4. Abramovych an Lichtmesz
Freiburg, 27. 10. 2023
Lieber Herr Lichtmesz!
Zunächst zu Ihren Ausführungen über das amerikanische Diasporajudentum nur eines: mich hat daran insbesondere frappiert, dass Sie dieses offenkundig eingehend studiert haben, ohne allerdings aus Ihren Studien die entsprechenden Schlüsse ziehen zu können.
Denn jüdische Globalisten wie der von Ihnen zitierte Jonathan Weisman werden selbstverständlich nicht offen bekennen, das Judentum „auflösen“ zu wollen, sondern im Gegenteil behaupten, dem wahren Judentum, seiner Quintessenz geradezu, gerecht zu werden mittels derartiger, von Ihnen zitierter Utopien über offene Grenzen und fallende Mauern.
Diese Diasporisten glauben, das Judentum sei die Minderheit par excellence, der Inbegriff des Entorteten. Es hätte Ihnen klarwerden sollen, dass das, was Diasporisten für jüdische Identität halten, die Zersetzung an sich ist, die „Auflösung aller Dinge“ (um den Buchtitel eines von Ihnen geschätzten Autors zu zitieren), und herzlich wenig zu tun hat mit dem, was uns ein auch nur oberflächlicher Blick ins Alte Testament lehren würde. Sie scheinen diesen Umstand zu leugnen und den Diasporisten ebenso viel Berechtigung zuzusprechen wie den Nationaljuden, um Ihr reichlich obsoletes Bild vom Judentum aufrecht erhalten zu können.
Unbegründet bleiben auch Ihre Unterstellungen, der Staat Israel profitiere vom deutschen „Schuldkult“ mit all seinen Erscheinungen wie der Diffamierung der Deutschen als Täternation par excellence. Im Gegenteil betont die (tonangebende) politische Rechte in Israel, dass der Shoah weniger politische Bedeutung beigemessen werden sollte; der Bruder von Benyamin Netanyahu, Iddo, rief etwa dazu auf, Staatsgäste nicht mehr nach Yad Vashem zu bringen.
Von diesem Umstand zeugen ebenso die exzellenten Beziehungen Israels zur ungarischen Regierung, welcher vonseiten der politischen Linken Westeuropas „Relativierung des Holocaust“ und Antisemitismus vorgeworfen wird, da zum einen die Geschichtspolitik Orbans, wie man unschwer etwa am Terror Háza Múzeum in Budapest studieren kann, die beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in eine Reihe stellt, und Orban sich zum anderen nicht scheut, die zersetzende Wirkung antizionistischer Juden wie George Soros (übrigens persona non grata in Israel) anzuprangern.
Mich erstaunt auch, mit welch einer Verve Sie die von mir ins Feld geführten Beispiele für die Allianz der westeuropäischen Rechten mit dem Zionismus (Le Pen, Zemmour und Renaud Camus) hinwegfegen zu können glauben; ich habe mich nicht nur wegen unser beider Frankophilie hauptsächlich für französische Beispiele entschieden, sondern weil Frankreich, aufgrund seines nach wie vor ausgeprägten Souveränismus, unter den westeuropäischen Ländern dasjenige ist, das noch am meisten hadert mit transatlantischer Orientierung. Und dennoch ist zu beobachten, dass die dortige parteipolitische und intellektuelle Rechte keineswegs damit hadert, sich als dezidiert proisraelisch zu profilieren.
Unbegründet bleibt auch Ihre Behauptung, die „aktuelle haltlose Zustimmung der medialen Klasse zu den israelischen Vergeltungsschlägen in Gaza“ sei „Frucht dieser ‚philosemitischen‘ Mentalität, die vor allem auf die Re-Education zurückgeht“. Das erscheint grade angesichts eines Vergleichs mit Frankreich absurd. Sind die Franzosen auch re-educated?
