Wußte Israel vom Angriff der Hamas? Eine Zusammenstellung.

Es gibt Leser, die ziemlich allergisch auf meine Darstellung reagierten, es könne durchaus denkbar sein, daß die israelischen Autoritäten den Hamas-Angriff geschehen ließen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Damals im Okto­ber war ich gewiß nicht der ein­zi­ge Mensch auf der Welt, der sich gewun­dert hat, daß sich die israe­li­schen Geheim­diens­te und Mili­tärs von einem Angriff in einer der­ar­ti­gen Grö­ßen­ord­nung über­rum­peln lie­ßen, zumal die Gren­ze zu Gaza eine der am schärfs­ten über­wach­ten auf der gan­zen Welt ist.

Eines der ers­ten Vide­os zu die­ser Fra­ge, das ich sah, war ein Inter­view mit der israe­li­schen Jour­na­lis­tin Efrat Fenigson (9. 10.). Das hat mich voll­ends über­zeugt, daß hier eine Art “Gesche­hen­las­sen” statt­ge­fun­den haben muß. Auf die Fra­ge, ob der Mos­sad “geschla­fen” habe, sag­te sie:

Das ist genau mei­ne Fra­ge, weil ich vor 25 Jah­ren in der Armee und im Nach­rich­ten­dienst gedient habe, und ich ken­ne die Sicher­heits­übun­gen. Ich ken­ne die ver­schie­de­nen Ver­tei­di­gungs­ebe­nen. Ich ken­ne die Ein­satz­kräf­te am Boden. Ich ken­ne die ver­schie­de­nen Divi­sio­nen, die eigent­lich im Alarm­zu­stand sein soll­ten und die über sol­che Din­ge Bescheid wis­sen sollten.

Und da gibt es ein gro­ßes Fra­ge­zei­chen, was mit dem israe­li­schen Geheim­dienst los war. Es war ein Hamas-Sol­dat, der ges­tern gefaßt wur­de, und er hat in sei­ner Befra­gung gesagt, “Wir haben uns über ein Jahr vor­be­rei­tet.” Ok: Wenn sie sich über ein Jahr lang vor­be­rei­tet haben, dann ist es höchst unwahr­schein­lich, daß die Nach­rich­ten­diens­te von Isra­el, der Mos­sad, der Scha­bak [direkt Netan­ja­hu unter­stellt] und alle ande­ren nichts davon wußten.

“Es hat fünf Stun­den gedau­ert, bis Isra­el ange­fan­gen hat, auf uns zu schie­ßen”, sagt er [ der gefan­ge­ne Hamas-Sol­dat]. Und es ist wahr. Da war nichts für fünf gan­ze Stun­den. Der Grenz­zaun war kom­plett offen an 15 ver­schie­de­nen Orten, wo sie durch­bra­chen, und es gab kei­ne Heli­ko­pter, kei­ne Droh­nen, kei­ne Artil­le­rie, nichts.

Und sie haben selbst gesagt, also der Mann, der gefaßt wur­de: “Wir waren bereit mit 1000 Sol­da­ten. Wir haben 15 Durch­brü­che im Grenz­zaun geschaf­fen. Wir waren über­rascht und geschockt, daß die IDF uns nicht erwarteten.”

Ich habe damals, vor 25 Jah­ren, nahe an der Gren­ze zu Gaza gedient, und als ich dort war, gab es kein Inter­net. Jetzt ist alles viel aus­ge­klü­gel­ter. Aber sogar dann, als ich da war, hät­te schon eine Kat­ze beim Zaun alle not­wen­di­gen Ein­satz­kräf­te auf den Plan geru­fen. Heu­te gibt es auto­ma­ti­sche Maschi­nen­ge­weh­re, die auf alles schie­ßen, was sich dem Zaun nähert. Es gibt Heli­ko­pter, Droh­nen, alles mög­li­che, und wie ich sag­te, nichts hat funktioniert.

Das ist eine wich­ti­ge Fra­ge: Wie kann es sein, daß es kei­ne Reak­ti­on, kei­ne Ver­gel­tung gab, über einen Zeit­raum vom fünf bis sechs Stun­den? Das ist sehr unty­pisch und ungewöhnlich.

Nor­man Fin­kel­stein, ein jüdi­scher Kri­ti­ker Isra­els und mili­tan­ter Par­tei­gän­ger der paläs­ti­nen­si­schen Sache, gab die­ser Fra­ge einen beson­de­ren Dreh. In einem Live-Auf­tritt mit Aaron Maté (9. 11.) kämpf­te er sicht­lich mit kogni­ti­ver Dissonanz:

Wenn es einen Aspekt des israe­li­schen Mili­tärs gibt, der sein Mar­ken­zei­chen ist, dann sind es sei­ne nach­rich­ten­dienst­li­chen Fähig­kei­ten, die Art von High-Tech-Genia­li­tät, die man nor­ma­ler­wei­se mit die­sem Über­men­schen-Staat in Ver­bin­dung bringt. Und doch, in einer… Art von Cle­ver­ness, die man sich nur schwer vor­stel­len kann…

Gaza ist, wie jeder in die­sem Raum weiß, ein win­zi­ges Stück­chen Land. Und es war das am stärks­ten über­wach­te Stück Land auf Got­tes Erde. Und es wur­de mit der aus­ge­feil­tes­ten Über­wa­chungs­tech­no­lo­gie über­wacht, die die Mensch­heit kennt. Unser Wis­sen dar­über, was genau am 7. Okto­ber geschah, ist ziem­lich lücken­haft. Aber wir wis­sen, zumin­dest nach Anga­ben der Hamas, die wahr­schein­lich stim­men, daß sie ihre Ope­ra­ti­on seit zwei Jah­ren geplant und auf ver­schie­de­ne Wei­se aus­pro­biert haben.

Hin­zu käme die Tat­sa­che, daß es, da “in Gaza jeder mit jedem ver­wandt” sei, eine “Men­ge Inter­ak­ti­on auf sehr klei­nem Raum” gäbe und der Land­strich von “Kol­la­bo­ra­teu­ren” und Spit­zeln gespickt sei.

Den nahe­lie­gen­den Schluß kann Fin­kel­stein aus ideo­lo­gi­schen oder affek­ti­ven Grün­den nicht zie­hen, weil er sich offen­sicht­lich zu sehr an der Vor­stel­lung ergötzt, daß es die Paläs­ti­nen­ser tat­säch­lich aus eige­nen Stü­cken geschafft haben, den von ihm lei­den­schaft­lich geh­aß­ten, über­mäch­ti­gen Staat Isra­el zu überlisten.

Des­halb nimmt er auch an, daß sich die Israe­lis, denen er eine Art “Herrenmenschen”-Gehabe vor­wirft, auf­grund der uner­war­te­ten Demü­ti­gung durch die ara­bi­schen “Unter­men­schen” gezwun­gen sahen, nun beson­ders bru­tal durch­zu­grei­fen, um ihr beschä­dig­tes Abschre­ckungs­po­ten­zi­al gegen­über der ara­bi­schen Welt wie­der herzustellen.

Es gab schon früh wei­te­re Unge­reimt­hei­ten. Am 9. 10. berich­te­te die Times of Isra­el, der ägyp­ti­sche Geheim­dienst habe Isra­el kurz vor dem Anschlag mehr­fach gewarnt, daß eine “gro­ße Sache” im Anrol­len sei. Dabei sei Ben­ja­min Netan­ja­hu direkt kon­tak­tiert wor­den (was von sei­nem Büro abge­strit­ten wird).

In einer der besag­ten War­nun­gen rief der ägyp­ti­sche Geheim­dienst­mi­nis­ter Gene­ral Abbas Kamel Netan­ja­hu nur zehn Tage vor dem mas­si­ven Angriff per­sön­lich an, daß die Bewoh­ner des Gaza­strei­fens wahr­schein­lich “etwas Unge­wöhn­li­ches tun wür­den, eine schreck­li­che Ope­ra­ti­on”, so die Nach­rich­ten­sei­te Ynet.

Nicht nament­lich genann­te ägyp­ti­sche Beam­te teil­ten der Netz­sei­te mit, sie sei­en scho­ckiert über Netan­ja­hus Gleich­gül­tig­keit gegen­über den Nach­rich­ten und sag­ten, der Minis­ter­prä­si­dent habe dem Minis­ter gesagt, das Mili­tär sei mit den Pro­ble­men im West­jor­dan­land “beschäf­tigt”.

