Hinter den Linien. Tagebuch – Samstag, 9. Dezember

Seit die kalten Novemberregen eingesetzt und die Frostnächte Einzug gehalten haben, denke ich viel an die Soldaten in einem Krieg, der hinter dem Nahost-Konflikt zu einem zweitrangigen Schauplatz geworden ist, aber mit grausamer Härte geführt wird. Im Ukraine-Krieg sind nun Kälte und Nässe entsetzliche Gegner.

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

Wer als Sol­dat auch nur ein paar Wochen bei wid­ri­gem Wet­ter und eisi­ger Tem­pe­ra­tur im Frei­en ver­brin­gen muß­te, weiß, wovon ich spreche.

Wir alle waren nie im Krieg. Aber in mei­nem Fall waren die­se Wochen in der Win­ter­kampf­schu­le in Bal­der­schwang zu absol­vie­ren, und die Näch­te, die um kurz nach fünf began­nen, waren so eisig, daß wir in Bewe­gung blie­ben, um nicht zu erstar­ren. (Im Ohr Fet­zen des Skrew­dri­ver-Lieds “The Snow fell”). Ski mit Steig­fel­len, Win­ter­tarn, wil­len­lo­se Stun­den, und das alles war nur Übung. Kein Tod, kei­ne Todes­angst, abseh­ba­res Ende, zwei Wochen eben.

Ent­lang der Front im Don­baß lie­gen sich die Sol­da­ten im zwei­ten Kriegs­win­ter gegen­über, und wer die Bil­der von den Unter­stän­den sieht, in denen die Sol­da­ten kau­ern, muß mit­be­den­ken, daß es nicht um Arbeits­ta­ge mit abend­li­chem Sau­na­gang geht, wie auf den Win­ter­bau­stel­len im Frei­en. Es geht um Tage, Wochen und Mona­te ohne Ende.

Aber zu die­sem Leid, zu die­sen Sze­na­ri­en, die an die Stel­lungs­schil­de­run­gen Ernst Jün­gers aus dem I. Welt­krieg erin­nern und an die Kriegs­brie­fe aus Sta­lin­grad, gesellt sich ein Grau­en, das vor über hun­dert und vor acht­zig Jah­ren noch nicht über den Schlacht­fel­dern kreiste.

In einem Vor­trag über Ray Brad­bu­rys Roman Fah­ren­heit 451, den ich vor Wochen in Wien hielt, hat­te ich es ange­deu­tet: das Grau­en, das einen packt, wenn der Mensch von der Maschi­ne ver­folgt und zur Stre­cke gebracht wird. Ich bezog mich auf den “mecha­ni­schen Hund” im Roman, des­sen Injek­ti­ons­na­del den Staats­feind zur Stre­cke bringt, nach­dem die unfehl­ba­re Nase ihn auf­ge­spürt hat.

Als Bei­spiel unse­rer Zeit führ­te ich die Jagd an, die im Ukrai­ne-Krieg mit bewaff­ne­ten Droh­nen auf Boden­trup­pen gemacht wird. Im Netz gebe es hun­der­te Vide­os, die ahnungs­lo­se oder ver­zwei­felt davon­krie­chen­de Sol­da­ten zei­ge, deren Bewe­gun­gen aus der Luft gefilmt und deren Leben mit einer wie in einem Com­pu­ter­spiel abge­wor­fe­nen Gra­na­te been­det werde.

Ich stieß heu­te, als ich den Front­ver­lauf ein­mal wie­der nach­voll­zie­hen woll­te, auf einen Tele­gram­ka­nal, der ent­setz­li­che Vide­os bereit­stellt. Ich kann mich nur an weni­ge Wahr­neh­mungs­mo­men­te in mei­nem Leben erin­nern, in denen ich inner­lich vor Ent­set­zen so erstarr­te wie heu­te Abend.

Das eine Mal liegt über vier­zig Jah­re zurück – als mir näm­lich ein Anti­kriegs­buch aus dem Bestand mei­nes Groß­va­ters in die Hän­de fiel. In die­sem Buch waren Gesich­ter Kriegs­ver­sehr­ter aus dem I. Welt­krieg abge­bil­det, durch die Geschos­se gefah­ren waren und die aus gro­ßen Augen ohne Nase und Kie­fer und aus Mün­dern ohne Stirn, aber mit gräß­li­chen Zäh­nen bestan­den. Die Erschüt­te­rung wirk­te über Tage.

Das zwei­te Mal ergriff mich die­se Erstar­rung, als ich begann, in der Doku­men­ta­ti­on zu lesen, die das deut­sche Bun­des­ar­chiv mit Augen­zeu­gen­be­rich­ten über die Ver­trei­bung der Deut­schen aus den Ost­ge­bie­ten gefüllt hat­te. Ich schaff­te den Band über Böh­men zur Hälf­te, die ande­ren Tei­le ste­hen unan­ge­tas­tet im Bücher­schrank. Aus­weg­lo­sig­keit und Leid sind so ent­setz­lich, daß jede wei­te­re Lek­tü­re zumin­dest mein Gemüt auf lebens­ver­än­dern­de Wei­se berüh­ren würde.

Viel­leicht ein Drit­tes: die Hebung eines Mas­sen­grabs in Bos­ni­en, der ich als jun­ger Offi­zier bei­wohn­te; und ein Vier­tes: der von einem Mob tot­ge­prü­gel­te Mann in einer Klein­stadt im Süden Kame­runs, dem man Hexe­rei nach­ge­sagt hat­te. Als ich dem Geschrei nach­ging, anlang­te und ihn als den Anlaß der Zusam­men­rot­tung zwi­schen den Gaf­fern erspäh­te, tas­te­ten er noch mit einem ver­renk­ten Fin­ger nach etwas im nas­sen Lehm, bevor ihm ein gro­ber Beton­klotz auf den Kopf gerollt wurde.

Und heu­te: Das Film­chen einer ukrai­ni­schen Droh­nen­ein­heit, das mit einer rühr­se­li­gen rus­si­schen Melo­die anhebt und dann in einen Gitar­ren-Trash umkippt, wäh­rend man von oben ein­zel­ne rus­si­sche Sol­da­ten her­an­zoomt, die bereits ver­wun­det und hilf­los in einem zer­split­ter­ten Wald­stück lie­gen, unter Ästen, mit offe­nen Brü­chen, in sich gekrümmt, embryo­nal, bedürf­tig, schutzlos.

Wäh­rend die Droh­ne zoomt, fal­len Gra­na­ten gezielt auf und dicht neben die­se Män­ner. Die Gen­fer Kon­ven­ti­on ist einen Dreck wert, und wenn im Staats­funk von Lie­fer­schwie­rig­kei­ten für Droh­nen­bau­tei­le an der pol­nisch-ukrai­ni­schen Gren­ze die Rede ist, dann spre­chen wir über Ersatz­tei­le für Kampf­mit­tel, aus denen sol­che Fil­me entstehen.

Der letz­te rus­si­sche Sol­dat, der erle­digt wird, liegt ver­wun­det unter Geäst. Die Droh­ne läßt ihre Gra­na­te dicht vor sei­nen Rumpf fal­len. Dann zoomt die Kame­ra auf eine ent­setz­li­che Wun­de und auf einen stum­men Schrei und eine tas­ten­de Hand, die ver­sucht, das zer­fetz­te Auge, den abge­ris­se­nen Kie­fer und den Kno­chen­brei dort­hin zurück­zu­schie­ben, wo ein­mal ein Gesicht war, rund­lich, schon etwas älter.

Das hei­le Auge sucht den Him­mel ab, dann stirbt die­ser Mensch.

