich ver­mu­te­te, daß dies der Zustand sei, wenn Waf­fe und Bereit­schaft nicht hin­ter Kaser­nen­mau­ern abge­trennt, son­dern lebens­ge­gen­wär­tig sei­en. Er bestä­tig­te und füg­te hin­zu, daß aus die­sem Grund die His­bol­lah nicht wirk­lich ein­grei­fe: Man wür­de nicht das weni­ge an guten Waf­fen und Leu­ten opfern, das bes­ser sei als die Hamas, aber immer noch um Wel­ten schlech­ter als Israel.

Pro­ble­ma­tisch sei der Häu­ser­kampf, das Auf­räu­men in den kilo­me­ter­lan­gen Kata­kom­ben unter dem Schutt, den die Luft­waf­fe pro­du­ziert habe. Eine alte Leh­re aus dem 1. Welt­krieg schon: daß die Stel­lung unter einem ein­mal in sich zusam­men­ge­bro­che­nen Haus siche­rer sei als alles ande­re. Sol­che Höh­len­sys­te­me aus­zu­räu­men, das bedeu­te: Einer ist vor­ne­weg, da gäbe es kei­ne Alter­na­ti­ve, und wenn der nicht mehr sei, dann eben der zwei­te, dann der drit­te. Selbst die wirk­lich guten Ein­hei­ten kämen dabei an ihre Belastungsgrenze.

Psy­cho­lo­gisch sei Isra­el trotz über­wäl­ti­gen­der Lob­by­ar­beit bereits im Hin­ter­tref­fen: Die Hamas spie­le das Spiel mit den Gei­seln sehr geschickt, und die mehr als abschät­zi­gen und rück­sichts­lo­sen Äuße­run­gen höchst­ran­gi­ger israe­li­scher Poli­ti­ker und Mili­tär­an­ge­hö­ri­ger sei­en ein media­les Desas­ter. Aber das sei nicht ein­zu­he­gen: Das sei ehr­lich so gemeint, for­mal schnodd­rig und im Front-Slang derer, die wis­sen, was sie kön­nen, wer der Feind ist und was die­ser Feind täte, wenn er nur könnte.

Aber vier­tens: 350 000 ein­ge­zo­ge­ne, von der Arbeit abge­zo­ge­ne Reser­vis­ten, zig­tau­send aus dem Land geflüch­te­te Arbeits­kräf­te, und eben kei­ne Lehm­hüt­ten plus drei Zie­gen, son­dern eine moder­ne Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft. Jeder Tag ist ein öko­no­mi­sches Desas­ter für Isra­el, jeder Ver­lust reißt eine gra­vie­ren­de Lücke, nicht nur menschlich.

Eine Lösung sei nicht in Sicht. Die Sand­uhr wer­de umge­dreht, wie in der Sau­na. Irgend­wann, viel­leicht in sie­ben, viel­leicht in zehn Jah­ren rie­se­le dann das letz­te Körn­chen, und dann kra­che es wie­der. Aber nun sei man ja erst ein­mal mittendrin.

Sol­che Gesprä­che – was sind sie? Bestä­ti­gun­gen des Geahn­ten, ergänz­te Aspek­te, Ein­übung in eine frem­de Men­ta­li­tät. Vor allem: Berich­te aus der Fer­ne, zu denen man sich nicht ver­hal­ten muß. Wie ich schon schrieb (und der Sicher­heits­be­ra­ter, der mei­nen Bei­trag gele­sen hat­te, bestä­tig­te die­se Sicht­wei­se fast schon emo­tio­nal): Isra­el braucht uns nicht.

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Sams­tag , 29. Oktober

1999 erreich­te der dama­li­ge Außen­mi­nis­ter Josch­ka Fischer auf dem Son­der­par­tei­tag der Grü­nen im Mai die Zustim­mung sei­ner Par­tei zum Angriff der Nato auf Ser­bi­en und zum Ein­marsch in den Koso­vo. Er argu­men­tier­te damals auf der meta­po­li­tisch jahr­zehn­te­lang vor­be­rei­te­ten Grund­la­ge, daß es nie wie­der zu Faschis­mus und zu Ausch­witz kom­men dürfe.

Meta­po­li­ti­sche Vor­be­rei­tung bedeu­te­te in die­sem Fall, daß die­se Begrif­fe los­ge­löst von ihrer his­to­ri­schen Ein­bet­tung in eine Epo­che zu Chif­fren gewor­den waren. Ihre Wir­kung beruh­te nicht auf Nach­voll­zieh­bar­keit eines statt­haf­ten Ver­gleichs, son­dern auf scho­ckie­ren­der Über­wäl­ti­gung und der Nicht­hin­ter­frag­bar­keit eines Glaubenssatzes.

