Verschiedene Studien haben in der Vergangenheit bereits den Aufstieg und Verfall neuer Parteien auf der Wählernachfrageseite im Detail untersucht. Franz Urban Pappi, Anna-Sophie Kurella und Thomas Bräuninger haben schon 2019 in einer Studie die Etablierung neuer Parlamentsparteien anhand der Grünen im Jahr 1986 und der AfD im Jahr 2017 betrachtet. Demnach hängt die Mobilisierungskraft neuer Parteien maßgeblich von der Positionierung innerhalb diskursiver und thematischer Lücken im politischen Spektrum ab.
Der Erfolg einer neuen Partei ist nach der empirischen Darstellung der Autoren nicht so sehr von der politischen Etikettierung (links, rechts, liberal oder konservativ) abhängig, sondern von der sogenannten „Salienz“. Sie beschreibt und mißt, wie wichtig, intensiv und relevant die Wähler ein Thema und die dazugehörige Position betrachten.
Damit sich neue Parteien langfristig etablieren können, benötigen sie also ein Thema, womit sie sowohl im Profil, dem Markenkern und der Positionierung in der Wählerschaft als exklusiv wahrgenommen werden. Die Wählernachfrage bildet sich demnach immer erst über die Schnittstelle einer konkreten thematischen Agenda, die sich stark genug von dem bisher bestehenden Parteienangebot abgrenzen kann. Dies lässt sich bei der AfD im Hinblick auf die Migrations- und Identitätspolitik klar bejahen.
Die Sympathie und Zustimmung für die AfD ist auf der thematischen Profilebene ganz klar durch die Kritik und Ablehnung der Massenzuwanderung gekennzeichnet. Das Wählervertrauen in die AfD übersetzt sich aus einem fundamentalen Wertekonflikt, der die Zukunftsfrage nach der kulturellen Substanz unserer Nation und unseres Volkes verhandelt.
Über die Migrationsfrage kann die AfD Wählervertrauen, Bindungen und Loyalitäten aufbauen, da nur sie aktuell einen exklusiven Zugriff auf den zuwanderungskritischen Teil der Wähler hat. Die Stimmungskurven der vergangenen Jahre haben eindeutig gezeigt, daß mit einer steigenden „Salienz“ des Migrationsthemas in der Öffentlichkeit auch die Umfragen- und Wahlergebnisse der AfD gestiegen sind.
Mit welcher thematischen Positionierung wollen nun aber Maaßen und Co. ein exklusives Inhaltsprofil aufbauen, das noch nicht besetzt ist?
Die in Teilen etwas skurrile libertäre Gedankenwelt eines Markus Krall dürfte vor allem bei sozial schwächeren Bevölkerungsteilen wohl kaum auf große Sympathien treffen und hätte daneben auch kaum dynamisches Polarisierungs- und Mobilisierungspotential. Die Werteunion-Partei kann kein eigenes exklusives inhaltliches Angebot unterbreiten. Sie könnte nur im Windschatten der AfD mitsegeln.
In einem älteren Aufsatz „Auf- und Abstieg von Parteien“ von Hiltrud Naßmacher wird skizziert, daß die Herausbildung von neuen Parteien immer auch mit soziostrukturellen Verschiebungen und gesellschaftlichen und wertebezogenen Konfliktlinien einhergeht. Das heißt, gesellschaftliche Milieus bilden eigene soziale und politische Identitäten aus, die in Kontrast zu herrschenden und bisweilen dominanten Weltbildern, Lebensrealitäten und Paradigmen stehen und schließlich über längere Zeiträume auch in einer konkreten parteipolitischen Repräsentation münden.
Die Genese von Parteien ist immer interessen- und konfliktbezogen. Maaßen und Krall eröffnen mit ihrer Werteunion jedoch keinen neuen politischen Raum, sondern haben lediglich Zugriff auf ein Wählerpotential, das bereits innerhalb von AfD, FDP und CDU gebunden ist. Man kann sich natürlich auf das Spiel von der spekulativen Arithmetik einlassen und glauben, man könne die enttäuschten Wählergruppen aller drei Parteien auf sich vereinigen. Es bleibt am Ende aber nur politische Esoterik.