Ich möch­te, daß sich jeder mar­tia­lisch gestimm­te jun­ge Mann die­ses Video anschaut, jeder Kriegs­theo­re­ti­ker auch und natür­lich jede grü­ne Kriegs­trei­ber­see­le, die von einer von ihr so nicht vor­ge­se­he­nen Kriegs­mü­dig­keit der Deut­schen faselt und wei­te­re “Anstren­gun­gen” fordert.

(Man möch­te dort Zel­te errich­ten und mit gro­ßen wei­ßen Ban­nern und roten Kreu­zen in sol­che Wäl­der gehen, um jeden, der nicht mehr kann, ins War­me zu holen und ins Leben zu ret­ten. Ich bete nun den gro­ßen ortho­do­xen Abend­hym­nos für bei­de Sei­ten – wohl auch für mich, um die Erstar­rung zu lösen.)

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(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansammelt.)

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Diens­tag, 28. November

Rand­no­tiz 1: Der schwu­le tür­kisch­stäm­mi­ge Exmos­lem Ali Utlu und die jesi­di­sche Gat­tin des AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mar­tin Sichert, Ronai Cha­ker, behaup­ten seit Tagen auf allen ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kanä­len, daß wir “Schnell­ro­daer” nur hete­ro­se­xu­el­le, natio­na­lis­ti­sche Deut­sche ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der AfD sehen woll­ten und alle ande­ren Anwär­ter zu ver­hin­dern wüßten.

An die­ser Unter­stel­lung stimmt vor allem eines nicht: Kei­ner von uns ist Par­tei­mit­glied und dort in Lohn und Brot, wo es um die Auf­nah­me neu­er Mit­glie­der geht. Kei­ner von uns kann etwas “ver­hin­dern”.

Herr Utlu ver­öf­fent­lich­te zuletzt eine Kari­ka­tur, auf der ein ihn wür­gen­des Schnell­ro­da sei­nen Traum von der AfD-Mit­glied­schaft zer­plat­zen läßt. Er will nun eine eige­ne Inter­net-Sei­te grün­den, um auf ihr den angeb­li­chen Haß aus unse­rer Rich­tung gegen ihn zu dokumentieren.

Frau Cha­ker-Sichert wie­der­um schrieb ges­tern über einen unse­rer Autoren:

Licht­mesz ist für mich im übri­gen ein lupen­rei­ner Anti­se­mit, denn er hat sich in einer Dis­kus­si­on mit mir, vor Jah­ren schon hin­ter die Hamas gestellt und deren Vor­ge­hen befürwortet.

Ich riet Licht­mesz ab, juris­tisch vor­zu­ge­hen. Man bie­tet Büh­nen und ver­liert Zeit.

Aber über die­sen Haß hät­ten wir sehr gern ein sehr gründ­li­ches Gespräch mit sowohl Frau Cha­ker-Sichert als auch Herrn Utlu geführt, um zu ergrün­den, wie ernst es ihnen mit der deut­schen Sache sei und war­um sie davon aus­gin­gen, daß wir jeden, der es wirk­lich ernst mei­ne, auf sei­ne Her­kunft abklopf­ten und in sein Schlaf­zim­mer späh­ten, um dann den Dau­men zu sen­ken oder zu heben.

Ich habe Frau Cha­ker-Sichert vor eini­gen Wochen und Herrn Utlu vor fünf Tagen Gesprächs­an­fra­gen zukom­men las­sen und bei­den jeweils frei­ge­stellt, ob solch ein Gespräch öffent­lich oder im stil­len Käm­mer­lein geführt wer­den sol­le. Im Fal­le von Frau Cha­ker erfolg­te die Anfra­ge auch über ihren Gatten.

Wie stets ging es mir, uns dar­um, aus dem Schwarz-Weiß des Geze­ters die Abschat­tie­rung der poli­ti­schen Rea­li­tät abzu­lei­ten. Weder Herr Utlu noch Frau Cha­ker-Sichert haben geantwortet.

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Rand­no­tiz 2: Der Jun­g­eu­ro­pa-Ver­lag hat heu­te die Fort­set­zung des skur­ri­len Pro­zes­ses um sei­nen Namen erlebt. Der Euro­pa Ver­lag klag­te vor einem Jahr, weil er Ver­wechs­lungs­ge­fahr und damit einen Vor­teil für die Jun­g­eu­ro­pä­er wähn­te, denen das hun­der­te, wenn nicht tau­sen­de Leser qua­si ins Fang­netz spü­len würde.

Schon in ers­ter Instanz ent­schie­den die Rich­ter, daß von einer Ver­wechs­lungs­ge­fahr kei­ne Rede sein kön­ne. Die­se Ein­schät­zung wur­de heu­te bestä­tigt, die Urteils­ver­kün­dung ist am 15. Dezember.

Dem Jun­g­eu­ro­pa-Ver­lag zu die­sem juris­ti­schen Erfolg zu gra­tu­lie­ren, wäre so, als klopf­te man jeman­dem auf die Schul­ter, der die Ziga­ret­te rich­tig her­um im Mund­win­kel hat … (Na klar, Jungs: Glückwunsch!)

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Frei­tag, 24. November

Der unga­ri­sche Staats­prä­si­dent Vik­tor Orbán hat zum 90. Geburts­tag der Schwei­zer Welt­wo­che den Fest­vor­trag gehal­ten. Ich emp­feh­le ihn, denn Orbán spricht klar und schnör­kel­los und kommt von der Kri­tik an Euro­pa und am west­li­chen Modell her auf den poli­ti­schen Ansatz sei­nes eige­nen Lan­des zu sprechen.

Die Kern­aus­sa­gen der Bestands­auf­nah­me lau­ten: Euro­pa habe sei­ne stra­te­gi­sche Sou­ve­rä­ni­tät seit lan­gem ein­ge­büßt; in Brüs­sel wer­de kei­ne euro­päi­sche Poli­tik gemacht, son­dern die Herr­schaft der Büro­kra­ten über die Poli­tik vor­ge­führt; die hin­ter Demo­kra­tie­durch­set­zung und Staats­be­frei­ung ver­bor­ge­ne US-Außen­po­li­tik wer­de mitt­ler­wei­le welt­weit als das durch­schaut, was sie sei: knall­har­te Inter­es­sens­po­li­tik; Euro­pa und nament­lich Deutsch­land wer­de als Vasall eines Hege­mons auf Abstieg ver­ar­men, wenn es sich nicht befreie.

Gegen­maß­nah­men skiz­ziert Orbán als Kon­zept der Selbst­ret­tung der Nati­on. Das hal­te ich für ent­schei­dend: Orbán, der mit dem fei­nen Witz des geüb­ten Red­ners und an Gold­waa­gen gewöhn­ten Poli­ti­kers spricht, ist grund­ehr­lich, wenn er das Gewicht Ungarns als zu leicht dafür beschreibt, in Euro­pa aufzutrumpfen.

Es geht im zwei­ten Teil also aus­schließ­lich um den Ver­such Ungarns, mit dem, was auf­ge­bür­det wird, zurecht­zu­kom­men und die Fol­gen für Volk und Nati­on abzu­fe­dern. Orbán weiß um die Ver­füh­rungs­macht der auch in Ungarn omni­prä­sen­ten ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur­ho­heit, um ihre Prä­ge­kraft in der All­tags­kul­tur, dem Frei­zeit­ver­hal­ten und für die “Nar­ra­ti­ven” gera­de jün­ge­rer Generationen.

Orbán stellt kurz das “Work-First-Modell” vor, das nach­weis­lich als unat­trak­tiv für Ein­wan­de­rer, also vor allem: für Asyl­be­wer­ber gilt. Staat­li­che Absi­che­rung gebe es nur für die­je­ni­gen, die arbei­te­ten. Er bezeich­net die­ses Modell sogar als “kalt” im Ver­gleich zu dem, was etwa Deutsch­land macht. Das ist es: auf die Robust­heit der eige­nen Leu­te bau­en, um die Beu­te­ma­cher von außen abzuwehren.