Und wie steht es um Orban, der in seiner Unterstützung Israels wesentlich weiter geht als die Bundesregierung, ist er auch re-educated? Und wenn die (sich vornehmlich auf Rhetorik beschränkende) deutsche Unterstützung Israels ein Werk der Amerikaner ist, wie erklären Sie es sich dann, dass der amtierende amerikanische Präsident Israel seit Tagen von einer Bodenoffensive abzubringen versucht und bereits derart massiven Druck ausgeübt hat, dass Israel die Blockade Gazas wieder aufhob?
Nun zu Ihren Ausführungen über Thor von Waldsteins Aussagen über Israel. Der Schmitt-Schüler Günter Maschke gab gern kund: „Der Mensch hat so viele Rechte wie ein Gürteltier.“ Sie werden nicht aus der Welt leugnen können, dass unter deutschen Rechten solche anzutreffen sind, die den Begriff der „Menschenrechte“ niemals unironisch in den Mund nehmen, – es sei denn, es geht um Israel.
Ihr Versuch, meinen Vorwurf des zweierlei Maßes gegen mich zurückzukehren, könnte daher alberner nicht sein, denn erstens bin ich kein Schmitt-Schüler, der das Konzept der Menschenrechte grundsätzlich ablehnt, zweitens handelt es sich bei dem Vorgehen der Chinesen gegenüber Uiguren und Tibetern, anders als bei der Politik Israels gegenüber den Arabern, um einen veritablen kulturellen Genozid, dem im Übrigen (zumindest im Fall der Tibeter) keinerlei physische Aggressionen gegenüber Han-Chinesen vorangegangen sind (oder sind Ihnen etwa von Tibetern abgeschlachtete Kinder und Frauen bekannt?), und drittens beschäftige ich mich – wenn ich auch dafür plädieren würde, die Uiguren und Tibeter nach Möglichkeit zu unterstützen, zumindest um die Einigkeit innerhalb der Volksrepublik China zu beeinträchtigen, – keineswegs derart intensiv mit diesem Thema wie Sie mit den „Palästinensern“. Ich habe etwa noch nie auch nur einen Artikel weder zu den Uiguren noch zu den Tibetern geschrieben, während Sie sich bereits wiederholt abgearbeitet haben an den Menschenrechtsverletzungen Israels.
Rundheraus gesprochen halte ich die Position einzelner deutscher Rechter zu Israel für ressentimentgeboren sowie für getrieben vom Wunsch danach, die Juden als Täter zu demaskieren, da sie hierzulande von philosemitischer Seite beständig als Opfer par excellence idealisiert werden. Das mag psychologisch nachvollziehbar sein, ist aber politisch sehr unklug, denn damit perpetuieren fragliche Teile der Rechten, was bereits das hiesige politische Establishment verfestigt und was Rolf Peter Sieferle in Finis Germania beklagte, und zwar die „komplementäre Sonderrolle“, die Hitler den Juden und den Deutschen zugewiesen hat.
Ich halte diese Komplementarität keineswegs für eine Unausweichlichkeit, und ich sähe auch keinen Grund, aus dem der Zionismus diese Komplementarität aufrechterhalten sollte; aus israelischer Sicht ist Deutschland, realpolitisch, ein Land wie jedes andere westeuropäische Land auch: ein Verbündeter, der allerdings aufgrund von linker Ideologisierung antiisraelische Organisationen finanziert und die israelische Souveränität über Judäa und Samaria nicht anerkennt. Allerdings hat all das nicht das Geringste zu tun mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs (das wird nur vonseiten des deutschen Mainstreams aus Gründen der Prestigeträchtigkeit so dargestellt und von Ihnen hineininterpretiert).
Israel verlangt von den Westeuropäern darüber hinaus keinerlei finanzielle Unterstützung, sondern im Gegenteil, dass sie ihre Ausgaben für vermeintliche humanitäre Hilfe zugunsten der Araber einsparen und anderweitig verwenden (zum Beispiel zum Kauf dringend benötigter neuer Waffensysteme…).