Eben­falls am 9. Okto­ber berich­te­te die­sel­be Zei­tung, daß Yigal Car­mon, der Chef des MEM­RI-Insti­tuts, bereits Ende August aku­te “Anzei­chen für einen mög­li­chen Krieg im Sep­tem­ber-Okto­ber” kon­sta­tiert hatte.

Am 13. Okto­ber mel­de­te CNN, daß bereits am 28. Sep­tem­ber, am 5. Okto­ber und am 6. Okto­ber War­nun­gen vor gestei­ger­ter Hamas-Akti­vi­tät sei­tens des CIA aus­ge­ge­ben wur­den. Unklar sei, ob die­se Infor­ma­tio­nen und Ein­schät­zun­gen Isra­el mit­ge­teilt wurden.

 

Anfang Novem­ber the­ma­ti­sier­ten die Medi­en auch die Tat­sa­che, daß “freie Mit­ar­bei­ter von CNN, New York Times, Reu­ters und AP aus Gaza so schnell an die Orte des Grau­ens” gelangt sei­en, was ver­mu­ten läßt, daß sie Vor­wis­sen hat­ten. Ist es rea­lis­tisch anzu­neh­men, daß die­se Jour­na­lis­ten mehr wuß­ten und es schnel­ler wuß­ten als die israe­li­schen Geheimdienste?

Gleich­sam inter­na­tio­nal “offi­zi­ell” wur­de die Tat­sa­che, daß Isra­el schon lan­ge von den Angriffs­plä­nen wuß­te, von der New York Times bestä­tigt, wor­über auch der Stan­dard berich­ten mußte:

Isra­el soll schon seit einem Jahr von Hamas-Angriffs­plä­nen gewusst haben. – Laut einem Bericht der “New York Times” sol­len seit einem Jahr recht genaue Details der geplan­ten Hamas-Atta­cke vor­ge­le­gen sein. In Isra­el habe man die­se für unrea­lis­tisch gehalten.

Schau­en wir uns ein­mal, was im Ori­gi­nal­ar­ti­kel steht, erschie­nen am 30. November:

Aus Doku­men­ten, E‑Mails und Inter­views geht her­vor, daß israe­li­sche Beam­te den Schlacht­plan der Hamas für den Ter­ror­an­schlag vom 7. Okto­ber mehr als ein Jahr vor der Tat erhiel­ten. Doch israe­li­sche Mili­tär- und Geheim­dienst­be­am­te taten den Plan als zu ambi­tio­niert ab und trau­ten der Hamas nicht zu, ihn auszuführen.

Das etwa 40-sei­ti­ge Doku­ment, das von den israe­li­schen Behör­den mit dem Code­na­men “Jeri­cho Wall” ver­se­hen wur­de, skiz­zier­te Punkt für Punkt genau die Art der ver­hee­ren­den Inva­si­on, die zum Tod von etwa 1.200 Men­schen führte.

Das über­setz­te Doku­ment, das von der New York Times ein­ge­se­hen wur­de, nann­te kein Datum für den Angriff, son­dern beschrieb einen metho­di­schen Angriff, der dar­auf abziel­te, die Befes­ti­gun­gen rund um den Gaza­strei­fen zu über­wäl­ti­gen, israe­li­sche Städ­te ein­zu­neh­men und wich­ti­ge Mili­tär­stütz­punk­te zu stür­men, dar­un­ter ein Divisionshauptquartier.

Die Hamas folg­te dem Plan mit scho­ckie­ren­der Prä­zi­si­on. Das Doku­ment sah einen Rake­ten­be­schuss zu Beginn des Angriffs vor, Droh­nen, die die Sicher­heits­ka­me­ras und auto­ma­ti­schen Maschi­nen­ge­weh­re ent­lang der Gren­ze aus­schal­ten soll­ten, und Bewaff­ne­te, die in Mas­sen mit Gleit­schir­men, auf Motor­rä­dern und zu Fuß nach Isra­el ein­drin­gen soll­ten – all das geschah am 7. Oktober.

Der Plan ent­hielt auch Ein­zel­hei­ten über den Stand­ort und die Grö­ße der israe­li­schen Streit­kräf­te, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kno­ten­punk­te und ande­re sen­si­ble Infor­ma­tio­nen, was Fra­gen dar­über auf­wirft, wie die Hamas ihre Infor­ma­tio­nen sam­mel­te und ob es undich­te Stel­len inner­halb des israe­li­schen Sicher­heits­ap­pa­rats gab.

Das Doku­ment zir­ku­lier­te in wei­ten Krei­sen des israe­li­schen Mili­tärs und des Geheim­diens­tes, aber Exper­ten kamen zu dem Schluß, daß ein Angriff die­ses Aus­ma­ßes die Fähig­kei­ten der Hamas über­steigt, wie aus Doku­men­ten und offi­zi­el­len Stel­len her­vor­geht. Es ist unklar, ob Pre­mier­mi­nis­ter Ben­ja­min Netan­ja­hu oder ande­re füh­ren­de Poli­ti­ker das Doku­ment eben­falls gese­hen haben.

Nicht nur das: Im Juli die­ses Jah­res soll “eine erfah­re­ne Ana­lys­tin” des israe­li­schen Nach­rich­ten­diens­tes Unit 8200 die War­nung aus­ge­spro­chen haben, die Hamas habe “eine inten­si­ve, ein­tä­gi­ge Trai­nings­übung durch­ge­führt”, die dem “Jeri­cho Wall”-Plan zu ähneln schien.

Und dann geschah folgendes:

Doch ein Oberst der Gaza-Divi­si­on wies ihre Beden­ken zurück, wie aus ver­schlüs­sel­ten E‑Mails her­vor­geht, die die Times ein­se­hen konnte.

“Ich wei­se ent­schie­den zurück, daß das Sze­na­rio ima­gi­när ist”, schrieb die Ana­lys­tin in dem E‑Mail-Aus­tausch. Die Hamas-Übung ent­spre­che voll und ganz “dem Inhalt des Jeri­cho-Mau­er-Plans”, so die Analystin.

“Es ist ein Plan, der dar­auf abzielt, einen Krieg zu begin­nen”, füg­te sie hin­zu. “Es han­delt sich nicht nur um einen Über­fall auf ein Dorf”.

Die New York Times war nicht das ers­te Medi­um, das über die­se Leaks berich­te­te. Ein frü­he­rer Arti­kel der  Times of Isra­el ent­hält Details, die im spä­te­ren Bei­trag der NYT nicht auf­tau­chen, etwa, daß paläs­ti­ne­si­sche Grup­pen Übungs­an­grif­fe auf Attrap­pen­dör­fer und ‑kib­bu­zim durch­ge­führt hätten.

Aus meh­re­ren Berich­ten der letz­ten Tage geht her­vor, daß Isra­el wuß­te, daß die Hamas israe­li­sche Dör­fer nach­ge­baut hat­te, um für einen Groß­an­griff zu trai­nie­ren, und daß sie eine groß­an­ge­leg­te Übung sogar mit den Wor­ten been­de­te: “Wir haben die Tötung aller Kib­buz­be­woh­ner abge­schlos­sen”, aber die War­nun­gen der Geheim­diens­te wur­den weit­ge­hend als “Fan­ta­sie” abge­tan. (…) Aus einer Rei­he von E‑Mails, die in der letz­ten Woche an die hebrä­isch­spra­chi­gen Medi­en gele­akt wur­den, geht her­vor, daß die Sol­da­ten des Geheim­diens­tes vor Ort sich der Bedro­hun­gen sehr wohl bewußt waren, ihre War­nun­gen aber letzt­lich nicht beach­tet wurden.