Außer­dem streicht Orbán die unga­ri­sche Fami­li­en­po­li­tik her­aus, von der er – wie­der­um sehr ehr­lich – sagt, daß sie noch kei­ne demo­gra­phi­sche Wen­de her­bei­ge­führt habe, aber immer­hin das für Fami­li­en attrak­tivs­te Modell Euro­pas sei, bereits Früch­te tra­ge und damit die Chan­ce für eine Sta­bi­li­sie­rung des Volks aus eige­ner Kraft biete.

Ich will das noch ein­mal beto­nen: Ana­ly­se auf euro­päi­scher, Maß­nah­men auf natio­na­ler Ebe­ne. Wer nach­le­sen möch­te, wie Ungarn die­ses poli­ti­sche Pro­jekt zivil­ge­sell­schaft­lich abzu­si­chern ver­sucht, kann zum Bänd­chen Natio­na­ler Block von Már­ton Békés grei­fen. Orb­ans Rede gibt es hier zu sehen.

Im Ver­lag ist das Weih­nachts­ge­schäft ange­lau­fen. (Wir berech­nen bis Ende des Jah­res 1.50 € für Sen­dun­gen im Inland und lie­fern ab 70 € por­to­frei.) Es ist Jahr für Jahr schön zu sehen, wie das Buch doch Teil der Geschenk­kul­tur bleibt, obwohl ihm vom mobi­len Geschnip­sel und Geglot­ze so sehr zuge­setzt wird.

Bei uns recht­zei­tig ein­ge­trof­fen sind Nach­dru­cke der Essay-Rei­he Kapla­ken. Ich lis­te die Nach­dru­cke mal auf, es sind Samm­ler­stü­cke dar­un­ter und län­ger ver­grif­fe­nes. 65 Bänd­chen sind ins­ge­samt lie­fer­bar, und es gibt immer wie­der Leser, die uns gera­de erst ent­deckt haben, sozu­sa­gen aus dem Main­stream her­über­stol­pernd, und die Gesamt­ab­nah­me zeich­nen. (Recht haben sie! Die Rei­he Kapla­ken ist doch so etwas wie das Kern­holz der Szene …).

Hier also das, was nun wie­der erhält­lich ist:

Bd 79 – Ste­fan Scheil: Der deut­sche Donner
Bd 67 – Armin Moh­ler: Der faschis­ti­sche Stil
Bd 70 – Sophie Lieb­nitz: Antiordnung
Bd 53 – Thor v. Wald­stein: Macht und Öffentlichkeit
Bd 47 – Mar­tin Sell­ner, Wal­ter Spatz: Gelas­sen in den Widerstand
Bd 41 – Jean Ras­pail: Der letz­te Franzose
Bd 29 – Hen­ry de Mon­t­her­lant: Nutz­lo­ses Dienen
Bd 15 – Karl­heinz Weiß­mann: Post-Demokratie

Hier sind alle 65 lie­fer­ba­ren Bänd­chen auf­ge­lis­tet - so vie­le waren es noch nie. Und: Ste­fan Scheils Vie­rer­pa­ket “II. Welt­krieg” ist auch wie­der voll­stän­dig lieferbar.

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Sams­tag, 18. November

Also: Wie war das ges­tern vor und auf der Ram­pe (Trep­pe) der Uni­ver­si­tät Wien? Wir muß­ten uns prü­geln, dann gab’s die Kund­ge­bung und für den Abzug wur­de eigens für uns eine Stra­ßen­bahn requi­riert, eine “Bim”. Irgend­wie und immer wie­der irre, das Gan­ze. Dabei ging es doch bloß um ein Buch.

Die Ver­suchs­an­ord­nung habe ich vor zwei Wochen beschrie­ben: Der Ring Frei­heit­li­cher Stu­den­ten (RFS) hat­te zu einem öffent­li­chen Vor­trag in einen der Hör­sä­le der Uni­ver­si­tät ein­ge­la­den. Ich soll­te über den Roman Fah­ren­heit 451 von Ray Brad­bu­ry spre­chen. Das Recht zu sol­chen Ver­an­stal­tun­gen hat der RFS, aber es wur­de ihm ver­wehrt, und eine juris­ti­sche Durch­set­zung mißlang.

Die bis­her noch nicht öffent­lich agie­ren­de Grup­pe namens “Akti­on 451” mel­de­te dar­auf­hin eine Kund­ge­bung auf der Trep­pe zum Haupt­ein­gang der Uni­ver­si­tät an. Kositza und ich kamen mit ein paar Leu­ten kurz vor drei an – da war auf bei­den Sei­ten schon Anti­fa ver­sam­melt, und als sie uns sahen, begann’s zu sum­men wie in einem Wespennest.

Beim Über­que­ren der Stra­ße zur Trep­pe hin wur­den wir ange­grif­fen, sehr plötz­lich und mas­siv. Das letz­te Mal, daß mir so etwas pas­sier­te, ist fast zehn Jah­re her. Damals waren wir auf dem Weg zum Leip­zi­ger Able­ger von PEGIDA. Die Poli­zei hat­te den Opern­platz abge­rie­gelt und uns nur schma­le Durch­gän­ge ein­ge­räumt, die mit­ten durch Pulks ver­mumm­ter Anti­fa führ­ten. Man wur­de mit Schlä­gen ein­ge­deckt, wäh­rend man durchlief.

Ges­tern war es direk­ter, und gut ist es, mit den rich­ti­gen Jungs unter­wegs zu sein, wenn so etwas pas­siert. Die Poli­zei war völ­lig über­rascht, aber bis sie ein­griff, hat­ten wir uns schon Luft ver­schafft, nichts abge­kriegt, aber aus­ge­teilt. (Schön zu sehen, wie sich jun­ge Män­ner in Dresch­fle­gel ver­wan­deln, wenn es sein muß.)

Danach die Kund­ge­bung war gut orga­ni­siert, ich sag­te auch ein paar Wor­te, kaum zu Fah­ren­heit 451, mehr zu den Umstän­den. Ich ver­ste­he ja nicht, wie die Uni­ver­si­tät und die Lin­ke an sich immer wie­der so blöd sein kön­nen, den Wir­bel und die Auf­merk­sam­keit durch ihren Hygie­ne­fim­mel erst zu erzeugen.

Denn: Fahren­heit 451 ist kein rech­tes Buch. Es ist auch kein lin­kes Buch. Es ist kul­tur­kri­tisch, steht in der Tra­di­ti­on hilf­lo­ser Tech­nik- und Gesell­schafts­kri­tik und kann ver­ein­nahmt und als Chif­fre besetzt wer­den. Das haben wir zwei Jahr­zehn­te lang gemacht, aber erst seit ges­tern ist es ganz klar, daß die Zif­fer 451 und Feu­er­wehr­mann Mon­tag als Gestalt, als Typ, nun uns gehören.

Wäre ich im Besitz der Ver­an­stal­tungs­macht, hät­te ich mich zuge­las­sen und ein Podi­um gefor­dert, um mir die Deu­tungs­ho­heit über Fah­ren­heit 451 zu ent­rei­ßen. Aber der Schat­ten ist zu breit, die Lin­ke und die Mit­te kön­nen nicht mehr über ihn springen.

Den Vor­trag hielt ich dann spä­ter in den Räu­men der Öster­rei­chi­schen Lands­mann­schaft. Er ist auf­ge­zeich­net wor­den, wir ver­öf­fent­li­chen ihn bald. Das wird die­je­ni­gen nicht beein­dru­cken, denen egal ist, wor­über wir reden, Haupt­sa­che wir reden nicht. Aber es wird die Ver­ein­nah­mung ver­stär­ken und der Akti­on 451 ein wenig Theo­rie liefern.