Ihre Einlassung, alle drei abrahamitischen Religion hätten gleichermaßen „Anspruch“ auf Jerusalem, bestreite ich. Diese Stadt wird nirgends erwähnt im Koran, und dass der Bau des Felsendoms (und kurz darauf der Al-Aqsa, was übrigens „Die Ferne“ bedeutet, im Sinne von: fern von Mekka und Medina) ausgerechnet auf dem Tempelberg stattfand, ist kein Zufall, denn es dient der Festigung des Herrschaftsanspruchs des Islam über diese Stadt (und die gesamte ehemals jüdische Region, für die der Tempelberg symbolisch steht).
Die Existenz dieses für den Islam inzwischen (im Nachgang zu einer nachträglichen Lokalisierung der kuranischen Erzählungen in Jerusalem) zweifelsohne wichtigen Wallfahrtsorts stellt für mich allerdings noch keinen hinreichenden Grund dar, von einem islamischen „Anspruch“ auf diese Stadt zu sprechen. In Buda findet sich noch heute die Gül-Baba-Türbe, und in Ihrer Heimatstadt, wenn sie denn 1529 oder 1683 von den Osmanen erobert worden wäre, gäbe es heute auch islamische Wallfahrsorte; das würde allerdings aus meiner Sicht keineswegs bedeuten, dass der Islam einen „Anspruch“ auf Wien erheben dürfte.
Auch handelt es sich bei Palästina um eine christlich-jüdische Vorstellung, keineswegs um eine islamische. So gab es denn auch in all den Jahrhunderten, als das Land von Muslimen regiert wurde, zu keiner Zeit eine solche kulturelle oder auch nur administrative Entität. Beim Konstrukt der „Palästinenser“ handelt es sich um nichts weiter als eine Übernahme westlicher Vorstellungen, um eine Pseudomorphose; daher ist die romantisierende Verklärung der Araber als urwüchsig (Stichwort „Okraschoten-Händler“) bis hin zur Gleichsetzung eigenhändiger Morde an jüdischen Zivilisten mit Kollateralschäden bei israelischen Bombardements derart deplatziert.
In einer Reaktion auf Leserkommentare zu Ihrem letzten Schreiben haben Sie eine „Zwei-Staaten-Lösung” gefordert. Ich kann Sie dessen versichern, dass in keinem einzigen noch so unrealistischen Szenario ein dauerhafter Staat „Palästina“ entstünde, denn selbst wenn es den Arabern mithilfe des Irans und/oder der Türkei gelänge, den Staat Israel dereinst von der Landkarte zu fegen, bräche der palästinensische Nationalismus umgehend wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Womöglich würde der entstehende Staat noch benützt werden, um von dort aus einen Krieg gegen Jordanien zu beginnen und die Haschemiten vom Thron zu stoßen (was übrigens zu einer Unzahl an Flüchtlingen führen würde), aber spätestens dann würden sich „Jordanien“ und „Palästina“ zu einer einzigen Entität vereinigen, falls es nicht umgehend zur Gründung eines muslimbruderschaftlichen Kalifats käme.
Diesem Befund, daß der Staat Palästina eine Schimäre ist, gesellt sich der Umstand hinzu, daß das von Ihnen angeführte Jabotinsky-Zitat an ebenjener Stelle abbricht, wo er sich gegen die Naivität der seinerzeitigen Linkszionisten wendet, denn der nächste Satz hätte gelautet: „Ich glaube nicht daran, dass sich der Abgrund zwischen uns und den Arabern durch Geld, Geschenke und gute Worte überbrücken lässt.“
Der Grund, aus dem es niemals zur Gründung eines Palästinenserstaates gekommen ist, ist keineswegs in der jüdischen Haltung zu suchen, sondern in dem Umstand, dass der Nationalismus der „Palästinenser“ schlichtweg nicht darauf ausgelegt ist, Souveränität zu erlangen, nicht darauf, „ein freies Volk im eigenen Land“ zu sein, wie es in der israelischen Nationalhymne heißt, sondern stattdessen vor allen Dingen darauf, Israel um jeden Preis (und sei um den Preis der eigenen Kinder) auszulöschen.
