Ich werde versuchen, diese lehrreiche Geschichte nach der Reihe aufzufädeln, ohne mich allzu sehr in Details zu verlieren (die es in verwirrender Hülle und Fülle gibt).
Ihre Hauptfigur Michael Blume (Jahrgang 1976) bekleidet seit 2018 das Amt eines sogenannten “Antisemitismusbeauftragten” in Baden-Württemberg. Daß es dergleichen gibt, hält der studierte Religions- und Politikwissenschaftler auch deswegen für sehr wichtig, weil der Antisemitismus seiner Ansicht nach “nicht irgendein Verschwörungsglauben” ist, sondern “die Grundlagen jeder friedlichen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung“ bedroht.
Gleichzeitig bemüht er sich schon seit Anfang seiner bis in die späten neunziger Jahre zurückreichenden Karriere um einen “christlich-islamischen” Dialog, offenbar auch aus persönlichen Gründen, da er als evangelischer Christ mit einer muslimischen Türkin verheiratet ist (über die es sogar ein eigenes Buch gibt). Aufgrund dieser Tätigkeit pflegt er Kontakte mit verschiedenen muslimischen Gruppen und Organisationen.
Sieht man sich sein Twitter-Profil und seine Publikationen an, so begegnet man einem systemkonformen CDU-Apparatschik, der sich alle Mühe gibt, ein guter Multikulturalist, Antirassist und Philosemit zu sein. Er schmückt sich mit dem Hashtag #IStandwithIsrael, wettert gegen “Verschwörungsmythen”, hat ein Buch mit dem Titel Warum der Antisemitismus uns alle bedroht veröffentlicht, verurteilt die Hamas, “BDS” und das “antisemitische Regime des Iran”.
Seine Rolle als staatlich beauftragter Saubermann erfüllt Blume gewissenhaft. Richard David Prechts Aussagen über Israel aus dem Podcast “Lanz & Precht” bereiteten ihm nach eigener Auskunft buchstäblich schlaflose Nächte. Flugs erstellte er einen Faktencheck und rüffelte das ZDF, derartig verzerrenden, falschen, israelfeindlichen Aussagen gerade jetzt eine Plattform zu geben. Der Schuß vor den Bug schlug ein, Precht und Lanz wurden mit einer gelben Karte verwarnt und die fragliche Folge wurde zensiert.
Ganz besondere Bauchschmerzen bereitete Blume folgendes:
Besonders krass fand ich, als Lanz dem Judentum vorwarf, es würde Menschen “fast als Geiseln” nehmen – und das, während sich noch Hunderte jüdische Menschen in der Geiselhaft der Hamas befinden! Da zeigt sich sehr deutlich, dass auch Menschen, die meinen, sie stehen darüber, von der Psychologie der Abspaltung betroffen sind.
Schauen wir uns mal Kontext an, was Precht gesagt hat, um die Qualität der Expertise des Herrn Dr. Blume besser beurteilen zu können. Der Modephilosoph schilderte, wie er in Ostjerusalem anti-palästinensische Feindseligkeiten von orthodoxen bzw. “rechtsradikalen” Juden beobachtet hatte. Besonders “entsetzt” zeigte er sich über die gleichsam “ritualisierte”, kalte Systematik dieser Pöbeleien, die nicht selten in handfester physischer Gewalt endeten.