Der Abzug von der Trep­pe und die Ver­le­gung zur Lands­mann­schaft war dann noch ein Spek­ta­kel. Die Poli­zei räum­te das aka­de­mi­sche Pro­le­ta­ri­at bei­sei­te, damit wir zur Stra­ßen­bahn kämen. Die wur­de extra auf­ge­hal­ten, und wäh­rend wir durch die Stadt zup­pel­ten, eskor­tier­te die Poli­zei im Lauf­schritt. Sur­re­al, so etwas, aber in der Situa­ti­on ganz logisch und plas­tisch und absurd. Aber auch: ein Erlebnis.

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Diens­tag, 14. November

Heu­te kommt Band 5 der Antai­os-Roman­rei­he aus dem Druck. Er ist Abon­nen­ten der Gesamt­rei­he vor­be­hal­ten, das war von vorn­her­ein abge­macht, davon rücken wir nicht ab.

Die ers­ten vier Bän­de der Rei­he sind sehr gut auf­ge­nom­men wor­den, kaum kri­tisch, oft begeis­tert. Jeden­falls hat sich bestä­tigt, was schon frü­he­re bel­le­tris­ti­sche und exklu­si­ve Ver­lags­pro­jek­te ein­brach­ten (Rei­he Mäan­der!): Es schrei­ben ganz ande­re Leser ihre Ein­drü­cke und Fra­gen auf als die­je­ni­gen, die im Blog kom­men­tie­ren oder auf unser poli­ti­sches Pro­gramm reagie­ren. Es ist, als stie­ße man mit sol­chen Büchern auf einen Kern der Leser­schaft vor, der zu den Stil­len im Lan­de gehört (wie Jochen Klep­per das ein­mal ausdrückte).

Autor und Titel des fünf­ten Ban­des ver­ra­ten wir nicht. Das ist eine der sprich­wört­li­chen Kat­zen im Sack, bloß kann ich sagen, daß es bei uns kei­ne trief­na­si­gen und schiel­äu­gi­gen Tier­chen gibt. Es gehört schlicht zu den Ver­le­ger­freu­den, um das Ver­trau­en der Leser auf das Ver­le­ger­händ­chen zu wissen.

Die berüh­rends­ten Brie­fe erhielt ich zu Hase­manns Gefan­gen­schafts­ro­man Nas­ses Brot. Die Lek­tü­re ist zäh wie die end­los lang­sam ver­strei­chen­de Zeit in einem Vieh­wa­gon auf der Fahrt nach Osten, auf einer klir­rend kal­ten Bau­stel­le in der Step­pe und im Durch­gangs­la­ger auf dem Weg in die Hei­mat, auf dem noch an den letz­ten Sta­tio­nen ohne Begrün­dung Gefan­ge­ne aus dem Zug gefischt und zurück ins End­lo­se geschickt werden.

Leser schrie­ben von Tage­bü­chern ihrer Väter und Groß­vä­ter, schil­der­ten den Abbruch der Lek­tü­re und die Wie­der­auf­nah­me nach Tagen der inne­ren Kräf­ti­gung. Einer schrieb, ob es sein müs­se, sol­che Tore auf­zu­sto­ßen. Ich mei­ne: ja, und zwar dann, wenn jemand wie Hase­mann das Tor auf­stößt. Er schrieb ja nur drei Bücher, danach hat­te er etwas erle­digt. Leh­nert und ich wer­den über ihn eine Lite­ra­tur­sen­dung machen.

Wir haben von den Gesamt­ab­nah­men der Roman-Rei­he noch etwa 100 Pake­te zu ver­ge­ben. Im Weih­nachts­pro­spekt, der neben­an gera­de ver­sand­fer­tig gemacht wird, sind die­se Pake­te noch ein­mal und abschlie­ßend im Angebot.

Hier kann man eines davon bestellen.

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Zwei­mal Björn Höcke, ein­mal er selbst, das ande­re Mal die­je­ni­gen über ihn, die ihn nicht ken­nen, aber so tun, als wüß­ten sie Bescheid.

Vor­ab aber Fol­gen­des: Ich gehö­re zu denen, die Höcke am bes­ten ken­nen. Wir haben über unser poli­ti­sches Den­ken, die Suche nach Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten und die Kri­tik an Hin­ter­zim­mer, Eska­pis­mus, poli­ti­scher Melan­cho­lie und sub­stanz­lo­ser Kar­rie­re­ab­sicht bereits gespro­chen und gestrit­ten, als wir alle noch in klei­nen Zir­keln unter der gro­ßen Blei­de­cke saßen und Deh­nungs­übun­gen machten.

Es war im Okto­ber 2013, als ich mit eini­gen mei­ner Kin­der an den Fuß des Han­steins fuhr, um am Auf­takt zur 100-Jahr-Fei­er des damals rich­tungs­wei­sen­den jugend- und reform­be­weg­ten Meiß­ner­tref­fens teil­zu­neh­men. Die Nacht ver­brach­te ich mit der Jüngs­ten, die mir beim Wan­dern noch auf den Schul­tern saß, bei Höcke in Bornhagen.

Als es im Hau­se ruhig war, setz­ten wir uns zum Bier zusam­men, um über die noch sehr jun­ge Par­tei und über Höckes Enga­ge­ment dar­in zu spre­chen, das ihn bereits an die Lan­des­spit­ze Thü­rin­gens gebracht hat­te. Er war vol­ler Opti­mis­mus und berich­te­te von Ver­samm­lun­gen, Zustrom und ers­ten Richtungsentscheidungen.

Ich war skep­tisch, fast spöt­tisch, denn unser bei­der Erfah­rung mit den vie­len Kleinst- und Split­ter­par­tei­en von rechts war ernüch­ternd. Wir hat­ten deren Geh­ver­su­che schrift­lich und in Gesprä­chen beschrie­ben und ana­ly­siert, uns aber nie betei­ligt. “Die Frei­heit” war zuletzt schon als jun­ges Pflänz­chen ver­dorrt, und wir streif­ten sie nur, weil die Emp­feh­lung ihrer Bun­des­spit­ze, der AfD bei­zu­tre­ten, ent­we­der kurz bevor­stand oder schon erfolgt war (ich weiß es nicht mehr).

Spät in der Nacht jeden­falls hat­te mich Höcke mit sei­ner Zuver­sicht doch unsi­cher gemacht. Im Unter­schied zu allen ande­ren Par­tei­grün­dun­gen war die AfD nicht von rechts, son­dern aus der ent­täusch­ten und alar­mier­ten Mit­te der CDU her­aus initi­iert wor­den. Nur ein ein­zi­ges Mal hat­te es etwas Der­ar­ti­ges bis­her gege­ben: Der Ham­bur­ger Rich­ter Ronald Schill war auf Anhieb mit einer eige­nen Lis­te in die Bür­ger­schaft ein­ge­zo­gen, weil auch er den Duft des­je­ni­gen ver­ström­te, des­sen poli­ti­sche Her­kunft kein abge­brann­ter Rand war.

Höcke been­de­te damals unser Gespräch mit den Wor­ten, daß wir mal sehen müß­ten, inwie­weit die Herr­schaf­ten aus der Mit­te für genu­in rech­te The­men offen wären. (Der Rest ist bekannt – samt Bernd Luckes poli­ti­schem Sal­to Mortale.)

Wenn ich dar­über nach­den­ke, wie sehr das libe­ral­kon­ser­va­ti­ve AfD-Lager uns und vor allem Höcke die Schuld zuschob, daß man die für ihren poli­ti­schen Mut bekann­te bür­ger­li­che Mit­te ver­lo­ren und eines der hoff­nungs­volls­ten Par­tei­pro­jek­te aller Zei­ten an den Rand des Abgrunds und dar­über hin­aus gescho­ben hätte!