Selbst einen winzigen jüdischen Staat mit einer Fläche von nur 5.000 km² (nach dem ersten Teilungsplan, vorgelegt von der unter dem Duckmäuser Chamberlain eingesetzten Peel-Kommission; das ist kleiner als der Kanton Bern) waren sie nicht bereit zu akzeptieren, weil sie seit jeher, noch vor dem Aufkommen des Islamismus, mit der illusorischen und selbstzerstörerischen Hoffnung gemästet worden waren, dereinst alle Juden restlos loszuwerden.
Dabei ist das Rückkehrrecht der Araber, von dem Sie sagen, es sei „voll international anerkannt“ (womit Sie sich auf die Statuten der UNRWA berufen), spätestens obsolet, seit die Araber im Anschluss an den israelischen Sieg im Unabhängigkeitskrieg nahezu alle arabischen Juden (das waren ca. 700.000 Menschen) restlos aus ihren Ländern vertrieben haben; die in den 22 arabischen Staaten einzige existente jüdische Gemeinde befindet sich auf der tunesischen Insel Djerba.
Und auch wenn es nicht den demographischen Selbstmord Israels bedeuten würde, gäbe es keinen Grund, die Nachfahren der 1948/49 geflohenen (und zum Teil vertriebenen) Araber wieder im israelischen Kernland siedeln zu lassen, zumal Israel bis heute eine rund zwanzigprozentige islamische Minderheit mit vollen Bürgerrechten in seinem Land duldet, obwohl etwa die Hälfte davon gegenüber dem Staat Israel feindlich eingestellt ist.
Dennoch wird den Arabern nach wie vor sowohl vonseiten islamistischer Akteure beiderlei Konfession als auch mit – mittelbarer – Unterstützung des Westens die Illusion eingebläut, es werde der Tag kommen, an dem sie das ganze Land erhalten würden. Sie leben in einem beständigen Zustand der Erwartung und sorgen sich daher kaum darum, etwas Bleibendes zu errichten.
Ich sprach von westlicher Unterstützung. Denn zu dieser irreführenden und dem Wohlergehen der
Araber enorm schadenden Anspruchshaltung trägt nicht zuletzt die hauptsächlich aus dem Westen finanzierte UN bei. Sie unterhält zwei Flüchtlingshilfswerke; eines für alle Flüchtlinge der Welt außer den „palästinensischen“ und eines eigens für die „Palästinenser“. Für letzteres, die UNRWA, ist der Flüchtlingsstatus erblich, wodurch etwa die in einer bourgeoisen Pariser Altbauwohnung hausende Witwe von Arafat aus Sicht der UN nach wie vor als “Flüchtling” gilt.
Zudem wird die UNRWA weitgehend von Islamisten kontrolliert; 95% unter ihren Mitarbeitern sind Anhänger der Hamas, wie eine Betriebsratswahl vor einigen Jahren ergeben hat. Die Abermillionen, die die UNRWA von der „Weltgemeinschaft“ erhält, gelangen so fast unmittelbar in die Hände der Hamas, die vermeintliche Hilfsgüter, sobald sie die Grenze zum Gazastreifen passieren, umgehend beschlagnahmt sowie UNRWA-Schulen und Krankenhäuser als Waffenlager und Raketenabschussrampen missbraucht (da sie darum weiß, dass Israel große Hemmungen hat, derartige Ziele zu beschießen; und wenn Israel es doch einmal tut, entstehen Bilder, die sich exzellent skandalisieren lassen; und diese Bilder sind der Hamas mehr wert als die Leben arabischer Zivilisten).