Die Zita­te aus der E‑Mail der Nach­rich­ten­dienst-Vete­ra­nin “Vav” (das Initi­al ihres Vor­na­mens) sind aus­führ­li­cher und expli­zi­ter als im NYT-Artikel:

Vav ant­wor­te­te auf die E‑Mail, daß sie “die Mög­lich­keit, daß es sich um ein Fan­ta­sie-Sze­na­rio han­delt, kate­go­risch ablehnt. Ich kann mir nicht vor­stel­len, daß dies nur dazu dient, eine ima­gi­nä­re Situa­ti­on zu üben und die Moral zu heben. Ich glau­be, daß die­ses Sze­na­rio sehr real ist, vor allem weil die Hamas über die mili­tä­ri­schen Fähig­kei­ten verfügt”.(…)

Sie beschrieb sogar, dass die Hamas-Füh­rer den Befehl gaben, “sich dar­auf vor­zu­be­rei­ten, die jüdi­schen Schwei­ne zu töten” und “sich dar­auf vor­zu­be­rei­ten, hin­ein­zu­ge­hen und ihre Köp­fe abzuschneiden”.

“Sie berei­ten sich mit gro­ßen Kräf­ten auf ein gro­ßes Ereig­nis vor. Dies ist nicht nur eine Demons­tra­ti­on von Fähig­kei­ten, son­dern eine Vor­be­rei­tung auf die wirk­li­che Sache”, schloß sie.

Der ver­ant­wort­li­che Oberst, der die­se Mail erhielt, ent­schied, daß es kei­nen Hand­lungs­be­darf gäbe.

Und so kam es, daß das israe­li­sche Mili­tär am Tag des Angriffs völ­lig unvor­be­rei­tet und stun­den­lang nicht imstan­de war, effek­tiv einzuschreiten.

Man­che behaup­ten nun, es wäre “Sexis­mus” gewe­sen, der dazu geführt habe, daß man der Ana­lys­tin nicht geglaubt hat. Und nicht nur ihr, son­dern ande­ren Sol­da­tin­nen, die an der Gren­ze sta­tio­niert waren.

Die Frank­fur­ter Rund­schau berich­te­te, der israe­li­schen Zei­tung Haa­retz vom 20. 11. fol­gend, am 24.11., also noch vor den Ent­hül­lun­gen der New York Times:

Min­des­tens drei Mona­te vor dem Angriff der isla­mis­ti­schen Hamas auf Isra­el am 7. Okto­ber, hät­ten Mit­glie­der des von Frau­en geführ­ten Auf­klä­rungs­trupps von kämp­fe­ri­schen Akti­vi­tä­ten ent­lang der Gren­ze nach Gaza berich­tet. Die Sol­da­tin­nen sind direkt an der israe­lisch-paläs­ti­nen­si­schen Gren­ze sta­tio­niert – trotz­dem sei­en sie von hohen Mili­tärs igno­riert worden.

Die Über­wa­chungs­sol­da­tin­nen berich­te­ten vor dem Krieg in Isra­el regel­mä­ßig von Übun­gen der Hamas-Kämp­fer an der Gren­ze zu Isra­el. „Sie fin­gen an, jeden Tag Droh­nen zu sen­den, manch­mal mehr­mals am Tag, direkt an die Gren­ze“, sagt eine der Sol­da­tin­nen der Haa­retz dai­ly. Die Droh­nen sei­en zeit­wei­se nur noch „300 Meter vom Zaun ent­fernt“ gewe­sen „und manch­mal weni­ger als das“.

Die Kampf­übun­gen hät­ten schon ein­ein­halb Mona­te vor dem Krieg zwi­schen Isra­el und der Hamas begon­nen. „Sie hat­ten ein exak­tes Modell eines Beob­ach­tungs­pos­tens, wie wir ihn ver­wen­den, errich­tet“, berich­tet eine Sol­da­tin. Auch Angrif­fe auf gepan­zer­te Fahr­zeu­ge, mit­hil­fe einer genau­en Nach­ah­mung des israe­li­schen Kampf­pan­zers Mer­ka­va 4, wur­den trai­niert. Außer­dem hät­ten Hamas-Kämp­fer Spreng­sät­ze in Löchern ent­lang der Gren­ze plat­ziert, gaben wei­te­re Sol­da­tin­nen an.

Nicht nur, dass die War­nun­gen der Frau­en igno­riert wur­den, sie selbst hat­te die israe­li­sche Armee am Tag des Angriffs der Hamas nicht infor­miert. „Es macht wütend! Wir sahen, was pas­sier­te, wir haben ihnen davon berich­tet und wir waren die­je­ni­gen, die ermor­det wur­den“, sagt Maya Desiat­nik im Inter­view mit dem israe­li­schen Sen­der Kan.

Laut Frank­fur­ter Rund­schau ist der

israe­li­sche Auf­klä­rungs­trupp eine rein weib­li­che Orga­ni­sa­ti­on. Sie wer­den auch als „Augen der Armee“ beschrie­ben und über­wa­chen die Gren­ze nach Gaza mit­hil­fe von Kame­ras und Sen­so­ren. So haben die Sol­da­tin­nen eine Stre­cke von 15 bis 30 Kilo­me­ter Land per­ma­nent im Blick.

Nun: Wenn der “Sexis­mus” der israe­li­schen Mili­tärs und Geheim­dienst­chefs wirk­lich so groß ist, daß sie Frau­en auch dann nicht glau­ben, wenn sie mehr­fach der­lei erns­te Din­ge berich­ten, war­um wer­den sie dann über­haupt bevor­zugt für Auf­klä­rungs­tä­tig­kei­ten eingesetzt?

Aber es kommt noch dicker. Dem New York Times-Arti­kel ging auch eine Repor­ta­ge der BBC vom 28. Novem­ber vor­aus, die mit kei­nem ein­zi­gen Wort die inkri­mi­nie­ren­den E‑Mail-Leaks und die alar­mier­te Nach­rich­ten­dienst­ve­te­ra­nin erwähnt. Ein Blick auf öff­fent­lich zugäng­li­che paläs­ti­nen­si­sche Tele­gram-Kanä­le habe genügt, um fol­gen­des festzustellen:

Aus einer Ana­ly­se der BBC geht her­vor, daß die Hamas über einen Zeit­raum von drei Jah­ren meh­re­re Trai­nings­übun­gen zur Pla­nung der Anschlä­ge vor den Augen Isra­els abhielt und die Bewei­se in den sozia­len Medi­en ver­öf­fent­lich­te. Wie konn­te die israe­li­sche Regie­rung dies also übersehen?

Der BBC-Prä­sen­ta­tor behaup­tet, das Beweis­ma­te­ri­al sei auf ver­schie­de­nen Pro­pa­gan­da­ka­nä­len auf Tele­gram ent­deckt wor­den. Sie zei­gen, daß Hamas im Ver­bund mit min­des­tens zehn ande­ren paläs­ti­nen­si­schen Grup­pen die Anschlä­ge “offen” geübt habe.

Es wur­de sogar ein Attrap­pen­dorf auf­ge­baut, um einen Über­fall zu simu­lie­ren, nur einen Kilo­me­ter vom Grenz­über­gang “Eretz” (im Nor­den Gazas) ent­fernt. Übungs­vi­de­os und Fotos (auf denen auch Gei­sel­nah­men zu sehen waren), wur­den schon im Dezem­ber 2022 auf dem Tele­gram­ka­nal von Hamas veröffentlicht.

Ein wei­te­res Video vom 12. Sep­tem­ber die­ses Jah­res, auf­ge­nom­men an einem wei­te­ren Übungs­ort im Süden Gazas, zeigt ähn­li­che Sze­nen: Hier wird geübt, in Häu­ser ein­zu­drin­gen und die Anwe­sen­den zu erschie­ßen. Die­ses Video sei im Sep­tem­ber sogar auf dem israe­li­schen Fern­seh­sen­der Kan 11 gezeigt worden.

Zusätz­lich habe es direk­te War­nun­gen von Hamas selbst gege­ben. Gezeigt wird ein Aus­schnitt von einer Pres­se­kon­fe­renz aus dem Jahr 2021, in der ein Paläs­ti­nen­ser­füh­rer damit prahl­te, daß “Isra­els Grenz­schutz sie nicht schüt­zen wer­de” (“…that Israel’s bor­der defen­ses would­n’t pro­tect it”).

Am Ende der Repor­ta­ge stellt der BBC-Prä­sen­ta­tor die berech­tig­te Frage:

Wie konn­te es also sein, daß die israe­li­schen Sol­da­ten vor Ort über­rascht wur­den, obwohl all dies in aller Öffent­lich­keit geschah?