Höcke gehör­te zu den­je­ni­gen, die sich unter dem Ein­druck die­ser Kri­tik aus den ver­meint­lich eige­nen Rei­hen nicht zu Lands­knechts­na­tu­ren wan­del­ten und sen­gend durch die Par­tei zogen. (Sol­che Kan­di­da­ten gab es.) Was sei­ne par­tei­in­ter­nen Geg­ner unter­schätz­ten und bis heu­te unter­schät­zen, ist die Macht der Begeg­nung und die Über­zeu­gungs­kraft der Persönlichkeit.

Ich habe Par­tei­ver­an­stal­tun­gen erlebt, die feil­schen­den Basa­ren gli­chen, bis zur Rück­sichts­lo­sig­keit laut und geschwät­zig, obwohl vorn einer am Pult stand und sprach – und die zu Räu­men wur­den, in denen man noch den Letz­ten zur Ruhe zisch­te, weil Höcke ans Mikro­fon trat.

Ich ken­ne etli­che Par­tei­leu­te, die, auf­ge­la­den nicht nur von der Lücken­pres­se, son­dern von den eige­nen Leu­ten, in Höcke den dump­fen, rück­sichts­lo­sen Sprü­che­klop­fer sahen – und im Gespräch ihr Feind­bild nicht fan­den, son­dern in einer Mischung aus Ver­wir­rung und Erleich­te­rung kein schlech­tes Wort mehr über die­sen Mann hören woll­ten, son­dern sei­nen Weg akzeptierten.

War­um notie­re ich das alles noch ein­mal, wo ich es schon hier und da beschrie­ben und in unge­zähl­ten Gesprä­chen inner­halb und außer­halb der AfD erzählt habe? Der Anlaß ist bald zwei Wochen alt. Ich hör­te beim Holz­schich­ten im Kon­tra­funk die Sonn­tags­run­de mit Burk­hard Mül­ler-Ulrich und sei­nen Gäs­ten, und es ging um Höcke. (Hier nach­hö­ren.)

Zu Gast war ers­tens Vera Lengs­feld. Sie lag mir schon vor sie­ben Jah­ren, als ich sie in Son­ders­hau­sen besuch­te, damit in den Ohren, daß in Thü­rin­gen eine fei­ne Regie­rung aus CDU und AfD sofort mög­lich sei, wenn Höcke zurück­trä­te und den Weg frei mach­te für einen Kon­ser­va­tiv­li­be­ra­len in der AfD. Aber schon damals begriff sie nicht, daß sich inmit­ten der Lawi­ne aus Kri­sen, Dys­funk­tio­na­li­tät, Über­frem­dung und Vasal­len­glück die fein­sin­ni­ge Unter­schei­dung zwi­schen der Volks­front von Judäa und der Judäi­schen Volks­front als irrele­vant erwei­sen müs­se, und zwar mit jedem Tag mehr. Sie begriffs wirk­lich nicht, das habe ich jetzt gehört, denn im Kon­tra­funk wie­der­hol­te sie ihren alten Ser­mon, obwohl die AfD auch rund um Son­ders­hau­sen bei über 30 Pro­zent steht.

Dann Ingo Lang­ner, fleisch­ge­wor­de­ne BRD, bis weit in die 2000er Jah­re mit­ten im Kul­tur­be­trieb (dafür muß man sich ja fast schon ver­ant­wor­ten, fin­de ich) und nun neu­er Chef­re­dak­teur bei CATO, dem Maga­zin fürs War­te­zim­mer. Er äußer­te sich am schä­bigs­ten über Höcke und gab dabei zu, die­sen Mann ers­tens gar nicht per­sön­lich zu ken­nen, zwei­tens des­sen Gesprächs­band Nie zwei­mal in den­sel­ben Fluß gar nicht gele­sen, son­dern drit­tens sein Wis­sen über Höcke einer Rezen­si­on die­ses Buches aus der Feder Die­ter Steins ent­nom­men zu haben. Das nen­ne ich Augenhöhe!

Peter J. Bren­ner zuletzt: Autor unter ande­rem bei Tumult, bekannt durch das Abfas­sen von Offe­nen Brie­fen an Redak­tio­nen, deren Weg er als Abon­nent oder Mit­glied nicht mehr tei­len woll­te, nament­lich FAZ (2020) und wbg (2019). Er sieht Höcke “die zwölf Jah­re” bewirt­schaf­ten, kanns aber nicht bele­gen, und in der Sonn­tags­run­de gab er sei­nem ungu­ten Gefühl dar­über Ausdruck.

Burk­hard Mül­ler-Ulrich war irgend­wie kon­ster­niert. Die­ses Gere­de vom Hören­sa­gen her und im Dia­lekt der Wer­te­Uni­on – das gefiel ihm nicht. Aber die­se Leu­te fin­den ja Gehör.

Jedoch: Ich will jetzt mal behaup­ten, daß die kaum wahr­nehm­ba­re Argu­men­ta­ti­ons­li­nie von den Drei­en kaum zu hal­ten sein wird. Es wird sogar ganz schön schwie­rig, wenn ich jetzt mal Höcke zitie­re, ohne ihn gefragt zu haben, ob ich das darf. Aber es paßt halt so gut, und er äußer­te es neu­lich, als wir end­lich wie­der ein­mal ein paar Stun­den wan­dern konn­ten. “Götz”, sag­te er, “das ist alles nicht schön, aber wir ken­nen das ja, oder? Und jeder will sein Süpp­chen kochen. Aber am Ende gehö­ren die eben doch alle zu uns. Und wir brau­chen jeden, wirk­lich jeden, so groß ist die Aufgabe.”

So ist es, und wer das begrif­fen hat, weiß, wie es klingt, wenn man Eng­stir­ni­gen und Korin­then­ka­ckern den Maß­stab erklärt: Unser Volk und unse­re Demo­kra­tie müs­sen geret­tet wer­den, und das ist kei­ne Butterfahrt.

Des­halb, und weil es wich­tig ist, zu sehen, wie einer ant­wor­tet, wenn er mal nach­den­ken darf, bevor er ant­wor­ten muß, emp­feh­le ich als zwei­tes das gro­ße Inter­view, das der sehr gut vor­be­rei­te­te Mar­tin Mül­ler-Mer­tens für Auf1 mit Höcke geführt hat. Hier ist es.

(Ergän­zun­gen, Fund­stü­cke und kri­ti­sche Anmer­kun­gen rich­ten Sie bit­te an [email protected]. Ich wer­de aus­brei­ten, was sich ansam­melt. Jedoch geht es nicht um übli­ches Kom­men­ta­ri­at, son­dern um Fort­schrei­bung. Wir wer­den sehen, wie das klappt.)

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Mon­tag, 6. November

Der Druck­aus­ga­be der Sezes­si­on liegt in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den das Lite­ra­tur­heft Pho­no­phor bei. Es ent­hält Kurz­pro­sa aus der Leser­schaft. Wir rie­fen Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res erst­mals zur Betei­li­gung auf. Idee und Name gehen auf eine Initia­ti­ve des Sezes­si­on-Autors Dirk Alt zurück: Der “Pho­no­phor” ist eine Art Smart­phone. Er taucht in Ernst Jün­gers Roman Eumes­wil bereits auf und wird indif­fe­rent als Sta­tus­sym­bol, ins­ge­samt aber als pro­ble­ma­tisch beschrieben.

Was mich freut, ist, daß unser Pho­no­phor, Aus­ga­be 4, nun an zwei unter­schied­li­chen Stel­len aus­führ­lich gewür­digt wor­den ist. Die Publi­zis­tin Bea­te Broß­mann hat für das Blog der Zeit­schrift Tumult rezen­siert, Phil­ip Stein und Vol­ker Zier­ke bespre­chen Aus­ga­be 4 im Jun­g­eu­ro­pa-Pod­cast.