Die Bundesrepublik nun finanziert die UNRWA und damit mittelbar die Hamas seit Jahrzehnten. Sie war gar, nach der Kürzung der amerikanischen Mittel für die UNRWA unter Trump, über zwei Jahre hinweg der größte Geldgeber weltweit, da Merkel die deutschen Mittel als Reaktion auf Trumps Entscheidung erhöht hatte.
Israel kann darüber hinaus grade nach den Erfahrungen mit Gaza nicht zulassen, daß das sogenannte Westjordanland unter die Kontrolle der Araber fällt, weil dort nichts anderes geschähe als seit 2005 in Gaza: die halbwegs verhandlungsbereite Fatah würde schrittweise von der Hamas verdrängt (inklusive politischer Morde), und anschließend entstünde ein Terrorstaat, der für Israel weit gefährlicher wäre als Gaza, denn Judäa und Samaria sind gebirgig (also ideal für den Abschuß von Raketen) und bilden außerdem das Herzstück Israels, wodurch nahezu alle dicht besiedelten Teile des Landes in unmittelbare Reichweite noch der billigsten Raketen gelängen würden.
Es spielt für dieses Szenario auch überhaupt keine Rolle, wie eine etwaige Grenzziehung genau aussähe, denn selbst wenn man zu den Grenzen von vor 1967 zurückkehren und inzwischen 800.000 jüdische Siedler aus Judäa und Samaria zwangsevakuieren würde (was ohnehin logistisch nicht zu leisten wäre), würde das die Araber keineswegs friedliebender machen.
Das derzeitige Vorgehen Israels gegenüber Gaza halte ich nicht nur für moralisch gerechtfertigt, sondern für verhältnismäßig human, denn es warnt die Bevölkerung, trotz militärischer Nachteile, die es dadurch erleidet, noch immer vor, bevor es Luftschläge ausführt. Die Hamas hingegen, wegen ihres Bedarfs an Bildern zur Selbststilisierung als Opfer, ist bestrebt, die Flucht von Zivilisten aus den beschossenen Teilen des Gazastreifens zu verhindern. Es kann auch jetzt keineswegs von einer Vergeltung von Gleichem mit Gleichem die Rede sein.
Eine wie auch immer geartete Vergeltung ist allerdings nötig; nicht um der Vergeltung selbst willen, sondern weil derjenige, der nicht vergilt, im Nahen Osten als schwach gilt und somit weitere Gewalt provoziert; sie dient der Abschreckung.
Was nun die vermeintliche Akzeptanz der Vergeltungsmaßnahmen Israels anbelangt, kann ich Sie nur darauf hinweisen, dass, während wir unseren Briefwechsel führen, die „Solidarität“ mit Israel Tag für Tag nachläßt und sehr bald auf einen Tiefpunkt fallen wird, sobald eine etwaige Bodenoffensive in Gaza beginnen wird.
Ich kann Ihnen also die Frage danach, wie man sich als Angehöriger eines Volks fühlt, “das von allen Seiten das Recht auf Vergeltung zugesprochen bekommt“, mithin beim besten Willen nicht beantworten, da ich einem solchen Volk schlichtweg nicht angehöre. Ich gehöre im Gegenteil jenem Volk an, dessen Staat in der UN so oft verurteilt wird wie kein anderer der Welt.
Was meine Entscheidung angeht, mich aufseiten der politischen Rechten parteipolitisch und publizistisch zu engagieren, so hatte diese weniger mit meiner Zugehörigkeit zum Judentum zu tun, als vielmehr mit meiner Zugehörigkeit zum deutschen Kulturraum und dem Wunsch danach, dem demographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Niedergang dieses Volkes entgegenzuwirken. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass ich mich jener Nation, der ich durch Geburt angehöre, verbundener fühle als jener Nation, der ich durch Erziehung und Bildung angehöre (und als deren Angehöriger ich auch im Ausland stets in erster Linie gelte).