Nur von der zivil­re­li­giö­sen Auf­la­dung sol­cher kol­lek­ti­ver deut­scher Schuld her ist zu erklä­ren, wie der dis­si­den­te Jour­na­list Juli­an Rei­chelt mit dem Ver­weis auf die Bom­bar­die­rung deut­scher Städ­te die Bom­bar­die­rung des Gaza-Strei­fens durch Isra­el recht­fer­tigt. Am 25. Okto­ber kom­men­tier­te Rei­chelt im Sen­der NIUS:

Bri­ten und Ame­ri­ka­ner hiel­ten es für gebo­ten und mora­lisch ver­tret­bar, den Wil­len der deut­schen Zivil­be­völ­ke­rung durch Flä­chen­bom­bar­de­ments von Städ­ten zu bre­chen. Sie nah­men den Tod hun­dert­tau­sen­der Zivi­lis­ten nicht nur in Kauf, sie ver­ur­sach­ten ihn ganz bewusst, weil sie der (rich­ti­gen) Über­zeu­gung waren, dass es ein befrei­tes und fried­li­ches Euro­pa nur geben kön­ne, wenn Deutsch­land in jeder Hin­sicht gebro­chen wäre.

Rei­chelt steht mit die­ser Argu­men­ta­ti­on nicht nur jen­seits roter Lini­en, die das Kriegs­völ­ker­recht mar­kiert (wobei gleich ange­merkt sei, daß sich der­je­ni­ge, der kann, was er will, um die­ses Recht noch nie groß scher­te); er über­nahm die­sen Offen­ba­rungs­eid vom ehe­ma­li­gen israe­li­schen Pre­mier­mi­nis­ter Naf­ta­li Ben­nett, der bereits am 13. Okto­ber die Fra­ge eines Jour­na­lis­ten nach zivi­len Opfern im Gaza-Strei­fen mit den Wor­ten zurückwies:

Fra­gen Sie mich ernst­haft wei­ter nach paläs­ti­nen­si­schen Zivi­lis­ten? Haben Sie nicht gese­hen, was los ist? Wir bekämp­fen Nazis.

Und wei­ter:

Als Groß­bri­tan­ni­en im Zwei­ten Welt­krieg die Nazis bekämpft hat, hat auch kei­ner gefragt, was in Dres­den los ist. Die Nazis haben Lon­don ange­grif­fen und ihr habt Dres­den ange­grif­fen. Des­halb: Schan­de über Sie, wenn Sie mit die­sem fal­schen Nar­ra­tiv weitermachen.

Ich bin mir nicht sicher, wie wir­kungs­voll die­se Absi­che­rungs­chif­fren heu­te noch sind und ob nicht “Dres­den” als Wort doch einen ande­ren Bei­klang hat als den, der Rei­chelt und Ben­nett im Ohr sit­zen mag. Flo­renz und Elbe und “Wie liegt die Stadt so wüst” klin­gen mit.

Alte Hebel, die so spie­lend ange­setzt wer­den konn­ten und funk­tio­nier­ten, sind jedoch lang­le­bi­ges Gerät. Und so hat ges­tern der israe­li­sche Außen­mi­nis­ter Eli Cohen die (wie­der­um nicht bin­den­de) Reso­lu­ti­on der UN-Voll­ver­samm­lung, die­sen Auf­ruf zur Scho­nung der Zivil­be­völ­ke­rung und zu einem Ende der Kämp­fe, mit den­sel­ben Ver­wei­sen zurückgewiesen.

Wir leh­nen den ver­ab­scheu­ungs­wür­di­gen Ruf der UN-Gene­ral­ver­samm­lung nach einem Waf­fen­still­stand ent­schie­den ab. Isra­el beab­sich­tigt, die Hamas zu eliminieren.

Denn so sei die Welt auch mit den Nazis und der Ter­ror­mi­liz Isla­mi­scher Staat (IS) ver­fah­ren. Des­halb sei die Reso­lu­ti­on ein „dunk­ler Tag für die UN und für die Mensch­heit“, der mit Schan­de in die Geschich­te ein­ge­hen wer­de. (Deutsch­land ent­hielt sich.)

Las ges­tern im neu­en Heft der noch wenig bekann­ten Zeit­schrift CRISIS, einem erst im Vor­jahr gegrün­de­ten “Jour­nal für christ­li­che Kul­tur”. Ver­ant­wort­li­cher Redak­teur ist Gre­gor Fern­bach, der auch den Ver­lag Hagia Sophia betreibt. Dort wird unter ande­rem das Werk des rus­si­schen Phi­lo­so­phen Iwan Iljin gepflegt.