Precht beschrieb einen Typus, der in der israelischen Innenpolitik zunehmend an Bedeutung gewinnt und für gesellschaftliche Spannungen sorgt:
Da hab ich damals auch verstanden, was Religion für eine Macht hat über Menschen und gewinnen kann. Du siehst diese Menschen, die meisten von ihnen arbeiten nicht, weil sie sich wirklich vollumfänglich der Religion widmen. (…) Am Schabbat, da darf dann wirklich gar nichts passieren. Da hast du Fahrstühle, die stillstehen und so weiter, man geht dann prinzipiell über die Treppen und solche Dinge. Das hat ein Ausmaß, diese vielen Regeln, in das Leben der Menschen hinein, davon machen wir uns keine Vorstellung. Und was mir damals aufgefallen ist, wie gestreßt diese Leute sind. (…)
Und ich habe damals gedacht, wow, so religiös zu sein, ist wahnsinnig anstrengend. Und man stellt sich die Frage, was ist das für ein Gott, der das von dir verlangt? (…) Da kriegst du halt ganz schnell auch das Gefühl, okay, Gott ist das wahrscheinlich gar nicht, der das alles will. Sondern da sind andere Mächte und Kräfte dahinter, die ein großes Interesse daran haben, einen ganzen Menschen so emotional einzukesseln, zu kapern, wirklich fast als Geisel zu nehmen.
Blume hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, das Argument Prechts zu verstehen und darauf einzugehen (er benutzt in Bezug auf ihn das Wort “schwurbeln”). Stattdessen biß er sich an dem Triggerwort “Geisel” fest, und zog anschließend eine tiefenpsychologische, sachte pathologisierende Diagnose aus dem Ärmel, um Prechts Verstoß gegen das, was er als “Medienethik” bezeichnet, zu erklären.
Das Beispiel sollte genügen, um zu zeigen, auf welchem Niveau Blume operiert.
Seine Cancel- und Zensurgelüste, die dem Schutz herrschender Narrative dienen, sind allerdings nicht auf “Antisemiten” beschränkt. So bemühte er sich im Februar dieses Jahres (erfolglos) darum, einen öffentlichen Auftritt von Daniele Ganser in Leinfelden-Echterdingen (BaWü) zu verhindern, prangerte 2020 Coronamaßnahmenkritik als “Verschwörungsglaube” an, warnte 2021 vor der “Terrorgefahr” durch “Querdenker” und forderte den Rücktritt von Hubert Aiwanger, weil dieser erklärt hatte, daß er sich nicht impfen lassen wolle:
Ich würde Herrn Aiwanger dringend dazu aufrufen, dass er sich als stellvertretender Ministerpräsident entweder zur Wissenschaft bekennt – oder Konsequenzen für sich zieht. Ein öffentliches Amt sollte in Deutschland nicht mit Wissenschaftsleugnung vereinbar sein.
Nun geschah es, daß Blume selbst Zielscheibe eines Cancel-Versuchs wurde, der ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen sollte. Geführt wurde er hauptsächlich von Autoren der Achse des Guten im Verbund mit einer amerikanischen rechtszionistischen Organisation.
Steigen wir mit einem Tweet ein, den der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel am 30. September 2022 veröffentlichte. Darin wurde Blume das ultimative politische Ächtungsadjektiv aufgepappt: “Baden-Württemberg leistet sich einen antisemitischen Antisemitismusbeauftragten.”
Steinhöfel untermauerte dies mit einer Collage aus sechs Zeitungsschlagzeilen, von denen drei den Antisemitismusvorwurf erwähnten.
“Blume landet auf ‘Antisemiten-Liste’ ” (Tagesschau), “Israeli General slams ‘antisemitic’ German official” for defaming Israeli hero” (Jerusalem Post), “German antisemitism Czar is accused of ‘Jew hatred’ ” (The Jewish Chronicle).
Die Schlagzeilen beziehen sich auf die Tatsache, daß Blume 2021 in einer Liste der “Top Ten globalen Antisemitismus” aufgetaucht ist, herausgegeben von einer zionistischen Institution namens Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles (mit deren Gründung und Ausrichtung der “Nazi-Jäger” selbst nichts zu tun hatte), die sich zu ähnlichen Aufgaben berufen fühlt, wie sie Herr Blume im staatlichen Dienst übernommen hat.