Im Gegensatz zu jenen AfD-Akteuren, die offensiv die Interessen von Staaten vertreten, mit denen der Westen derzeit Konflikte austrägt, liegt meine Loyalität zum Volk und Staat Israel auf der Hand; ich versuche keineswegs, sie zu überspielen oder zu kaschieren.
In den vergangenen Jahren fiel es mir zwar recht leicht, soziale Nachteile in Kauf zu nehmen, da ich mir jederzeit darum bewusst bin, dass ich nach Israel auswandern könnte; als ich der AfD beitrat, spielten diese Überlegungen allerdings noch keine Rolle, und auf die ersten Akte der Stigmatisierung (die ich angesichts meiner damaligen Naivität nicht in diesem Ausmaß erwartet hätte) reagierte ich äußerst sensibel.
Allerdings will ich es mir bei dieser Gelegenheit nicht nehmen lassen, Sie darauf hinzuweisen, dass insbesondere die Bundesrepublik (und, in geringerem Maße, wohl auch Österreich) politisch noch weit unangenehmer wären, wenn es keine innereuropäischen Zuwanderer gäbe.
Die AfD ist außerhalb absolut ländlicher Regionen in höchstem Grade angewiesen auf nichtdeutsche, europäische Gastronomen (etwa Italiener, Jugoslawen, Ostslawen), um überhaupt Räumlichkeiten zu erhalten für ihre Veranstaltungen. Die Wahlergebnisse der AfD würden weniger gut ausfallen, wenn da nicht etliche innereuropäische Zuwanderer wären, die sich nach wie vor mit ihren Heimatländern identifizieren (denn es gilt die Faustregel: je mehr sie sich assimilieren, desto linker werden sie, denn dadurch passen sie sich der hier vorherrschenden politischen Stimmung an).
Diese innereuropäischen Zuwanderer sind im Schnitt auch weit kritischer gegenüber außereuropäischer Zuwanderung eingestellt als Autochthone; die mir persönlich bekannten Linksextremen sind ausnahmslos, die Linksliberalen ganz überwiegend Autochthone. Die hiesige parteipolitische Rechte hat diesen Umstand im Übrigen längst verinnerlicht.
Was nun das von Ihnen als „Deal“ ridikülisierte Angebot des zionistischen Judentums an die politische Rechte westlicher Länder anbelangt, wären Akteure wie Sie konkret gefragt, dem Dualismus (und auch den Auseinandersetzungen) innerhalb des Judentums sowie der antiglobalistischen Stoßrichtung des Zionismus in größerem Maße Rechnung zu tragen, statt eifrig bestrebt zu sein, das Judentum als monolithischen Block erscheinen zu lassen.
Um die hierzulande unbestreitbare (und sowohl dem Zionismus als auch der hiesigen Rechten enorm schadende) diasporistische Deutungshoheit darüber, was Antisemitismus ist, zu entkräften, ist es nötig, diese Deutungshoheit an den national ausgerichteten Teil des Judentums zu übertragen.
Denn der Nationaljude hält den linken Antisemitismus (also die Kritik des Judentums als partikularistisch, “rassistisch” etc. pp.) für weit gravierender als den rechten Antisemitismus (also die Kritik des Judentums als “zersetzend”), während die derzeitige Deutungshoheit solcher Leute wie Meron Mendel, Zimmermann, Zuckermann, Susan Neiman etc. eng mit dem von Ihnen so bezeichneten “Schuldkult” verknüpft ist und sich nur auf den rechten Antisemitismus fokussiert.