Unse­re Leser haben vor allem nach sei­ner zen­tra­len Schrift Über den gewalt­sa­men Wider­stand gegen das Böse gegrif­fen, und natür­lich ist in der neu­en Aus­ga­be ein Bei­trag über die Gedan­ken­füh­rung die­ses Buches ent­hal­ten. Denn CRISIS 6 beschäf­tigt sich mit dem The­ma “Krieg”.

Das Heft ist in mehr­fa­cher Hin­sicht inter­es­sant. Ich mag es, wenn nicht kom­men­tiert, son­dern zusam­men­ge­tra­gen wird, wenn man etwas lernt und erfährt.

So war mir unter ande­rem die Ver­tie­fung der Glau­bens­spal­tung in der Ukrai­ne nicht bewußt, obwohl ich frü­her in Dör­fern war, in denen neben der Ukrai­nisch-Ortho­do­xen Kir­che (UOK) auch eine grie­chisch-katho­li­sche Kir­che stand. Die­se vor allem west­ukrai­ni­sche Abspal­tung rührt aus dem Jahr 1596, in dem sich die­ser Teil der alten Kie­wer Rus dem pol­nisch-litaui­schen Bund unter­warf und kirch­lich Kon­stan­ti­no­pel ver­ließ und Rom aner­kann­te. Die Lit­ur­gie blieb orthodox.

2018 kam es zu einem zwei­ten Schis­ma, näm­lich zur Grün­dung eines eigen­stän­di­gen, vom rus­si­schen Patri­ar­chat unab­hän­gi­gen ortho­do­xen Kir­chen­tums der Ukrai­ne. Die bei Ruß­land ver­blie­be­ne Ortho­do­xie (die UOK) lös­te sich 2022 eben­falls von Mos­kau – ein tak­ti­scher Schritt, der jedoch nichts aus­trug: Seit Dezem­ber ist sie fak­tisch ver­bo­ten, bekam sofort die Nut­zungs­rech­te im welt­be­rühm­ten Kie­wer Höh­len­klos­ter ent­zo­gen und wird seit Juni auch aus den letz­ten, ihr ver­blie­be­nen Klau­sen und Kir­chen vertrieben.

Im CRI­SIS-Heft schrei­ben Mat­thi­as Matus­sek und die Jour­na­lis­tin Nina Byzan­ti­nia über die­se Vor­gän­ge. Letz­te­re spielt mit ihrem Ver­such, der katho­lisch-grie­chi­schen Kir­che eine inten­si­ve Kon­takt­schuld zum Drit­ten Reich nach­zu­wei­sen, mit dem Feu­er. Man muß nicht tief gra­ben, um Ver­stri­ckun­gen auf allen Sei­ten zu finden.

Dezi­diert ist der Bei­trag Ben­ja­min Kai­sers, der von Eng­land aus mit­ar­bei­tet und sei­nen Bei­trag “Der geis­ti­ge Kampf” mit den Sät­zen beginnt, daß ein tota­ler Krieg tobe, von dem jeder ein­zel­ne betrof­fen sei: Es sei ein Krieg, in dem die eine Sei­te macht­voll behaup­te, daß der Mensch sein kön­ne und sol­le wie Gott, wäh­rend die ande­re Sei­te in die­sem geis­ti­gen Kampf die hei­li­gen Zei­chen auf­ge­rich­tet hal­te oder wie­der auf­rich­te – und zwar zunächst und vor allem in sich selbst.

Sei­en noch der lan­ge, grund­le­gen­de Bei­trag des mir bis­her nicht bekann­ten Publi­zis­ten Wolf­gang Vasicek erwähnt, der den “Krieg als Ereig­nis” und sei­ne “Ein­gren­zung und Ent­gren­zung” sehr kennt­nis­reich und lek­tü­re­ge­sät­tigt behan­delt, außer­dem das Edi­to­ri­al, das die Tra­di­ti­on einer “Seg­nung der Waf­fen” aus­leuch­tet, und das Inter­view mit Ulri­ke Gué­rot, das von Redak­teu­rin Bei­le Ratut geführt wird.

CRISIS ver­folgt einen kon­se­quent christ­li­chen, vor allem ortho­do­xen und west-kri­ti­schen Kurs. Das ist im deutsch­spra­chi­gen Raum eine Lücke, und sie wird nun gefüllt. Heft 6 ist soeben erschie­nen, umfaßt 88 Sei­ten, kos­tet 12.50 € und kann hier bestellt wer­den. Auch ein Abon­ne­ment kann man dort zeichnen.

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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