Das Aufkommen der AfD hat vor allem die Gestalt einer gesellschaftlichen Konfliktstruktur zwischen den verwurzelten und heimatbezogenen „Somewheres“ und den kosmopolitischen „Anywheres“ hervorgerufen. Diese soziokulturelle Polarisierung ist jetzt in die bundesdeutsche Parteienstruktur eingeschrieben und auf ihr kann auch ein weltanschauliches Gerüst gebaut werden.
Markus Krall kündigte auf Twitter bereits an, daß die „Neue Partei“ eigentlich nie weg war und jetzt lediglich an die alte bundesrepublikanische Erzählung Adenauer bis Kohl anknüpfe. Mit diesem Narrativ mag man sicherlich kleinere nostalgische Nischengruppen erreichen. Insbesondere im Jungwählerbereich wird dies wohl kaum verfangen.
Die AfD hat also sowohl auf der Wertkonfliktdimension als auch in der thematischen Profilierung ihren festen Platz eingenommen. Sie hat bereits einen festen Markenkern, eine definierte Kernwählerschaft, einen stringenten programmatischen Unterbau und ein wachsendes Vorfeld und Milieu.
Welches Wählerpotential wollen Maaßen und Krall sowohl bei der CDU und der AfD aktuell aufbrechen und neu verteilen, wo doch beide Parteien aktuell eine solide Zustimmungsbasis haben?
53% der Deutschen halten in diesem Jahr einen ersten AfD-Ministerpräsidenten für wahrscheinlich. Knapp ein Drittel der Wählerschaft hält die AfD inzwischen für eine normale und wählbare Partei. Die totale Ablehnungsfront ist laut INSA-Potentialanalyse innerhalb eines Jahres um 15% geschrumpft.
Mit 48% erreicht die AfD den zweithöchsten Wert gegenüber allen anderen Parteien, deren Wähler „großes und sehr großes“ Vertrauen haben. Bei der letzten Kompetenzwertmessung im Deutschland-Trend konnte die AfD ihren Wert im Bereich Wirtschaftspolitik im Vergleich zu 2021 verdoppeln und in der Migrationsfrage noch einmal deutlich ausbauen. Im Osten werden die ersten Rathäuser und Landratsämter erobert.
Die Werteunion-Partei kommt also zu einem Zeitpunkt, wo die AfD immer stärkere Bindungs- und Integrationskräfte herausbildet und in die Phase von einer Protest- zu einer Milieupartei übergetreten ist. Die CDU hat mit ihren über 30% in den Umfragen auch schon schlechtere Tage hinter sich.
Am fragilsten scheint aktuell die FDP-Wählerschaft zu sein. Doch ob der Kuchen, der dort zu verteilen ist, groß genug ist, um den Ansprüchen von Maaßen und Krall gerecht zu werden, darf stark bezweifelt werden.
RMH
Das ist alles richtig beschrieben, auch ich habe in meinem Debattenbeitrag zum ersten Teil bereits auf den starken Markenwert der AfD hingewiesen (innerlich ist diese Partei aber von Gräben durchzugen, die von der Strahlkraft der Marke noch (!) überleuchtet werden). Wenn Maaßen/Krall daher einfach eine Parteigründung in Form der Umwandlung ihres bisherigen Vereins planen, dann wird das nichts. Darauf würde ich ebenfalls große Summen wetten. Dieser Umstand sollte aber zumindest Herrn Maaßen auch bekannt sein, also werden die Tore der Spekulation geöffnet. Warum macht er das? Er ist nicht der Typ, der mit einem Messer in eine Schießerei geht. Haben die beiden einen Überraschungseffekt in der Hand und wenn ja, wie groß und schlagend wird dieser sein? Was könnte dieser Überraschungseffekt sein? Doch wohl nur, dass es evtl. prominente Überläufer, ehemals bekannte Personen und auch Zusammenschlüsse mit bspw. Bündnis Deutschland geben kann. Letzterer Punkt würde m.M.n. nicht viel mehr einbringen, also bleibt die Spekulation: Gibt es Abgeordnete der Union und auch der AfD, welche die Seite wechseln oder andere, echte Prominenz? Lassen wir uns überraschen. Wenn dieser Überraschungsumstand nicht eintritt, dann gibt es eben eine Splitterpartei mehr, so what.