Dann kommt ein Exper­te namens Andre­as Krieg (King’s Col­lege, Lon­don) zu Wort, der nur das Offen­sicht­li­che fest­stel­len konn­te, sofern man nicht gewillt ist, fins­te­re­re Vor­gän­ge anzu­neh­men, näm­lich, daß es sich hier um ein Geheim­dienst­ver­sa­gen han­delt. Man habe sich hin­ter einem Hi-Tech-Schutz­sys­tem, das Mil­li­ar­den Dol­lar gekos­tet hat, all­zu sicher gefühlt.

Am Ende des Berichts wird mit­ge­teilt, daß die IDF einer Nach­fra­ge der BBC aus­ge­wi­chen sei­en: Man sei gera­de damit beschäf­tigt, die Hamas zu besie­gen und müs­se die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge auf einen ande­ren Zeit­punkt verschieben.

Der BBC-Bericht wirft aber auch neue Fra­gen auf. Nicht nur ein Rät­sel ist, war­um die israe­li­schen Ent­schei­dungs­trä­ger die Angriffs­war­nun­gen igno­riert haben, son­dern auch, war­um Hamas & Co sich offen­bar nicht die gerings­te Mühe gemacht haben, zu ver­ber­gen, was sie vorhatten.

Ich ent­hal­te mich an die­ser Stel­le der Spekulationen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (39)

kikl

11. Dezember 2023 14:25

Das hört sich alles sehr vernünftig an, ist aber aus einem Grunde nicht ganz schlüssig. Ich habe mich irgendwann einmal mit dem Fall Barbarossa beschäftigt. Die UDSSR bzw. Stalin haben sich trotz unzähliger Warnungen über einen bevorstehenden Angriff der Wehrmacht vollkommen überrumpeln lassen - jenseits von der Tatsache, dass sie selbst einen Angriff plante. Das erscheint im Nachhinein auch unerklärlich, aber niemand käme wohl auf die Idee, Stalin habe absichtlich mehrere Armeen in den ersten Kriegsmonaten verloren. 
Das Problem mit Geheimdienstinformationen ist, dass sie häufig unzuverlässig und falsch sind. Wenn es diese und ähnliche Warnungen bereits gegeben hat und sie sind ohne Erfolg verstrichen, dann werden diese Informationen irgendwann einfach ignoriert. Das ist vermutlich in diesem Fall passiert.

ML: Klar, sie hatten ja auch nur Filmaufnahmen von Hamas selbst, wie sie üben, ein Kibbuz plattzumachen.

RMH

11. Dezember 2023 15:16

Es wird sicher eine Menge "aufzuarbeiten" geben, auch die gemeldeten, auffälligen Börsenspekulationen rund um den 07.10.2023 sind hier zu erwähnen. Es spricht für die Demokratie in Israel, dass von Anfang sehr konkrete Fragen gestellt wurden, wie konnte das passieren (wobei man gerade deshalb auch berücksichtigen darf, dass es starke Interessen in Israel gibt, Netanjahu zu Fall zu bringen). Ich bleibe bei dem, was ich bereits am 12.10.2023 geschrieben habe: "ich traue Israel - im Gegensatz zu anderen Ländern und Beteiligten - durchaus zu, dass im Nachgang zu der jetzt gebotenen "Einigkeit" auch intern noch Köpfe rollen. Damit wird der "Bibi", wenn er involviert war, nicht durchkommen." Und ergänze, dass zu einem "let it happen" immer auch 2 gehören, nämlich auch der, der die Chance zur Umsetzung seiner Brutalitäten eiskalt nutzt, wohlwissend, dass die Reaktion darauf in jedem Fall sehr hart für die Bevölkerung wird, für die er Verantwortung trägt. Ein etwaiges "let it happen" entschuldigt nichts von den Taten der Hamas, die am 07.10.2023 geschehen sind.

Le Chasseur

11. Dezember 2023 16:08

@kikl
"Das Problem mit Geheimdienstinformationen ist, dass sie häufig unzuverlässig und falsch sind. Wenn es diese und ähnliche Warnungen bereits gegeben hat und sie sind ohne Erfolg verstrichen, dann werden diese Informationen irgendwann einfach ignoriert. Das ist vermutlich in diesem Fall passiert."
Schön und gut. Aber das Merkwürdige ist ja nicht nur, dass die Sicherungsmaßnahmen nicht nur nicht erhöht wurden, sondern dass die standardmäßigen, bereits vorhandenen Sicherungsmaßnahmen nicht funktioniert haben. Die eine Journalistin sagt es doch klipp & klar:
"Heute gibt es automatische Maschinengewehre, die auf alles schießen, was sich dem Zaun nähert. Es gibt Helikopter, Drohnen, alles mögliche, und wie ich sagte, nichts hat funktioniert. [...] Wie kann es sein, daß es keine Reaktion, keine Vergeltung gab, über einen Zeitraum vom fünf bis sechs Stunden? Das ist sehr untypisch und ungewöhnlich."
Und das ist übrigens eine Parallele zu 9/11: Damals waren nämlich auch viele Sicherungssysteme außer Kraft gesetzt.

dojon86

11. Dezember 2023 17:52

Na ja, ich erinnere am die Tet Offensive 1968. Das war eine ungleich größere Operation. Trotzdem waren die Fronteinheiten nicht gewarnt. Möglicherweise war die Hoffnung der US Kommandeure, der Feind würde sich enttarnen. Das geschah auch. Die Tet Offensive endete mit der Vernichtung der lokalen Vietkong Strukturen.  Militärisch war es ein Sieg der US Armee und der ARVN. Politisch wurde die Schlacht in den Redaktionsstuben und auf den Campussen der Universitäten verloren. Es könnte doch sein, dass die Handelnden, (die israelische Regierung bzw. die Hamas) von ähnlichen Überlegungen ausgingen. Also konkret, das israelische Militär die Hoffnung hatte, die Hamas zu erledigen, und die Hamas, den Krieg zwar militärisch zu verlieren, aber politisch zu gewinnen.

Laurenz

11. Dezember 2023 17:57

Einfach nur Top-Recherche. Die Manöver-Übungen der Hamas sind aber kein Nachweis für irgendwas. Die BunteWehr übt seit 1955, und? Irgendein Trottel bei der Hamas hat den Angriffsbefehl gegeben. Das ist der Unterschied zum Manöver. Jetzt steht die Israelische Armee in Gaza, hat mehr 22.000 Ziele angegriffen & mehr als 7.000 Hamas-Kämpfer in den 7ten Himmel Mohammeds geschickt. Wäre das ohne den Angriff der Hamas möglich gewesen? Stellt sich nicht vielmehr die Frage, warum die Hamas-Führung den Angriffs-Befehl gab & viel weniger die Frage, ob in Israel jemand versagt hat? Welche Erwartungen waren denn auf Seiten der Hamas perspektivisch mit dem Angriff verbunden? Haben sich diese Erwartungen erfüllt oder handelt es sich wieder mal um den berühmten Griff ins Klo? Ist die Hamas-Führung von Israel geschmiert worden? ZB die Berichterstattung des Relotius benutzt den alten Trick, wieder in die persönliche Berichterstattung über einzelne zu gehen. Schicksale zeigen beim Leser Wirkung, im Gegensatz zu meist abstrakten Zahlen der Kriegsberichterstattung. Läßt sich heutzutage das Israelische Militär tatsächlich von den Amis kommandieren, was sagen? Früher jedenfalls nicht, wie der Israelische Angriff auf die USS Liberty im 6Tage-Krieg anschaulich macht. 

Laurenz

11. Dezember 2023 18:05

@Kikl ... mit dem Fall Barbarossa beschäftigt. Die UDSSR bzw. Stalin haben sich trotz unzähliger Warnungen über einen bevorstehenden Angriff der Wehrmacht vollkommen überrumpeln lassen - jenseits von der Tatsache, daß sie selbst einen Angriff plante. ... Halten Sie Stalin für dämlich? Über 70 KGB/NKWD - Hinweise sind dokumentiert. Der Trick der Deutschen, um dieses inagile Ergebnis in Stalins Handlungsweise zu erzielen, war einfach & teuer zugleich. Hitler ließ keine Winterausrüstung produzieren. Das tut kein vernünftiger Mensch, der vorhat, die Sowjetunion anzugreifen.