Sie prangert auch jährlich via Zitatensammlung die “zehn schlimmsten antisemitischen/antiisraelischen Verunglimpfungen” an. Ihr Job ist es also, israel- und zionismuskritische Stimmen als “antisemitisch” zu brandmarken. Michael Wolffsohn bemerkte 2013, als Jakob Augstein wegen israelkritischer Bemerkungen in deren Visier geriet:
Man schätzt das Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles viel zu hoch ein. Es ist eines von zig jüdischen Organisationen – es gibt erfreulicherweise wesentlich intelligentere als das Wiesenthal Center.
Was im Bericht über Blume steht, ist ziemlich mager. In deutscher Übersetzung:
Ein deutscher Antisemitismusbeauftragter hat offenbar vergessen, daß es seine Aufgabe ist, den Antisemitismus zu bekämpfen, nicht ihn zu “liken”. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter für Baden-Württemberg, setzt seit 2019 seine Aktivitäten in den sozialen Medien fort, wo er ein Facebook-Posting “geliked” hat, das Zionisten mit Nazis vergleicht. Er hat seitdem weiterhin antijüdische, israelfeindliche und verschwörungstheoretische Twitter-Accounts “geliked” und retweetet.
Unerklärlicherweise haben der baden-württembergische Landesvorsitzende der Grünen, Winfried Kretschmann sowie Innenminister Thomas Strobl (CDU) zugelassen, daß Blume, der doch eigentlich Antisemitismus bekämpfen soll, weiterhin in den sozialen Medien antisemitischen und israelfeindlichen Aktivitäten nachgeht.
In krassem Gegensatz dazu hat Blumes Amtskollege in Hamburg, Stefan Hensel, die Regierung seiner Stadt aufgefordert, das vom iranischen Regime kontrollierte Islamische Zentrum in Hamburg zu schließen, weil es Antisemitismus schürt.
Blume hat es versäumt, die baden-württembergische Metropole Freiburg aufzufordern, ihre Städtepartnerschaft mit Isfahan zu beenden, einer Stadt des iranischen Regimes, deren Verwaltung alljährlich auf der Al-Quds-Demonstration den Aufruf zur Zerstörung des jüdischen Staates unterstützt.
Während Felix Klein, der Bundesbeauftragte für das Judentum und die Bekämpfung des Antisemitismus, die Banken aufgefordert hat,
BDS-Gruppen keine Konten zur Verfügung zu stellen, hat Blume es versäumt, die teilstaatliche Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zu drängen, das Konto des Palästina-Komitees Stuttgart, der mächtigsten Anti-Israel-BDS-Bewegung in Baden-Württemberg und Deutschland, zu schließen.
Blume wurden also konkret zwei Dinge vorgeworfen: Daß er erstens ein Posting geherzt hat, in dem “Zionisten” in einem negativen Kontext erwähnt werden, und daß er zweitens bestimmte Dinge nicht getan (“verabsäumt”) hat, nämlich Maßnahmen gegen Organisationen von politischen Gegenspielern Israels zu ergreifen.
Das ist alles. Blume wurde aus dem einzigen Grund als “Antisemit” etikettiert, weil er gewisse zionistische Wünsche nicht ausreichend erfüllt hat. Ansonsten gibt es weit und breit nichts, was den Vorwurf gegen ihn ernsthaft rechtfertigen würde.
Nun zurück zu Steinhöfels Tweet. Twitter (mir ist es zu dumm, es “X” zu nennen) löschte ihn zunächst, Steinhöfel klagte dagegen, der Tweet mußte wiederhergestellt werden, und nun fiel gerichtlich die endgültige Entscheidung:
Bei dem Tweet handele es sich laut Gericht „um eine überspitzte, aber zulässige Meinungsäußerung, die Twitter nach dem Vertrag nicht habe löschen dürfen“, so fasste es Gerichtssprecher Kai Wantzen das Urteil zusammen. Das Landgericht habe Twitter verurteilt, die Löschung des Tweets zu unterlassen, „weil darin eine Verletzung des zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsvertrags liege“.