Auch Ellen Kositza und ich haben den Pho­no­phor erwähnt, als wir die 116. Sezes­si­on in einem kur­zen Video vor­stell­ten. Dabei ist neben mei­ner Pro­jek­ten grund­sätz­lich ent­ge­gen­ge­brach­ten Skep­sis die Freu­de über die Kon­ti­nui­tät und Qua­li­tät die­ser Bei­la­ge zu kurz gekom­men. Leser frag­ten, ob ich den Pho­no­phor wie­der ein­stel­len wol­le. Aber nein, im Gegen­teil! Wie schon oft, sind wir auch auf die­sem Feld Pio­nie­re und machen, was fehlte.

Um ein wei­te­res Miß­ver­ständ­nis aus­zu­räu­men: Der 4. Pho­no­phor wird jeder 116. Sezes­si­on bei­gelegt, egal ob im Abon­ne­ment oder als Ein­zel­heft erwor­ben – jedoch nur, solan­ge der Vor­rat reicht. (Er ist auf 25 Hef­te geschrumpft.) Bestel­len kann man hier.

Der Ring Frei­heit­li­cher Stu­den­ten (RFS) aus Wien hat mich zu einem Vor­trag an die Uni­ver­si­tät ein­ge­la­den. Man hat das Recht auf öffent­li­che Ver­an­stal­tun­gen in Hör­sä­len, wenn man im Hoch­schul­par­la­ment ver­tre­ten ist, und die­ses Recht will der RFS am 17. Novem­ber wahr­neh­men. Zwar hat die Uni­ver­si­täts­lei­tung den Ver­trag für die­se Ver­an­stal­tung umge­hend gekün­digt, nach­dem bekannt wur­de, daß ich dort vor­tra­gen sol­le. Aber gegen die­se Kün­di­gung wird nun geklagt.

Ich wer­de am 17. auf jeden Fall pünkt­lich an der Uni­ver­si­tät sein und den ver­ein­bar­ten Vor­trag über das Buch Fah­ren­heit 451 von Ray Brad­bu­ry in der Tasche haben. Feu­er­wehr­mann Mon­tag ist eine unse­rer Iko­nen, denn er steht fast allein neben der beläm­mer­ten Mas­se und gegen ihre Domp­teu­re, die das Lesen ver­bo­ten und fast alle Bücher ver­brannt haben. Er steht aber nicht ganz allein, denn man erkennt ein­an­der am Hun­ger auf ande­re Kost als die, die durch die Git­ter­stä­be gereicht wird. Man tas­tet ein­an­der ab, man faßt Ver­trau­en, man sieht eine Lebenstür.

Unse­re Sze­ne hat für Dys­to­pien viel übrig, sie ist hell­hö­rig, hat das geschul­te Gehör derer, die auf­ge­wacht sind und die Schrit­te der Wär­ter stu­die­ren. Legen wir uns wie­der hin oder klop­fen wir die Wän­de ab? Lesen wir, daß es anders sein könn­te oder lie­fern wir die Bücher an die­je­ni­gen ab, die selbst die Erin­ne­rung an sie noch til­gen möch­ten? Begrei­fen wir unser Leben als gol­de­nen Käfig oder sehen wir die Stä­be nicht mehr?

Es gibt unter Umstän­den kein Recht auf den ande­ren Ton an der Uni­ver­si­tät, so naiv bin ich nicht. Aber es wird drin­gend Zeit für einen ande­ren Ton, und wir erhe­ben Anspruch dar­auf. Wenn es also die Mög­lich­keit gibt, sich Zutritt zu ver­schaf­fen und Platz zu neh­men, dann soll­ten wir sie ergreifen.

Wir ergrei­fen sie übri­gens als die­je­ni­gen, die davon berich­ten wol­len, wie schön und befrei­end es ist, sich geis­tig nichts von vorn­her­ein ver­bie­ten zu müs­sen. Ich bemit­lei­de die Ver­tre­ter der Can­cel cul­tu­re. Ich bemit­lei­de sie wirk­lich, denn sie haben sich selbst so vie­les ver­bo­ten, haben sich selbst mit Auf­pas­sern umstellt, sind ein­an­der zu Auf­pas­sern gewor­den, weil sie sich in einem Minen­feld wähnen.

Dabei sind sie bloß Mimo­sen und haben sich Hygie­ne­vor­schrif­ten unter­wor­fen, die das Leben und Lesen zu einer asep­ti­schen Sache machen.

Wir hin­ge­gen müs­sen nicht vor­ein­an­der recht­fer­ti­gen, mit wem wir spre­chen, was wir lesen, wem wir zuhö­ren und von wem wir ler­nen wol­len. Noch nie muß­te ich zu jeman­dem sagen, er sol­le ein Gespräch, das wir führ­ten, so behan­deln, als habe es nie stattgefunden.

Aber wie oft schon sag­ten mir die ver­ängs­tig­ten, ver­zwei­fel­ten, rat­lo­sen, zyni­schen, vor allem aber ver­meint­li­chen Geg­ner, mit denen ich mich traf, um Rede und Ant­wort zu ste­hen, daß das sozia­le Höl­len­tor geöff­net wür­de, käme ans Licht, mit wem sie sich gera­de austauschten.

Denen, die nun die Tür zum Hör­saal ver­na­geln wol­len, muß man die Angst neh­men. Leu­te: Es han­delt sich um einen Vor­trag. Es wird um einen der Klas­si­ker über die Selbst­er­mäch­ti­gung gehen, nach Büchern zu grei­fen, sie nicht zu ver­bren­nen, son­dern zu ret­ten und ihren Inhalt so zu ver­in­ner­li­chen, als sei man selbst die­ses Buch.

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Diens­tag, 31. Oktober

Zum ers­ten Mal in mei­nem Leben auf einer Galopp-Renn­bahn: Halle/Saale, Volks­fest­stim­mung, Gulasch und Bier, sie­ben Ren­nen. Was fas­zi­nier­te, wie bei Jägern: die ganz eige­ne Spra­che, die in den Ankün­di­gun­gen und Sie­ger­inter­views eben nicht gepflegt, son­dern ein­fach ver­wen­det wurde.

Da gaben Pfer­de ihr Lebens­de­büt, als begän­ne das Leben erst, wenn man die Renn­bahn betritt. Von Aus­gleichs­ren­nen und Han­di­caps war die Rede, und bei­des hat mit Gewich­ten zu tun, die den Pfer­den ange­hängt wur­den, damit auch ande­re eine Chan­ce bekä­men. Ein Mann knurr­te was von Blen­dern, die sei­ne Drei­er­wet­te ver­saut hät­ten. Dabei hing der Gaul samt sei­nem Jockey mit den gestreif­ten Far­ben bloß im Lot und konn­te nicht vorbei.

Eini­ge Besu­cher mach­ten auf Stil, also Tweed und Karo und Frau­en mit Sonn­tags­rei­ter­mo­de plus hohen Stie­feln und Sekt­glas. An den Wett­kas­sen end­lo­se Schlan­gen, und ein paar Män­ner mit Feld­ste­cher und Notiz­blö­cken setz­ten nicht aus Jux. Ich sprach einen an, aber das Miß­trau­en war grob.

An den Bier­ti­schen und auf der Tri­bü­ne lausch­te ich den Gesprä­chen: nicht ein poli­ti­sches Wort. Aber ein paar Handschläge.

Gespräch mit einem Sicher­heits­exper­ten aus Öster­reich. Er war für die UN-Frie­dens­trup­pe auf den Golan­hö­hen an der syri­schen Gren­ze und hat den Abzug der öster­rei­chi­schen Ein­hei­ten von dort im Jahr 2013 mit­ge­macht. Er ist mit einer Israe­lin ver­hei­ra­tet, lebt in Wien und ist oft in Tel Aviv – Sicher­heits­be­ra­tung für Import und Export.