Klaus Kunde

11. Dezember 2023 19:07

„Damals im Oktober war ich gewiß nicht der einzige Mensch auf der Welt, der sich gewundert hat, daß sich die israelischen Geheimdienste und Militärs von einem Angriff in einer derartigen Größenordnung überrumpeln ließen, zumal die Grenze zu Gaza eine der am schärfsten überwachten auf der ganzen Welt ist.“
Was sollte am Versagen von militärischer Aufklärung und Geheimdiensten verwunderlich sein? Hier nur kurz zur deutschen Variante: Die Leistungen der Abteilung Fremde Heere Ost der Abwehr beim OKW beispielsweise waren vom ersten bis zum letzten Tage des Krieges eine einzige Stümperei. Vermutlich ein Grund, weshalb Hitler Gehlen als reif für das Irrenhaus ansah, als dieser die anstehende Weichsel-Oder-Operation der Roten Armee ausnahmsweise zutreffend einschätzte. Die Entschlüsselung des Enigma-Codes, die den Kriegsverlauf entscheident beeinflußte, entging der Abwehr gleichfalls, weil man in Hybris fest an seine Sicherheit glaubte.
Der Artikel von Herrn Lichtmesz ergibt überhaupt keinen Erkenntnisgewinn. Hier erläutert Thorsten Heinrich recht überzeugend, weshalb Israel überrascht worden sein könnte.
https://www.youtube.com/watch?v=XModjcfExr0
Der Mann scheint anders als der Autor über militärischen und geschichtlichen Sachverstand zu verfügen, dennoch kein Garant für die Richtigkeit seiner Thesen.

ML: Bin absolut Null überzeugt, weder von den Argumenten noch von dem angeblichen "Sachverstand", außerdem ist das Video nicht auf dem neuesten Stand, was die inzwischen bekannt gewordene Information angeht.

Heinrich Loewe

11. Dezember 2023 20:57

Ich schaue eigentlich laufend die Kommentierungen der Alternativen: The Duran, Larry Johnson, simplicius, Scott Ritter, Doug McGregor, Judge Napolitano; Bannon's Warroom natürlich. Der Tenor war, nach einiger Zeit der Verwirrung, daß die Bosse den "Mädels" tatsächlich einfach nicht geglaubt haben.

ML: Absurd!

Der Prozeß besteht ja auch aus massenhaft technisch gewonnen Daten, die dann per manpower gewertet und gewichtet werden müssen. Das kann immer fehlerbehaftet sein. Ich verstehe auch, daß sich manchmal Dinge in der hellsten Öffentlichkeit am besten verbergen lassen.
Pepe Escobar weicht etwas ab. Der macht tatsächlich ein großes geopolitisches Faß auf. Der Ben-Gurion-Kanal würde geanau in Gaza enden; G7-Alternative zur chinesischen Belt and Road geht durch Israel. Bibi war am 20. September bei Biden usw. (Pepe im Chat bei DDgeopolitics, wen es interessiert).

Laurenz

11. Dezember 2023 22:08

@Klaus Kunde ... Das, was Sie über die Abwehr oder die Aufklärung schildern, ist zwar richtig, aber Deutschland war nie auf diesen Krieg vorbereitet, alles reine Improvisation. Noch 1938 war das Französische Rüstungsbudget größer als das Deutschlands. Die Planungen hofften auf den Kriegsakt der Alliierten im Jahr 1944, wie der Z-Plan der Marine beweist. Man wurde auch nur deswegen stutzig, weil 1940 Molotow unannehmbare Gebietsforderungen an Rumänien stellte. Das macht nur jemand aus einer gewissen Stärke heraus. Als man dann über ungefähr die Hälfte der Stärke der Roten Armee Kenntnis gewann, war das Unternehmen Seelöwe gescheitert. Das ist aber mit dem aktuellen Gaza-Krieg nicht vergleichbar. Hier handelt es sich um einen dicht besiedelten Raum der Größe Münchens & die Israelische Armee ist so gut vorbereitet, wie man militärisch vorbereitet sein kann.

Le Chasseur

11. Dezember 2023 22:34

@Laurenz"Welche Erwartungen waren denn auf Seiten der Hamas perspektivisch mit dem Angriff verbunden? Haben sich diese Erwartungen erfüllt oder handelt es sich wieder mal um den berühmten Griff ins Klo?"
Manche Beobachter vermuten, dass die Hamas zum einen die Palästinenserfrage wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik bringen wollte und zum anderen den stattfindenden Annäherungsprozess zwischen Israel und verschiedenen arabischen Staaten stoppen bzw. rückgängig machen wollte.
Es gibt auch Leute, die der Ansicht sind, dass Israel den Krieg gerade verliert:
https://www.thenation.com/article/world/israel-gaza-war/
https://sonar21.com/israel-losing-the-battle-for-hearts-and-minds-as-it-presses-its-attacks-in-gaza/
https://www.aljazeera.com/opinions/2023/11/30/israel-has-lost-the-war-of-public-opinion
 

frdnkndr

12. Dezember 2023 00:37

Ich las kurz nach dem 07. Oktober einen Kommentar im Overton-Forum, der recht schlüssig darlegte, dass unter der Prämisse, die USA wollten sich endlich des unbequem und aufsässig gewordenenen Israel inkl. aller weiteren auch damit zusammenhängenden, aktuell praktisch nicht mehr sinnvoll zu handhabenden Probleme im Nahen Osten entledigen (kurz gesprochen reden wir also von einem geplanten Rückzug), viele der Geschehnisse einen Sinn ergeben könnten.
 
Eventuell wurde Israel also tatsächlich in eine Falle gelockt, indem es den Angriff zumindest ein stückweit geschehen ließ in der verzweifelten Hoffnung, daraus innen- wie außenpolitisch wieder auf die Beine zu kommen - was sich, unabhängig etwaiger militärischer Erfolge in Gaza, als ein immer größer werdender Irrtum zu erweisen scheint.
 
Auch bzw. gerade nach über zwei Monaten muss ich sagen: ja, durchaus möglich, auch die selbst auf verbaler Ebene auffällig zurückhaltende Reaktion der arab. Staaten ließe sich damit schlüssig erklären.
 
Es spricht vieles dafür, dass wir in eine neue Epoche eintreten und auch die Entscheider in den USA kommen vermutlich nicht umhin, darauf zu reagieren und wenigstens ein paar Kohlen aus dem Feuer zu holen.

tearjerker

12. Dezember 2023 08:00

Man kann sich auch fragen, warum Israel nicht schon früher seinen Feinden in Gaza komplett die Lampen ausgeschossen hat, obwohl von dort in einer Tour seit vielen Jahren schwere Angriffe ausgeführt wurden. Mit Hamas wurde Politik gemacht und ihre Existenz war nützlich für Israel und Israels Führung. Der bevorstehende Angriff war natürlich in Israels Führung Thema. Die Bedrohung wurde am 5.10. in einem Treffen des Inlandsdienstes und des Militärgeheimdienstes bewertet, das US-Aussenministerium intervenierte in Ankara, wo die politische Führung der Hamas sitzt und für den 7.10. war ein Treffen auf Regierungsebene angesetzt um eine Antwort abzustimmen. Das kam zu spät, und entsprechend fällt jetzt die Antwort Netanjahus aus, an dem die Geschichte hängen bleiben wird. Klar, dass die Jew York Times daran erinnert, unterstützt sie doch die Opposition in der israelischen innenpolitischen Auseinandersetzung. Die setzt auch den Rahmen, in dem das Handeln vor und nach dem Angriff vom 7.10. stattfindet.