Es ist also nun offiziell eine „zulässige Meinungsäußerung“, Herrn Blume als “antisemitisch” zu bezeichnen, was in der herrschenden Werteskala eine massive Rufschädigung bedeutet.
Blume hat den Rufmordanschlag allerdings recht gut überstanden, denn er genießt ausreichend Unterstützung der Landesregierung, der israelischen Generalkonsulin von Süddeutschland, sowie von etlichen jüdischen Gruppen, unter anderem dem Zentralrat der Juden, der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, sowie den Israelitischen Religionsgemeinschaften von Baden und Württemberg, die ihm attestierten:
Wie das Simon Wiesenthal Center – ohne mit den Gemeinden vor Ort überhaupt Kontakt zu suchen – auf die Idee kommt, einen derart ausgewiesenen Freund Israels und der Jewish Community auf eine Liste mit Antisemiten zu setzen, ist uns vollkommen unverständlich.
Steinhöfels Tweet war nur ein weiterer Schuß von vielen aus Richtung Achse des Guten. Diese neokonservativ-transatlantisch orientierte Plattform hat sich bereits seit 2019 mit einer merkwürdigen Inbrunst auf Blume fixiert, und ihn in über einem Dutzend Artikeln angegriffen (man gebe den Namen “Michael Blume” in die Suchfunktion ein).
Marcus Ermler tat, was er am liebsten tut, sammelte inkriminierendes Material und legte eine “Akte Blume” an, als ginge es darum, einem Verbrechen nachzustellen. Auch gehobenere Federn wie Henryk Broder oder Chaim Noll beteiligten sich am Blume-Bashing. Sich verstiegen sich immerhin nicht so weit, ihn direkt als “Antisemiten” hinzustellen.
Begonnen hatte es (so weit ich das überblicken kann) mit einigen scharfen Angriffen von Felix Perrefort, einem Autor u. a. der Jüdischen Rundschau. Tenor war immer derselbe: Blume äußere sich nicht pro-israelisch und islamkritisch genug, läge jedoch richtig, wenn er beispielsweise eine Ausstellung über die “Nakba” kritisiere oder für die Streichung deutscher UNRWA-Gelder eintrete.
Unter anderem skandalisierte Perrefort schon 2019, daß Blume eben jenes Facebook-Posting “geliket” hat, das später in der Liste des Wiesenthal-Zentrums als Beweisstück auftauchen sollte, Wortlaut: „Zionisten, Nazis und Radikale sollten sich schnell von meiner Freundschaftsliste verabschieden.“ Dieses fatale “Like”, wie auch immer es zustande gekommen sein mag, firmierte in der Folge in der (inzwischen bizarr umfangreichen) Anti-Blume-Literatur im Netz als ganz besonders gewichtiges Indiz für dessen krypto-antisemitische Gesinnung.
Perrefort räumte zunächst großzügig ein:
Es hat etwas Unwürdiges, dämliche „Gefällt-mir-Angaben“ in einer virtuell-realen Welt, aus der sich wohl die meisten ihrer Bewohner öfters mal ausloggen sollten, in den Vordergrund zu rücken. Schließlich bedient man damit eine Atmosphäre des Anschwärzens und der akribischen gegenseitigen Beobachtung, die in ihrer Geistfeindlichkeit unangenehm an kleine Dorfgemeinschaften erinnert, in denen sich verbitterte Nachbarn am Gartenzaun ihre neuesten Beobachtungen erzählen.
Das hinderte ihn nicht, sich nach diesem Disclaimer freudig am Anschwärzen und der “akribischen gegenseitigen Beobachtung” zu beteiligen. Aber Perrefort hatte dafür eine Ausrede, denn schließlich ging es hier um die wichtigste Sache und das wichtigste Land der Welt:
Zum anderen offenbart sich mittels Blumes „digitaler Tollpatschigkeit“ die Tendenz eines deutschen Mainstreams, der mit seinen Bekenntnissen gegen allerlei Radikalität die Parteinahme für Israel systematisch verweigert – und den Zionismus der Nähe zum „Extremismus“ verdächtigt.