Wir tra­fen uns in Leip­zig. Sei­ne Ant­wort auf mei­ne Fra­ge, ob Isra­el über­rascht wor­den sei am 7. Okto­ber, ver­blüff­te mich in ihrer Direkt­heit. Er sag­te ers­tens, es sei völ­lig aus­ge­schlos­sen, daß Isra­el im Vor­feld kei­ne Kennt­nis von die­sem Angriff gehabt habe, also wirk­lich völ­lig aus­ge­schlos­sen. Man habe es aus ver­schie­de­nen Grün­den gesche­hen lassen.

Da sind innen­po­li­ti­sche Grün­de zum einen, also Ablen­kung von inner­is­rae­li­scher Span­nung, und zum ande­ren außen­po­li­ti­sche Grün­de, näm­lich die Legi­ti­ma­ti­on für einen mani­fes­ten Gegen­schlag, für den es wie­der ein­mal an der Zeit gewe­sen sei.

Jedoch, zwei­tens: Isra­el habe die eige­ne Grenz­si­che­rung über­schätzt und sei von der Wucht und der Bru­ta­li­tät der Angrei­fer am Boden über­rum­pelt wor­den. Man habe falsch kal­ku­liert, weil man nur weni­ge habe ein­wei­hen kön­nen, also im Grun­de kaum jeman­den von denen, die den ers­ten Wel­len­bre­cher zu bil­den gehabt hätten.

Die Lage sei, drit­tens, mili­tä­risch für Isra­el gut, aber psy­cho­lo­gisch schlecht. Mili­tä­risch: Er selbst ken­ne kei­ne Armee, die am For­ma­len weni­ger inter­es­siert und zugleich so kon­se­quent auf Effek­ti­vi­tät aus­ge­rich­tet sei. Ich ver­mu­te­te, daß dies der Zustand sei, wenn Waf­fe und Bereit­schaft nicht hin­ter Kaser­nen­mau­ern abge­trennt, son­dern lebens­ge­gen­wär­tig sei­en. Er bestä­tig­te und füg­te hin­zu, daß aus die­sem Grund die His­bol­lah nicht wirk­lich ein­grei­fe: Man wür­de nicht das weni­ge an guten Waf­fen und Leu­ten opfern, das bes­ser sei als die Hamas, aber immer noch um Wel­ten schlech­ter als Israel.

Pro­ble­ma­tisch sei der Häu­ser­kampf, das Auf­räu­men in den kilo­me­ter­lan­gen Kata­kom­ben unter dem Schutt, den die Luft­waf­fe pro­du­ziert habe. Eine alte Leh­re aus dem 1. Welt­krieg schon: daß die Stel­lung unter einem ein­mal in sich zusam­men­ge­bro­che­nen Haus siche­rer sei als alles ande­re. Sol­che Höh­len­sys­te­me aus­zu­räu­men, das bedeu­te: Einer ist vor­ne­weg, da gäbe es kei­ne Alter­na­ti­ve, und wenn der nicht mehr sei, dann eben der zwei­te, dann der drit­te. Selbst die wirk­lich guten Ein­hei­ten kämen dabei an ihre Belastungsgrenze.

Psy­cho­lo­gisch sei Isra­el trotz über­wäl­ti­gen­der Lob­by­ar­beit bereits im Hin­ter­tref­fen: Die Hamas spie­le das Spiel mit den Gei­seln sehr geschickt, und die mehr als abschät­zi­gen und rück­sichts­lo­sen Äuße­run­gen höchst­ran­gi­ger israe­li­scher Poli­ti­ker und Mili­tär­an­ge­hö­ri­ger sei­en ein media­les Desas­ter. Aber das sei nicht ein­zu­he­gen: Das sei ehr­lich so gemeint, for­mal schnodd­rig und im Front-Slang derer, die wis­sen, was sie kön­nen, wer der Feind ist und was die­ser Feind täte, wenn er nur könnte.

Aber vier­tens: 350 000 ein­ge­zo­ge­ne, von der Arbeit abge­zo­ge­ne Reser­vis­ten, zig­tau­send aus dem Land geflüch­te­te Arbeits­kräf­te, und eben kei­ne Lehm­hüt­ten plus drei Zie­gen, son­dern eine moder­ne Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft. Jeder Tag ist ein öko­no­mi­sches Desas­ter für Isra­el, jeder Ver­lust reißt eine gra­vie­ren­de Lücke, nicht nur menschlich.

Eine Lösung sei nicht in Sicht. Die Sand­uhr wer­de umge­dreht, wie in der Sau­na. Irgend­wann, viel­leicht in sie­ben, viel­leicht in zehn Jah­ren rie­se­le dann das letz­te Körn­chen, und dann kra­che es wie­der. Aber nun sei man ja erst ein­mal mittendrin.

Sol­che Gesprä­che – was sind sie? Bestä­ti­gun­gen des Geahn­ten, ergänz­te Aspek­te, Ein­übung in eine frem­de Men­ta­li­tät. Vor allem: Berich­te aus der Fer­ne, zu denen man sich nicht ver­hal­ten muß. Wie ich schon schrieb (und der Sicher­heits­be­ra­ter, der mei­nen Bei­trag gele­sen hat­te, bestä­tig­te die­se Sicht­wei­se fast schon emo­tio­nal): Isra­el braucht uns nicht.

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Sams­tag , 29. Oktober

1999 erreich­te der dama­li­ge Außen­mi­nis­ter Josch­ka Fischer auf dem Son­der­par­tei­tag der Grü­nen im Mai die Zustim­mung sei­ner Par­tei zum Angriff der Nato auf Ser­bi­en und zum Ein­marsch in den Koso­vo. Er argu­men­tier­te damals auf der meta­po­li­tisch jahr­zehn­te­lang vor­be­rei­te­ten Grund­la­ge, daß es nie wie­der zu Faschis­mus und zu Ausch­witz kom­men dürfe.

Meta­po­li­ti­sche Vor­be­rei­tung bedeu­te­te in die­sem Fall, daß die­se Begrif­fe los­ge­löst von ihrer his­to­ri­schen Ein­bet­tung in eine Epo­che zu Chif­fren gewor­den waren. Ihre Wir­kung beruh­te nicht auf Nach­voll­zieh­bar­keit eines statt­haf­ten Ver­gleichs, son­dern auf scho­ckie­ren­der Über­wäl­ti­gung und der Nicht­hin­ter­frag­bar­keit eines Glaubenssatzes.

Nur von der zivil­re­li­giö­sen Auf­la­dung sol­cher kol­lek­ti­ver deut­scher Schuld her ist zu erklä­ren, wie der dis­si­den­te Jour­na­list Juli­an Rei­chelt mit dem Ver­weis auf die Bom­bar­die­rung deut­scher Städ­te die Bom­bar­die­rung des Gaza-Strei­fens durch Isra­el recht­fer­tigt. Am 25. Okto­ber kom­men­tier­te Rei­chelt im Sen­der NIUS:

Bri­ten und Ame­ri­ka­ner hiel­ten es für gebo­ten und mora­lisch ver­tret­bar, den Wil­len der deut­schen Zivil­be­völ­ke­rung durch Flä­chen­bom­bar­de­ments von Städ­ten zu bre­chen. Sie nah­men den Tod hun­dert­tau­sen­der Zivi­lis­ten nicht nur in Kauf, sie ver­ur­sach­ten ihn ganz bewusst, weil sie der (rich­ti­gen) Über­zeu­gung waren, dass es ein befrei­tes und fried­li­ches Euro­pa nur geben kön­ne, wenn Deutsch­land in jeder Hin­sicht gebro­chen wäre.