Mitleser2

12. Dezember 2023 08:56

Pepe Escobar ist natürlich immer interessant, und kennt offensichtlich viele Hintergründe. Er vertritt halt sehr einseitig chinesische, iranische und russische Positionen. Das muss man schon einordnen.

kikl

12. Dezember 2023 09:31

@Le Chasseur
"Heute gibt es automatische Maschinengewehre, die auf alles schießen, was sich dem Zaun nähert..."
Die Kameras in den Türmen der Grenzmauer wurden allerdings bekanntermaßen mittels Drohnen vor dem Angriff zerstört, so dass die automatischen Sicherungsmaßnahmen und Warnungen nicht erfolgt sind.
"Wie kann es sein, daß es keine Reaktion, keine Vergeltung gab, über einen Zeitraum vom fünf bis sechs Stunden? Das ist sehr untypisch und ungewöhnlich."
Wenn man den Angriff absichtlich zugelassen hat, um einen Vorwand zu haben, im Gaza-Streifen einzuschreiten, wieso hat man die HAMAS dann fünf bis sechs Stunden lang morden lassen? Es reicht doch, wenn eine Stunde lang gemordet wird, um den Vorwand zu haben? Das ergibt erst recht keinen Sinn.

wolfdieter

12. Dezember 2023 10:20

Die Analogie zu Pearl Harbor kam mir auch in den Sinn; Spieltheoretiker Rieck argumentiert dagegen: 
 
die dreiste Natur des Angriffs sei außerhalb jeder Verteidigungslogistik (rein ziviles Gerät wie Bulldozer, bemannte Drachen, Bolzenschneider statt Panzer oder Raketen);
 
die Warnungen seien in der Vielzahl der anderen Warnungen wahrgenommen, aber runterpriorisiert worden, denn jede Abwehrvorgereitung nage an den Ressourcen.
 
@kikl 11. Dezember 2023 14:25 – Barbarossa ist insofern nicht vergleichbar, als nach Bernd Schwippers Analyse Russland die Logistik des Militärs nicht auf Verteidigung, sondern sehr konkret auf Angriff (nach Krieg gegen England) optimiert hatte.

Oderint

12. Dezember 2023 11:01

Auf den ersten Blick drängt sich natürlich der Vergleich mit Pearl Harbour auf, aber für eine Analyse ist viel zu früh. Wir kennen sowohl vom Angriff auf den Kibbuz als auch vom Geschehen in Gaza ausschließlich das, was Israel und die von pro-israelischen Kräften dominierten westlichen Medien samt sozialen Netzwerken uns präsentieren.
 Emblematisch die angeblich so grausamen, dem Normalbürger nicht zumutbaren Bilder vom Überfall, die ausschließlich handverlesene Journalisten zu sehen bekamen.
Was, wenn alles ganz anders war? Wenn wir eine gewaltige Inszenierung erleben? Sag keiner, das geht heutzutage nicht mehr, 2020 hat es doch auch funktioniert.
 

Le Chasseur

12. Dezember 2023 11:07

@kikl"Die Kameras in den Türmen der Grenzmauer wurden allerdings bekanntermaßen mittels Drohnen vor dem Angriff zerstört, so dass die automatischen Sicherungsmaßnahmen und Warnungen nicht erfolgt sind."
Aber auch das muss doch jemanden auffallen. Und wenn ich sehe, dass Überwachungskameras zerstört werden, löse ich Alarm aus.
"Wenn man den Angriff absichtlich zugelassen hat, um einen Vorwand zu haben, im Gaza-Streifen einzuschreiten, wieso hat man die HAMAS dann fünf bis sechs Stunden lang morden lassen? Es reicht doch, wenn eine Stunde lang gemordet wird, um den Vorwand zu haben? Das ergibt erst recht keinen Sinn."
Man will ja nicht nur in den Gaza-Streifen "einreiten", man will den Gaza-Streifen in eine Trümmerlandschaft verwandeln und seine Bewohner töten oder ins Ausland vertreiben. Da braucht es schon ein paar mehr Tote, um die erforderliche Akzeptanz bei der Öffentlichkeit zu bekommen. Die USA nahmen am 11. September 2001 auch über 3000 Tote in Kauf, um einen Vorwand für ihre Kriegskampagne in Vorder- und Zentralasien zu haben.

kikl

12. Dezember 2023 11:23

@ wolfdieter Natürlich hat sich die UDSSR lange auf einen Angriff vorbereitet. Wer wollte das ernsthaft bestreiten?
Das ändert aber nichts daran, dass die UDSSR trotz zahlreicher Geheimdienstinformationen vom Angriff der Wehrmacht letztlich überrumpelt wurde. Schwipper erklärt auch genau in seinem Buch, wie diese Täuschung - zumindest die Täuschung Stalins, nicht alle sowjetischen Generäle wurden getäuscht - gelungen ist. Jedenfalls präsentiert Schwipper dafür eine schlüssige Theorie, die auf Indizien beruht.
Dieses Beispiel illustriert einfach, wie schwierig Informationen von Geheimdiensten zu bewerten sind und dass es dabei in der Geschichte schon häufiger zu eklatanten Fehlern gekommen ist. Genau das ist auch in dem Falle des Angriffs der HAMAS auf Israel passiert, jedenfalls ist das meine Einschätzung.

Daniel

12. Dezember 2023 11:28

@ Laurenz: "Welche Erwartungen waren denn auf Seiten der Hamas perspektivisch mit dem Angriff verbunden?"
Liegt das nicht eigentlich auf der Hand? Die Hamas-Leute wissen natürlich, dass sie mit den Israelis alleine nicht militärisch fertig werden. Das Ziel dürfte somit gewesen sein, einen harten Gegenschlag zu provozieren, der dann andere Akteure (namentlich die Hisbollah und den Iran) zum direkten Eingreifen bewegt. Die USA haben ja sicher nicht ohne Grund gleich zwei Flugzeugträgerverbände auffahren lassen. Die Mullahs sind aber natürlich auch ohne die USA gut beraten, die Füße still zu halten, will man das eigene Land am Ende nicht zum Schauplatz eines nuklearen Schlagabtauschs machen. Andererseits könnte der Druck im innenpolitischen Kessel angesichts der gerade produzierten Bilder so weit steigen, dass man sich unter dem Aspekt der Gesichtswahrung doch zu irgendeiner Reaktion gemüßigt fühlt, die prinzipiell auch ausreichen könnte, um die Eskalationsspirale weiter anzutreiben.

MARCEL

12. Dezember 2023 11:28

Seit Corona bzw. dem Impf-Feldzug darf/muss man den Regierungen alles zutrauen. Das eigene Volk ist nicht mehr Kategorie, am allerwenigsten beim zuvor so verachteten Netanyahu, der nun den "Hasmonäer" gibt...
Halte ich also für wahrscheinlich. 
Eine geringere Wahrscheinlichkeit liegt in einer Art Ermüdung , nach beinahe 70jährigem kalt-heißen Dauerkrieg. Irgendwann lässt einfach die Konzentration nach und Mossad etc. sind nicht unfehlbar. Gleichwohl, es ist die geringere Wahrscheinlichkeit.
In Zukunft aber wird Israel die gesamte islamische Welt gegen sich haben, u. U. eine mit westlichem Militär-know-how ausgestattete Türkei, hybrid oder konventionell. Zudem: Die USA schwächeln mittlerweile deutlich.
Last Exit: Masada?

rotenburg

12. Dezember 2023 12:19

Wenn man die Frage Cui Bono stellt, lautet die Antwort sicher nicht Israel und erst recht nicht Netanjahu.
1.)
Benjamin Netanjahu stand kurz vor dem Abschluss eines Vertrages mit den Saudis. Das wäre die Krönung seiner politischen Laufbahn gewesen. Der Palästinenser-Konflikt wäre damit weitgehend irrelevant geworden. Netanjahu wäre als größer israelischer Staatsmann neben Ben Gurion in die Geschichte eingegangen. Stattdessen beendet Netanjahu seine Laufbahn mit einer epischen Niederlage. Warum sollte er sich auf diese Weise selbst sabotieren?
3.)
Israel hat kein Interesse am Gaza-Streifen. Anders als die Golan-Höhen oder das Westjordanland ist der Gaza-Streifen geopolitisch völlig irrelevant.  Scharon hatte gute Gründe, warum Scharon das Gebiet geräumt hat. Niemand will das Gebiet haben. Nicht die Ägypter, nicht die anderen arabischen Staaten. Aus guten Gründen: Nehmen wir die Probleme von Neukölln und multiplizieren sie mit dem Faktor 1000. Wozu sollte man sich solche Probleme ans Bein binden wollen?