Das ist also die eigentliche Sünde, die geahndet werden sollte: Die Verweigerung der Parteinahme für Israel (was Blume ja gerade nicht tut) bzw. für den Zionismus.
Die zweite Schmiere, die an Blume kleben geblieben ist, ist die Behauptung “er soll eine konservative jüdische Aktivistin mit Adolf Eichmann verglichen haben” (so wörtlich im aktuellen Artikel der Welt), womit die Achgut-Autorin Malca Goldstein-Wolf gemeint ist. Sie geht vermutlich auf einen Text von Achgut-Autor Gerd Buurmann vom 18. März 2019 zurück: “Antisemitismus-Beauftragter Blume rückt Jüdin in die Nähe von Adolf Eichmann”.
Nun, sieht man sich den originalen Text von Blume vom 16. 3. 2019 an, aus dem Buurmann diesen Schluß gezogen hat, dann ist das schlichtweg eine Lüge oder zumindest eine grobe, um drei Ecken gebogene Verzerrung. Der Artikel hat den Titel “Eichmann, Breivik, Spencer und der Terrorangriff von Christchurch”, und verfolgt die Absicht, den “Ethnonationalismus als Verbindung aus Antisemitismus und Rassismus” zu beschreiben.
Zu Beginn des Textes klagt Blume über “Online-Beschimpfungen”, die ihm seine redliche “Arbeit für Dialog und Frieden” regelmäßig einbrächte. Der Haß käme aus allen extremistischen Richtungen. Die einen schmähen ihn als „üblen Zionisten“, die anderen als „Islam-Appeaser“, und eine Dame mit den Initialen „m. g.-w.“ twittere “unter dem Hashtag #michaelblume auch gleich eine angebliche Verbindung ‘zur #Muslimbruderschaft’ und ‘der Berliner Staatssekretärin #Chebli’ ”, weil er einen “Integrationsdialog” mit der Gruppe JUMA (“jung, muslimisch, aktiv”) geführt hat.
Er hat Frau Goldstein-Wolf also nicht einmal beim Namen genannt. Ihr Tweet dient ihm als eines von etlichen anderen aktuellen Beispielen für “Online-Hass und wirre Verschwörungsmythen”, die er wacker bekämpft. Damit hat er auch den Vorwurf, mit Muslimbrudern zu kuscheln als bloße “Haßrede” abgewehrt (allzugroße Nähe zu islamischen Gruppen wurde ihm schon früher vorgeworfen).
Nach dieser Einleitung zum Thema “Haß im Netz” kommt ein optisch deutlich gekennzeichneter Absatz. Im nächsten Abschnitt mit dem Titel “Der Ethnonationalismus als digitaler Antisemitismus des 21. Jahrhunderts” folgt eine reißerische und nach konventionellen Deutungsmustern gestrickte Analyse der Ursachen “des heutigen Antisemitismus und Rassismus”, dem auch Muslime zum Opfer fallen (siehe das Attentat von Christchurch, das kurz zuvor stattgefunden hatte).
“Ethnonationalismus” definiert Blume so:
Mit dem Begriff „Ethnonationalismus“ ist die schon alte, nationalistisch-rassistische Auffassung gemeint, wonach jedes Volk und jede Religionsgemeinschaft nur im „eigenen“ Gebiet leben dürfe und sowohl kulturelle wie auch biologische Verbindungen (als “Multikulturalismus” bzw. „Rassenschande“) zu unterbinden seien.