Was ich hier ausmale, das gemeinsame Ziehen an einem Strang für ein gemeinsames Ziel des Zionismus und der sogenannten Rechtspopulisten (die in gewisser Hinsicht ja auch Zionisten sind…), dass die Deutungshoheit über Antisemitismus von links nach rechts wandert, ist keineswegs eine ferne Utopie, sondern in fast allen europäischen Ländern bereits jetzt Realität.
Zuletzt möchte ich auf Ihre Behauptung zu sprechen kommen, die bedrohlichen “demographischen Entwicklungen” der europäischen Nationen seien “eng mit Vorgängen im Nahen Osten verbunden“. Der gleichsam rechte Pazifismus, der dieser Behauptung zugrundliegt, es gäbe keine oder nur weit geringer ausfallende Fluchtbewegungen nach Europa, wenn Weltfrieden herrschen würde, ist eine gefährliche Illusion, die nichts weiter bewirkt, als dem Westen Handlungsoptionen zu verweigern und seine Gegner zu stärken.
Die Lebensbedingungen für weite Teile der außereuropäischen Länder waren nach europäischen Maßstäben spätestens seit dem 19. Jahrhundert miserabel, allerdings ohne dass in früheren Jahrzehnten eine unkontrollierte Migration hierher stattgefunden hätte. Wenn Flüchtlinge in aller Welt nicht genau wüssten, wie übertrieben freigiebig man sie hier nach ihrer Ankunft versorgen wird, würden sie sich gar nicht erst auf den Weg hierher machen, – und zwar ganz unabhängig davon, wie unerträglich die Lebensbedingungen bei ihnen daheim sind.
Es wäre ohne Weiteres möglich, Flüchtlingsströme in Richtung Europa aufzuhalten bzw. solche gar nicht erst entstehen zu lassen, ohne dabei auf europäische Interventionen im Nahen Osten und Afrika verzichten zu müssen. Die Voraussetzung für die Masseneinwanderung nach Westeuropa sind nämlich keineswegs die Lebensbedingungen oder etwaige Kriegshandlungen andernorts (denn es wird niemals Weltfrieden geben), sondern die selbstmörderische Bereitschaft der Westeuropäer, die aus den fraglichen Gebieten fliehenden Menschen beliebig aufzunehmen.
An dieser Stelle will ich erstmal abbrechen, und nun wieder Sie zu Wort zu kommen lassen.
Herzliche Grüße aus Vorderösterreich
Artur Abramovych
Monika
Ich finde es wichtig, dass Herr Abramovych darauf hinweist, dass die Perpetuierung der "komplementären Sonderrolle", die Hitler den Juden und Deutschen zugewiesen hatte, im Grunde in heutiger Politik nichts mehr ausrichtet. Sich darauf zu fixieren ( Gerede vom "Schuldkult") ist m.E. albern und hat was von einem ewig währenden Familienzwist. Wieso konnte Hitler dieses "Narrativ" ( ich hasse das Wort) überhaupt bedienen ? Nikolaj Berdjajew schreibt Anfang der 30er Jahre, also vor Holocaust und Staatsgründung in einem Aufsatz "Christentum und Antisemitismus": "Es gibt den jüdischen Eigendünkel, der aufreizend ist. Aber er ist psychologisch erklärbar. Dieses Volk war von anderen Völkern gedemütigt worden, und es kompensiert dies mit dem Bewußtsein seiner Auserwähltheit und seiner hohen Mission. Ebenso entschädigt sich das deutsche Volk, das nach dem Krieg ( hier: der 1. Weltkrieg) jahrelang gedemütigt wurde, durch das Bewußtsein, dass es die höchststehende Rasse ist und berufen, über die Welt zu herrschen. " Wenn die Rechte sich jetzt durch die Terrrortaten der Hamas (es wird verglichen, was bisher unvergleichlich schien) von der Schuld etwas entlastet fühlt, kann ich das psychologisch nachvollziehen, aber daraus unterschiedslos Sympathien für das palästinesiche Volk abzuleiten, der Schuß könnte in die falsche Richtung gehen.