ML: Der Klotz klebt doch schon seit Jahrzehnten am Bein und wird immmer größer. Ich weiß nicht woher die Idee kommt, daß Israel einfach eine wachsende Population 2 Millionen Menschen, die es militärisch in Gefangenschaft hält, vergessen und ignorieren könnte.

3.)
Israel befand sich vor den Massakern in einer sehr komfortablen Situation. Die Hamas und die Fatah waren unversöhnliche Feinde und Israel konnte sie gegeneinander ausspielen. Das war die Garanie dafür, dass es keine Zwei-Staaten-Lösung geben würde. Wird die Hamas zerschlagen, wird die Fatah wieder in die Rolle als einziger Vertreter der Araber in diesem Gebiet kommen. Das konterkariert die Politik Netanjahus der letzten zwanzig Jahre.

Boreas

12. Dezember 2023 12:42

€Marcel
Genau das war auch mein Lackmus-Test bei der Wuhan-Seuche. Der Umstand, das die israelische Regierung ihrer eigenen Bevölkerung ohne Rücksicht auf Verluste die Genjauche verabreichte, ließ mich geraume Zeit zweifeln, ob da nicht doch was dran wäre an der Wuhan-Seuche. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß ein Volk, welches in einer Welt von Feinden sich behauptet, von der eigenen Regierung kaputtgespritzt wird. Aber anscheinend ist alles möglich.

Le Chasseur

12. Dezember 2023 14:43

@rotenburg"Stattdessen beendet Netanjahu seine Laufbahn mit einer epischen Niederlage. Warum sollte er sich auf diese Weise selbst sabotieren?"
Netanjahu stand bereits mit einem Bein im Gefängnis, schon vergessen? Gegen die Justiz"reform", mit der er das verhindern wollte, demonstrierten wöchentlich zehntausende Israelis.
"Israel hat kein Interesse am Gaza-Streifen. Anders als die Golan-Höhen oder das Westjordanland ist der Gaza-Streifen geopolitisch völlig irrelevant."
An einem von Palästinensern bevölkerten Gaza-Streifen hat Israel natürlich kein Interesse. Deshalb werden die ja gerade getötet und vertrieben. Vor der Küste soll es ein Gasvorkommen geben.
"Wird die Hamas zerschlagen, wird die Fatah wieder in die Rolle als einziger Vertreter der Araber in diesem Gebiet kommen. Das konterkariert die Politik Netanjahus der letzten zwanzig Jahre."
Wenn der Gaza-Streifen geräumt ist, wird Israel das Westjordanland räumen. Für die Palästinenser macht niemand einen Finger krumm. Nicht der Westen und nicht die arabischen Staaten.

ofeliaa

12. Dezember 2023 14:43

Ach, für mich passt das Ganze in die Zeit. Wenn mir Dinge auffallen und ich zu den Leuten sage: ,,Da ist etwas faul, wir müssen das melden und wenn nichts passiert, dann müssen wir selbst aktiv werden", werde ich so lange mit grossen ungläubigen Augen angeblickt, bis das, was ich sagte und bemängelte dann eintritt und/oder ernsthafte Folgen hat. Zu schätzen weiss es am Ende trotzdem niemand, denn auf Probleme oder krumme Dinger hinzuweisen, macht einen nach wie vor nur zum unangenehmen Mitmenschen, der "Probleme" ins so schön geordnete Leben bringt.

Ich habe israelische Soldatinnen im Fernsehen gesehen, die völlig gleichgültig davon berichteten, dass sie Bunker und dortige tägliche, nächtliche Geschehnisse bemerkten, über Monate hinweg. Sie sahen sogar die Tunnel. Fragt man diese Frauen, ob sie es gemeldet haben, sagen sie stumpf: Ja, wir haben es gemeldet, aber wir wissen nicht, was mit den Informationen gemacht wurde. Tja, und liebe Leute, soetwas passiert mit einem Menschenschlag wie mir nicht. Ich frage so lange nach bis es beachtet und ernst genommen wird und jedes mal sage ich: Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Und dabei schere ich mich nie um Hierarchien. Die Leute heutzutage sind total stumpf, hohl, ignorant und leider sind viele einfach faul, oder dissozieren irgendwie den ganzen Tag vor sich hin. Ich weiss nicht, was es ist, aber das zieht sich durch alle Gesellschaften und Nationen und ist mir ein Gräuel. 

ratatoskr

12. Dezember 2023 15:50

Also gewisse Antworten hier.....wie kommt man zu so einer Denkart? 

Nur schon das hier: https://sciencefiles.org/2023/12/12/profit-durch-terror-manche-wussten-dass-hamas-am-7-oktober-2023-anschlaege-in-israel-verueben-wird/

wolfdieter

12. Dezember 2023 16:38

@rotenburg 12. Dezember 2023 12:19 
„Israel hat kein Interesse am Gaza-Streifen.“ – Irgendwo habe ich Hinweis auf reiches Erdgasvorkommen im Gebiet Gaza gefunden. (Nicht überprüft, aber für den Hinterkopf.)

Le Chasseur

12. Dezember 2023 18:20

Halb On-Topic, ein aktueller Artikel von John J. Mearsheimer:
What Israel is doing in Gaza to the Palestinian civilian population – with the support of the Biden administration – is a crime against humanity that serves no meaningful military purpose. As J-Street, an important organization in the Israel lobby, puts it, “The scope of the unfolding humanitarian disaster and civilian casualties is nearly unfathomable.”
 https://mearsheimer.substack.com/p/death-and-destruction-in-gaza

ofeliaa

12. Dezember 2023 18:25

@ratatoskr Ich vermute nicht, dass irgendjemand explizit wusste, was genau passieren wird, aber ich vermute Ignoranz und Faulheit bzw. eine Form des Daseins für die ich noch keinen Namen gefunden habe, die uns aber allerorts begegnet. Es ist eher so: Was uns nichts angeht, das macht uns nicht heiss. Oder: Wir haben alles getan, was uns zustand oder unsere Aufgabe war. Ich meine, so geht die Welt zugrunde. 

rotenburg

12. Dezember 2023 20:02

@LaChasseur
Stand Netanjahu mit einem Bein im Gefängnis? Nein. Das war das Eindruck, den den Mainstream-Presse in Deutschland vermittelt hat. Die haben aber auch keine Ahnung vom israelischen Verfassungsrecht. In Israel gibt es keine geschriebene Verfassung und auch kein Verfassungsgericht. Die Macht des Obersten Gerichtshofes beruht nur auf Gewohnheitsrecht. Die Mehrheit der Knesset kann praktisch jedes Gesetz ändern. Die rechte Mehrheit in der Knesset stand und hat die Justizreform wurde mit wenigen Abstrichen durchgezogen. 
Warum die Demonstrationen für Netanjahu ein Problem? Wer hat denn da demonstriert? Die Anhänger der linken und progressiven Parteien. Warum sollte das eine Rechtsregierung kümmern, wenn ihre politischen Gegner auf die Straße gehen? Wenn in Deutschland die AfD regiert, würden die Anhänger von SPD und Grünen wohl auch auf die Straße gehen und es würde die AfD-Regierung wohl nicht besonders interessieren.
Wird Israel den Gaza-Streifen und das Westjordanland räumen? Das halte ich für extrem unwahrscheinlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden dort in einem Jahr noch genausoviele Araber leben wie heute. Darüber muss man sich nicht streiten, weil wir ja bald sehen werden, was passiert. Wenn es nicht zu großen Vertreibungen aus diesen Gebieten kommt, steht die These, dass Israel alles nur inszeniert hat, auf sehr wackeligen Beinen. 
 

