Keine Frage, wir alle sind – als zoon politikon – von der Politik betroffen und im Umkreis des Alltäglichen zwangsläufig darin handelnd unterwegs. Aber das ganz große Rad drehen wollen, Veränderungen ersehnen und dafür – ausnehmend politisch – tätig werden?
Demokratie, heißt es, wäre das Non-plus-ultra, stellte den Gipfelpunkt politischer Geschichte und die beste gesellschaftliche Errungenschaft für die Gerechtigkeit dar. Zudem Gewaltenteilung, Checks and Balances, Transparenz, Pressefreiheit – wie segensreich doch!
Wir sollten uns glücklich schätzen, in einer Demokratie zu leben, und wir sollten freudvoll und kunterbunt divers in ihr mitwirken, wir müßten sie schützen und, ja, sie regelrecht lieben. Wir sollten uns zu ihr „bekennen“ – so wie das Fleisch gewordene Vorbild aller deutschen Demokraten, Frank-Walter Steinmeier in „Bellevue“, „unser“ Bundespräsident, Anführer der selbsterklärt Anständigen und so gewissermaßen König der besten aller möglichen Welten.
Die Göttlichkeit der Monarchie, das Gottesgnadentum, wurde seit der frühen Neuzeit in Frage gestellt, umgekehrt wird sie für die moderne Demokratie mehr und mehr behauptet, so vehement, daß jede Infragestellung als Blasphemie gilt. Vom Staatsbürgerkunde-Unterricht der Schulen an sind Hosianna-Rufe verordnet. Die AfD soll daher im Gegensatz zu den „moralisch gesinnten Bürgern“ allenfalls als „semidemokratische Kraft“ gelten, so die Wortlösung von Eckhard Jesse in der FAZ.
Für mich selbst sehe ich – im Unterschied etwa zur Rechtsstaatlichkeit, die mir wichtig ist – in der Demokratie keine Wirkmächtigkeit, außer daß ich alle paar Jahre zu einer Wahl aufgemuntert werde, an der ich als verschwindend kleiner Bruchteil, eher symbolisch also, teilnehme. Daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeitsgarantie direkt voneinander abhängen, dürfte nicht zwingend so sein. Selbst das alte Preußen konnte wohl als Rechtsstaat gelten, kaum aber als Demokratie.
Mir persönlich jedenfalls brachte die demokratisch gewählte Exekutive ein Berufsverbot ein, das sie mir nicht erläutern möchte und zu dem sie – trotz meiner vorgetragenen Bitte darum – nicht gesprächsbereit ist, vermutlich weil sie sich hochherrschaftlich das Recht auf den arroganten Luxus nimmt, mich persönlich zu verachten. Akzeptiert. Die anderen sind offenbar wirklich mehr.
Es gibt also zwischen der exekutiven Politik und mir – trotz des Dauerbekenntnisses der Herrschenden zum „Diskurs“, sogar zur „Diskursethik“ – keinerlei Kommunikation, außer jener indirekten in der Form, daß sich die „demokratisch legitimierte“ Exekutive von meiner randständigen Publizistik beleidigt und getriggert fühlt und daher meine berufliche Existenz meint verhindern zu dürfen und zu müssen. Von Politik bin ich zwangsläufig betroffen, gestalten kann ich sie nicht. Dazu fehlt mir die Macht, aber die zu gewinnen strebe ich andererseits nicht an.
Im Sinne Max Stirners kann ich sagen, daß die Politik dieses Landes leider nicht „meine Sach‘“ sein kann. Andere mögen darin eher zu Hause sein, nur wundert es mich, welch aufgereizte Hoffnungen all die Parteigänger verschiedener Richtungen mit ihren angeblichen politischen Möglichkeiten verbinden – häufig nicht weniger als eine irdisch erwartbare und finale Erlösung von allem Ungemach, das wiederum Mensch und Menschheit doch auf Dauer beständig begleitet hat. Diese schicksalhaften Widerfahrnisse sind das einzig Verläßliche; mit ihnen gilt es persönlich zurechtzukommen – wie überhaupt mit der Kontingenz.
Was aber ist meine Sache? Mein engeres Umfeld, meine Sprache, mein Heimatland, das größer und älter ist als die Berliner Republik, mein Nachdenken aus Neugier, die Suche nach ursprünglicher Natürlichkeit und der täglich neue Anspruch, verantwortungsvoll gegenüber den Nächsten und der Natur zu leben. Noch lassen enger werdende Einschränkungen das zu.