Der Frage, ob und in welchem Maße gemäß dieser Definition der Staat Israel, der explizit als Nationalstaat eines abstammungsmäßig bestimmten Volkes definiert wird, “ethnonationalistisch” ist, geht er selbstverständlich nicht nach, obwohl sie sich geradezu aufdrängt. Denn der Zionismus, der das britisch verwaltete Palästina als “eigenes Gebiet” kennzeichnete, das nur seinem Volk allein legitimerweise zustehe, und dieses systematisch mit Juden besiedelte, um eine Bevölkerungsmehrheit herzustellen, war und ist eine klassische ethnonationalistische Bewegung.
Es folgen Ausführungen über drei “Ethnonationalisten”: Über Eichmann, der “die Umsiedlung von Jüdinnen und Juden nach Palästina erzwang und förderte”, über Breivik, der “die Existenz des Staates Israel sogar begrüßte” und über das damalige Altright-Aushängeschild Richard Spencer, der “Israel als ‘Ethno-Staat’ für ‘Juden weltweit’ ” pries.
Blume begab sich hier, vermutlich völlig arglos, in ein riskantes Fahrwasser, das für Rechtszionisten, die sich selbst ganz klar als Ethnonationalisten und ihren Staat als Ethnostaat verstehen, in eine PR-mäßig eher peinliche Richtung fließt.
Es ist nicht verwunderlich, daß er ihr Mißfallen erregte, vor allem in Kombination mit seiner notorischen “Dialogbereitschaft” mit islamischen Gruppen. Aber was er nachweislich nicht getan hat, ist, die anonymisierte Frau „m. g.-w.“ in “die Nähe von Eichmann zu rücken” (außer man ist so frei, die Phrase “in die Nähe rücken” wie ein Gummiband auszudehnen, bis sein Sinngehalt zerreißt). Dergleichen zu behaupten, ist völlig skrupellos.
Eine dritte Behauptung über Blume, die auch in dem eingangs verlinkten Artikel der Welt auftaucht, ist, er habe “kritische Juden als rechtsextrem bezeichnet”.
Damit ist (wohl) ein weiterer Akteur des Dramas gemeint, der Amerikaner Benjamin Weinthal, rechter Zionist, Trump-Fan, Nahost-Experte von Fox News, Europakorrespondent der Jerusalem Post, und ebenfalls gelegentlicher Autor von Achgut. Weinthal hat sich mit besonderer Inbrunst an Blumes Fersen geheftet. Blume insiniuierte wiederholt, daß Weinthal zumindest indirekt dafür verantwortlich sei, daß er auf der Liste des Wiesenthal-Zentrums gelandet ist. Jedenfalls hat Weinthal zwei der drei “Medienberichte” verfaßt, die Steinhöfel seinem Tweet als Beleg für Blumes Antisemitismus beigab.
Es scheint Weinthal gewesen zu sein, der die Grenze der bloßen Kritik an Blume, die auf Achgut so emsig geübt wurde (und für die es gewiß reichlich Anlaß gibt, nach welchem Maßstab auch immer), überschritt und zur nackten Denunziation überging. Er wiederholte in zahllosen Tweets die Falschbehauptung, Blume habe eine “deutsche Jüdin” mit “dem Nazi Adolf Eichmann” verglichen und wurde nicht müde, triumphierend auf den Eintrag in der Wiesenthal-Liste hinzuweisen (was ein Zirkelargument wäre, wenn dieser tatsächlich auf seinen eigenen Vorwürfen gegen Blume beruht).
Weinthal schreckte auch vor persönlichen Einschüchterungsversuchen nicht zurück. So schrieb er an Blume eine E‑Mail mit folgendem Wortlaut (alle Fehler im Original):
Shalom Herr Blume,
ich habe von einer Quelle in BW mitbekommen, dass ihre Frau sich antisemitische geäußert hat. Trifft das zu? Wann haben Sie Zeit darüber zu sprechen? Können Sie mir bitte die Nummer und die Emal von ihrer Frau zusenden? Ist ihre Frau eine Antisemitn? Gibt es einen islamischen Antisemitismus-Problem innerhalb ihrer Familie? Ich freue mich auf Ihre Auskunft. Mit freundlichen Grüßen aus Jerusalem, Benjamin Weinthal
Das ist ein Maximum von inquisitorischer Aggressivität, noch verstärkt durch die sarkastische Faux-Höflichkeit, mit der er sich hier in Blumes privaten Bereich hineinzubohren versuchte.
