Deutschlandweit ehren Medien, Verlagshäuser, Literatur- und Kulturvereine Leben und Werk des weltberühmten Schriftstellers mit zahlreichen Veranstaltungen und Festen. Ausgerechnet eine öffentliche Lesung aus Kästners Drama Die Schule der Diktatoren in dessen Heimatstadt Dresden wurde jedoch kurzfristig abgesagt.
Der offizielle Grund: Nachdem die Initiatoren, die Fraktion der Freien Wähler und Freien Bürger im Dresdner Stadtrat, beim Atrium Verlag denunziert wurden, erkannte dieser eine „politische Veranstaltung“ und zog seine Lesegenehmigung zurück. Zuvor war die Lesung als eine „Inszenierung der Neuen Rechten“ diffamiert worden.
Ohne eine Lizenz in den Händen planten die Organisatoren um: Statt einer Lesung, sollten am 25. April prominente Gäste wie Uwe Steimle, Antje Hermenau und Peter Flache als Podium gemeinsam über Kästners Werk diskutieren. Aber nur zwei Tage vorher kündigte auch noch der Vermieter des Veranstaltungsortes den gemeinsamen Vertrag. Die Freien Wähler und Freien Bürger mußten ihren Gästen endgültig absagen.
Susanne Dagen ist kulturpolitische Sprecherin der Freien Wähler im Stadtrat Dresden und als Buchhändlerin und Verlegerin bekannt. Warum sich jede Partei mit Kästners Werk beschäftigen darf, außer die Freien Wähler, und warum dessen Schule der Diktatoren nach 68 Jahren wieder brandaktuell ist, erklärt sie im heutigen Gespräch mit der Sezession.
SEZESSION: Frau Dagen, Kästner macht im Vorwort zu seinem Drama Schule der Diktatoren folgende Bemerkung:
Sprach früher ein Tribun zu fünftausend Männern, so sprach er zu fünftausend Männern. Spricht er heute zu zehn Millionen, so spricht er entweder zu zehn Millionen oder, wenn in der Tonkabine an einem Knopf gedreht wird, zu niemandem. Er ist besiegt und weiß es nicht.
Auch wenn niemand wirklich am Tonknopf drehte, frage ich Sie als Vertreterin der Fraktion, die die Veranstaltung ursprünglich organisiert hatte: Als Sie die Absagen erreichten, fühlten Sie sich abgedreht oder gar besiegt?
DAGEN: Wir haben die Veranstaltung seit Dezember letzten Jahres geplant. Als uns im Februar das Stadtmuseum Dresden eine Vermietung seiner Räumlichkeiten verwehrte, in denen wir schon Fraktionsveranstaltungen wie Lesungen, Diskussionsrunden und nicht zuletzt im November 2023 den Abend zu Victor Klemperers „LTI“ durchgeführt haben, wurde schon deutlich, daß wir mit ähnlichen Komplikationen rechnen mußten, wie bei besagter Klemperer-Veranstaltung, die aber letztendlich stattfinden konnte.
Insofern haben wir uns schon recht früh auf die Suche nach Alternativen für die Kästner-Veranstaltung begeben. Wir hatten auch im Hinterkopf, daß es wohl schwer werden würde, aber nicht damit gerechnet, daß uns nun auch noch der Atrium Verlag die Leselizenz entziehen würde. Besiegt fühlen wir uns dennoch nicht, eher bestärkt in unserer Sicht darauf, daß uns allen immer mehr Freiheiten verlustig gehen.
SEZESSION: Was genau hatten Sie für den 25. April geplant?
DAGEN: Der Abend sollte durch eine szenische Lesung aus dem Theaterstück Die Schule der Diktatoren eröffnet werden, der sich eine Podiumsdiskussion anschließen sollte zum Stück, zu Leben und Werk Kästners und einem Gespräch über die derzeitige (kultur-)politische Situation in Dresden.
Kulturpolitik ist Teil unserer kommunalpolitischen Fraktionsarbeit, das Ringen um den Erhalt von Kultur- und Bildungsangeboten ein wesentlicher Aspekt meiner Funktion in der Stadtratsfraktion. Geladen waren dafür die Politikberaterin und Publizistin Antje Hermenau und der Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle. Beide unterstützen unseren Dresdner Verein „Freie Wähler“ immer wieder.
SEZESSION: Und sollten Fünftausend oder zehn Millionen zuhören?
DAGEN: Der Raum, den wir letztendlich glaubten, bespielen zu können, faßte 199 Gäste. Der Abend war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, wobei unsere Fraktionsveranstaltungen immer kostenfrei sind. Mit dem Atrium Verlag war sogar ein Videomitschnitt vereinbart; genehmigt wurde dieser für eine einjährige Ausstrahlung. Damit hätten wir eine Vielzahl von Interessenten zusätzlich zum Veranstaltungsabend erreichen können – mit der Berichterstattung um den abgesagten Kästner-Abend sind es wahrscheinlich schon jetzt Tausende.
SEZESSION: Welche Reaktionen von den Gästen und Teilnehmern haben Sie erreicht?
DAGEN: Nach erfolgter schriftlicher Absage an alle Interessenten haben wir viele, viele berührende Schreiben erhalten. Alle drücken Unverständnis über das Vorgehen von Verlag und Veranstaltungsort aus, alle wünschen uns Erfolg bei der anstehenden Kommunalwahl, alle setzen diesen Vorgang in den Zusammenhang zur derzeitigen Politik in unserem Lande und sehen hierbei eine sich verstetigende Unterdrückung von oppositionellen Stimmen.