Wenn ich dezent Demokratiegläubigkeit hinterfrage, heißt es: Ja, es ist doch historisch schon so unermeßlich viel besser geworden! – Ist es das? Wirklich? Technisch wohl, denn wer wollte etwa zurück in Zeitalter geringerer medizinischer Möglichkeiten? Aber kulturell oder vom seelischen Dasein her – besser geworden? Alles? Dank der Demokratie? Das kann ich nicht finden, und das habe ich, erwachsen geworden, nie erwartet. Politik verfährt marxistisch, wenn sie meint, der Mensch würde besser, wenn ihm günstigere Bedingungen eingerichtet sind.
Alle Erwecktheit, alle quasireligiöse und erlösungsbedürftige Inbrunst, mit der Politik betrieben wird, ist mir suspekt. Im Beispiel:
Aus Zwangsläufigkeit bin ich passiver Teilnehmer mehrerer Chatgruppen einer politischen Partei. Während ich nie das Bedürfnis verspürte, darin irgend etwas zu formulieren, lese ich zuweilen, was die anderen mit enormer Ausdauer und Engagement posten. Das Wenigste davon interessiert mich, lieber lese ich Zeitungen, gern gerade jene der vermeintlichen Gegenseite.
Aber ich bemerke fasziniert, daß diese Chatgruppen vor allem eine Funktion haben: Man versichert sich gegenseitig beständig, genau dort und nur dort richtig, ja eigentlich zu Hause zu sein – im Hort des rechten Glaubens. Und man verehrt immer mal einen neuen politischen Heiland, der gekommen ist, alles Unbill politisch zu beenden.
Denn was man dort rund um die Uhr rituell als alleinseligmachend bekennt, das ist nur, ausschließlich nur dort in der Gemeinde der Gleichgesinnten bekennbar. Man scharrt im Netz, um Zitate und Links aufzufinden, die wie Banner hochgehalten werden, um die eigene Überzeugung noch stichhaltiger zu beweisen – für die noch tiefere Gewißheit, hier und nur hier richtig plaziert zu sein, im Sinne der einzig guten Sache, des einzig erstrebenswerten Ziels und solcherart in manichäischer Weise unterschieden von allen, die noch Irrwege gehen, weil sie, so die Übereinstimmung, völlig verpeilt, verblendet und eher wohl krank unterwegs sind und nicht erkennen können, was den Getreuen in der eigenen Blase übereinstimmend absolut evident erscheint. Überläufer würden jedoch als geheilt angesehen und in die Arme geschlossen, wenn sie, endlich erweckt, den Weg zur Herde des guten Hirten fänden.
Bei der Vehemenz und Permanenz, mit der man sich in solchen Gruppen – oder auf Sitzungen, Meetings, Parteitagen – austauscht, frage ich mich oft: Gehen die überhaupt mal in die Natur, atmen die noch ruhig und tief durch, fahren die Rad, haben die in Haus und Garten nichts zu erledigen, verlangen deren Kinder nicht nach ihnen, brauchen deren Eltern keine Pflege? Lesen die irgendwann etwas anderes als die eigenen Partei-Flyer und ihre sich selbst bestätigende Agitation?
Offenbar nicht: Das Leben dieser Chat-Diskutanten und Parteifanatiker ist rund um die Uhr primär Politik, Politik, Politik; von ihr versprechen sie sich das Entscheidende, also Rettung, Anerkennung, Schutz, Erfolg, letztlich Heil und Segen und gleißende Zeichen der Auserwähltheit. Auch die beflissenen Helfer, die für ihre Idole Wahlplakate aufhängen, wollen irgendwie belohnt werden.
Kann Politik, ob rechte oder linke oder irgendwelche, das bieten? Oder:
Sollte man wirklich politisch auf Rettung hoffen? Primär? Spielt das Leben nicht glücklicherweise anderswo und so zwischen ganz anderen Menschen als diesen chronisch politisch Infizierten? Skepsis gegenüber politischem Gedöns, das Vermeiden von Gläubigkeit gegenüber Politik, ihren Phrasen und Ideologismen identifiziere ich als tendenziell rechts.
Adenauer pflegte mit Leidenschaft Rosen. Wie sympathisch. Hätte er sie nicht zu seinem ideellen und emotionalen Zentrum machen können? Ging nicht, wird man argumentieren, denn er hatte als Zentrum- bzw. CDU-Politiker eine Sendung, die er verwirklichen mußte. Was aber wurde aus dieser Sendung? Irgendwas von Bestand? Seine Rosenstöcke gibt es jedoch noch immer.