Blume reagierte auf die ad-hominem-Attacken Weinthals, die in der Tat mit “Kritik” wenig zu tun haben und die offenbar immer weiter eskalierten, indem er ihn als “Rechtsextremen” oder “rechtsextremen Troll” präsentierte. Damit versuchte er wohl, den Antisemitismus-Vorwurf auf einer vergleichbar diskreditierenden Ebene abzuwehren. Im Juli 2021 publizierte er eine offene “friendly response” an Weinthal auf Englisch, in der er sich bei ihm dafür bedankte (eher ironisch als sarkastisch), ihm als anschauliches Beispiel von “digital radicalization” und “digital trolling” gedient zu haben.
Das reicht wohl erstmal. Die Geschichte gehört, wie so viele andere auch, in die Kategorie “jede Seite ist die falsche”. Beide Seiten arbeiten mit Verdrehungen und Diffamierungen (auch Blume hat das im Repertoire), keine der beiden Seiten ist ein echter Freund der freien Rede und des freien Denkens, beide Seiten trachten danach, ihre Narrative dogmatisch-moralisch abzusichern und Abweichler unter Druck zu setzen.
Die Geschichte wirft auch einiges Licht auf Artur Abramovychs Vorschlag zur Güte, “der Zionismus und die sogenannten Rechtspopulisten” sollten “an einem Strang ziehen”, damit die “Deutungshoheit über Antisemitismus von links nach rechts wandert”, also quasi von den Blumes zu den Weinthals, von den Meron Mendels zu den Henryk Broders. (Die Kampagne gegen Blume ist weitgehend gescheitert, weil seine Gegner in Deutschland, die sich offenbar für eine Art “Gegenkirche” des Anti-Antisemitismus halten, eher Nischenprogramm sind und die Deutungshoheit nicht an sich ziehen konnten.)
Das hieße in der Praxis (wie unsere Geschichte anschaulich zeigt), daß die Macht zur Denunziation von einer Gruppe zur anderen wandert. Hierzu müßten ein paar Definitionen und Zielrichtungen der politischen Waffe modifiziert werden, die Denunziation als Mittel zum Zweck bleibt jedoch prinzipiell und moralisch unhinterfragt in Gebrauch und in ständiger Bereitschaft.
Wer mit Denunziation droht, will jedoch erpressen, und die meisten Erpresser sind unersättlich, wenn sie einmal bekommen haben, was sie verlangt haben.
tearjerker
Unabhängig davon, dass Blume zuhause den Frieden wahren möchte: Sein Auftrag ist es, das Publikum im Sinne seiner staatlichen Auftraggeber mit themenspezifischer Öffentlichkeitsarbeit zu bestrahlen. Deren Spin geht wie bei nahezu allen Themen in Richtung ,der legendäre kleine Mann, der immer litt und nie gewann', AntiImp, böser Deutscher usw. Völlig unvermeidlich, dass damit für ihn Israel und die USA am Pranger stehen und die Achse, die sowas eher so mittel findet, ihm das konstant unter die Nase reibt. Der linke Komplex, dem Blume zuarbeitet hat ja die Achse bereits schwer unter Druck gesetzt, indem man versuchte ihr die Werbeerlöse abzudrehen. Offensichtlich hatten die Altlinken um Broder dann doch das bessere Netzwerk. In wenigen Jahren wird man das Antisemitismus-Geraune mangels Publikum nicht mehr verkaufen können. Bevor der Laden schliesst, deshalb: Alles muss raus.