Daß Erich Kästner nun dabei so unter die Räder der grassierenden cancel culture kommt, betrübt mich sehr. Dennoch zeigte schon die Erfahrung mit der überregionalen Auseinandersetzung um unseren Abend zu „LTI“, daß viele Menschen das Buch hernach das erste Mal lasen. Vielleicht erreichen wir das bei Kästners Stück ja auch!
SEZESSION: Das Werk ist 68 Jahre alt – es würde verwundern, wenn daraus zum ersten Mal bei einer politischen Veranstaltung gelesen worden wäre, oder?
DAGEN: Die Schule der Diktatoren ist ein Meisterstück! Konzipiert in den 1930er Jahren, ist es erst ’57 uraufgeführt worden. Kästner selbst konstatiert eine Chronizität dessen, was er in diesem Stück satirisch beschreibt: Nämlich den unerbittlichen Kampf um Machterhalt, den Machtmissbrauch und die Manipulation des Volkes durch den Machthaber.
Angesiedelt in einem fiktiven Land und zu einer fiktiven Zeit ist es natürlich ein Stück, das jederzeit auch politisch gelesen wird. Man warf uns vor, Kästner für unsere Zwecke zu instrumentalisieren, nämlich heutige totalitaristische Tendenzen für erkennbar zu halten. Dieser Vorgang beweist natürlich zusätzlich unsere These. Letzten Endes ist die immerwährende Gültigkeit auch ein Qualitätsmerkmal dieses Stücks. Dennoch wird es recht wenig aufgeführt und wenn, dann mit den erkennbaren Insignien der NS-Zeit.
SEZESSION: Warum sollte Kästners „Die Schule der Diktatoren“ für eine politische Veranstaltung ungeeignet sein?
DAGEN: Zu anderen Zeiten oder zu heutigen, dann mit anderen Veranstaltern und Protagonisten, wäre es das wahrscheinlich nicht. Aber auch hier wird mit zweierlei Maß gemessen, wenn es leicht zu recherchieren ist, daß GRÜNE und vor allem die SPD bei jeder Gelegenheit Texte von Erich Kästner lesen.
Unsere Dresdner Kulturbürgermeisterin lässt sich damit zitieren, daß sie es für „bemerkenswert“ hält, daß wir uns entschieden hätten,
ausgerechnet aus der Schule der Diktatoren zu lesen und nicht zum Beispiel aus Fabian oder Kästners Lyrik, vielleicht auch aus seinen Büchern zum Thema Krieg und Militarisierung.
Unsere Wahl solle wohl „einzahlen auf die behauptete Gesinnungsdiktatur“. Das hat sie gut erkannt und auch deshalb wurden wir von Anbeginn so torpediert in unserem Ansinnen.
SEZESSION: Der Widerstand gegen Unterdrückung und gegen einen totalitären Staat gelingt in Kästners Stück nicht, könnte man sagen. Der Staatschef ist lange tot, Doppelgänger treten auf, agieren aber wie Marionetten. Nur der „Siebente“ ist ein Doppelgänger mit eigenem Willen, eigenem Machtanspruch und eigenem Gewissen. Was kann man aus einem so hoffnungslosen Stück lernen, was kann man für unsere Zeit daraus mitnehmen?
DAGEN: Nun erst einmal stellt es unsere Zeit in die Reihe von historischer Geschichte. Geschichte, die faktisch nachzuvollziehen und fern von gegenwärtigen Narrativen zu begreifen ist. Kästner selbst schreibt in seinem Vorwort zum Stück von „einem Anliegen“ und davon, daß „der Plan (…) zwanzig Jahre alt, das Anliegen älter und das Thema, leider, nicht veraltet“ ist und zudem noch „chronische Aktualitäten“ innehat. Der Mensch lernt wohl nichts, jedenfalls nichts Langfristiges. Kurzfristige Hoffnung indes darf man haben. Wenn auch nicht mehr für ein ganzes Menschenleben, so doch für eine Generation, bevor alles wieder von vorn beginnt…
SEZESSION: Sehen Sie in Zukunft noch Räume für Austausch und Begegnung für Ihre Fraktion?
DAGEN: Man kennt mich zuversichtlich und so will ich gern davon sprechen, daß uns nach der Dresdner Kommunalwahl andere Mehrheiten im Stadtrat miteinander besser arbeiten lassen werden. Frei nach Kästner hoffe ich zudem, daß nicht nur die Köpfe, sondern auch die Geister ausgetauscht werden, sodaß nach dieser schwierigen Legislatur eine Arbeit für alle Dresdner möglich ist. Eine Arbeit, die Minderheiten und politische Richtungen nicht präferiert, sondern im Sinne des gesunden Menschenverstands für alle Dresdner agiert. „Schaun mer mal, dann sehn mer scho.“… Wir bleiben dran!
SEZESSION: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dagen.
Heinrich Loewe
Vielen Tausend Dank an Frau Dagen und Co! Unglaublich starke Aktion! Man konnte in jedem Falle gewinnen, egal wie die Marxisten im Dresdner Rathaus mit den Lesungen umgehen. Durch die -versuchte und tatsächliche- Cancellung haben diese die zugrundeliegende These der totalitären Tendenzen heutzutage glanzvoll und für alle sichtbar bestätigt.
Dieser Klepsch-Clan ist eine Schande für Sachsen! Die andere hat unseren hochverehrten Christian Thielemann, ein Weltstar, rausgeschmissen. Ein unglaublicher Vorgang.