In Vermeidung des Begriffes Existentialismus und wie der von Kierkegaard bis Sartre, Heidegger und Jaspers so gefaßt wird:
Wir existieren, und dafür braucht es – u. a. für Regeln, Normen und Recht – Politik. Aber das Existieren beginnt nicht mit dem Politisieren. Leute, bei denen es allerdings so zu sein scheint, sehen auch danach aus – Saskia Esken, Kevin Kühnert, Ricarda Lang und all die anderen Karikaturen ihrer selbst.
Und nein, das meint mal nicht deren symptomatische Physiognomie, sondern vielmehr deren Existenzweise. Zwangsläufig ist der Berufs‑, der Vollblut‑, der Dauerpolitiker ein Kunstwesen, ein Schauspieler, ein Performer, ein Plakatgrinser, eine Mensch gewordene Botschaft. Wichtig ist ihm, daß er sich zeigen kann, daß er erwähnt wird, daß er stattfindet, daß man ihm ein Mikro hinhält und ihn beständig ablichtet. Daher die innere Verwandtschaft mit dem Andersenschen Kaiser und seinen neuen Kleidern.
Aber kein Handwerker führt sich so auf, kein Landwirt, nicht mal durchgängig alle Lehrer. Sollten sich rechtschaffene Leute wirklich von Politikern zweifelhaften Formats „repräsentiert“ fühlen können? – Doch, das kann man ebenso auf der rechten Seite des Spektrums ausprobieren. Ist’s meinerseits arrogant, wenn ich mich von niemandem repräsentiert sehe, ja nicht mal von irgendwem repräsentiert sein möchte, schon gar nicht von Typen die, abgehoben, für eine „Idee“ leben, weil sie mit dem Leben selbst allzu viele Rechnungen offen haben?
Nach meinem Empfinden liegt ein Segen vielmehr darin, so politikfern wie nur möglich zu leben. Befreit von der Illusion, das Leben würde besser, gar glücklicher, wenn nur der Richtige einen vertritt. Man vertrete sich selbst, das heißt: Man sei man selbst, so gut oder schlecht das dank oder trotz irgendwelcher Politik möglich sein mag. Richtig und gut gegenüber seinem Nächsten und sich selbst zu handeln nimmt einem keiner ab, ja darf einem keiner abnehmen, Politik schon gar nicht.
Es muss einem einerlei sein können, wer im Kanzleramt oder im Schloß Bellevue sitzt, so wie es meinem Urgroßvater egal sein mußte, wer gerade Kaiser ist. So, wie mein Großvater während der Schlacht an den Seelower Höhen eher auf sein Überleben hoffte als auf den Führer. Unsere engeren Angelegenheiten sind nicht politisch, und wir dürfen sicher darauf vertrauen, daß beinahe jeder Politiker unrühmlich endet. Man denke darüber nach, weshalb das so ist.
Es geht nicht um Passivität, die, heißt es, ja dazu führt, daß man herumgeschubst wird. Es geht vielmehr sogar um gesteigerte Aktivität, die die Politik des Großen und Ganzen zwar wach verfolgt, aber ihr keine letztgültigen Rechte über das ureigene Leben einräumt, das man selbst zu verantworten hat – für oder gegen die Politik, für oder gegen die Mehrheit, ja auch für oder gegen das Gesetz, denn Politik oder Gesetz sind so oder so.
Und man selbst ist man selbst und eben nicht das Große und Ganze, selbst wenn man zu der Mehrheit gehört, der in der Demokratie kurioserweise zugesprochen wird, sie fände zu den besseren und klügeren Entscheidungen als die Minderheit oder gar man selbst.
Und von Esken, Kühnert oder Lang oder von welcher dieser so eitlen wie tragikomischen Figuren von links bis rechts auch immer ist keine Lösung zu erwarten. Nein, auch von den sich laufend selbst bestätigenden Akteuren in der eigenen Chatgruppe oder Blase nicht.
Mitleser2
Im Prinzip Zustimmung. Warum wundern sich Politiker über immer weniger Respekt, wenn man alleine die sich immer weiter verbreitende infantile Hüpferei betrachtet. Ich muss allerdings einwenden, dass ich mit einer Westbiographie die Zeit zwischen 1969 und 1989 anders und besser erlebt habe, auch wenn dabei Nostalgie eine Rolle spielen mag.