Kurativ

12. Dezember 2023 21:16

Was haben die unsinkbaren Flugzeugträger der USA (Israel, Taiwan, Kurdenland, Kosovo, GB, Ukraine, Baltische Staaten, Polen, BRD/DDR, usw) gemeinsam? Sie waren zunächst Freiheitsbewegungen, wurden dann "Verbündete" und fanden sich später in (potentiell) gewaltsamen Konflikten wieder, welche die Unterstützung der USA notwendig machte. Land und Meer eben

Le Chasseur

12. Dezember 2023 22:43

@rotenburg"Stand Netanjahu mit einem Bein im Gefängnis? Nein."
Den Eindruck hatte ich schon, aber ich kann mich natürlich irren: https://www.sueddeutsche.de/politik/netanjahu-prozess-deal-1.5507696
"Warum die Demonstrationen für Netanjahu ein Problem? Wer hat denn da demonstriert? Die Anhänger der linken und progressiven Parteien. Warum sollte das eine Rechtsregierung kümmern, wenn ihre politischen Gegner auf die Straße gehen?"
Das waren vor allem junge Menschen und auch die Leistungsträger der Gesellschaft, die keinen Bock mehr haben, die radikalen und orthodoxen Wähler von Netanjahu und seinen Koalitionspartnern durchzufüttern, die von Sozialhilfe leben und sich vor dem Wehrdienst drücken.
"Die israelische Gesellschaft ist zutiefst gespalten. Das zeigt sich auch in einer aktuellen Umfrage des Israelischen Demokratie-Institutes (IDI), die sich auf den Juli bezieht. Im Mittelpunkt steht die Justizreform der Regierung. Die Teilnehmer wurden unter anderem gefragt, ob das jüngst verabschiedete Angemessenheits-Gesetz gut oder schlecht für die israelische Demokratie sei. Gut fanden es 35 und schlecht 60,5 Prozent." Quelle: https://www.israelnetz.com/umfrage-verdeutlicht-die-spaltung-der-israelischen-gesellschaft/

RMH

13. Dezember 2023 07:45

"steht die These, dass Israel alles nur inszeniert hat, auf sehr wackeligen Beinen." @rotenburg, diese These einer Inszenierung vertritt der Autor nicht. Die Fragen, die sich anläßlich des 7.10.23 stellen sind die, die sogar in der Mainstreampresse vorkommen, nämlich was wusste Israel, wer ist für den Umgang und vor allem die Bewertung der Informationen verantwortlich? Und das, was eben - mangels handfester Beweise - offen ist, sind die Fragen, wurde der Angriff zugelassen, oder gar billigend in Kauf genommen?
Die These, dass recht konkrete Kenntnisse über einen geplanten Angriff da waren, verdichtet sich mehr und mehr. Bleiben dann die Fragen, wer hat die Lage falsch eingeschätzt und wer hat evtl. es einfach darauf ankommen lassen? Schon eine fahrlässige Falscheinschätzung der Lage wird Konsequenzen bis ganz oben haben, davon dürfen wir ausgehen. Aber jetzt sprechen erst einmal die Waffen. Eine große Eskalation über Gaza hinaus ist jedenfalls bislang ausgeblieben (Scharmützel mit der Hisbollah und die von den Huthi abgeschossenen Rakten einmal ausgenommen). Das sollte den Palästinensern im Hinblick auf ihre zukünftige, eigene Ausrichtung zu denken geben. Der Weg der Hamas scheint aktuell zu scheitern - daraus können Chancen für die Palästinenser erwachsen.

Heinrich Loewe

13. Dezember 2023 14:45

https://nypost.com/2023/12/12/opinion/the-coming-israeli-intelligence-reckoning-could-bring-down-many-in-the-countrys-elite/
Also ich bleibe bei Ockhams Rasiermesser in dieser Angelegenheit.
Ich glaub auch nicht, daß in der Covid-Spritze Nanoroboter sind, die per WLAN aktiviert werden können...
 

Gotlandfahrer

13. Dezember 2023 15:36

Wenn ich die Diskussion hier korrekt überblicke, herrscht, unabhängig von der Antwort auf die Frage, was Israel zuvor wusste, der Eindruck vor, es handle sich in jedem Falle um so eine Art lokalen Konflikts. Klar, die ganze Welt geht es an, aber im Kern kloppen sich ja nur Israel und die Palästinenser. Halt wie immer. Der Kampf in der Ukraine hat dementsprechend nichts damit zu tun, schon gar nicht die Tatsache, dass sich fast jeder, der sich der Asow-Symbolik bediente, mittlerweile die Radiesschen von unten anschaut. Hatten wir das nicht schon mal? Man hat jetzt viel Platz, in der Ukraine, auch für die guten Freunde des ehrenwerten Herrn Selenskys von weit her, falls es woanders zu eng wird. Wie überhaupt die ganzen merkwürdigen Jahre zuvor nichts, aber auch gar nichts, mit diesem jetzigen Vorgang zu tun haben. Sicher ist auch der Auftritt von Scholz vor dem Brandenburger Tor, nicht etwa mit der jüdschen Gemeinde, sondern mit Chabad-Lubawitsch, nichts außer eine Solidaritätsbekundung, schon gar nichts hat es etwas mit Armilus zu tun, obwohl erst nach ganz fest ganz lose kommt. Let it happen or make it happen, who knows?

rotenburg

13. Dezember 2023 19:53

#LeChasseur
"Junge Leistungsträger": In der Demokratie setzt sich langfristig die größere Zahl durch. Die Orthodoxen und Nationalreligiösen sind nun einmal die, die die Kinder bekommen und damit auch die, die die Zukunft des Landes bestimmen. Die Zeit und Demographie arbeitete für Netanjahus rechten Wählerblock.
Zu den Umfragen: Seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland große Mehrheiten in Umfragen gegen mehr Einwanderung. Das hatte blos kaum eine Wirkung, weil sich Umfragen nicht automatisch in Wahlergebnissen und parlamentarischen Mehrheiten widerspiegeln. Das ist in Israel nicht anders als bei uns. Der Likut und die reliösen Parteien hatten die Wahlen gewonnen und dabei sich eine dauerhafte Machtbasis zu schaffen.
Fazit: Aus innenpolitischen Gründen hatte Netanjahu keinen Grund sich einen Angriff der Hamas zu wünschen.
 

Le Chasseur

14. Dezember 2023 10:24

@rotenburg
"In der Demokratie setzt sich langfristig die größere Zahl durch. Die Orthodoxen und Nationalreligiösen sind nun einmal die, die die Kinder bekommen und damit auch die, die die Zukunft des Landes bestimmen. Die Zeit und Demographie arbeitete für Netanjahus rechten Wählerblock."
Mittel- und landfristig gesehen mag dies der Fall sein, kurzfristig stand Netanjahu unter erheblichen Druck. Aber die Hauptmotivation von Netanjahu und seinen Komplizen, den Angriff der Hamas zuzulassen, war meines Erachtens, dass man einen Vorwand für die "Endlösung der Palästinenserfrage" brauchte, sprich die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen. Die Zeit läuft auch insofern gegen die Zionisten, als die Schutzmacht USA auf dem absteigenden Ast ist und die Sympathie für Israel bei den jungen Amerikanern sehr gering ist. Da heißt es, Tatsachen schaffen.

rotenburg

14. Dezember 2023 12:10

@LeChasseur: 
wenn Ihre These stimmt, müsste der Gaza-Streifen ja bald geräumt werden und dort dürften schon bald keine Araber mehr leben. Wenn nach dem Ende dieser Militäroperation der Gaza-Streifen immer noch genauso arabisch ist wie vorher und es keine Räumung gegeben hat, werden Sie dann zugeben, dass Sie falsch lagen? 

Le Chasseur

14. Dezember 2023 13:13

"Wenn nach dem Ende dieser Militäroperation der Gaza-Streifen immer noch genauso arabisch ist wie vorher und es keine Räumung gegeben hat, werden Sie dann zugeben, dass Sie falsch lagen?"
Das kommt darauf an. Wenn sich die Israelis aufgrund von inneren und/oder äußeren politischen Drucks zurückziehen oder von den Palästinensern zurückgedrängt werden, natürlich nicht, denn das würde ja nur heißen, dass der Plan nicht realisiert werden konnte, aber nicht, dass der Plan nicht existierte.
Biden hat Netanjahu angeblich noch Zeit bis Ende des Jahres gegeben, danach beginnt die heiße Phase des US-Wahlkampfes, da will Biden das Thema vom Tisch haben.

Le Chasseur

14. Dezember 2023 17:05

@rotenburg
Ergänzung: Ich möchte auch nochmal an das geleakte Strategie-Papier erinnern, das die Vertreibung aller Bewohner des Gaza-Streifens nach Ägypten vorschlägt: https://www.fr.de/politik/krieg-hamas-internes-dokument-israel-geheimdienst-massendeportation-gazastreifen-zr-92651520.html

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