Rei­chelt steht mit die­ser Argu­men­ta­ti­on nicht nur jen­seits roter Lini­en, die das Kriegs­völ­ker­recht mar­kiert (wobei gleich ange­merkt sei, daß sich der­je­ni­ge, der kann, was er will, um die­ses Recht noch nie groß scher­te); er über­nahm die­sen Offen­ba­rungs­eid vom ehe­ma­li­gen israe­li­schen Pre­mier­mi­nis­ter Naf­ta­li Ben­nett, der bereits am 13. Okto­ber die Fra­ge eines Jour­na­lis­ten nach zivi­len Opfern im Gaza-Strei­fen mit den Wor­ten zurückwies:

Fra­gen Sie mich ernst­haft wei­ter nach paläs­ti­nen­si­schen Zivi­lis­ten? Haben Sie nicht gese­hen, was los ist? Wir bekämp­fen Nazis.

Und wei­ter:

Als Groß­bri­tan­ni­en im Zwei­ten Welt­krieg die Nazis bekämpft hat, hat auch kei­ner gefragt, was in Dres­den los ist. Die Nazis haben Lon­don ange­grif­fen und ihr habt Dres­den ange­grif­fen. Des­halb: Schan­de über Sie, wenn Sie mit die­sem fal­schen Nar­ra­tiv weitermachen.

Ich bin mir nicht sicher, wie wir­kungs­voll die­se Absi­che­rungs­chif­fren heu­te noch sind und ob nicht “Dres­den” als Wort doch einen ande­ren Bei­klang hat als den, der Rei­chelt und Ben­nett im Ohr sit­zen mag. Flo­renz und Elbe und “Wie liegt die Stadt so wüst” klin­gen mit.

Alte Hebel, die so spie­lend ange­setzt wer­den konn­ten und funk­tio­nier­ten, sind jedoch lang­le­bi­ges Gerät. Und so hat ges­tern der israe­li­sche Außen­mi­nis­ter Eli Cohen die (wie­der­um nicht bin­den­de) Reso­lu­ti­on der UN-Voll­ver­samm­lung, die­sen Auf­ruf zur Scho­nung der Zivil­be­völ­ke­rung und zu einem Ende der Kämp­fe, mit den­sel­ben Ver­wei­sen zurückgewiesen.

Wir leh­nen den ver­ab­scheu­ungs­wür­di­gen Ruf der UN-Gene­ral­ver­samm­lung nach einem Waf­fen­still­stand ent­schie­den ab. Isra­el beab­sich­tigt, die Hamas zu eliminieren.

Denn so sei die Welt auch mit den Nazis und der Ter­ror­mi­liz Isla­mi­scher Staat (IS) ver­fah­ren. Des­halb sei die Reso­lu­ti­on ein „dunk­ler Tag für die UN und für die Mensch­heit“, der mit Schan­de in die Geschich­te ein­ge­hen wer­de. (Deutsch­land ent­hielt sich.)

Las ges­tern im neu­en Heft der noch wenig bekann­ten Zeit­schrift CRISIS, einem erst im Vor­jahr gegrün­de­ten “Jour­nal für christ­li­che Kul­tur”. Ver­ant­wort­li­cher Redak­teur ist Gre­gor Fern­bach, der auch den Ver­lag Hagia Sophia betreibt. Dort wird unter ande­rem das Werk des rus­si­schen Phi­lo­so­phen Iwan Iljin gepflegt.

Unse­re Leser haben vor allem nach sei­ner zen­tra­len Schrift Über den gewalt­sa­men Wider­stand gegen das Böse gegrif­fen, und natür­lich ist in der neu­en Aus­ga­be ein Bei­trag über die Gedan­ken­füh­rung die­ses Buches ent­hal­ten. Denn CRISIS 6 beschäf­tigt sich mit dem The­ma “Krieg”.

Das Heft ist in mehr­fa­cher Hin­sicht inter­es­sant. Ich mag es, wenn nicht kom­men­tiert, son­dern zusam­men­ge­tra­gen wird, wenn man etwas lernt und erfährt.

So war mir unter ande­rem die Ver­tie­fung der Glau­bens­spal­tung in der Ukrai­ne nicht bewußt, obwohl ich frü­her in Dör­fern war, in denen neben der Ukrai­nisch-Ortho­do­xen Kir­che (UOK) auch eine grie­chisch-katho­li­sche Kir­che stand. Die­se vor allem west­ukrai­ni­sche Abspal­tung rührt aus dem Jahr 1596, in dem sich die­ser Teil der alten Kie­wer Rus dem pol­nisch-litaui­schen Bund unter­warf und kirch­lich Kon­stan­ti­no­pel ver­ließ und Rom aner­kann­te. Die Lit­ur­gie blieb orthodox.

2018 kam es zu einem zwei­ten Schis­ma, näm­lich zur Grün­dung eines eigen­stän­di­gen, vom rus­si­schen Patri­ar­chat unab­hän­gi­gen ortho­do­xen Kir­chen­tums der Ukrai­ne. Die bei Ruß­land ver­blie­be­ne Ortho­do­xie (die UOK) lös­te sich 2022 eben­falls von Mos­kau – ein tak­ti­scher Schritt, der jedoch nichts aus­trug: Seit Dezem­ber ist sie fak­tisch ver­bo­ten, bekam sofort die Nut­zungs­rech­te im welt­be­rühm­ten Kie­wer Höh­len­klos­ter ent­zo­gen und wird seit Juni auch aus den letz­ten, ihr ver­blie­be­nen Klau­sen und Kir­chen vertrieben.

Im CRI­SIS-Heft schrei­ben Mat­thi­as Matus­sek und die Jour­na­lis­tin Nina Byzan­ti­nia über die­se Vor­gän­ge. Letz­te­re spielt mit ihrem Ver­such, der katho­lisch-grie­chi­schen Kir­che eine inten­si­ve Kon­takt­schuld zum Drit­ten Reich nach­zu­wei­sen, mit dem Feu­er. Man muß nicht tief gra­ben, um Ver­stri­ckun­gen auf allen Sei­ten zu finden.

Dezi­diert ist der Bei­trag Ben­ja­min Kai­sers, der von Eng­land aus mit­ar­bei­tet und sei­nen Bei­trag “Der geis­ti­ge Kampf” mit den Sät­zen beginnt, daß ein tota­ler Krieg tobe, von dem jeder ein­zel­ne betrof­fen sei: Es sei ein Krieg, in dem die eine Sei­te macht­voll behaup­te, daß der Mensch sein kön­ne und sol­le wie Gott, wäh­rend die ande­re Sei­te in die­sem geis­ti­gen Kampf die hei­li­gen Zei­chen auf­ge­rich­tet hal­te oder wie­der auf­rich­te – und zwar zunächst und vor allem in sich selbst.

Sei­en noch der lan­ge, grund­le­gen­de Bei­trag des mir bis­her nicht bekann­ten Publi­zis­ten Wolf­gang Vasicek erwähnt, der den “Krieg als Ereig­nis” und sei­ne “Ein­gren­zung und Ent­gren­zung” sehr kennt­nis­reich und lek­tü­re­ge­sät­tigt behan­delt, außer­dem das Edi­to­ri­al, das die Tra­di­ti­on einer “Seg­nung der Waf­fen” aus­leuch­tet, und das Inter­view mit Ulri­ke Gué­rot, das von Redak­teu­rin Bei­le Ratut geführt wird.

CRISIS ver­folgt einen kon­se­quent christ­li­chen, vor allem ortho­do­xen und west-kri­ti­schen Kurs. Das ist im deutsch­spra­chi­gen Raum eine Lücke, und sie wird nun gefüllt. Heft 6 ist soeben erschie­nen, umfaßt 88 Sei­ten, kos­tet 12.50 € und kann hier bestellt wer­den. Auch ein Abon­ne­ment kann man dort zeichnen.

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

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